Ist denn der Herr Bocuse da?

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Ist denn der Herr Bocuse da?
„ Ist denn der Herr Bocuse da?“
Frank Brunner über den neuen Kochwahn und „ Typisch deutsch“ , das „Kochbuch des
Jahres“
Monsieur Bourgueil besteigt seine taubenblaue Ente und schaukelt durch Deutschland.
Madame Plum an seiner Seite. Bourgueil will Deutschland, seine neue Heimat
kennenlernen. Der Franzose ist Tourist und Forscher. Entdecker nannte man so etwas
früher. Aber eigentlich ist er Künstler und Koch.
Der Künstler leidet an der eigenen und der Unvollkommenheit der Welt. Er will sich die
Schöpfung aneignen und neu formen: als perfektes Kunstwerk. Kaum ein anderer versucht,
Schopenhauers Satz, die Welt sei Wille und Vorstellung, so konkret umzusetzen. Der Koch
verleibt sich die Welt zunächst ein. Er muß wissen, wie sie schmeckt, will er optimale
Zutaten auswählen, um sie dann im Kochtopf seinem Willen zu unterwerfen. Danach soll die
Speise seiner Vorstellung perfekt entsprechen. Die Welt als Wille und Kochtopf.
Der getürkte Türke
Auf einer Radiowelle des Deutschlandfunks kam die Nachricht geschwommen, daß die
Ausländer in Deutschland, speziell die Türken in Berlin, nun die Küche ihres neuen
Heimatlandes entdeckten und inzwischen deutsch kochten als Spezialität wie unsereins
chinesisch oder indisch.
Nichts war zu ermitteln. Das im „ Perfekten Dinner“ bei Vox aufgetretene türkische Model
Altan Y. kocht nur türkisch, nie deutsch, und sei sowieso über seine Agentur für 700,- €
Tagesgage wegen seiner Schönheit gebucht worden. Sagt er. Aber den eigentlichen Türken
bauen dort im Vorabendprogramm werktäglich die deutschen Hobbyköche und erzielen
damit Einschaltquoten, die Tim Mälzers und selbst Kerners Kochshow locker übertreffen.
Da läßt sich studieren, was Deutsche gerne kochen, wenn sie sich präsentieren wollen vor
Gästen oder auf dem Bildschirm: selten regional, meist international oder crossover. Jeder
will sich, wie der wahre Künstler, verwirklichen durch Kreativität und Originalität. Verhilft
dazu allein noch das Abenteuer des Kochens in einer ansonsten vermessenen Welt? Die
Zunge als Astronaut im Kosmos der Geschmäcker? Man versucht sich vor der Kamera an
Kängurufilet an Pflaumensoße, Putentaler in Thai-Marinade oder Timbale von Wildlachs und
Jakobsmuscheln. Erstaunlich ist umso mehr dann das Ergebnis der vom Forsa-Institut durch
Umfrage ermittelten Apollinaris-Geschmacksstudie 2007. Deren Zahlen besagen, daß, wie
schon im Vorjahr, 77 % der Befragten behaupten, sie verspeisten am liebsten, was aus der
deutsche Länderküche kommt. Die ganz oben rangiert, noch vor der so beliebten, aber doch
ziemlich abgeschlagenen italienischen. Was ist die Wahrheit? Schicker Hummer mit Sherry
aus der Vox-Sternchen-Küche oder ehrliche Rinderroulade mit Klößen und Rotkraut? Vor
der Kamera hui, zuhause pfui? Schmort der Deutsche lieber im eigenen Saft?
Politik aus dem Kochtopf
Wie identitätsstiftend Kochen wirken kann, wußte Ingrid Biedenkopf, Gattin des ehemaligen
sächsischen Ministerpräsidenten, genau. Sie stellte sich nach der Wende als sächsische
Landesmutter öffentlich an den Herd, sehr zum Gespött der Dresdner Ministerialen
übrigens, und verwandelte so die DDR-Bürger zwischen Plauen und Görlitz in Landeskinder.
Sie signalisierte ihnen Schutz und Nahrung. Die in Ingrids mütterlicher Obhut sich schnell
wiederfindenden Sachsen strotzen heute vor Selbstbewusstsein, fast so wie ihre bayrischen
Nachbarn. Sie sind die in Ostdeutschland am meisten gestärkten und nun die wirtschaftlich
stärksten.
