Paris liefert Waffen an Libyens Rebellen Westerwelle empfängt Chef

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Paris liefert Waffen an Libyens Rebellen Westerwelle empfängt Chef
Quellensammlung zum Workshop 4 "Business as usual?
Ökonomische Faktoren hinter den Umwälzungen im Nahen/Mittleren
Osten und in Nordafrika. Das Fallbeispiel Libyen"
Stadtschlaining, Sommerakademie 2011 zum Thema „Zeitenwende in der
arabischen Welt – welche Antworten findet Europa?“
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Paris liefert Waffen an Libyens Rebellen
29.06.2011, 17:42 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Paris (dpa) - Frankreich hat zugegeben, die Gegner des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi mit
Waffen zu versorgen. Sturmgewehre, Raketenwerfer und Panzerabwehrrohre werden seit Ende Juni per
Fallschirm über einer Bergregion südwestlich von Tripolis abgeworfen. Deutschland wiederum wird der
Nato keine Bombenbauteile für den Libyenkrieg liefern. Das Bündnis habe ein entsprechendes Angebot
abgelehnt, erklärte das Verteidigungsministerium in Berlin. Unterdessen machen die libyschen Rebellen
weiter Boden gut, ihnen fiel ein prall gefülltes Waffenlager in die Hände.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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Westerwelle empfängt Chef der libyschen Übergangsregierung
30.06.2011, 2:24 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Berlin (dpa) - Der Chef der libyschen Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, wird heute in Berlin
erwartet. Außenminister Guido Westerwelle will mit Dschibril über die Lage in Libyen nach dem
Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi sprechen. In
der Unterredung soll es auch um Perspektiven einer Zusammenarbeit und die mögliche Unterstützung
der demokratischen Kräfte in Libyen gehen. Vor seinem Besuch in Deutschland ist Dschibril in
Österreich zu Gast.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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Obama verteidigt Militäreinsatz in Libyen
29.06.2011, 18:46 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Washington (dpa) - US-Präsident Barack Obama hat den Militäreinsatz in Libyen verteidigt. Die
amerikanische Beteiligung an der Operation gegen das Regime von Machthaber Muammar al-Gaddafi
zum Schutz der libyschen Bevölkerung sei richtig und gerechtfertigt, sagte Obama in Washington. Die
parteiübergreifende Kritik vieler Kongressmitglieder, Obama hätte vor dem Einsatz die Genehmigung
durch das Parlament einholen müssen, wies er zurück. Es handele sich um eine Mission, die «zeitlich
und vom Umfang her beschränkt» sei.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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«Le Figaro»: Frankreich liefert Waffen an libysche Rebellen
29.06.2011, 11:54 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Paris (dpa) - Frankreich liefert nach einem Medienbericht den libyschen Rebellen bereits seit mehreren
Wochen Waffen. Es sei die einzige Möglichkeit, die Dinge voranzubringen, zitiert die Zeitung «Le
Figaro» eine ungenannte Quelle. Eine offizielle Bestätigung des Berichts gab es bislang nicht.
Frankreich habe sich ohne Absprache mit den Verbündeten entschieden, die Rebellen zu bewaffnen, um
einen Ausweg aus einer blockierten Situation zu finden. Raketenwerfer, Maschinengewehre und
Panzerabwehrwaffen seien mit Spezialfallschirmen abgeworfen worden.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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US-Abgeordnete lehnen Blockade von Geld für Libyen-Einsatz
ab
24.06.2011, 20:50 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Washington (dpa) - Das US-Repräsentantenhaus hat sich mehrheitlich gegen eine Blockade der Mittel
für den Militäreinsatz in Libyen ausgesprochen. Die Abgeordneten schmetterten mit klarer Mehrheit den
von republikanischen Parlamentariern eingebrachten Entwurf klar ab. Die Vorlage wäre allerdings
spätestens im von den Demokraten beherrschten Senat gescheitert. Kurz zuvor hatte die Kammer
allerdings ihre Zustimmung für eine Resolution verweigert, die den Militäreinsatz gegen das GaddafiRegime ausdrücklich genehmigt hätte.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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Italien ruft zu Waffenstillstand in Libyen auf
22.06.2011, 16:24 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Rom (dpa) - Italien hat die Kriegsparteien in Libyen zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen,
um humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Dieser sei dringend notwendig, um Hilfskorridore für die
Bevölkerung einzurichten, erklärte der italienische Außenminister Franco Frattini. Die Aufforderung
richte sich nicht an die Nato, erläuterte ein Sprecher des Außenministeriums. Der Übergangsrat begrüße
den Vorschlag Italiens für einen Waffenstillstand, sagte ein Militärsprecher der Aufständischen. NatoFlugzeuge bombardierten erneut Ziele in der libyschen Hauptstadt Tripolis.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
Libyscher Rebellenrat verhandelt mit China
21.06.2011, 19:03 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Tripolis (dpa) - Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi halten länger durch als
von vielen Militärbeobachtern zunächst angenommen. Die Nato verlor bei ihren Operationen im
libyschen Luftraum heute erstmals eine Aufklärungsdrohne. Die Führung der Aufständischen konnte
inzwischen politisch Boden gutmachen. Der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, wurde in
Peking empfangen. Peking hat starke wirtschaftliche Interessen im Erdölland Libyen und kritisiert die
Nato-Luftangriffe gegen die Truppen Gaddafis.
Quelle: dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
Libyen: NATO-Bündnis zeigt Schwächen
14.06.2011, 20:21 Uhr
Wie lange hält die NATO den Einsatz in Libyen noch durch? US-Verteidigungsminister Robert
Gates hatte schon vergangenen Freitag die Bündnispartner kritisiert, weil ihnen schon nach elf
Wochen "die Munition ausgeht". Jetzt hat auch ein britischer Admiral Zweifel am
Durchhaltevermögen seiner eigenen Armee geäußert. Unterdessen gehen die Angriffe gegen das
Regime von Muammar al-Gaddafi weiter - noch. Westlich von Misrata rückten die Aufständischen
vor; Luftangriffe trafen erneut die Hauptstadt Tripolis.
Die britische Marine sei nicht in der Lage, die Operation weitere drei Monate fortzuführen, ohne
woanders Kosten einzusparen, sagte Admiral Mark Stanhope dem "Daily Telegraph". Der Befehlshaber
der Gesamtarmee, Sir David Richards, widersprach am Dienstag in der BBC: Großbritannien könne den
Libyen-Einsatz so lange fortsetzen, "wie wir uns entscheiden, es zu tun."
Admiral kritisiert Spardruck
Der Admiral hingegen kritisierte die Kostensenkung der Regierung bei der Armee. Bei der Marine waren
dem Spardruck unter anderem ein Flugzeugträger und die neuesten Senkrechtstarter des Typs Harrier
zum Opfer gefallen. Mit diesen Waffensystemen wäre der Libyen-Einsatz billiger und effizienter
gewesen, sagte Stanhope.
Auch ein ranghoher französischer NATO-Vertreter, General Stephane Abrial, erklärte, die Frage der
Ressourcen des Militärbündnisses sei besonders kritisch, sollte sich die Mission hinziehen. "Wenn
weitere Ressourcen benötigt werden, ist das natürlich eine politische Entscheidung", sagte Abrial.
US-Verteidigungsminister Gates hatte zuvor gesagt, Großbritannien und Frankreich täten sich schwer,
den Libyen-Einsatz durchzustehen. "Ich denke, dass jene, die die Hauptlast der Luftschläge tragen,
zunehmend unter Druck geraten", sagte Gates mit Blick auf NATO-Länder wie Deutschland, die derzeit
nicht an der Militäroperation beteiligt sind.
Gefecht westlich von Misrata
Derweil haben die Aufständischen ihre Angriffe im Westen von Misrata verstärkt. Ihre Verbände seien
erneut gegen die Stadt Slitan vorgerückt, die von Gaddafis Truppen gehalten wird, berichtete der
Rebellen-Fernsehsender Libya TV. Bei einem Artilleriegefecht waren an dieser Front am Vortag zwei
Aufständische getötet und ein weiteres Dutzend verletzt worden. Das bestätigten Krankenhausärzte in
Misrata.
Gaddafis Truppen beschossen mit ihren Raketen die Raffinerie von Misrata. Dabei seien zwei
Generatoren schwer beschädigt, aber keine Öllager getroffen worden, berichtete ein dort arbeitender
Ingenieur. Slitan liegt 160 Kilometer, Misrata 210 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis.
Bomben auf die Kommandozentrale
Die NATO bombardierte erneut Kommandozentralen in der Hauptstadt Tripolis. Offenbar trafen die
Alliierten dabei auch ein Ziel in der Nähe des Anwesens von Gaddafi. Eine graue Rauchsäule war in der
Gegend um den Militärkomplex zu sehen. Das nordatlantische Bündnis werde fortfahren, "dem Regime
die Fähigkeit zu nehmen, Angriffe zu koordinieren und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung
anzuwenden", erklärte ein NATO-Sprecher in Neapel. NATO-Kampfhubschrauber hätten außerdem bei
Misrata zwei Schlauchboote der Gaddafi-Marine zerstört, die versuchten, die Hafeneinfahrt der
Rebellen-Hochburg zu verminen.
Einmal mehr erklärte Gaddafi seine Gesprächsbereitschaft, diesmal bei einer Schachpartie mit dem Chef
des Weltschachverbandes FIDE, Kirsan Iljumschinow. Der Machthaber fordere aber, dass die NATO
zuvor ihre Luftangriffe in dem nordafrikanischen Land einstelle. Das sagte Iljumschinow der Agentur
Interfax in Moskau zufolge. Iljumschinow und Gaddafi hatten am Sonntag in der libyschen Hauptstadt
Schach gespielt. Gaddafi hat bereits mehrfach Feuerpausen und Waffenruhen sowie
Verhandlungsbereitschaft angekündigt, sich aber nie daran gehalten.
Kämpfe um Grenzposten
Im Westen Libyens bombardierten Gaddafi-Truppen indessen nach Angaben des Rebellensprechers
einen von den Regierungsgegnern kontrollierten Grenzübergang nach Tunesien. Die Gaddafi-Truppen
hätten Rebellen auf der Straße zum Grenzposten Dehiba unter Beschuss genommen, erklärte ein
Sprecher der Rebellen.
Dehiba ist einer der wichtigsten Versorgungspunkte für die Rebellen, die zuletzt eine Reihe von Städten
in den Nafusa-Bergen im Westen Libyens unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Nach Angaben des
Sprechers liefern sich Rebellen und Regierungstruppen in der Gegend auch tägliche Gefechte um die
Städte Sintan und Rejanna.
Gaddafis Geldreserven schmelzen
Gaddafi könnte nach den Worten seines geflohenen Zentralbankchefs Farhat Bengdara bald das Geld
ausgehen. Angesichts eingefrorener Auslandsvermögen und der durch NATO-Luftschläge und
Rebellenangriffe unterbrochenen Treibstofflieferungen werde das Regime binnen Wochen
zusammenbrechen, sagte Bengdara der Finanznachrichtenagentur Bloomberg in Dubai.
Als er sich Ende Februar von Gaddafi losgesagt habe und außer Landes geflohen sei, habe das Regime
noch über Barreserven im Umfang von 500 Millionen US-Dollar verfügt. "Es ist fast aufgebraucht",
sagte Bangdara. "Sie haben keinen Treibstoff mehr für Panzer. Es ist eine Frage von Wochen", bis
Gaddafi stürze.
Westerwelle erntet Kritik vom Regime
Auf äußerstes Missfallen beim angeschlagenen Regime von Gaddafi stieß der Besuch von
Außenminister Guido Westerwelle in der Rebellen-Hochburg Bengasi. Tripolis betrachte dies als
"unverantwortlichen Schritt" sowie als "eklatante Verletzung der nationalen Souveränität und
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates und UN-Mitgliedslandes", hieß
es in einer Erklärung des Außenministeriums.
Westerwelle hatte am Montag Bengasi besucht und die dortige Übergangsregierung der Gaddafi-Gegner
als legitime Vertretung des libyschen Volkes anerkannt.
Quelle: dapd, dpa, AFP, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
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Chefankläger: Gaddafi stiftete Soldaten zu Massenvergewaltigungen an
09.06.2011, 8:32 Uhr
Ungeheuerlicher Verdacht gegen Muammar al-Gaddafi: Der libyschen Machthaber soll seine
Soldaten zu Massenvergewaltigungen von Frauen angestiftet haben. Das wirft ihm der
Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo,
vor.
Gaddafi habe zu diesem Zweck Viagra-ähnliche Potenzmittel einkaufen lassen, sagte Moreno-Ocampo.
Zunächst habe er Zweifel gehabt, aber mittlerweile habe sich der Vorwurf erhärtet. Es gebe
entsprechende Berichte von hunderten Frauen, die in einigen Gebieten Libyens angegriffen worden
seien.
Sexuelle Gewalt als Strafe
Anfangs sei nicht klar gewesen, auf welcher Ebene des Regimes die Massenvergewaltigung von
Zivilistinnen angewiesen wurde, räumte Moreno-Ocampo ein. Inzwischen habe er aber Hinweise darauf,
dass Gaddafi selbst beschloss, sexuelle Gewalt als Strafe für vermutete Regimegegner zu verhängen.
Das Ziel ist, die Frauen zu entwürdigen und die gegnerische Front zu schwächen, sagen
Menschenrechtsexperten. "Es ist eine neuere Taktik von ihm", erklärte der oberste Ankläger für Genozid
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei einer Pressekonferenz.
Vor einigen Wochen hatte der Fall von Iman al-Obeidi für Aufsehen gesorgt: Die Frau hatte Journalisten
in einem Hotel in Tripolis am 26. März von einer Vergewaltigung durch libysche Soldaten berichtet.
