Auf den zweiten Blick
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Auf den zweiten Blick
19 > Altenpflege Titelthema Demenz Bei Qualitätsprüfungen wird gefragt, ob Sie das Wohlbefinden der Bewohner beobachten, um daraus Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten. Lesen Sie, welche Methoden sich hierfür gut eignen. Text: Claudia Heim Auf den zweiten Blick > Wissen Sie immer, wie sich die Person fühlt, die Ihnen gerade gegenübersteht? Wohl kaum. Der Spielraum der nonverbalen Kommunikation lässt viel Raum für Interpretation. Die „Sprache ohne Worte“, die wir jeden Tag einsetzen, lässt unzählige Botschaften zu. Verziehen wir das Gesicht, haben wir vielleicht Schmerzen. Es kann aber auch sein, dass wir etwas gehört haben, was uns nicht gefällt. Wenn wir etwas wahrnehmen und es deuten, haben wir die Möglichkeit, bei unserem Mitmenschen nachzufragen. Wir überprüfen unseren Eindruck und korrigieren ihn gegebenenfalls. Dies setzt allerdings voraus, dass uns die Person adäquat antworten kann. Bei Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, ist das oft nicht mehr möglich. Somit stehen wir täglich vor der Herausforderung, das Empfinden des Bewohners zu erahnen. Es wird also erwartet, dass Sie in Beziehung zu dem Bewohner treten und den Grad seines Wohlbefindens ermitteln. Ein nicht immer einfaches Vorhaben. Die Prüfanleitung der Pf legetransparenzvereinbarung stationär (PTVS) erklärt hierzu: „Bei Bewohnern mit Demenz sind Äußerungen des Wohlbefindens zu beobachten, auch wenn diese nicht verbal erfolgen, z. B. anhand der Mimik, Körperhaltung oder sonstigem Verhalten.“ Der Punkt gilt als erfüllt, wenn „aus der Pflegedokumentation erkennbar ist, dass das Wohlbefinden in Zusammenhang mit der Pfle- www.altenpflege-online.net ge und sozialen Betreuung beobachtet wird. Bei beobachteten Äußerungen des Unwohlseins werden im Rahmen der Einwirkungsmöglichkeiten der stationären Pf legeeinrichtung Maßnahmen eingeleitet.“ Strukturiert und teilnehmend beobachten Personen mit einer Demenz können nicht einfach befragt werden. Sie geben Ihnen keine Auskunft, und somit ist es für Sie und Ihre Kollegen oft schwierig, ein aussagekräftiges Erfassen des Wohl- um ein strukturiertes Beobachtungsverfahren. Es kommt bei leichter bis schwerer Demenz zum Einsatz. Beobachtet werden Aktivität, Wohlbefinden und Beziehungsqualität. Die Grundlage des DCM ist die personenzentrierte Pflege nach Kitwood. Seine sozialpsychologische Theorie besagt, dass schwerwiegende psychosoziale Beziehungsstörungen bei Demenz durch eine Strukturierung der sozialen Umwelt positiv verändert werden. Dazu trage auch eine Unterstützung der Person mit Demenz durch das Umfeld bei. Bei der Fallbesprechung minimiert das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven das Risiko, Verhalten fehl zu deuten. befindens in der Pflegedokumentation abzubilden. Daher ist der Bewohner genau zu beobachten und sein Verhalten zu beschreiben, z. B.: Wie sind seine Mimik und Körperhaltung? Wie verhält er sich? Gibt es Lautäußerungen? Aus diesen Beobachtungen lassen sich Wohlbefinden oder Unbehagen ableiten und Maßnahmen entwickeln. Wie ist jedoch das an den Tag gelegte Verhalten des Bewohners zu beschreiben? Es gibt hierzu verschiedene Methoden, eine davon ist das Dementia Care Mapping (DCM). Dabei handelt es sich Konkret bedeutet dies eine Befriedigung grundlegender Bedürfnisse wie • Halt und Trost, • Nähe und Geborgenheit, • soziale Verbundenheit, • Ermöglichung der Beschäftigung und • Identitätsarbeit. Die Anwendung der DCM-Methode erfordert eine Schulung der Mitarbeiter, die anschließend als „Mapper“ bezeichnet werden. Sie führen eine teilnehmende Beobachtung durch – mit Einverständnis des Bewohners oder seines gesetzlichen Betreuers. Jeder Mapper beobachtet eine Gruppe von fünf bis zehn