Dokument COM(2011) 615 final

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Dokument COM(2011) 615 final
Stellungnahme des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie
zum Vorschlag der Europäischen Kommission
für eine Verordnung mit gemeinsamen und allgemeinen Bestimmungen
über die EU-Struktur- und Kohäsionsfonds
[Dokument COM(2011) 615 final/2]
(Stand: 17. September 2012)
Zusammenfassung
Im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds wurden in der Finanzperiode 2007-2013
ca. 75 Mrd. € (28%) für den Verkehrssektor und ca. 50 Mrd. € (19%) für den Umweltschutz
zur Verfügung gestellt. Von diesen Mittelzuweisungen flossen etwa zwei Drittel,
d.h. ca. 80 Mrd. €, in die mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten ab, ein großer
Teil wurde für große und mittelgroße Bauvorhaben verwendet (vgl. Anlage).
Die deutsche Bauindustrie kritisiert in diesem Zusammenhang, dass in einigen
osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten bei mit EU-Strukturfondsmitteln finanzierten
Ausschreibungen seitens der nationalen Vergabestellen unfaire Vertragsbedingungen
vorgeschrieben werden, die nicht dem internationalen Standard für einen fairen Bauvertrag
entsprechen. Dies hat zur Folge, dass sich deutsche (und andere westeuropäische
Bauunternehmen) schrittweise aus den entsprechenden Baumärkten zurückziehen.
Aus Sicht der Bauindustrie sind faire Vertragsbedingungen eine Grundvoraussetzung für
eine europaweite Teilnahmebereitschaft und für einen ordnungsgemäßen Mittelabfluss
im Rahmen der EU-Strukturfonds. Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC hatten sich
bereits im Mai 2011 in dieser Angelegenheit an die EU-Kommissare für Regionalpolitik und
Binnenmarkt gewandt. Die EU-Kommission sieht indes wegen der fehlenden
Rechtsgrundlage im EU-Sekundärrecht keinen Handlungsbedarf.
Mit Blick auf den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 schlägt der Hauptverband
der Deutschen Bauindustrie deshalb vor, die Verwendung von fairen Vertragsbedingungen
als einen separaten Erwägungsgrund in die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen
über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den
Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen
Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame
Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds
und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates hineinzuschreiben.
1
Im Einzelnen
Bei der Erbringung von Bauleistungen außerhalb ihres Heimatmarkts sind die international
tätigen deutschen Bauunternehmen auf das Vorhandensein fairer und ausgewogener
Vertragsbedingungen vor Ort als Basis für eine professionelle Beziehung zum lokalen
Auftraggeber und zu den lokalen Behörden sowie für die korrekte Projektdurchführung
angewiesen. Anerkannte nationale Musterbauverträge, wie z.B. die VOB/B in
Deutschland, die CCAG in Frankreich und Belgien, die ICE-Bedingungen in Großbritannien,
das DPR 207/2010 in Italien, die ÖNORM B2110 in Österreich, die UAV 1989 und 2012 in
den Niederlanden, die AB 92 und ABT 93 in Dänemark, übertragen daher ein jedes Risiko
derjenigen Vertragspartei, die es am besten bewältigen kann.
Im Bereich der internationalen Bauprojekte gelten die seit 1957 von der Internationalen
Vereinigung der Beratenden Ingenieure (FIDIC) herausgegebenen Standardverträge –
insbesondere das FIDIC 1999 „Red Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Bauarbeiten]
und das FIDIC 1999 „Yellow Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Anlagenbau und
schlüsselfertige Bauarbeiten] – als faire Musterbauverträge, welche die Risiken ausgewogen
zwischen den Bauvertragsparteien verteilen. Diese beiden FIDIC-Standardverträge wurden
vor mehr als einem Jahrzehnt auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern eingeführt,
als diese Länder die ersten finanziellen Mittel von der Europäischen Union im Rahmen der
Programme ISPA und PHARE erhielten.