Danach wurde sie vor laufenden Kameras von Wachleuten weggeschleppt. Al-Obeidi flüchtete zunächst
nach Tunesien und später nach Katar, von wo sie nach Bengasi abgeschoben wurde. Ihrer Schwester
zufolge will sie nun in die USA übersiedeln.
Moreno-Campo fügte hinzu, dass er aufgrund der neuen Erkenntnisse möglicherweise eine weitere
Anklage gegen Gaddafi erheben werde. Der IStGH-Ankläger erwartet in den kommenden Tagen bereits
eine Entscheidung zu dem von ihm beantragten Haftbefehl gegen Gaddafi wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
NATO fliegt neue Angriffe auf Tripolis
Derweil setzte die NATO ihre Luftangriffe auf die Hauptstadt Tripolis auch in der Nacht zum
Donnerstag fort. Wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira online berichtete, wurde die Stadt
am späten Abend von einer schweren Explosion erschüttert. Auch der Triebwerkslärm eines
Kampfflugzeuges sei zu hören gewesen. Am Mittwoch hatte die NATO angekündigt, den Luftkrieg in
Libyen bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes fortsetzen zu wollen.
Die Mitgliedstaaten zeigten sich aber nicht willens, ihre militärischen Anstrengungen deutlich über das
bisherige Maß auszuweiten. Ein Appell von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen an alle 28 NatoRegierungen, zusätzliche militärische Kräfte für den Libyen-Einsatz bereitzustellen, verhallte beim
Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel ohne erkennbare Reaktion.
Für eine Nach-Gaddafi-Ära sehen die NATO-Verteidigungsminister vor allem die Vereinten Nationen
und regionale Organisationen in der Pflicht, beim Wiederaufbau zu helfen. "Gaddafi ist Geschichte",
sagte Rasmussen. "Die Frage ist nicht, ob er geht, sondern wann er geht. Es kann Wochen dauern oder
morgen passieren. Aber wenn er geht, dann sollte die internationale Gemeinschaft vorbereitet sein."
Von den 28 Nato-Staaten sind nur 14 an dem Libyen-Einsatz beteiligt. Von diesen wiederum nehmen nur
neun an Kampfeinsätzen teil. Am Luftkrieg gegen Gaddafi beteiligen sich auch Schweden und Katar.
Vor allem Frankreich, Großbritannien und Italien, die bisher die Hauptlast des Einsatzes trugen, hatten
um Entlastung gebeten.
Quelle: AFP, dapd, dpa, http://themen.t-online.de/news/libyen, 1.7.2011.
30. Juni 2011, 19:04 Uhr
Waffen für libysche Rebellen
Russland wütet gegen Frankreichs Alleingang
Eine geheime Lieferung aus Paris sorgt für Aufregung: Die französische Regierung lieferte Waffen an die
libyschen Rebellen - ohne dies mit den Verbündeten abgesprochen zu haben. Die Aktion könnte sogar einen
Verstoß gegen das Embargo darstellen. Frankreich wiegelt ab: "Das geht die Uno nichts an."
Moskau/New York - Die Franzosen preschen vor, wieder einmal. Die Nato wusste von nichts, Russland ist
empört, sogar Großbritannien zeigt sich verwundert. Die französische Regierung räumte jetzt ein, dass sie
ohne Absprache mit den Verbündeten Waffen an die Rebellen in Libyen geliefert hat. Offen bleibt, ob dies
eventuell sogar als Verstoß gegen das Uno-Embargo gewertet werden kann, das Waffenlieferungen an Libyen
verbietet.
Russland hat die französischen Waffenlieferungen bereits als grobe Verletzung des geltenden Embargos
kritisiert. Außenminister Sergej Lawrow sagte am Donnerstag, er habe die Regierung in Paris um Aufklärung
gebeten. Eine Waffenlieferung an die libyschen Rebellen sei ein klarer Verstoß gegen Resolution 1970, sagte
Lawrow. Auch bei einigen Nato-Verbündeten wurden Zweifel laut, ob das französische Vorgehen mit UnoBeschlüssen in Einklang zu bringen sei.
Frankreich sieht hingegen keine Verletzung des Waffenembargos. Die Waffen dienten dem Schutz von
Zivilisten, die sich in unmittelbarer Gefahr befunden hätten. "Wir haben lediglich leichte Waffen zur
Selbstverteidigung geliefert, Sturmgewehre und Maschinengewehre", sagte Armeesprecher Thierry
Burkhard.
Französische Flugzeuge hätten die Waffen mit Fallschirmen versehen über der Bergregion Dschebel Nafusa
abgeworfen. "Das war eine rein französische Entscheidung, das geht die Vereinten Nationen nichts an",
meinte der Sprecher. Die von französischen Medien verbreitete Zahl von 40 Tonnen Militärgütern sei völlig
übertrieben. Eine konkrete Menge wollte er selbst aber nicht nennen. Die Zeitung "Le Figaro" berichtete von
Raketenwerfern, Sturmgewehren, Maschinengewehren und Panzerabwehrraketen.
Zu den militärischen Auswirkungen der Waffenlieferung wollte er sich nicht äußern. Das könne nur der
libysche Übergangsrat sagen. Doch der schweigt dazu bisher beharrlich. "Kein Kommentar", heißt es in
Bengasi.
"Das ist nicht etwas, was wir machen sollten"
Der britische Staatssekretär Gerald Howarth sagte, ohne Frankreich direkt zu kritisieren: "Das ist nicht etwas,
was wir machen sollten." Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen erklärte, die Allianz sei nicht involviert
gewesen. Er wisse auch nichts über Waffenhilfe anderer Länder an die Aufständischen, die sich mit der
faktischen Unterstützung der Nato seit Monaten vergeblich um einen Sieg gegen Machthaber Muammar alGaddafi bemühen. Der Chef der Afrikanischen Union gab zu bedenken, dass die französischen Waffen in den
Hände von Al-Qaida-Verbündeten in Nordafrika gelangen könnten. Auch die EU und die USA haben davor
gewarnt, dass Waffen aus Libyen in die Hände des Terrornetzwerks kommen könnten.
Aus Sicht der Aufständischen könnte der Krieg in dem nordafrikanischen Land durch Frankreichs
Vorpreschen verkürzt werden. "Je weniger Blut wir vergießen, umso schneller können wir uns um die
Zukunft kümmern und das Volk schützen", sagte Rebellen-Chef Mahmud Dschibril in Wien. Seit Beginn der
Nato-Luftangriffe auf Libyen vor drei Monaten ist die Rebellion gegen Gaddafi nur schleppend
vorangekommen - und in der Nato-Koalition zeigen sich erste Risse.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle bekräftigte unterdessen seine Entschlossenheit, die Rebellen zu
unterstützen. Die Aufständischen haben Deutschland um Hilfe für Kriegsversehrte, die Freigabe von
libyschem Vermögen auf Konten in Deutschland und die Lieferung von Minenräumgeräten gebeten.
lgr/dpa/Reuters
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,771673,00.html, 1.7.2011.
Rasmussen: Europa verliert Fähigkeit, Krisen zu
bewältigen
01. Juli 2011 17:58
Nato-Chef im Standard-Interview: USA und China füllen
Vakuum
Wien - Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat anlässlich seines Wien-Besuchs deutlich vor
den Folgen unterdotierter europäischer Verteidigungsbudgets gewarnt. "Wenn diese Entwicklung sich
fortschreibt, wird Europa nicht mehr imstande sein, im internationalen Krisenmanagement
mitzumachen", sagte Rasmussen im Standard-Interview.
Es gehe in der Frage um nichts weniger als um Europas zukünftiges Gewicht in der internationalen
Politik: "Wenn Europa keine Krisen mehr lösen kann, werden dies die USA, China und andere Mächte
nach deren eigenen strategischen Interessen für uns tun."
Den Einsatz des Nordatlantikpakts in Libyen beurteilt der Generalsekretär optimistisch. Aus
militärischer Sicht sei die Operation bisher sehr erfolgreich gewesen. Das allein genüge aber nicht: "Was
wir brauchen, ist auch ein politischer Prozess, in dem Muammar al-Gaddafi die Macht abgibt und den
Weg frei für einen friedlichen Übergang macht."
Eine befürchtete Ausweitung des Einsatzes über das eigentliche UN-Mandat hinaus vermag Rasmussen
nicht zu erkennen. Auch mangelnde militärische Ressourcen bestreitet er vehement. Die Nato werde mit
der Operation in Libyen so lange weitermachen, bis alle militärischen Ziele erreicht seien. Ein Einsatz
von Bodentruppen allerdings sei keine Option für die Allianz. Von Christoph Prantner.
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STANDARD: Was ist anstrengender, eine 100-Kilometer-Radtour durch die Ardennen oder der
Öffentlichkeit den Libyen-Einsatz schmackhaft zu machen?
Rasmussen:(lacht) Das sind beides sehr interessante Herausforderungen. Die Ähnlichkeit besteht darin,
dass es beim Radfahren wie in der Politik gelegentlich bergauf und bergab geht. Und was Libyen angeht,
gibt es eine breite Unterstützung in der Bevölkerung für den Einsatz.
STANDARD: In Libyen geht es für die Nato eigentlich nur bergauf, oder?
Rasmussen: Alle Operationen dieser Art beginnen mit einer anstrengenden Phase, keine Frage. Aber wir
haben substanzielle Fortschritte gemacht. Wir haben mehr als 2400 militärische Ziele zerstört oder
beschädigt. Wir haben ein Massaker an der Zivilbevölkerung verhindert. Und wir haben das UN-Mandat
erfolgreich umgesetzt. Aus militärischer Perspektive war die Operation bisher sehr erfolgreich. Aber
natürlich, es gibt keine militärische Lösung für Libyen. Was wir brauchen, ist auch ein politischer
Prozess, in dem Muammar al-Gaddafi die Macht abgibt und den Weg frei für einen friedlichen Übergang
macht.
STANDARD: Im Kosovo-Krieg dauerte es 78 Tage, bis die Serben nachgaben. Diese Marke ist in
Libyen schon weit überschritten. Wann wird Gaddafi aufgeben?
Rasmussen: Ich werde jetzt nicht über Zeitpunkte spekulieren. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir
solange weitermachen werden, bis unsere militärischen Ziele erreicht worden sind. Und zwar: ein
vollständiges Ende aller Attacken auf Zivilisten, der Rückzug der Gaddafi-Truppen in ihre Kasernen und
ein umgehender Zugang für humanitäre Hilfe im ganzen Land. Wenn das gewährleistet ist, können wir
sagen: Mission erfüllt!
STANDARD: Eine Lektion vom Balkan ist, dass nach Jahren der Flugverbotszone über Bosnien
Bodentruppen eingesetzt wurden. Wird das auch in Libyen notwendig sein?
Rasmussen: Das ist keine Option für die Nato. Wir sind nicht bereit, Bodentruppen dort hinzuschicken.
In einer Post-Gaddafi-Ära sehen wir keine größere Rolle für die Allianz in Libyen. Da soll die UN die
Führungsrolle übernehmen.
STANDARD: Die Nato hat zuletzt das Mandat für die Operation um weitere 90 Tage ausgedehnt. Es
gibt Experten, die Schwierigkeiten für das Bündnis kommen sehen. Flugzeuge werden knapp, der
einzige Flugzeugträger, die Charles de Gaulle, kann nicht ewig im Raum bleiben ...
Rasmussen: Lassen Sie mich das klar sagen: Wir werden die Operation nicht nur zu Ende führen, wir
haben auch alle nötigen Mittel, um einen Erfolg zu erreichen.
STANDARD: Zuletzt hat der niederländische Verteidigungsminister vor einem "mission creep" , einem
Ausdehnen der Operation über ihre ursprünglichen Ziele hinaus gewarnt. Was entgegenen Sie?
Rasmussen: Es gibt keinen "mission creep" , und es wird auch keinen geben. Wir richten uns strikt nach
dem UN-Mandat. Darüber gehen wir nicht hinaus. Unsere Taktik müssen wir dennoch anpassen. Zuletzt
haben wir entschieden, Kampfhubschrauber einzusetzen. Da ist keine Ausweitung, nur eine Adaptierung
des Einsatzes.
STANDARD: Warum ist die Nato gegen Waffenlieferungen an die Rebellen, so wie sie Frankreich nun
durchführen will?
Rasmussen:Das ist nicht Teil der Nato-Operation und unseres Mandates. Wir sind dazu da, eine
Flugverbotszone zu implementieren sowie die Zivilisten mit allen nötigen Maßnahmen zu schützen.
STANDARD: Kann die Nato ihre Operationen in Libyen nur mit europäischen Partnern und ohne USUnterstützung ausführen?
Rasmussen: Die kurze Antwort ist: Nein. Wir brauchen die US-Unterstützung. Trotzdem ist die
Operation einzigartig, weil die Mehrzahl von Jets und Material nicht von den USA gestellt werden.
STANDARD: Sie kritisieren, dass sich die Europäer in Verteidigungsfragen zu stark auf die USA
verlassen. In Zeiten der Sparpakete in ganz Europa, wie soll es Mehrheiten für größere Militärbudgets
geben?
Rasmussen: Ich bin Politiker und ich weiß um die Sparzwänge. Der einzige Weg, um sicherzustellen,
dass die Wirtschaftskrise nicht zu einer Sicherheitskrise wird, ist, dass wir mehr für weniger bekommen.
Wir müssen unsere Kräfte bündeln, smarte Verteidigungpolitik machen. Wir können viele Dinge
gemeinsam erledigen, das spart eine Menge Geld. Dennoch ist es ein wachsendes Problem, dass die
Kluft zwischen den Verteidigungsausgaben der USA und Europas in der Nato wächst. Nach dem Ende
des Kalten Krieges war das Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel, heute tragen die Europäer nur noch
20 Prozent bei. Wenn diese Entwicklung sich fortschreibt, wird Europa nicht mehr imstande sein, im
internationalen Krisenmanagement mitzumachen. Es geht um Europas zukünftiges Gewicht in der
internationalen Politik, um nicht mehr und nicht weniger. Wenn Europa keine Krisen mehr lösen kann,
werden dies die USA, China und andere Mächte nach deren eigenen strategischen Interessen für uns tun.
