Zug der Zeit - Siemens Mobility
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Zug der Zeit - Siemens Mobility
como Complete mobility – Fakten, Trends, Stories Ausgabe 05 | September 2010 | www.siemens.com/mobility Zug der Zeit Wie die Mobilität von morgen Gestalt annimmt S 2 welcome como 05 | September 2010 Liebe Leserin, lieber Leser, „ zweifellos liegen schnelle Bahnen weltweit im Trend. Vorhandene Schnellfahrstrecken in Europa, von Spanien über Frankreich und Deutschland bis in die russische Republik, werden zügig ausgebaut. China durchzieht das riesige Land mit tausende Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecken und legt dabei ein atemberaubendes Tempo vor. Und sogar die USA – einst das Land der luxuriösen Pullman-Reisezüge, seit gut einem halben Jahrhundert jedoch als Nation der Autofahrer und Flieger bekannt – sollen künftig ein Netz leistungsstarker Schnellfahrstrecken zwischen den wichtigen Metropolregionen bekommen. Massive Investitionen sind nötig, die Infrastruktur auszubauen oder neu aufzubauen – doch genau hier liegen auch gewaltige Chancen. Eine aktuelle Wirtschaftsstudie aus den USA zeigt, dass sich gezielte Investitionen in Hochgeschwindigkeitsverbindungen schon nach wenigen Jahren rechnen, profitabel werden und neues Wachstum in den verbundenen Regionen schaffen. Es versteht sich von selbst, dass mit dem Reisen bei Hochgeschwindigkeit auf der Schiene große Erwartungen an Reisezeit, Sicherheit und Komfort bei den Passagieren geweckt werden. Die neue Velaro-Plattform, die wir Ihnen in diesem Heft vorstellen, wird diese Erwartungen in höchstem Maße erfüllen. Die seit fast zwei Jahrzehnten in Betrieb befindlichen ICE Generationen der Deutschen Bahn bildeten den Ausgangspunkt für den Velaro, der seit 2002 als eigenständiges Produkt von Siemens entwickelt, gebaut und in Verkehr ge bracht wird. Auch die Raumkonzeption und die de Die neue Velaro-Plattform setzt neue Maßsignerische Gestaltung des stäbe in puncto Flexibilität, Energieeffizienz neues ten Velaro stammen aus dem eigenen Haus. und Zuverlässigkeit – ideale VoraussetzunDie ersten Velaro-Genegen für wirtschaftlichen Betrieb auf allen rationen befördern seit Jahren höchst zuverlässig in internationalen Schienennetzen. Spanien, China und Russland Millionen von Fahrgäs ten jährlich. Mit der neuesten Generation auf Basis der Velaro-Plattform werden ab 2011 Fahrgäste durch Deutschland, Frankreich und Belgien reisen. Und neue Strecken werden zügig folgen. Wir bei Siemens sind froh, dass wir die Entwicklung zum schnellen, komfortablen und umweltverträglichen Reisen aktiv unterstützen können. Denn mit unserem umfassenden Portfolio können wir alle wesentlichen Aspekte des modernen Hochgeschwindigkeitsverkehrs auf der Schiene abdecken: von Finan zierungskonzepten über die Stromerzeugung und -versorgung, Bahnautomatisierung und Servicekonzepte bis hin zu Fahrzeugen, die in Technik, Komfort und Zuverlässigkeit neue Standards setzen. Mehr zum Thema Hochgeschwindigkeit erfahren Sie in dieser Ausgabe von como. Ich wünsche Ihnen spannende Lektüre. Edzard Lübben Vice-President High-Speed and Intercity bei Siemens Mobility 4 Inhalt horizon 32 4Auf Heller und Pfennig ie Fahrzeugmaut für alle könnte schneller D kommen als gedacht. Die richtige Technik steht schon bereit. 8Schneller in die Zukunft In den USA, dem Land der Autofahrer und Vielflieger, gewinnt die Bahn wieder an Tempo. Das bringt allen Vorteile. move 8 32Tram nach Maß mweltfreundlich, komfortabel und flexibel – U die neue 100-Prozent-Niederflurstraßenbahn Avenio setzt Maßstäbe. connect 36Es werde Grün! ie Grüne Welle wird intelligent: Eine netzD adaptive Lichtsignalsteuerung hält in Münster den Verkehr im Fluss. focus 14Generation Zu(g)kunft ereit für Tempo 300: Mit dem Velaro D B startet die neue Generation des schnellsten Serien-Triebzuges der Welt. 18Reise-Visionen Die Gedanken sind frei, wenn Designer ihre Visionen zum Reisezug der Zukunft entwickeln. 28„Die Marke sichtbar machen“ ie bekommt Mobilität ein Gesicht? Designer W Niko von Saurma über aktuelle Trends und die neue Siemens-Metroplattform Inspiro. 14 4 horizon como 05 | September 2010 Auf Heller como 05 | September 2010 horizon 5 und Pfennig Der Staat ist klamm, doch neue Straßen und Wege kosten Geld. Eine umfassende Fahrzeugmaut könnte die Lösung bringen. An der Technik, so viel ist klar, soll es jedenfalls nicht scheitern. D as Thema Straßenmaut kann Nationen entzweien: Erst vor wenigen Monaten legte die Regierung der Niederlande nach massivem Bürgerprotest das weit fortgeschrittene Projekt einer komplexen, flächendeckenden Straßenmaut für unbestimmte Zeit auf Eis. Dabei dürfte angesichts leerer Staatskassen in vielen Ländern, darüber sind sich Verkehrsforscher und Steuerexperten längst einig, an einer flächendeckenden Straßenbenutzungsabgabe für alle Fahrzeuge bald kein Weg mehr vorbeiführen. Wie aber lässt sich eine solche Abgabe fair und sinnvoll berechnen – und welches System bietet für die Zukunft die besten Optionen? Die in Ländern wie Österreich, Slowenien und der Schweiz etablierte Vignetten-Lösung zum Beispiel benötigt keine eigene Infrastruktur und sichert dennoch regelmäßige Staatseinnahmen: Bei diesem Pre-Paid-Verfahren erhält der Fahrer gegen Zahlung eines Pauschalbetrags die Erlaubnis, für eine gewisse Zeit bestimmte Straßen benutzen zu dürfen – die Vignette an der Frontscheibe dient als visuelle Quittung. Effektive Kontrollen gegen Mautsünder sind freilich kostenlos nicht zu haben. So installierte Siemens zur elektronischen MautKontrolle in der Londoner Umweltzone ein Videokamera-System, das die Nummernschilder vorbeifahrender Autos erfasst, die Informationen via Datenkabel zeitnah an eine Datenbank übermittelt und prüft, ob der Fahrer die obligatorische „Congestion Charge“ bezahlt hat. Eine solche Pre-Paid-Lösung kann durch gezielte Tarifabstufungen je nach Fahrzeuggewicht oder Schadstoffausstoß auch bestimmte ökologische und ökonomische Anforderungen erfüllen – schließlich belasten der elektrische Stadtflitzer, die Hybrid-Limousine und der 40-Tonnen-Lkw Straßen und Umwelt in höchst unterschiedlichem Maße. Allerdings sind Vielfahrer stets im Vorteil: Bei einer Pauschale spielt es schließlich keine Rolle, wie lang die Strecke ist, die mit dem Fahrzeug innerhalb des definierten Raum- und Zeitrahmens gefahren wird. DSRC-Systeme: Kurze Reichweiten Anders bei Mautsystemen, die den fälligen Betrag entfernungsabhängig direkt vor Ort erfassen. So werden in Österreich und der Tschechischen Republik auf Autobahnen und Schnellstraßen Lkw-Mautsysteme in Mikrowellen-Technologie betrieben, die mit Mikrowellen-Transpondern, kurz DSRC (Dedicated Short Range Communication) arbeiten. Diese Transponder sind an quer über die Fahrbahnen reichenden Mautportalen installiert, mautpflichtige Fahrzeuge erhalten eine entsprechende On-Board-Unit (OBU), die mit den Mikrowellensendern kommuniziert. Auch das eine Methode mit Licht und Schatten, erklärt Christoph Wondracek, bei Siemens Mobility in Österreich für globale Mautprojekte zuständig: „Mikrowellen-Systeme mit ihren kurzen Reichwei ten lassen sich vor allem dort sinnvoll einsetzen, wo man ein exakt definiertes Straßennetz, Brücken, Tunnels oder einzelne Autobahnabschnitte privater Konzessionäre mit wenigen Zufahrten abdecken will“, sagt Wondracek. Seit Jahren bewähren sich infrastrukturbasierte Mautsysteme von Siemens beispielsweise an der Brenner-Autobahn, der Arlberg- und der Felbertauernstraße. „Bei landesweiten Projekten mit dem Ziel einer generellen Straßenbenutzungsabgabe allerdings wäre der Aufwand für die technische Infrastruktur enorm hoch“, so Wondracek. Denn: Für jeden Streckenabschnitt, der mautpflichtig werden soll, müssen neue Kabelverbindungen verlegt, Mautbrücken aufgebaut und Transponder montiert werden – und jede künftige Straßenverbreiterung zieht automatisch den teuren Umbau der Mauttechnik nach sich. Christoph Wondracek, Siemens Mobility, Mautsysteme 6 horizon como 05 | September 2010 Dagegen kommen satellitengestützte Verfahren wie das von TollCollect betriebene Lkw-Mautsystem in Deutschland, bei dem die Position der einzelnen Fahrzeuge über ein globales Satellitennavigationssystem (GNSS) ermittelt wird, prinzipiell ohne stationäre Infrastruktur zur Mauterhebung aus – die Infrarot-Mautbrücken an deutschen Autobah nen übernehmen nur Kontrollfunktionen. „Bei Satellitensystemen steckt viel technische Intelligenz in der On-Board-Unit des Fahrzeugs“, weiß Projektexperte Christoph Wondracek. „Die OBU bestimmt die Position des Fahrzeugs mithilfe der GNSS-Daten und vergleicht sie mit den intern gespeicherten Geodaten. Dann ermittelt das Gerät selbstständig, ob eine Fahrstrecke mautpflichtig ist, errechnet während der Fahrt die Gebühren und übermittelt diese Information per Mobilfunk verschlüsselt in ein Rechenzentrum.“ Dass sich mit GNSS-Systemen nicht nur einzelne Straßenabschnitte sondern ganze Regionen bedienen lassen, ist schon länger klar. Im Jahr 2005 erfassten die Siemens-Ingenieure bei einem großen Modellversuch rund um Seattle, im Nordwesten der USA, mit dieser Technik über 400 Fahrzeuge auf mehr als über 5.500 Straßenkilometern in 6.000 Mautabschnitten – die weltweit erste Flächenmaut- Anwendung. Das vielleicht interessanteste Ergebnis dieses Projekts war jedoch, dass sich das von Siemens entwickelte zentrale Managementsystem bei Änderungen der Gebührenstruktur oder Erwei terungen der Mautbereiche schon in der Testphase als höchst flexibel erwies. Für die Praxis bedeutet das: Bei Bedarf lassen sich Streckenabschnitte und Zufahrten in Ballungsgebieten mit gutem öffentlichem Verkehrsangebot während des Berufsverkehrs mit einer deutlich höheren Gebühr belegen – mit dem Ziel, den öffentlichen Verkehr für Pendler lohnender zu gestalten und Staus Satellitensysteme bieten alle technischen Möglichkeiten für wirklich faire Mautregelungen in Europa zu reduzieren. Autofahrer in schlecht versorgten ländlichen Regionen, die dringend auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, könnten dagegen den ganzen Tag über von sehr niedrigen Kilometerabgaben profitieren. Das Elegante an dieser Lösung: Will der Betreiber Mautbereich oder neue Tarife ändern, lässt sich das über Nacht per Software-Update erledigen. Und auch in Sachen Datenschutz kann dieses Verfahren punkten, weiß Wondracek: „Für eine Rechnungslegung müssen ja im Grunde nur Nutzerkennung, Zeitpunkt und Mautwert übertragen werden.“ como 05 | September 2010 horizon 7 sche Signatur ordnet die übertragenen Informationen eindeutig dem jeweiligen Nutzer zu. „Von ihrer technischen Auslegung her können die jetzt in der Slowakei eingesetzten SatellitenOBUs noch deutlich mehr leisten“, verrät Christoph Wondracek. „Sie lassen sich grenzüberschreitend auch mit anderen europäischen Mautsystemen nutzen – einschließlich der Mikrowellen-Varianten in Tschechien und Österreich. Ein Software-Update genügt.