von Sonna Fanfiction zu „Beyblade“ Fortsetzung zu „Segen oder
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von Sonna Fanfiction zu „Beyblade“ Fortsetzung zu „Segen oder
Zeit von Sonna Fanfiction zu „Beyblade“ Fortsetzung zu „Segen oder Fluch“ Hauptinfo Pairing Kai x Ray / Tyson x Max Rating PG-14 Teil Special zu ‚Segen oder Fluch‘ / One-Shot (A.d.A.: man sollte SoF vorher gelesen haben) Disclaimer Nix mir, nix meins. (wie immer also v_v) Anlass Da SoF einen ‚Upload-Tag‘ vor Heilig Abend beendet war und meine Leser mich außerdem Vierundzwanzigeinhalb Wochen ertragen haben (sprich: kurze Kapitel und fiese Cliffis *g*), hab ich mir gedacht: machste ihnen zu Weihnachten ein Geschenk und schreibst noch n Teil dazu. ^^ Warnungen nicht unbedingt was ‚weihnachtliches‘. Klar, sap kommt drin vor ^^ (hab mir Mühe gegeben), lime, aber auch death (jedenfalls, was die Nebencharaktere angeht ^^) Genre Action / Fantasy Kommentar So, ich hoffe mal, die Fortsetzung gefällt euch allen und sie ist euch einen (kleinen) Kommentar wert ... wenn nicht ... *sich beleidigt in eine Ecke verzieht* Länge ca. 16.000 Wörter Inhalt Das Leben der vier Unsterblichen geht weiter. Hier ein paar Szenen aus ihrem Leben. ^^ Widmung Allen Lesern von ‚Segen oder Fluch‘ Legende ~*~*~ <- Rückblicke ~ <- Personenwechsel ~~ <- kleiner Zeitsprung ~*~ <- Ortswechsel / langer Zeitsprung Seite 2 Die Luft in der Kneipe war Rauchverhangen, dunstig und stickig. Alles in allem also kein Ort, an dem man sich als vernünftiger Mensch freiwillig begeben hätte. Allerdings hatte man(n) keine große Wahl. In diesem 1000-Seelen-Dort irgendwo zischen Pira und den Hohen Felsen gab es nur dieses eine Gebäude, das sich die nicht wirklich verdiente Bezeichnung ‚Gasthof‘ und dann auch noch mit dem Namen ‚Zum reichlichen Überfluss‘ gegeben hatte. Wohl in der Hoffnung, die Reisenden vom katastrophalen Außenzustand – der aus zum Teil losen Brettern, kaputten Fensterscheiben und Löchern im Dach bestand – abzulenken und die absurde Meinung zu erwecken, dass es innen besser aussah. Jeder der das dachte – was zum Glück nicht so viele waren; dazu hätte man wirklich bescheuert sein müssen – würde jedoch eines besseren belehrt werden. Innerhalb der halben Bruchbude sah es nicht wirklich besser aus. Tische, die von vielen Schlägereien zeugten und schon bei der kleinsten Belastung zusammenzubrechen drohten; Stühle, denen das gleiche Schicksal drohte; eine Bar, die mehr aus ein paar lose zusammengestellten Holzfässern bestand, die auch schon mehr Loch als Fass waren; dahinter einige mehr oder weniger gerade an der Wand angebrachte Regale, auf denen einige Flaschen mit stark alkoholhaltigen Flüssigkeiten standen - der Rest befand sich wohl aus Sorge, das die ach so heiligen Flaschen kaputt gehen könnten, irgendwo in Sicherheit; die Fenster sahen von innen noch mehr verdreckt aus als von außen; im hinteren Teil des Raumes konnte man eine Treppe ausmachen, die nach oben führte - auch sie sah ziemlich alt und morsch aus, fraglich, ob sie den nächsten Todesmutigen tragen würde; das Geländer, das wohl die Todesmutigen, die die Treppe überlebt hatten, vorm Runterfallen schützen sollte, war eher eine Falle zum Runterfallen – ziemlich morsch und brüchig. Und wie die Räume dort oben aussehen mochten, wollte eigentlich auch keiner so recht wissen ... Das einzige, was hier also im reichlichen Überfluss vorhanden war, war die nicht vorhandene Ordnung ... Dem allem zum Trotz saßen nun eben in diesem heruntergekommenen Nest in dieser menschenunwürdigen Kneipe in der Ecke links von der Tür an einem Tisch drei Personen, die es doch tatsächlich gewagt haben, FREIWILLIG hier zu sein – oder aber sie waren lebensmüde. Allerdings konnten sie zu ihrer Verteidigung eine Entschuldigung vorbringen: sich entweder draußen vom strömenden, peitschenden Regen ärgern lassen oder hier drinnen Gefahr laufen zu ersticken. Das sie sich für letztere Möglichkeit entschieden hatte, dürfte nicht schwer zu erraten sein. Da sie ja aber nicht lebensmüde waren – nein, im Gegenteil –, hatten sie sich einen Platz in einer Ecke gesucht, direkt unter einem der Fenster. Das Fenster, das mehr ein Loch in der Wand war, sorgte wenigstens etwas für frische Luft, die durch den Sturm draußen schön regelmäßig in den Raum gepustet wurde und die Rauchschwaden wieder zu ihren Verursachern zurücktrieb. Nun saßen also die drei jungen Männer hier – von den anderen Anwesenden auf um die zwanzig Jahre geschätzt –, hatten ihren Krug Bier vor sich stehen und schwiegen sich an. Kein Wunder, der Lärmpegel – bestehend aus dem Gegröle der anderen Anwesenden – war so groß, das sie hätten schreien müssen, um sich zu verständigen. Und da sie genug Zeit – wirklich genug Zeit – gehabt hatten, um so etwas wie eine ‚stumme Sprache‘ untereinander zu entwickeln, störte es sie auch nicht weiter. Einzig das ihnen bald das Trommelfell zu platzen schien, war ein Grund zum miese Laune haben. Seit etwa einer halben Stunde warteten sie nun schon auf ihren vierten Mann im Bunde. Ihrer Meinung nach müsste dieser auch in den nächsten paar Momenten wiederkommen ... Seite 3 Wieder einmal ging die Tür der Kneipe auf. Ein scharfer Windzug fuhr in den Raum, zusammen mit einem Schwall Regenwasser, und weckte für den Bruchteil einer Sekunde diejenigen Säufer, die schon fertig auf – oder unterm – Tisch lagen und ihren Rausch ausschliefen. Und das am frühen Abend – na gut, wenn man den düsteren, bewölkten, dunklen Himmel betrachtete, konnte man schon zu der Ansicht gelangen, das es tiefste Nacht war ... Einige der Gäste blickten zur Tür, wohl in der Hoffnung, einer ihrer noch vermissten Saufkumpane würde kommen. Doch Fehlanzeige! Durch die Tür, die nun hinter dem Eintretenden wieder zufiel, trat ein junger Mann, vom Regen ganz durchnässt. Die Kapuze seines Umhangs, unter dem man die Umrisse eines Schwertes ausmachen konnte, schlug er soeben zurück und zum Vorschein kamen schwarze Haare, die im Nacken zu einem Zopf gebunden worden waren und etwa bis zu den Ellenbogen gingen. Vom Alter her passte er zu den Fremden in der Ecke, zu denen er nun auch schritt, ohne die auf ihn gerichteten Blicke zu beachten, wohl wissend, das sie eigentlich nicht direkt ihm galten. Hier nickte er einmal kurz, schnallte sein Schwert ab – im Sitzen war es mehr als unpraktisch – und ließ sich dann auf seinen Stuhl fallen – bzw. setzte sich sehr vorsichtig auf diesen, da er mit dem Boden denn nun keine Bekanntschaft machen wollte. Von den anderen kam ein Nicken zurück. Ray, den niemand anderes war der Eintretende gewesen, saß nun zwischen Kai und Max. Ihm gegenüber demzufolge Tyson. Er fuhr sich einmal mit der linken Hand durch die Harre, entfernte so die Regentopfen, die sich trotz der Kapuze ihren Weg gesucht hatten – der Regen war eine wahre Sintflut – und griff gleichzeitig mit der Rechten nach dem Bierkrug, der vor seinem Platz stand. Er nahm einen tiefen Zug und als er es wieder absetzte, grinste er leicht. Hatte er doch die gespannten Blicke bemerkt, die auf ihn gerichtet waren. Ray griff nach seinem Schwert und hielt es leicht hoch, dabei grinste er immer noch. Die neugierigen Blicke verschwanden. So wie ihr Freund sich benahm, wussten sie, dass das Schwert wieder in einem Stück war. Tyson seufzte einmal geräuschlos – man hätte es ja sowieso nicht gehört – und blickte verstimmt nach draußen. Da er dem Fenster gegenübersaß, brauchte er sich dafür nicht mal umdrehen. Sein Freund hatte Tyson Seufzen jedoch bemerkt und sah diesen an. Als er Tysons Blick bemerkte und diesem folgte, konnte er die Reaktion verstehen. Es schien ganz und gar nicht so aus, als ob sich das Wetter draußen in der nächsten Zeit ändern würde, im Gegenteil, es sah eher nach noch mehr Regen aus. Beide richteten ihren Blick synchron auf Ray und Kai, die ihrerseits zu den beiden sahen. – Sie waren ganz eindeutig schon zu lange unterwegs. War ja fast unheimlich, wie gut sie sich inzwischen fühlen konnten. Max zeigte mit einer Hand kurz Richtung Fenster und machte mit der anderen Hand eine Bewegung, die soviel wie ‚Das Wetter bringt mich noch mal um’ bedeuten sollte. Als Antwort bekam er Nicken, so ging es wohl ihnen allen. Der Lärmpegel in der Kneipe stieg in diesem Moment noch mehr an. Irgendwo waren wohl zwei oder mehr Besoffene aneinander geraten. Geschrei wurde laut, Stühle krachten zu Boden, denen Seite 4 Tische folgten, die umgeworfen wurden oder, wenn genügend Kraft im Wurf steckte, auch gegen die nächste Wand flogen und dort krachend zerbarsten. Man konnte gar nicht so schnell gucken, da war eine Kneipenprügelei im Gange. Jeder gegen jeden und einer gegen alle. Schreie, Gemotze und allerlei würgende und abgebrochene Schreie wurden laut. Je nachdem, ob man jemanden warnen wollte, gerade bewusstlos geschlagen wurde oder einfach nur einen Gegenstand abbekam. Die Personen hinter in der Ecke hatten die Entwicklung ruhig mit verfolgt und ihr Bier in Ruhe ausgetrunken. Nun standen sie langsam auf und bahnten sich ihren Weg zur Tür. Dass sie dabei dem einen oder anderen eine Antwort auf einen versuchten Angriff geben mussten, störte sie nicht weiter. Die Leute hier waren eh besoffen und merkten das gar nicht mal richtig. Außerdem waren sie ja selber schuld. An der Tür angekommen, schlugen sie die Kapuzen ihrer Umhänge hoch und verschwanden nach draußen in den Regen. In Sekundenschnelle waren sie bis auf die Haut durchnässt, aber wenigstens konnten sie wieder saubere Luft atmen. „Puh, wurde aber auch Zeit, dass wir verschwinden“, atmete Max befreit auf. „Genau!“, stimmte sein Freund ihm zu. Sie gingen die Hauptstraße des Dorfes entlang, die eigentlich auch die einzige Straße hier war, und ließen den Regen auf sich niederprasseln. Der Wind fuhr unter ihre Umhänge und Kapuzen und schaffte so etwas mehr Angriffsraum für den Regen, aber das machte den Vieren nichts. „Könntet ihr euch vielleicht mal entscheiden?“, kam es da grummelnd von hinten. „Ihr wart es schließlich, die nicht draußen warten wollten. Ansonsten hätten wir nie dort gesessen!“ Max und Tyson grinsten nur, sagten aber nichts weiter. Kai hatte ja recht ... leider. Aber wer stand schon gerne im Regen? Laufen war ja noch ok, aber nicht stehen und warten. Grausig! Und da Ray nun mal zum Schmied gemusst hatte ... ~*~*~ Die kleine Lichtung war von Waffengeklirr erfüllt. Etwa ein Dutzend Männer kreuzten hier gerade die Klingen miteinander. Doch war dieser Kampf weit entfernt davon, fair zu sein. Je zwei der Angreifer attackierten eines ihrer Opfer. Ihre Schläge wurden immer abgeblockt – es schien so, als wüssten ihre Feinde immer das Ziel. Anstatt Treffer zu landen, klirrte immer nur Metall gegen Metall und kleine Funken stoben auf. ~ Kai hob sein Schwert und parierte den nächsten Schlag. Ohne auf das verblüffte Gesicht seines Gegners zu achten, holte er aus und schlug diesem sein Schwert aus der Hand. „Das ist nichts für kleine Kinder“ flüsterte er ihm ins Ohr, während er neben dem zur Salzsäule erstarrten Dieb stand und diesen dann mit einem Handkantenschlag in den Nacken ins Traumland beförderte. Er wandte sich nach rechts und mit einem weiteren Schlag hatte auch sein zweiter Gegner kein Schwert mehr in der Hand. Klirrend blieb dieses neben dem ersten Schwert liegen. Noch starr vor Schreck bekam er nicht mit, wie Kai blitzschnell hinter ihn trat und ihn bewusstlos schlug. Seite 5 Dann sah Kai sich nach seinen Freunden um ... ~ Max und Tyson standen jeweils an den gegenüberliegenden Seiten eines Baumes und parierten die Schläge ihrer Angreifer. Schlag auf Schlag folgte, die Diebe fingen schon an zu Keuchen, während Max und Tyson immer noch am grinsen waren. Es freute sie fast, dass ihre langweilige Reise mal unterbrochen wurde. Auch wenn es nur lausige Diebe waren ... Aber irgendwann war auch mal der Spaß vorbei. „Was meinst du?“ „Klar.“ Max und Tyson hörten beide zeitgleich auf, die Schläge zu parieren. Stattdessen tauchten sie unter den Schlägen hindurch und verschwanden zur Seite. Die Diebe, die damit nicht gerechnet hatten, fanden sich nun in einer sehr komischen Situation wieder. Ihre Schwerter stecken im Baum fest und ihre Gegner waren verschwunden. Doch keine drei Sekunden später – die Diebe wussten immer noch nicht, was passiert war – tauchten vor ihren Gesichtern wieder jemand auf. Doch es war nicht der, gegen den sie bis eben gekämpft hatten. Max und Tyson hatten, als sie zur Seite weggehuscht waren, die Seiten getauscht. Max stand nun den Gegner von Tyson gegenüber und umgekehrt. „Tag auch“, grinste Max die perplexen Männer an und schlug sie mit der flachen Seite seines Schwertes KO. „Wie geht´s denn?“, fragte Tyson überraschend und schlug zu. Dann beantwortete er sich selbst die Frage: „Ich würde sagen: müde.