Siebecks Zwiebelküche
Dieser Tage erschien der umfangreiche und klug plaudernde Essay Wolfram Siebecks, der
Ikone der deutschen Gastrokritik, über „Die Deutschen und ihre Küche“ . Darin schreibt er,
im Ausland habe unsere Küche lange Zeit leider nur als Witz gegolten, als ein mit Eisbein
und Sauerkraut angereicherter Lacherfolg. Ehrlicherweise glaubt er, daß die Deutschen
auch weniger Möglichkeiten besaßen mit ihren Zwiebel- und Kohlprodukten gegen die
Aromenwelt des Mittelmeeres. Aber es bestehe die Chance, zu den besseren
Nationalküchen aufzuschließen, wenn unsere traditionellen Gerichte endlich durch moderne
Küche verfeinert würden.
Zunächst beeinflußten im neureichen Westdeutschland die Elsässer via Baden die
deutschen Eßgewohnheiten. Der berühmte Paul Haeberlin. Dann kam die Nouvelle Cuisine.
Der berühmte Paul Bocuse. Wollten nun aber Witzigmann und andere erstmals international
mithalten, gab es Schwierigkeiten, die benötigten Edelprodukte für ihre elitären Küchen zu
besorgen. Das änderte sich erst, als ein Kölner Gastronom auf die Idee kam, das
Transportunternehmen Rungis Express zu gründen, das alles, was gut und frisch war, aus
dem Bauch von Paris besorgte, den Markthallen von Rungis eben. Das wurde die Mode.
Aber Produkte für die deutsche Küche kamen nicht von dort.
Als Siebeck seine Hoffnungen für unsere Nationalküche aufschrieb, konnte er nicht ahnen,
was gleichzeitig im jecken Düsseldorf geschah: Jean Claude Bourgueil, der dort im „Im
Schiffchen“ eine Drei-Sterne-Küche betreibt, arbeitete an seinem prachtvollen Band
„ Typisch deutsch“ . Darin demonstriert er aus der Sicht eines Franzosen und großen Kochs,
was er sich während 37 Jahren reisend und speisend in Allemagne, seiner Wahlheimat,
einverleibt hat. (Die Ente fährt immer noch.)
Kochbuch des Jahres
„ Typisch deutsch“ ist das von einer Jury aus fünf Laienköchen, darunter der Schriftsteller
Robert Menasse, und acht Spitzenköchen, darunter drei von sechs deutschen Drei-SterneKöchen (Harald Wohlfahrt, Dieter Müller, Helmut Thieltges) gekürte Kochbuch des Jahres.
Diese Auszeichnung verdankt sich einer vom Deutschen Institut für Koch- und Lebenskunst
in Leipzig ins Leben gerufene Initiative, die unterstützt wird von Focus, BuchMarkt, MDRFigaro und der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung.
Hierzulande gibt es weltweit die meisten Sterneköche nach Frankreich. Dennoch ist
„ Typisch deutsch“ der erste Meilenstein im Bemühen der deutschen Spitzenköche, deren
klassisch-französisch oder crossover inspirierte Kochkunst bereits größten Ruf genießt, nun
auch ihrer Nationalküche Weltgeltung zu verschaffen. Weil sich noch keiner von ihnen sich
um diese Ehrenrettung derart explizit bemüht wie der Ausländer Bourgueil. Einerseits
interpretiert er regionale Klassiker so, daß sie Eingang in die Haute Cuisine finden werden,
andererseits sind seine Rezepte in der Regel mit großer Eleganz und Leichtigkeit
nachkochbar. Den Sauerbraten (mit Thüringer Klößen) und den Kartoffelsalat, den
Strammen Max und den Pfefferpotthast hat er entmufft und ihnen wenig von jener
bäuerlichen Deftigkeit gelassen, die Siebeck beklagt. Oder, um Juror Menasse zu zitieren:
„ Bei Bourgueil wird endlich aus dem deutschen Michel ein strammer Max, und nicht deshalb,
weil er sich in einem Ei spiegelt.....“
Der alte Mann und der Herd
Einen Kreativtrick der großen Köche zeigt Bourgueil quasi auf offener Bühne. Man zerlegt
ein Rezept in seine Bestandteile und baut Teile davon in die eigenen Kreationen wieder ein.
In „Typisch deutsch“ behält Bourgueil sogar alle Aromen bei, verwandelt jedoch den
Charakter oder wechselt die Gattung. Das muß man sich vereinfacht so vorstellen, wie die
Umformung einer Schwarzwälder Kirschtorte in einen Schwarzwälder Eisbecher. Oder man
läßt weg, was man nicht mehr braucht, eine Methode zum Beispiel, nie ein Aroma. Das
beste Beispiel im Buch ist sein Sauerbraten, weil wir ihn alle kennen.