Europa bliebe allein zurück. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2011)
Anders Fogh RASMUSSEN (58) ist seit 2009 Nato-Generalsekretär. Zuvor war der Rechtsliberale acht
Jahre lang dänischer Premier. In seiner Freizeit radelt der Nato-Chef gerne, wie er zuletzt auch auf
Facebook postete ("100 Kilometer durch die Ardennen").
http://derstandard.at/1308680206179/Rasmussen-Europa-verliert-Faehigkeit-Krisen-zu-bewaeltigen,
1.7.2011.
Türkei schießt nicht auf "libysche Brüder"
Im Libyen-Konflikt blockiert die Türkei eine mögliche Führung des Militäreinsatzes durch die Nato. Streit
mit Frankreich, Zweifel an den Zielen der Luftangriffe und Eigeninteressen sind der Grund.
Nach dem Beginn der Luftangriffe auf Libyen verschwimmt im Nato-Land Türkei zunehmend die Grenze
zwischen Gut und Böse in dem Konflikt. Ankara hegt Zweifel an den Motiven für die Angriffe auf Truppen
von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Im Falle Frankreichs vermuten die Türken innenpolitische Gründe
hinter dem Militärschlag - wenn nicht sogar Interesse am libyschen Öl. Türkische Kommentatoren greifen
diese Theorie, die auch von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan genährt wird, begierig auf.
Türkei wird die Waffen nicht auf "libysche Brüder" richten
Aufständische wie auch Anhänger Gaddafis, die sich nach Warnungen vor einem drohenden Völkermord nun
weiter blutige Kämpfe liefern, werden schon wieder fast wie ein einiges Volk behandelt, das auf dem Weg
zur Freiheit auf die Unterstützung der Türkei bauen könne. "Die Türkei wird niemals eine Waffe auf die
libyschen Brüder richten", sagte Außenminister Ahmet Davutoglu, dessen Staat als einziges Nato-Land eine
große muslimische Mehrheit hat.
Ziel müsse es sein, humanitäre Hilfe ins Land zu bringen und die Kämpfe mit einem Waffenembargo und einer
Flugverbotszone zu beenden. "Ziel sollte es nicht sein, im großen Stil einen Krieg zu beginnen", sagte Davutoglu.
Türkei fühlt sich von Frankreich hintergangen
Die Türkei fühlt sich aber auch vom Vorpreschen Frankreichs hintergangen. Erdogan sei beleidigt, dass
Präsident Nicolas Sarkozy ihn am Samstag nicht zum Libyen-Gipfel nach Paris eingeladen habe, obwohl die
Türkei als Nato-Mitglied in den Wochen zuvor an militärischen Planungen beteiligt gewesen sei, meinen
türkische Kommentatoren.
"Ich habe dreimal mit Gaddafi gesprochen und ihn freundlich gebeten, seinen Rücktritt zu erklären", sagte
Erdogan. "Das ist leider nicht geschehen". Nun wolle Sarkozy politisches Kapital aus der Lage schlagen.
Auch eine persönliche Abneigung zwischen den beiden Männern spielt womöglich eine Rolle. Bei einem
Besuch in Ankara verweigerte Sarkozy jüngst dem türkischen Regierungschef die gewünschte gemeinsame
Pressekonferenz. Erdogan revanchierte sich. Er gab dem französischen Präsidenten noch auf den
Treppenstufen von oben herab die Hand und ließ ihn damit auf Pressefotos noch kleiner erscheinen.
Internationalen Regeln sind nicht beachtet worden
Nun führt die türkische Regierung auch formale Bedenken gegen den Kampfeinsatz an. Die international
geltenden Regeln seien nicht voll beachtet worden. Ankara fordert nach dem UN-Mandat auch eine Führung
des Einsatzes durch die Vereinten Nationen. "Der Libyen-Einsatz sollte unter dem Dach der UN ausgeführt
werden. Die UN sollten die Entscheidungen treffen", sagte Außenminister Davutoglu.
Erdogan habe den britischen Premierminister David Cameron zu den Zielen eines Nato-Einsatzes befragt,
berichtete eine türkische Zeitung. Wenn damit jemandem die Kontrolle über die libyschen Bodenschätze
verschafft werden solle, werde sich die Türkei nicht beteiligen, sagte Erdogan demnach.
Türkei hat auch wirtschaftliche Interessen
Allerdings hat Ankara selbst erhebliche wirtschaftliche Interessen. Türkische Unternehmen bauen in Libyen
an großen Infrastrukturprojekten und haben Verträge im Umfang von 15 Milliarden US-Dollar (rund 11
Milliarden Euro) abgeschlossen. Erst vor einigen Tagen bereitete die türkische Flughafengesellschaft TAV
ihre Rückkehr nach Libyen vor. Das Unternehmen schickte auf Bitte der Führung in Tripolis zwei Ingenieure
in die Hauptstadt, die dort Bedingungen für eine Fortsetzung des Baus eines neuen Flughafens prüfen sollen.
(Carsten Hoffmann, dpa, N24), 22.03.2011 14:00 Uhr, http://www.n24.de/news/newsitem_6747889.html,
1.7.2011. - June 30, 2011
Western Funds Are Said to Have Managed
Libyan Money Poorly
By DAVID ROHDE, New York Times/International Herald Tribune
Prominent American and European investment funds managed hundreds of millions of dollars in
Qaddafi regime assets poorly, charging tens of millions of dollars in fees and producing low returns,
according to a document obtained by the advocacy group Global Witness. The banks appeared to have
taken advantage of a Libyan investment fund that was poorly managed and "a mess," according to a
western official who spoke on condition of anonymity.
The document, a September 2010 summary of Libyan Investment Authority assets, showed poor
performance by European and American money managers and a Libyan with close ties to the Qaddafi
regime. Libyan Investment Authority officials complained that a $1.7 billion investment they made in
six different funds generated returns far below the industry benchmark.
“To date, we have paid in excess of $18 million in fees, for losing us $30 million,” the report says at one
point, referring to a fund reportedly managed by the son-in-law of the head of Libya’s state oil company.
The report, prepared by the London office of the consulting firm KPMG, shows that a $300 million
Libyan investment in Permal, a hedge fund that is a unit of the Baltimore-based Legg Mason, lost 40
percent of its value from January 2009 to September 2010. At the same time, Permal received $27
million in fees. “Consistently negative performance since inception,” Libyan officials said in the report.
“Very high fees for no value.”
The Libyans voiced similar complaints about investments in funds managed by European firms that also
lost value. Despite producing low returns, the Dutch firm Palladyne received $19 million in fees, the
French bank BNP Paribas earned $18 million, Credit Suisse took $7.6 million and the Swiss firm Notz
Stucki had $5 million. KPMG analysts also warned that the Libyan Authority’s investment in such funds
was too high compared with other types of investments.
Representatives for the firms declined to respond publicly or could not be reached for comment. KPMG
declined to comment, but The New York Times was able to independently verify the document’s
authenticity.
An official at one firm criticized in the report, who spoke anonymously, blamed the poor investments on
middlemen and denied that the firm had received high fees. “It’s not as straightforward a picture as it
perhaps should be,” the official said.
In 2008, Goldman Sachs lost more than $1 billion in Libyan Investment Authority money in currency
and other trading, The Wall Street Journal reported in May. The Securities and Exchange Commission is
investigating whether an offer by Goldman to pay a $50 million fee as part of a package to help the fund
recoup its losses violated American bribery laws. Goldman has denied any wrongdoing and declined to
comment on Thursday.
Doing business with Libya was legal for American companies from 2004 to 2011. American banks, oil
companies and construction companies rushed to do business in Libya after Col. Muammar el-Qaddafi
renounced terrorism and halted his attempt to develop nuclear weapons and the Bush administration
lifted sanctions in 2004. The Obama administration reimposed sanctions in February after the Qaddafi
regime began brutally repressing an uprising in the country.
The creation of the Libyan Investment Authority in 2006 set off a frenzy in banking circles. Leading
financial firms scrambled for the opportunity to manage the authority’s $40 billion in assets.
Managing the sovereign wealth funds for oil-rich states — some of which are authoritarian — is an
enormous business for Western banks. For example, the Libyan Investment Authority’s total assets grew
by $10 billion over three months, to $64 billion in September 2010 from $54 billion in June, according
to the newly released document.
The document also showed that the British bank HSBC became the Qaddafi regime’s largest Western
banking partner in September 2010, receiving $1.4 billion in Libyan money. The document showed that
the amount of Libyan state oil money managed by HSBC soared to $1.42 billion in September 2010
from $282 million in June 2010. The document also corroborated a document leaked by Global Witness
in May showing that Goldman Sachs managed about $45 million and JPMorgan Chase about $173
million for the Libyan regime in 2010. Société Générale and other European banks also helped the
Qaddafi regime manage oil proceeds.
Under current American and British law, the business relationships between sovereign wealth funds and
Western banks can be kept secret. In a statement, Global Witness called for such dealings to be made
public so that citizens of oil-rich and Western countries could understand what was taking place.
“Banking secrecy laws still mean that citizens are left in the dark about how their own state’s funds are
managed,” said Robert Palmer, a campaigner at Global Witness. “We can’t continue with a situation
where information about how a state handles its assets is only made available once a dictator turns
violently on his own people and information is leaked.”
Evidence of cronyism appears in the report as well. The state fund invested $300 million in a Palladyne
fund managed by the son-in-law of the head of Libya’s state oil company, according to The Wall Street
Journal.
Forty-five percent of the $300 million investment was held in cash, the report said. In addition to losing
$30 million while charging $18 million in fees, the fund performed 39 percent below a worldwide index
of similar funds.
http://www.nytimes.com/2011/07/01/business/global/01libya.html?_r=1&ref=libya, 1.7.2011.
Britain Sends Supplies to Libyan Rebels
By DAVID JOLLY, New York Times/International Herald Tribune, June 30, 2011
Britain is providing limited assistance to the Libyan rebels fighting the forces of Col. Muammar elQaddafi, including protective clothing for police officers, Foreign Secretary William Hague said on
Thursday, a day after France acknowledged providing light weapons to the rebels.
The British military has furnished 5,000 sets of body armor, 6,650 police uniforms, and 5,000 high
visibility vests and T-shirts, Foreign Minister William Hague said in a written statement to Parliament,
adding that the supply of such equipment was “fully in line” with United Nations resolutions governing
arms embargoes.
“This equipment will enable the civilian police to carry out their functions more securely and better
protect National Transitional Council representatives and the significant international and NGO
communities in Benghazi, Misurata and other areas of Libya,” Mr. Hague said.
On Wednesday, a spokesman in Paris said the French military had provided the rebels with arms and
ammunition, including assault rifles, machine guns and rocket-propelled grenades and launchers, the
first Western government to acknowledge having done so. The aid, which was delivered along with food
and medicines, did not include heavy weapons, he said, and was appropriate for civilians to use in selfdefense.
With a “no-boots-on-the-ground policy” in Libya, the French, British and United States governments are
hoping that the rebels, with the aid of alliance airstrikes, will be able to topple the Qaddafi government.
The British government said that it believes shipping arms to the rebels would be legal in some cases, a
Foreign Office spokesman said, but is not doing so now.
“We do think the United Nations resolutions allow in certain limited circumstances defensive weapons
to be provided,” said the spokesman, who cannot be identified in line with government rules. “But the
U.K. is not engaged in that. Other countries will interpret the resolution in their own way.”
Also Thursday, the NATO chief, Anders Fogh Rasmussen, said the alliance was not involved in the
French operation, Reuters reported.
http://www.nytimes.com/2011/07/01/world/europe/01london.html?ref=libya#, 1.7.2011.
02.07.2011 / Medial / Seite 26
Handyfilme in Endlosschleife
MEDIENgedanken: Syrien und die Medien
Von Karin Leukefeld, Neues Deutschland
»Sind Sie tatsächlich die letzte deutsche Journalistin dort«, fragte mich dieser Tage ein Kollege am
Telefon. Seit zwei Jahren bin ich in Syrien als Korrespondentin akkreditiert und kann – anders als
Journalisten, die für jede Einreise ein neues Pressevisum brauchen – problemlos ein- und ausreisen. Vor
wenigen Jahren waren hier noch weitere Kolleginnen. Ab und zu flogen Korrespondenten von Funk und
Fernsehen ein, manchmal rauschten auch Vertreter großer Wochenmagazine vorbei, interviewten – ohne
lange Wartezeiten – den Präsidenten oder andere Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Anschließend
verfassten sie einen Bericht, der in der täglichen Informationsflut rasch vergessen war. Zwei Millionen
irakische Flüchtlinge, Dürre, wirtschaftliche Öffnung waren kaum ein Thema.
Heute ist es umgekehrt. Seit Wochen bestimmt Syrien die Schlagzeilen, obwohl »keine ausländischen
Reporter« in das Land einreisen dürfen, wie immer wieder betont wird. Auf welchen Quellen basieren
die Meldungen? Wie werden Aussagen, Bilder und Informationen überprüft? Gejagt von immer
schneller werdenden Informationsströmen geraten Wahrheit und Lüge durcheinander, zumal über
»soziale Netzwerke« wie Facebook und Twitter, Quellen gar nicht mehr verifizierbar sind. Mehrmals
mussten sich namhafte Medien in den letzten Wochen für das Ausstrahlen von Material entschuldigen,
das angeblich Vorgänge in Syrien zeigen sollte. Tatsächlich stammten die Aufnahmen aus Irak, Jemen,
Libyen oder sonst woher. Doch bekommt das Publikum, das tags zuvor die angeblichen Syrien-Bilder
gesehen hatte, die Entschuldigung auch mit?
