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www.n-coding.com | 2. Quartal 2007 | gratis Der subjektive Blick auf Unternehmen, Kultur und Unterhaltung NC0701 Die vakuumverpackte Kultur Die Luft in unserer Kulturlandschaft wird immer dünner. Jetzt sind die Unternehmen gefragt. Über den Zusammenhang von Kultur, Schönheit und Vernunft. Ein Gedankenanstoß zu Wegen aus dem Vakuum. Der Sog der Unvernunft »Schönheit ist keine Frage der Vernunft.« Dieser Slogan der traditionsreichen, französischen Edelmarke »Baccarat« will für Luxus werben und proklamiert damit ungewollt die Wahrheit über den Status unserer Kultur. Es ist wahr: Schönheit ist schon seit geraumer Zeit keine Frage der Vernunft mehr. Diesen Sinnzusammenhang haben wir selbst getilgt. Obwohl wir doch eigentlich gar keinen Anlass dazu haben. Im Gegenteil: Alle großen Errungenschaften unserer modernen Zivilisation lassen sich letztlich auf die triumphalste aller Vernunftleistungen zurückführen: Die Aufklärung. Was macht uns trotzdem so unvernünftig, die Schönheit nicht mehr der Vernunft zu unterstellen? Kulturgesetze »Kultur ist das über den Grundbedarf hinausgehende Potential, welches vor allem durch Nahrungsüberfluss in den Kulturvölkern zu Wissenschaft und Künsten genutzt werden konnte.« Die freie Enzyklopädie »Wikipedia« erinnert uns in einem Nebensatz daran, dass Kultur eigentlich ein Luxus ist. Ein Luxus, den man sich erarbeiten kann, wenn der Grundbedarf gedeckt ist. Wie es aussieht, ist der Bedarf gedeckt und wir haben uns an den Luxus so sehr gewöhnt, dass wir inzwischen etwas verwechseln. Wir haben das Schaffen von »Wissenschaft und Künsten« gegen ihre Früchte eingetauscht: Den Ruhm und die Schönheit. Der Verlust von Luft »Der Ruhm der Supermodels ist nicht darauf zurückzuführen, dass die Frauen so unglaublich schön sind. Ihre Bekanntheit begründet sich allein darin, dass im öffentlichen Leben keine herausragenden Leitbilder mehr zu finden sind.« Das sagt eine Frau, die von Äußerlichkeiten lebt. Vivienne Westwood darf so etwas sagen. Sie gilt als Exzentrikerin. Und sie hat recht: Supermodels sind unsere kollektiv anerkannten Ersatzstoffe für echten Inhalt. Wir wollen nicht, dass sie zugrunde gehen. Sie geben uns das gute Gefühl einer idealen Welt, die uns keine Beschwerden abverlangt. Nicht die Bürde der Arbeit und nicht die Qual der Vernunft. Dafür garantieren wir ihnen stabile klimatische Bedingungen. Ein Vakuum, in dem sie und wir überleben können. Das Wertesystem im Vakuum Damit das Klima im Vakuum stabil bleibt wird, es konserviert. Im TV sehen wir täglich wie das funktioniert: Heinz fliegt bei 16.000 EUR raus. Er hat alle Joker verbraucht und ist an einer einfachen Frage gescheitert. Petra bekommt für ihr Menu im Schnitt nur 7 Punkte, weil sie den anderen Kandidaten ein schlecht gekühltes Dessert serviert hat. Castingkandidatin Nicole kommt nicht in den nächsten Recall: Sie hat den Text vergessen. Überall geht es um Bewertungen. An die Spitze gelangt nur, wer >>> Seite 2 Inhalt: Vakuum | 10 Fragen | Doppelnull | Abgründe | 19% | Figürlicht | Interview: Thomas Oppel | Jungle | Autismus | Glückauf Fotodesign | Die Ecke | FSM | Stark vereinfacht | City-Guide Jena | Grauzonentest | Banksy | Telenovelas | Roman 10 Fragen an »filter NC« Sag Ja zur Größe Doppelnull »filter NC« ist eine neue Zeitung für Kultur – in, aus und über Unternehmen. Herausgegeber ist das »n-coding Designlabor«. In einer Selbstbefragung beantworten wir 10 Fragen zu »filter NC«, die wir als FAQs erwarten: Berlin. Karl Lagerfeld rief und die Promis folgten. Der »King of Anorexia« stellte die »Internationale Fashion Show« in Berlin unter das Motto: »Sag Ja zur Doppelnull!« Die Tickets waren begehrt wie nie! Das prominente Aufgebot kam in Scharen, um die mageren Zeiten des Catwalks zu zelebrieren und dem allzu unsinnigen Laufstegverbot von Madrid zu trotzen. Die Eingangsfrage lautete an diesem Abend nicht »Was tragen Sie?«, sondern »Was trägt Ihre Waage?«. Die Antwort gaben Persönlichkeiten wie Kidman, Beckham und Lohan. Alle erschienen in Trendgröße Doppelnull und präsentierten sich auf dem roten Teppich wie aus einer Streichholzschachtel entsprungen – zerbrechlich und atemlos schön. Bei Gott sei Dank windstillem Wetter führte Ex-Taff-Moderatorin Giulia Siegel die Slim-Stars behutsam zu ihren doppelt gepolsterten Sitzplätzen. Der Höhepunkt der Veranstaltung war Keira Knightley. Sie wurde zur »Most thinspiring woman of the year« gekürt und mit der »Goldenen Kleiderstange« ausgezeichnet. Im Anschluss an ihre Dankesrede und einen Weinkrampf im Paltrow-Stil musste sie von der Leibwache samt Award von der Bühne getragen werden. (Anm. der Red.: Die Trophäe wiegt 1.270 g!). 1| Wieso der Name »filter NC«? Jeder Mensch sucht sich im Leben das heraus, was für ihn existenziell wichtig ist. Er filtert. Diesen durchaus subjektiven Filter wenden wir auf unsere Zeitung an. Das »NC« steht für n-coding. 2 | Warum geben Sie als Werbeagentur eine Zeitung heraus? In unserer Arbeit haben wir oft Einfälle, Rechercheergebnisse oder Kontakte, die wir nicht direkt verwerten können, die aber interessant sind. Es schien uns zu schade, das auf Dauer zu unterschlagen. 3 | Welches Konzept, welche Ausrichtung hat das Blatt? Es ist recht frei, bindet sich aber an Themen aus dem Bereich der Kultur, Gestaltung und Unterhaltung. Mitarbeiter und Freelancer machen mit und wir binden Gäste ein: Als Interviewpartner und Autoren. 4 | Wie oft erscheint »filter NC«? Quartalsweise. 5 | An wen richtet sich »filter NC«? An Kunden, Interessenten und alle, die an Corporate Publishing interessiert sind. 6 | Gibt es eine Download-Version? Nein. Aber Referenzen und Querverweise auf unserer Website. 7 | Kann man »filter NC« auch abonnieren? Ja. Melden Sie sich einfach auf unserer Website an. 8 | Kann man bei »filter NC« mitmachen? Ja. Wir sind für Anregungen und Beiträge immer offen. 9 | Kann man Anzeigen schalten? Ja. Am besten rufen Sie einfach an. 10 | Wie kann man auf Beiträge reagieren? Mit einer E-Mail oder einem Brief an uns. n-coding Designlabor Schildern 15 33098 Paderborn www.n-coding.com [email protected] Nach der grandiosen Show lud Jamie Oliver ans Buffet. Er reichte mit Prinzessböhnchen ohne Speckmantel aromatisierte Eiswürfel. Verführerisch leicht, so dass sich nicht jede der grazilen VIPs zügeln konnte und den einen oder anderen Würfel gierig in sich hineinlutschte. Skandalös wurde es bei der After-Show als die FETA auflief: Vertreterinnen der internationalen Modelschutzorganisation verteilten demonstrativ ihre Käsehäppchen und versuchten, das Konzept des Abends zu kippen. Kurzfristige Beruhigung brachte zwar die Präsentation der »Wetthunger-Hilfe«, vorgestellt von Schirmherrin Paris Hilton, aber zum Eklat kam es am Ende doch: Verfechterinnen der bedrohten Kleidergröße 34+ riefen zum Boykott auf. Verona Pooth und Veronica Ferres wehrten sich lautstark gegen die »Propagierung der Unsichtbarwerdung.« Insgesamt ein nahezu makelloses Event von höchstem Rang. Ob Nicole Richie allerdings tatsächlich für den nächsten Bond in Frage kommt blieb offen. Insider rechnen ihr magere Chancen aus: James Bond? – 007 ist eine 7 zuviel! (or) Seite 2 Vakuum | 19% | Abgründe bereit ist, seine Individualität zu opfern. Heidi Klum bringt es auf den Punkt, als sie die erste Kandidatin aus ihrer Model-Show wirft: »Bis jetzt sind alle noch da. Es wird Zeit, dass jemand geht!