“ Max und Tyson steckten ihre Schwerter wieder weg, gingen Richtung Lichtung und hielten Ausschau nach ihren Freunden ... ~ Ray ließ sich von seinen zwei Gegnern immer wieder ein Stückchen nach hinten drängen. Es machte doch viel mehr Spaß, sie in dem Glauben zu lassen, sie könnten gewinnen. Das leicht fiese Grinsen wollte nicht aus seinem Gesicht weichen, während er Schritt um Schritt nach hinten tat und seine Gegner ihn nur leicht irritiert ansahen. Warum grinste der denn immer noch? Der Schwarzhaarige hatte gerade beschlossen, dass es nun genug war und holte zum Gegenschlag aus, als es passierte. Er hatte die Wurzel nicht bemerkt, die sich riesig und dick auf dem Waldboden hinter ihm ausgebreitet hatte. Mit einem leisen „Ah!“ stolperte er und sein Schlag bekam die falsche Richtung. Sein Schwert prallte mit denen der Männer zusammen und es gab ein ziemlich mieses Geräusch. Mit einem ~Knarks~ war sein Schwert einmal ein Schwert gewesen. Es brach mitten entzwei. Ungläubig sah Ray auf das Stück Metall in seiner Hand, von dort zu dem auf dem Boden. Das ging doch nicht! Die beiden Diebe standen eine Sekunde erstarrt da, dann hatten sie sich erholt und ein recht fieses Grinsen erschien in ihrem Gesicht. Sie holten zum Schlag aus und ... ~ Seite 6 ... alle drei sahen zu Ray hinüber, als dieser den Schrei ausgestoßen hatte und erschraken. Scheiße! Kais Schreck dauerte eine Sekunde, dann hob er sein Schwert, das sich immer noch in seiner Hand befand und schrie: „Ray!“ Gleichzeitig warf er das Stück Metall in Richtung seines Freundes. ~ Ray blickte in die Richtung des Schreies und als er es in der Luft blitzen sah, streckte er die Hand aus und das Schwert landete wie von Zauberhand direkt in dieser. Wie gut, das sie Schwerterwechsel mal so zum Spaß geübt hatten ... Er riss das Metall hoch und blockte den auf ihn geführten Angriff ab. Vom Schock, wo das Schwert jetzt auf einmal herkam, noch gelähmt, konnten sie sich nicht wehren, als Ray sie KO schlug. „Mit dir alles in Ordnung?“, erklang neben seinem Ohr die besorgte Stimme Kais. Er drehte sich leicht um und lächelte seinen Freund beruhigend an. „Klar, mir ist nichts passiert.“ Leicht beugte er sich vor und küsste Kai kurz. „Danke für das Schwert.“ Damit schob er dieses in die passende Schwertscheide zurück. „Gern geschehen. Ich hab gedacht, da deines ja etwas indisponiert war, könntest du es brauchen.“ Auch wenn er wusste, dass sein Freund sehr gut auf sich aufpassen konnte, machte er sich natürlich Sorgen. Egal, wie viele Kämpfe auch hinter ihnen lagen, die Sorge, dass dem anderen etwas passieren könnte, würden sie wohl nie loswerden. Und eigentlich ... wollten sie das auch gar nicht ... „Man, du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt“, traten nun Max und Tyson zu den beiden. „Mach das ja nie wieder“, schimpfte Tyson mit Ray. „Hab ich nicht vor“, grinste der zurück. „Ich glaub, damit musst du zum Schmied.“ Max hatte sich hinunter gebeugt und die Bruchstücke aufgehoben. „Das ist einmal in der Mitte durch“ kam der Blonde wieder hoch. „Oder gleich n neues kaufen“, brummte Kai. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken, das sein Freund mit einem zwar wieder reparierten, aber doch nicht mehr ganz gebrauchsfähigen Schwert herumlaufen sollte. Wer wusste schon, ob dann nicht wieder das gleich passierte wie heute. Und wenn dann keiner dabei war? „Oder das“, antwortete Ray. Er konnte sich denken, was seinen Freund dazu veranlasste. „Ich werd abwarten, was der Schmied sagt.“ „Wie konnte das überhaupt passieren?“, trat Tyson zu Max und besah sich das Metall. „Ich sehe hier nirgendwo ne angerostete Stelle – von ner verrosteten ganz zu schweigen. Außerdem haben wir das doch erst vor ...“ Hier musste er kurz überlegen. „... fünf Jahren?“, sah er zu Max hinüber. Der nickte. „... vor fünf Jahren gekauft und zwar bei einem der besten Waffenschmiede vom Crondo. Eigentlich dürfte es noch nicht mal Kratzer haben.“ „Hat es aber.“ Kai stand mit verschränkten Armen an einem der Bäume und Ray hatte sich neben ihn gelehnt. „Dann hatte ich wohl Pech“, zuckte der Schwarzhaarige mit den Schultern. „Kann ja mal passieren. Und wo finden wir jetzt den nächsten Schmied?“ „Ich glaube, in der Richtung müssten wir in einem Tagesmarsch ein Dorf finden. Da können wir uns ja durchfragen“, wies Max Richtung Osten. Seite 7 Und so landeten sie in dem Ort, in dem es eine heruntergekommene Kneipe mit den Namen ‚Zum reichlichen Überfluss‘ gab ... ~*~*~ „Sag mal ...“, fing Kai an. „Hast du jetzt eigentlich n neues Schwert gekauft oder konnte der Schmied das Schwert reparieren?“ „Repariert. Aber er hat gemeint, lange wird es nicht halten. Ich soll mir beim nächsten Waffenhändler n neues kaufen.“ „Hatte er keine da?“ Kopfschütteln. „Na super.“ „Ich hab doch gesagt, wie hätten uns eines von den Typen ausleihen sollen. Die tragen schließlich die Schuld“, erscholl Tysons Stimme von zwei Meter weiter vorne. „Und ich hab dir schon mal gesagt, dass das ne blöde Idee ist. Die Schwerter von denen waren auch nur minderwertige Ware. Das hätte gar nichts gebracht“, brummte Kai nach vorne. Ja ja ... auch die längste Zeitspanne konnte dies nicht abschaffen ... Tyson murmelte nur etwas, das sich wie „Ja ja“, anhörte und wandte sich dann wieder nach vorne. „Ich glaub, der nächste Waffenhändler mit gutem Ruf ist in Pira“, rief er nach hinten. Als von dort keine Widerrede kam, schlug er wortlos den Weg in Richtung Pria ein ... ~*~ Zwei Tage waren sie jetzt unterwegs. So weit ihr Blick reichte, sahen sie nur Gras, Gras und noch mal Gras. So was von eintönig. Vor allem da sie das ja noch NIE gesehen hatten ... mittlerweile fanden sie sich auf Crondo schon fast mit geschlossenen Augen zurecht. Der erste Tag verging hauptsächlich in Schweigen. Sie hatten ein gemächliches Tempo an den Tag gelegt und ließen es sich in der Sonne gut gehen. Schließlich würden sie ihr eigentliches Ziel eh nicht mehr rechtzeitig erreichen ... Am zweiten Tag dann änderte sich etwas. Gegen Mittag erblickten sie am Horizont kleine Schatten, die immer größer wurden, je mehr Zeit verstrich. Irgendwann waren sie dann so groß, das man erkennen konnte, um wen es sich hier handelte: eine Gruppe von Schauspielern. Ein doch eher seltener Anblick. Entstanden waren sie im Ost-West-Krieg vor etwa 50 Jahren. Damals, als die Insel in zwei Teile gespalten war, weil die eine Seite der Meinung war, die andere würde vom König bevorzugt; und die andere Hälfte hat gemeint, es wäre genau andersherum – natürlich ging der Streit nur von den Adeligen aus. Zu dieser Zeit waren die fahrenden Schauspieler entstanden. Der Kriegszustand setzte den einfachen Menschen ziemlich zu und sie waren über jede Ablenkung froh. An Zuschauern herrschte kein Mangel, überall wo sie hinkamen, wurden sie begeistert empfangen und schon fast fürstlich entlohnt. Nach knapp 10 Jahren allerdings hatte der König dann endlich herausgefunden, wer die Drahtzieher hinter der ganzen Sache waren. Er hatte sie gefangen nehmen lassen und in den Kerker gesperrt. Dann hatte er mit seinen Soldaten dafür gesorgt, dass auch die letzten Unruhen gestoppt worden waren. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Gruppen von wandernden Schauspielern immer weniger, da sie nun nicht mehr ‚benötigt‘ wurden. Seite 8 Da beide Gruppen in dieselbe Richtung gingen, trafen sie kurze Zeit später aufeinander. Je näher sie sich kamen, umso mehr Blicke der Schauspieler wandten sich den Ankömmlingen zu. Der Zug verlangsamte seine Geschwindigkeit immer mehr, bis sie schließlich standen und auf die Fremden warteten. Auch wenn diese in ihrer leicht dreckigen und zerschlissenen Kleidung wie Räuber aussahen, warum sollten sie Angst haben? Immerhin waren sie eine Gruppe von fast zwei Dutzend Leuten. Da hatte man doch vor vier Fremden keine Angst! Die Unsterblichen setzten ihren Weg fort und hatten bald darauf die Wartenden erreicht. Einige Meter vor diesen blieben sie stehen und ließen ihre Blicke immer noch über die Wagenkolonne streichen. Vier Wagen, von je zwei Ochsen gezogen, die schon leicht ramponiert aussahen und dringend neue Farbe benötigt hätten. Die Leute selber trugen saubere Kleidung, die an manchen Stellen geflickt war. Alles in allem machte diese Gruppe einen netten Eindruck. „Hallo.“ Der Sprecher war ein älterer Mann, der einige Schritte vortrat und die Fremden neugierig ansah, aber dennoch auf der Hut zu sein schien. „Hallo“, grinste Tyson zurück. „Schönes Wetter heute, oder?“, redete er drauflos. „Richtig angenehm im Gegensatz zu vorgestern. Da hat es wie aus Eimer gegossen.“ „Ach, wirklich?“ Und bevor er noch etwas hintendran setzten konnte, plapperte Tyson weiter. „Einen richtig seltenen Anblick bietet ihr hier. Ich hab eigentlich gedacht, es würde keine Gruppen von fahrenden Schauspielern mehr geben. Darf ich mal in die Wagen gucken?“, fragte er den Mann. Der starrte ihn nur perplex an. Was ging denn hier ab? „Bitte!“ „Tyson, du bist unmöglich.“ Max stand neben seinem Freund und sah diesen tadelnd an. „Also echt mal.“ Kopfschüttelnd wandte er sich um. „Entschuldigen sie bitte das Benehmen meines Freundes. Er hat es nicht so mit der Zurückhaltung“, entschuldigte er sich. „Schon gut“, wurde ihm lächelnd geantwortet. „Ich kann ihn ja verstehen. Es gibt ja nicht mehr viele von uns.“ Und an Tyson gewandt. „Klar darfst du mal gucken. Mari, zeigt du ihm mal die Wagen?“, wandte er sich an ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen, das ihm ziemlich ähnlich sah. Geschmeidig sprang sie vom Bock des vordersten Wagens hinunter und mit den Worten: „Aber sicher doch, Großvater“, gab sie Tyson ein Zeichen, ihr zu folgen. Der grinste nun wie nichts Gutes und setzte sich in Bewegung. Großvater drehte sich wieder zu den anderen drei Fremden um. „Ihr seit doch auch auf dem Weg Richtung Pira, oder?“ Max nickte. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mit uns reisen. Dann hat euer Freund noch etwas länger die Möglichkeit, sich hier umzusehen“ meinte der Mann freundlich. „Ich hätte nichts dagegen“, meinte Max. Er freute sich über das Angebot. Sie waren früher ziemlich oft mit diesen Leuten unterwegs gewesen und es hatte immer Spaß gemacht. Die Schauspieler waren ein lustiges und fröhliches Völkchen gewesen, genau das Richtige zu der Zeit. Er drehte seinen Kopf leicht nach hinten, wo Ray und Kai immer noch standen. „Was meint ihr?“ „Von mir aus.“ Von Ray bekam er eine Antwort, von Kai nur ein Nicken. Daraufhin drehte er sich wieder nach vorne und grinste fröhlich. „Wir kommen mit.“ „Schön. Los Leute, es geht weiter“, rief er seiner Truppe zu. „Ich bin übrigens Shinan.“ „Freut mich, ich bin Max. Der da gerade verschwunden ist, ist Tyson. Und die beiden da hinten heißen Ray und Kai“, stellte Max sie alle vor. Keine Minute später saßen sie in den Wagen und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Seite 9 ~~ Der erste Tag verlief recht ereignislos. Tyson, Max und Ray freundeten sich schnell mit den Leuten an, quatschten viel und so war die Zeit doch eigentlich sehr gemütlich. Da Max und Tyson auf zwei verschiedenen Wagen mitfuhren, wurden die Unterhaltungen mitunter sehr lautstark geführt – und lebhaft. Jedem, der zuhörte, fiel irgendwann irgendetwas ein, was er der Unterhaltung zufügen konnte und tat dies auch. Was dazu führte, dass die gesamte Kolonne eine Unterhaltung führte, ziemlich oft Lachen zu hören war, da nicht jeder sofort einen Themawechsel mitbekam und Kai nur Kopfschüttelnd über dieses kindische Verhalten und stöhnend auf seinem Platz saß. Das belustigte Grinsen seines Freundes ignorierte er dabei. Denn schließlich ... wussten beide, das Kai dieses ‚kindische Verhalten‘ bei ihren Freunden im Grunde sehr gerne mochte. War es doch mit dafür verantwortlich, das er nicht wahnsinnig wurde – auch wenn es manchmal, so wie jetzt, eher andersherum war. „Zieh nicht so ein Gesicht“, flüsterte da eine Stimme neben seinem Ohr. Erstaunt drehte er seinen Kopf leicht und sah in die bernsteinfarbenen Augen seinen Freundes, die ihn belustigt anblitzten. „Ja, dich mein ich. Du ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Lächle mal.“ Kai sah immer noch erstaunt drein. Es geschah nicht oft, dass Ray es schaffte, sich so an ihn heranzuschleichen. Normalerweise spürte er jede Bewegung seines Freundes, wenn dieser bei ihm war. Dieser hatte sich schon mehrmals darüber beschwert, dass er ihm nie eine Überraschung bereiten könnte, weil er alles vorher wusste. Schrecklich! „Überrascht?