Der »Focus« schrieb in seiner Ausgabe vom 25. April unter Berufung auf einen Einwohner der Stadt
Daraa über ein Massaker in der Stadt. Panzer hätten das Feuer eröffnet, Tote lägen auf den Straßen.
»Kinder werden getötet. Wir haben seit drei Tagen keinen Strom. Wir haben kein Wasser«, sagte der
Einwohner.« Als Quellen werden AFP, dapd, Reuters genannt. Zwei Monate später berichtet mir ein
Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuz (IKRK) in Damaskus über einen eintägigen
Einsatz in Daraa Ende April, zusammen mit dem Syrischen Roten Halbmond. Zwei Tanklastwagen mit
frischem Trinkwasser hätten die Stadt gefüllt wieder verlassen, »es gab keinen Wassermangel«. Wie
glaubwürdig sind dann die anderen »Meldungen«?
Nicht, dass bei den Protesten seit Mitte März in Syrien keine Opfer zu beklagen wären. Unbestätigten
Quellen zufolge starben 1300 Zivilisten, die Armee spricht von 300 getöteten Soldaten und
Sicherheitskräften. Tausende Demonstranten wurden festgenommen. Die Opposition, die sich dieser
Tage erstmals in Damaskus traf, fordert eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse. Verletzte und
Tote auf beiden Seiten sprechen in Teilen des Landes für einen bewaffneten Konflikt, der recherchiert
werden müsste, auch unter schwierigen Bedingungen. Was ist geschehen? Wer schießt, wer schießt
zurück? Was sagen Offizielle, was sagen Betroffene? Wer sind die Akteure der syrischen
Protestbewegung, was sind ihre Ziele? Fragen über Fragen, eine Herausforderung für journalistische
Arbeit.
Einfach ist es nicht, in Syrien Hintergründe zu erfahren. Es gibt staatliche Restriktionen, Behörden
schränken die Bewegungs- und Arbeitsfreiheit von Journalisten ein. Zu Beginn der Ereignisse in Daraa,
dem Ort an der syrisch-jordanischen Grenze, konnten akkreditierte Journalisten von dort berichten. Gut
erinnere ich mich an das Interview einer Reporterin des Senders Al Jazeera (Englisch) mit einem Mann
in Daraa. Auf die Frage: »Ist dies ein Aufstand gegen das Regime?« antwortete er sinngemäß: »Nein, wir
wollen respektiert werden und bessere Lebensbedingungen.« Bald wurde geschossen und
zurückgeschossen, Informations- und Verteidigungsministerium untersagten Reportern »aus Gründen
der Sicherheit«, nach Daraa und anderen Brennpunkten zu gehen. Wer sich nicht daran hielt oder
unbestätigte Meldungen verbreitete, wurde ausgewiesen.
Bewegungs- und Recherchefreiheit für Journalisten ist ein Muss, Ausweisung und Einreisesperren – wie
von den syrischen Behörden teilweise verhängt – sind inakzeptabel. Doch ebenso wichtig ist die
Verpflichtung von Medien, über alle Seiten eines Konflikts zu berichten, nicht einen Konflikt einseitig
zu befeuern. Schränkt ein Staat die Arbeitsmöglichkeiten für Reporter ein, versucht man normalerweise
auf dem Weg des Dialogs, die Arbeit weiter zu gewährleisten.
Dieses Mal war es anders. Mächtige Sender wie BBC und Al Jazeera reagierten, als habe Syrien ihnen
den Krieg erklärt und gingen zum Angriff über. Syrien war DIE Schlagzeile. In Endlosschleifen strahlte
Al Jazeera (Arabisch) unbestätigte Handybilder und Telefonate mit Augenzeugen aus, die nur eine
Botschaft hatten: »Das Regime mordet wahllos, das Regime muss weg«. Die englischen Programme
beider Sender sorgten in der westlichen Welt für Deutungshoheit über das Geschehen in Syrien. Ihre
Bilder und Kommentare fütterten andere Medien und wurden von den USA und der EU in massiven
politischen Druck verwandelt. Inzwischen hat Syrien die Restriktionen für Journalisten gelockert, bringt
Fernseh- und Fotoreporter (aus aller Welt übrigens) zu Brennpunkten, wo sie filmen, fotografieren und
Augenzeugen befragen können. Doch es herrscht die Macht der Bilder in diesem Medienkrieg, selbst
wenn sie unscharf sind. Hintergrundrecherche und das geschriebene Wort verlieren an Bedeutung.
Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für ND aus dem arabischen Raum.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/201126.handyfilme-in-endlosschleife.html, 1.7.2011
Russia Says France Is Violating Embargo
By REUTERS, June 30, 2011
Russia accused France on Thursday of committing a “crude violation” of a United Nations weapons
embargo by arming Libyan rebels. France confirmed Wednesday that it had air-dropped arms to rebels in
the Misurata and the Nafusah Mountains, becoming the first NATO country to publicly acknowledge
arming the insurgency. Foreign Minister Sergey V. Lavrov of Russia said that if the reports were true, “it
is a very crude violation of U.N. Security Council Resolution 1970,” the resolution imposing a
comprehensive arms embargo on Libya. France said Wednesday that the weapons did not violate the
embargo because they were intended to protect civilians from attack, which it said was allowed under a
later resolution allowing “all necessary measures” to protect civilians. The United States agreed. A State
Department spokesman, Mark Toner, said the two resolutions, “read together, neither specified nor
precluded providing defense matériel to the Libyan opposition.” He added that it was “not an option that
we have acted on.”
http://www.nytimes.com/2011/07/01/world/europe/01briefs-Russia.html?ref=libya, 1.7.2011.
11.05.2011 / Titel / Seite 1
Bomben und Hilfsappelle für Libyen
Erneut schwere Luftangriffe der NATO / UNO beklagt
humanitäre Notlage Zehntausender
Von Roland Etzel, Neues Deutschland
NATO-Bomber haben in der Nacht zum Dienstag erneut die libysche Hauptstadt Tripolis angegriffen,
angeblich galten die Angriffe Kommandozentralen der libyschen Armee. Aber auch die Residenz von
Staatschef Gaddafi sei attackiert worden. Berichten zufolge werden die Lebensumstände in Tripolis
immer schwieriger – es fehle vor allem an Medikamenten und Nahrungsmitteln.
Gestern war der 53. Tag des NATO-Krieges gegen Libyen. Wiederum wurden Luftangriffe geflogen. In
der vergangenen Woche hatte das NATO-Hauptquartier bekanntgegeben, dass man derzeit im Schnitt 59
Luftangriffe täglich absolviere, insgesamt seien es damit bereits über 2000. Und noch immer wird
behauptet, dass dies allein geschehe, um Zivilisten vor den völkermordenden Truppen des libyschen
Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi zu schützen. Bewiesen sind weder Massentötungen durch
Gaddafis Streitkräfte noch die Verbesserung der humanitäre Lage in Libyen durch NATO-Bomben.
Nicht verbessert hat sich offenbar auch die militärische Lage der Gaddafi-Gegner, trotz inzwischen
vorhandener ausländischer Ausbilder und verdeckter Waffenlieferungen über die ägyptische Grenze. Mit
der Zuversicht der Aufständischen steht es offenbar nicht zum Besten. Vor etwa zwei Monaten noch
wollten sie Gaddafi ohne ausländische militärische Unterstützung stürzen. Jetzt erflehen sie den Einsatz
von Bodentruppen. Am Montag hatte es aus dem Widerstandsrat der Aufständischen sogar geheißen,
notfalls müssten eben auch Wohnviertel bombardiert werden, wenn sich dort Gaddafi-Truppen
verschanzten. Deshalb wird wohl weitergebombt werden. Wieviel dann noch von den libyschen Städten
steht, die vor Gaddafis Angreifern geschützt werden sollten, scheint nicht mehr wichtig zu sein.
Das Dauerbombardement zeigt schon jetzt verheerende Wirkungen. Wurden im libyschen Fernsehen zu
Beginn des Krieges noch demonstrativ in Ruhe einkaufende Menschen gezeigt, so hat sich dieses Bild
gewandelt. Libyen, das nur einen geringen Teil der im Lande nötigen Lebensmittel und andere
Verbrauchsgüter selbst produziert, ist auf kontinuierliche Zuflüsse frischer Waren angewiesen. Das war
und ist keine Geldfrage, aber in Zeiten von Blockade und Luftkrieg einfach nicht zu bewerkstelligen.
Also wird alles knapp: Lebensmittel, Medikamente, selbst Wasser, um nur das Elementarste zu nennen.
Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos erklärte in New York, die humanitäre Situation in Libyen
werde immer schlimmer. Fast eine dreiviertel Million Menschen seien seit Beginn der Kämpfe Mitte
Februar aus dem Land geflohen. Weitere 65 000 Libyer seien im eigenen Land auf der Flucht. Amos hat
nun zu einer Waffenpause aufgerufen, damit Hilfsgüter an die Bevölkerung verteilt werden könnten. Das
dürften viele Betroffene als zynisch empfinden, denn die einstige britische Staatssekretärin für
Entwicklung richtete ihren Appell nicht an die Befehlshaber der Bombergeschwader in London oder
Paris, sondern allein an die libyschen Konfliktparteien. Diese sollten Zivilisten verschonen, verlangte
Amos am Montag (Ortszeit) im UN-Sicherheitsrat. Insbesondere in der von Gaddafi-Truppen belagerten
Stadt Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, fehle es an Trinkwasser, Lebensmitteln und anderen
Bedarfsgütern, sagte sie.
Nicht wenige Zerstörungen in der Stadt sind allerdings das Werk der NATO. Während Amos in New
York auch die Benzinknappheit im Ölland Libyen beklagte, hatten NATO-Bomber gerade den größten
Treibstofftank Misuratas in Brand geschossen. Er war eben in der Hand der »Falschen«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/197369.bomben-und-hilfsappelle-fuer-libyen.html, 1.7.2011
Libyen | 29.06.2011 11:40 | Peter Strutynski – der Freitag
Doppelte Standards
Der internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gibt mit seiner Anklage das
Signal zum finalen Schlagabtausch mit Gaddafi. Doch die Beweislage ist eher
dürftig
Die Beweislage, die ICC-Chefankläger Moreno-Ocampo für seine Gaddafi-Anklage geltend macht,
stützt sich überwiegend auf „Augenzeugen“-Berichte: Von angeordneten Schüssen auf Demonstranten,
Artilleriefeuer auf Trauergemeinden, Vergewaltigungen und Folter ist die Rede. Bezweifelt werden
muss, ob diese Anschuldigungen für einen Haftbefehl ausreichen. Es ist in der Geschichte des ICC erst
das zweite Mal, dass gegen einen amtierenden Staatschef (auch wenn Gaddafi formal dieses Amt gar
nicht bekleidet) Anklage erhoben wird. Bisher galt das nur für den sudanesischen Präsidenten al-Baschir,
der seit März 2009 per internationalem Haftbefehl verfolgt wird. Auch in den anderen Fällen, in denen
das ICC ermittelt, prozessiert oder bereits Urteile gesprochen hat, handelt es sich ausschließlich um
Afrikaner. Johan Galtung, Nestor der internationalen Friedensforschung, vermutet dahinter die
Fortsetzung kolonialer Tradition: Das Völkerstrafrecht werde einseitig „im Interesse des Westens
angewandt“.
Amr Moussa, der scheidende Generalsekretär der Arabischen Liga, erwartet von weiteren Luftschlägen
gegen Tripolis „keinen Durchbruch“ und plädiert für eine Waffenruhe
Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man die Ermittlungstätigkeit des ICC genauer betrachtet. Das
Haager Gericht hat in der Vergangenheit zahlreiche Strafanträge abgelehnt, die wegen des Irak-Krieges
gestellt wurden. Und das vorzugsweise mit zwei Argumentationen: „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ gemäß Art. 7 des ICC-Statuts seien Handlungen, „die im Rahmen eines ausgedehnten
oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen“ werden. Beim Irak-Krieg habe das
den alliierten Streitkräften aber nicht nachgewiesen werden können. Es ging vorrangig um Vergehen
britischer Soldaten. Gegen Angehörige der US-Armee wurde gar nicht erst ermittelt, da die USA den
ICC nicht anerkennen. Es blieben Fälle des Verdachts auf Kriegsverbrechen übrig, von denen dann zu
sprechen ist, wenn absichtlich Zivilisten angegriffen werden oder bei Angriffen auf militärische Ziele
unverhältnismäßig viele zivile Opfer in Kauf genommen werden. Bei den Untersuchungen zum Irak kam
Chefankläger Moreno-Ocampo zu dem Ergebnis, dass zwar möglicherweise Kriegsverbrechen
stattgefunden hätten, diese aber auf keinen Fall „in großem Umfang verübt“ wurden. Das heißt, die vom
ICC-Statut, Artikel 8, geforderte „besondere Schwere“ des Verbrechens habe nicht vorgelegen.
Ausdrücklich wurde bei dieser Begründung auf unvergleichlich größere Kriegsverbrechen im Kongo, in
Nord-Uganda und Darfur hingewiesen.
Gaddafis Angebot
Man sieht, dass es für den Chefankläger einen großen Ermessensspielraum gibt, Anklage zu erheben
oder darauf zu verzichten. Im Fall Gaddafi verdient deshalb um so mehr der Klage-Kontext Beachtung,
wie er mit den NATO-Luftangriffen, einem von außen lancierten Regimewechsel und dessen politischer
Begründung gesetzt ist. Am 11. März 2011 hatte Präsident Obama behauptet, es gälte in Libyen einen
„Völkermord“ zu verhindern, den Gaddafi angekündigt habe. Hierzu gibt es eine aufschlussreiche
Einlassung des Professors für öffentliche Angelegenheiten an der Universität von Texas, Alan J.