« Der Druckausgleich Der Kampf um die besten medialen Erfolge als Ausflucht aus dem Vakuum ist ein Ranking ohne erste Plätze. Wo jeder berühmt ist, wird es ganz schön eng auf dem roten Teppich. Das ist die Last des Ruhms und die Lehre des Vakuums. Doch: Wohin geht man, wenn man vom Teppich verdrängt wurde oder es erst gar nicht bis dorthin geschafft hat? Woran soll man sich orientieren, wenn die Schönheit von der Vernunft abgekoppelt wurde? Die Antwort ist unbequem und macht ein bisschen Arbeit! Arbeit als Ventil Die Physik definiert den Begriff »Arbeit« als Energieübertragung von einem System in ein anderes. Der Begriff »Vakuum« wird in der Quantenfeldtheorie als niedrigster Energiezustand bewertet. Wenn wir wollen, dass unsere Energie nicht verpufft, brauchen wir die Arbeit, nicht das Vakuum. Auch dann nicht, wenn es uns die großen Verlockungen verheißt. Die Arbeit ist der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir eine lebendige Kultur wollen. Also: Erobern wir die Vernunft zurück und verheiraten sie erneut mit der Schönheit! Wo neue Kulturen keimen Das haben schon andere begriffen, die heute beim Ranking weit vorn sind. Unter dem Stichwort »Web 2.0« laufen viele erfolgreiche Konzepte des Internets. Allen gemeinsam ist, dass sie Menschen an der Arbeit beteiligen. Bekannte Beispiele sind die Videoplattform »you tube«, die Enzyklopädie »Wikipedia« oder das Foto-Sharingportal »flickr«. Worum es bei »Web 2.0« geht, beschreibt der Kolumnist Steven Johnson für das Online-Wissenschaftsmagazin »Discover«: Er vergleicht die neue Art der Internet-Nutzung mit einem »Wechsel von einer internationalen verlinkten Bibliothek zu einem Informations-Ökosystem, wo Daten wie Nährstoffe in einem Regenwald zirkulieren.« Am Ende ist dort derjenige am besten platziert, der sich den Luxus leistet, seine eigene Kultur zu formen und sie mit anderen zu teilen. Vorausgesetzt, man hat sie sich erarbeitet. Das Loch in der Hülle Wenn Arbeit der Motor für Kultur ist, steigt die Verantwortung der Unternehmer. Acht Stunden am Tag reichen schon, um neuer Kultur Spielraum zu bieten. Von »Web 2.0» kann man dabei lernen. Aktive Unternehmenskultur ist so gesehen eine Entscheidungshilfe: Will man den Rankings hinterherlaufen oder eigene Standpunkte vertreten? Für Unternehmen bedeutet das, Arbeit anzubieten, die Menschen nicht ins Vakuum treibt. Das betrifft zum Beispiel das Betriebsklima, Produkte und Dienstleistungen, Fragen des Marketings und den Umgang mit den Kunden. Es geht um ein ebenso neues wie altes Verständnis: Den Grundbedarf decken und dann Weitermachen mit Kultur! Eine Kultur, die den Namen verdient, weil sie Schönheit mit Vernunft paart. Die Förderung von Kunst, Sport und Musik oder die Schaffung von Medien? Was fällt Ihnen dazu ein? Es lohnt sich, ein Loch in die Hülle zu stechen und ein wenig Luft ans Vakuum zu lassen. Dann können alle besser überleben – und »Baccarat« kann seinen Slogan ändern, denn dann ist Schönheit wieder eine Frage der Vernunft! (ve) Abgründe, Hamster und Tapeten © 2004 Touchstone Home Entertainment Ein Flugzeugabsturz. Alle Passagiere sind in extremer Panik. Nur einer nicht: Andrew Largeman. Der erfolglose Hollywoodschauspieler sitzt wortlos zwischen der aufgebrachten Menge und rührt sich nicht. Aus der indischen Begleitmusik zu dieser Auftakt-Szene von »Garden State« wird ein klingelndes Telefon und man weiß, die Begebenheit war nur Einbildung. Andrew befindet sich in einem anhaltenden Zustand der Lethargie, hervorgerufen durch seinen großzügigen Konsum von Lithium-Tabletten. Die hat ihm sein Vater, von Beruf Psychiater, bereits im Alter von neun Jahren verschrieben. Damals schubste Andrew seine Mutter von der Treppe. Seither galt er als aggressiv. Jetzt führt ihn die Beerdigung seiner querschnittsgelähmten Mutter zurück nach New Jersey. An den Ort seiner Kindheit und seiner Traumata, zurück in den »Garden State«. Hier beginnt eine Geschichte über einen Sonderling, eine notorische Lügnerin und darüber, wie die Auseinandersetzung mit einer Altlast ein Leben rettet. Am Ende setzt Andrew die Tabletten ab und wird ein wirklicher »Largeman«, weil er endlich sein Leben in die Hand nimmt. selbstgenähtes Hemd verpasst, das ihn nahezu »körperlos« erscheinen lässt. Warum? Die Tapete trägt »zufällig« das gleiche Muster! Es gibt Dialoge über die Wohltat des Weinens, einen Hamsterfriedhof, einen Feuerspeerkünstler, einen Ritterphobiker und viele andere skurrile Dinge, die beweisen, dass es zur Darstellung von inneren Entwicklungsprozessen keiner Klischees bedarf. Zach Braff, der durch die Serie »Scrubs« bekannt wurde, legte mit »Garden State« 2004 sein Regiedebut vor und überzeugt in weiteren Funktionen: Als Drehbuchautor und als erstklassiger Schauspieler, der in der Lage ist, einen ernsten, einfühlsamen und nachdenklichen Charakter zu verkörpern. Mit Natalie Portman (Star Wars, Mars Attacks!) hat Braff auch bei der Besetzung der weiblichen Hauptrolle einen guten Griff gemacht. Als Lügnerin Sam ist sie nicht nur glaubhaft bis zur letzten Minute, sie bricht auch erfolgreich ihr eigenes Image als schöne, aber hohle Jungaktrice. Was ein bisschen wie der Plot eines sentimentalen Feelgood-Movies klingt, ist in Wirklichkeit ein äußerst gelungener und zu Unrecht ignorierter Low-Budget-Film mit Qualitäten, die man im US-amerikanischen Kino kaum findet. »Garden State« kommt mit wenig Aufwand aus und bemüht nur selten Rührseligkeiten. Zugleich zeigt der Film, dass ein Selbstfindungstrip erstaunlich viel Spaß machen kann. »Garden State« ist Kino mit einer intelligent und poetisch konstruierten Geschichte: In seinem kathartischen Moment nimmt der Film die Eröffnungsszene auf und beschäftigt sich erneut mit einer paradoxen Bodenlosigkeit. Wie? Das sollte man sich für einen DVD-Abend aufheben. Nur so viel sei gesagt: »Garden State« ist ein Independent-Genuss für die subtilen Momente des Lebens, in denen man nicht weiß, ob man vor Melancholie oder vor Freude weinen soll. Entscheiden Sie selbst! (sh) »Garden State« überrascht mit lustigen Bildeinfällen wie diesem: Andrew bekommt bei der Beerdigung seiner Mutter von einer Tante ein USA 2004 / Touchstone Home Entertainment OT: Garden State | Regie und Drehbuch: Zach Braff | Darsteller: Zach Braff, Natalie Portman, Ian Holm | Genre: Tragikomödie / Auf DVD erhältlich Jetzt mit 19% mehr Uaaargh! Ende 2006: Die Torschlusspanik. Januar 2007: Die Rabattschlacht. März 2007: Die erste Quartalsruhe. Ein rotes Monster in Form einer 19 klingelt bei einer harmlosen Familie. Uaargh! Doch sie bleibt relaxed. Ihr kann die Mehrwertsteuererhöhung nichts anhaben. Denn die Familie hat gerade einen tollen Deal gemacht. Zu den alten Konditionen versteht sich. Ätsch bätsch! Wer jetzt nicht zugreift, ist doof: Mit dem Angstfaktor 19% im Gepäck wird monströs geworben und der Verbraucher ist selbst schuld, wenn er sich die Noch-16% entgehen lässt. Dabei hat sich das Monster mitsamt der vorgezogenen Preiserhöhung längst im Supermarkt verschanzt. Nach wie vor hagelt es Versprechungen: Verzicht auf MwSt., Aufschub bis Februar, eingefrorene Preise ... Auf zur Monsterjagd im Mogelparadies! Was im letzten Jahr schon teurer wurde, kann man nun als »unverändert« einkaufen. Sehr freundlich – Dankeschön! Und wo der Preis 2006 nicht stieg, schwand mitunter die Füllmenge. Weniger ist mehr! Oder aus den ungeraden Werten, die sich aus der Steuererhöhung ergeben, wurden schöne, neue und vor allem aufgerundete Schwellenpreise. Tja: Im Prozente-Wirrwarr ist schwer nachzuhalten, wo man draufzahlt oder wo man spart. Das Monster treibt noch immer sein Unwesen. Und was tun Sie? Rechnen und vergleichen Sie fleißig? Haben Sie alle MwSt.