“, fragte Ray ihn nun und sein Grinsen wurde noch breiter. Erwischt. Kai konnte sich denken, dass Ray sich nun freute. Es geschah nicht oft, das er SO in Gedanken war, das er den Schwarzhaarigen nicht spürte. Aber wenn, dann freute sich dieser immer diebisch. War jetzt wohl auch so, wenn er das Grinsen richtig deutete. „Hab dich nicht so“, meinte Ray weiter und der Grauhaarige war sich nicht ganz sicher, ob seine Verwirrtheit oder seine Gereiztheit gemeint war. „Du sollst lächeln“, wiederholte Ray sich. „Das macht normalerweise, indem man die Mundwinkel nach oben zeiht. So.“ Und damit machte er es seinem Freund vor. Immer noch leicht neben sich stehend, machte er es einfach nach. „Na bitte, geht doch. So siehst du viel süßer aus.“ Der Schwarzhaarige lächelte und kam mit seinem Gesicht dem von Kai noch näher. Unvermittelt spürte dieser dann, wie er geküsst wurde. Lippen legten sich geschmeidig auf seine und eine vorwitzige Zunge versuchte eine Einladung zu bekommen. Die sie auch bekam. Frech tauchte sie in das fremde Reich ein und spielte mit der dortigen Bewohnerin. Doch nur kurz. So schnell, wie sie gekommen war, war sie leider auch schon wieder verschwunden. „Und immer schön weiterlächeln“, sprach Ray noch und stand dann auf. Er machte sich auf den Weg nach vorne zum Bock, auf dem Shinan saß. Kurz vorher drehte er sich noch einmal um und sprach ein lautloses ‚Ich liebe dich‘. Ein Lächeln erschien auf Kais Gesicht und seine Augen strahlten leicht. Egal wie viel Zeit verging und wie oft er es schon gesagt bekommen hatte – darüber freute er sich immer wieder. Er sah zu, wie Ray sich auf den Bock setzte und ein Gespräch mit Shinan anfing, das von großem und weitreichendem Handgefuchtel begleitet wurde. Zwischendurch riefen beide immer wieder einen Satz in die Unterhaltung ein, die von Wagen zu Wagen geführt wurde. Es erstaunte ihn immer wieder, wie sehr dieser Mann ihn in Erstaunen versetzte. Egal wie lange sie schon zusammen waren, er entdeckte immer wieder neue Seiten an ihm. Dabei hatte er einmal gedacht, dass er ihn in- uns auswendig kannte. Tja, diese Annahmen hatte er schon vor vielen Jahren über Board werfen müssen ... Seite 10 ~~ Der zweite Tag verstrich in etwa so wie der erste. Laute Unterhaltung, die über alle Wagen geführt wurde, gut gelaunte Menschen, die den Tag über Spaß hatten und mittendrin ein leicht grummeliger Kai, der sich in die Stille der Zweisamkeit zurücksehnte. Er hasste dieses ewige Geschnatter ... Gegen Abend erreichten sie so etwas wie eine kleine Lichtung. Ein Platz, recht groß, an zwei Seiten vollkommen von Bäumen umgeben; an den anderen beiden gegenüberliegenden Seiten war ein schmaler Durchgang, durch den man die Lichtung betreten oder verlassen konnte. Die Wagen waren verteilt worden, die Ochsen hatten Fußfesseln bekommen und grasten friedlich in ihrer Ecke. Zwischen den Wagen war ein Lagerfeuer angezündet worden und der Trupp hatte es sich um dieses herum gemütlich gemacht. Sie saßen nebeneinander, Fleisch briet über dem Feuer und jeder hatte einen Becher mit etwas zu Trinken vor sich stehen. Fröhliches Geplauder durchbrach die Stille der Lichtung ebenso wie herzhaftes Lachen. Das Fleisch wurde immer weniger und die Becher waren auch schon mehr als einmal nachgefüllt worden. Je später der Abend wurde, desto ruhiger wurden die vier Unsterblichen. Fast unmerklich hatten sie sich aus der Unterhaltung zurückgezogen und hörten nur noch lächelnd zu. Ray hatte sich bei Kai angekuschelt. Sein Kopf lag an der Schulter des Grauhaarigen und dessen Arm war eng um Rays Oberkörper geschlungen. Max und Tyson, die neben ihnen saßen, hatten es sich ebenfalls gemütlich gemacht. Dicht aneinander gekuschelt lauschten sie den Stimmen der anderen. Eine ganze Zeit ging dies so, bis es Mari dann doch auffiel, das ihr großer Freund keinen Ton mehr von sich gab. „Tyson, was ist denn los?“ unterbrach sie unvermittelt ihre Unterhaltung und wandte sich dem Angesprochenen zu. Der murmelte nur etwas, das sich wie „Mh, was?“ anhörte, bewegte sich aber kein Stück von seinem gemütlichen Platz weg. „Was ist los? Du sagst ja gar nichts mehr“, bohrte sie weiter. Irgendwas stimmte doch hier nicht. „Mir geht`s gut. Keine Angst“, versuchte Tyson sie zu beruhigen. „Es ist nur ...“ Er wurde von Ray unterbrochen, der schon seit einigen Minuten gespannt nach oben gesehen hatte. „Der Mond. Es ist soweit“, flüsterte er, bevor er sich zu seinem Freund beugte, ihm „Alles Gute zum Geburtstag“ ins Ohr hauchte und ihn dann küsste. Beide hatten die Augen geschlossen, genossen diesen traditionellen Kuss zu ihrem Geburtstag. Als sie wieder auftauchten, blickten sie sich mit strahlenden Augen an und Kai flüsterte ein „Alles Gute zum Geburtstag“ zurück. Bei Max und Tyson sah es nicht sehr anders aus. Beide hatten, als sie Ray gehört hatte, ebenfalls nach oben gesehen. Es stimmte, der Mond befand sich an seiner höchsten Stelle. Mit einem Lächeln sahen sich beide an und synchron flüsterten sie: „Alles Gute zum Geburtstag.“ Ein zärtlicher Kuss folgte, der beiden, nachdem sie ihn wieder gelöst hatten, ein Strahlen in die Augen zauberte. Seite 11 Die Anwesenden hatten diesem Schauspiel schweigend und verblüfft zugesehen. Na so was ... das war ihnen in den vergangenen zwei Tagen gar nicht aufgefallen. Auf den Gesichtern der Erwachsenen zeichnete sich ein Lächeln ab, während bei den Jüngeren Erstaunen vorherrschte. Was ging denn jetzt hier ab? Unversehens sprang Mari auf die Füße und war keine Sekunde später aus dem Lichtschein des Feuers verschwunden und befand sich unter den Bäumen. Mit leichtem Schrecken sahen ihre Freunde und ihre Familie ihr hinterher. Ihre Mutter stieß einen erschrockenen Schrei aus und kam ebenso schnell auf die Füße. Sie wollte ihrer Tochter hinterher und sie zurückholen, doch Shinan trat ihr in den Weg. „Lass sie, Laule.“ „Aber ... aber ...“ „Keine Angst, sie wird wiederkommen“, nahm er seine Tochter tröstend in den Arm. „Warum ist Mari eigentlich weggerannt?“, fragte Tyson nicht weniger erschrocken in die Runde. Gerade noch schwamm er in Glücksgefühlen und nun das. „Wie blöd kann man eigentlich sein“, kam es da gegrummelt von Kai. „Schon mal daran gedacht, dass die Kleine dich gern haben könnte? Warum sonst sollte sie die letzten zwei Tage nicht von deiner Seite gewichen sein.“ Fragezeichen bei Tyson. „Wie ... was ...?“ „Tyson.“ Oh oh, Kai benutzte seinen scharfen Tonfall. Den hatte Ray ihm eigentlich abgewöhnt, aber ab und an drangen eben seine alten Verhaltensweisen noch an den Tag. Der Angesprochene duckte sich hinter seinen Freund und sah zu Kai hinüber. „Ja?“, fragte er so unschuldig wie möglich. Was hatte er denn nun gemacht? „Wie schwer von Begriff kann man eigentlich sein“, seufzte der Grauhaarige. „Tyson, Mari hat sich in dich verknallt. Ist dir das gar nicht aufgefallen?“ So etwas wie Unglaube schwang in Kais Stimme mit. „Nö, wieso? Sollte es?“ „Eigentlich ja. So was müsstest du inzwischen merken. Genug Zeit hattest du ja.“ „A ... aber ...“ Tyson versuchte angestrengt, eine gute Ausrede zu finden, damit er am Leben bleiben konnte, als sein Freund ihm zu Hilfe kam. „Kai, wenn du das gewusst hast, warum hast du denn nichts gesagt?“ „Ist das nicht nahe liegend?“, murmelte Kai nur, sah Max und Tyson schweigend an. Ray an seiner Seite fing erst an zu grinsen und dann zu lachen. „Oh man ... das darf doch nicht wahr sein.“ Er japste nach Luft und versuchte gleichzeitig, sich wieder zu beruhigen, was dann leider voll nach hinten losging. „Könnte uns mal einer erklären, was daran so lustig sein soll?“, mischte sich Shinan ein, der immer noch mit seiner Tochter im Arm dastand. „Moment ... ich muss ...“ Ray holte tief Luft und versuchte angestrengt, nicht gleich wieder loszulachen. Es war aber auch zu komisch ... Ein paar Momente blieb er noch sitzen, die Augen geschlossen und konzentrierte sich darauf, wieder normal Luft zu holen. Mit einem tiefen Seufzer öffnete er wieder die Augen und fand sich von über einem Dutzend Augenpaaren beobachtet. Zu Max und Tyson gewandt meinte er: „Wir sind jetzt seit zwei Tagen mit den Leuten hier unterwegs. Normalerweise ist das für euch mehr als genug Zeit, um es jedem hier klar zu machen, das ihr zusammen seid. Für gewöhnlich versteckt ihr eure Gefühle nämlich nicht.“ Ray grinste. „Deshalb hat Kai nichts gesagt, weil er der Meinung war, es wüssten alle.“ „Tja, es ist ja aber nun mal nicht so.“ „Konnte er denn ahnen, dass ihr euch so untypisch verhaltet?“ „Und was machen wir jetzt?“, fragte Tyson und gab Ray damit im Stillen Recht. Seite 12 „Ich würde sagen, du geht’s sie suchen und versuchst das zu klären“, war wieder Kais Stimme zu hören. Wortlos stand der Angesprochene auf und verschwand im Dunkeln des Waldes. „Wird er sie finden?“ Kai drehte sich zu der Sprecherin um. „Sicher wird er das. Sofern Mari nicht vorher wieder zurück ist“, versicherte er Maris Mutter. „Mach dir darüber mal keine Sorgen.“ Laule löste sich aus der Umarmung ihres Vaters und wischte sich einmal mit dem Handrücken übers Gesicht. Die Tränenspuren waren zwar immer noch zu sehen, aber lange nicht mehr so stark. Es war schon seltsam. Sie glaubte den Worten des jungen Mannes. Irgendetwas hatte er – und auch seine Freunde – an sich, das so ... Erwachsen ... wirkte. Das ihr das Gefühl von Sicherheit gab. Sie lächelte leicht. „So, und jetzt zu euch“, meinte sie. „Das ihr zusammen seid, habt ihr ja sehr gut verstecken können. Warum eigentlich?“ „Wieso verstecken? Das hat keiner gemacht. Wenn wir das vorgehabt hätten, wäre das hier nicht passiert“, antwortete Max, der bis eben noch zu der Stelle geblickt hatte, an der sein Freund zwischen den Bäumen verschwunden war. „Ok, Tyson und ich haben uns vielleicht nicht ganz so verhalten wie sonst, aber Tyson war die letzten zwei Tage ja auch nicht zu gebrauchen gewesen“, grinste Max. „Das sagt der Richtige.“ „Hast du was gesagt, Kai?“ Max´ und Kais Blicke trafen sich. „Wer, ich? Wie käme ich dazu?“ Es war Sarkasmus pur, was da aus Kais Stimme sprach. „Dann ist ja gut.“ Max wandte sich wieder den anderen zu. „Für gewöhnlich merkt man das bei uns beiden schon nach kurzer Zeit, aber irgendwie ist das hier untergegangen“, lächelt der Blonde entschuldigend. Für eine Sekunde schwand sein Lächeln und ein besorgter Ausdruck erschien in seinem Gesicht. Doch so schnell, wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Für eine Sekunde hatte Max ein ganz komisches Gefühl gehabt, was seinen Freund betraf ... „Aha ...“, kam es von den Zuhörern. „Und wie es das bei euch?“, fragte Laule weiter. „Kai hat es für gewöhnlich nicht gerne, wenn wir damit hausieren gehen“, antwortete Ray. „Aber wenn es dann rauskommt, stört es ihn auch nicht. Nech?“, wandte er sich zu Kai und küsste diesen kurz. „Mh ... und was hat das jetzt mit dem Mond und der Aktion eben auf sich?“, fragte Shinan neugierig weiter. Die drei Unsterblichen lächelten leicht. „Wir feiern heute Geburtstag. Einen besonderen. Heute vor einiger Zeit hat für uns alle ein neues Leben angefangen. Und immer wenn am heutigen Tag der Mond seinen höchsten Punkt erreicht hat, wissen wir, dass wieder ein Jahr rum ist und wünschen wir uns alles Gute. Das ist alles.“ „Ach so. Was das für ein besonderer Grund ist, werdet ihr uns wohl nicht erzählen, oder?“, fragte Laule hoffnungsvoll weiter. Und sie war sicherlich nicht die einzige, die das interessierte. In den zwei Tagen hatten alle Mitglieder der Schauspieltruppe die vier jungen Männer richtig gern gewonnen. Ray und Max schüttelten den Kopf. Das würden sie sicher nicht. Wer würde ihnen denn auch glauben, dass sie heute vor 150 Jahren unsterblich geworden waren? Die Antwort war nahe liegend: keiner! Leicht mussten alle drei bei diesem Gedanken lächeln. Es war doch auch zu verrückt ... „Schade ...“ Einige Mitglieder der Gruppe sahen leicht enttäuscht aus. Sie hatten sich auf eine schöne Geschichte gefreut, die ihnen den leicht langweiligen Abend verkürzen würde. War wohl nichts ... Seite 13 Doch so langweilig sollte dieser Abend gar nicht werden ... Bevor auch nur einer der Anwesenden registrieren konnte, was hier eigentlich geschah, waren sie von fast einem Dutzend Männern umgeben, die mit gezogenen Schwertern und einem fiesen Grinsen im Gesicht aus der Dunkelheit getreten waren. Mit Erschrecken stellten Max, Ray und Kai fest, das sie diese Männer kannten ... ~*~ Tyson war im Dunkeln der Bäume verschwunden und nach einigen Metern blieb er stehen und schloss die Augen. Mit etwas Glück würde er die von ihr verursachten Geräusche hören. Angestrengt lauschte er und konzentrierte sich ausschließlich aufs hören. Da, da war doch etwas gewesen. Vorsichtig drehte er sich in die Richtung und tat ein paar Schritte. Wieder blieb er stehen und lauschte. Das Geräusch wurde lauter, eindeutig. Wieder machte er einige vorsichtige Schritte und mit jedem Schritt wurde das Geräusch lauter. Täuschte er sich etwa oder war das ...? Tyson trat zwischen den Bäumen hindurch und erblickte Mari, die an einem Baum gelehnt dort stand und weinte. Hatte er also richtig gehört. Leider. Leise trat er auf sie zu und lehnte sich an den nebenstehenden Baum. Die Hände hinterm Rücken verschränkt stand er dort und sah in den Himmel hinauf. Ganz langsam wurden die Schluchzer Maris leiser und weniger, bis sie schließlich ganz verstummten. Dennoch blieb sie weiterhin am Stamm angelehnt stehen und rührte sich nicht. „Weißt du, warum ich Sterne total gerne mag?