Kuperman, der in einem Artikel für The Boston Globe schreibt: „Gaddafi (hat) niemals mit einem
Massaker an der Zivilbevölkerung in Benghazi gedroht, wie von Obama behauptet. Die Warnung 'es
werde kein Pardon gegeben' vom 17. März richtete sich allein gegen die Aufständischen, wie die New
York Times berichtete. Zudem habe der libysche Machthaber denjenigen eine Amnestie versprochen, die
'ihre Waffen wegwerfen'. Gaddafi bot den Rebellen sogar einen Fluchtweg und offene Grenzübergänge
in Richtung Ägypten an, um einen 'Kampf bis zum bitteren Ende' zu vermeiden.“
Sicher, der Haager Weltgerichtshof ist nicht verantwortlich für die Entscheidungen des Sicherheitsrats,
weder für die ein militärisches Eingreifen der NATO autorisierende UN-Resolution 1973 vom 17. März
noch für den Auftrag des Sicherheitsrats vom 26. Februar an das ICC, Ermittlungen in Sachen Gaddafi
aufzunehmen. Er ist aber voll verantwortlich für einen korrekten, rechtsstaatlichen Kriterien
entsprechenden Vollzug dieses Auftrags. Da ist es wenig hilfsreich, wenn nur nach einer Seite ermittelt
wird und das Kriegshandeln der Rebellen völlig ausgeblendet bleibt, wenn es keine Beweisaufnahme vor
Ort gibt und kein Ermittlungsteam nach Libyen entsandt ist. Wenn der ICC-Ankläger mit erstaunlicher
Geschwindigkeit zu einer Anklageschrift kommt, aber andere, beim ICC anhängige Verfahren – etwa
zum Überfall auf die Gaza-Flottille am 31. Mai 2010 oder zur israelische Gaza-Invasion 2009/2010 –
harren weiter der Erledigung.
Vor allem keine Bilder
Selbst wenn man dem Gericht bescheinigen wollte, dass es trotz aller Eile juristisch korrekt vorgegangen
sei, bleiben am Ende magere Beweise für die erhobenen Vorwürfe, die sich auf den Zeitraum vom 15.
bis 28. Februar 2011 beziehen. Wer sich die vorliegenden Daten vergegenwärtigt, kommt zu dem
Ergebnis, dass es in jener Zeit vereinzelte Konfrontationen zwischen Sicherheitskräften und
Demonstranten beziehungsweise bewaffneten Oppositionellen gegeben hat, aber nichts auf einseitig
vorgenommene Angriffe der Staatsmacht auf Zivilpersonen hindeutet. Spätestens seit dem 20. Februar
waren die Oppositionellen bewaffnet und hatten zum Teil schweres Gerät der libyschen Armee erbeutet.
Für das Maschinengewehrfeuer auf eine Trauergemeinde in al Baida am 18. Februar – auch dies ein
Punkt der Anklage des ICC – gibt es außer Augenzeugenberichten keinerlei Belege. Vor allem keine
Bilder, was heutzutage, da alles per Handy in Echtzeit um den Globus geschickt werden kann, doch
seltsam erscheint. Selbst al-Jazeera stützt sich allein auf ein Telefongespräch mit einem „Augenzeugen“,
allerdings nicht in al Baida, sondern in Benghazi. Die FAZ sprach am Tag nach dem Vorfall von einem
„Massaker“, seitdem kursieren unterschiedliche Angaben über die Zahl der Toten. Bei alledem muss
berücksichtigt werden, dass zu diesem Zeitpunkt die Rebellen sowohl in al Baida als auch in Benghazi
bereits die Macht übernommen hatten.
Auch ein Blick auf die Opferzahlen in der Rebellen-Hochburg Benghazi zeigt, dass zwar viele Tote zu
beklagen waren (Ärzte dort sprachen nach dem Ende der Kämpfe von 256 Toten und rund 2.000
Verletzten), es sich hierbei aber augenscheinlich nicht nur um Zivilpersonen und nicht nur um
Oppositionelle handelte. Von “Massakern“ an der Zivilbevölkerung, von „Völkermord“ oder davon, dass
Gaddafi sein eigenes Volk „abschlachte“, wie es Susan Rice, US-Botschafterin bei der UNO,
formulierte, kann also nicht die Rede sein. Hätte der ICC-Chefankläger bei Libyen die gleichen
Maßstäbe angelegt wie beim Irak, hätte er niemals Anklage wegen besonders schwerer
Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheben dürfen. Hier werden doppelte
Standards gebraucht.
http://www.freitag.de/politik/1126-doppelte-standards, 1.7.2011.
»Bush und Obama müßten als erste auf Anklagebank«
Libyen-Krieg: Der Westen will nicht nur Öl und Rache. Er will auch Chinas Einfluß
eindämmen. Ein Gespräch mit Johan Galtung. Von Mirko Knoche, Junge Welt, 28.5.2011, S. 2.
Professor Johan Galtung aus Norwegen gilt als Pionier der Friedensforschung
Der Schuldige am libyschen Bürgerkrieg ist ausgemacht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat
Revolutionsführer Muammar Al-GHaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Finden Sie
das gerechtfertigt?
Während die Ankläger und Richter vorwiegend aus dem Westen stammen, sind die meisten Angeklagten
Afrikaner. Libyen war früher selbst eine Kolonie. Die Machtverhältnisse entsprechen also der alten Tradition.
Damit verteidige ich Ghaddafi gar nicht. Es gibt aber ganz andere Kandidaten, die für ein Strafverfahren viel mehr
in Frage kämen. Wenn man die Kriegsverbrechen in Rechnung stellt, die von den Invasoren im Irak und in
Afghanistan begangen wurden, müßten Ex-US-Präsident George W. Bush und sein Nachfolger Barack Obama als
erste auf der Anklagebank sitzen. Der Irak-Krieg hat schließlich über eine Million Menschenleben gekostet.
Warum hat man überhaupt Libyen angegriffen und nicht etwa den Jemen oder Bahrain? Auch dort wurden und
werden Zivilsten getötet. Da stimmen die Verhältnisse nicht. Deshalb haben sich fünf von 15 Staaten im UNSicherheitsrat bei der Libyen-Resolution der Stimme enthalten.
Und was ist mit den gravierenden Tatvorwürfen, die man Ghaddafi macht?
Ich halte sie für einen Vorwand. Das Völkerstrafrecht wird im Interesse des Westens angewandt. Die Methoden
von Ghaddafis Clan und des Bengasi-Clans in ihrer Auseinandersetzung unterscheiden sich nicht wesentlich.
Trotzdem hat die NATO einseitig Partei für die Rebellen aus Bengasi ergriffen. Ich glaube, daß Ghaddafi in
Libyen und ganz Afrika mehr Unterstützer hat als seine Widersacher.
Um wen handelt es sich da überhaupt? Noch immer wissen wir sehr wenig über die politischen Ziele der
libyschen Rebellen.
Es ist eine alte Geschichte. 1981 hat die CIA die »National Front for the Salvation of Libya« (NFSL – Nationale
Front für die Erlösung Libyens) aus dem Boden gestampft. Sie stützte sich auf den Bengasi-Clan. Der war
zugleich der Clan von König Idriss II, den Ghaddafi 1969 durch einen Putsch entmachtet hatte. Um Libyen zu
verstehen, muß man nicht nur die Geographie kennen, sondern auch wissen, daß es ein Land der Clans ist. Das ist
im Irak oder in Afghanistan nicht anders. Die CIA hat mit ihrem klugen Schachzug 1981 auf den richtigen Clan
gesetzt und in Bengasi militärische Strukturen etabliert. Seither kam es immer wieder zu gewaltsamen
Zusammenstößen. Auf diese Unterminierung reagiert das betroffene Regime dann mit seiner Geheimpolizei und
mit Folter, was die Lage nur noch verschlimmerte. Der aktuelle Konflikt schwelt also schon seit 30 Jahren.
Trotzdem ist der jetzige Bürgerkrieg in dieser Dimension etwas Neues und reiht sich überdies in die Aufstände
in der arabischen Welt ein. Vorwände mag es geben, aber sie schaffen allein noch nicht die Bedingungen für
einen Krieg.
Es gibt mehrere Gründe. Zum einen gibt es Öl. Zum anderen – und viel wichtiger! – ist Ghaddafi ein alter Feind.
Zu Beginn der 70er Jahre verbannte er die US-Amerikaner von ihrem Militärstützpunkt. Außerdem setzte er sich
besonders für die arme Bevölkerung ein, mit billigen Wohnungen, mit Bildung und Gesundheitsversorgung.
Darüber hinaus war er eine Hauptfigur der Ölkrise von 1973, als die arabischen Staaten den Ölpreis von einem auf
20 Dollar pro Faß steigen ließen. Die größte Gefahr, die der Westen in Ghaddafi sieht, ist aber sein Engagement
für die Afrikanische Union. Man befürchtet, daß Afrika als potentiell sehr reicher Kontinent einen eigenen
Wirtschaftsraum schafft und somit weniger Handel mit den alten Kolonialmächten in Westeuropa treibt.
Zudem wollen die Europäer und Amerikaner den Einfluß Chinas eindämmen. Auch die Chinesen wollen sich
Rohstoffe verschaffen – aber im Gegenzug helfen sie mit Investitionen, die Lebensbedingungen der Armen zu
verbessern. Peking orientiert sich in seiner Handelspolitik an den lokalen Bedürfnissen und will die Kaufkraft der
afrikanischen Völker erhöhen.
China hat in Libyen eigene Interessen. Warum hat es den NATO-Krieg nicht mit einem Veto in der UNO
verhindert?
Peking geht einer Konfrontation mit den USA aus dem Weg, wo es nicht unbedingt notwendig ist. Das Land will
sich in Ruhe entwickeln.
http://www.jungewelt.de/2011/05-28/057.php?sstr=johan|galtung, 1.7.2011.
Junge Welt – 29.06.2011 / Abgeschrieben / Seite 8
Junge Welt – 25.06.2011 / Ausland / Seite 6
Vorgeschobene Gründe
Sorgen um das Leid von Zivilisten spielen bei der Bombardierung
Libyens keine Rolle
Mumia Abu-Jamal
Die NATO zielt mit ihren seit drei Monaten andauernden Luftangriffen gegen Libyen darauf ab, das
Staatsoberhaupt, Oberst Muammar Al-Ghaddafi, zu beseitigen. Der vorgeschobene Grund, das
militärische Engagement diene dazu, »die Zivilbevölkerung zu schützen«, wird mit jedem Tag
unglaubwürdiger. Die gezielten Angriffe auf Ghaddafi und seine Familie lassen nur den Schluß zu, daß
es den NATO-Staaten um einen Regimewechsel geht. Das Vorgehen erinnert verdächtig an den vor
Jahren durchgeführten Angriff auf den Irak. Das Muster ist praktisch identisch: Dämonisierung des
»Machthabers« in den Medien, angebliche Durchsetzung einer »Flugverbotszone«, Bombardierung der
Häuser, in denen das Staatsoberhaupt oder seine Familie vermutet werden, und die Installierung einer
dem Westen freundlich zugewandten Marionettenregierung, die damit einverstanden ist, daß die
Rohstoffe des Landes im Interesse ausländischer Profite geplündert werden.
Wann hat sich der Westen je um das Wohl von Arabern geschert? David Morrison hat für die aktuelle
Ausgabe der britisch-irischen Labour and Trade Union Review einen Artikel verfaßt, in dem er diese
Frage folgendermaßen beantwortet: »Es ist kaum vorstellbar, daß die Regierungen Frankreichs,
Großbritanniens und der USA sich aus Sorge um das Leben libyscher Zivilisten in diesen Einsatz
begeben haben. In den letzten Jahren haben die USA selbst Hunderte von Zivilisten in Pakistan durch
Angriffe mit Drohnen getötet, die vom sicheren us-amerikanischen Festland aus ins Ziel gesteuert
wurden. Dieses Gemetzel wurde unter der Obama-Regierung noch intensiviert und ist immer noch im
Gange. Haben Frankreich und England wegen der routinemäßigen Tötung dieser Zivilisten, für die ihr
engster Verbündeter verantwortlich ist, je ihrer Sorge Ausdruck verliehen? Natürlich nicht.«
Morrison beschreibt zudem, wie 2006, 2008 und 2009 Tausende Libanesen und Palästinenser durch
israelische Bomben umgebracht wurden. Keiner der Staaten, die jetzt dabei sind, Libyen dem Erdboden
gleichzumachen, habe die Einrichtung einer Flugverbotszone verlangt. Morrison schreibt: »Im Falle
Libanons sorgten die USA und Großbritannien im Sommer 2006 sogar für eine Verlängerung des
Konflikts, in der Hoffnung, Israel habe dann mehr Zeit, die Hisbollah zu vernichten.«
Für Morrison ist klar, daß es für die westlichen Mächte auch jetzt andere Motive gibt als die Beendigung
des Leidens oder der Bombardierung arabischer Zivilisten. »Auch wenn Ghaddafi sich in den letzten
Jahren den westlichen Interessen angepaßt hat und Al-Qaida entgegengetreten ist, hat er für den
Zusammenhalt des von ihm aufgebauten arabischen Nationalstaats gesorgt und in seinen Strukturen eine
Form von Sozialismus bewahrt. Das aber widerspricht westlichen Interessen, die ein Chaos wie im Irak
gegenüber einem starken Staat, der die Interessen seines Volkes auf seine eigene Weise verfolgt,
bevorzugen. Deshalb ist geplant, den libyschen Staat unter Vorspiegelung humanitärer und
demokratischer Ziele zu zerschlagen. Der Westen wird dabei kaum von Skrupeln geplagt, daß er dabei
ein Blutbad anrichten könnte.« Am Ende kommt Morrison zu dem Schluß: »Zuerst Irak, dann Libyen –
schließlich bleibt nur noch der letzte arabische sozialistische Staat: Syrien. Deshalb bombardieren
Frankreich, Großbritannien und die USA Libyen.« Ganz meine Meinung.