-Zurück-Coupons an die Hersteller geschickt und sich Ihre Rabatte erwürfelt? Haben Sie das Monster weiter gefüttert oder es aus Ihrem Kopf verbannt? Wer sich nicht gewöhnen will, bewaffne sich mit einem Taschenrechner oder noch besser: Der erfinde bitte einen neuen! Am besten mit Anti-MonsterFormel: Mittels einer einzigen Taste erhält man das, was die Handelsketten, Discounter und Markenanbieter bis heute nicht hinbekommen: Faire und transparente Preise! (or) Figürlicht Quietschebär, Rusty, Onkel Otto und Mischa (v.l.n.r.) verabreden sich jeden dritten Dienstag im Monat zu einer okkulten Lichtbeschwörung. CamoBot™, Smorkin‘ Labbit und der Marshmallow Man konnten krankheitsbedingt diesmal leider nicht dabei sein. (st) Internetseiten zu aufmüpfigen Designer Toys: www.vinylabuse.com www.amostoys.com www.kidrobot.com www.plasticandplush.com Einfallstore für das Subjektive Thomas Oppel ist Diplom-Psychologe und Marktforscher bei »rheingold« in Köln. Im Interview mit »filter NC« erklärt er die Vorteile der qualitativen Markforschung und teilt Geheimnisse aus seinem Erfahrungsschatz. Welche Chancen haben Kaugummis in Indien, wie ist das Verhältnis der Deutschen zu Desinfektionsmitteln und warum mögen die Schweden trotz ABBA keine Glitzeranzüge? Einblicke in die scheinbar selbstverständliche Seele unserer Produkt- und Markenwelten. Bei »rheingold« wird qualitative Marktforschung betrieben. Wie unterscheidet sie sich von der klassischen, quantitativen Marktforschung? Und wo gibt es vielleicht auch Schnittmengen? Ich bin kein Fachmann in quantitativer Marktforschung, aber ganz platt gesagt geht es bei quantitativer Marktforschung zunächst einmal um Quantität. Es geht darum, dass man eine möglichst große Stichprobe bekommt. Also: »Wenn wir zu einem bestimmten Thema etwas wissen wollen, wie Verbraucher irgendetwas sehen, was sie für eine Meinung haben, was sie für Präferenzen und Aversionen haben – um da sichere Aussagen treffen zu können als Grundlage für Marketingentscheidungen, wollen wir eine möglichst repräsentative Datenbasis haben!« Das soll ein Querschnitt sein. Wir fühlen uns umso sicherer, je mehr Leute wir befragen. Möglichst viel Quantität. Die quantitative Markforschung schiebt dabei ein Bild vor sich her, das sehr naturwissenschaftlich geprägt ist. So, dass man sagt: »Wenn wir uns jetzt in Gespräche einlassen, dann wird es schwierig, da auf etwas »Objektives« zu kommen«! Deshalb die klassische Fragebogenerstellung: Man grenzt das Feld der Fragen auf diejenigen ein, von denen man annimmt, dass sie die relevanten sind und beschränkt außerdem, wie die Befragten darauf antworten können. Auf einer Skala von 1 – 7. Es geht darum, die Einfallstore für das sogenannte Subjektive zu schließen und einen Zahlenwert zu bekommen. Das Marketing erhält zum Schluss ein Zahlenwerk und steht vor der Aufgabe, sich einen Reim darauf zu machen. Denn was bedeuten die Zahlen im Endeffekt? Darüber weiß man dann wenig. Denn es kann bei der Frage nach der Fruchtigkeit eines Joghurts trotz gleicher Bewertung durchaus unterschiedliche Motivationen geben. Was liefert die qualitative Marktforschung? Die qualitative Marktforschung geht da ganz anders vor. Sie kann nicht das Gleiche leisten, weil sie auch mit ganz anderen Instrumenten arbeitet. Es geht uns bei der qualitativen Marktforschung nicht darum, mit einem enormen Zahlenwerk zu protzen und auch nicht, im mathematisch-statistischen Sinn, um die 1:1-Abbildung der sogenannten »Grundgesamtheit«. Wir wollen den Sinn und die Psychologie eines Marktes, eines Produktes, einer Kommunikationsmaßnahme verstehen. Und um das verstehen zu können, müssen wir die Leute erzählen lassen. um wir das eine bevorzugen und das andere ablehnen, das hat Gründe. Und um die herauszufinden, ist es eben die beste Methode, Leute erzählen zu lassen. Wir fürchten uns dann auch nicht vor Ungenauigkeiten. Die Aussage: »Ich beurteile das mit 3!« wirkt auf Anhieb exakter, als wenn da jemand ist, der erst eine halbe Stunde lang erzählt, welche Vorlieben er bei Joghurt hat. Sind die Ergebnisse dieser Interviews dann nicht sehr beliebig? Man muss sich zutrauen, die Ordnung die in dem Ganzen steckt – und es steckt immer eine Ordnung darin – erkennen zu können. Durch die Analyse. Der Sinn des Ganzen muss rekonstruiert werden. Bei so einer Studie führen wir 30 Interviews durch, die jeweils 2 Stunden dauern. In diesen 2 Stunden wird viel erzählt. Das Ergebnis sind aber keine wörtlichen Protokolle, sondern Bewertungen der Gespräche durch unsere Interviewer, die alle geschult sind und einem thematischen Leitfaden folgen. Wie muss ich mir das konkret vorstellen? Beispiel Lebensversicherungen: Da hängt immer viel Biografisches dran. Persönliche Entwürfe. Wie stellt man sich die eigene Zukunft vor? Wo ist man besorgt? ... Diese Geschichten hat man dann da liegen. Wenn man also bei 30 Interviews 30 mal 2 Stunden lang »Erzählungen« hat, da muss man sich fragen: Wo ist die Ordnung darin, die mir etwas über die Psychologie des Produktes verrät? Und wo sind die Variationen? Zum Beispiel ist es immer wieder um einen Konflikt gegangen: Dem Wunsch, total abgesichert zu sein, in der Versicherung eine Art »Übervater« zu finden und dem Wunsch nach Autonomie. Das ist das Spannungsfeld vom »Fels in der Brandung« und der »Unabhängigkeit«. Das kreist dann auch um Preise. Der Preis ist das symbolische Opfer, das ich erbringe. Bei einem Direktversicherer brauche ich keinen direkten Ansprechpartner. Also erbringe ich auch ein geringeres Opfer. So ein Übervater kann nämlich auch hemmen. Leute erzählen dann, dass der »Onkel von der Versicherung« wie ein Hausarzt bei allen Lebensetappen dabei war. Dass sie sich abgestraft fühlen, wenn sie einem Versicherungsvertreter einen Schadensfall berichten müssen. Die Online-Versicherer profitieren von der psychologischen Ersparnis, diesem väterlichen Druck auszuweichen. Wie geht man dabei vor? Normalerweise wird man ja für so ein Interview auf der Straße angesprochen. Wie werden die Menschen für »rheingold« interviewt? Wir arbeiten bei »rheingold« mit Tiefeninterviews, die freie Interviews sind. Wo wir die Leute ermutigen, in eigenen Worten zu beschreiben, was sie an einem Thema bewegt und wie sich ihr Alltag mit den Produkten darstellt. Denn alle Produkte stehen ja in Alltagszusammenhängen. War- Wir arbeiten schon seit langem mit professionellen Kontaktern zusammen, die uns die relevanten, zu befragenden Zielgruppen bringen. Wenn es nicht um eine ganz besondere Fragestellung geht, bedienen wir uns aus deren Adressdatenbanken und bekommen auch die richtigen Menschen, das Interview: Thomas Oppel Seite 5 heißt »User« oder »Heavy User«, die die Produkte auch wirklich benutzen. In Köln haben wir ein eigenes Studio, wo wir die Menschen interviewen. Nur wenn wir entscheiden, dass die eigene Wohnumgebung für die Fragestellung besonders wichtig ist, besuchen wir die Menschen auch in ihren vier Wänden. Das hat logistische Vorteile, aber auch methodische Gründe. Oft ist es so, dass man durch die familiäre Situation beeinträchtigt ist. Dann laufen Kinder herum, dann klingelt das Telefon, dann kommt der Mann nach Hause. Es ist viel schwieriger, einen Menschen in so einer Situation wirklich zu stellen, so dass er sich die Zeit nimmt über ein Thema intensiv zu sprechen und über ein einfaches »Schmeckt mir eben nicht!« hinauszukommen. Ihre Tätigkeit umfasst ja nicht nur nationale Aufgaben. Welche Entdeckungen machen Sie bei Auslandseinsätzen? Da geht es oft um die internationale Markenführung. Zum Beispiel: Ein Unternehmen, das bereits mit einer bestimmten Marke international vertreten ist und eine Neuausrichtung in der Kommunikation sucht, das auch bestimmte Ideen hat und gucken will: »Funktionieren die? Kann ich daraus eine Kampagne machen, mit der ich international arbeiten kann? Und arbeitet die dann auch in die gewünschte Richtung?« Dann ist erst einmal die Frage zu klären, ob die Marke in jedem dieser Länder auch gleich aufgestellt ist und auch psychologisch von den Leuten gleich wahrgenommen wird, ob sie dasselbe bedeutet. Entdeckt man dabei auch, dass Märkte im internationalen Vergleich da unterschiedlich reagieren? Gibt es dafür ein Beispiel? Mir fällt ein älteres Beispiel eines weltbekannten Unterhaltungselektronikherstellers ein, der seinen Katalog testen lassen wollte. Unter anderem in Deutschland und auch in Schweden. In dem Katalog kam eine Werbefigur vor, die einen sehr spacigen Silberanzug trug und »striking poses« machte, fast wie Superman. Schrill irgendwie! In Deutschland kam das gut an. Als wir Gruppendiskussionen in Schweden abhielten, stellten wir fest, dass sie mit dem Katalog gar nicht klar kamen. Die Einstellung zum Hersteller und zur Marke war überhaupt kein Problem, aber je tiefer wir drangen, umso mehr kristallisierte sich heraus, dass die ganze Sache sich an der Figur festmachen ließ. In der Analyse merkten wir, dass es um das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft geht. In Schweden und in Deutschland ist das sehr unterschiedlich. Die Schweden sehen sich zwar als Individualisten, aber nicht wie bei uns, wo man durchaus hervorstechen darf – sie sind zurückhaltender in der äußeren Darstellung. Die Gemeinschaft ist extrem wichtig. Jeder soll seinen Platz haben und auch einnehmen. Und im Umkehrzug: Jeder einzelne ist wichtig mit seiner Individualität. Aber eben nicht herausragend! Der »Silverman« vertrat ein Bild, was bei den Schweden nicht gut ankam. Er war in gewisser Weise »unschwedisch«. Gibt es noch andere Beispiele für solche Unterschiedlichkeiten? Ja. Gerade bei der momentanen Globalisierung geht es den Unternehmen darum, möglichst übergreifende Produkte zu haben, die überall funktionieren. Also: »Können wir nicht etwas finden, mit dem wir alle Märkte möglichst optimal bedienen?