“, fragte Tyson dann leise und brach damit die Stille. Von Mari kam keine Antwort und eigentlich hatte er auch keine erwartet. „Sterne sind sehr gute Zuhörer. Man kann ihnen alles erzählen, sie sogar anschreien, ohne dass sie Fragen stellen, einen verurteilen oder abhauen. Sterne bleiben, egal was man ihnen erzählt. Bei ihnen kann man sich seinen gesamten Kummer und Schmerz von der Seele reden und hinterher geht es einem meist besser, auch wenn man keine Antwort erhält. Alleine das erzählen hilft einem schon. Weißt du, ich habe das in der letzten Zeit öfters gemacht. Immer, wenn ich nicht weiterwusste, habe ich es den Sternen erzählt. Und danach ging es mir besser.“ Leicht lächelte Tyson, als er dies erzählte. „Warum ... warum hast du es nicht Max erzählt?“, kam leise, fast zaghaft die Frage. „Tja ... das ist so eine Sache ... wahrscheinlich, weil ich eigentlich gar keine Antwort auf diese Dinge bekommen wollte. Im Grunde wusste ich sie ja, ich habe nur jemanden gebraucht, dem ich alles erzählen konnte. Nur erzählen, ohne das ich mich rechtfertigen muss. Manchmal hilft es ungemein.“ Mari hatte währenddessen leicht den Kopf gehoben. Aus rot verweinten Augen sah sie erst zu Tyson, dann zum Himmel hoch. Tausende von Sternen funkelten dort oben und schienen nur Seite 14 darauf zu warten, dass man ihnen seinen Kummer und Schmerz mitteilte. Um einem diesen dann leichter zu machen. „Vielleicht hast du Recht. Ich glaub, das probier ich irgendwann mal aus.“ Ein leichtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht. „Komm, gehen wir zu den anderen zurück. Die machen sich bestimmt schon sorgen.“ „Okay.“ Sie setzten sich in Bewegung und nebeneinander gingen sie den Weg zurück. Oder besser: sie wollten es. Aus dem Dunkeln vor ihnen sprangen plötzlich zwei Gestalten hervor. Ein kurzes Aufblitzen verriet Tyson, dass die zwei vor ihm Schwerter in den Händen halten mussten. Alles geschah auf einmal. Mari schrie, die zwei Angreifer hoben ihre Schwerter zum Angriff und Tyson schnellte vor, dabei mit links Mari nach hinten stoßend und mit der rechten Hand sein Schwert ziehend. Klirrend krachte Metall auf Metall. Funken stoben. Die zwei Angreifer sahen geschockt aus. Dass ihr Gegner so schnell reagierte, damit hatten sie nicht gerechnet. Immer noch leicht unter Schock stehend standen sie da mit ihren Schwertern in der Hand, während Tyson bereits zum nächsten Schlag ausholte. „Guck weg!“, rief er dem Mädchen zu, drehte sich sogar noch mal kurz um, wie um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen. Noch hatte Mari nicht realisiert, was hier geschah. Wie in Trance gehorchte sie und machte ihre Augen zu. Tyson drehte sich geschmeidig wieder um und ließ sein Schwert auf die beiden Männer niedersausen. Es folgten zwei kurze Schreie, die abrupt endeten. Es gab ein Geräusch, so als ob etwas Flüssiges auf den Boden tropfen würde. „Lass die Augen zu.“ Tyson war auf Mari zugetreten, die an einen der Baumstämme gelehnt dastand, und verdeckte mit seinem Körper ihre Sicht auf die zwei nun toten Männer. Leicht nickte sie und als Tyson sie an der Hand nahm und von diesem Ort wegführte, wehrte sie sich nicht, sondern folgte ihm so schnell sie konnte. Ein paar Meter weiter blieb Tyson stehen und blickte hinter sich. Gut, von hier konnte man nichts mehr erkenne. „Du kannst die Augen wieder aufmachen“, flüsterte er ihr zu. „Aber sei leise.“ Mari öffnete die Augen und sah Tyson an. Die Angst und der Schreck standen ihr immer noch im Gesicht geschrieben. Was geschah hier? „Keine Angst, die beiden sind erledigt. Aber es sind bestimmt noch andere in der Nähe. Wie müssen so schnell wie möglich zu unseren Freunden zurück. Vielleicht sind sie in Gefahr. Komm.“ Damit schloss er seine Hand fester um ihre und zog sie wieder hinter sich her. Das Mari bis jetzt noch kein Wort gesagt hatte, beunruhigte ihn etwas. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen – leider. Wenn er mit seiner Vermutung, das die beiden Männer zu der Gruppe von Dieben gehörten, die er und seine Freunde vor sechs Tagen vermöbelt hatten, waren die anderen Diebe bestimmt auch in der Nähe. Und so wie er die Sache sah, würden sie die große Gruppe angreifen. Rücksichtslos brach er durch das Unterholz. Seine innere Unruhe hatte immer mehr zugenommen, jetzt aber hatte sie einen Grund. Er fühlte die Besorgnis von Max. Das bedeutete nichts Gutes. Ganz und gar nicht. Bestimmt wurden sie in diesem Moment angegriffen. Seite 15 >Halte durch, Max. Ich bin gleich da.< ~*~ Aufregung machte sich im Lager breit, als der erste Schock verflogen war. „Was wollt ihr hier?“, trat Shinan ihnen anscheinend furchtlos entgegen. „Wer seit ihr?“ „Geht dich nichts an, Opa. Von euch wollen wir auch gar nichts. Jedenfalls im Moment nicht. Wir haben noch ein paar Dinge mit den dreien da zu klären“, deutete er auf Kai, Ray und Max, die startbereit am Feuer standen. „Von denen? Aber ...“ „Halt du dich da raus“, fuhr der Sprecher ihm über den Mund. „So, und nun zu uns. Jetzt werdet ihr es büßen, das ihr uns beim letzten Mal so zugerichtet habt.“ Wortlos traten die drei Unsterblichen vom Feuer weg und auf die Diebe zu. „Geht zu den Wagen, Shinan“, flüsterte Ray diesem zu, als er dicht an ihm vorbei ging. „Und sorgt dafür, dass die Kleinen woanders hingucken“, setzte er grimmig hinterher. Allen dreien ging so ziemlich das gleich durch den Kopf. Jetzt war das Fass voll. Wenn es nur um sie gegangen wäre, hätten sie die ganze Sache mit einem Lächeln abgetan und den Kerlen eine Lektion erteilt, die sich gewaschen hätte. Aber nun? Sie reisten in Begleitung von anderen, die noch dazu nicht unsterblich waren. In gewissem Sinne trugen sie für diese Menschen Verantwortung, die sie so leicht nicht wieder loswurden. Ihre Angreifer hatten beim letzten Mal anscheinend nicht kapiert, dass sie ihnen unterlegen waren. Nun, dem konnte ganz leicht abgeholfen werden. Jetzt würden sie es den Männern zeigen. Shinan hatte auf Rays Worte hin den anderen einen Wink gegeben, zu den Wagen zu gehen. Alle saßen nun in eben diesen und die Mütter hatten ihre Kinder im Arm und hinderten diese daran, das Geschehen draußen zu beobachten, egal wie sehr sich die Kleinen auch dagegen wehrten. Alle drei jungen Männer befanden sich jetzt leicht außerhalb des Feuerscheins und blickten ihren Gegnern furchtlos entgegen. Einige Momente standen sie sich stumm gegenüber. Abschätzend, taktierend. „Nun, seit ihr so wild darauf, mit dem Leben abzuschließen?“, fragte der Sprecher und grinste boshaft. „Wenn das so ist, können wir euch dabei gerne behilflich sein. Angriff!“ Die Diebe stürmten los, ihre Schwerter zum Schlag leicht gehoben. Jeder von ihnen stieß beim Laufen einen Schrei aus, so als ob sie sich selber Mut machen wollten. Doch weit reichten die Laute nicht, sie wurden am Waldrand von der Stille geschluckt und einfach vergessen. Außer den Schreien herrschte auf der Lichtung Stille. Aus den Wagen kamen keine Laute, die Unsterblichen sagten kein Wort und Tiere gab es hier auch so gut wie keine, die Geräusche von sich geben konnten. Seite 16 Von drei Seiten kamen die Angreifer auf sie zu gerannt, doch Ray, Kai und Max blieben stur stehen. Reglos sahen sie die Fremden näher kommen. Drei von links, auf Max zu; drei von vorne, auf Kai zu; drei von rechts, auf Ray zu. Erst im allerletzten Moment bewegten sie sich. Und wie ... Mit einer blitzschnellen Handbewegung hatte jeder sein Schwert in der Hand. Elegant tauchten sie unter den ersten Schlägen weg und dann gingen sie zum Angriff über ... ~ Ray war rechts neben seinen Angreifern wieder hochgekommen und brachte dem nahestehensten eine schmerzhafte Verletzung am Arm bei. Um den Aufschrei kümmerte er sich gar nicht, sondern ging gleich zum nächsten über. Mit einem heftigen Tritt in den Allerwertesten beförderte er diesen erstmal auf den Boden der Tatsachen zurück und gleichzeitig parierte er mit seinem Schwert den Angriff des letzten. „So wird das nichts, Freundchen“, stieß der Schwarzhaarige das Schwert zurück und setzte einen schmerzhaften Hieb hinterher. Mit Schwung drehte er sich herum und ließ sein Schwert dicht neben dem Kopf des immer noch am Boden liegenden in die Erde fahren. Er beugte sich weit herunter und flüsterte ein „Beim nächsten Mal treffe ich“ in dessen Ohr. Noch in der Aufwärtsbewegung sah Ray aus den Augenwinkeln, wie sein erster Gegner sein Schwert schwang. Reaktionsschnell ließ er sein eigenes Schwert nach oben fahren und blockte den Hieb. „Für dich ist es aus“, zischte er – dann hörte man einen abgehackten Schrei und das Tropfen von Blut. Inzwischen hatte sich der Getretene wieder aufgerappelt und zusammen mit dem verblieben Dieb griff er nun an. Blitzen von Metall im Feuerschein, zwei wutverzerrte Masken und dann Klirren von Metall auf Metall. Gleich darauf ein verblüffter aber auch ärgerlicher Schrei. Etwas weiter entfernt auf dem Boden sah man das Blitzen von Metall: eine Schwertspitze ... ~ Kai kam geschwind hinter seinen Gegnern wieder hoch und versetzte gleich zweien einen heftigen Stoß nach vorne. Vor Schreck taumelten diese einige Schritte vor, bis sie sich wieder gefangen hatten. Währenddessen hatte sich der Grauhaarige mit dem letzten beschäftigt. Ohne ein weiteres Wort hatte er diesem sein Schwert in den Unterleib gerammt und beide sahen nun zu, wie das Blut langsam das Schwert hinunter lief. „Lektion Nummer eins ...“, murmelte Kai ungerührt. Diese Männer hatten nichts anderes verdient, wenn sie das beim letzten Mal nicht kapiert hatten. Selber Schuld. Mitleid hatte er mit ihnen bestimmt nicht. Mit einem schnellen Ruck zog er das Schwer wieder heraus und noch während der Mann zu Boden glitt, drehte er sich auf dem Absatz um und parierte die Schwerter der anderen beiden. „Nicht mit mir“, zischte Kai zwischen den Zähnen. Mit Nachdruck beförderte er die beiden von sich weg und ging zum Angriff über. Ganz ohne Schreien oder sonst was beförderte er beide Männer zu dem ersten in die Hölle. Gerade wollte er sich nach seinen Freunden umdrehen, als er Rays Schrei hörte. Ihm blieb fast das Herz stehen, als er sich umdrehte und die Szenerie sah ... ~ Seite 17 Keine Sekunde, nachdem Max weggetaucht war, erschien er hinter seinen Angreifern. Mit erhobenem Schwert trat er einen Schritt nach vorne und holte aus. Dem hintersten zog er das Stück Metall einmal quer über den Rücken und mit einem schnellen Tritt nach hinten brachte er sich vor dem Blut in Sicherheit. Die anderen beiden standen immer noch mit dem Rücken zu ihm und unversehens versetzte er erst dem einen, dann dem anderen einen Tritt, der sich gewaschen hatte. Mit einem erschrockenen Ausruf fielen beide der Länge nach auf den Boden, wo sie von Max ohne große Scherereien zum Teufel befördert wurden. Er kniete sich zum Boden runter und noch während er sein Schwert vom Blut befreite, erscholl der ärgerliche Schrei Rays. Mit einem Ruck hob Max den Kopf und sein Blut schien ihm in den Andern zu gefrieren ... ~ Tyson und Mari hatten ebenfalls den Schrei gehört und hatten ihre Schritte noch mehr beschleunigt. Was ging am Lagerplatz bloß vor sich? Nach wenigen Metern traten beide unter den Bäumen hervor und blickten direkt zum Feuer. Mari, von der plötzlichen Helligkeit noch geblendet, sah nur Schemen. Tyson allerdings hatte solche Situation schon öfters mitgemacht und reagierte dementsprechend. Anstatt direkt in die Flammen zu blicken, sah er an ihnen vorbei und ... Mit einem Arm zog er Mari dicht an sich und verhinderte, dass sie etwas von dem Geschehen sah. Zischend hatte er den Atem angehalten und als er ihn nun wieder ausstieß, murmelte er erschrocken einen Namen: „Ray!“ ~ Kai brauchte eine Sekunde, um sich von seinem Schock zu erholen. Ray, sein Ray, lag auf dem Boden, das abgebrochene Schwert in der Hand. Er hatte es gewusst, das mit dem Schwert ging nicht gut. Rays letzten beiden Gegner standen über ihm, hielten dem Schwarzhaarigen ihre Schwertspitzen an die Kehle. Sie grinsten fast diabolisch, dass sie ihn nun erledigen konnten. Das, was mit ihrem Kollegen geschehen war, hatten sie noch gar nicht realisiert. „Ray!