Übersetzung: Jürgen Heiser
http://www.jungewelt.de/2011/06-25/034.php?sstr=libyen, 1.7.2011.
Junge Welt, 25.06.2011 / Ausland / Seite 2
»Zehn Prozent der Erdölrendite würden
genügen«
Arabische Revolten sind Folge der neoliberalen Politik. Ein
Gespräch mit Khaled Hadadah
Raoul Rigault
Khaled Hadadah ist Generalsekretär der Libanesischen Kommunistischen Partei (PCL)
Ganz Arabien befindet sich in Aufruhr. Wie ist die Lage im Libanon?
Die Situation in unserem Land ist prekär. Innerhalb der Partei bezeichnen wir sie als »fortdauernden
Bürgerkrieg«, auch wenn im Augenblick nicht gekämpft wird. Die vier Millionen Einwohner sind in
achtzehn verschiedene Religionsgemeinschaften gespalten. Wenn man die internen Differenzen jeder
einzelnen Konfession betrachtet – man muß nur an die unterschiedlichen Rechte von Männern und
Frauen denken – dann herrschen für unsere Bürger rund 35 verschiedene Normensysteme. Ein
umfassender und einheitlicher gesetzlicher Rahmen existiert nicht. So, als wären wir alle in nicht
miteinander kommunizierende Sektoren geteilt, besitzt jeder ein eigenes Bildungssystem von den
Grundschulen bis zur Universität, eine andere Gesundheitsversorgung, natürlich eigene
Kommunikationsmittel und am Ende auch noch eigene Parteien auf konfessioneller Grundlage.
Es gibt aber auch Kräfte, die diese Spaltungen zu durchbrechen versuchen, oder?
Faktisch sind nur unsere und die Nationalistische Partei »libanesische Parteien«. Die nationalen
Strukturen sind so schwach, daß die Regierung die konfessionellen Privatschulen stärker finanziert als
die öffentlichen. Unseres Erachtens bedroht das libanesische System die Existenz des Libanon. Wir
befinden uns im Zentrum einer harten Auseinandersetzung zwischen den arabischen Kräften und einer
vor allem von den USA angestrebten neuen Ordnung im Mittleren Osten.
Welche Pläne haben die USA?
Die Fortsetzung eines 1917 begonnenen Werks. Es wird versucht, die Staaten weiter zu zersplittern.
Angefangen hat es mit dem Sudan. Ägypten wollen sie am liebsten dreiteilen, Syrien vierteilen, die
Golfstaaten in drei oder vier Gebiete zerlegen, und den Libanon möchte man in acht »Kantone«
aufspalten. Selbstverständlich ist auch Libyen Teil dieses Projekts. Die Leitlinien hat der ehemalige
politische Berater von George Bush senior, Bernard Lewis, ausgearbeitet. Die Teilung nach ethnischen
oder religiösen Kriterien soll den gemeinsamen Widerstand schwächen und sowohl die Vorherrschaft
Israels als auch die Kontrolle über das Erdöl sicherstellen. Barack Obama selbst hat die amerikanischen
Interessen im Mittleren Osten als grundlegend für die Existenz der USA bezeichnet.
Obama spricht auch von einer Lösung der Palästinenserfrage nach dem Prinzips »Zwei Völker – zwei
Staaten«…
Das ist ein gefährliches Projekt, da es auf einem starken jüdischen Staat und einem schwachen
palästinensischen Gebilde beruht, dem das Recht auf eine Armee abgesprochen und das fast auf den
Rang einer Gemeindeverwaltung reduziert wird. Die Palästinenser werden verpflichtet, sich von den
israelischen Siedlungen fernzuhalten. Es ist ein Normalisierungsversuch, um die arabischen
Volksbewegungen zu stoppen. Selbst Frankreich macht inzwischen Druck für die Anerkennung
Palästinas; und auch sonst gibt es in der UNO-Vollversammlung nur wenige Länder, die Palästina nicht
unterstützen.
Wie bewerten Sie die arabischen Aufstände und welche Perspektiven haben sie?
Sie haben auf jeden Fall einen gemeinsamen Rahmen. Sowohl die Arabische Liga als auch die einzelnen
Regierungen haben sich als unfähig erwiesen, die wirtschaftliche Krise zu bewältigen. Sie wurden voll
davon erfaßt, und sie wird ihnen den Tod bringen. Hunger und Armut sind das Produkt der Krise. Eine
Umverteilung von zehn Prozent der Erdölrendite würde genügen, um die Probleme zu lösen, aber man
hat den neoliberalen Weg eingeschlagen. In Ägypten und Tunesien handelt sich um Revolten nationaldemokratischer Art, die eine Gegenoffensive zu den US-Projekten darstellen.
Und in Syrien?
Dort besteht die Gefahr, daß die Kluft zwischen den Massen und der Regierung unüberwindlich wird
und religiöse Kräfte neuen Einfluß gewinnen. Ich habe im März 2011, nur wenige Tage vor den ersten
Demonstrationen, am Kongreß der Syrischen Kommunistischen Partei teilgenommen. Dort waren auch
Vertreter der Regierung. Es wurde gesagt, daß kein arabisches Land den Revolten entgehen kann und die
einzige Lösung in demokratischen Reformen und einem Ende der Privatisierungen besteht. Leider hat
man den Weg der militärischen Repression eingeschlagen. Meines Erachtens gibt es noch Raum für
Verhandlungen, wobei man allerdings auch die heute inhaftierten Oppositionellen einbeziehen und eine
echte Demokratie akzeptieren sollte. Wenn das nicht geschieht, ist das Ende unvermeidlich.
http://www.jungewelt.de/2011/06-25/047.php?sstr=libyen, 1.7.2011.
_______________________________________________________________
»Friedensverhandlungen statt
Waffenlieferungen«
Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW)
nahm am Dienstag zu möglichen deutschen Waffenlieferung für den Libyen-Krieg Stellung:
Laut Medienbericht hat die Bundesregierung in Aussicht gestellt, der NATO Technik und Bauteile für
Bomben für den Libyen-Krieg zu liefern. »Dieses Zugeständnis konterkariert eine Verhandlungslösung
des Konflikts«, kritisiert der IPPNW-Vorsitzende Matthias Jochheim. Wir fordern Bundesaußenminister
Guido Westerwelle auf, seinen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat ab Juli dafür zu nutzen, um eine sofortige
Waffenruhe entsprechend der UN-Resolution 1973 herbeizuführen. Zudem sollte er die
Friedensbemühungen der Afrikanischen Union unterstützen und sich für einen Stopp von
Waffenlieferungen an Libyen und die gesamte Region einsetzen. (…) Zudem fordert die
Ärzteorganisation die deutsche Bundesregierung auf, sich für eine großzügige humanitäre Hilfe für die
Kriegsopfer und Flüchtlinge in Europa einzusetzen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars
António Guterres sind seit dem Beginn des Aufstands gegen Machthaber Muammar Al-Ghaddafi über
400000 Menschen verschiedener Nationalitäten aus Libyen in das Nachbarland Tunesien geflohen.
Bisher hat sich die Bundesregierung allein zur Aufnahme von 150 Flüchtlingen aus Malta
durchgerungen. (…) Nach Hinweisen von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen wurden im
Rahmen von Frontex-Einsätzen immer wieder Menschen- und Flüchtlingsrechte verletzt. Seit Anfang
des Jahres sind mehr als 1600 schutzsuchende Menschen aus Libyen im Mittelmeer gestorben.
http://www.jungewelt.de/2011/06-29/028.php?sstr=libyen, 1.7.2011.
100 Tage Krieg gegen Libyen: Immer mehr zivile Opfer
Friedensbewegung verlangt Waffenruhe und Verhandlungen
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Berlin, Kassel, 27. Juni 2011 - Seit 100 Tagen und Nächten wird gegen Libyen Krieg geführt. Damit
dauert dieser NATO-Krieg schon 22 Tage länger als jener um das Kosovo 1999. Ein Ende ist jedoch
nicht in Sicht. In einer Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag gehen dessen Sprecher
Lühr Henken und Peter Strutynski auf die Hintergründe des Kriegs ein und fordern ein sofortiges Ende
der Angriffe.
Von Anfang an haben sich die Interventionsmächte Frankreich, Großbritannien und USA (seit dem 31.
März: die NATO) nicht an das UN-Mandat aus Resolution 1973 gehalten, wonach die Zivilbevölkerung
zu schützen und eine "sofortige Waffenruhe" herbeizuführen wäre. Die Intervention richtete sich
einseitig gegen das Regime in Tripolis und unterstützte die Kampftätigkeit der Rebellen. Allein im
Zeitraum vom 31. März bis zum 24. Juni wurden 12.500 Einsätze geflogen, darunter befanden sich
4.700 Kampfangriffe. Sie machen - wie mittlerweile bekannt wird - auch vor zivilen Einrichtungen
(Infrastruktur, Kraftwerke, Wohnhäuser) nicht Halt und fordern immer häufiger Opfer unter der
Zivilbevölkerung. Die Zahl der Flüchtlinge hat sich seit Beginn des Krieges auf über eine Million
Menschen vervielfacht.
Wer es mit der behaupteten "Schutzverantwortung" ernst meint, muss nach Ansicht des
Friedensratschlags den Krieg sofort beenden.
Der Krieg wird nach Auffassung der Friedensbewegung nicht zum Schutz der libyschen Bevölkerung,
sondern aus ökonomischen und geostrategischen Interessen des Westens geführt. Der Friedensratschlag
nennt fünf Gründe:
1. Mit der Beseitigung Gaddafis könnten auch dessen Öl- und Gasverträge geändert werden, die
bisher dem libyschen Staat durchschnittlich 89 Prozent der Einnahmen garantiert haben.
2. Zweitens besteht für westliche Wasserkonzerne die Aussicht, sich an der Nutzung und
Vermarktung der gewaltigen Frischwasserreserven unter der libyschen Wüste zu beteiligen.
3. verschwände mit Gaddafi ein wichtiger Motor der afrikanischen Einigung, die nach
Unabhängigkeit von Petrodollars und vom Internationalen Währungsfonds strebt.
4. Auf dem libyschen Schlachtfeld kämpft der Westen auch gegen den zunehmenden Einfluss
Chinas in Afrika (Libyen ist für China ein bevorzugter Investitionsplatz). Und
5. bestünde bei einem Sieg der Rebellen für den Westen wieder die Möglichkeit in Libyen
Militärstützpunkte einzurichten.
All diesen Zielen steht Gaddafi im Weg. Das macht ihn nicht zu einem Freund der Friedens- oder
Menschenrechtsbewegung. Er bleibt ein mit diktatorischen Befugnissen ausgestatteter Machthaber. Nur:
Das darf nach dem geltenden Völkerrecht kein Grund für eine kriegerische Intervention sein.
Daher fordert der Bundesausschuss Friedensratschlag 100 Tage nach Beginn des Krieges dessen
sofortige Beendigung. Der Westen muss die Rebellen dazu drängen, einem Waffenstillstand
zuzustimmen (was diese bisher immer abgelehnt haben). Die Vereinten Nationen und die Afrikanische
Union (die schon mehrmals ein Ende der Kämpfe gefordert hat) sollten sich als Vermittler für
Verhandlungen zur Verfügung stellen. Und schließlich soll die Bundesregierung bei ihrem NEIN zu
einer Kriegsteilnahme bleiben und den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat im Juli zu einer diplomatischen
Friedensinitiative nutzen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin / Peter Strutynski, Kassel
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/100tage.html, 1.7.2011.
Bombengeschäfte für die USA
50 Prozent mehr Rüstungsexporte / Akute Nachfrage dank Krieg
in Libyen
Von Olaf Standke *
Die USA werden ihre Rüstungsexporte in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr voraussichtlich um fast
50 Prozent auf 46,1 Milliarden Dollar (32,1 Mrd. Euro) steigern, wie die zuständige Pentagon-Behörde
am Wochenende in Washington bekannt gab.
»Verteidigungslösungen für Amerikas globale Partner«, kann man auf der Webseite der Defense Security
Cooperation Agency lesen. Die DSCA ist eine Regierungsbehörde, die dem Pentagon untersteht und die
US-amerikanischen Waffengeschäfte im Ausland koordiniert. Ohne ein Plazet der Agentur für
Verteidigung, Sicherheit und Zusammenarbeit geht offiziell nichts. Für das laufende Haushaltsjahr hat
die DSCA jetzt neue Rekordzahlen angekündigt. Von Oktober 2010 bis September 2011 rechnet man mit
einem Exportvolumen von 46,1 Mrd. Dollar, das sind fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Nicht zuletzt
der Krieg in Libyen habe zu einer akuten Nachfrage geführt, so DSCA-Chef William Landay. An den
Bombardierungen beteiligte Staaten hätten die DSCA kontaktiert, um ihre Munitionslager aufzufüllen.
Man wolle deshalb das Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Noch zu Beginn dieses Jahrtausends lag der Wert der US-Waffenlieferungen bei 10 Mrd. Dollar. Mitte
des Jahrzehnts sei ihr Umfang sprunghaft angestiegen, sagte Vizeadmiral Landay. Von 2005 bis 2010
hatten die Rüstungsexporte und militärischen Dienstleistungen ein Volumen von 96 Mrd. Dollar. Laut
jüngstem Jahrbuch des Friedensforschungsinstitutes SIPRI sind die USA mit einem Weltmarktanteil von
30 Prozent nach wie vor größter Exporteur von Kriegsmaterial. Von den zehn wichtigsten
Waffenschmieden haben sieben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Nummer Eins ist weiter Lockheed
Martin.