“ Selbst City-Maut-Projekte in den dicht be bauten Metropolen Europas sind problemlos in diese satellitengestützte Siemens-Lösung integrierbar – immerhin arbeitet das Mautsystem in der Slowakei schon heute mit einer Erfassungsgenauigkeit von 99,85 Prozent. Startet in naher Zukunft das europäische Galileo-Projekt mit 27 zusätzlichen Navigationssatelliten, können außerdem spezielle Telematik-Anwendungen etwa zur Erkennung von Gefahrguttransporten oder zum Auslösen eines Alarms bei Unfällen hinzu kommen. Christoph Wondracek ist sich deshalb sicher: „Satellitensysteme bieten alle technischen Möglichkeiten für wirklich faire Mautregelungen in Europa – die Technologien stehen bereit.“ Sie einzusetzen, ist freilich nicht die Aufgabe der Ingenieure, sondern der Politiker.P Satelliten-Lösungen: Praxisbewährt Die derzeit modernste Version eines solchen GNSSgestützten Verfahrens ist das seit Januar 2010 in der Slowakei betriebene SkyToll Mautsystem für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht, zu dem Siemens Mobility sowohl die On-Board-Units für die Fahrzeuge als auch die Erfassungssoftware geliefert hat. Das Besondere an diesem Projekt, das die bisherige Autobahnvignetten-Lösung ersetzt: Die elektronische Bemautung umfasst nicht nur Autobahnen, sondern landesweit ein Wegenetz von insgesamt 2.400 Kilometer Länge, zu dem auch Straßen zweiter Ordnung gehören. Dabei zeigte sich, wie einfach die Installation eines kompletten Mautsys tems sein kann: Nur einen Monat nach Auftragsvergabe testeten die Siemens-Ingenieure das gesamte System und legten dabei gut 19.000 Kilometer auf mehr als 7.500 Mautabschnitten zurück. Einfache Handhabung gehört auch zu den wesent lichen Eigenschaften der verwendeten On-BoardUnits: Sie lassen sich wie mobile Navigationsgeräte einfach an der Bordsteckdose mit Strom versorgen – feste Anschlüsse, beispielsweise eine Verbindung zum Tachometer, können entfallen. Dennoch sind in diesen leistungsstarken OBUs alle mautpflichtigen Straßenabschnitte als Geodaten gespeichert. Die Mauterkennungs-Software von Siemens steuert die sichere Kommunikation per GSM zum Zentralrechner der Abrechnungsstelle und übermittelt verschlüsselt die befahrenen Abschnitte, die Fahrzeugkategorie und den Zeitpunkt der Erkennung. Eine elektroni- Mautsysteme: Licht und Schatten •Vignette: Quittungssystem für vorab pauschal bezahlte Abgaben + Einfach, ohne technische Infrastruktur implementierbar – Kontrolle aufwendig – Verkehrslenkung kaum möglich –Vielfahrer werden bevorzugt, intermodale Mobilität benachteiligt •Videokontrolle: Videogestützte Erkennung für Zufahrtskontrolle und Mautüberwachung + Keine Vorrichtung im Fahrzeug nötig + Hohe Kennzeichen-Erkennungsrate – Stationäre Infrastruktur (Brücken, Kameras) nötig – Erfassung nur örtlich beschränkt möglich •Mikrowellen-Systeme: Erfassung und Mautberechnung auf kurze Distanz (DSRC) + Nutzungsabhängige Abrechnung möglich – Abschnittsbezogene, nicht leistungsbezogene Erfassung –Teure stationäre Infrastruktur (Brücken, Transponder, Fernkabel) – Hoher Aufwand bei Veränderungen •Satellitengestützte Systeme: Positionierung per Satellit, Mautberechnung im Fahrzeug + Flächendeckender Einsatz möglich + Keine stationäre Infrastruktur nötig + Strecken- und zeitgenaue Abrechnung, flexible Tarife + Flexibel anpassbar durch Software-Updates per Mobilfunk 8 horizon como 05 | September 2010 como 05 | September 2010 Schneller in die Zukunft Das Umdenken hat begonnen: In den USA, bekannt als Nation der Autofahrer und Vielflieger, sollen künftig Hochgeschwindigkeitszüge mit bis zu 350 km/h Metropolen und Regionen verbinden und Mobilität einfacher, komfortabler und umweltfreundlicher gestalten. Dass sie auch Wirtschaft und Tourismus beflügeln, belegt eine aktuelle Studie, die Siemens und die US Conference of Mayors als Interessenverband amerikanischer Städte in Auftrag gaben. D ie Bahn kommt wieder – und sie wird schneller: Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, Dorado der Autofahrer und Inlands-Flieger, findet das System Schiene zunehmend Sympathie bei Geschäftsreisenden, Pendlern und Touristen. Dafür gibt es eine Reihe guter Gründe. „Steigende Benzinpreise, ausgedünnte Flugpläne und Verspätungen im Flugverkehr, vor allem aber endlose Verkehrsstaus im Einzugsgebiet der Städte haben das Maß des Erträglichen überschritten“, weiß Stephen Robillard, als Leiter des Bereichs High Speed Rail bei Siemens Mobility in den USA profunder Kenner der Verkehrssituation. „Und die Menschen werden sich auch der Umwelt- und Ressourcen-Problematik stärker be wusst. Für die Zukunft erwartet Amerika für den Weg zur Arbeit und in der Freizeit sinnvolle Alternativen zu Auto und Flugzeug.“ Die Politik sucht Lösungen und hat dabei die erfolgreichen Beispiele der zahlreichen Schnellfahrstrecken in Europa und Asien im Blick. Die Idee an sich ist auch in den USA nicht neu: „Interurban“ genannte City-Verbindungen gab es schon um das Jahr 1900, die 1930er-Jahre waren die Zeit der schnellen Stromlinienzüge. Und manches heute aktuelle Hochgeschwindigkeitsprojekt stammt in seinen Grundzügen bereits aus den Neunzigern. Nun aber skizzierte Präsident Barack Obama am Anfang seiner Präsidentschaft ein schnelles Personenzugnetz für Geschwindigkeiten von 175 km/h und 350 km/h als Lösung für amerikanische Transport- und Umweltprobleme und verkündete im Januar 2010 konkret, acht Milliarden Dollar in dieses Vorhaben zu investieren. Welche möglichen wirtschaftlichen Effekte die Umsetzung solcher High-Speed-Szenarien in den kommenden 25 Jahren haben könnte, untersuchte nun eine Studie, die Siemens gemeinsam mit der U.S. Conference of Mayors, der mehr als 1.200 amerikanische Städte angehören, beim Bostoner Institut Economic Development Research Group (EDR) in Auftrag gegeben hatte. Für diese Studie wurden vier Stadtregionen unterschiedlicher Ausprägung und Größe gewählt, die typische Merkmale amerikanischer Metropolregionen aufweisen: Los Angeles als Kreativwerkstatt im äußersten Südwesten der USA, die Industrieregion um Chicago am Südwest ufer des Michigansees, Orlando im Herzen Floridas als heimliche „Touristen-Hauptstadt der USA“ und Albany, die Hauptstadt des Staates New York, gut 200 Kilometer nördlich von New York City am Hudson River gelegen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr in den kommenden Jahrzehnten einen wesentlichen Einfluss auf die positive ökonomische und soziale Entwicklung des Landes haben wird. Bis zum Jahr 2035 könnten High-Speed-Verbindungen allein in den Regionen Los Angeles, Chicago, Orlando und Albany bis zu 145.000 neue Arbeitsplätze generieren. Die Wirtschaft könnte insgesamt bis zu 19 Milliarden USDollar mehr Umsatz pro Jahr erzielen. Und gleichzeitig ließe sich der CO2-Ausstoß um bis zu 2,8 Millionen Tonnen pro Jahr senken. Zum Beispiel in Los Angeles. Die „Stadt der Engel“ selbst zählt rund vier Millionen Einwohner, die Metropolregion mit den umliegenden Bezirken horizon 9 10 horizon como 05 | September 2010 Orange, Riverside, San Bernhardino, San Diego, und Ventura knapp 13 Millionen. Der weitere Einzugsbereich der Metropole, der Greater Los Angeles Area gehört mit fast 18 Millionen Menschen zu den größten Ballungsräumen der Welt. Die wirtschaftliche Potenz dieser Region mit Nordamerikas größtem Containerhafen, der Film- und Unter haltungsi ndustrie, dem weltgrößten Standort für die Flugzeug- und Raumfahrtindustrie und zahlreichen anderen Hightech-Clustern ist enorm. Mehr als 7 Millionen Arbeitsplätze gibt es hier, und viele Be rufspendler sind täglich mehrere Stun den auf den Autobahnen unterwegs: Weil neun von zehn Beschäftigten mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren – eine Folge der traditionell weitläu figen, dispersen Besiedlungsstruktur –, steht Los Angeles in Sachen Kraftfahrzeugdichte weltweit an der Spitze. Obwohl die Autobahnen teilweise auf bis zu 15 Spuren ausgebaut sind, bleiben Staus und Smog als Folge des motorisierten Individualverkehrs Probleme ersten Ranges. Ausgehend von dieser Metropolregion, der Greater Los Angeles Area, sollen deshalb künftig mehr als 50 Hochgeschwindigkeitszüge täglich Sacramento und San Francisco im Norden von Los Angeles und Irvine sowie San Diego im Süden miteinander verbinden. Die Entfernungen zwischen diesen Städten sind zu groß für sinnvolle Autofahrten und zu klein für rentable Flugverbindungen, das neue Schienennetz füllt deshalb eine wichtige ökonomische Lücke in der Verkehrsinfrastruktur Kaliforniens. Und weil auf den Neubaustrecken Geschwindigkeiten bis 350 km/h erreicht werden sollen, dauert beispielsweise die Fahrt von Los Angeles ins mehr als 600 Straßenkilometer entfernte San Francisco nicht mehr sechs bis acht Autostunden, sondern nur noch 2 Stunden und 40 Minuten. Das könnte mehr als 5000 Pendler von der Straße locken, und diese Zahl ist, schätzt Stephen Robillard, keineswegs zu hoch gegriffen: „Kürzere Fahrzeiten zwischen Zuhause und Arbeitsplatz, dabei aber dennoch weit außerhalb der Großstädte wohnen zu können, ist zum wesentlichen Faktor bei der Wahl der Verkehrsmittel geworden.