« Am Beispiel Kaugummi lässt sich zeigen, dass das eben nicht überall funktioniert. In Indien wird wenig Kaugummi gekaut. Wenn man das mit USA, Europa oder Russland und China vergleicht, wieso ist Indien so ein Ausfall? Geht es um Konsistenz, Geschmack, schlechte Werbung? Oder geht es um die Kategorie »Kaugummi« an sich? Inder haben andere Methoden, sich den Atem zu erfrischen. Das Argument zieht bei ihnen nicht. Also ging es um etwas anderes. Es stellte sich heraus, dass es vor allem um Respekt ging. Wir alle kennen auch in Deutschland No-Go Situationen für Kaugummi. Das Bewerbungsgespräch zum Beispiel. Oder das erste Rendezvous. Das gehört sich einfach nicht. Man hat den Eindruck: Derjenige, der da kaut, redet zwar mit mir, ist gleichzeitig aber noch mit etwas anderem beschäftigt. Der hat noch ein Nebenwerk laufen, er ist nicht 100%ig bei mir! Kaugummikauen ist mangelnder Respekt. Und in Indien wird das noch viel stärker erlebt. Respekt gegenüber Älteren und Autoritäten ist von größter Wichtigkeit. Es gibt eine Fülle von Situationen in Indien, wo das zum Tragen kommt. Wo man es dann macht, ist zu Hause, in den eigenen vier Wänden. Aber auch nur dann, wenn man sich sicher sein kann, dass man allein ist oder allein unter Gleichen – zum Beispiel unter Kumpels bei Jugendlichen. Es geht also auch sehr viel um Mentalitätsforschung? Ja. Man muss bei solchen Studien immer ein offenes Ohr dafür haben, wie kulturelle Hintergründe gelagert sind. Aber man muss nicht nach Indien fahren, um unterschiedliche Kulturen zu beobachten. Wie gehen Franzosen im Vergleich zu Deutschen an Food-Produkte heran? Franzosen geben sehr selbstverständlich viel Geld für Restaurantbesuche aus. In Deutschland geht es um den Preis: Günstig und viel. Riesenportionen! In Frankreich sieht man alles zusammen: Ambiente, Einrichtung, Bedienung – Wie war es angerichtet? Auch ist man in Frankreich übrigens beim Kaugummi offener als in Deutschland. Fast kindlich unbefangen. Fruchtaromen gelten bei uns als Kinderprodukte. In Frankreich probiert man das gerne aus. Spielt bei den Mentalitäten auch die Historie eine Rolle? Ja. Wir hatten vor über 15 Jahren eine Studie zu Desinfektionsmitteln. In Frankreich und UK wurde das Attribut »antibakteriell« als überaus positiv bewertet – fast wie »Vitamin C«. In Deutschland war das damals sehr viel kritischer. Im Kern geht es beim Desinfizieren ums Töten und ums Wegmachen. Von irgendetwas was dreckig, infizierend und fremd ist. In Deutschland war das zwiespältig. Die erste Ebene war: Man braucht Keime auch für das Bewähren des Abwehrsystems. Die Zweite war die der Schuld: Aus unserer nationalsozialistischen Vergangenheit wissen wir noch, dass »unerwünschte« Bevölkerungsgruppen als »Schädlinge des Volkes« bezeichnet wurden. Dieser Wirkungszusammenhang von Desinfektion und Säuberung kam bei den Desinfektionsmitteln zum Tragen. Hat sich das bei einer späteren Untersuchung noch einmal bestätigt? Nicht direkt. Aber mir fällt dazu der typisch deutsche Umgang mit Bioprodukten ein. Als das in Deutschland aufkam, ging damit eine gewisse Büßermentalität einher: »Jute statt Plastik«. In Bildern gesprochen, könnte man auch sagen, dass man in Sack und Asche gehen musste, wenn man mit Bioprodukten in Kontakt kommen wollte. Je schrumpeliger die Möhre aussieht, desto moralisch einwandfreier ist sie. In anderen Ländern ging das von Anfang an ganz anders. In UK, zum Beispiel, war das irgendwie »sexier«. Heute präsentiert sich auch in Deutschland die gesamte Szene sehr viel genussfreudiger und lebensbejahender. Präsentiert man Deutschen also Produkte grundsätzlich besser, wenn Moral im Spiel ist? Kann man so pauschal nicht sagen. Und Brecht sagte doch auch: »Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral!« Also irgendwie sind wir Menschen doch auch sehr einfach gestrickt. Der erste Impetus geht bei allen Menschen erst einmal zur Bilderbuchmöhre, statt zur schrumpeligen, aber politisch korrekten Schwester. Da ist der grüne Oberstudienrat nicht anders als Lieschen Müller. Haben Sie noch ein Schmankerl zum Schluss? Vielleicht!? Als Raucher, der ich immer noch bin, dachte ich doch schon alles zu kennen, was man über das Rauchen so wissen kann. In einer Studie zu dem Thema begegnete ich einem Raucher, der sich nächtlich seinen Wecker auf 3:30 Uhr stellte. Das fand ich wirklich verrückt. Nur um sich für den Genuss einer Zigarette wecken zu lassen! Aber auch dafür gab es eine sehr einfache Erklärung: Es ging um Selbstvergewisserung. Quasi eine Überprüfung der eigenen Existenz, hinter der die Frage steht: »Bin ich noch da?« oder so wie manche Menschen sagen: »Ich bin jetzt weg!«. Unser Stichwort: Wir sind dann jetzt auch weg! Und danken für das Gespräch. Über »rheingold« ß Institut zur qualitativ-psychologischen Wirkungsforschung ß Gegründet 1987 von Stephan Grünewald und Jens Lönneker ß Seit 1994 bietet die »rheingold akademie« einen studien- bzw. berufsbegleitenden Kompaktstudiengang in morphologischer Markt- und Medienforschung an ß 50 Angestellte, 140 freie Mitarbeiter ß Wissenschaftliche Methoden: Morphologische Markt- und Wirkungsanalyse, Psychologische Gruppendiskussionen, Psychologische Tiefeninterviews, Umfragen mit kleinen Stichproben. ß Leistungsspektrum: Mentalitäts- und Lebensweltforschung Analyse von Märkten und Produkten Strategische Markenführung durch Wirkungs- und Imageanalysen Wirkungsanalysen werblicher Kommunikation Seite 6 | Just Green Doku »n-coding« inszenierte die Messekommunikation für LEONARDO zur Ambiente 2007 als Dschungelthema. Hier zeigen wir Bilder vom Shooting, der Kampagne und der Messe. Diese Seite: Dschungel auf Stelzen mit vielen Teilnehmern – Stylistin, Florist, Fotograf, Tierbetreuer, Art Director sowie Frösche, Chamäleons, Schlangen, Gottesanbeterinnen u.v.a. Rechte Seite oben: Die Ergebnisse – Flora, Fauna und Glas im Zusammenspiel als Inszenierung zum Messethema »just green« Rechte Seite unten: Messebesucher betrachten die Produktinszenierung auf dem Stand von LEONARDO www.n-coding.com/projekte/outtakes.php Seite 7 | Just Green Doku Seite 8 Autismus Celebrate Neurodiversity Die Geschichte eines autistischen Künstlers und wie sie zum Anlass für eine Initiative von »n-coding« wurde. Ein persönlicher Bericht von Volker Elsen. Als Matthias 1 Jahr alt war und am Timmendorfer Strand die große Laterne an der Strandpromenade anschrie, wussten seine Eltern nicht annähernd, was Autismus ist. Das war 1961. Als Matthias 7 Jahre alt war, trug er schon ein Hörgerät. Wenn er von der Schule nach Hause kam, bestand er auf seine immer gleich zubereitete Lieblingsspeise: In Quadrate geschnittene Schinkenschnittchen mit Worcestersauce. Erst dann begann er damit, 500 Blatt Papier mit Zeichnungen zu füllen. Seine Familie bekam ansatzweise eine Idee davon, dass die Behinderung nicht allein »Gehörlosigkeit« sein konnte. Das war 1967. Mit 15 nahm Matthias an einem Berufspraktikum teil. Das Internat für geistig behinderte Kinder und Jugendliche verlangte in seinen Regularien, dass die Teilnehmer dazu »medikamentös eingestellt« wurden. Das Medikament hieß »Ritalin« und war damals noch ungetestet. In dem Berufspraktikum trainierte Matthias das Besenbinden. Das war 