Früher, in den Zeiten vor Erfindung des Kühlschranks, schlachtete man aus Anlaß von
Hochzeiten oder Feiertagen. Die besten Teile verschmauste man sofort, die weniger guten
wurden aufbewahrt und mußten deshalb konserviert werden. Der Sauerbraten wurde dazu in
eine Essigwürze komplett eingelegt, die zudem den Effekt hatte, daß sie das mindere
Fleisch ganz durchtränkte und es schön mürbe machte. Nur braten konnte man es dann
nicht mehr, weil beim Erhitzen die Flüssigkeit das Fleisch sofort wieder verließ. Es wurde
eher geköchelt, also geschmort. Das Fleisch wurde fasrig. Bourgueil nimmt ein Rinderfilet
(sein Wahlspruch: „ Von allem nur das Feinste“), das wir täglich beim guten Fleischer kaufen
können, legt nicht mehr ein, sondern mariniert nur leicht mit gerade mal 150 ml Flüssigkeit
bei 800 g Fleisch, also aromatisiert sie lediglich von außen, brät sie perfekt rosa und gießt
dann die Sauerbratensoße darüber. Er hat alle Aromen beibehalten, die Grundlage, das
Fleisch, wesentlich verbessert und dafür die veraltete Methode des Konservierens
weggelassen. Das nennt man Modernisierung. Das sei Handwerk, sagt er bescheiden, aber
auch nicht ganz falsch. So etwa ließe sich die schwerfällige deutsche Küche entschlacken
und zukunftsfähig machen. Die Basis dazu sind Analysefähigkeit und große Erfahrung.
Bourgueil, 60 geworden, steht seit 47 Jahren am Herd. Der halb so alte Juror und
Sternekoch Thomas Neeser staunt, wie jung und frisch sich dabei die Rezeptideen im Buch
des Düsseldorfer Franzosen ausnehmen.
Ausbildung am Laternenpfahl
Alle schwafeln von der Kreativität unserer Spitzenköche, dem Zauber der Aromen, die sie
erzeugen, oder sprechen ständig über Texturen. Vom Handwerk redet keiner. Auch Siebeck
kaum. Aber dessen altmodische Tugenden werden laut Bourgueil noch immer dringend
gebraucht, damit die deutsche Küche überleben und ins 21. Jahrhundert gehievt werden
kann. Rettet also vor allem das Handwerk?
In der zwanzig Meter langen Schiffchenküche herrscht links ein mächtiger Kamin, wie wir
ihn von den Schlössern der Loire kennen. Darin ist ein Molteni Herd eingefügt, das Beste
vom besten. In einer Nische in der vorderen Wand trohnt eine mannshohe Madonna. Dem
Herd gegenüber hängen vom Küchendunst angegilbte Produktplakate jenes verdienstvollen
Rungis express, die Wild oder Atlantikfische zeigen. Junge, weißgekleidete Menschen mit
hohen Kochmützen bewegen sich konzentriert und schweigsam. Wirkt wie in Zeitlupe. Auch
Lehrlinge sind darunter. Das ist in solchen Drei-Sterne-Küchen selten geworden. Dieter
Müller oder Christian Bau beispielsweise bilden nicht mehr aus. Lernen kann man bei ihnen
erst nach der Lehre.
Vor zwanzig Jahren, erzählt Bourgueil, hätten die jungen Menschen kein Abitur gehabt, aber
mehr Wissen mitgebracht. Heutzutage weiß ein Junge aus Stuttgart mit Sicherheit, wie die
Körnchen auf den Hamburger-Brötchen heißen, aber nicht, was ein Labskaus ist. Deziliter,
was soll das sein? Zentiliter kennt er eher vom Schnapsglas als aus der Schule. Bourgueil
muß seine Lehrlinge gründlicher an die Hand nehmen und mehr Basiswissen vermitteln.
Erstaunlich eigentlich bei jungen Menschen, die nicht die Arge in die Zwangslehre gesteckt
hat, sondern aus Begeisterung Koch werden wollen.
Der bekannte englische Fernsehkoch Jamie Oliver trat mit einem blauen Auge bei Kerner
auf. Der Leipziger Ausbilder Boris Weiland spottet seitdem, heute kämen die jungen Köche
im Morgengrauen aus der Disko, rennten sturztrunken gegen einen Laternenpfahl und
glaubten nun, sie beherrschten ihr Metier ebenso gut wie Oliver.
Wo führt das hin?