“ Die Studie erwartet für 2035 aber auch, dass rund 12,3 Millionen Fernreisende jährlich vom Flugzeug auf die schnelle Bahn umsteigen und mehr als 2 Millionen Touristen zusätzlich die Stadt besuchen. Davon profitiert das Gewerbe: Allein für Los Angeles liegt die Umsatzprognose bei bis zu 126 Millionen Dollar. Unter dem Strich gehen die Macher der Studie davon aus, dass im Einzugsgebiet der Bahnstrecke deutlich mehr als 50.000 neue Arbeitsplätze entstehen und das wirtschaftliche Potenzial weiter wächst. Das trifft in hohem Maße auch für Chicago zu. Die Wirtschaftsmetropole am südwestlichen Ufer des Michigansees im US-Bundesstaat Illinois hat rund 2,8 Millionen Einwohner und ist Zentrum einer ökonomisch enorm leistungsstarken Metropolregion mit rund 9,6 Millionen und der acht Bundesstaaten berührenden Region Great LakesMidwest mit fast 100 Millionen Menschen im Umkreis von rund 800 Kilometern um Chicago. Chicago ist Sitz der größten Warenterminbörse und der größten Rohstoff-, Futures- und Optionsbörse der USA und hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts große Bedeutung als Handelsstadt erlangt. Gefördert wird diese Entwicklung bis heute durch zahlreiche Wasserstraßen, die über die Großen Seen bis New York City und zum Atlantik und über den Mississippi bis zum Golf von Mexiko führen. Die Stadt ist zudem über sechs Interstate-Fernstraßen und ein verzweigtes Bahnfracht-Schienennetz angebunden und verfügt mit der internationalen Drehscheibe O’Hare International und dem Midway Airport über hoch frequentierte Flughäfen. Allein die Zahl von jährlich etwa 45 Millionen ChicagoBesuchern legt den Schluss nahe, dass schnellere como 05 | September 2010 Bahnverbindungen einen großen Teil des Reiseverkehrs übernehmen könnten. Würde das bestehende sternförmige Streckennetz für Geschwindigkeiten bis 180 km/h ertüchtigt und langfristig um drei Neubaustrecken für Tempo 350 nach St. Louis, Minneapolis und Detroit erweitert, wäre der Nutzen allein dieser drei neuen Schnellfahrstrecken imposant: Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass etwa doppelt so viele Reisende wie bisher die Bahn nehmen statt Flugzeug oder Auto – bis zu 9,6 Millionen Passagiere jährlich. Auslösen könnten diesen Boom die deutlich verkürzten Fahrzeiten bei insgesamt hohem Reisekomfort und vergleichweise günstigen Preisen. Durch diese Entwicklung, die Reisende direkt ins Herz der Stadt führt statt zu Airports an der Peripherie, dürften vorsichtig geschätzt allein in Chicago bis zu 10.000 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich entstehen. Ähnliches gilt für Orlando im Zentrum Floridas, etwa auf halber Strecke zwischen der Hauptstadt Tallahassee im Nordwesten des Bundesstaates und Miami im äußersten Südosten gelegen. Mit rund 230.000 Einwohnern gehört Orlando zu den eher kleinen Städten, und auch die vier Bezirke umfassende Region „Metro Orlando“ mit etwas mehr als 2 Millionen Bürgern erscheint nicht sehr groß. Allerdings ist die Zahl der Besucher und Pendler enorm hoch: Freizeitparks wie Walt Disney World oder die nahe „Space Coast“ mit dem Kennedy Space Center bei Cape Canaveral sind wahre Publikumsmagneten – die Tourismusbranche sichert allein in der Metropolregion mehr als 100.000 Jobs horizon 11 12 horizon como 05 | September 2010 Staus kosten amerikanische Pendler viel Zeit. Schienennetze dienen meist dem Güterverkehr, Reisezüge sind selten. Neue Hochgeschwindigkeitzüge sollen auch Touristenmagnete wie „Spaceship Earth“ in Orlando (rechts unten) besser anbinden. auch für geringer Qualifizierte. Dazu bieten Unternehmen der Forschung, Entwicklung und Produktion in den Bereichen Medizintechnik, Pharmazie und Biotechnologie sowie Technologieunternehmen wie Lockheed Martin mehr als 50.000 hochwertige Arbeitsplätze. Hier sollen zwei Hochgeschwindigkeitskorridore die Verkehrssituation nachhaltig verbessern: Zu nächst ist eine Ost-West-Verbindung von Orlando und dem International Airport ins rund 140 Kilometer entfernte Tampa vorgesehen, die auch Disney World direkt anbindet. In einer zweiten Phase soll die Strecke ostwärts weiter zum Atlantik und entlang der „Space Coast“ über Port Canaveral und West Palm Beach nach Süden bis ins dicht besiedelte Miami geführt werden. Damit wäre auch die „South Florida Metropolitan Area“, ein Ballungsraum mit über 2,2 Millionen Einwohnern, gut erreichbar. Die Fahrgastprognosen bis zum Jahr 2035 gehen von jährlich bis zu 7 Millionen Reisenden aus, rund 35 Prozent davon im Zubringerverkehr zum Flughafen Orlando. Analysen und Hochrechnungen im Rahmen der Studie ergeben, dass die schnelle, komfortable Bahnverbindung allein bei den ausländischen Besuchern dieser Region jährlich bis zu 118 Millionen Dollar Mehrausgaben generieren könnte – ein satter Zuwachs von 20 Prozent. Unter dem Strich prognostiziert die Studie im Umfeld der schnellen Schienenverbindungen jährlich knapp 3 Milliarden Dollar zusätzlichen Umsatz und mehr als 27.000 neue, gut bezahlte Jobs. Voraussetzung auch hier: eine gut angepasste Infrastruktur, die den reibungslosen Umstieg beispielsweise vom Flugzeug auf die Bahn ermöglicht und Reisende sicher und pünktlich weiter transportiert. „Die Menschen müssen leicht von einem Verkehrsmittel zum anderen wechseln können und sicher sein, guten Anschluss zu bekommen“, formuliert High-Speed-Experte Stephen Robillard. „Pünktlichkeit ist schließlich einer der größten Vorzüge der Schiene, das zeigen Bahnen überall auf der Welt. Ist die Infrastruktur in Schuss und wird der Betrieb ordentlich geführt, können 95 Prozent der Züge pünktlich sein.“ Wie essentiell der Zeitvorteil durch Hochgeschwindigkeitsverbindungen tatsächlich sein kann, zeigt das Beispiel von Albany, der 200 Kilometer nördlich von New York City gelegenen Hauptstadt des Bundesstaates New York. Als kleinste in dieser Studie untersuchte Kommune hat Albany selbst nur 94.000 Einwohner, in der Region allerdings leben 850.000, im weiteren Einzugsbereich bereits mehr als eine Million Menschen – mit raschem Zuwachs. Rund 20 Prozent der Arbeitsplätze sind Verwaltung und Dienstleistung zugerechnet, doch Hochtechnologie-Forschung und -Produktion im prosperieren den „Tech Valley“ besitzen starke Anziehungskraft. Und wenn erst das geplante Kongresszentrum von Albany eröffnet ist, werden allein hier etwa 250.000 Besucher jährlich erwartet. Derzeit bedient die staatliche Bahngesellschaft Amtrak drei verschiedene Bahnhöfe der Region mit bis zu 145 km/h schnellen Personenzügen. Aktuelle Planungen sehen nun beispielsweise für die Strecken Richtung New York City und Buffalo Fahrplanverdichtungen und den Betrieb mit 175 km/h vor. Die Studie kommt freilich zu dem Schluss, dass sich dadurch weder Passagierzahlen noch wirtschaftlicher Nutzen nennenswert steigern lassen: Erst wenn die Schnellfahrstrecken Tempo 350 erlauben und New York City in weniger als zwei Stunden erreicht werden kann, sind deutlich mehr Fahrgäste als heute zu erwarten – immerhin doppelt so viele. Denn der Blick auf vergleichbare Projekte vor allem in Europa zeigt: Nur wenn die Fahrzeiten mit den entsprechenden Flugzeiten konkurrieren können, steigen Reisende auf die Schiene um und lernen dann den gesteigerten Reisekomfort schätzen. como 05 | September 2010 horizon 13 „Amerika ist reif für die Schiene“ Die USA setzen auf Schienennetze mit Hochgeschwindigkeitszügen. Welche Hürden sind noch zu nehmen? Drei Fragen an Stephen Robillard, Leiter des Bereichs High-Speed Rail bei Siemens Mobility, USA. como: Die aktuelle Studie belegt, dass Hochgeschwindigkeitsbahnen reale Vorteile bringen. Wie sehen das die US-Bürger? Stephen Robillard: Die Akzeptanz wächst. Die Benzinpreise steigen ständig und schwächen die Finanzkraft jedes Einzelnen. Ver spätungen im Flugverkehr und endlose Schlangen vor den Sicherheitsschleusen bringen die Menschen zur Überzeugung, dass Fliegen nicht länger effizient ist. Die Airlines erkennen, dass sich kurze Distanzen immer weniger rechnen, und dünnen die Flugpläne aus. Das sind nur einige Gründe dafür, dass die Amerikaner den Schienenverkehr neu wahrnehmen. Die Regierung Obama unterstützt dies und stellt die Weichen, damit der Schienenverkehr eine ernsthafte Mobilitätsoption für die Bürger wird. Ich bin sicher, Amerika ist reif für die Schiene. „Komfort ist der Schlüssel dazu, die Menschen dauerhaft aus ihren Autos zu holen und für den Zug zu begeistern“, weiß Stephen Robillard. Nur hier kann man während der Reise in komfortablen Sesseln am Computer arbeiten, zwischendurch aufstehen und die Beine strecken, in den Speisewagen gehen und Telefonate führen. „Haben die Menschen diesen Service erst einmal kennen gelernt, merken sie schnell, wie viel komfortabler Bahnfahren ist und wie viel entspannender vor allem Geschäftsreisen sein können.“ So kommt die Studie zum Ergebnis, dass Hochgeschwindigkeitsverbindungen in allen vier untersuchten Regionen gleichermaßen wirtschaftliche Prosperität und Lebensqualität fördern wird: Ge schäftliche Möglichkeiten verbessern sich, mehr Jobs entstehen, die Löhne steigen und das Bruttosozialprodukt in der Region wächst an. Die Menschen in diesen Regionen können sich über kürzere Reisezeiten, sinkende Mobilitätskosten und das Schrumpfen der täglichen Verkehrsstaus freuen. Stephen Robillard: „Hochgeschwindigkeitsbahnen sind nun mal mehr als ein schnelles Transportmittel. Sie sind Wirtschaftsfaktor, Jobmotor – und Ausdruck einer neuen Mobilitätskultur in den USA.“P Eine Kurzfassung der Studie in englischer Sprache finden Sie unter: www.usmayors.org/highspeedrail como: Ist denn die Infrastruktur in den Metropolen dafür geeignet? Robillard: In der Tat sind die USA eine Nation der Autofahrer und Vielflieger, die Infrastrukturen der Städte sind ausschließlich auf den Straßenverkehr ausgerichtet. Allerdings ist ein intermodaler, ja multimodaler Zugang zur Bahn die Voraussetzung dafür, dass die Menschen statt des Autos den Zug nehmen. Dieser Umbau beginnt jetzt überall im Land, und die Planer haben ein hartes Stück Arbeit vor sich, wenn sie in Stadtzentren den Zu gang zur Schiene schaffen wollen. Unternehmen wie Siemens können die Projekte unterstützen, indem sie ihre langjährigen Erfahrungen aus anderen Ländern einbringen. como: In den Verkehrskorridoren, die für Hochgeschwindigkeitsbetrieb infrage kommen, gehört die Schieneninfrastruktur meist privaten Güter-Bahngesellschaften. Wie begeistert sind die von den High-Speed-Projekten? Robillard: Sie sind meist grundsätzlich bereit zu einem Mischbetrieb, wollen aber sichergehen, dass der Personenverkehr ihr Frachtgeschäft nicht beeinträchtigt. Mischbetrieb verringert die Investitionen in die Infrastruktur, beschleunigt die Umsetzung und sichert effizientes Planen. Und Deutschland ist das beste Beispiel dafür, dass man Strecken mit verschiedenen Zug gattungen – Nahverkehr, Intercity, Hochgeschwindigkeit und Gütertransport – befahren kann. Hier steht natürlich die Betriebssicherheit an erster Stelle, denn die Signalsysteme müssen auch bei Höchstgeschwindigkeit sicher arbeiten. Auch da helfen wir von Siemens mit unseren Kenntnissen, Erfahrungen und erprobten Lösungen gern weiter. 