1975 und Autismus begann ein Thema zu werden. Eine Chronik der Verkennung Die Geschichte von Matthias ist die Geschichte meines Bruders, meiner Familie und zugleich die Geschichte einer Auseinandersetzung mit den Grenzen der Normalität. Was für mich als familiärer Nachzügler das Normalste von der Welt war, erachtete die von Nichtbehinderten bestimmte Umgebung als höchst sonderlich. Ausdruck bahnte: In einer stetig wachsenden Bilderflut. Matthias gab nicht jedem artig die Hand. Er fragte nicht lang, wenn ihn etwas interessierte. Denn er konnte es gar nicht. Er artikulierte sich sprachlich kaum und wenn doch, dann in mysteriösen Lautmalereien, denen niemand außer der Familie einen Sinn abgewinnen konnte. Stattdessen ging er in fremden Schränken auf Topfsuche (er liebte Topfschlagen) und bemalte die Wände eines Kellers im Internat mit einer kompletten Waldlandschaft. Knappe Striche Die Kunst von Matthias besteht aus einer schier unzählbaren Sammlung von Zeichnungen, die er als Kind, Jugendlicher und als erwachsener Mann erstellte. Die vielen Blätter zeugen von einem reichhaltigen Innenleben. Von dem Versuch, seine Außenwelt zu fassen, Gesehenes zu verstehen, wiederzugeben oder einzufangen. Das Ergebnis sind eigenwillige Abstraktionen, die oft einen skurrilen Humor entfalten. Die Kunst der Subversion Meine Eltern förderten Matthias nach Kräften und gerieten dabei auf eine Odyssee durch die deutsche Edukationslandschaft. Das kurze Fazit eines langen Leidensweges: Nirgendwo konnte Matthias korrekt untergebracht oder unterrichtet werden. Mir selbst blieb das Befremden darüber, dass Dinge und Verhaltensweisen, die ich als normal erlebte, für andere irritierend, beängstigend oder sogar bedrohlich sein konnten. Wie konnte das Erleben so anders sein? Matthias war für mich kein Sonderling, sondern mein Bruder und als solcher ein Vorbild! Sein ungezügeltes Verhalten, seine Beharrlichkeit für Dinge, die ihn brennend interessierten und seine Unbekümmertheit über das Urteil der anderen – all das hatte für mich den Reiz des Subversiven. Zumal diese Subversion sich ihren ureigenen Fast ausnahmslos ist diese Kunst in Serien erstellt. Niemals gibt es nur ein einziges Bild, sondern immer mehrere, wenn nicht hunderte. Manche lesen sich wie Storyboards zu einem Film, manche ergeben erst im Zusammenspiel ein Gesamtbild. Der Strich, den Matthias anwendet, ist eine präzise, auf das Notwendigste beschränkte, grafische Kontur. In den Serien werden Autobahnstrecken ersonnen, Wildwestfilme mit Berghütten und Straßenschildern kombiniert, chemische Formeln zu Worten ungeahnter Bestimmung zusammengefügt und Tiere in Bewegungssequenzen erfasst. Sie zeigen eine Welt, wie man sie nur sehen kann, wenn man sie ungefiltert betrachten muss. Autisten tun das und schenken uns damit neue Ansichten über die von uns scheinbar gelernte Welt. Und hinterfragen damit zugleich unseren Status Quo. Der Blick nach Innen Um diese Faszination besser zu verstehen, lohnt es sich, die neurologischen Fakten über Autismus zu betrachten. »Damit wir uns in dieser komplexen Welt zurechtfinden, haben wir in unseren Köpfen vereinfachte Modelle von der Welt – basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen.«, sagt Professor Allan Snyder von der Universität Sydney in der Dokumentation »Expedition ins Gehirn« von Petra Höfer. »Diese Modelle vereinfachen uns das Leben. Wenn sich die Welt ein bisschen verändert, kümmert uns das nicht, weil wir nur das sehen, was wir erwarten. Autistische Savants haben diese Filter nicht. Sie sehen die Welt wie sie wirklich ist. Jeden Tag anders.« Der Balken »Savants«, das sind mit besonderem Inselwissen ausgestattete Menschen und 50% dieser »Wissenden« sind Autisten. Die Quintessenz der heutigen Forschungshypothesen: An diesem für das Alltagsleben notwendigen Abschottungsprozess sind Autismus Seite 9 Auszüge aus einer 60-seitigen Bildsequenz, die sich wie ein »Storyboard« liest: Ein Reiter auf seinem Weg durch den wilden Westen. Gezeichnet mit Edding auf einfachem, grobporigem Papier. 33 Seiten Autobahn auf DIN A4 Papier. Erst wenn man die Blätter zusammenlegt, ergibt sich die ganze Strecke. von Kim Peek. Er ist das Vorbild für den von Dustin Hoffman dargestellten »Savant« in dem Film »Rain Man«. Sein Spitzname ist »Kimputer«. allen voran der »Corpus Callosum« beteiligt. Der als »Balken« besser bekannte Gehirnteil verbindet die Hirnhälften und ist – so der Forschungsstand – bei Autisten defekt, blockiert oder gar nicht vorhanden. Eine Störung dieses Systems führe zu einer Verstärkung der Hirnbereiche in der Großhirnrinde. Dort können jetzt beliebig viele Informationen abgerufen werden. Das Gehirn produziert u.a. die bewunderten Leistungen von »Savants« wie Stephen Wiltshire, der ganze Stadtsilhouetten aus dem Kopf zeichnen kann. Oder die enormen Gedächtnisleistungen Die Kehrseite Das »Rain Man«-Inselwissen dominiert bis heute die Vorstellungen der Mehrheit darüber, dass Autisten wundersame Ausnahmetalente sind, die ihre genialen Fähigkeiten nach Bedarf abspulen können. Wenngleich diese Seite des Autismus wahrlich faszinierend ist – und auch ich neige dazu, mich im Staunen zu verlieren, wenn ich Matthias’ Werk betrachte – verhindert sie zugleich eine differenziertere Wahrnehmung der Menschen mit einer autistischen Störung. Denn längst nicht jeder Autist ist ein »Savant« und die Talente gehen mit starken Einschränkungen einher: Bei der Alltagsbewältigung, Kommunikation und Zwischenmenschlichkeit – zum Beispiel. Matthias ist 46 Jahre alt, autistischer Künstler und lebt bei seinen Eltern in Gelsenkirchen. Seite 10 Autismus Kolonnen von Kohlenstoffmolekülen? Viele Bilder von Matthias sind typografischer Art oder haben Bezug zu Naturwissenschaften. Celebrate Neurodiversity Sofern sie sich explizit äußern können, geht es heute vielen Autisten darum, die neurologische Vielfalt mit ihren multiplen Erscheinungsformen in einem breiten Spektrum anerkannt zu wissen. Nicht ohne Grund haben die »Aspies«, wie sich die Asperger-Autisten auf ihrer Internetseite selbst taufen, 2006 das Motto »Celebrate Neurodiversity« ausgerufen. Die lebhafte Auseinandersetzung der Aspies mit ihrem Selbstbild macht die Beschäftigung mit dem Thema auch für Außenstehende interessant. Schon ist von »autistic pride« die Rede und mit der Schaffung des »Autistic Pride Day« im Jahr 2005 hat die Diskussion über autistische Autonomie weiter an Fahrt gewonnen. Die Befürworter von »autistic pride« kritisieren die Vorstellung, dass alle menschlichen Gehirne identisch sein sollten. Eine für Nicht-Autisten oder »Neurologisch Typische« wie wir von Aspies bezeichnet werden, vermutlich eher fremde Sichtweise. Und doch sind wir es, die bestimmen, wie das Thema im Mainstream ankommt. Vom Staunen zum Erfahren Bei den meisten »Neurologisch Typischen« herrscht heute immer noch eine unklare Vorstellung darüber, was »Autismus« eigentlich ist. Trotz einer respektablen Medienpräsenz und einer deutlich verbesserten Forschungslage. Da kommen ein paar Fakten ganz gelegen: Ca. 80.000 Menschen in Deutschland sind von der Behinderung betroffen. Autismus tritt dreimal häufiger bei Männern auf als bei Frauen. Man unterscheidet zwischen Kanner- und AspergerAutisten. Letztere können sich verbal äußern. Erstere können nicht sprechen. Man geht heute davon aus, dass sich die Grenzen zwischen beiden Formen verwischen und dass der Grad der Störung sogar bis zum normalen neurologischen Bild reicht. Autismus ist keine Krankheit und somit auch nicht mit Medikamenten therapieroder gar heilbar. Es gibt jedoch eine ganze Reihe nicht-pharmazeutischer, psychologischer Therapieformen, die greifen. Nicht zuletzt die Selbsttherapie. Denn letztlich therapieren sich viele Autisten dadurch selbst, dass man ihnen ihre Lebenswelt und ihren Ausdruck lässt: Beispielsweise ihre Kunst. Initiative für autistische Kunst Seit der Gründung meiner Firma »n-coding« im Jahr 2000 geht mir ein Projekt im Kopf umher, das mich nicht mehr loslässt. Wenn Autisten um ihre berechtigte Anerkennung kämpfen und »Neurologisch Typische« für die Publicity zuständig sind, ist es dann nicht unsere Verantwortung, den passenden Rahmen zu schaffen, damit Autismus in seiner ganzen Buntheit wahrnehmbar wird? Anders gesagt: Wenn Matthias mit seiner Kunst bisher nicht öffentlich geworden war, dann geht es anderen Autisten sicher genauso. Wie wäre es, wenn man das im Rahmen eines Projektes darstellen könnte? Wie äußert sich »Autistische Kunst in Deutschland« heute? Wäre das nicht eine Möglichkeit, die Welt von Autisten sinnlich erlebbar zu machen? Vielleicht ließen sich sogar die Irritationen, Ängste und Stigmata gegenüber Autisten abbauen, die ich schon so früh erlebte. Wäre nicht eine Ausstellung der richtige Rahmen dafür, um auch der Kunst gerecht zu werden? Partnerschaft für die Initiative Mit dieser Idee wandte ich mich 2006 an Maria Kaminski. Sie ist die erste Vorsitzende des 1970 als Selbsthilfeverein gegründeten »Autismus Deutschland e.V.