Während die Kunden vor zehn Jahren noch auf günstige Preise geachtet hätten, gehe es inzwischen vor
allem darum, schnell Nachschub für die laufenden Einsätze zu bekommen, etwa in Afghanistan, wie
Landay erklärte. 79 Prozent der gegenwärtigen Exporte würden von Staaten oder Organisationen
bezahlt, die als Kunden auftreten, der Rest falle unter militärische Hilfe und werde von den USA
finanziert. Größter ausländischer Kunde waren zuletzt die Vereinigten Arabischen Emirate. Allein
Raytheon lieferte für 3,3 Mrd. Dollar Patriot-Raketen. Zur Zeit arbeitet man in Partnerschaft mit
Lockheed Martin an einem neuen Milliardengeschäft – für das Raketenabwehrsystem THAAD (Theatre
High Altitude Defense).
Mit Saudi-Arabien ist nun das größte Waffengeschäft der USA-Geschichte geplant, unter anderem geht
es um 84 neue Kampfjets des Typs F-15 sowie die Modernisierung von 70 weiteren Kampfflugzeugen.
Die Vereinbarung sieht auch die Lieferung von Radaranlagen und lasergelenkter Munition vor. Das
Gesamtvolumen könne bis zu 60 Mrd. Dollar umfassen. Das Königreich soll über einen Zeitraum von 15
bis 20 Jahren beliefert werden. Der Waffengroßhändler USA muss sich also um die Zukunft seiner
Todesgeschäfte nicht sorgen. Die DSCA spricht von weltweit über 13 000 Verträge mit 165 Ländern, die
einen Gesamtwert von 327 Mrd. Dollar haben sollen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2011
zit. unter http://www.ag-friedensforschung.de/themen/export/us-libyen.html, 1.7.2011.
Libyen: Stellvertreterkrieg zwischen USA und
China?
In der russischen Wirtschaftszeitung "Wedomosti" werden
interessante Vermutungen aufgestellt*
Im US-Kongress mehren sich die Zweifel an dem offiziellen Grund für den Libyen-Einsatz, schreibt die
Zeitung "Wedomosti" am Mittwoch, den 8. Juni 2011.
Ein Sprecher des Weißen Hauses warf den Gegnern der Operation „Odyssey Dawn“ eine
„unkonstruktive Haltung“ vor. Fragen nach dem Sinn dieser Operation sind offenbar unerwünscht,
obwohl alle wissen, worum es sich dabei eigentlich handelt.
Der Krieg in Nordafrika sei nicht gegen Libyen, sondern gegen China gerichtet, stellte der Republikaner
Craig Roberts fest, der Vizefinanzminister unter dem früheren Präsidenten Ronald Reagan gewesen war.
In der Zeitschrift „Foreign Policy Journal“ vermutete er, dass „die Anti-Gaddafi-Proteste anscheinend
von der CIA im Osten Libyens organisiert wurden, wo etwa 80 Prozent aller Ölvorräte konzentriert sind
und China mit seinen Investitionen im Energiesektor tätig ist.“
Der Gedanke ist nicht abwegig: Nach Angaben des Handelsministeriums in Peking waren im März
(Beginn des Libyen-Einsatzes) 75 chinesische Großunternehmen in Libyen mit Verträgen im
Gesamtwert von 18 Milliarden Dollar engagiert. Wegen der Kämpfe müssen die Chinesen jetzt mit
riesigen Verlusten rechnen.
Gaddafi scheint ein guter Anlass für Washington zu sein, sich mit Peking auseinanderzusetzen, das in
den letzten Jahren halb Afrika aufgekauft hat. 1995 hatte sich Chinas Handelsumsatz mit den
afrikanischen Ländern auf lediglich sechs Milliarden Dollar belaufen. 2010 übertraf er bereits die Marke
von 130 Milliarden Dollar. Nach Einschätzung der südafrikanischen Standard Bank könnten Chinas
Direktinvestitionen in Afrika bis 2015 etwa 50 Milliarden Dollar erreichen. Dank Afrika decken die
Chinesen bis zu 28 Prozent ihres Ölbedarfs. Das Ende der Fahnenstange ist dabei noch lange nicht
erreicht. Chinesische Unternehmen erwerben ständig neue Vorkommen auf dem Schwarzen Kontinent.
Eine Besonderheit der chinesischen Expansion nach Afrika besteht darin, dass Peking im Unterschied zu
den Europäern und Amerikanern keine unangenehmen Fragen nach den Menschenrechten stellt. Sudan,
das aus politischen Gründen für westliche Ölkonzerne seit vielen Jahren versperrt bleibt, stieg in den
vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Öllieferanten Chinas auf. Um das autoritäre Regime
Robert Mugabes in Simbabwe zu unterstützen, machten die Chinesen von ihrem Vetorecht im UNSicherheitsrat Gebrauch. Im Gegenzug erhalten sie den Zugang zu Diamanten und Platin.
Als die gesamte Welt im September 2009 die blutige Niederschlagung der Massenproteste in Guinea
verurteilte, zeigte sich die Volksrepublik zu neuen Investitionen in diesem Land bereit. Für den Ausbau
der dortigen Infrastruktur werden die Chinesen bis zu sieben Milliarden Dollar ausgeben. Dafür wurde
ihnen der Zugang zu aussichtsreichen Ölvorkommen in Guinea versprochen.
Neben den wirtschaftlichen Aktivitäten weitet China auch seinen politischen Einfluss in Afrika aus.
Neue Straßen und Schulen werden gebaut; die afrikanischen Regierungen erhalten Kredite, müssen aber
Pekings „Spielregeln“ akzeptieren. Washington sind dabei die Hände gebunden. Kennzeichnend dafür
war Angolas Verzicht auf einen IWF-Kredit im Jahr 2008, weil es bereits einen günstigeren Kredit von
China erhalten hatte. Diesem Beispiel folgten später auch Tschad, Nigeria, Sudan, Äthiopien und
Uganda. Deshalb will Washington die Entstehung eines „Chinafrikas“ um jeden Preis verhindern, selbst
unter dem Vorwand, Gaddafi zu entmachten.
* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Juni 2011; zit. nach
http://de.rian.ru/world/20110608/259386520.html, 1.7.2011.
13. Juni 2011, 14:03 Uhr
Chinesische Vormacht
Clinton warnt Afrikaner vor neuem Kolonialismus
Hillary Clinton ist nach Sambia gereist, um die amerikanisch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen
anzukurbeln. Die US-Außenministerin nutzte ein Interview, um mit dem Vorgehen der Chinesen
abzurechnen. Sie warnte vor einem neuen Kolonialismus - die Afrikaner könnten mehr von den USA
lernen.
Lusaka - Kann China den Afrikanern als Vorbild bei der Staatsführung dienen? "Langfristig,
mittelfristig, kurzfristig - das glaube ich nicht." Die Einschätzung der US-Außenministerin war
eindeutig. Ihren Besuch in Sambia nutzte Hillary Clinton, um angesichts des wirtschaftlichen
Engagements Chinas in Afrika vor einem "neuen Kolonialismus" zu warnen.
In einem Interview mit dem sambischen Fernsehen sagte Clinton am Samstag, die Afrikaner sollten
vorsichtig sein mit Freunden, die nur mit den Eliten Geschäfte machten. "Die Kolonialzeit hat uns
gezeigt, dass es einfach ist, in ein Land einzudringen, die Rohstoffe rauszuschaffen, die Führung
auszuzahlen und zu gehen", sagte Clinton laut "Bloomberg". "Und wenn man geht, lässt man nichts
zurück für die Menschen, die dort leben. Wir wollen keinen neuen Kolonialismus in Afrika sehen."
"Wenn Leute in Afrika investieren, dann sollten sie nicht nur ihren Vorteil haben, sondern auch Gutes
tun. Wir wollen nicht, dass sie eine gute Regierungsführung untergraben." Afrika kann nach Clintons
Worten von Asien viel darüber lernen, wie Regierungen das Wirtschaftswachstum fördern können.
Sie sehe China aber nicht als politisches Vorbild. In China würden viele Probleme sichtbar, die in den
nächsten zehn Jahren noch größer würden. Clinton verwies als ein Beispiel auf die Versuche Chinas, das
Internet zu kontrollieren. Afrika könne mehr von den USA und den anderen Demokratien lernen.
Clinton befindet sich derzeit auf einer Reise durch Afrika, wo China allein 2009 fast zehn Milliarden
Dollar investiert hat. Das aufstrebende asiatische Land sicherte sich dort vor allem Rohstoffe und
Energie. Dabei unterstützt China auch korrupte Regierungen. Ihre Reise führt Clinton auch nach
Tansania und Äthiopien.
han/Reuters
URL:
• http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,768190,00.html, 5.7.2011.
Unternehmen besiegeln Pläne für Sahara-Strom
Das Wüstenstrom-Projekt Desertec soll innerhalb von gut drei Jahren fertige Pläne zum Bau von Solarkraftwerken
in Nordafrika vorlegen. Zwölf Unternehmen unterzeichneten in München eine Absichtserklärung zur Gründung
der Firma Desertec Industrial Initiative (DII) bis Ende Oktober.
Hauptinitiatoren des Projekts ist die größte Rückversicherungsgesellschaft der Welt, die Münchener Rück, und der
Club of Rome. Außerdem beteiligen sich unter anderem die Energiekonzerne RWE und E.ON sowie der
Technologiekonzern Siemens und die Deutsche Bank. Über einen Zeitraum von 40 Jahren sind Investitionen in
Höhe von 400 Milliarden Euro im Gespräch. Noch im Oktober soll eine Planungsgesellschaft gegründet werden.
Sie soll die wirtschaftlichen, politischen, technischen und ökologischen Rahmenbedingungen für das Projekt
analysieren.
15 Prozent des europäischen Strombedarfs
"Alle Tätigkeiten der DII sind darauf ausgerichtet, umsetzungsfähige Investitionspläne innerhalb von drei Jahren
nach Gründung zu erstellen", hieß es. In Zukunft sollen den Plänen zufolge 15 Prozent des europäischen
Strombedarfs durch Strom aus Solarkraftwerken in den Wüstenregionen gedeckt werden. Der Gesellschafterkreis
soll in Zukunft internationaler werden.
Energiequelle Sonnenstrahlen
Die Sonne strahlt nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ständig mehr als 120.000 Terawatt auf
die Erdoberfläche. Um den gesamte Energiebedarf der Menschen nur durch Solarenergie zu decken, reichte es bei
der derzeitigen Technik aus, wenn auf 0,6 Prozent der Landfläche der Erde Solaranlagen gebaut würden.
"Im Erfolgsfalle würden wir einen großen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten", erklärte
Münchener-Rück-Vorstand Torsten Jeworrek. Max Schön, Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of
Rome, sagte, Desertec sei ein Schritt der Industrie zur nachhaltigen Sicherung der Lebensgrundlagen der
Menschheit.
Umstrittenes Projekt
Desertec hat in den vergangenen Wochen für viele Schlagzeilen gesorgt, handelt es sich doch um eine der größten
privaten Öko-Strom-Initiativen aller Zeiten. Das Ziel: Solarfelder in Nordafrika zu errichten, die per
Fernleitungen auch Europa mit Strom versorgen sollen. Algerien sympathisiert sehr mit dem Projekt - und auch in
Marokko halten das viele für eine gute Idee. Schließlich muss sich das Land sowieso neue Energiequellen
erschließen. Doch einen gewichtigen Gegner hat die deutsche Initiative: Die französische Atomlobby, die gern
ihre Reaktoren in Marokko sehen würde.
Fortschritt oder Fata Morgana?
Greenpeace begrüßte das Projekt und forderte die Bundesregierung auf, sichere politische Rahmenbedingungen
für die Investitionen zu schaffen. Dafür sollten Forschungs- und Fördergelder umgeleitet werden - von Atom- und
Kohlekraftwerken zum Ausbau erneuerbarer Energien.
Kritiker des Projekts hatten zuletzt darauf verwiesen, dass die politische Lage in den Erzeugerstaaten in
Nordafrika instabil sei. Die Europäische Vereinigung für erneuerbare Energien (Eurosolar) hält das Desertec für
komplett unrealistisch: "'Saharastrom für Nordeuropa' ist eine Fata Morgana. Die Initiatoren selbst wissen: Daraus
wird nie und nimmer etwas", erklärte der Eurosolar-Chef und SPD-Bundestagsabgeordnete, Hermann Scheer. Die
Kosten seien künstlich heruntergerechnet und die technischen Möglichkeiten überschätzt, kritisierte er.
Quelle: ARD, 13.07.2009.
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/desertec108.html, 5.7.2011.
Befreiung nicht immer Sache Gaddafis
Gespräch mit Issam Haddad über das politische System in Libyen.
NeuesDeutschland, 19./20. März 2011
Es hat überrascht, dass sich der Brennpunkt der arabischen Revolte nach Tunesien und Ägypten
ausgerechnet nach Libyen verlagerte. Was verbindet diese drei Länder?
Zwischen Tunesien und Libyen gibt eine historisch gewachsene soziale Brücke. Zur Zeit der
phönizischen Herrschaft waren Tripolis und Karthago liierte Städte. Bis heute gibt es viele familiäre
Verbindungen. Der östliche Teil Libyens, die Cyrenaica, hat andererseits gemeinsame geschichtliche
Verbindungen mit Ägypten, stand unter dem Einfluss der koptischen Kirche in Alexandria. Da gibt es
also Bezüge, die weit hinter die Ausbreitung des Islam in Nordafrika reichen.
Noch während des Aufstands in Ägypten war Libyen gar nicht auf der Agenda beginnender Revolten.