14 focus como 05 | September 2010 Generation Zugkunft como 05 | September 2010 Der Velaro D ist da – die neue Generation des schnellsten Serien-Triebzuges der Welt. Er kommt zur rechten Zeit: Wo immer mehr Menschen in Städten, Metropolregionen und urbanen Clustern zusammenleben, wächst die Notwendigkeit umweltfreundlicher und günstiger Mobilität. Weltweit entstehen neue Schnellfahrstrecken, die hunderte Kilometer entfernte Regionen miteinander verbinden. Weil damit zugleich die Anforderungen an Sicherheit, Komfort und Wirtschaftlichkeit der Bahnen wachsen, bringt Siemens Mobility jetzt eine innovative Hochgeschwindigkeitsplattform auf den Weg: Ab 2011 wird der Velaro D mit mehr als 300 km/h in Europa unterwegs sein. focus 15 16 focus como 05 | September 2010 Die Generationen im Blick: Vom ICE 3 über die Velaro-Versionen für Spanien, China und Russland (von links) M an muss schon genau hinsehen: Auf den ersten, flüchtigen Blick gleicht der neue Velaro D dem bekannten ICE 3 der Deutschen Bahn wie ein Ei dem anderen. Das geübte Auge freilich bemerkt die äußeren Veränderungen schnell: Verkleidungen an Drehgestellen und Wagenübergängen liegen dichter an, Bugnase und Kopf der Endwagen sind neu gestaltet. Und ab der Mitte der Endwagen erhebt sich ein durchgängiges Hochdach, das den Fahrwiderstand verringern und zusammen mit einigen anderen Optimierungen den Energieverbrauch und damit das CO2-Äquivalent des Velaro D deutlich senken wird. Auch der Innenraum ist neu konzipiert, modular und flexibel: Sitze, Gepäckregale oder Tische können einfach umgebaut werden und erlauben sehr schnelle Anpassungen an betriebliche Veränderungen. Der Velaro D ist ein sogenannter Triebzug, bei dem Antrieb und Technikmodule verteilt unter dem Boden angebracht sind. Die ersten Züge der neuen Velaro-Generation werden ab Dezember 2011 als Baureihe 407 der Deutschen Bahn in Betrieb gehen – wobei die Modellbezeichnung Velaro D leicht in die Irre führen kann: Die achtteiligen ICE 3-Züge der neuen Generation sind nicht nur für den Einsatz auf deutschen Strecken gedacht, sondern sollen als Vier-System-Züge im grenzüberschreiten den Verkehr zwischen Belgien, Deutschland und Frankreich eingesetzt werden. Die Premium-Gene des Velaro Mit einer Leistung von 8.000 Kilowatt, rund 11.000 Pferdestärken, werden die 200 Meter langen Züge mit bis zu 320 Kilometer pro Stunde unterwegs sein und in zwei Klassen und einem Bordrestaurant 460 komfortable Sitzplätze bieten. Sind also dies die Eigenschaften eines erfolgreichen Hochgeschwindigkeitszuges? „Soll ein solcher Premium-Zug am Markt bestehen können, muss er schon bestimmte Gene mitbringen“, sagt Martin Steuger, als früherer ICE-Projektleiter und jetziger Leiter der Velaro-Plattformentwicklung bei Siemens Mobility mit den verschiedenen Lastenheften bestens vertraut. „Dazu gehört zwingend eine hohe Transportkapazität, also eine möglichst hohe Zahl verfügbarer Sitzplätze bei attraktivem Reisekomfort.“ Mehr Sitzplätze können schließlich die Wirtschaftlichkeit der Reiseverbindung erhöhen – bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln. „Zunehmend wichtiger wird die Energieeffizienz, angefangen vom reinen Verbrauch bis zum komplexen Thema Green Mobility mit Faktoren wie Ressourcenverbrauch oder Recyclingfähigkeit“, weiß der Ingenieur. Der dritte wesentliche Punkt sei die Zuverlässigkeit der Systeme: „Diese Premium-Züge dürfen kaum Verspätungen verursachen und keinesfalls liegenbleiben – korrekte Wartung natürlich vorausgesetzt.“ Das senkt nicht nur die Servicekosten, es steigert die Kundenzufriedenheit – und es ist machbar: „Unser Velaro E beispielsweise, der für Spanien entwickelte Velaro der ersten Generation, fährt zwischen zwei technisch bedingten Verspätungen mindestens 800.000 Kilometer verspätungsfrei.“ Ein Neubeginn für Spanien Der Unterschied ist groß zwischen den bisher bekannten ICE-Zügen und dem Velaro, so sehr sie sich äußerlich auch ähneln. Denn hinter den Kulissen fand ein grundlegender Wandel statt: Wurden die früheren ICEs von einem internationalen Firmenkonsortium entwickelt, entschloss sich Siemens anlässlich einer Ausschreibung der spanischen Bahngesellschaft RENFE, mit einem Projekt namens Velaro eigene Wege zu gehen. Fast ein Neubeginn, sagt Martin Steuger heute: „Das Konzept musste komplett überarbeitet werden, weil neue Technische Spezifikationen für Inter focus como 05 | September 2010 Zug um Zug: So wirken Hochge schwindigkeitsverbindungen Faktor Zeit: Bei Entfernungen zwischen 100 und 800 Kilometer können Hochgeschwindigkeitszüge die Passagiere deutlich schneller ans Ziel bringen als Flugzeug und Auto, das zeigen Beispiele weltweit. So legt der Velaro E in Spanien die 625 Kilometer von Madrid nach Barcelona in weniger als 150 Minuten zurück – zu mehr als 99 Prozent pünktlich und mit überragendem Reisekomfort. Die Folge: Wählten früher nur knapp 12 Prozent aller Reisenden auf dieser Strecke die Bahn, sind es heute bereits mehr als die Hälfte. Faktor Umwelt: Elektrisch betriebene Züge schonen die Umwelt wie kein zweites Verkehrsmittel – der Velaro als verbrauchsoptimierter Triebzug kommt mit einem Äquivalent von nur 0,33 Liter Benzin pro Sitzplatz auf 100 Kilometer aus. Und im Vergleich zum Flugzeug emittiert der Velaro pro Person und Kilometer sogar bis zu 90 Prozent weniger CO2. Faktor Ökonomie: Forscher der Erasmus Universität Rotterdam fanden heraus, dass Hochgeschwindigkeitsverbindungen auch kleineren und mittelgroßen Städten mit ausbaufähiger Infrastruktur messbare wirtschaftliche Vorteile bringen können, sobald die Züge dort Station machen. In den USA beispielsweise verzeichnete Providence, die Hauptstadt von Rhode Island, einen spürbaren Aufschwung, seit der „Acela“-Express zwischen Boston und New York dort hält. Gleiches gilt für Metropol-Verbindungen wie Lyon–Paris, Ciudad Real–Madrid oder Köln–Frankfurt in Europa sowie die neuen Fern strecken in China. führt die Entwicklung zur neuen Velaro-Plattform. operabilität (TSI) und Brandschutznormen komplexere Anforderungen stellten. Und weil wir Elemente wie zum Beispiel den Restaurantwagen, die früher von Partnern verantwortet wurden, nun im eigenen Hause neu konstruierten.“ Auch die folgenden Versionen Velaro CN für China, wo die bis zu 350 km/h schnellen Züge seit der Sommerolympiade 2008 erfolgreich zwischen Peking und der Hafenstadt Tianjin pendeln, und Velaro RUS für Russland können ihrer spezifischen Besonderheiten wegen als eigenständige Fahrzeuggenerationen gelten. Beispielsweise erhielten beide Versionen breitere Wagenkästen, Velaro RUS außerdem Drehgestelle in russischer 1520-Millimeter-Breitspur sowie eine verstärkte Wärmeisolation und eine Reihe anderer Maßnahmen für winterliche Temperaturen bis minus 50°C. Steuger: „Das klappte so gut, dass wir uns entschieden haben, alle guten Erfahrungen aus diesen drei Projekten in einer eigenständigen, modularen Plattform zu versammeln.“ Die Idee zur Velaro-Plattformorganisation war geboren. „Wir begannen ohne konkrete Kundenanfrage oder Ausschreibung – also ohne Projektdruck – mit der Konzeption und stellten uns zunächst Grundsatzfragen“, berichtet der Ingenieur. „Was muss so ein Fahrzeug idealerweise haben, welche Kerneigenschaften können wir von den Vorgängern übernehmen und behutsam weiter entwickeln, um Funktionalität und Zuverlässigkeit möglichst hoch, die Kosten aber möglich niedrig zu halten? Und wie konzipieren wir eine Fortentwicklung? So hatten wir ein gutes Jahr Zeit, schlüssige Lösungen zu finden.“ (Lesen Sie weiter auf Seite 24) Entwicklung der Velaro-Familie ICE 1 ICE 2 Push-Pull Konzept – Evolution 1981 1991 1995 R e v o l u t i o n ICE 3 Velaro E Velaro CN Velaro RUS Velaro D 1. Generation 2. Generation 3. Generation 3. Generation 4. Generation Verteilte Traktion – Evolution 2001 2011 17 18 focus como 05 | September 2010 Reise-Visionen D ie Zukunft kommt früher als man denkt. Werte wandeln sich, alltägliche Gewohnheiten verändern sich in kürzester Zeit, denn Mobilität bedeutet uns mehr als der bloße Ortswechsel von A nach B. Wie also werden wir morgen reisen? Als sich Studierende der Fachhochschule Joanneum in Graz im Jahre 2007 mit Erscheinungsformen künftiger Hochgeschwindigkeitszüge auseinandersetzten, stand nicht nur der äußere Anschein der Schienenfahrzeuge zur Disposition, sondern auch Form und Funktion, Bedürfnisse und Wünsche der Reisenden. Die Gedanken sind frei bei diesen Kreativprojekten. So entstand beispielsweise die Idee zum Fernreisezug „Airient One“, in dessen spezialisierten Doppelstockwaggons die Reise selbst zum Ziel werden soll: Bar und Panoramadeck, die zur Liege wandelbare Bestuhlung und ein Restaurant mit „Running- Food-System“, inspiriert von modernen Sushi-Bars, dazu eine elektronische Bibliothek sowie Trainingsgeräte, Sauna und Duschen im Fitnessbereich machen Bahnreisen zum Genuss. Im Kinderwaggon mit Kletterburg, Rutschbahn und Puppentheater werden die kleinen Mitreisenden bespielt. Und ein Hotelwagen bietet großzügige Abteile mit Bettcouch und reichlich Komfort. Was auf den ersten Blick visionär erscheint, kann beim genaueren Hinsehen der erste Schritt zu einer neuen Lösung sein. Manche Idee entfaltet ihren be sonderen Reiz erst nach einiger Zeit und fließt eines Tages – mehr oder weniger verändert – in Technik und Formensprache eines realen Projekts ein. Auch Kreativ-Profis wie die Gestalter des Studios DesignworksUSA entwickeln so aus ungewöhnlichen Ideen innovative Konzepte – im Interview ab Seite 28 ist es nachzulesen.P Ideen für die Zukunft: Wird man im Hochgeschwindigkeitszug der Zukunft auch seinen Urlaub verbringen können? Mit der Konzeptidee „Diveria“ aus dem Jahre 2007 verließen die Studierenden der Grazer Fachhochschule Joanneum bekannte Wege. Sie schlagen vor, bestimmte Wagenmodule des wabenförmig strukturierten Doppelstockzuges für den Tourismus zu nutzen: Ausgebaut als Jugendherberge, Familienhotel oder Luxussuite, werden die Wagen am Urlaubsort in speziellen Wohnanlagen geparkt und am Ende des Aufenthalts wieder für die Rückfahrt genutzt. como 05 | September 2010 Schöner reisen: Studienprojekt „Sureot“. Gute Aussichten: Bahnfahrt mit Weitblick. Der Weg ist das Ziel: Event-Reisezug „Airient One“. DesignworksUSA: Ein Zug mit Gesicht. focus „Diveria“: Reisen und wohnen im Zug. Studio Digitalform: Ein Ausdruck höchster Dynamik. 23 24 focus como 05 | September 2010 Der Bug wurde komplett neu konstruiert (oben). Virtual Reality (links) hilft bei der Entwicklung. Das Antriebskonzept freilich hatte Bestand, der Velaro D ist ein reiner Triebzug. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Methoden, Passagiere auf der Schiene fortzubewegen. Die herkömmliche Pushand-Pull-Technik mit angetriebenen Lokomotiven und antriebslosen Waggons findet sich noch bei ICE 1 und ICE 2, die Triebköpfe an den Zugenden besitzen. Bei der Triebzug-Technologie dagegen, die seit Ende der 1990er Jahre beim ICE 3 und heute bei allen Generationen des Velaro angewendet wird, sind Antriebskomponenten und Technikmodule, also beispielsweise Fahrmotoren, Bordnetzversorgung und Transformatoren, verteilt unter dem gesamten Zug angebracht. Das bringt eine Menge Vorteile. Weil beim Velaro die Hälfte der Achsen angetrieben ist, kann der Zug aufgrund der besseren Antriebsverteilung schneller beschleunigen und steilere Streckenabschnit te befahren. Die gleichmäßige Gewichtsverteilung reduziert das Gewicht auf dem einzelnen Radsatz, was den Verschleiß insgesamt vermindert und sowohl die Schienen als auch die Räder des Zuges schont. Aus Sicht der Betreiber sprechen zudem handfeste wirtschaftliche Gründe für das Triebwagen-Konzept: Während Lokomotiven und Triebköpfe am Bahnsteig Platz beanspruchen, der somit nicht für zahlende Passagiere zur Verfügung steht, gibt es im Velaro bei gleicher Zuglänge rund 20 Prozent mehr Platz für Passagiere. Ein wesentlicher Punkt in den Überlegungen der Siemens Ingenieure war es, die gesamte Zugplattform optimal für den grenzüberschreitenden Verkehr auszustatten. „Die Mehrsystemfähigkeit galt als Grundanforderung“, so Plattformleiter Martin Steuger. Schließlich existieren auf dem europäischen Festland aus historischen Gründen vier ver- schiedene Fahrspannungssysteme, dazu etliche, meist nationale Zugsicherungssysteme. „Rüsten wir also einen Zug für vier verschiedene Bahnsysteme aus, kann der innerhalb Europas praktisch überall fahren. Zugleich kommen wir aber auch an die Grenzen des technologisch Sinnvollen: Bei der Traktionsausrüstung, der Integration unterschiedlicher Zugsicherungssysteme und dem Gesamtgewicht erreichen wir bei einem Viersystemzug die höchstmögliche Komplexität.