Im Gegensatz dazu widerspricht das FIDIC „Silver Book“ [Musterbauvertrag für
Totalunternehmerarbeiten („EPC Turnkey Projects“)] der Vertragsphilosophie einer fairen
Risikoverteilung. Die FIDIC selbst empfiehlt die Anwendung dieses Vertragsmuster nur im
Rahmen von privatwirtschaftlich finanzierten Infrastrukturprojekten (Projektfinanzierungen)
bzw. für solche Projekte, bei denen der Bauunternehmer für ein sehr breiteres Spektrum von
Risiken verantwortlich ist. In diesem Kontext betont die FIDIC allerdings, dass seriöse
Bauunternehmer die höheren Risiken entsprechend einpreisen und somit höhere Baukosten
zu erwarten sind. Dementsprechend wird in der Einleitung zum FIDIC „Silver Book“
ausgeführt, dass die dort beschriebenen Vertragsbedingungen nicht geeignet sind:
-
wenn dem Bieter nicht ausreichend Zeit und Informationen zur Verfügung stehen, um
die Vorgaben des Auftraggebers eingehend zu prüfen sowie eigene Entwürfe,
Risikostudien und Schätzungen durchzuführen;
-
wenn die Bauarbeiten umfangreiche Arbeiten im Tiefbau oder in anderen Bereichen
beinhalten, die der Bauunternehmer nicht zuvor inspizieren kann;
-
wenn der Auftraggeber beabsichtigt, die Arbeiten des Bauunternehmers streng zu
kontrollieren oder den Großteil der Bauzeichnungen zu überprüfen;
-
wenn die Höhe jeder einzelnen Zwischenzahlung von einer offiziellen Stelle oder
einer zwischengeschalteten Instanz genehmigt wird.
Darüber hinaus hat die FIDIC auch öffentlich erklärt, dass die Bedingungen ihres
„Silver Books“ nicht für öffentliche Ausschreibungen vorgesehen sind!
2
Gleichwohl beobachtet die deutsche Bauindustrie eine wachsende Tendenz unter den
Vergabebehörden in den EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, die über keinen
eigenen
nationalen
Musterbauverträge
verfügen,
die
fairen
Allgemeinen
Vertragsbedingungen der FIDIC „Red und Yellow Books“ durch unfaire Besondere
Vertragsbedingungen auf Basis des FIDIC „Silver Books“ abzuwandeln und dadurch die
Risikoverteilung im Rahmen von öffentlichen Bauprojekten, die durch den Europäischen
Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds (CF) und das Instrument für
Heranführungshilfe (IPA) mitfinanziert werden, zu Lasten des Bauunternehmers abzuändern.
Infolgedessen werden zentrale Baurisiken, welche die FIDIC „Red & Yellow Books“ dem
Auftraggeber zuweisen, in unangemessener Weise auf den Auftragnehmer übertragen:
-
Eingeschränkter oder nicht ausreichender Zugang zur Baustelle (Artikel. 2.1)
-
Fehlerhafte Informationen zur Lage bzw. zur Absteckung der Baustelle (Artikel 4.7)
-
Verantwortung für unvorhersehbare Bedingungen, vor allem hinsichtlich des
Bodengrundrisikos (Artikel 4.10)
-
Planungsverantwortung (Artikel 5.1)
-
Finanzielle Schäden aufgrund von Verzögerungen (Artikel 8.7)
-
Angemessenheit des Vertragspreises (Artikel 14.1)
-
Kündigung durch den Bauunternehmer (Artikel 16.2)
Derartige Änderungen der vertraglichen Risikoverteilung haben nicht nur negative
Auswirkungen auf die Vertragssituation des jeweiligen Auftragnehmers, sondern auch
auf das generelle Wettbewerbsumfeld in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie auf
das jeweilige Projekt selbst. Wenn Modifikationen bei einem Bauvorhaben die ursprünglich
vorgesehene Risikoverteilung abändern und die auf den Auftragnehmer übertragenen
Risiken übermäßig hoch werden, treten regelmäßig Folgeprobleme auf, wie etwa:
-
Höhere Bieterpreise;
-
Scheitern der Ausschreibung und der Projektdurchführung;
-
Nicht-Teilnahme gewissenhafter und leistungsstarker Bauunternehmen in der
Ausschreibung;
-
Auftragsvergabe an einen Bieter, der scheitert oder die Risiken falsch einschätzt;
-
Schlechte Bauqualität und Verzögerungen aufgrund von fehlerhafter Einschätzung
der Risiken;
-
Verschlechterung des von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägten
Verhältnisses zwischen dem Auftraggeber und Bauunternehmer;
-
Vorbringung haltloser Forderungen des Bauunternehmers;
-
Häufige Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Bauunternehmer;
-
Große Diskrepanzen zwischen dem angeboten Preis und dem endgültigen Preis;
-
In extremen Fällen letztendlich die Aufkündigung des Vertrages.