« und organisiert seit Jahrzehnten praktische Lebenshilfe für Eltern und deren autistische Kinder. Mit meiner Arbeit bei »n-coding« verfolgen mein Team und ich seit geraumer Zeit freie Konzepte. Es wäre also nur folgerichtig, die Arbeit für ein autistisches Kunstprojekt als ehrenamtliches Angebot an den Verein zu richten. Wir stellten die Idee vor. Frau Kaminski sowie der Hamburger Geschäftsführer des Vereins, Herr Frese, waren sofort begeistert. Die ersten Schritte Matthias wird ebenfalls begeistert sein. Das hoffe ich jedenfalls sehr! Denn die Initiative ist zum Start freigegeben. Bei »n-coding« beginnen wir bereits mit der Konzeption. Der wichtigste Schritt ist getan: Einen Rahmen zu schaffen, um den künstlerischen Ausdruck der neurologischen Vielfalt zu feiern! (ve) Engagieren Sie sich für die »Initiative Kunst und Autismus« Zur professionellen Umsetzung ist die Initiative auf Mitstreiter angewiesen. »Autismus Deutschland e.V.« und »n-coding« geben Unternehmen die Gelegenheit, sich in das Projekt einzubringen. Druckunterlagen müssen produziert, Informationen verteilt, Webseiten programmiert und Anzeigen geschaltet werden. Wollen Sie zu den Sponsoren gehören, die finanzielle Unterstützung anbieten? Oder zu den Supportern, die mit Taten helfen? Dann benötigen Sie diese Kontaktdaten: Autismus Deutschland e.V. »Initiative Kunst und Autismus« Bebelallee 141 22297 Hamburg 0 40 - 51156 04 [email protected] n-coding Designlabor »Initiative Kunst und Autismus« Schildern 15 33098 Paderborn 0 52 51-18 4747 [email protected] Glückauf Fotodesign Seite 11 Axel Struwe gibt einem »Kumpel« Anweisungen. Das Styling übernahm Franziska Zobel. Glückauf Fotodesign Fotodesigner Axel Struwe inszeniert »Miner’s Coffee«. Der modernen und leicht augenzwinkernden Legendenbildung nach wurde sogar der erste »Miner’s Coffee« von Bergarbeiterinnen verkauft. Entsprechend sollte im Fotoprojekt die verwegene Romantik des harten Industriezeitalters dargestellt werden. Die Minenarbeiter werden als geknechtetes und ausgelaugtes Proletariat gezeigt, die mit Stolz und Von dieser Haltung profitierte der Auftraggeber Anmut ihrem Schicksal trotzen. »Miner’s Coffee« aus Bielefeld beim Fotoshooting Im Vorfeld zu der Fotoproduktion fand sogar eine Refür seine Kaffeehauskette. Denn »Miner’s Coffee« cherche im Bergbaumuseum von Bochum statt. Alle stellt sich in einer alten Bergarbeitertradition auf. Darsteller sind übrigens Laien. (ve) Axel Struwe hat ein Faible für »Vintage«. Er sammelt alte Volkswagen, benutzt emaillierte Lichtkanonen aus den Fünfzigern für die »Spezialeffekte« einer bekannten Pizzamarke und vertritt die Meinung, dass die Vergangenheit ein »fassbareres Bild abgibt als die Gegenwart«. Pasta für die Aufklärung Ein Vater tritt gegen das texanische Schulsystem an. Mit einer subversiven Strategie. Ein Lehrstück in Zivilcourage. Als die Kreationisten 2005 in Kansas das »Intelligent Design« als gleichberechtigte Variante zur Evolutionstheorie auf den naturwissenschaftlichen Lehrplan rufen wollten, ging Bobby Henderson innerlich auf die Barrikaden. Der junge Physiker ist nicht nur Vater, sondern auch Vollblutwissenschaftler. Er glaubt nicht, er beweist. Und so sehr man auch danach sucht: Für Gott gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Anstatt einen Protest zu organisieren und Unterschriften zu sammeln, griff Henderson auf ein wesentlich effizienteres Mittel zurück: In einem offenen Brief forderte er die Schulbehörde auf, dass seine Version der Schöpfungsgeschichte ebenfalls auf dem naturwissenschaftlichen Lehrplan zu erscheinen habe. Und seinem »Glauben« zufolge ist der Schöpfer der Welt ein »Flying Spaghetti Monster« kurz FSM genannt. Was zunächst wie ein schlechter Scherz klingt, ist echte Wissenschaftstheorie. Ein Schöpfer lässt sich wissenschaftlich nicht nachweisen, man muss an ihn glauben. Also kann der Schöpfer ebenso eine andere Figur sein – und sei es eine metaphysische Portion Pasta. Das unterscheidet Religion von Physik und deswegen wird die Bibel im Religionsunterricht gelesen. Touché! Aus dem Brief wurde bis heute eine sehr fantasiereiche Bewegung gegen jedweden Fundamentalismus. Das eigene Stöbern im Netz lohnt sich und wenn man die teilweise etwas überzogenen Darstellungen des Monsters und seine skurrilen Kulte beiseiteschiebt, finden sich auf der Internetseite von Henderson ganz prächtige Diskurse über Wissenschaft, Philosophie und Glauben. Courage, von der man lernen kann und die obendrein noch sehr viel Mehrwert generiert. (ve) Hier gehts zur Pasta: www.venganza.org Stark vereinfacht Wegzappen kann jeder. Mutige genießen die TV-Werbung und steigen ein in die wichtigsten Fragen des Lebens. Folge 1: Die Rasur. »Technologie hat Ihren Morgen vereinfacht. Warum nicht auch Ihre Rasur?« Das fragt mich der Hersteller eines neuartigen Rasiergerätes. Statt einer Antwort wirft der Spot bei mir eine ganze Reihe weiterer Fragen auf. Zunächst einmal: Hat Technologie meinen Morgen überhaupt vereinfacht? Hmmm. Mal nachdenken. Der Radiowecker, der Wasserkocher, die Dusche. Ja gut, ok. Technologie hat meinen Morgen im 25-Jahres-Vergleich vielleicht ein klitzekleines bisschen vereinfacht. Jedenfalls hat sie meinen Morgen nicht auf die Art und Weise verändert, wie den Morgen des jungen Mannes aus der Werbung. Denn bevor er zum Rasierapparat greift, vereinfacht ihm die Technologie den Morgen dadurch, dass sich wie von Geisterhand ein imaginärer High-TechWandschrank zeitgleich mit allen Fenstern öffnet, die das 35 Quadratmeter große Badezimmer mit gleißendem Licht überfluten. Ich verstehe nicht, wie man das als Vereinfachung eines Morgens bezeichnen kann! Ich kann mir leicht vorstellen, dass die (biometrischen?) Sensoren, die die sensible Geistertechnik steuern, beständig durch Badeschwaden verschmutzen und blockieren, dass die edlen Oberflächen extrem empfindlich gegen Spritzwasser sind und dass – wenn mal eine Reparatur anfällt – schon allein die Anfahrt des Spezialbetriebs 250 Euro schluckt. Vielleicht lebt der Mann aber auch auf einem Raumschiff? In dem Fall will ich gar nicht erst über die Anfahrtkosten nachdenken. Ich empfinde die von ihm gewählte Technologie jedenfalls eher als eine Erschwerung des Morgens, wenn nicht gar des ganzen Tages oder sogar des ganzen Lebens! Na gut! Ich attestiere mal, dass diese Art von Technik den Morgen vereinfacht. Dann ist es aber doch nicht folgerichtig, sich als nächstes zu fragen: »Warum nicht auch meine Rasur?« Nein! Mit einem Hauch von Realitätssinn ausgestattet würde man doch wohl eher fragen: »Warum nicht auch den Rest meines Tages?