“, schrie Kai auf, hob gleichzeitig seine Schwerthand. Das Blut lief ihm ein Stück über die Hand, aber er beachtete es gar nicht. „Fang!“ Damit warf er das Schwert seinem Freund zu. Der hatte immer noch mit dem Erstaunen zu kämpfen, dass sein Schwert schon wieder entzweigebrochen war. Wohlgemerkt: schon wieder! Es war zum Haare raufen. So ein Mist. Was sollte er denn jetzt tun? Da vernahm er den Schrei, der über die Lichtung tönte. >Kai<, schoss es ihm durch den Kopf und er drehte diesen. Richtig. Sein Freund stand dort, blass im Gesicht und die Hand erhoben. Ein zweiter Schrei folgte, den Ray wieder nicht verstand, die begleitende Bewegung aber sah er bestens. Er streckte eine Hand aus, aber wider aller Erwartungen landete das Schwert nicht in seiner Hand, sondern ein kurzes Stück davor. Er streckte den Arm etwas weiter aus, aber es half nichts. Seine beiden Angreifer hatten dieses mit angesehen. Ihr fieses Grinsen vertiefte sich noch, als sie mit ihren Schwertern ausholten und den am Boden liegenden erledigen wollten. Seite 18 Durch ihre Bewegung bekam Ray etwas mehr Raum und er streckte sich noch mehr. Fast! Fast kam er an das Schwert ran, nur noch ein Stückchen. Die Diebe ließen ihre Schwerter hinunter sausen. Ray spürte den Luftzug, der durch diese Bewegung entstand und erstarrte. >Dann soll es wohl so sein ...< Doch der erwartete Schmerz kam nicht, stattdessen hörte er von den Dieben einen erschrockenen Ausruf. Mit einem Ruck drehte er sich halb und sah ... Kai stand vor ihm, ein Knie auf dem Boden abgestützt, die Arme erhoben und in den Händen hielt er seinen Dolch, mit dem er die Schwerter blockte. „Los, beeil dich. Lange schaff ich das nicht“, grummelte er ohne Ray anzusehen. Der nickte nur, raffte sich etwas auf und schon hatte er das Schwert in der Hand. Man konnte gar nicht so schnell gucken, wie der Schwarzhaarige auf den Füßen war, hinter die verblüfften Männer trat und sie zu ihren Freunden ins Reich der Hölle verfrachtete. Geschafft ließ sich Ray zu seinem Freund auf den Boden sinken. Sie blickten sich an. Rubinrot, das Angst und Schrecken widerspiegelte; Bernstein, das genauso aufgewühlt war. Beide hatten für einen kurzen Moment gedacht, dass es nun vorbei war. So gut wie jede Verletzung hätte Ray überleben können, aber nicht, wenn diese Kerle ihm den Kopf abgetrennt hätten. Und genau das hatten sie wohl vorgehabt ... Ray sank mit einem Aufseufzen in Kais Armen zusammen und krallte sich an diesem fest. Nur nie wieder loslassen. Hier konnte ihm nichts geschehen. Kai schlang seine Arme um den Körper seines Freundes und hielt diesen fest. Ihn quälten die gleichen Gedanken. Nur nie wieder loslassen, Ray nie aus seiner Nähe lassen. Beide konnten den Gedanken, ohne den anderen leben zu müssen, nicht ertragen ... In der Zwischenzeit waren die anderen nicht untätig geblieben. Tyson hatte Mari zu ihrem Großvater in den Wagen gebracht, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, das Szenario auf dem Platz zu sehen. Beim Wagen angekommen, wurde das Mädchen sogleich von seiner Mutter in die Arme geschlossen. Immer noch wortlos war Tyson dann zu Max getreten und hatte diesen von hinten in die Arme geschlossen. Leise seufzend legte er sein Kinn auf dessen Schulter ab und drückte ihre Körper so nah zusammen wie nur irgend möglich. Beide waren froh, dass dem jeweils anderen nichts passiert war. So unendlich froh. Unendliche Minuten standen die vier so dort, einfach nur die Nähe und Anwesenheit des anderen genießend. Irgendwann musste aber auch diese stille Zeit vorbei sein ... „Ich glaube, wir sollten die Sauerei hier mal beseitigen“, sprach Tyson leise in die Stille hinein. Zustimmendes Gemurmel von Max. „Du hast recht. Komm.“ Der Blonde löste sich aus der Umarmung und trat auf die Wagen zu. Immer noch mit leiser Stimme wandte er sich an Shinan. „Habt ihr Schaufeln oder so etwas bei euch?“ „Klar, aber ...“ „Sehr gut“, unterbrach Max ihn. „Können wir uns die Mal für kurze Zeit Seite 19 ausleihen?“ „Sicher ...“ Vor sich hin murmelnd verschwand Shinan im Wagen und man hörte es kurz Rumpeln. Keine Minute später tauchte er wieder auf und hielt eine Schaufel und einen Spaten in der Hand. „Hier“, reichte er die Sachen an Max. „Noch zwei sind bei Allan im Wagen“, setzte er hinterher. Tyson bewegte sich auf den Wagen von Allan zu, der schon dabei war, das Gewünschte hinten im Wagen zu suchen. Kaum stand Tyson vor seinem Wagen, reichte er diesem einen Spaten und eine Schaufel entgegen. „Hier.“ „Danke.“ „Sorgt dafür, dass die Kinder im Wagen bleiben.“ Gehorsam nickten die Erwachsenen. Sie würden alles Nötige tun, um ihren Kindern diesen Anblick zu ersparen. Max und Tyson schnappten sich jeder einen der Spaten und fingen an, unter den Bäumen Gräber auszuheben. Eine Arbeit, die sie hassten. In den Kriegen hatten sie es zu oft machen müssen; zu oft hatten sie Menschen, die ihnen ans Herz gewachsen waren, begraben müssen. Mit fast stoischer Ruhe lockerten sie die Erde und häuften sie auf, vergrößerten so immer weiter das Loch. Es war nicht das erste Mal, das sie anstatt Freunden Feinde beerdigten; und es würde auch sicherlich nicht das letzte Mal bleiben ... Nach einigen Minuten traten Ray und Kai zu ihnen, jeder mit einer Schaufel bewaffnet. Sie hatten ihre innere Ruhe wieder gefunden und den eben erlebten Schreck verarbeitet. Nun konnten sie sich wieder etwas anderem widmen als nur sich selbst. In Schweigen gehüllt, gruben sie die ganze Nacht durch und in den frühen Morgenstunden waren die Gräber ausgehoben, die toten Körper wurden hineingelegt und mit Erde verdeckt. Als die ersten Sonnenstrahlen auf die Lichtung trafen, zeugte nur noch das angetrocknete Blut auf dem Boden und auf den Kleiderstücken der Unsterblichen von dem Geschehen der Nacht ... ~~ Es dauerte bis in den Mittag des Tages hinein, bis sich wieder eine halbwegs normale Stimmung gebildet hatte. Den gesamten Morgen über hatte Schweigen über der Lichtung gelegen. Die Schauspieler sprachen nicht über das Vorgefallene, weil sie noch gar nicht richtig realisiert hatten, ‚was‘ hier geschehen war und die Unsterblichen sprachen nicht, weil sie um diesen Umstand wussten. Das Frühstück am Morgen war sehr kurz ausgefallen. Keiner wollte so gerne an diesem Ort hier bleiben. Die Kinder trauten sich keine fünf Meter von den Wagen weg, aus Angst, es könnte wieder etwas passieren. Die Erwachsenen blickten nicht minder aufmerksam immer wieder zwischen die Bäume, auch wenn ihr Verstand ihnen sagte, dass es vollkommen unnötig war. So waren sie kurze Zeit darauf aufgebrochen und als sie den Wald verlassen hatten, atmete der gesamte Trupp befreit auf. Endlich raus aus diesem Unglückswald. Dass die Unsterblichen immer noch unter ihnen waren, war gewiss keine Freundlichkeit. Sie hatten Angst. Alle Erwachsenen hatten gesehen, wie sie die Männer einen nach dem anderen Seite 20 getötet hatten. Wie kurz und schmerzlos es von sich gegangen war. Ohne auch nur Reue oder so etwas zu zeigen, hatten sie die Toten unter der Erde begraben. Unheimlich. Das war das Wort, was ihnen zu den Vieren einfiel. Unheimlich. Sie sahen so jung aus, unschuldig und brav. Was sie während der ersten Tage ja auch gewesen waren. Sie hatten ohne Murren geholfen, überall mit angepackt, hatten mitgelacht und Scherze getrieben. Diese andere Seite an den jungen Männern war den Schauspielern vollkommen unbekannt gewesen und ängstigte sie. Am liebsten hätten sie sie bestimmt gebeten, zu verschwinden. Doch was würden die Vier dann mit ihnen machen? Sie gaben sich nicht der Illusion hin, dass sie etwas gegen die jungen Männer ausrichten konnten. Diese Veränderung blieb auch den Unsterblichen nicht verborgen. Den ganzen Tag schon hatten sie es gespürt, beobachtet und sich so ihre Gedanken gemacht. Sie wussten, was die Haltung der Schauspieler so verändert hatte. Aber sie konnten ihnen leider nicht erklären, ‚warum‘ sie so gehandelt hatten. Warum es für einen Menschen normal sein konnte, andere Menschen zu töten und dann zu beerdigen, als ob es das normalste von der Welt wäre. In den vergangenen hundertfünfzig Jahren hatte es auf Crondo mehr als einen Krieg gegeben und in all diesen waren sie involviert gewesen. Hatten Freunde unter den Menschen gefunden, denen sie sich für kurze Zeit anschlossen. Hatten diese Freunde – und auch Feinde – sterben sehen. War es da nicht natürlich, das auch sie irgendwann so etwas wie einem ‚Ausschaltmechanismus‘ entwickelten, um dies durchstehen zu können? Dies war ihre einzige Chance, wenn sie nicht zerbrechen wollten. Aber die Wahrheit zu erzählen war manchmal schlimmer als sie zu verschweigen. Was würde passieren, wenn sie es den Schauspielern erklärten? Noch mehr Angst, Furcht und Panik würde kommen. Etwas, das sie auf keinen Fall wollten. Also schwiegen sie. Außerdem wussten sie aus Erfahrung: Menschen vergaßen schnell, wenn sie an etwas nicht immer wieder erinnert wurden. Wenn sie nun also verschwanden, würden die Schauspieler schon bald wieder ihr normales Leben führen. Zwar nicht ganz so wie früher, aber das Geschehene würde in Vergessenheit geraten und sie nicht mehr belasten. Als der Trupp am Mittag in einem Wäldchen ankam, durch den ein wunderbar kühler Fluss führte, beschlossen sie Rast zu machte, um nicht während der größten Hitze unterwegs zu sein. Die vier Unsterblichen ihrerseits würden von nun an alleine weiter zu reisen. So weh es ihnen auch tat. Kaum waren die Ochsen ausgespannt und die Kinder am Ufer des Flusses am toben, stahlen sie sich zwischen die Bäume und vom Lager fort. Sie achteten sorgsam darauf, dass sie nicht beobachtet wurden und als sie aus dem Wäldchen hinaustraten, atmeten sie freier und legten eine etwas schnellere Gangart an den Tag. Sie wollten Pira so schnell wie möglich erreichen. Sich kein einziges Mal umdrehend, setzten sie sich in Bewegung. Zurückzuschauen hätte sie nur an das erinnert, was nicht mehr ist und auch nie mehr sein wird ... ~*~ Zwei Tage später ... Seite 21 Die Stadt war laut, hektisch und schmutzig wie eh und je. Diese Stadt würde sich wohl nie ändern. Egal was geschah. Gelassen schritten vier junge Männer durch den Trubel auf den Straßen. Sie ließen sich nicht stören – weder von Händler, die ihre Waren lauthals anpriesen; noch von den kleinen Kindern, die spielend und raufend durch die Straßen rannten. Auch wenn es nicht so aussah, waren sie dennoch wachsam. Sie registrierten jede Bewegung in ihrer Nähe und machten so den Taschendieben das Leben sehr schwer. Bei ihnen wurden diese nämlich nicht glücklich. Streckenweise mussten sie sich regelrecht durch die Massen kämpfen, so dicht an dicht standen die Leute hier. Doch irgendwann hatten sie es geschafft. Alle vier standen sie vor einem von außen gut aussehendem Gebäude, das in einer der besten Straßen der Waffen-Gilde stand. Dies war der Waffenhändler, den Tyson gemeint hatte. „Nun, dann wollen wir mal“, öffnete Tyson die Tür und trat in das Gebäude, gefolgt von seinen drei Freunden. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, wurde es merklich ruhiger. Der gesamte Lärm von draußen wurde fast komplett abgehalten. Herrlich! Von hinten betrat ein etwas älterer Mann durch eine Tür den Raum und sah den Eintretenden entgegen, etwas erstaunt darüber, dass seine Kunden anscheinend so jung waren. „Guten Tag. Kann ich Ihnen behilflich sein?“, trat er freundlich auf sie zu. „Aber sicher. Unser Freund hier braucht ein neues Schwert. Sein altes ist schon zweimal in der Mitte durchgebrochen. Das wird langsam etwas zu gefährlich.“ „Das kann ich gut verstehen“, antwortete der Waffenhändler Tyson. „Nun, junger Mann. Irgendeine bestimmte Vorstellung, was es für ein Schwert sein soll?“ Ray nickte. „Sicher. So in der Art wie mein letztes.“ Damit griff er unter seinen Mantel und holte die beiden Metallstücke hervor. „Hier.“ „Mh ...“, murmelte der Mann und besah sich die Bruchstücke. „Das sieht ja wirklich übel aus. Keine Angst, ich glaube, ich habe das passende für Sie.“ Den letzten Satz sagte er wieder laut an den Schwarzhaarigen gewandt und ging ein Stück in den Raum hinein. „Folgen Sie mir.“ Ray folgte ihm, während Max und Tyson sich selbstständig die Schwerter anguckten und Kai zum Tresen ging, von wo er so gut wie den gesamten Laden überblicken konnte. „Hier. Wie wäre es mit diesem Schwert? Vom gleichen Typ wie Ihr altes, aber bestimmt nicht so eine minderwertige Arbeit.“ Ray hielt das Schwert in der Hand, zog es langsam aus der Scheide. Das Metall blitzte auf, als einige der Sonnenstrahlen auf es trafen. Mit Staunen besah er sich das Schwert. Genau so eines hatte er gesucht. Es schien perfekt. Sein Blick fuhr anerkennend am Schwert entlang. Oh ja ... Er hatte fast das Gefühl, das Schwert würde ihn rufen. Als hätte das Schwert auf ihn gewartet. „Ich nehme es.