Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938) Der Maler (Selbstbildnis) 1919
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Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938) Der Maler (Selbstbildnis) 1919
Das Selbstbildnis von Ernst Ludwig Kirchner trägt alle Merkmale eines expressionistischen Bildes und belegt die große Bedeutung des Künstlers für diese Stilrichtung innerhalb der klassischen Moderne. Das Ölgemälde zeigt Kirchner beim Malen in einer engen, niedrigen Stube, deren geöffnete Türe im Hintergrund den Weg ins Freie weist. Der Künstler sitzt auf einem Bauernstuhl an einem kleinen Tisch.Von seiner Gestalt sind nur Oberkörper und rechter Oberschenkel zu sehen, auf dem die Hand ruht. Er arbeitet an der von der linken Bildkante stark angeschnittenen, gegenüberliegenden Wandfläche. Hinten in der Zimmerecke befindet sich ein runder, hoher Kohleofen mit einem in ungewöhnlichen Windungen verlaufenden Kaminrohr. Auf dem Tisch stehen neben einer kleinen Flasche Alpenrosen in einer Vase, daneben liegen Stifte aufgereiht. Der Maler beugt seinen übergroßen, im Halbprofil dargestellten Kopf leicht nach vorne. Sein linker Arm liegt auf dem Tisch, die Hand hält den Pinsel vollkommen waagerecht in Richtung Malfläche. Auffällig ist die Farbigkeit des Bildes. Sämtliche Bildelemente und Flächen sind in Primär- und Sekundärfarben gemalt, feinere Zwischentöne existieren kaum. Lokalfarben wurden radikal übersteigert. Das vom Ofen angestrahlte Gesicht weist kräftig orangefarbene und grüne Licht- und Schattenpartien auf. Grün- und Gelbtöne beherrschen das Kunst des 20. Jahrhunderts Bild. Mit ihnen kontrastieren die kräftig rote Türfläche und die kleine rote Ofentür. Alle Flächen im Bild wurden betont, eine plastische Ausarbeitung der Dinge war dem Künstler nicht wichtig. Der expressive Stil der Farbgebung wird durch den spontanen und flüchtigen Pinselduktus unterstrichen, der auf jegliche Details verzichtet. Kirchner durchlebte eine tiefe persönliche Krise in den Jahren des Ersten Weltkriegs, die von Angstzuständen und Medikamentenabhängigkeit begleitet war. Er zog sich in eine Berghütte bei Davos zurück und suchte Heilung in der Abgeschiedenheit der Bergwelt. Er wollte sich von seiner Abhängigkeit befreien, auf die das Arzneimittelfläschchen im Bild hindeutet. Er fürchtete um den Verlust seiner künstlerischen Ausdruckskraft. Das Gemälde legt eindrucksvoll von diesen inneren Spannungen Zeugnis ab und zeigt sein Bemühen, sich buchstäblich neuen Raum zum Malen zu schaffen. Die Malweise von Kirchner ist kennzeichnend für die Künstlervereinigung „Brücke“, die sich 1906 in Dresden formierte. Kirchner war einer der Gründungsmitglieder und deren bekanntester Vertreter. Radikale Ziele der Gruppe, wie das Bemühen um unmittelbaren Ausdruck und die Loslösung von einer realistischen Umsetzung des Gesehenen mit Hilfe von Lokalfarben, wurden prägend für den Aufbruch der Malerei in die Moderne in Deutschland. Die Unmittelbarkeit der Öl auf Leinwand Emotionen gegenüber dem Dargestellten hatte Vorrang 90,5 x 80,5 cm gegenüber einer naturgetreuen Wiedergabe. Menschenbild Bildbetrachtung Ernst Ludwig Kirchner (1880 - 1938) Der Maler (Selbstbildnis) 1919/20 Requisiten: Praktische Umsetzung Bildgespräch Farbige Tücher in Primär- und Sekundärfarben Kirchner studierte ab 1907 Architektur an der Technischen Hochschule in Dresden. Wie die Maler Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff, die er dort kennenlernte, fasste er danach den Entschluss, Künstler zu werden, und gründete mit ihnen gemeinsam die „Brücke“. 1911 stellten die Maler erstmals in Berlin aus. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde Kirchner zum Kriegsdienst eingezogen, erlitt aber schon nach wenigen Wochen unter den Eindrücken des Krieges einen psychischen Zusammenbruch, den er ab 1917 in den Schweizer Bergen zu kurieren versuchte. 1938 nahm er sich, seelisch krank, isoliert vom Kunstbetrieb und diffamiert von den Nationalsozialisten, das Leben. Die dargestellte Situation wird betrachtet und ihre besondere Farbigkeit thematisiert. Die jungen Besucher sprechen über ihre Assoziationen zu den kräftigen Farben im Bild. Um die emotionale Wirkung einzelner Farben zu veranschaulichen und die Farbsymbolik zu deuten, können farbige Tücher ausgelegt werden. Auch über die Bedeutung von Farben im Alltag wird gesprochen. Die Kinder begreifen, dass eine derartige Wirkung vom Künstler beabsichtigt war. Altersentsprechend wird erklärt, wie ein Farbkreis aufgebaut ist und Primär- und Sekundärfarben dort angeordnet sind bzw. komplementär zueinander gesetzt werden können, denn diese reinen Farben spielen eine wichtige Rolle für die Dynamik im Bild. Aber sie sagen auch etwas über die Gefühlslage des Malers aus. Die biografischen Hintergründe des Künstlers ermöglichen einen weiteren Zugang zum Bild. In der Werkstatt malen die jungen Besucher ein Selbstporträt. Zuvor kann man älteren Schülern Grundsätzliches über den Aufbau eines Gesichts erläutern. Es werden nur Grundfarben angeboten, um die Schüler zum Mischen anzuregen. Wie während der Bildbetrachtung besprochen, dürfen und sollen Farben unabhängig von den bekannten Lokalfarben eingesetzt werden. Es geht um den emotionalen Ausdruck, nicht um eine realistische Wiedergabe. Auch als farbiger Druck kann die Aufgabe umgesetzt werden, dazu werden Styroporplatten ausgeteilt, die als Druckstock dienen und in die hineingeritzt wird. An mehreren Drucken kann sowohl mit der Farbe des Untergrundes als auch mit der Druckfarbe experimentiert und so die generelle Wirkung unterschiedlicher Farbe erfahren werden. Nils, 9 Jahre Materialien: Temperafarben und Pinsel oder Pastellkreiden, Farbiges Tonpapier; Styroporplatten, Bleistifte, farbige Tonpapiere, Druckfarbe © 2016. Text / Gestaltung: Andrea Gerardi. Veröffentlichung: Referat Kunstvermittlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe auf www.kunsthalle-karlsruhe.de/de/vermittlung/schule-und-vorschule.de. Alle Rechte vorbehalten.