« Oder? Mal angenommen, man steht wirklich auf die abgedrehte SpookyTechnik aus dem Werbespot, ist es dann nicht logischer, sich die gesamte Wohnung und alles was einen sonst noch umgibt, damit zu vereinfachen? Vielleicht hat man ja nicht mehr genug Geld übrig, um sich komplett auszustatten, weil bereits alles Geld bei der Aufrüstung des Badezimmers aufgebraucht war? In diesem Fall tendiert man wahrscheinlich zum »Downsizing«! Alles klar! Ich verstehe: So ist das also gemeint! Wenn ich mich demnächst rasiere, freue ich mich, dass ich meinen Morgen nicht mehr als nötig vereinfachen muss und bleibe bei meinem guten alten Nassrasierer. (ve) < »Die Ecke« (st) * Die unter dem Label »buyer’s option« vorgestellten Produkte sind von uns erdachte Wunschprodukte und leider nicht im Handel erhältlich. Ihr neues Handy! Würden Sie mit einem Hammer anstreichen, bohren, schrauben, sägen oder tapezieren? Eben! Warum verzichten Sie dann nicht auch bei Ihrem Handy auf überflüssigen Schnickschnack und telefonieren einfach mal wieder? Das Asketh 1 ist genauso einfach zu handhaben wie ein Hammer. Anrufen, SMS und fertig. Alles was man nicht braucht, haben wir weggelassen. Dafür haben wir über vieles andere nachgedacht, was einem Handy gut stehen würde: Eine schnelle und schlanke Software, eine einfache und durchdachte Menüführung, ein ergonomisches Tastendesign und eine ebenso solide wie hochwertige Verarbeitung beim Gehäuse, Display, Akku und Mikro. Das Asketh 1 hält einfach länger durch. Ganz einfach: Ein Hammer! Seite 14 City-Guide Jena * Jena-Paradies: Der Jenaer Bahnhof ür den Fernverkehr, benannt nach dem angrenzenden Park. Auf den ersten Blick ist Jena das Gegenteil vom Paradies. Eine typisch ostdeutsche Stadt mitten in der Provinz: Etwas Altstadt, viele hässliche Plattenbauten und Gewerbegebiete auf der grünen Wiese. Auf den zweiten Blick überrascht Jena in vieler Hinsicht. Zum Beispiel durch eine paradiesische Off-Kultur. Himmlische und irdische Entdeckungen Paradiesischer Zeitvertreib Natürlich gibt es auch in Jena die obligatorischen Sehenswürdigkeiten, die jeder Tourist gesehen haben sollte: Das Rathaus (1), das Altstadt-Ensemble am Markt, die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer mit dem Johannistor und dem Pulverturm (2), Schillers Gartenhaus (3), den botanischen Garten (4), das dienstälteste Planetarium (5) der Welt (ausgestattet mit einer modernen LaserGanzkuppelprojektion) und vieles mehr. Den wahrscheinlich besten Blick über die Stadt und die Umgebung hat man von der 128 m hoch gelegenen Aussichtsplattform des JenTower (6) (umgangssprachlich Uniturm oder gern auch Keksrolle genannt) – dem Wahrzeichen Jenas. Schräg gegenüber vom JenTower befindet sich der zentrale Teil des Campus der FriedrichSchiller-Universität (7). Bei einer Studentenzahl von 20.000 ist die 1558 gegründete Universität in Bezug zur Einwohnerzahl (etwa 100.000) die größte Deutschlands. Fernab der touristischen Ziele gibt es das andere Jena zu entdecken, das dem Paradies schon sehr nah kommt. So kann man in einem der vielen netten Cafés und kleinen Kneipen in der Wagnergasse (8) vom anstrengenden Sightseeing entspannen. In der gemütlichen Atmosphäre des Café Wagner genießt man vegetarisches und veganes Essen, Lesungen, Ausstellungen, alternatives Kino und vieles mehr. Im Sommer lässt es sich auch prima direkt im Paradies (9) relaxen. In diesem an der Saale gelegenen Park trifft sich die Jenaer Jugend. Man kann dort wunderbar faul in der Sonne liegen und das bunte Treiben der anderen beobachten. Wer dann doch etwas mehr erleben will, dem sei die Imaginata (10) (vom 29.4. – 30.9.) wärmstens empfohlen. Der Stationenpark im alten Umspannwerk Jena-Nord ist ein »Experimentarium der Sinne«. Der Besucher kann physikalische Experimente selbst ausprobieren und Wahrnehmungsphänomene hautnah erleben. Die Imaginata ist zwar für Kinder gedacht, aber auch für Erwachsene sehr spannend. Vielältige Verlockungen Auch die »Shopping-Victims« kommen in Jena voll auf ihre Kosten: Mitten im Zentrum liegt die Goethe-Galerie (11). In diesem architektonisch durchaus gelungenen Gebäude befinden sich etwa 80 für Einkaufszentren typische Geschäfte und Restaurants. Ab und zu werden dort auch Veranstaltungen und kleine Ausstellungen geboten. Wer nicht unbedingt auf die typische »Shopping Mall-Atmosphäre« steht, schaut lieber beim m*shi und dem Stoffwechsel (12) in der Johannisstraße vorbei. Dort gibt es Klamotten angesagter Labels für trendbewusste Käufer. Im fatplastics recordstore (13) werden Liebhaber des »Schwarzen Goldes« garantiert der Versuchung erliegen. Denn in diesem kleinen, aber feinen Plattenladen warten liebevoll ausgewählte Perlen aus House, Techno, Drum’n’bass, Electronica, NuJazz, usw. auf ihre Rathaus, Altstadt-Ensemble – Markt mittelalterliche Stadtmauer, Johannistor, Pulverturm – Johannisstraße Schillers Gartenhaus – Schillergässchen 2 Botanischer Garten mit GoetheGedenkstätte – Fürstengraben 26 Planetarium – Am Planetarium 5 Käufer. Dort kann man auch die Veröffentlichungen der hauseigenen Plattenlabels »Freude am Tanzen« und »Musik Krause« erstehen. Mit experimentellen Grooves, humorvollen Samples und abgefahrenen Instrumenten überraschen sie immer wieder die geneigten Hörer. Sündhaft gutes Nachtleben Am frühen Abend lohnt sich der Besuch einer Aufführung des Jugendtheaterclubs im Theaterhaus Jena (15). Alle Stücke der Spielzeit stehen unter dem Motto »Alles aus Liebe«: Sie setzen sich mit Utopien der Vergangenheit auseinander, wagen aber auch einen visionären Blick in die Zukunft. Danach geht es ins Uma Carlson (14), um bei einem Cocktail in lässiger Strand-Atmosphäre den Sternenhimmel zu beobachten, auszuruhen und dann richtig ins Nachtleben zu starten. Wie wäre es mit einem alternativen Punkrock-Konzert im ältesten Studentenclub der Stadt – dem Rosenkeller (16)? Oder doch vielleicht eher ein Club-Abend im Jena Tourist-Information Johannisstraße 23 Mo – Fr Sa So April – Okt Nov – März 9.30 – 19.00 Uhr 9.30 – 19.00 Uhr 9.30 – 16.00 Uhr 9.30 – 14.00 Uhr 10.00 – 15.00 Uhr Telefon E-Mail + 49 (0 )36 41-49 80 50 [email protected] JenTower – Leutragraben 1 Campus Friedrich-Schiller-Universität – Ernst-Abbe-Platz Infos im Internet: Wagnergasse www.jena.de Paradies www.planetarium-jena.de www.imaginata.de Imaginata – Löbstedter Straße 67 www.wagnerverein-jena.de Goethe-Galerie – Goethestraße 3b www.uni-jena.de www.theaterhaus-jena.de m*shi und Stoffwechsel – Johannisstraße www.fatplastics.com fatplastics recordstore – Schillergässchen 5 www.rosenkeller.org Uma Carlson – Leutragraben 1 www.uma-carlson.com www.ogs-club.de Theaterhaus Jena – Schillergässchen 1 www.kassablanca.de Rosenkeller – Johannisstraße 13 www.freude-am-tanzen.de OGS – Löbstedter Straße 49 Kassablanca – Felsenkellerstraße 13a www.musikkrause.de links oben: Kassablanca, links mitte: Krause Duo, links unten: Graffiti, rechts oben: Wagnergasse, rechts unten: Rosenkeller * »Jena Paradies« ( jeden Mittwoch 20 Uhr, Capitol ) Ein sympathischer Film über die alltägliche Suche nach dem Glück. www.jenaparadies.de Überwiegend D: Selbstverliebtes Crashtest-Dummy Geben Sie sich keiner Illusion hin. Auch wenn Sie mit Vollgas durch den Alltag brettern, in Flensburg punkten und nur noch 6 Sprachkurse von Ihrer Weltreise entfernt sind: Hinter Ihrem bemühten Aktionismus steckt eine ausgewachsene narzisstische Störung! Tricksen Sie sich selber aus und bestellen Sie ein Pizza-Taxi. Das entlastet ungemein. Mein Namenstag Wachgeküsst Schmetterlinge im Bauch Sprung aus den Federn Die Welt geht ohne mich unter Heißes Outfit Styling perfekt Nur Sekt – kein Frühstück! Auf in den Supermarkt! Treffe Ex an der Fleischtheke Weltreise buchen 5 Einladungen, 1 Blind-Date Mittagessen im Bistro Über die Börse reden Joggen im Park Radarfalle Sauna Sprachkurs Finnisch Tagliatelle beim Italiener Dancefloor Falle jedem in die Arme Überwiegend B: Sinnsuchender Sperrsitzer Jaja, schon gut! Das Leben zieht trüb an Ihnen vorüber! Heißer Tipp: Betrachten Sie es aus einem anderen Blickwinkel! Von der Loge aus erkennen Sie viel deutlicher, wie traurig der Film, in dem sie gerade stecken, wirklich ist. Happy End in Sicht, wenn Sie anstelle Ihrer Guppys ab sofort die Enten im Park füttern! D Überwiegend C: Devoter Schnäppchenjäger Sie sind auf dem richtigen Weg. Pril-Blumen an den Kacheln ergänzen Ihren zweckoptimistisch zusammengewürfelten Tagesablauf. Verscherbeln Sie die Trostpreise bei ebay und kaufen Sie sich ein Reihenhaus in der Lindenstraße. Muss