3
Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC haben diese nachteilige Vergabepraxis
bereits im Mai 2011 den zuständigen EU-Kommissaren für Regionalpolitik und
Binnenmarkt vorgetragen. Die EU-Kommission sieht indes – trotz der Beschwerden auch
einzelner Bauunternehmen – keine Zuständigkeit für eine Untersuchung der angeblichen
Defizite, da die Frage des Vorliegens ausgewogener Vertragsbedingungen nicht durch
das sekundäre Gemeinschaftsrecht geregelt sei. Darüber hinaus betont die Kommission,
dass nach den Grundsätzen der Strukturfonds die öffentlichen Ausschreibungen in den
Mitgliedstaaten vollständig dezentralisiert sind und somit der ausschließlich Zuständigkeit der
lokalen öffentlichen Verwaltungen unterliegen. Schließlich sei es den einzelnen Bietern
überlassen, ob sie übermäßig hohe Vertragsrisiken akzeptierten oder nicht.
Aufgrund dieser politisch wie rechtlich unbefriedigenden Situation, ruft die deutsche
Bauindustrie das Europäische Parlament und den Europäischen Rat dazu auf, die aktuellen
Verhandlungen über die Rechtsinstrumente der zukünftigen EU-Kohäsionspolitik zu nutzen,
um die Auszahlung von Mitteln der EU-Struktur- und Kohäsionsfonds an das Vorliegen
fairer Vertragsbedingungen zu knüpfen. Mit der Einführung eines Hinweises auf
ausgewogene Vertragsbedingungen im EU-Gemeinschaftsrecht würde die EU nicht nur der
langjährigen Vergabepraxis und dem guten Beispiel der Weltbank, der Europäischen Bank
für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäische Investitionsbank (EIB) bzw.
dem status quo im Baurecht der meisten EU-Mitgliedstaaten folgen, sondern auch einen
wichtigen Beitrag zu einem effizienten und transparenten Mittelabfluss leisten, da
sowohl die private Wirtschaft als auch die EU-Kommission die Existenz einseitiger Verträge
beanstanden und deren Ursachen und Hintergrund hinterfragen könnten.
Petitum des Hauptverbands
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie schlägt vor, einen neuen Erwägungsgrund
in die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für
regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den
Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den
Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen
gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale
Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der
Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates hineinzuschreiben:
„Um einen breiten und fairen Wettbewerb für Projekte, die mit Mitteln aus den EUKohäsions- und Strukturfonds finanziert werden, sicherzustellen, muss der zu
verwendende Mustervertrag den Zielen und Umständen des Projekts entsprechen. Die
Vertragsbedingungen werden so gefasst, dass sie die mit dem Vertrag verbundenen
Risiken fair verteilen, mit dem primären Ziel, den wirtschaftlichsten Preis und die
effizienteste Vertragsleistung zu erzielen. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob
nationale oder internationale Musterbauverträge zur Geltung kommen.“
(vgl. dazu Artikel. 3.24 der EBWE-Beschaffungsrichtlinien und -regeln vom Mai 2010).
4
Stellungnahme des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie
zum Vorschlag der Europäischen Kommission
für eine Verordnung zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“
[Dokument COM(2011) 665 endgültig]
(Stand: 25. September 2012)
Zusammenfassung
Am 19. Oktober 2011 hat die Europäische Kommission einen Plan vorgelegt, der
Investitionen von 50 Mrd. € in die Verkehrs-, Energie- und digitalen Netze Europas vorsieht.
Im Rahmen der „Connecting Europe Facility“ werden mehr als 30 Mrd. € in die
Modernisierung der europäischen Verkehrsinfrastruktur, die Schaffung fehlender
Verkehrsverbindungen und die Beseitigung von Engpässen investiert, davon allein 10 Mrd. €
im Rahmen des Kohäsionsfonds für Verkehrsprojekte in den sog. Kohäsionsländern.