Bewohnern kontinuierlich über einen längeren Zeitraum (z. B. sechs Stunden) im Wohnbereich. Dabei werden 24 Verhaltenskategorien einbezogen. Inhalt sind beispielsweise Aktivitäten, bei denen Interaktion oder passives Verhalten zu Tage treten. Ein Wohlbefindlichkeitswert wird ermittelt, genauso wie das Verhalten der Mitarbeiter. Dabei werden hinderliche Umgangsformen (z. B. Zwang ausüben, einschüchtern, lächerlich machen) ebenso erfasst wie förderliche (anerkennen, verhandeln, zusammenarbeiten). Indem verschiedene Parameter zueinander in Beziehung gesetzt werden, wird ein Zusammenhang erkennbar – > Altenpflege Titelthema etwa eine Reaktion des Bewohners auf die Handlung eines Mitarbeiters. Aus den Beobachtungen lassen sich gezielte Schritte abgeleiten, die im Alltag umzusetzen sind. Das DCM ist sicher eine gute Methode, um Wohlbefinden zu ermitteln, sie ist allerdings aufwändig und benötigt Zeit. Diese Vorgehensweise kann nur gelingen, wenn sie konzeptionell hinterlegt und auf Leitungsebene finanziell und personell unterstützt wird. Eine weitere Methode ist die verstehende Diagnostik. Hier wird nach erklärenden Aspekten gesucht, und es werden alle Personen und die Institution mit einbezogen. Zur Analyse des Verhaltens wird das NDB-Modell (need driven compromised dementia model) verwendet. Dabei handelt es sich um ein Strukturmodell, das versucht, verschiedene Einflussfaktoren mit einzubeziehen: • Physiologische Bedürfnisse wie Hunger/Durst, Ausscheidung, Schmerzen, Unwohlsein/Beschwerden, Schlafstörungen • Psychosoziale Bedürfnisse wie Emotionen, fähigkeitsangepasste Unterstützung • Physikalische Umgebung wie Beleuchtung, Geräuschpegel, Temperatur • Soziale Umgebung wie Personal (Zusammensetzung u. Stabilität), Atmosphäre, Anwesenheit anderer Menschen Empfohlen wird, regelmäßige Fallbesprechungen durchzuführen. Dabei Foto: Werner Krüper 20 21 sollten alle Bezugspersonen und auch der Betroffene selbst mit einbezogen werden. Das Ziel ist, den Pflegeprozess unter Berücksichtigung aller Faktoren entsprechend abzustimmen. Dabei werden die enormen Vorteile der Fallbesprechung deutlich: Es ist gewährleistet, dass durch die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven das Risiko minimiert wird, Verhalten fehl zu deuten. Emphatisch und wertschätzend kommunizieren Uneingeschränkt zu empfehlen scheint keines der Einschätzungsinstrumente zu sein. Derer gibt es viele, und in der Praxis sind sie mehr oder weniger brauchbar. Grundlage aller Instrumente ist eine empathische Grundhaltung. Wenn der Mensch respektiert, geschätzt und eine abweichende Verhaltensweise auf, was entsprechende Maßnahmen seitens des Personals nach sich ziehen sollte. Hierzu ein Beispiel: Frau Meier ist eine gesprächige Person, die sich in Gesellschaft sehr wohl fühlt. Eines Tages zieht sie sich immer mehr zurück und möchte nur noch abseits alleine auf einem Sessel sitzen. Dieser Zustand hält an und fällt mehreren Pf legekräften auf. In der Übergabe sprechen sie darüber. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten: Vielleicht hatte Frau Meier ein Erlebnis mit einem Bewohner, das sie erschreckt oder verärgert hat, sodass sie sich lieber zurückzieht. Möglich sind auch Schmerzzustände, die sie nicht äußert. Es kann auch sein, dass Frau Meier eine Phase hat, in der sie die Demenz und die einhergehende Sehr viel über das Wohlbefinden können Sie daran ablesen, ob der Gesichtsausdruck ruhig und entspannt oder eher ängstlich wirkt. geachtet wird, egal, mit welcher Behinderung oder Krankheit er zu tun hat, ist die beste Voraussetzung schon erfüllt. Das Einfühlen, ihn ernst nehmen, Bedürfnisse erspüren und nicht alles persönlich nehmen: Dies ist eine Haltung, die erstrebenswert und nicht selbstverständlich ist. Manche Menschen haben die Eigenschaft, andere so anzunehmen, wie sie