“ So ist die Velaro Plattform von Anfang an als Viersystemzug konzipiert, „weil es deutlich einfacher ist, von der ViersystemPlattform bei Bedarf einen weniger komplexen Einoder Zweisystemzug abzuleiten. Weglassen ist in solchen Fällen nun mal einfacher als Aufrüsten.“ Mehr Flexibilität im Innenraum schafft das innovative Konzept der „leeren Röhre“. Um die Nutzfläche für den Passagierbereich optimal nutzen zu können, wurden zunächst alle Funktions elemente wie beispielsweise Schaltschränke, Abfallbehälter und rollstuhlgerechte Nassräume am Wagenende neben den Einstiegen konzentriert. Zwischen diesen raumoptimierten Funktionsbereichen entsteht nun bei Velaro-Mittelwagen ein rund 18 Meter langer leerer Raum, der komplett für Sitzbereiche und Serviceeinrichtungen verfügbar ist. Dazu entwickelten die Ingenieure verschiedene Module, die sich genau wie die Sitze an durchgängigen Befestigungschienen sehr einfach montieren, verschieben und umgruppieren lassen – zum Beispiel gläserne Trennwände für Ruhebereiche, flexible Gepäckablagen sowie Galley-Elemente und Trolley-Stellplätze für den Bordservice. Insgesamt steigt die Sitzplatzkapazität der Waggons und die Bahnbetreiber können bei verändertem Bedarf den modularen Innenraum einfach und schnell como 05 | September 2010 umgestalten. Der Velaro-Passagier kann davon ein Mehr an Reisekomfort erwarten. Eine Reihe anderer wesentlicher Neuerungen ist dagegen erst auf den zweiten Blick zu sehen. So kann der Kopf des Endwagens als das am meisten veränderte Bauteil gelten: Wurde der Bug des ICE 3 noch aus sehr aufwendig gebogenen und wärmebehandelten Strangpressprofilen aufgebaut, wird er beim Velaro D in Spantenbauweise errichtet, mit einem stählernen Crashmodul versehen und mit aufgeschweißten Aluminium-Formteilen beplankt. Martin Steuger: „Diese Struktur ist nicht nur kostengünstiger in der Fertigung, sie lässt sich nach einem Frontschaden viel einfacher reparieren.“ Deutlich niedrigere Instandhaltungskosten und höhere Zuverlässigkeit erwarten die Ingenieure werden“, erklärt Martin Steuger. „Man könnte fast sagen, Bugkupplungen sind Verschleißteile.“ Täglichem Verschleiß unterliegen auch Drehge stelle, Radsätze und Lager. Und so wurde das be währte, schon bei früheren Velaro-Generationen immer wieder verbesserte SF500-Drehgestell von Siemens weiter optimiert. Plattformleiter Steuger: „Die Wellen der angetriebenen Radsätze bestehen weiterhin aus konventionellem Stahl, wurden jedoch noch größer dimensioniert. Zudem haben die Radlager des Velaro D Platz für zusätzliche Sensoren, die kritische Zustände von Bauteilen melden können.“ Während bestimmte Sensoren, beispielsweise zur Temperaturüberwachung der Radsatzlager oder zur Stabilitätskontrolle, mittlerweile vom TSI-Regelwerk vorgeschrieben werden, sind beim Velaro zu Erprobungszwecken neuartige, zusätzliche Schwingungssensoren integriert, die den Zustand bestimmter Drehgestellbauteile überwachen. Steuger: „So lässt sich mit einigem Vorlauf bereits erkennen, wenn ein Bauelement ans Ende seiner Le bensdauer kommt. Das gibt einerseits mehr Sicherheit. Andererseits müssen die Bauteile tatsächlich erst dann gewechselt werden, wenn sie am Ende ihrer Lebensdauer angekommen sind, und nicht wie bisher prophylaktisch in starren Intervallen – auch das reduziert den Aufwand und spart bares Geld.“ Unter dem Strich konnten also die Ingenieure bei der neuen Hochgeschwindigkeitsplattform die Betriebs- und Wartungskosten Öffnen sich die Bugklappen horizontal, kommt die deutlich reduzieren. Doch auch die Kupplung ohne komplizierte Mechanik aus. Umweltbilanz, sozusagen der ökologische Radabdruck des Velaro D, fällt insgesamt positiv aus. Schon von Siemens auch von den neu gestalteten, hori- bei der Fertigung helfen niedriger Energieverzontal geteilten Bugklappen, hinter denen die brauch und der Einsatz umweltfreundlicher MateZugkupplungen verborgen sind. Durch das neue rialien dabei, wertvolle Rohstoffe zu schonen. Und Design sind zum Verbinden zweier Züge keine tele- im Betrieb sind Energieverbrauch und Emissionen skopierbaren Kupplungen mehr nötig – die bisher äußerst gering. Zum Beispiel werden statt der bisverwendeten komplizierten Mechanismen zum her mit Halogenlampen bestückten Scheinwerfer Ausfahren und Verriegeln mit komplexer Steue- normgerechte LED-Leuchten eingesetzt: Die stellen rung und Überwachungssensorik entfallen damit. nicht nur sicher, dass beim Ausfall einer LED nicht Das fördert nicht nur die Zuverlässigkeit der Vor- gleich der komplette Scheinwerfer dunkel bleibt. richtung. Zugleich sinken die Beschaffungskosten Sie weisen auch eine deutlich höhere Lebensdauer für Ersatzteile deutlich – und während der auf 30 auf, entwickeln weniger Abwärme und erzeugen Jahre angesetzten Lebensdauer eines Hochge- höhere Lichtströme. Energie und Kosten spart auch schwindigkeitstriebzuges fällt das durchaus ins das elektrische Bremssystem, das eine RückspeiGewicht: „Bei jedem Zusammenkuppeln von einige sung der Bremsenergie in das Netz erlaubt und hundert Tonnen schweren Zügen werden die auto- dank des Triebzugkonzepts mit verteilter Traktion matischen Kupplungen stark beansprucht und jeden angetriebenen Radsatz zur Rekuperation müssen deshalb von Zeit zu Zeit ausgetauscht nutzen kann. Überhaupt sorgt in der Velaro Platt- focus 25 26 focus como 05 | September 2010 Im Rausch der Geschwindigkeit: Die Ahnengalerie des Velaro D S chnellfahrversuche auf der Schiene gibt es, seit Eisenbahnen fahren. Am 6. Oktober 1903 aber schaffte ein von Siemens & Halske ausgestatteter elektrischer Versuchstriebwagen auf der damaligen Militär–Eisenbahnstrecke Marienfelde–Zossen– Jüterbog 203 km/h und erreichte damit erstmals den Geschwindigkeitsbereich heutiger Hochgeschwindigkeitszüge 1 . Auch Dampflokomotiven schafften Tempo 200, als erste die deutsche Schnellzuglokomotive 05 002 im Jahre 1936. Schon fünf Jahre zuvor war der von einem Flugmotor mit Propeller angetriebene „Schienenzeppelin“ von Franz Kruckenberg mit mehr als 230 km/h unterwegs gewesen – ein Rekord, der immerhin bis 1955 hielt: Am 28. März 1955 durchbrach die französische Lokomotive CC 7107 mit 326 km/h erstmals die 300-km/h-Marke. Am 1. Mai 1988 fuhr der Versuchszug ICE-V auf der Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg erstmals schneller als 400 km/h. Seit 16. Juli 2006 ist der Siemens Velaro E (AVE S03) mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 403,7 km/h der schnellste Serientriebzug ohne Modifikation, im Jahr darauf erreichte ein speziell präparierter TGV V150 die Marke von 574,79 km/h. Schneller waren bisher nur Magnetschwebebahnen: Seit 2003 hält die japanische Versuchsbahn JR-Maglev MX-101 mit 581 km/h den Rekord. Planmäßigen Schnellverkehr gab es schon im Deutschland der 1930er-Jahre, als bis zu 160 km/h schnelle Diesel- Fernschnelltriebwagen wie der „Fliegende Hamburger“ DRG 877 die Hauptstadt Berlin mit den wichtigen Stadtzentren verbanden 2 . Wenig später gingen drei elektrische ET 11-Schnelltriebwagen für 160 km/h in Betrieb – bereits mit Magnetschienenbremsen und verteiltem Antrieb ausgestattet und somit Urahnen heutiger ICE-3- und VelaroTriebzüge 3 . Der planmäßige moderne Hochgeschwindigkeitsverkehr begann 1964 in Japan auf der speziellen SchnellverkehrsTrasse des Tokaido-Shinkansen, mit 220 km/h Höchstgeschwindigkeit damals der schnellste Planzug der Welt 4 . In Europa fuhren deutsche InterCity-Züge seit 1971 planmäßig mit 200 km/h. Frankreich startete 1981 mit dem TGVBetrieb auf speziellen Hochgeschwindigkeitsstrecken 5 , und in Deutschland war ab 1991 der ICE 6 und zur Expo 2000 der ICE 3 als erster europäischer Hochgeschwindigkeit-Triebzug mit verteilter Traktion unterwegs. Seit 2000 erreicht der Acela-Express im Nordosten der USA immerhin Tempo 240. Die Strecke Madrid – Barcelona, gebaut für 350 km/h, wird seit 2007 von Velaro E Triebzügen befahren. Und in China kommt der Velaro CN (CRH 3) als „Beijing-Tianjin Express Train“ ebenso wie der „Harmony Express“ auf der 1000 Kilometer langen Schnellfahrstrecke zwischen Wuhan und Guangzhou auf 350 km/h Höchstgeschwindigkeit. 1 5 2 4 3 6 como 05 | September 2010 Das Konzept der „leeren Röhre“: Die komfortable Einrichtung lässt sich flexibel anpassen. Das durchgehende Hochdach, im Strömungskanal (oben rechts) getestet, verbessert die Aerodynamik. form eine Art „intelligenter Energiemanager“ dafür, dass alle Zugsysteme stets im optimalen Wirkungsgrad betrieben werden. Die Folge: Während die Deutsche Bahn derzeit im gesamten Fernverkehr, wo eine Zugauslastung von 40 Prozent die Regel ist, mit einem Äquivalent von 2,7 Litern Benzin pro Person rechnet, verbraucht ein komplett belegter Velaro-Plattformzug mit 500 Plätzen pro Sitzplatz nur umgerechnet 0,33 Liter Benzin auf 100 Kilometer – gerade mal den Inhalt einer Ge tränkedose. Hier spielt auch die verbesserte Aerodynamik eine große Rolle: Um den Energieverbrauch zu reduzieren, wurde das aerodynamische Verhalten durch Verkleidungen der Dachgeräte, Drehgestelle und Wagenübergänge mit einem zweistufig ansteigenden Hochdach optimiert: Es beginnt im hinteren Bereich eines Endwagens, verläuft über den ganzen Zug und taucht am gegenüberliegenden Endwagen wieder ab. „Die Idee dahinter war, alle Klimaanlagen und anderen Aggregate, die ja bei einem Mehrsystemzug zahlreich vorhanden sind, gemeinsam mit den Stromabnehmern zu verkleiden und damit die bisherige, zerklüftete Dachlandschaft zu vermeiden“, so Projektleiter Martin Steuger. „Unsere Untersuchungen im Strö- mungskanal haben nämlich gezeigt, dass eine durchgängig glatte Verkleidung signifikant Energie spart.“ Das Besondere dabei: Hätten die Ingenieure das Hochdach schon ab der Bugnase auf die volle Höhe gezogen, wäre die Frontfläche enorm groß und der Staudruck, der beispielsweise beim Einfahren in Tunnels entsteht, gewaltig. „Mit dem zweistufigen Anstieg aber bekommen wir einen relativ schlanken Kopf, der eine erste, geringere Druckwelle erzeugt“, argumentiert Steuger. Erst danach kommt der leichte Anstieg zum Hochdach mit einer zweiten, leichteren Druckwelle – der Luftdruck verteilt sich besser. Auch der sogenannte Sonic Boom, der oft explosionsartige Tunnelknall an der gegenüberliegenden Ausfahrt, kann sich dadurch abschwächen. „Vor allem bei Einfahrten in eingleisige Tunnelröhren mit ihrem geringen Durchmesser wird dies mit steigender Fahrgeschwindigkeit immer wichtiger.