“ „Na, da hab ich wohl das richtige herausgesucht. Wenn sie mir folgen würde?“ Der Mann ging auf den Tresen zu, an dem Kai immer noch wartete. Langsam folgte Ray ihm. Seite 22 Beim Gehen bemerkte er Kais Blick und antwortete stumm auf die so gestellte Frage. Leicht lächelte er und nickte dann. Dies war wirklich das richtige Schwert, das fühlte er. So viele Schwerter hatte er schon in der Hand gehabt, aber bei keinem dieses Gefühl von ‚Zugehörigkeit‘ gespürt ... Oder ... doch ... immer, wenn er das Schwert seines Freundes berührte, verspürte er so ein merkwürdiges Kribbeln, so als ob das Schwert eigentlich von ihm wegwollte, aber nicht konnte. So als ob etwas es ihm verbieten würde ... und sobald er Kai und das Schwert gleichzeitig berührte, wurde dieses Gefühl intensiver, genauso wie jetzt bei diesem Schwert und ihm ... Ein paar Minuten später befanden sie sich wieder auf der Straße, umgeben von den lärmenden und hetzenden Menschen. Irgendwie schien keiner mehr auch nur etwas Zeit zu haben ... oder aber das Zeitgefühl der vier Unsterblichen war etwas durcheinander geraten ... ~~ „Was wollen wir jetzt machen?“ Alle vier saßen in dem Wirtshaus ‚Stille Einkehr‘ und hatten ihr Mittagessen vor sich auf dem Tisch stehen. Hier in einem der vornehmeren Stadteile von Pira waren die Gasthöfe sauber, aufgeräumt, die Fenster waren nicht nur Löcher in der Wand und die Möblierung schien auch nicht bei der ersten Berührung in sich zusammen zu krachen. Richtig gemütlich. Eine Zeit lang kam keine Antwort. „Wie wäre es mit dem ‚Saltori-Markt‘ in Raskas? In einem Monat beginnt er wieder. Da war ich seit ...“ Max brach ab und überlegte. Wann, zum Henker, war er mit Tyson das letzte Mal dort gewesen? „Vor fünfzehn Jahren. Dass du so was vergisst ...“, brummte Tyson neben ihm. „Ach, stimmt ja.“ Der Blonde schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Das er das vergessen hatte ... „Und, was ist? Gehen wir da hin?“ „Ich bin dafür“, stimmte Tyson sofort begeistert zu. Au ja, zum Saltori-Markt. Beide hegten allerdings die Hoffnung, dass es dieses mal ruhiger vonstatten gehen würde ... „Ich fürchte, ihr müsst alleine gehen“, war da Rays Stimme zu vernehmen. Max und Tyson blickten diesen an. „Warum?“ Synchron hatten sie diese Frage gestellt, während sie dabei ihr Fleisch zerschnitten. „Kai und ich haben was anderes vor. Wie wollen nach Fortun-Castle.“ Leicht lächelte er zu seinem Freund rüber, während der ungerührt weiter ass. „Ach ... wollt ihr das. Wenn das so ist ... Viel Spaß.“ Den letzten Teil hatten beide mit einem ziemlichen Grinsen im Gesicht gesagt. Nun, dann war es wohl beschlossene Sache. Max und Tyson würden zum Saltori-Markt nach Raskas gehen und Ray und Kai nach FortunCastle. Ohne einen Treffpunkt oder so etwas auszumachen, machten sich beide Gruppen am späten Abend auf den Weg. In einem der Wirtshäuser übernachten wollten sie nicht. Schon lange hielten sie es keine große Zeitspanne mehr aus, an so einem unruhigen Ort zu sein. Seite 23 Sich kurz voneinander verabschiedend, trennten sie sich. Spätestens in nicht ganz einem Jahr würde sie sich ja eh wieder sehen ... – und wenn nicht, auch gut. Sie hatten schließlich die Ewigkeit auf ihrer Seite ... ~*~ Fast vier Wochen hatten Max und Ray gebraucht, um nach Raskas zu gelangen. War ja auch kein Wunder, wenn man sich Zeit ließ, hier und dort einen Tag schlafend oder träumend verbrachte und auch sonst schlich, das eine Schnecke einen überholen könnte. Aber letztendlich war es dann doch soweit. Schon von weitem konnten sie die Stadt erkennen, noch während sie die Salso-Ebene überquerten. Ein freudiges Strahlen schlich sich in ihre Augen, als sie ‚ihre‘ Stadt vor sich sahen. Hier, wo sie aufgewachsen waren und eigentlich nur glückliche Zeiten erlebt hatten. Auch wenn Crondo inzwischen von drei Kriegen heimgesucht worden war, auch wenn Raskas zu diesen Zeiten mehr als einmal fast vollkommen zerstört und wieder aufgebaut worden war, es war, ist und blieb ihr Zuhause. Jedes Mal hatten sie mitgeholfen, diese Stadt wieder aufzubauen und sie ein Stück wieder zu dem zu machen, was sie einst gewesen war. Gegen Abend erreichten sie die Stadt. Auf den Straßen tummelte sich eine unendlich große Menge an Menschen, die voller Vorfreude war. Morgen würde der Saltori-Markt beginnen. Schon jetzt war die Stadt festlich geschmückt. Überall an den Wänden waren Blumengestecke angebracht, zwischen den Gassen waren von Fenster zu Fenster Leinen gespannt worden, an denen bunte Tücher und Fahnen wehten. Die Stände, die überall in den größeren Straßen standen, waren ebenso geschmückt worden. Den gesamten Tag hatten die Bewohner zusammen mit den Besuchern die Stadt festlich geschmückt. Es war Tradition, dies erst einen Tag vorher zu tun, so dass das Fest wirklich erst am festgelegten Tag begann. In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne sah all dies einfach nur berauschend fröhlich aus. Aber schon bald, wenn die Sonne vollkommen verschwunden war, würde man hiervon nichts mehr sehen. Die Lichter in den Häusern würden ausbleiben, die Straßenlaternen nur mit einem Minimum leuchten. Erst wenn das Fest offiziell angefangen hatte, dürfte man die festliche Stadt in der Nacht erleuchtet sehen. Max und Tyson durchquerten die dunklen Gassen und Straßen und freuten sich still auf den kommenden Tag. Es war so lange her, das sie dieses Fest besucht hatten. Schon damals, vor hundertfünfzig Jahren, hatten sie sich immer mit wahnsinniger Vorfreude auf den Saltori-Markt gefreut. Dass dieses Fest immer noch bestand, machte sie ungemein glücklich. Zeigte es doch, dass nicht nur sie unsterblich waren ... Die Nacht verbrachten sie draußen vor der Stadt, zusammen mit den anderen Besuchern, die keinen Platz mehr in den Herbergen und Gasthäusern gefunden hatten. An kleinen Feuern hatten sich Gruppen eingefunden, es wurde gelacht und gescherzt, bis in die frühen Morgenstunden. Keiner fand genügend innere Ruhe, um schlafen zu können. Alle freuten sich wie die kleinen Kinder auf das Fest. Seite 24 Die beiden Unsterblichen hatten sich, nachdem sie die Stadt wieder verlassen hatten, einfach an eines der Feuer gesetzt, an dem noch Platz war. Sie hörten den Erzählungen der anderen zu, wie die vergangenen Feste gewesen waren. Erzählten selber von Ereignissen, die sie erlebt hatten – passten aber immer auf, keines der Historischen auszuplaudern. Kaum war die Sonne am nächsten Tag aufgegangen, herrschte Aufbruchsstimmung in den Lagern vor der Stadt. Auch in der Stadt selber sah es nicht anders aus. Die Wirtshäuser und Kneipen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch voll besetzt gewesen waren, leerten sich nun. Alles und jeder strömte auf die Straßen. Die Standbesitzer öffneten ihre Stände, während die Wirte gleichzeitig ihre Häuser dicht machten. Sie wollten schließlich auch etwas von dem Fest und bis zum Mittag würde sowieso keiner etwas von ihnen wollen. Max und Tyson schlenderten Hand in Hand zwischen all den Menschen hindurch, blieben hier und da stehen, um an diesem oder jenem Stand etwas Interessantes zu begutachten. Sie ließen sich von der Musik, die aus allen Ecken der Stadt scholl, treiben und ohne Plan wohin, gingen sie an den Ständen vorbei. Es war wie immer. Laut, fröhlich, alles und jeder lachte, freute sich des Lebens. Zuckerwaren wechselten in rauen Mengen den Besitzer, ebenso Bier, Wein, Wasser und andere köstliche Getränke. So manch einer würde am Ende des Festes – einige wohl schon am Ende dieses Tages – heftige Bauchschmerzen haben. So verging der Tag und je später es wurde, je mehr die Sonne am Horizont verschwand, desto gespannter wurde die Stimmung. Alle warteten darauf, dass es soweit war. Da. Endlich! Die Sonne war hinterm Horizont verschwunden, die großen Glocken der Kirche wurden geläutet und ihr Klang war in der gesamten Stadt zu hören. Auf dieses Zeichen hin flackerten an jeder Ecke der Stadt die Lichter. Die Dunkelheit, die eben für einen kurzen Moment geherrscht hatte, wurde von den vielen Laternen und Lichtern vertrieben. Rot, orange und zum Teil auch golden erhellte der Schein die Umgebung, ließ alles wie aus einem Traum wirken. Die gespannte Stimmung löste sich in einem einzigen Jubelschrei auf. Alle Anwesenden freuten sich. Den Anblick, den die Stadt nun bot, war einfach atemberaubend. Und weiter ging das Fest. Stand es eben für ein paar Sekunden still, wurde es nun mit umso mehr guter Laune fortgesetzt. Der Tag ging immer mehr seinem Ende entgegen, am dunklen Himmel zeigten sich immer mehr Sterne. Hier, etwas außerhalb der Stadt, auf einem Felsvorsprung, vernahm man nur leise den fröhlichen Lärm der Stadt. Es würde noch lange dauern, bis dort Ruhe einkehrte. Schließlich ging das Fest drei volle Tage und nie würden alle Feiernden gleichzeitig schlafen. Ein blonder und ein blauhaariger junger Mann standen auf die diesem Vorsprung, dicht aneinander gekuschelt – auch wenn die Erde immer noch die Hitze des Tages abgab – und auf Raskas schauend. Seite 25 Beide waren nach einem ausgiebig gefeierten Tag aus der Stadt geflohen, deren Enge sie nicht mehr ertrugen. So schön es auch war, Zuhause zu sein, dieses Gefühl von eingesperrt sein würden sie wohl immer haben. Eine ganze Weile standen beide nun schon hier, mit den Gedanken seit geraumer Zeit weit weit weg ... ~*~*~ Die Stimmung auf dem Saltori-Markt war einfach atemberaubend. Von überall her scholl Gelächter, Menschen unterhielten sich fröhlich, Verliebte gingen Hand in Hand über den Markt, Zuckerzeug wurde in Unmengen verdrückt – über die Konsequenzen machte man sich jetzt noch keine Gedanken. Die Atmosphäre war einfach nur ... lebendig ... ... bis ein Schrei diesen Frieden störte. Ein Schrei, der einem bis ins Mark ging, so erschütternd war er. Alle Köpfe flogen augenblicklich in die entsprechende Richtung, wie vom Donner gerührt erstarrten alle, als sie sahen, was der Grund für diesen Schrei war. Die Musik erstarb, wie von Geisterhand zum Verstummen gebracht. Das einzige Geräusch, das nun noch zu hören war, was das Knistern und Knacken des Feuers. Des Feuers, das sich an den Häusern am westlichen Rand von Raskas gütlich tat. Es fraß sich in Windeseile von einem Haus zum nächsten und hatte schon beträchtlichen Schaden angerichtet. Warum war es bis jetzt noch nicht entdeckt worden? Keiner wusste eine Antwort. Und man würde auch keine wissen, nachdem das Unglück abgewendet worden war ... Aufruhr herrschte nun in der Stadt. Das Fest war vergessen worden, alle drängten so dicht wie möglich an den Ort des Unglücks, um einen Blick zu erhaschen. Unter ihnen auch ein blonder und ein blauhaariger Mann. Beide sahen sich das Schauspiel mit traurigen Augen an. Sie waren es gewöhnt, Städte im Krieg in Flammen aufgehen zu sehen, aber nicht in Friedenszeiten. Und dann auch noch ihre Heimatstadt. Max hatte Tyson eine Hand auf die Schulter gelegt, sich schon halb umgedreht und sagte diesem ein „Komm, lass uns gehen. Wir können hier auch nichts mehr tun“ ins Ohr. Er übte etwas Druck auf Tysons Schulter aus und wollte ihn so vom Feuer wegziehen. Doch Tyson zeigte keine Regung, er ließ noch nicht mal erkennen, ob er seinen Freund verstanden hatte. Mit konzentriertem Blick tastete er die gesamte Häuserreihe ab, die in seinem Blickfeld lag. Irgendetwas stimmte hier nicht, das spürte er deutlich. Mit einem Ruck schüttelte er Max Schulter ab – er hatte sehr wohl gemerkt, dass sein Freund mit ihm sprach – und schlängelte sich durch die Menge nach vorne. Kopfschüttelnd sah der Blonde seinem Freund hinterher, stieß einen Seufzer aus und folgte ihm dann. Alleine lassen wollte er ihn ja nun auch nicht. Er ging davon aus, das Tyson vorne in der ersten Reihe stehen bleiben würde, doch dem war nicht so. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen sah zu dabei zu, wie Tyson seine Schritte nicht stoppte und in einem der brennenden Häuser verschwand. Seite 26 Als die Schocksekunde vorbei war, fing er an zu rennen, wurde aber ganz vorne von zwei Männern festgehalten. „Tyson!“, schrie er aufgebracht. „Verdammt! Komm da wieder raus! Spinnst du?!