sind. Sie haben das Talent, sich in die Befindlichkeit der Person zu versetzen. „Feine Antennen“ machen aufmerksam auf verändertes Verhalten, auf kleinste Reaktionen des Bewohners. Wie können Sie nun dokumentieren, welches Verhalten Sie bei den Bewohnern beobachten und wie Sie es deuten? Um ein verändertes Verhalten wahrnehmen und erfassen zu können, braucht es eine Vergleichsgröße. Der Ausgangspunkt ist also eine typische Haltung oder eine individuelle Handlungsweise des Bewohners. Davon ausgehend fällt www.altenpflege-online.net Veränderung in irgendeiner Form wahrnimmt, was eine enorme psychische Belastung für sie bedeutet. Es gibt noch viele Möglichkeiten, weshalb sich Frau Meier nun absondert. Im gemeinsamen Gespräch kommen die Pflegekräfte dem möglichen Auslöser näher. Sie meinen, dass Frau Meier momentan ihre Demenz „spürt“ und unter ihrer Erkrankung leidet. Nun wird gemeinsam überlegt, wie sie wieder zurück zu ihrer „eigentlichen Natur“ findet. Es kommen einige Ideen zustande und es wird beschlossen, für Frau Meier eine sinnstiftende Aufgabe zu finden. Dabei orientieren sich die Pflegekräfte an der Biografie der Bewohnerin. Da sie früher einmal Lehrerin für Handarbeit war, legen die Mitarbeiter ihr einige Utensilien bereit. Sofort beginnt sie zu sortieren und auszuprobieren. Inzwischen ist Frau Meier „zuständig“ für die Flickwäsche. Sie näht Knöpfe an und bessert kleine Schäden an der Die Software für Soziale Dienstleister Sinfonie GmbH & Co.KG Neuendorfstraße 23 b 16761 Hennigsdorf Telefon: Telefax: +49 (0) 33 02 4 98 99 - 0 +49 (0) 33 02 4 98 99 - 99 E-Mail: [email protected] Internet: www.sinfonie.de Checkliste „Wohlbefinden bei Demenz“ So kommunizieren Sie wertschätzend Um das Wohlbefinden des demenziell Erkrankten zu ergründen, bedarf es einer wertschätzenden Kommunikation: ÂÂ Sprechen Sie freundlich-zugewandt und vorausschauend mit dem Bewohner. Begeben Sie sich auf Augenhöhe und vermeiden Sie es, von oben herab zu reden, etwa wenn der Bewohner sitzt und Sie stehen. ÂÂ Verwenden Sie kurze und einfache Sätze. ÂÂ Stellen Sie Ja/Nein-Fragen. ÂÂ Auch wenn es immer wieder empfohlen wird, sprechen Sie nicht langsamer. Es besteht die Gefahr, dass Zusammenhänge abreißen. Beobachten Sie den Bewohner. Sollten Sie ein „Schnellsprecher“ sein, können Sie etwas Tempo aus der Unterhaltung nehmen. ÂÂ Unterbrechen Sie Ihren Gesprächspartner nicht. ÂÂ Deuten Sie seine Aussagen nicht um. ÂÂ Reden Sie in jeder Situation mit der Person, nicht über sie. ÂÂ Berücksichtigen sie die Meinung des Bewohners. ÂÂ Nehmen Sie (nonverbale) Aussagen ernst. ÂÂ Gehen Sie auf Verstandenes ein, nicht auf Unverstandenes. Vincentz Network GmbH & Co KG, Altenpflege 12.2014 ÂÂ Bemühen Sie sich um einen ruhigen Tonfall, versuchen sie stimmlich zu beruhigen, indem Sie mit der Tonlage etwas nach unten gehen. ÂÂ Betonen Sie wichtige Wörter. ÂÂ Bestätigen Sie Gesagtes, erklären sie es für gültig. ÂÂ Achten Sie auf Ihre Körpersprache. Sind Sie zu- oder abgewandt? Wichtig! • Probieren Sie Verhalten aus. Wenn Sie merken, dass der Bewohner eher ungehalten auf eine Situation reagiert, versuchen Sie, ob sich durch eine Änderung auch das Verhalten des Bewohners verändert. Dies kann ein deutlicher Hinweis sein, ob sich jemand in einer speziellen Lage wohl fühlt oder nicht. Es ist eine ständige Prüfung, ob die Maßnahmen, das Verhalten, dem Bewohner gerecht wird. Altenpflege 12.14 > Altenpflege Titelthema Je mehr Verhaltensweisen Sie beobachten, umso mehr bildet sich ein Verständnis aus, das Sie zur individuellen Pflege und Betreuung befähigt. Bettwäsche aus. Seither ist sie richtig „aufgeblüht“, wie die Pflegekräfte feststellen. Dokumentiert wird dies in der Fallbesprechung und im Berichtsblatt. Zudem werden in der Tagesstruktur die individuellen Maßnahmen geplant. Das Beispiel macht