“ Klar ist: Jede einzelne dieser Innovationen, kombiniert mit den besten Eigenschaften der Vorgängergenerationen, steht beim Velaro D für zeitsparendes, wirtschaftliches und umweltfreundliches Reisen mit einem komfortablen Verkehrsmittel. Willkommen bei der Bahn!P focus 27 28 focus como 05 | September 2010 „Die Marke sichtbar machen“ Mobilität braucht ein Gesicht – und innovative Funktionen die passende Formensprache. Die neue MetroPlattform Inspiro beispielsweise, die Siemens Mobility zur InnoTrans 2010 in Berlin vorstellt, wurde von den Produktdesignern der BMW Group DesignworksUSA gestaltet. Niko von Saurma, Leiter des Studios in München, schildert im Gespräch Niko von Saurma mit como seine Sicht auf aktuelle Trends und Anforderungen beim Mobilitätsdesign und erläutert die Entwicklung des Designkonzeptes für den neuen Inspiro. Konzeptskizze für die SiemensDesignstrategie aus dem Jahr 2002 como 05 | September 2010 como: Seit geraumer Zeit entwickelt DesignworksUSA Konzepte und Designideen für Siemens. Sie selbst sind seit 1995 beim Unternehmen, zunächst in Kalifornien, dann ab 2006 als Leiter des neu eröffneten Studios in Singapur und seit November 2009 als Studioleiter München. Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Siemens in dieser Zeit beschreiben? Niko von Saurma: Tatsächlich erstreckt sich die Zusammenarbeit bereits über mehrere Jahrzehnte. Der Wert, den wir als kreative Designberatung für Siemens bereitstellen können, ergibt sich aus der speziellen Konstellation unseres Studios: Als internationale Tochterfirma der BMW Group arbeiten wir für die Marken des Mutterkonzerns, pflegen aber gleichzeitig einen großen Kundenkreis aus unterschiedlichen Branchen, darunter viele bekannte, internationale Mobilitätsanbieter. Unsere Designer arbeiten teilweise zeitgleich an Automobilen, Yachten, Flugzeugdesigns oder anderen mobilitätsbezogenen Projekten. Das verschafft uns einen umfassenden Blick auf das Thema Mobilität. ten, dabei alle Facetten moderner Mobilität einbeziehen und verantwortungsvolles Handeln in den Mittelpunkt stellen. como: Bedeutet das, dass sich diese zunehmende Vernetzung künftig auch auf die Gestaltung der Mobilitäts-Infrastruktur auswirkt, etwa an den Schnittstellen zwischen verschiedenen Verkehrssystemen? von Saurma: Diese Entwicklungen werden alle mobilitätsbezogenen Bereiche betreffen, also beispielsweise auch die Verweilangebote in den Städten und rund um den öffentlichen Nahverkehr. Für como: An welchen konkreten Siemens-Projekten hat DesignworksUSA in den vergangenen Jahren gearbeitet? von Saurma: Im Jahr 2002 wurden wir zum Beispiel von Siemens damit beauftragt, in einem umfassen den Konzept eine neue, zukunftsweisende Designstrategie für die Siemens-Zugflotte zu entwerfen. Die Studie sollte die Design-Potenziale für das Unternehmen bis ins Jahr 2015 aufzeigen und die Marke im Design sichtbar machen. Ziel war es damals, eine wiedererkennbare Design-Identität zu schaffen, die dem Unternehmen auf der Schiene ein Gesicht gibt und das Knowhow des Mobilitäts-Spezialisten Siemens in eine physische Sprache übersetzt – die gesamte Entwicklungskompetenz sollte im Zugdesign sichtbar gemacht werden. Wir fragten uns also, „Wie wird ein Zug zur Marke“ und „Wie wird ein Zug zu einem Siemens-Produkt“. como: Haben sich denn die Anforderungen an Mobilitätsprodukte generell verändert? von Saurma: Die Kundenorientierung ist mehr in den Vordergrund gerückt, das sehen wir auch aus der Designperspektive sehr deutlich. Wir konnten das im Automobilbereich schon früh beobachten und finden es zunehmend in vielen anderen mobilitätsbezogenen Bereichen und Branchen. Standardisierung mit Optionen für Individualisierung ist hier ein wichtiger Aspekt. Dabei geht es gleichermaßen um ästhetische Präferenzen, um funktionale Anforderungen und in rasant zunehmenden Maße auch um nachhaltige Lösungen. Zu den wichtigen Anforderungen zählt zum Beispiel immer stärker die Vernetzung von Diensten im Sinne einer kompletten Mobilitätslösung. Für uns bedeutet das, ganzheitliche Lösungen zu entwickeln, die einen greifbaren Nutzen für Kunden und Endkunden bie- Gestaltung bis ins Detail: Auch die Wahl der Materialien und Farbkombinationen entscheidet darüber, ob sich die Fahrgäste später wohlfühlen. die Städte wird es überlebensnotwendig werden, die Erlebnisqualität hier durch ansprechendes Design sowohl der Transportmittel als auch der angrenzenden Mobilitäts-Ausstattung zu erhöhen. Öffentliche Bereiche wie Wartezonen müssen mit positiven Emotionen aufgeladen werden, um die Lebensqualität der Menschen zu steigern und darüber hinaus Harmonie in den persönlichen Alltag, aber auch in das soziale Leben der Städte zu bringen. Innerstädtische Entwicklungsprojekte wie der Ausbau der Hamburger Hafencity demonstrieren auf beeindruckende Weise den großen Wert ästhetisch ansprechender und focus 29 30 focus como 05 | September 2010 komfortabler städtebaulicher Angebote. Die dazugehörigen Transportsysteme müssen sich hier natürlich mit entwickeln. como: Auch beim neuen Inspiro Metro-Konzept ging es also darum, den Spagat zwischen Standardisierung und Individualisierung zu schaffen? von Saurma: Mit der Forderung nach Individualisierbarkeit erhalten Aspekte wie Raumgefühl oder Variabilität eine immer stärkere Priorität. Beim Design für den neuen Inspiro, das aktuell zur InnoTrans 2010 vorgestellt wird, gehen wir auf diese Anforderungen ein, indem wir zum Beispiel Elemente, die sich der Individualisierbarkeit widmen, durch Designmittel deutlicher sichtbar machen. Wir zeigen also einen speziel len Nutzen über gestalterische Mittel. So entstanden für den Inspiro zwei Haltestangenkonzepte: Eines nennen wir „Virtual Conductor“, also Virtueller Zugbegleiter: Es ist ein Element, das, an zentraler Stelle platziert, gleichzeitig Halt und Informationen für die Passagiere be reitstellt. Diese Haltestange kann individuell bespielt werden. Ein weiteres Konzept, das wir „Light-Tree“ nennen, ist eine Analogie aus der Natur. Es spielt mit dem Bild eines verästelten Baumes und kann vom Betreiber nach Wunsch individualisiert werden. Zusätzlich bieten „LightTrees“ innovative funktionale Lösungen: Bei einer Vielzahl von Haltemöglichkeiten kann das Berühren fremder Hände vermieden werden, angenehme Oberflächentexturen sorgen für einen festen Griff und die Gerüststruktur ermöglicht angenehme Distanz zum Nachbarn. Weiterhin wird das Design der Haltestangen dafür sorgen, den Passagierfluss beim Einsteigen besser und schneller zu lenken, was wiederum positive Auswirkungen auf die Umlaufzeiten haben wird. como: Im Vordergrund steht dabei das Wohlbefinden der Fahrgäste? Im Fokus: BMW Group DesignworksUSA DesignworksUSA, Tochterunternehmen der BMW Group und weltweit tätiges Designstudio mit Schwerpunkten im Transportation- und Produktdesign sowie in der strategischen Designberatung, unterhält drei Standorte in Europa, Amerika und Asien. Präsident Laurenz Schaffer führt die Geschäfte vom Studio in Kalifornien aus. DesignworksUSA ist Impulsgeber für die Designstudios der drei Marken der BMW Group und agiert als Innovationsmotor für eine Vielzahl namhafter Kunden aus ITund Unterhaltungselektronik, der Flugzeugtechnik, den Bereichen Medizin, Umwelt, Lifestyle und Sport sowie anderen Branchen mit Kunden wie Hewlett Packard, Microsoft, Sennheiser, Puma und John Deere. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Fast Company“ zeichnete DesignworksUSA 2010 als „Most Innovative Company in Design“ und „eines der innovativsten Unternehmen 2010“ aus. www.designworksusa.com von Saurma: Menschen verbringen immer mehr Zeit in öffentlichen Transportmitteln, und der Wunsch nach privater Komfort-Atmosphäre ist eine Herausforderung an das Design. Dabei bewegt uns eine Vielzahl von Fragen: Wie nah und in welcher Anordnung zueinander wollen Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln stehen? Wie kann das Design über die Anordnung von Elementen im Waggon oder über die Fahrgast-Lenkung beim Eintritt in den Wagen auf diese Bedürfnisse eingehen? Wohin schauen Passagiere im Zug und wie können Designelemente dazu beitragen, Blicke so zu lenken, dass sich möglichst wenig Augenkontakt ergibt? como: Welche charakteristischen Eigenschaften haben Sie also dem Inspiro mitgegeben? von Saurma: Zu den wichtigsten Anforderungen von Siemens zählten nachhaltige Lösungen, eine am Betreiber orientierte Gesamtkonzeption und eben die Schaffung eines Wohlfühlangebotes für Passagiere. Ein zentrales Element beim Interieur ist das erwähnte Haltestangenkonzept „Light-Tree“. Es setzt den Anspruch an eine naturnahe Atmosphäre und funktionale Lösungen von allen Details am stärksten im Design um. „Light-Trees“ erinnern an eine Baumstruktur und verleihen dem naturnahen Charakter des Innenraumes starken Ausdruck. In seiner Ge samtheit schafft das Interior-Design eine na türliche, einladende Atmosphäre: mit warmen Farben und Materialien im Waggon und de zenten Lichtinseln, deren Stimmung anpassbar ist. All diese Elemente kennt man aus dem klassischen Lounge-Bereich, wir haben sie jetzt für den Inspiro neu interpretiert. Es ging uns darum, ein Gefühl von Leichtigkeit und Komfort und somit ein wenig natürliche Tagesatmosphäre in die Metro zu bringen. Zugleich sorgen Leichtbauelemente und Materialien mit nachhaltigem Charakter für eine insgesamt bessere Energiebilanz – auch das liegt im Interesse der Betreiber, der Umwelt und letztlich der Passagiere. como: Das setzt sich bei der Außengestaltung fort? von Saurma: Dem Exterior-Design gelingt es, wie ich meine, viel Fläche für betreiber- oder städtespezifische Individualisierung zur Verfügung zu stellen und dabei Siemens als Marke unaufdringlich mit zu kommunizieren. Okto- como 05 | September 2010 focus gonale Türen und eine aufmerksamkeitsstarke, innovative Tür-Lichtgrafik sind Merkmale, die auch für die Raumwahrnehmung eine tra gende Rolle spielen: Sich verändernde, den Status anzei gende Leuchtstreifen entlang der äußeren Türlinien werden als groß und einladend wahrgenommen. Und sie haben einen direkten kommunikativen Nutzen für Fahrgäste, die durch farbliche Veränderungen der Leuchtelemente erkennen können, ob sich die Tür öffnet oder schließt. So wird das Design den Bedürfnissen aller Interessengruppen gerecht. como: Und wie könnten die Weiterentwicklung dieser Konzeption in den kommenden Jahren aussehen? von Saurma: Weiterentwickeln wird sich sicher das Infotainment, das ja beim aktuellen Inspiro durch den „Virtual Conductor“ bereits eingeführt ist. Lässt sich zugleich – zum Beispiel je nach Veranstaltung – das Sitzplatzangebot oder die Lichtstimmung variieren, kann dies unter anderem neue Möglichkeiten des Sponsoring für die Betreiber eröffnen und zugleich den Passagieren mehr persönliche Atmosphäre beim Bahn- oder Metrofahren verschaffen. Insgesamt aber wird der Große Flächen, starker Charakter: Achteckige Türen und variable Leuchtstreifen kennzeichnen die neue Metro von Siemens. Anspruch an Nachhaltigkeit für alle weiteren Entwicklungen bestimmend sein, gerade bei einem Unternehmen wie Siemens. como: Herr von Saurma, herzlichen Dank.P Einladend: Warme Farben, dezente Lichtinseln und kommunikative Halteelemente schaffen Wohlfühl-Atmosphäre. 