“ Auch wenn sie unsterblich waren, hieß das nicht, dass sie nicht sterben konnte. Das hatte sogar Tyson in den letzten Jahren kapiert. Sie waren ‚nur‘ gegenüber der Zeit und Krankheiten immun ... alles andere konnte ihnen genauso schaden wie ‚normalen‘ Menschen. Also wenn Tyson dort drinnen nicht genug Luft bekam ... Oh Gott! Max wollte sich das gar nicht vorstellen, was dann. Mit einem Kopfschütteln wollte er diesen Gedanken aus seinem Kopf vertreiben und schaffte es auch irgendwie. „Lasst mich los“, fuhr er die beiden Männer an, die ihn immer noch festhielten. Sie zögerten, aber als Max ihnen einen bitterbösen Blick zuwarf, ließen sie ihn los. Einen undefinierbaren Laut von sich gebend, sah er weiter in dir Flammen. >Tyson, bitte, komm zurück<, flehte er in Gedanken. Durch die Menge ging ein Raunen. Alle hatten mit Staunen zugesehen, wie der eine junge Mann in das Feuer gerannt war und der andere ihm hinterher wollte. Zum Glück konnte der letztere der beiden aufgehalten werden. Dem anderen gab keiner eine große Chance. Desto verblüffter waren sie also, als eben dieser ein paar Augenblicke später wieder aus dem Flammenmeer auftauchte und zwei kleine Kinder auf dem Arm hatte. Beide sahen mehr als mitgenommen aus und husteten wie verrückt. „Hier.“ Tyson gab die zwei Kleinen den nächststehenden Menschen in die Arme und drehte sich wieder um. Er wollte anscheinend noch mal ins Feuer. „Tyson.“ Der Angesprochene vernahm die Stimme seines Freundes, verlangsamte seine Schritte zwar, blieb aber nicht stehen. „Es sind noch mehr Kinder dort drinnen.“ Mit diesen Worten war er wieder verschwunden. Max stand wie erstarrt auf seinem Platz und eine Sekunde sah er seinem Freund erstaunt hinterher. Was ...? Dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er setzte sich in Bewegung. Über die Schulter rief er zurück: „Ihr habt ihn gehört. Holt Verbandszeug und ganz viel Wasser!“ Dann verschluckten die Flammen auch ihn ... Er fand sich in einem Meer aus Rauch wieder, das in seiner Lunge unangenehm kratzte und ein Husten erzeugte. Widerlich! Um ihn herum schlugen die Flammen hoch und leckten an dem Holz, zehrten es auf. Wo war Tyson? Er musste ihn finden. Sein Freund würde hoffentlich wissen, wo die Kinder sich aufhielten. Wenn er jetzt hier drinnen wie wild rumsuchte, würde er nur wertvolle Zeit verlieren. Die Augen schlossen sich und er blendete alles um sich aus, konzentrierte sich darauf, Tyson zu fühlen. Da ... da hinten ... Mit vorsichtigen Schritten bewegte sich Max auf diesen Ort zu. Ein paar Schritte vor Tyson blieb er stehen und sah auf die Anzahl Kinder hinunter, die hier dicht in die Ecke gedrängt auf dem Boden saßen und verzweifelt um Luft kämpften. Oh mein Gott ... Tyson hatte bereits zwei der kleineren auf dem Arm, als er sich beim Hochkommen zu Max umwandte. Mit dem Kopf nickte er nach unten und machte sich wieder auf dem Weg zur frischen Seite 27 Luft. Reden konnte man hier drinnen nicht, wenn man nicht vollends Gefahr laufen wollte, zu ersticken. Sich zum Boden beugend, ergriff er zwei der Kinder, hielt sie ordentlich fest und machte sich so schnell wie möglich auf dem Weg Richtung Ausgang. Kaum war er aus den Flammen getreten, tauchte der Blauhaarige bereits wieder in diese ein. Seine Schützlinge hatte er den wartenden Frauen übergeben. Max tat nun das gleiche, blieb eine Sekunde stehen, um sich zu vergewissern, dass die Kinder gut versorgt wurden und folgte seinem Freund wieder ... Ein paar Minuten später – ihnen selber kam es wie eine Ewigkeit vor – waren alle Kinder in Sicherheit. Jeder von ihnen wurde von mehreren Frauen versorgt, die ihnen zu trinken gaben und dabei halfen, den Rauch auszuhusten. Die verängstigten Kinder riefen immer wieder nach ihren Eltern. Die Angst und der Schock saßen tief. In der Menge entstand Bewegung und nach und nach tauchten die Eltern der Kinder auf, die von den Nachbarn eiligst gesucht und benachrichtigt worden waren. Max und Tyson standen etwas abseits, ein glückliches Lächeln im Gesicht, auch wenn sie eher erschöpft waren. Ruß klebte ihnen im Gesicht, an den Händen und an der Kleidung. Einige Stellen waren außerdem leicht angekohlt, dazu hatte sie die eine oder andere Brandblase auf der Haut. Scheiße, tat das weh! Dicht nebeneinander standen sie da und sahen dem Treiben zu. Ihre Finger hatten sich wie von selbst ineinander verschränkt, so als ob sie sich nie wieder loslassen wollten. „Mach das nicht noch mal. Hörst du?“, flüsterte der Blonde seinem Freund ins Ohr. Der gab nur einen undefinierbaren Laut von sich. „Mich so zu erschrecken. Weißt du eigentlich, was für eine Angst ich um dich hatte?“ Kein Vorwurf, lediglich eine Feststellung. Diese Angst war einer ihrer ständigen Begleiterinnen, auch wenn sie die meiste Zeit im Hintergrund ruhte. Anstatt einer Antwort löste Tyson ihre Hände voneinander und legte den Arm stattdessen um Max´ Schultern und zog diesen ganz dicht an seinen eigenen Körper. Nähe spüren tat so gut. Er gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange und flüsterte dann: „Kommt nie wieder vor.“ ~*~*~ „Woher wusstest du eigentlich, dass noch Kinder in dem Haus waren?“, riss Max sie beide aus ihren Gedanken. Irgendwie war diese Frage damals untergegangen ... „Keine Ahnung. Ich hatte das Gefühl, das an der ganzen Situation etwas komisch war. So als ob etwas nicht stimmte. Und dann hab ich dem Gefühl einfach nachgegeben und bin in die Flammen rein. Wie ich dann festgestellt habe, hatte mein Gefühl recht.“ „Aha ...“ Mehr gab Max nicht von sich. Weitere Minuten vergingen, in denen beide schwiegen. Stille breitete sich aus, wurde nur von den fernen Geräuschen der Stadt gestört. Seite 28 Die Sterne schienen hell am Horizont, in der Zwischenzeit hatte sich sogar der Mond zu ihnen gesellt und verteilte sein Licht auf die Welt. „Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?“, flüsterte Max leise, immer noch dicht an seinen Freund gekuschelt. „Ich glaube schon“ kam die Antwort ebenso leise geflüstert zurück. „Ja?“ „Ja.“ Beide Gesichter befanden sich nun nur noch Millimeter voneinander entfernt. Blau und braun funkelten sich amüsiert und belustigt an. Ihr altes Spiel ... „Wenn das so ist ...“, murmelte Max, bevor er den Blauhaarigen küsste. Ihre Lippen legten sich aufeinander und berührten sich. Erst zart, dann immer leidenschaftlicher. Die Arme des Blonden schlangen sich um den Hals von Tyson und krallten sich im Nacken in den Haaren fest. Tyson seinerseits umfasste Max‘ Oberkörper und zog sie so dicht wie möglich aneinander. Nur keine Luft zwischen sich lassen, die kostbare und so benötigte Wärme könnte ja verloren gehen. Max‘ Zunge war die erste, die auf Angriffskurs ging. Mit etwas Nachdruck öffnete sie die Lippen von Tyson und drang in das nicht ihr gehörende Reich ein. Gekonnt wurde die Bewohnerin ignoriert, stattdessen die gesamte Mundhöhle aufs Genaueste untersucht. So als ob sie sich noch nie geküsst hätten. Tyson stöhnte leicht in den Kuss hinein und endlich gelang es ihm, den Eindringling zu bändigen. Wild kämpften beide nun direkt gegeneinander, während sie sich mit geschlossenen Augen immer weiter an den anderen drängten. Wie lange sie so dastanden, vom Mondlicht beschienen und von den Sternen beobachtet, wussten sie hinterher nicht zu sagen. Es konnten Sekunden, Minuten oder Ewigkeiten gewesen sein. War doch eigentlich auch egal ... Atemlos lösten sie sich wieder voneinander – Atmen war aber auch eine so unnötige Sache. Langsam öffneten sich ihre Augen wieder, während sie ihre Umarmung kein Stück lösten. Blau und Braun, das verliebt ineinander blickte. Sie wussten es, sie spürten es. Die Gefühle, die der andere hatte, und die eigenen. Beides war in diesem Moment so überdeutlich zu spüren, dass es schon fast wehtat. Genauso wussten sie auch, dass sie ohne den anderen nicht würden leben können. Ihre Seelen, ihre Herzen, ihre Körper waren zu abhängig voneinander geworden ... Ein kurzer Kuss folgte nach, beide noch immer atemlos. ... und eigentlich ... ... war es ihnen auch recht so ... ... nie wieder ohne den anderen zu sein ... ... sein zu können ... ~*~ Seit ihrem Aufbruch waren zweieinhalb Wochen vergangen. Sie hatten ihren Weg schweigend und langsam zurückgelegt, die Ruhe und den Frieden der Natur genießend. Das Gebirge nördlich von Pira hatten sie umrundet und gingen sehr zielstrebig auf ihr Ziel zu. Nun war es nicht mehr weit bis nach Fortun-Castle. Beide freuten sich richtig darauf, wieder Zuhause zu sein. Wann waren sie eigentlich das letzte Mal hier gewesen? Auf jeden Fall war es schon etwas länger her ... Seite 29 Gegen Abend erreichten sie endlich die Hütte, die aus Holzbalken errichtet worden war und geschützt zwischen den Ausläufern der Felsen lag. Nichts hatte sich verändert. Alles sah so aus wie zu dem Zeitpunkt, an dem sie es verlassen hatten. Oder ... nicht genauso ... die Bäume waren wieder ein Stück größer geworden, die Blumen hatten sich ein Stückchen mehr ausgebreitet ... Es hatte Ray und Kai sehr viel Zeit gekostet, das hier alles in einen Zustand zu versetzten, der vorzeigbar war. Beide standen sie still vor ihrem Zuhause, dicht nebeneinander, sahen sich diesen Flecken Erde an und dachten daran, wie er ausgesehen hatte, als sie das erste Mal hierher gekommen waren ... ~*~*~ „Wovor hast du Angst, Kai?“, fragte der Schwarzhaarige seinen Freund. Direkt und unverblümt, wie eh und je. Ein verächtlicher Blick von Kai folgte, der wohl soviel sagen sollte wie ‚Ich und Angst? Pah!‘. „Lass das. Ich seh es dir doch an. Also?“ Abwartend stand Ray Kai gegenüber und ließ ihn nicht aus den Augen. Keine Antwort von Kai. Hatte er etwas anderes erwartet? Sie waren jetzt seit fast einem Jahr zusammen und seine ‚Erziehungsversuche‘ Kai gegenüber hatten zwar schon einiges bewirkt, aber leider war noch viel Arbeit übrig. Kopfschüttelnd setzte sich der Schwarzhaarige in Bewegung und blieb dicht vor Kai stehen. Er beugte seinen Kopf immer weiter vor, bis er nur noch zu flüstern brauchte. „Ich tu dir nichts, das weißt du doch. Also, mh? Verrat es mir, bitte.“ Dabei nahm er den Grauhaarigen in die Arme und kaum spürte dieser die Wärme und Geborgenheit um sich herum, verflüchtete sich sein Widerstand. „Ich will meine Erinnerungen nicht verlieren. Meine schönen Erinnerungen, die ich von dort habe. Was, wenn es immer noch verbrannt aussieht? Wenn es keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Ort gibt, an dem ich aufgewachsen bin? ...“ Kai schluchzte leise in die Umarmung hinein. Hier war es warm, hier fühlte er sich geborgen. Hier konnte ihm nichts passieren. „Dummerchen“, flüsterte Ray ebenso leise zurück. „Das ist doch egal. Deine Erinnerungen werden nicht gehen, es sei denn, du willst es. Und es werden neue schöne hinzukommen. Wenn wir uns dort ein Zuhause aufgebaut haben, willst du von dort gar nicht mehr weg. Es ist doch egal, wie es im Moment dort aussieht. Wichtig ist, wie es in der Zukunft dort aussehen wird, wenn wir dort sind. Das ist das einzige, was zählt.“ Ray hatte leise gesprochen, aber mit einem Ernst in der Stimme ... Kais Schluchzer verstummten sehr kurze Zeit später und nun genoss er nur noch die Umarmung. Ray hatte ja eigentlich Recht. Diese Erinnerungen gehörten ihm und niemand würde sie ihm nehmen können. Und wenn sie sich dort erstmal ein Zuhause aufgebaut hatten ... „Was ist? Wollen wir weiter?“, riss der Schwarzhaarige Kai aus den Gedanken. Nicken folgte als Antwort. „Dann komm.“ Die Umarmung wurde gelöst, aber die Wärme verschwand nicht. Kurz lächelten sie sich liebevoll an, dann machten sie sich gemeinsam wieder auf den Weg ... ~~ Seite 30 Ein paar Tage später war es dann soweit. Sie hatten den Platz erreicht, an dem vor rund vierzehn Jahren das Haus von Kai und seiner Familie gestanden hatte. Von dem fast paradiesischen Ort, von dem Kai Ray erzählt hatte, war nicht mehr viel übrig. Eine große Fläche zwischen den Ausläufern des Gebirges war kohlrabenschwarz. Nichts wuchs hier, und das seit so vielen Jahren. Von Bäume, Sträucher und Blumen keine Spur, Gras schien es hier noch nie gegeben zu haben. Völlig trist und trostlos sah es hier aus. Was Voltaire diesem Stück Erde angetan hatte, war immer noch sichtbar und würde es wohl auch noch für eine ganze Weile sein. Erschüttert standen die beiden Unsterblichen einige Schritte vor der verbrannten Erde und konnten kaum glauben, was sie hier sahen. Von dem Haus, das hier einst gestanden hatte, konnte nur noch Asche übrig gewesen sein, die schon längst in alle Himmelsrichtungen verstreut sein musste. Eine Hand legte sich auf Kais Schulter. Leicht drehte er den Kopf etwas und sah in ein paar bernsteinfarbene Augen, die ihn warm ansahen. Ein Lächeln folgte. „Wir zwei werden dafür sorgen, das es hier wieder so schön wird wie vorher ... nein ... sogar noch schöner.“ Die Trauer, die sich in Kai ausbreiten wollte, bekam dazu gar keine Gelegenheit. Sie wurde schon im Keim erstickt und vernichtend geschlagen. Ein Lächeln erschien stattdessen auf seinem Gesicht und er nickte. „Ja, das werden wir.