Die deutsche Bauindustrie ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass in einigen
osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten bei mit EU-Strukturfondsmitteln finanzierten
Ausschreibungen seitens der nationalen Vergabestellen unfaire Vertragsbedingungen
vorgeschrieben werden, die nicht dem internationalen Standard für einen fairen Bauvertrag
entsprechen. Dies hat zur Folge, dass sich deutsche (und andere westeuropäische
Bauunternehmen) schrittweise aus den entsprechenden Baumärkten zurückziehen.
Aus Sicht der Bauindustrie sind faire Vertragsbedingungen eine Grundvoraussetzung für
eine europaweite Teilnahmebereitschaft und für einen ordnungsgemäßen Mittelabfluss
im Rahmen der EU-Strukturfonds. Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC hatten sich
bereits im Mai 2011 in dieser Angelegenheit an die EU-Kommissare für Regionalpolitik und
Binnenmarkt gewandt. Die EU-Kommission sieht indes wegen der fehlenden
Rechtsgrundlage im EU-Sekundärrecht keinen Handlungsbedarf.
Mit Blick auf die geplante EU-Verordnung zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“
(Dokument COM(2011) 665 endgültig) schlägt der Hauptverband der Deutschen
Bauindustrie im Einklang mit den europäischen Bauverbänden FIEC und EIC (vgl. Anlage)
vor, die Verwendung von fairen Vertragsbedingungen sowohl in die Artikel – z.B. neuer
Artikel 13a unter Titel I/Kapitel IV [Beschaffungsmaßnahmen] sowie neuer Absatz 1a in
Artikel 23 unter Titel I/Kapitel VI [Programmplanung, Durchführung und Kontrolle] – wie auch
als neuen separaten Erwägungsgrund – z.B. als Recital 47a – in die Verordnung
hineinzuschreiben.
1
Im Einzelnen
Bei der Erbringung von Bauleistungen außerhalb ihres Heimatmarkts sind die international
tätigen deutschen Bauunternehmen auf das Vorhandensein fairer und ausgewogener
Vertragsbedingungen vor Ort als Basis für eine professionelle Beziehung zum lokalen
Auftraggeber und zu den lokalen Behörden sowie für die korrekte Projektdurchführung
angewiesen. Anerkannte nationale Musterbauverträge, wie z.B. die VOB/B in
Deutschland, die CCAG in Frankreich und Belgien, die ICE-Bedingungen in Großbritannien,
das DPR 207/2010 in Italien, die ÖNORM B2110 in Österreich, die UAV 1989 und 2012 in
den Niederlanden, die AB 92 und ABT 93 in Dänemark, übertragen daher ein jedes Risiko
derjenigen Vertragspartei, die es am besten bewältigen kann.
Im Bereich der internationalen Bauprojekte gelten die seit 1957 von der Internationalen
Vereinigung der Beratenden Ingenieure (FIDIC) herausgegebenen Standardverträge –
insbesondere das FIDIC 1999 „Red Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Bauarbeiten]
und das FIDIC 1999 „Yellow Book“ [Muster-Vertragsbedingungen für Anlagenbau und
schlüsselfertige Bauarbeiten] – als faire Musterbauverträge, welche die Risiken ausgewogen
zwischen den Bauvertragsparteien verteilen. Diese beiden FIDIC-Standardverträge wurden
vor mehr als einem Jahrzehnt auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern eingeführt,
als diese Länder die ersten finanziellen Mittel von der Europäischen Union im Rahmen der
Programme ISPA und PHARE erhielten.
Im Gegensatz dazu widerspricht das FIDIC „Silver Book“ [Musterbauvertrag für
Totalunternehmerarbeiten („EPC Turnkey Projects“)] der Vertragsphilosophie einer fairen
Risikoverteilung. Die FIDIC selbst empfiehlt die Anwendung dieses Vertragsmuster nur im
Rahmen von privatwirtschaftlich finanzierten Infrastrukturprojekten (Projektfinanzierungen)
bzw. für solche Projekte, bei denen der Bauunternehmer für ein sehr breiteres Spektrum von
Risiken verantwortlich ist. In diesem Kontext betont die FIDIC allerdings, dass seriöse
Bauunternehmer die höheren Risiken entsprechend einpreisen und somit höhere Baukosten
zu erwarten sind. Dementsprechend wird in der Einleitung zum FIDIC „Silver Book“
ausgeführt, dass die dort beschriebenen Vertragsbedingungen nicht geeignet sind:
-
wenn dem Bieter nicht ausreichend Zeit und Informationen zur Verfügung stehen, um
die Vorgaben des Auftraggebers eingehend zu prüfen sowie eigene Entwürfe,
Risikostudien und Schätzungen durchzuführen;
-
wenn die Bauarbeiten umfangreiche Arbeiten im Tiefbau oder in anderen Bereichen
beinhalten, die der Bauunternehmer nicht zuvor inspizieren kann;
-
wenn der Auftraggeber beabsichtigt, die Arbeiten des Bauunternehmers streng zu
kontrollieren oder den Großteil der Bauzeichnungen zu überprüfen;
-
wenn die Höhe jeder einzelnen Zwischenzahlung von einer offiziellen Stelle oder
einer zwischengeschalteten Instanz genehmigt wird.