31 32 move como 05 | September 2010 Tram nach Maß Bewährte Komponenten plus innovative Technologie: Mit dem neuen Avenio stellt Siemens Mobility das NiederflurStraßenbahnkonzept für die Anforderungen von morgen vor. Ü berall auf der Welt rückt die Straßenbahn als leistungsstarkes, umweltfreundliches und dabei höchst wirtschaftliches Verkehrsmittel wieder in den Fokus der Stadtplaner und Verkehrsbetriebe. Bestehende Linien werden ausgebaut und gänzlich neue Straßenbahn-Netze geplant, oft mitten durch belebte Stadtquartiere. Niederflur-Konzepte mit niedrigem Einstieg, stufenlosem Wagenboden und angemessenem Komfort sind da besonders gefragt. Auch mit dem neuen Avenio setzt Siemens Mobility auf dieses Konzept: Er wurde konsequent aus dem bekannten Combino weiterentwickelt und weist nun eine Reihe technischer Innovationen auf, die ihn zu einer der modernsten 100-Prozent-Niederflurstraßenbahn der Welt machen. Bei Niederflur-Konzepten sind die Konstrukteure ganz besonders gefordert, denn oft widersprechen sich technische Möglichkeiten und Anforderungen: Beispielsweise soll die Antriebsleistung der Straßenbahn hoch genug sein, damit auch volle Züge ordentlich beschleunigen können. Ein niedriger und durchgehend ebener Wagenboden bietet jedoch wenig Raum für Radsätze und Antriebe. Auch Faktoren wie hohe Stabilität und geringes Gewicht, wichtig für Langlebigkeit, Verschleißarmut und Energieeffizienz, stehen im Gegensatz zueinander. Zahl und Anordnung der Türen entscheiden darüber, wie viele Sitzplätze verfügbar sind, beeinflussen jedoch auch die zum Ein- und Aussteigen benötigten Haltezeiten und damit die Umlaufzei- como 05 | September 2010 „ Eine Plattform für flexiblen Einsatz: die neue Avenio Niederflurstraßenbahn. Seit zwei Jahrzehnten baut Siemens 100%Niederflurstraßenbahnen – der Avenio ist die konsequente Weiterentwicklung. Silke Vandersee, Vice President Light Rail, Siemens Mobility ten des Zuges auf der Strecke. Und schließlich bestimmt die Konstruktion des Fahrwerks, wie kom fortabel, wirtschaftlich und umweltfreundlich ein Straßenbahnzug unterwegs ist. Drehgestelle für alle Zugmodule Bisher wurden Straßenbahnen meist als Multigelenkfahrzeuge konstruiert: Zwischen zwei kurzen Wagenteilen mit starren Fahrwerken ist ein langer, räderloser Wagenkasten wie eine Sänfte aufgehängt. Diese asymmetrische Anordnung belastet jedoch Drehgelenke und Aufbau enorm, denn bei zügiger Kurvenfahrt sind nicht nur die „schwebenden“ Wagenteile hohen Querbeschleunigun- gen ausgesetzt. Deshalb wählten die SiemensIngenieure beim neuen Avenio – wie schon bei den Straßenbahnprojekten für Budapest und die portugiesische Stadt Almada – das Konzept modularer Einzelgelenkwagen: Sowohl die Endwagen als auch die neun Meter langen Mittelwagen verfügen über eigene, teils angetriebene Drehgestelle. Das optimiert zum einen das Kurvenverhalten, erlaubt aber auch, sehr unterschiedlich lange Straßenbahnen zu bilden – vom 18-Meter-Kurzzug bis hin zur Einheit mit sechs Mittelwagen, insgesamt 72 Metern Länge und Platz für mehr als 540 Fahrgäste. So kann der Avenio als derzeit längste 100-Prozent-Niederflurstraßenbahn der Welt konfiguriert werden. move 33 34 move como 05 | September 2010 Mit breiten Türen, optimierter Raumaufteilung und effektivem Klimasystem bietet der Avenio besten Fahrkomfort. Breite Doppeltüren nehmen rund 30 Prozent der gesamten Länge ein, beginnend direkt hinter dem Führerstand. Sie ermöglichen auch Fahrgästen mit Bewegungseinschränkung den schnellen, barrierefreien Zugang und erlauben rasches Ein- und Aussteigen selbst bei voll be setzten Zügen. Das verkürzt die Haltezeiten und sichert zusammen mit einer möglichen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h kurze Umlauf zeiten. Auch fertigungstechnisch ist der Avenio auf dem neuesten Stand. Eine State-of-the-artLeichtbauweise aus Stahl mit weniger verbauten Teilen als in den Vorgängermodellen senkt Gewicht und Fertigungskosten. Innovative Losrad-Drehgestelle Im Gegensatz zum Combino besitzt der Avenio keine herkömmlichen Fahrwerke, sondern Losrad-Drehgestelle: Hierbei sind die Räder nicht durch eine Achse verbunden, sondern werden einzeln in einem Portalrahmen gelagert. Außenliegende Motoren treiben paarweise die jeweils hintereinander liegenden Räder an. Ein Vorteil dieser Bauweise ist, dass Motor, Getriebe und Hohlwellenkupplung vollständig abgefedert außen am Fahrwerk liegen und für Wartungsarbeiten problemlos zugänglich sind. Das Besondere am neuen Avenio-Drehgestell: Es verhält sich in der Geraden wie ein konventionelles Radsatz-Drehgestell, schwenkt bei Einfahrt in Kurven frei aus und durchfährt Bögen reibungsarm wie ein LosradFahrwerk. Besonders wichtig war den Siemens-Ingenieuren eine gleichmäßige Lastverteilung bei den einzelnen Zugteilen. Deshalb setzten sie die Drehgestelle des Avenio mittig unter die Wa genkästen – eine Maßnahme, die seitliche Spur führungskräfte auf Gleis und Räder deutlich reduziert. Die Fahrgäste bemerken die Wirkung am höheren Fahrkomfort: Die Straßenbahn bietet exzellente Laufruhe und fährt sanft durch Kurven, in engen Bögen und auf schlechter Strecke tritt das lästige Quietschen und Poltern nicht mehr auf, Rollgeräusche und Bodenvibrationen werden selbst bei hoher Geschwindigkeit effizient ge dämpft. Die längste 100-Prozent-Niederflurstra ßenbahn der Welt ist damit zugleich auch eine der leisesten. Neben einem deutlich gesteigerten Fahrkomfort für die Fahrgäste bringt das innovative Fahrzeugkonzept auch handfeste wirtschaftliche Effekte mit sich: Es entlastet nicht nur Wagenkästen und Gelenke und ermöglicht so einen energiesparenden Leichtbau, sondern reduziert auch den Verschleiß an Rädern und Schienen. So müssen die Radreifen bei herkömmlichen Niederflur-Fahrzeugen oft schon bei wenig mehr als 100.000 Kilometern Laufleistung ausgetauscht werden. Der Avenio dagegen kann wegen der konzeptbedingt geringeren Belastung der Räder Laufleistungen von bis zu 500.000 Kilometern mit denselben Radreifen erreichen. Auch ein Plus an Sicherheit gehört zu den Kerneigenschaften des Avenio. Beispielsweise schützt ein durchdachtes Crashkonzept gemäß europäischer Aufprallschutz-Norm EN 15227 Fahrer und Fahrgäste optimal bei Kollisionen. Die passive Sicherheit für Fußgänger war beim Kopfdesign und der Buggestaltung ebenfalls ein wesentliches Kriterium. An Haltestellen wirken Sicherheits funktionen wie eine komplexe Türüberwachung und eine optionale Bahnsteigbeleuchtung bei como 05 | September 2010 move 35 Punkt für Punkt: Der Avenio im Überblick 100%-Niederflur • EMinzelgelenkkonzept, inimaler Verschleiß an Rädern und Schienen, dadurch • reduzierte Betriebskosten ahlreiche breite Türen, optimierte Raumaufteilung • Zund Klimasystem für mehr Fahrgastkomfort berarbeitetes Drehgestell mit exzellenter Laufruhe • Üauch bis 80 km/h Höchstgeschwindigkeit I m StraßenbahnStadtbahnbetrieb einsetzbar • Für Tunnelbetriebund geeignet • Optionaler Energiespeicher zur weiteren Verbesserung • der Energiebilanz • Oberleitungsloser Betrieb möglich Der Avenio: Wirtschaftlich im Betrieb, vorbildlich in der Energiebilanz. geöffneten Türen. Und für mehr Sicherheit an Bord sorgen Brandschutzmaßnahmen nach den neuesten Normen, Brandschotts sowie die konsequente Verwendung von brandhemmenden Materialien. So ausgerüstet, lässt sich der Avenio auch auf Stadtbahnen mit längeren Tunnelstrecken ideal einsetzen. Zu den ganz wesentlichen Eigenschaften bei Straßenbahnen, die mehrere Jahrzehnte unterwegs sein sollen, gehört heute mehr denn je ein niedriger Energieverbrauch. Beim neuen Avenio trägt dazu ein ganzes Bündel von Maßnahmen bei – beginnend wieder bei der Fahrwerkskonstruktion: Sind nämlich Triebräder konventionell durch Achswellen quer miteinander verbunden, vernichten sie wegen der unterschiedlich langen Laufwege im Innen- und Außenbogen Energie durch Reibung. Die Losräder des Avenio dagegen können in Kurven mit unterschiedlicher Drehzahl laufen – ohne derartige Reibungsverluste. Dazu kommen zahlreiche Innovationen wie beispielsweise die elektrische Bremse, die bis zum Stillstand des Fahrzeugs wirkt und den Einsatz der mechanischen Bremsen nur bei Gefahrenbremsungen und als Parkbremse nötig macht. Die optimierten Nebenaggregate schalten sich im Stand ab oder reduzieren ihre Leistung. Auch intelligentes Energiemanagement, Traktionsumrichter neuester Generation und die Traktionssteuerung mit einem Wirkungsgrad von über 98 Prozent stehen für den höchst effizienten Umgang mit Strom. Optional speichern On-Board-Energiespeicher die beim Bremsen gewonnene Energie und nutzen sie anschließend wieder zum Beschleunigen sowie zum Heizen oder Kühlen des Innenraums. Und weil dieser Pufferspeicher auch die Verbrauchsspitzen im Oberleitungsnetz reduziert, können oft sogar Investitionen in eine stärkere Stromversorgung Unter dem Strich bringt der Avenio den Passagieren höchsten Fahrkomfort und den Betreibern handfeste Kostenvorteile. einfach entfallen. Die genannten Maßnahmen können in der Summe den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent senken. Mit der an Bord gespeicherten Energie kann der Avenio aber auch bis zu 2,5 Kilometer weit ohne Oberleitung fahren: über komplexe Straßenkreuzungen, durch Stadttore, Tunnel und denkmalgeschützte Bereiche, unter Brücken hindurch, an Baustellen vorbei oder überall dort, wo eine Oberleitung das Stadtbild stört oder nicht installiert werden soll. Im portugiesischen Almada nahe der Hauptstadt Lissabon hat sich dies schon bewährt. Selbst nach der Ausmusterung in einigen Jahrzehnten lässt sich noch Energie einsparen und die Umwelt schonen, denn die verbauten Materialien garantieren eine Recyclingquote von über 90 Prozent. Schließlich soll der Avenio – bei aller Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Umweltfreundlichkeit im Betrieb – vor allem eine Investition in die Zukunft sein.P 36 connect como 05 | September 2010 Es werde Grün! Jeder Autofahrer kennt das: Man will einfach von A nach B zügig durch die Stadt fahren – doch jede Ampel zeigt