Kreativität ohne Bodenhaftung. Aber Kunst kommt von Können. (Übrigens: Auch Bourgueil
wäre kein Künstler, nur Koch, wenn er nicht manches Rezept seines Buches uminterpretiert
und so zur eigenen Adaption geführt hätte.)
Also, wer soll Siebecks Forderung in Zukunft umfassend erfüllen? Bourgueil hat letztlich
auch nur Beispiele geben können. Denn „ Typisch deutsch“ ist eigentlich eine vom
Fotographen Thomas Ruhl kongenial und neuartig inszenierte Liebeserklärung in Rezepten,
die der Franzose an seine Wahlheimat abgibt. Ruhls Kamera geht hautnah ans Fleisch. Man
sieht sofort, wie beste Produkte aussehen. Und, phänomenal, wir können die Speisen, die
wir ja eigentlich nur sehen, fast schmecken.Zumindest begreifen wir sofort und fast
lehrbuchhaft, wie beste Produkte aussehen müssen „Das hätte so nicht bei einem
Hamburger funktioniert“ , glaubt Ruhl. Doch ein kleiner Wermutstropfen fällt diesen
fotografischen Schönheiten ins Glas: Die Schäume wirken zu grob aufgeblasen und dadurch
ein Nü zu künstlich – wie Seifenschaum. Das ist der Nachteil der Methode Ruhl. Aber alles
ist echt, so siehts bei Bourgeuil aus. Und es wäre Betrug an der Ehrlichkeit der frappanten
Optik, die ohne jedes Food-Styling auskommen will, das in unseren gängigen Kochbüchern
die Speisen so gefällig glättet und an das wir uns vollständig gewöhnt haben, schminkte
man eben diesen Nachteil weg.
Da fällt fiel schon mehr ins Gewicht, daß das Lektorat des Verlages seinen Autor ziemlich
oft im Stich ließ. Es hat den Profi Bourgueil nicht darauf hingewiesen, daß er seine
Rezepturen gelegentlich mit Hilfe eines Thermomix garen läßt. Solch teuren Geräte stehen
bisher ausnahmslos in Profiküchen. Es wäre ein leichtes gewesen, den Autor darauf
hinzuweisen, er möge Garzeiten und Temperaturen für unsre hausfraulichen Herde
aufbereiten. Aber wahrscheinlich hat es gar kein Lektorat gegeben, denn sonst wären
Fehlerchen wie Gänsestoff- statt -stopfleber oder Eintöpfe mit Fleischbeilagen statt –
einlagen nicht unterlaufen...
Selbst nach 37 Jahren blickt Bourgueil immer noch mit den staunenden Augen eines
Touristen (oder ist es die unersättliche Neugierde eines Kochs?) durch die Regionen und
die Küchen. Im Buch sind Fotos von Neuschwanstein, bayrischen Lederhosen oder vom
Lebkuchenhaus abgebildet. Gegen Siebecks Hymne an die Mittelmeeraromen setzt
Bourgueil großartige doppelseitige Fotos von deutschen Würsten und Brotsorten. Salami
und Baguette sind eben auch nicht alles.
Doch Bourgueil ist kein Wissenschaftler. Also ist sein Buch lediglich ein anregendes „ Projekt
Bourgueil“ – ohne systematische Sammelwut, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. „Typisch
deutsch“ ist ein Bauchbuch, das Buch eines Kochs eben, aber eines grandiosen Kochs.
Vom berühmten Alain Ducasse wird behauptet, er habe die große französische Küche vom
winzigen Monaco aus renoviert, ihr das mediterrane Gesicht und Gewicht wiedergegeben.
Gut möglich, daß man Vergleichbares auch eines Tages vom Anreger Bourgueil (der Sohn
Alexander bezeichnenderweise bei Ducasse ausgebilden ließ) und der deutschen Küche
sagen wird. „ Wiederbelebt und so ins 21. Jahrhundert gerettet.“
Frankreich aber, das Mekka aller Genußsüchtigen, hat seinen Bourgueil nicht vergessen
und ihn vor zwei Jahren zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. Diese Auszeichnung
empfing er aus den Händen von Paul Bocuse. Nicht erst seit dieser Zeit fragen im „Im
Schiffchen“ Gäste nach dem Hausherrn, die sich den schwierigen Namen Bourgueil nicht
merken können: „Ist denn Herr Bocuse da?“
© 2007 Deutsches Institut für Koch- und Lebenskunst
Frank Brunner ist Gründer des Deutschen Instituts für Koch- und Lebenskunst, Leipzig und
Frankfurt am Main
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