Darüber hinaus hat die FIDIC auch öffentlich erklärt, dass die Bedingungen ihres
„Silver Books“ nicht für öffentliche Ausschreibungen vorgesehen sind!
2
Gleichwohl beobachtet die deutsche Bauindustrie eine wachsende Tendenz unter den
Vergabebehörden in den EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, die über keinen
eigenen
nationalen
Musterbauverträge
verfügen,
die
fairen
Allgemeinen
Vertragsbedingungen der FIDIC „Red und Yellow Books“ durch unfaire Besondere
Vertragsbedingungen auf Basis des FIDIC „Silver Books“ abzuwandeln und dadurch die
Risikoverteilung im Rahmen von öffentlichen Bauprojekten, die durch den Europäischen
Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), den Kohäsionsfonds (CF) und das Instrument für
Heranführungshilfe (IPA) mitfinanziert werden, zu Lasten des Bauunternehmers abzuändern.
Infolgedessen werden zentrale Baurisiken, welche die FIDIC „Red & Yellow Books“ dem
Auftraggeber zuweisen, in unangemessener Weise auf den Auftragnehmer übertragen:
-
Eingeschränkter oder nicht ausreichender Zugang zur Baustelle (Artikel. 2.1)
-
Fehlerhafte Informationen zur Lage bzw. zur Absteckung der Baustelle (Artikel 4.7)
-
Verantwortung für unvorhersehbare Bedingungen, vor allem hinsichtlich des
Bodengrundrisikos (Artikel 4.10)
-
Planungsverantwortung (Artikel 5.1)
-
Finanzielle Schäden aufgrund von Verzögerungen (Artikel 8.7)
-
Angemessenheit des Vertragspreises (Artikel 14.1)
-
Kündigung durch den Bauunternehmer (Artikel 16.2)
Derartige Änderungen der vertraglichen Risikoverteilung haben nicht nur negative
Auswirkungen auf die Vertragssituation des jeweiligen Auftragnehmers, sondern auch
auf das generelle Wettbewerbsumfeld in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie auf
das jeweilige Projekt selbst. Wenn Modifikationen bei einem Bauvorhaben die ursprünglich
vorgesehene Risikoverteilung abändern und die auf den Auftragnehmer übertragenen
Risiken übermäßig hoch werden, treten regelmäßig Folgeprobleme auf, wie etwa:
-
Höhere Bieterpreise;
-
Scheitern der Ausschreibung und der Projektdurchführung;
-
Nicht-Teilnahme gewissenhafter und leistungsstarker Bauunternehmen in der
Ausschreibung;
-
Auftragsvergabe an einen Bieter, der scheitert oder die Risiken falsch einschätzt;
-
Schlechte Bauqualität und Verzögerungen aufgrund von fehlerhafter Einschätzung
der Risiken;
-
Verschlechterung des von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägten
Verhältnisses zwischen dem Auftraggeber und Bauunternehmer;
-
Vorbringung haltloser Forderungen des Bauunternehmers;
-
Häufige Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Bauunternehmer;
-
Große Diskrepanzen zwischen dem angeboten Preis und dem endgültigen Preis;
-
In extremen Fällen letztendlich die Aufkündigung des Vertrages.