Rot. Dabei lassen sich Verkehrs ströme heute deutlich flüssiger gestalten: In der Universitätsstadt Münster installierte Siemens Mobility die derzeit modernste netzadaptive Lichtsignalsteuerung. Und der Verkehr läuft besser denn je. M al ehrlich: Eine eigene „Grüne Welle“ ist der Wunschtraum jedes Autofahrers. Wo man auch hinfahren will: Die nächste Verkehrsampel schaltet auf Grün. Das Prinzip ist schließlich recht simpel. Alle Lichtsignalanlagen eines Straßenzuges werden so geschaltet, dass Fahrzeuge – sofern sie in einem bestimmten Tempo, der sogenannten Progressions-Geschwindigkeit fahren – jede Ampel in ihrer Grünphase erreichen. Das sorgt für gleichmäßigen Verkehrsfluss und reduziert Brems- und Beschleunigungsmanöver, spart also Kraftstoff und vermindert sowohl die CO2-Emission als auch den Ausstoß von Partikeln und Stickoxiden. So weit ganz einfach. Leider ist die Wirklichkeit komplizierter. Richtig gut läuft eine solche festzeitgesteuerte Grüne Welle immer nur auf einer Straße und in eine Richtung. Wo sich das Verkehrsaufkommen im Lauf des Tages ändert, und das ist auf Ein- und Ausfallstraßen nun mal die Regel, müssen in einem Signalzeitenplan die jeweiligen Grünzeiten unterschiedlich festgelegt werden: In Richtung Innenstadt sind morgens zum Berufsverkehr längere Grünphasen nötig als nachmittags, stadtauswärts ist es genau umgekehrt. Zeitweise veränderte Verkehrsbedingungen, beispielsweise zum Ende eines Fußballspiels oder einer anderen Großveranstaltung, müssen meist sogar manuell geschaltet werden. Ganz klar: Wirklich überzeugend funktioniert eine solche Festzeitsteuerung selbst bei sorgfältiger Planung nicht – schon allein deshalb, weil sich Verkehr niemals exakt an Planungen hält. Verkehrsabhängig: Nicht immer optimal Deshalb setzen Städte heute meist auf verkehrsabhängige Steuerungen, die den lokalen Verkehrsstrom an Kreuzungen nach Bedarf bedienen kön- como 05 | September 2010 „ connect Die meisten Städte stehen vor einer verkehrs- und umweltpolitischen Herkulesaufgabe: Sie müssen mit dem vorhandenen Straßennetz immer mehr Verkehr abwickeln – und zugleich für sinkende Emissionen sorgen. nen. Die Steuerprogramme werten Daten der zugeordneten Verkehrsdetektoren aus und verlängern oder verkürzen für diesen Verkehrsknotenpunkt die Grünzeiten für jede einzelne Zufahrt. Diese verkehrsabhängigen Steuerungen können sich vor Ort an „ihrer Kreuzung“ in einem gewissen Rahmen selbst auf wechselnde Belastungen einstellen – und sie können dort auch bestimmten Verkehrsteilnehmern wie Bussen und Bahnen Priorität einräumen. Allerdings: Eine solche Vorrangschaltung kann dazu führen, dass die Grünphasen für Kraftfahrzeugströme sehr stark verkürzt werden. Und der Stau an der nächsten Kreuzung bleibt oft ebenfalls unberücksichtigt. Das System arbeitet auf zwei funktionalen Ebenen: Auf der taktischen Ebene gibt die Netzsteuerung per Rahmensignalplan, der alle fünf bis 15 Minuten aktualisiert wird, Umlaufzeit, Phasenfolgen, Verteilung und Koordinierung der Grünzeiten vor. Auf der operationalen Ebene passt das Steuergerät innerhalb der Umläufe die aktuelle Phasenfolge und die Gründauern an, die Schaltung der Die Lösung: Intelligente Steuerungen Intelligente Steuerungen bekommen auch diese Situation in den Griff. So bezieht die modellbasierte, adaptive Netzsteuerung Sitraffic Motion MX von Siemens die aktuelle Verkehrssituation an allen relevanten Knotenpunkten im Verkehrsnetz ein und erstellt zusätzlich Kurzzeitprognosen. In Verbindung mit einem modernen Verkehrsrechner berechnet Sitraffic Motion aus diesen Daten laufend die Auslastungsgrade der Ampeln im umgebenden Verkehrsnetz, optimiert die Zuteilung der Grünzeiten – das System kann so flexibel auf wechselnde Verkehrsmengen reagieren, ohne die Möglichkeiten der lokalen Steuerung einzuschränken – und stellt eine wirklich „dynamische Grüne Welle“ her. Grüne Welle in Münster: Ein optimierter Verkehrsfluss verringert Staus und CO2-Emissionen. 37 38 connect como 05 | September 2010 Eine festzeitgesteuerte Grüne Welle (links) funktioniert einfach, ist für komplexe Umgebungen aber zu unflexibel. Verkehrsadaptive Lösungen analysieren die Situation laufend neu (rechts). Phasenübergänge für die Grünzeiten sogar sekundengenau. Dabei werden alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt: ÖPNV und Individualverkehr, Fußgänger und Radfahrer. Verkehrsadaptiv: Höchstes Potenzial Wie effizient eine solche verkehrsadaptive Lösung eingesetzt werden kann, zeigt die Aufrüstung des Verkehrssteuerungssystems im Kopenhagener Stadtteil Valby. Die dänischen Verkehrsplaner wollten ihre vier Buslinien um 20 Prozent beschleunigen, ohne dabei den Individualverkehr zu bremsen. Diese Vorgaben ließen sich mit der Siemens-Lösung deutlich übertreffen: Die Busse in Valby sind heute bis zu 27 Prozent schneller unterwegs – und sogar der Individualverkehr kommt messbar zügiger voran als zuvor. Dabei besitzen Modernisierungen mit Sitraffic Motion weit mehr Potenzial, das belegt besonders deutlich der Umbau einer klassischen Grünen Wel- le zum modellbasierten, verkehrsadaptiven Verfahren auf dem stark befahrenen Albersloher Weg in der Universitätsstadt Münster. Seit Mitte 2008 analysiert hier die Lichtsignalsteuerung Sitraffic Motion an 24 Ampelkreuzungen mit Hilfe der in den Zufahrten angebrachten Detektoren, wie viele Fahrzeuge unterwegs sind, wohin sie abbiegen und wo Staus zu entstehen drohen. Ein zentraler Verkehrsrechner empfängt die Daten, analysiert im 5-Minuten-Takt die Verkehrssituation an den Kreuzungen entlang der sechs Kilometer langen Straße und passt automatisch die Längen der Rot-Grün-Phasen der Ampeln sowie die Grüne Welle alle 20 Minuten daran an, bei Bedarf auch schneller. Und wie wirkt sich diese komplexe Steuerung tatsächlich aus? Eine empirische Studie des Lehrstuhls für Verkehrswesen an der Ruhr-Universität Bochum ging der Sache auf den Grund. Die Wissenschaftler verglichen drei verschiedene Entwicklungsstufen des Verkehrssystems auf dem Albersloher Weg: como 05 | September 2010 den nahezu vollständig festzeitgesteuerten Urzustand, eine konventionell geplante, verkehrsabhängige Steuerung in den einzelnen Signalanlagen und schließlich die verkehrs adaptive, modellbasierte Steuerung von Siemens. Dazu nutzte das Forscherteam Werte aus eigenen Messungen mit Detektoren, GPS-Messfahrzeugen und Videosystemen und kombinierte sie mit den Telematikdaten der städtischen Buslinien. In einer zusammenfassenden Bewertung für alle Verkehrsteilnehmer, vom Pkw über Linienbusse bis hin zu Radfahrern und Fußgängern, berechneten die Wissenschaftler den sogenannten Performance Index als Qualitätsmaßstab für die Leistungsfähigkeit des Verkehrsweges. Dabei wurde deutlich, dass im Vergleich zum Ausgangszustand zwar schon die konventionell verkehrsabhängige Steuerung Verbesserungen brachte, die adaptive Steuerung mit Sitraffic Motion allerdings die Verkehrsqualität wirklich optimieren konnte. Das Ergebnis: deutlich besserer Verkehrsfluss, bis zu 49 Prozent weniger Halte gegenüber der ursprünglichen, festzeitgesteuerten Lösung sowie durchschnittlich 38 Prozent kürzere Wartezeiten für die Autofahrer. „Das eingetretene Ausmaß der Verbesserun gen ist unerwartet hoch“, stellten die Bochumer Wissenschaftler in ihrem Fazit fest und betonten: „Insgesamt kann die Einführung der neuen Lichtsignalregelung auf dem Albersloher Weg als Erfolg betrachtet werden.“ Entsprechend eindeutig fällt die abschließende Wertung aus: „Es ist davon auszugehen, dass durch die auf dem Albersloher Weg realisierte Signalsteuerung ein technisches Optimum auf dem Hintergrund des Standes der Technik erreicht wurde.“ Ein Ergebnis, das auch die Verkehrsplaner in Münster überzeugte: Der Stadtrat be schloss, in den nächsten Jahren noch weitere stark befahrene Straßen mit adaptiver Sitraffic Motion-Netzsteuerung auszustatten. P connect 39 Den Verkehr fest im Blick: Systeme wie das Traffic Eye Universal von Siemens liefern der Steuersoftware zusätzliche Daten über das aktuelle Geschehen auf den Straßen. Sitraffic Motion: Grüner planen Sitraffic Motion MX ist eine Software, die auf modernen Verkehrsrechnern wie Sitraffic Scala installiert wird und innerstädtische Lichtsignalanlagen (LSA) ansteuert. Als erste adaptive Netzsteuerung kann die Software Daten mit Steuergeräten und Lichtsignalanlagen praktisch aller europäischen Hersteller austauschen, arbeitet also auch mit bereits vorhandener technischer Verkehrsinfrastruktur zusammen. Weil das System nicht nur einzelne Knotenpunkte, sondern ganze Netzbereiche einbezieht, kann es auf das tatsächliche Verkehrsgeschehen viel umfassender reagieren als klassische Lichtsignalsteuerungen, die nach starren Regeln arbeiten. Zusätzlich nutzt das System ein neu entwickeltes Verfahren zur Schätzung von Verkehrsparametern und zur Modellierung und kann in den Simulationsmodus der Sitraffic Scala Verkehrsrechner eingebunden werden: So lassen sich schon bei der Planung von Lichtsignalanlagen die unterschiedlichen Auswirkungen von Festzeitsteuerung und verkehrsabhängiger Steuerung simulieren, die Verkehrsqualität beurteilen und die Minderung von Emissionen prognostizieren. www.siemens.com IMPRESSUM como Complete mobility – Fakten, Trends, Stories Herausgeber: Siemens AG · Industry Sector · Mobility Division · Nonnendammallee 101 · 13629 Berlin Redaktionsleitung: Stephan Allgöwer · Siemens AG · Industry Sector · Mobility Division · Communications Textredaktion: Eberhard Buhl, Presse-Team Stuttgart Fotos: BMW DesignworksUSA S. 23 unten links, S.28-31 · European Space Agency (ESA) S. 4 · Fotolia S. 4 · iStockphoto S. 4, 6, 13 o. l., 14, 29 o. r. und u., 30 m. l. und u., 36–39 o. · dpa picture-alliance S. 7, 26 #4 und #5 · Getty Images S. 8, 12, 13 u. l. Titel/S. 23/Centerfold: U. a. Studien der FH Joanneum Graz; Sureot: Julie Baaske, Christopher Gloning, Paul Grader, Thilo Bendix Müller, Julian Pröll; Airient One: Elisabeth Dioszeghy, Martin Obermayer, Alexander Hesse, Markus Cäsar; Diveria: Sophie Doblhoff, Christian Gumpold, Thomass Hesse, Christian Susana ICE ist ein eingetragenes Markenzeichen der Deutschen Bahn AG Konzeption & Gestaltung: Agentur Feedback, München www.agentur-feedback.de Druck: Mediahaus Biering, München Printed in Germany. Copyright: © Siemens AG 2010 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung dieser Unterlage sowie Verwertung ihres Inhalts unzulässig, soweit nicht ausdrücklich zugestanden! Technische Änderungen vorbehalten. Die Informationen in diesem Dokument enthalten allgemeine Beschreibungen der technischen Möglichkeiten, welche im Einzelfall nicht immer vorliegen müssen. www.siemens.com/mobility [email protected] ISSN 2190-0310 FB como d 05|2010 161011 ZS09106.0 Dispo-Nr.: 21700 c4bs 7607 Bestellnr.: A19100-V901-B111