ja nicht gerade bei den Beimers sein! Letzter Urlaubstag Glockengeläut Krampf im Nacken Körnerkissen unterlegen Augen zu und Schlummertaste Aufwärmtraining Gewicht konstant Cholesterinspiegel zu hoch Werbung im Fernsehen Finde andere Einkaufsliste Stadtbummel 3 Verabredungen, 3 Absagen Picknick im Garten Übers Wetter reden Hallenbad 20 Minuten im Stau Gitarrenstunde Trostpreis bei Tombola Pizza-Taxi Mitternachtsflohmarkt Falle unangenehm auf Besondere Tipps: Überwiegend A: Übermüdeter Überlebenskünstler Ihr Tagesplan strotzt vor gähnender Leere und Banalität. Nutzen Sie die Pausen dazwischen für ein klärendes Selbstgespräch und stimulieren Sie Ihren Kreativitätsnerv! Wie wär‘s mit einem Workshop »Schwarzmalerei für Fortgeschrittene«? Übrigens: Saure Milch ergibt ‘nen prima Joghurt! Verregneter Sonntag Defekter Wecker Restalkohol im Blut Gerade erst heimgekehrt Augen zu und durch Kalte Dusche Eine Falte mehr Frühstücksei zu hart Werbung im Radio Verliere Einkaufsliste Hausputz 2 ungebetene Gäste 5 Minuten Terrine im Büro Fische füttern Mit Fischen reden Marmorkuchen backen Autowaschanlage Kino in der ersten Reihe Tiefkühlbaguette Sudoku auf der Couch Falle in Tiefschlaf C * Cellu l‘art (20. – 24.4.2007, diverse Locations) Die 8. Jenaer Kurzfilmtage mit Filmvorührungen, Workshops, einem OpenAirFestival und vielem mehr; Länderschwerpunkt ist dieses Jahr Australien. www.cellulart.de Tristometer Freitag der 13. Bauarbeiten im Erdgeschoss Albtraum im Hinterkopf Feder springt aus Matratze Was muss, das muss! Schüttelfrost 34 Haare weniger Frühstücksei zu weich Werbung im Briefkasten Storno an der Kasse Wohnungssuche Einen Anruf erhalten, verwählt Saure Milch im Kühlschrank Knopf annähen Mahnbescheid Nachbarin klingelt Über Krankheiten reden Computervirus Dosen-Ravioli vom Vortag DVD und Salzbrezeln Verfalle in Selbstmitleid B * KulturArena (5.7. – 19.8.2007, Theatervorplatz) Ein siebenwöchiges OpenAirFestival mit Konzerten nationaler und internationaler Künstler, Theaterauführungen, Kinderprogramm, etc. www.kulturarena.de Testen Sie die Grenzgänge Ihres Alltags. Finden Sie Ihre persönliche Grauzone. Einfach von links nach rechts das zutreffende Szenario abhaken und auszählen. Im Tristometer erfahren Sie die schonungslose Wahrheit. (or) A OGS (17)? Hier feiern schöne Menschen (und solche, die sich dafür halten) zu sexy House- und Black-Music. Aber der wohl bekannteste und auch beste Club in Jena ist das Kassablanca (18). Er befindet sich in einem ehemaligen Lokschuppen am Westbahnhof. Zum Komplex gehören auch zehn ausrangierte Eisenbahnwaggons, die jungen Graffitikünstlern zur Verfügung stehen. Das Kassablanca ist weithin berühmtberüchtigt für sein buntgemischtes Publikum und sein breitgefächertes Spektrum – von Konzerten, DJ-Abenden bis hin zu Kino-, Theater-, und Gesprächsabenden. Besonders empfehlenswert für Freunde der elektronischen Tanzmusik sind die »Schöne Freiheit«, die »Musik Krause Sause« und die »Freude am Tanzen-Partys«. Hier begeistern national und international bekannte DJs das Publikum. Es wird immer ausgelassen getanzt und meist bis in den frühen Morgen euphorisch gefeiert. Ein großartiger Abschluss für einen gelungenen Tag mitten im Thüringer Paradies. (de) Pessimistencheck: Der große Grauzonentest City-Guide Jena | Grauzonentest Seite 15 Seite 16 Banksy | Telenovelas | Roman Sintflut des Sinnfreien zeitung. Ist es das »Märchenschema«, das die fantasielose Kost den unterhaltsamen dahinter steckt? Geht es um die Erlösung und gut gemachten Serien vorzieht? Veraus der Realität: Graue Maus findet ihr mutlich legen die Produzenten keinen Wert Glück bei wohlhabendem Mann? Erträumen darauf, nur einen Hauch von Bildungsaufsich die vielen ZuschauerInnen tatsächlich trag wahrzunehmen. Die wahrscheinliche ein solches Schicksal? Antwort ist, dass es um Geld geht. Denn da wo Zuschauer sind, sind auch WerbekonsuMan muss es wohl als Tatsache hinneh- menten. Und die findet man bei denen, die men, dass bei diesen Formaten eigenstän- viel Zeit haben: Arbeitslose und Menschen, diges Denken und Fantasie nicht gefordert denen mangels finanzieller Möglichsind. Gemäß einer Studie von TNS Emnid keiten nicht viele andere Wege zur ist das Bildungsniveau der Zu- Unterhaltung bleiben. Langfrisschauerschaft von Novelas tig wird diese Rechnung aber wie »Verliebt in Berlin« eher nicht aufgehen. Denn irgering und kritisches Denken gendwann geht es nicht ist ihnen fremd. Bestätigt mehr dümmer. Und dann Natürlich kann ich umschalten, aber: sich hier das von mir schon ist niemand mehr da, der Was finden die Menschen an diesen Telang gehegte Klischee, dass die noch zusehen will. Ich lenovelas eigentlich so interessant und Zielgruppen dieser Sendeformate wirklich schalte für heute jeumwerfend? Die Attraktivität kann jeden- stupide zu sein scheinen und nur seichte denfalls erst einmal falls nicht von den talentfreien Schauspie- Unterhaltung wünschen? Bin ich wirklich ganz ab! (sh) lern ausgehen. Auch nicht von den unecht ein solcher Rassist? wirkenden Kulissen oder den platten Drehbüchern. Komisch ist auch, dass auf selt- Wie es scheint, haben Telenovelas ihren same Weise überwiegend Frauen (und Platz im »Unterschichtenfernsehen« schnell auch männliche Homosexuelle) jeglichen und passend eingenommen. Doch warum Alters davon hypnotisiert werden. Sie alle produzieren die verantwortlichen Sender verschlingen diese Serien jeden Tag mit überhaupt solche Formate? Arbeitet man mehr Interesse als die morgendliche Tages- vielleicht sogar damit, dass die Zielgruppe efühlte Folge Nummer 3.251: Das Finale von »Verliebt in Berlin«. Lisa Plenske, die mäßig attraktive Frau von Nebenan, findet endlich ihren Traummann. Genervt zappe ich weg und muss feststellen, dass auf den meisten anderen Sendern auch nichts anderes läuft: Telenovelas und kein Ende. Warum nur? Woher die plötzliche Flut dieser »billigen« Serien ohne Anspruch? War es nicht schon mehr als genug, dass die lästigen Soap-Operas unsere Sehnerven penetrierten? Und muss ich mich jetzt von dieser Mutation einer noch schlimmeren Stupidität foltern lassen? G »Don‘t hate the players, hate the game« Triste Häuserwände, Mauern und Brücken in London, Barcelona, New York und zahllosen weiteren Metropolen dieser Welt wurden schon mit den Schablonengraffiti des wahrscheinlich berühmtesten britischen Streetart-Künstlers verziert. Der Mann, der sich Banksy nennt, verändert bekannte und gelernte Bilder und gibt so eine kritische Sicht auf politische und gesellschaftliche Themen. Einer breiten Masse wurde er allerdings erst durch seine aufsehenerregenden und oft umstrittenen Aktionen und Installationen bekannt. So hängt er seine Werke auch schon mal ungefragt in weltberühmten Museen auf, wie dem Louvre oder dem New Yorker Museum of Modern Art. Die Website von Banksy ist auf jeden Fall sehenswert, denn sie gibt einen Überblick über seine vielfältigen Graffiti- und Leinwandarbeiten. Kurze Filme und Zeitungsausschnitte zu seinen Aktionen ergänzen das Portfolio. Als kleines Extra können im sogenannten »shop« einige bekannte Werke kostenlos zur freien Verwendung heruntergeladen werden. (de) www.banksy.co.uk/menu.html Das fein gesponnene Netz Ein Triviavantgarde-Roman über Computer, Lügen und die Kreisstadt. (st) Impressum Herausgeber Chefredakteur Redaktion Verbreitung Druck n-coding Designlabor | Volker Elsen Volker Elsen (ve) Daniela Elflein (de), Stephan Hilpert (sh), Oliver Rach (or), Stephan Tyziak (st) 2. Quartal 2007 Industrie- und Werbedruck, Herford Credits Rechtl. Hinweise Foto »Garden State« (S.2): Buena Vista Home Entertainment. Wir danken Axel Struwe und »Miner’s Coffee« für die Überlassung der Fotos. Alle Artworks und sonstige Fotos: n-coding Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung von n-coding. Für unverlangt einge- sandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. V.i.S.d.P.: Volker Elsen Adresse n-coding Designlabor Schildern 15 33098 Paderborn Tel.: 05251-184747 E-Mail: [email protected] Internet: www.n-coding.com