3
Die europäischen Bauverbände FIEC und EIC haben diese nachteilige Vergabepraxis
bereits im Mai 2011 den zuständigen EU-Kommissaren für Regionalpolitik und
Binnenmarkt vorgetragen. Die EU-Kommission sieht indes – trotz der Beschwerden auch
einzelner Bauunternehmen – keine Zuständigkeit für eine Untersuchung der angeblichen
Defizite, da die Frage des Vorliegens ausgewogener Vertragsbedingungen nicht durch
das sekundäre Gemeinschaftsrecht geregelt sei. Darüber hinaus betont die Kommission,
dass nach den Grundsätzen der Strukturfonds die Ausschreibungen in den Mitgliedstaaten
der ausschließlich Zuständigkeit der lokalen öffentlichen Verwaltungen unterliegen.
Aufgrund dieser politisch wie rechtlich unbefriedigenden Situation, ruft die deutsche
Bauindustrie das Europäische Parlament und den Europäischen Rat dazu auf, die aktuellen
Verhandlungen über die Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“ zu nutzen, um die
Auszahlung von Mitteln der EU-Kohäsionsfonds an das Vorliegen fairer
Vertragsbedingungen zu knüpfen. Mit der Einführung eines Hinweises auf ausgewogene
Vertragsbedingungen im EU-Gemeinschaftsrecht würde die EU nicht nur der langjährigen
Vergabepraxis und dem guten Beispiel der Weltbank, der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäische Investitionsbank (EIB) bzw.
dem status quo im Baurecht der meisten EU-Mitgliedstaaten folgen, sondern auch einen
wichtigen Beitrag zu einem effizienten und transparenten Mittelabfluss leisten.
Petitum des Hauptverbands
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie schlägt konkret die folgenden Ergänzungen
im Dokument COM(2011) 665 endgültig vor:
1.
Neuer Erwägungsgrund / Recital 47a:
“In order to ensure broad and fair competition for projects benefitting from CEF funds,
the form of contract used must be appropriate to the project’s objectives and
circumstances. Contract conditions should be drafted so as to fairly allocate the risks
associated with the contract, with the primary aim of achieving the most economic price
and efficient performance of the contract. This principle applies irrespectively of whether
national or international standard forms of contract are used" 1
Deutscher Textvorschlag: “Zur Gewährleistung eines breiten und
fairen Wettbewerbs für Projekte, die mit Fördermittel aus der
CEF finanziert werden, muss die Vertragsform den
Zielsetzungen und Umständen des Projekts entsprechen. Die
Vertragsbedingungen sind so abzufassen, dass die mit dem
Auftrag verbundenen Risiken in fairer Weise aufgeteilt
werden, um wirtschaftlichste Preise und effizienteste
Auftragserfüllung zu erzielen. Dieser Grundsatz findet
Anwendung unabhängig davon, ob ein nationales oder ein
internationales Vertragsmuster angewendet wird.“
1
cf. Art. 3.24 of the EBRD Procurement Policies and Rules, dated May 2010
4
2.
Neuer Artikel 13a:
The form of contract to be used shall be appropriate to the objectives and
circumstances of the project. General and particular contract conditions shall be
drafted so as to fairly allocate the risks associated with the contract, with the primary
aim of achieving the most economic price and efficient performance of the contract.
This principle applies irrespectively of whether national or international standard
forms of contract are used.
Deutscher Textvorschlag: “Die Vertragsform muss den Zielsetzungen
und Umständen des Projekts entsprechen. Die Allgemeinen und
Besonderen Vertragsbedingungen sind so abzufassen, dass die
mit dem Auftrag verbundenen Risiken in fairer Weise
aufgeteilt werden, um wirtschaftlichste Preise und
effizienteste Auftragserfüllung zu erzielen. Dieser
Grundsatz findet Anwendung unabhängig davon, ob ein
nationales oder ein internationales Vertragsmuster
angewendet wird.“
3.
Neuer Absatz 1a in Artikel 23:
When a major project does not respect the General Principles defined in Article 13a
new, it shall not benefit from CEF funds. The Commission shall provide the Member
State concerned the opportunity to bring the project into line with the abovementioned General Principles.
Deutscher Textvorschlag: “Wenn ein Großprojekt nicht den
allgemeinen Grundsätzen des Artikels 13a entspricht, kann
es nicht mit Fördermitteln aus der CEF unterstützt werden.
Die Kommission räumt dem betroffenen Mitgliedstaat die
Möglichkeit ein, das Projekt mit den obengenannten
allgemeinen Grundsätzen in Einklang zu bringen.“
Anlage:
Deutscher Text der EBWE-Beschaffungsrichtlinien
5