deutlich, dass Sie immer einen Vergleich brauchen, um Verhalten bewerten zu können. Abweichungen treten in allen Facetten auf: • In der grundpflegerischen Versorgung, wenn sich der Bewohner plötzlich nicht mehr waschen und anziehen lassen möchte oder mög- licherweise die Nahrungsaufnahme verweigert. • Bei der Behandlungspflege, wenn er ärztlich verordnete Maßnahmen ablehnt, die er immer mitgetragen hat, wie z. B. die Tabletteneinnahme. • Bei der sozialen Betreuung, wenn er sich zurückzieht und nicht mehr am Geschehen teilhaben möchte. an und beobachten Sie, was passiert. Ändert der Bewohner sein Verhalten? Fühlt er sich sichtlich wohl? Woran kann man dies festmachen? Ein Kriterium ist die Körpersprache: • Mimik und Gestik können deutliche Zeichen sein. • Der Muskeltonus ist ein Indiz. Drückt jemand mit seinem Körper eine erhöhte Spannung aus? • Wie ist die Atmung? Atmet der Bewohner sehr schnell, hält er vielleicht „krampfhaft“ die Luft an? • Wo befindet er sich im Raum? Versucht er, sich möglichst weit weg vom Geschehen zu begeben? Manchmal gelingt es nicht, den Grund für ein Nicht-Wohlfühlen zu ermitteln. Dann könnten Sie verschiedene Dinge anbieten. Sprechen Sie dabei alle Sinne Sehr viel können Sie im Gesicht ablesen. Ist der Ausdruck ruhig und entspannt oder eher ängstlich mit geweiteten Augen? Wirkt das Gesicht fröhlich Ganzheitlich vorbeugen, damit Sie im Beruf beschwerdefrei bleiben Motiviert und engagiert – das sind viele, die in Pflege- und Betreuungsberufen arbeiten. Allerdings verlangen diese Berufe dem Körper viel ab – besonders Rücken, Schulter-Nacken-Bereich und Gelenken. Das muss nicht sein. Das richtige Maß an Belastung hält den Rücken gesund. Ganzheitliche Vorsorge lohnt sich für die Pflege. Planen Sie mit uns: Wir bieten kompetente Beratung und Unterstützung auf allen Handlungsfeldern – von Ergonomie bis Organisationsentwicklung. Gemeinsam entwickeln wir ein individuelles Konzept für Ihr Haus. Die BGW bietet Unternehmern und Beschäftigten vielfältige und attraktive Möglichkeiten zur ganzheitlichen Prävention von Rückenbelastungen und steht zur Seite, wenn Reha-Maßnahmen notwendig sind. Informieren Sie sich unter: www.bgw-online.de/rueckenberatung. FÜR EIN GESUNDES BERUFSLEBEN M Starker Rücken SE X X X ES HALLE X STAND X OR XX 23 X T, D A T U M X > Altenpflege Titelthema Foto: Werner Krüper 24 oder traurig und frustriert? Hängen die Mundwinkel nach unten oder lächelt der Bewohner? Wird Blickkontakt vermieden oder eher gesucht? Sind die Augen wütend, lachend, ängstlich oder vielleicht „apathisch“? Wie wirkt die Stimme? Sie kann laut und leise ein deutscher Hersteller für Akustikschalter kompatibel mit fast allen Schwesternrufanlagen, drahtlos und drahtgebunden, zu einem hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis. Info unter 04191/9085-0 www.megacom-gmbh.de sein, zurückhaltend oder fordernd. Die Stimmlage spielt ebenfalls eine Rolle. Umso aufregender etwas ist, desto höher wird die Stimme. Durch die Betonung einzelner Worte oder die Sprechgeschwindigkeit („aufgeregt“) lassen sich Schlüsse auf die Befindlichkeit ziehen. Was wird im Außen getan? Schiebt ihr Bewohner unruhig Gegenstände hin und her, läuft er vielleicht immer einer Person nach? Je mehr Verhaltensweisen Sie beobachten, desto reicher wird Ihr Erfahrungsschatz, und es bildet sich mit der Zeit ein Verständnis aus, das Sie zur individuellen Pflege und Betreuung zum Wohle des Bewohners befähigt. Mehr zum Thema Download-Tipp: Ein Beispiel für ein selbst gestaltetes Formular zur Erhebung des Wohlbefindens finden Sie unter „Downloads zur Zeitschrift“ auf www.altenpflege-online.net/Produkte/ Downloads Fragen: [email protected] Claudia Heim ist Altenpflegerin, Coach und Supervisorin, TQM-Auditorin, Buchautorin und Autorin zahlreicher Fachbeiträge Altenpflege 12.14