“ Ihre Gesichter waren nun nur noch Millimeter voneinander entfernt. Bernstein und Rot. Beide strahlten aus dem gleichen Gefühl heraus. Ein Kuss folgte, mit dem das gegebene Versprechen besiegelt wurde ... ~~ Es schien, als ob der Wettergott einen schlechten Tag hatte, denn es regnete draußen in Strömen. Ein wortwörtlicher Wolkenbruch. Hier in der Felshöhle bekam man allerdings nur die Geräusche des Regens mit. Wie die Tropfen auf die Decke prallten und dann den Fels hinab flossen. Hörte sich zeitweise echt schaurig an. Kai befand sich hier im Trockenen und passte auf das Fleisch auf, das über dem Feuer briet. Sein Blick wechselte immer wieder zwischen dem Feuer und dem Eingang der Höhle hin und her. Wann kam Ray endlich zurück? Er hatte doch gesagt, er wollte nur mal eben nach den Vogelnestern gucken, ob sie auch nicht runter zu fallen drohten bei dem Sturm. Das war nun schon eine ganze Weile her. So langsam machte sich Kai sorgen. Was, wenn der Schwarzhaarige im Regen ausgerutscht war und nicht wieder von alleine hochkam? Was, wenn er von einem Baum getroffen worden war? Was, wenn ...? Mit einem ruckartigen Kopfschütteln verscheuchte Kai diese Gedanken. So durfte er nicht denken. Ray war nichts passiert, er würde gleich in die Höhle kommen, ihn wie immer anlächeln und dann würden sie essen. Schluss. Aus. Ende. Basta. Sein hoffnungsvoller Blick richtete sich wieder auf den Eingang. Seit fast einer Woche waren sie jetzt schon hier. Sie hatten die verbrannte Erde abgetragen und neue, frische aus den Wäldern und um zu geholt. Mit etwas Glück würde von dem Unglück damals bald nichts mehr zu sehen sein. Seite 31 Vom Eingang her erscholl ein ärgerlicher Schrei, dann tauchte ein Schatten auf. Sich einmal richtig schön kräftig schüttelnd, trat Ray in die Höhle. „Scheiß Regen!“, fluchte er dabei laut. „Ich hasse ihn. Sieh dir mal meine Kleider an. Total dreckig. Verdammter Schlamm.“ Mit den Händen fuhr er sich durch die Haare, die ebenso wie seine Kleidung total erdig und matschig war. „Das krieg ich doch nie wieder raus.“ Grummelnd setzte er sich zu Kai an das Feuer. „Was ist denn mit dir passiert?“ Ein belustigter Ausdruck hatte sich in Kais Gesicht breit gemacht. Ray sah aber auch zu komisch auf. „Hör auf so blöd zu grinsen und hilf mir lieber“, brummte Ray, während er sich im Sitzen aus seinen Klamotten schälte und sie achtlos neben das Feuer warf. Darum würde er sich morgen kümmern ... „Das ist da draußen ein einziges Schlammloch und ich bin mittendrin ausgerutscht.“ „Ach echt? Hätte ich jetzt nicht gedacht.“ „Dann frag nicht so blöd. Man, das dauert bestimmt Stunden, bis ich die wieder in Ordnung gebracht hab.“ Ray war inzwischen dazu übergegangen, seine Haare zu entwirrten. Beim Sturz musste das Zopfband gerissen sein und seine Haare waren nun vollkommen verknotet. „Komm, lass mich mal.“ Kai griff nach Rays Händen und hielt sie davon ab, noch mehr Knoten als ohnehin schon vorhanden zu produzieren. Vorsichtig fing er an die Knoten zu entwirren und hatte bald einen großen Teil fertig. „Ich glaub, hier wird das schwieriger. Das sind keine Knoten mehr, das ist ein einziger Knoten“, meinte Kai, friemelte aber trotzdem weiter. Minuten später hatte er den Knoten immer noch nicht auf. Er seufzte. „Ich hab so das Gefühl, das wird nichts mehr“, grummelte er. „Dann hilft wohl alles nichts. Hier.“ Ray hielt ihm seine Hand hin, in der er eines ihrer Messer hielt. „Was ...?“, fragte Kai verwirrt, griff aber automatisch nach dem Messer. „Na abschneiden. Was denn sonst?“, fragte Ray ganz ungerührt zurück. „A ... aber ...“ „Kein Aber. Du hast dann keinen Ärger mehr mit den Knoten, ich nicht mehr mit dem ordentlich halten und außerdem wachsen sie schon wieder nach. Mach dir darüber mal keine Sorgen.“ Damit nahm er Kai das Messer wieder aus der Hand, mit der anderen Hand hielt er seine Haare zusammen und schnitt sie kurz oberhalb des Ellenbogens ab ... ~*~*~ Beide standen im Garten vor der einfachen Holzhütte und besahen sich die Veränderungen der vielen Jahre. Von der schwarzen Erde war nichts mehr zu sehen, der Wald hatte sich bis fast vor ihre Haustür ausgebreitet, Blumen und Sträucher wuchsen überall. Kai war zu Ray getreten und hatte sich an diesen gelehnt. „Weißt du eigentlich, was du mir damals für einen Schrecken eingejagt hast, als du einfach deine Haare abgeschnitten hast?“, murmelte er, eine seiner Hände spielte mit den ellenbogenlangen schwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Zopf gebunden waren. „Ach, hab ich das?“ „Ja, ich hätte nie gedacht, dass du das machen würdest. Irgendwie konnte ich mir dich gar nicht mit kurzen Haaren vorstellen.“ Jetzt grinste er leicht. „Aber wenn man sich erstmal daran Seite 32 gewöhnt hat ... sieht es gar nicht mal schlecht aus.“ Flink schob er die Haare beiseite und hauchte einen Kuss auf die freigelegte Stelle Hals. Ray brummte leicht zufrieden und zog dann Kai zu einem richtigen Kuss zu sich heran. Ihre Augen schlossen sich wie von selbst und dann war diese Wärme und Geborgenheit wieder da. Ihre Körper zogen sich wie magisch an und duldeten keine Luft mehr zwischen sich. Ihre Zungen spielten miteinander, immer wieder wurde der Eindringling in sein Reich zurückgedrängt und dann wurde dieses erobert. Hin und her, beide wurden immer atemloser. Nach einer schier unendlichen Zeit lösten sie sich wieder voneinander, tief die dringend benötigte Luft einatmend. Feuriges Rot und warmes Bernstein blickten sich intensiv an. Eine tiefe, bedingungslose Liebe sprach aus ihnen. Eine Liebe, die nicht forderte, sondern gab. „Ich liebe dich“, flüsterte Ray. Als Antwort wurde er von Kai nochmals in einen leidenschaftlichen Kuss gezogen ... ~*~ Zeit verging rasch, wenn man unendlich viel davon hatte. Ehe sich die vier Unsterblichen versahen, war das Jahr um und der Tag ihres speziellen Geburtstages rückte immer näher. Rechtzeitig hatten sich beide Gruppen auf den Weg gemacht und nun, pünktlich, standen sie hier auf dem Plateau, wo sie vor nun 151 Jahren ihr neues Leben begonnen hatten ... „Hallo.“ Das war das einzige Wort, das sie an diesem Abend miteinander wechselten, als sie sich trafen. Nebeneinander standen sie an der Klippe, ließen sich vom Wind umspielen, ignorierten die Wassertropfen, die ihnen im Gesicht landeten. Still und ruhig warteten sie darauf, dass der Mond aufging. Er, der ihnen zeigte, dass ein weiteres Jahr ins Land gegangen war. Da war er. Langsam aber stetig schob er sich am nachtblauen Firmament in die Höhe, bis er dann seinen höchsten Stand erreicht hatte. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Dieser Satz wurde synchron von allen vier Unsterblichen ausgesprochen. Was folgte, war ein zärtlicher Kuss für den Geliebten. Lange dauerte dieser Kuss, der so etwas wie ein Versprechen für das kommende Jahr war. Den anderen niemals alleine lassen, für immer bei ihm bleiben ... Als sie sich endlich lösten, war der Mond schon wieder dabei, sich zu verabschieden. Er hatte seinen höchsten Punkt passiert und fing nun damit an, dem nachfolgenden Tag Platz zu machen. Aber noch würde es dauern, bis die ersten Sonnenstrahlen Crondo erreichten ... In der Stille, die hier herrschte und nur vom Wind und dem Meer nicht eingehalten wurde, wurden Geräusche hörbar. Geräusche, die Ähnlichkeit mit Flügelschlägen hatten. Verwundert drehten sich alle vier um. Was war denn das? Normalerweise hörte man Vögel hier oben nicht, weil ihre Geräusche viel zu leise waren. Seite 33 Ihre Blicke suchten den Himmel ab und als sie endlich etwas sahen, blieb ihnen der Atem weg. Das durfte doch nicht wahr sein ... Augenblicke später landeten majestätisch zwei Wesen vor ihnen auf dem Plateau. Es wurde nun zwar etwas eng, aber was machte das schon? Der Körper des rechts gelandeten Wesens war mit Schuppen bedeckt, die in einem intensiven grün leuchteten, die roten Augen blickten sie prüfend an. Das zweite Wesen war fast nicht mehr zu erkennen. Beim letzten Mal waren die blauen Schuppen noch stumpf und mit Staub bedeckt gewesen, nun leuchteten sie ebenso intensiv wie die grünen. Die smaragdgrünen Augen blickten nicht mehr leblos sondern vielmehr lebensfroh in die Welt. Agdsmar und Radnoc. Minutenlang standen sie sich schweigend gegenüber, die jeweils anderen musternd. Wie weit hatte man sich verändert? Wie weit war man dasselbe Individuum geblieben wie beim letzten Mal? „Schön euch zu sehen.“ Radnocs tiefe Stimme war warm und freundlich. Ihm hatte die vergangene Zeit sichtlich gut getan. Gar kein Vergleich zu dem Radnoc, den sie vor hunderteinundfünfzig Jahren in der Höhle vorgefunden hatten. „Ebenfalls. Was hat euch denn hierher verschlagen?“, grüßte Tyson zurück. „Sonst lasst ihr euch doch normalerweise auch nicht in unserer Welt blicken.“ „Na ja ... wir wollten mal sehen, wie es euch so geht.“ Diesmal war es Agdsmar, der antwortete. Seine Augen ruhten beobachtend auf den vier Unsterblichen. „Wie es uns geht? Ich würde sagen, hervorragend“, grinste Tyson. „Oder, Max?“ „Du hast vollkommen Recht. Wenn wir uns nicht gerade langweilen, lassen wir uns in Kriegen Pfeile um die Ohren schießen, schlagen uns mit Komplotten gegen den Herrscher rum, amüsieren uns auf Festen und liegen sonst faul in der Sonne rum.“ Radnoc und Agdsmar hatten Max aufmerksam zugehört und sahen sich nun an. Das hörte sich doch schon mal gar nicht schlecht an. Auch wenn sie nicht damit gerechnet hatten, das diese Vier genauso werden würden wie der letzte Unsterbliche, so hatten sie doch auf Beschluss des Drachenrates nach ihnen sehen müssen. Und was sie hier sahen, bestätigte ihre Meinung. Sie hatten damals die richtige Wahl getroffen ... „Wenn das alles ist, was ihr wolltet, gehen Ray und ich jetzt. War nett euch mal wieder getroffen zu haben. Lasst euch bis zu eurem nächsten Besuch aber nicht noch mal so lange Zeit und sucht euch dann einen besseren Zeitpunkt aus. Kommst du, Ray?“ Ohne eine Antwort auf nur eine seiner Fragen zu warten, begann Kai mit dem Rückweg nach Fortun-Castle. Sich nicht umdrehend verschwand er zwischen den Felsen, darauf vertrauend, dass sein Freund ihm gleich folgen würde. „Was ist denn mit Kai los? Hat der schlechte Laune?“ Ray schüttelte den Kopf. „Quatsch. Er macht sich Sorgen um Sune. Sie erwartet in den nächsten Wochen ihr Kitz und Kai will unbedingt dabei sein. Er macht so viel Aufheben darum, das ich manchmal echt eifersüchtig werden könnte, wäre es nicht so absurd.“ Der Schwarzhaarige lächelte, während er das sagte. Er wusste im Grunde ganz genau, dass er wegen einer Ricke nicht Seite 34 eifersüchtig zu werden brauchte. Aber es machte einfach Spaß, seinen Freund ab und zu damit ein bisschen zu ärgern. „Also dann, macht es gut. Bis spätestens nächstes Jahr“, winkte Ray seinen Freunden zu und machte sich daran, Kai einzuholen. Kaum war er hinter den Felsen verschwunden, sahen sich Max und Tyson an. „Und was machen wir jetzt?“ „Gute Frage, nächste Frage. Ich hab keine Ahnung“ antwortete Max. „Überleg du dir was.“ „Mh ... wie wäre es dann mit Xylon? Ich glaub, da fängt in zwei Monaten wieder ne Ausbildung an. Wir sind gerade etwas knapp bei Kasse“, grinste Tyson. „Schon wieder? Das wäre dann unsere ...“ Max überlegte kurz, doch Tyson sprach für ihn weiter. „... siebte Ausbildung, ich weiß, aber von irgendwas muss man doch leben. Es sei denn, du hast plötzlich Lust dazu, irgendeinen der Adeligen auszurauben.“ „Wäre auch gar nicht mal so ne schlechte Idee, jedenfalls was einige der Adeligen angeht. Die treiben im Moment echt Unsinn. Aber ich wäre dann doch eher für die Ausbildung. Also los, auf nach Xylon. Mal sehen, was sie diesmal für Methoden entwickelt haben.“ Beide grinsten sich an. Das würde ein Spaß werden ... „Na dann, wir machen uns auch auf den Weg. War nett, euch mal wieder gesehen zu haben“, verabschiedeten sich beide von Radnoc und Agdsmar und traten ihren Weg an ... Ein paar Augenblicke sahen die beiden Drachen den vier Unsterblichen noch hinterher, dann öffneten sie ihre Schwingen und erhoben sich in den Nachthimmel, ihrer Heimat entgegen. Sie hatten gesehen, was sie sehen wollten und konnten die Insel Crondo getrost dem Schutz dieser Vier anvertrauen ... Wie es schien, war auch die Zeit dieser Meinung. Sie, die dafür verantwortlich war, das die Unsterblichen unsterblich waren. Sie, die dem Drachenfeuer seine Macht gegeben hatte. Noch kein Unsterblicher hatte so viele seiner Fähigkeiten entdeckt wie die jetzigen. Der Drachenrat hatte natürlich die vier beobachten lassen und hatte ihre Wege immer nach verfolgen lassen. Man konnte ja nicht das Risiko eingehen, denselben Fehler noch einmal zu machen. Das Gespür für Situationen, die im Ganzen nicht stimmten. – Tyson. Das Gespür für die Verbindung zwischen einem Menschen und seiner Waffe. – Ray. Auch wenn Max und Kai ihre Fähigkeit noch nicht entdeckt hatten, würden sie dies ohne Zweifel auch noch irgendwann tun ... [Fin] Seite 35