Ja, aber der Aufstand in Libyen ist ein direktes Ergebnis der euphorischen Stimmung, die sich nach den
erfolgreichen Volksbewegungen in Tunesien und Ägypten ausbreitete. Über die innere Situation des
Landes ist jenseits seiner Grenzen, namentlich in Europa, wenig bekannt. Die Jugend in Libyen,
besonders die gut ausgebildeten, städtischen Jugendlichen in Bengasi und anderswo im Osten des
Landes haben dem Machthaber in Tripolis immer Schwierigkeiten bereitet. Doch entscheidend war der
ägyptische Funke. In Grenznähe zu Tunesien und Ägypten ermunterte er all jene, insbesondere in der
Mittelklasse, die schon sehr lange aus verschiedenen Gründen unter dem Regime gelitten haben.
Libyen ist ein eher wohlhabendes Land, in dem es den meisten Menschen ökonomisch besser geht als in
der übrigen nordafrikanisch-arabischen Region.
Das ist richtig. Das Land hat ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung von rund 10'000 USDollar. In der arabischen Welt sind nur die Golfstaaten reicher. In Tunesien und Algerien lauten die
Vergleichszahlen, 4000, in Ägypten rund: 2500 US-Dollar.Es.gibt keine ernsthafte, weitreichende Armut
in Libyen, auch keine Vertreibung der Menschen an den Rand der Gesellschaft. Libyen hat eine
kostenlose medizinische Versorgung, gute Systeme der Alterssicherung und ein sehr entwickeltes
Bildungssystem. Dennoch kennt auch Libyen ein großes Gefälle zwischen der Führungsschicht, der
Mittelklasse und der übrigen Bevölkerung. Das betrifft nicht allein das Vermögen, sondern den sozialen
Status und die sozialen Verhaltensweisen. Dagegen empören sich vor allem Akademiker und ihnen
nahe Schichten, die in den zwei Generationen seit dem Sturz des Königs aufgewachsen und gut
ausgebildet sind.
In Tunesien war der Auslöser der Revolte die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed
Bouazizi. Ihm wurde sein Gemüsestand geschlossen und damit seine Existenz zerstört - der Aufstand
rührte also aus sozialem Protest. Das ist in Libyen anders?
Die. Revolten auch in Tunesien und Ägypten richteten sich sehr schnell gegen die autokratischen
Führungen, deren Stütze fast überall das Militär und die Sicherheitsapparate sind. Darum geht es auch in
Libyen. Nach der panarabischen Befreiung von den Kolonialmächten Großbritannien, Frankreich und
Italien, etablierten sich überall autoritäre Machtgefüge. Dass das libysche System nach innen ein sehr
autoritäres ist, wurde lange Zeit nicht nur durch eine gute soziale Versorgung verschleiert. Libyen
machte auf sich aufmerksam, weil es viele Befreiungsbewegungen unterstützt und einer Konfrontation
mit der Politik der USA nicht auswich. Nun steht auch dort die Frage von demokratischen Rechten und
Freiheiten auf der Tagesordnung.
Woher rühren die autokratischen Strukturen in Libyen?
Die libysche Gesellschaft ist tribal ausgewachsen, sie gründete auf Stammestrukturen. Gaddafi hat
daraus eine staatlich entwickelte kapitalistische Gesellschaft gemacht, deren Ökonomie von seinem
Umfeld kontrolliert wird. Mit seinen früheren Weggefährten, den Offizieren, die mit ihm 1969 König
Idris stürzten, ist er dabei nicht zimperlich umgegangen. Er hat sich von fast allen entledigt und die
Macht seines eigenen Clans und seiner Familie ausgebaut. Das hat ihn bei vielen im eigenen Land
diskreditiert.
Auch international?
Ja und nein. Internationale Unterstützung hat er seinerzeit von den sozialistischen Staaten erhalten.
Gaddafi ist zwar zur früheren Kolonialmacht Großbritannien auf Distanz gegangen, hat allerdings nie
die Verbindung nach Frankreich abgebrochen, das früher Kolonialmacht im südlibyschen Fezzan war.
Ebensowenig zur früheren Kolonialmacht Italien und nach Deutschland. Der italienische ENI-Konzern
und die Wintershall Holding von BASF verdienen viel an der Förderung von Öl und Gas in Libyen.
Das politische System in Libyen trägt die Bezeichnung Dschamahiriyya, Volksherrschaft,
Basisdemokratie. Reine Fassade, oder ist etwas daran?
Es werden ab und zu Basisversammlungen organisiert. Dort wird der vorgegebenen Politik zugestimmt.
Initiativen aus den Volksmassen oder von Gruppen, die in einem freien Raum agieren, bestimmen aber
nicht das Handeln auf der obersten Ebene. Eine solche Demokratie hat sich in Libyen nicht gezeigt. Das
System, der Dschamahiriyya dient dazu, Propaganda zu verbreiten, Anhänger und Zustimmung zu
organisieren.
Gibt es politische Organisationen, die nicht in dieses System integriert sind?
Außer der Muslimbruderschaft kaum. Bevor Gaddafian die Macht kam, gab es kleine Organisationen,
panarabische Parteien wie die Baath-Partei und das Mouvement Nationaliste Arabe. Auch einige
Offiziere, die zusammen mit Gaddafi putschten, gehörten solchen Organisationen an. Omar El-Hariri ist
ein Beispiel: Er war ein Mitstreiter von Gaddafi, Panarabist, legte sich mit Gaddafi an, kam ins
Gefängnis. Jetzt ist er Militärchef des Nationalrats für eine Übergangsregierung in Bengasi. Ebenso
Abdel Moneim el Honi, der zurückgetretene Botschafter Libyens bei der Arabischen Liga: Er gehörte
1969 zu den putschenden Offizieren, war jahrelang verantwortlich für den libyschen Geheimdienst, Ich
kenne ihn persönlich - und auch die Dienste in Deutschland kennen ihn gut, sie haben mit ihm
zusammengearbeitet. Aber diese früheren Organisationen sind alle in dem neuen System aufgegangen
oder wurden verboten. Gaddafi hat nicht erlaubt, dass sich etwas politisch entwickelt, das nicht von oben
durchgesetzt war. Darum geht es nun um politische Teilhabe.
Gaddafi wird für den Anschlag 198l auf die Diskothek »La Belle« in Berlin verantwortlich gemacht und
für den Sprengstoffanschlag 1988 auf den PanAm-Flug bei Lockerbie mit 270 Toten. Er galt lange als
Förderer des Terrorismus.
Gaddafi ist auch in den Terrorismus verwickelt, aber darauf lässt sich seine internationale Rolle nicht
reduzieren. Er hat sich in antikoloniale Aufstände in Afrika eingemischt und Befreiungsbewegungen in
Lateinamerika unterstützt, auch Organisationen wie die nordirische IRA. Das hat sicher ein Motiv in der
britischen Kolonialherrschaft über Libyen. Und er widersetzte sich allen neokolonialen Bestrebungen,
die Kontrolle über die arabischen Ressourcen zurückzuerobern. Zu seinem Verständnis, die arabische
Sache zu verteidigen, gehört auch seine demonstrative Förderung der palästinensischen
Nationalbewegung mit Geld, Waffen und Training. Damit gewann er Sympathie bei vielen Menschen in
der arabischen Welt.
Gaddafi gilt als eine Art Vermächtnisverwalter des früheren ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel
Nasser. Warum?
Nasser war ein Vorbild für ihn, ergehörte den »Freien Offizieren« an, die 1952 den König in Kairo
stürzten, und verfocht die Idee der arabischen Einheit. Er förderte Gaddafi bis zu seinem Tod Ende 1970.
Ein weitere früher Bündnispartner Gaddafis war Dschafar Muhammad an-Numeiri, zunächst
Premierminister, dann Präsident des Sudan. Ihm lieferte Gaddafi die suda-nesischen Offiziere Farouk
Hamad-Allah und Babekr Nur aus, die 1971 einen Sturz Numeiris geplant hatten; sie wurden in Khartum
zusammen mit vielen Genossen der sudanesischen KP hingerichtet, darunter der Generalsekretär Abdul
Khalek Mahjub. Daher kann man nicht sagen, dass Befreiung immer die Sache Gaddafis war. Zehn Jahre
später brach Numeiri mit Gaddafi, weil er ihn, Syrien und die Sowjetunion für einen neuen
Putschversuch verantwortlich machte, und wandte sich den USA zu. Im Tschad machte Gaddafi sich
zum Gegenspieler Frankreichs und unterstützte die Befreiungsbewegung zur Zeit des dortigen
Präsidenten Hissène Habré, unterstützte später den Aufstand von Oberst Idris Déby, dem jetzigen
Präsidenten. Auch in Darfour im an Libyen grenzenden westlichen Sudan mischt er sich ein, was das
Baschir-Regime sehr geärgert hat.
Hatte Gaddafi ein positives Verhältnis zu Jassir Arafat?
Zwischen ihm und Arafat gab es Spannungen. Arafat hat immer vermieden, daraus einen öffentlichen
Konflikt zu machen. Gaddafi hat ja auch palästinensische Organisationen wie die PFLP von George
Habash und das PFLP-Generalkommando von Ahmad Dschibril unterstützt, die den von der PLO
mitgestalteten Oslo-Friedensprozess ablehnten. An der palästinensischen Frage hat Gaddafi sich in der
arabischen Welt zu profilieren versucht. Nach dem Abdanken von Mubarak rief er die Palästinenser auf,
massenhaft Richtung Jerusalem zu demonstrieren, nicht mit Waffen und Steinen, sondern friedlich.
Gaddafi ist kein offener Gegner der Hamas, aber auch nicht deren Freund. Immerhin gehört die
Muslimbruderschaft zu seinen Gegnern im eigenen Land, sie wurde brutal unterdrückt.
Wie wichtig ist die Palastina-Frage für Gaddafi?
Sie ist für ihn nicht mehr als ein politisches Vehikel: Wenn er in irgendeiner Phase nicht einverstanden
war, wandte er sich von dem Palästina-Problem ab und befasste sich mit dem Tschad, mit Südafrika oder
anderem. Seine Politik ist es, große Illusionen zu erzeugen. Er ist auch Konflikte mit Saddam Hussein
eingegangen, hat die Kurden unterstützt, ihnen Büros und Geld gegeben, auch der PKK in der Türkei.
Dieser positive, breitbandige Bezug auf Befreiungsbewegungen, unabhängig von deren jeweiligem
Programm, hat mit dazu beigetragen, dass er bei den ethnischen Minderheiten im eigenen Land, wie den
Berbern und Touareg, Vertrauen erlangte. Einige davon siedeln ja an der Grenze zu Algerien, und es mag
sein, dass ihm dies jetzt in der Auseinandersetzung mit den Aufständischen zugute kommt. Man kann
von Gaddafi nicht sagen, dass er ein Chauvinist sei. Sicher wollen auch deswegen viele, die international
am Rande stehen, nicht in einer Reihe mit den USA und Großbritannien Nein zu Gaddafi sagen.
Ist Gaddafi in der arabischen Welt ein strategisch denkender Politiker?
Leider nicht.
Was fehlt ihm?
Es ist bei allem keine klare politische Linie seines Handelns erkennbar. Er ist gegen jede Form von
Kolonialisierung, aber nicht gegen jede Form von Unterdrückung. Wie kann man Antikolonialismus
fördern, aber ihn nicht widerstandsfähig machen? Die Ressourcen, die Libyen hat, hätten Gaddafi die
Möglichkeit für einen sozialökonomischen und politischen Systemaufbau gegeben, der nicht in einer
Alleinherrschaft hätte enden müssen. Das hat er nicht getan. Seinem Befreiungsdenken fehlt damit ein
zentrales Element.
Der Verzicht auf politische Verfolgung?
Ja. Gaddafi hat zum Beispiel die Libanesische Kommunistische Partei unterstützt, auch die
Sozialistische Fortschrittspartei von Walid Dschumblat. Im eigenen Land verfolgte er alle, die er
kommunistischer Gedanken verdächtigte. Ich kenne einige aus seiner Umgebung. Er hat seinem
Botschafter in Moskau, al-Farjani, vorgeworfen, kommunistische Zellen in Libyen aufzubauen. Der kam
aus einem Stamm, der dem Gaddafis benachbart ist, in der Region von Surt. Er musste für ein paar Jahre
ins Gefängnis und heute erzählt man, dass Gaddafi 20 Offiziere seines Stamms hingerichtet hat.
Haben Sie Gaddafi mal persönlich getroffen?
Dreimal, bei Besuchen palästinensischer Delegationen.
Auch mit ihm gesprochen?
Ich habe ihm zugehört.
Welchen Eindruck machte er auf Sie?
Einen sehr ruhigen, zurückhaltenden. Es fehlte manchmal nicht an Arroganz. Aber er kann auch zuhören.
Er fragte und hörte sich viel an.
Issam Haddad, geboren 1939 in Tripoli (Libanon), hat über viele Jahre das Internationale Büro der
»Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas« (DFLP), einer Mitgliedorganisation der PLO,
geleitet und in dieser Funktion viele Kontakte in der arabischen Welt und in Europa geknüpft. Er
studierte in der Bundesrepublik Medizin und arbeitete als Arzt in Nordrhein-Westfalen, kehrte 1970 in
sein Heimatland zurück, verließ es aber wieder nach dessen Besetzung durch Israel 1982. Haddad ist seit
fünf Jahren im Vorstand des Arabischen Publizisten-Vereins Deutschtand, er leitet das Arabische
Filmfestival, das seit 2009 jeweils im November in Berlin stattfindet, wo er seit 1983 lebt.
Mit ihm sprach Jürgen Reents.
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AU-Gipfel eröffnet - Ablehnung ausländischer
Militärintervention
01.07.2011, 7:20 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Malabo (dpa) - Der Präsident von Äquatorialguinea, Teodoro Obiang, hat sich zu Beginn des
Gipfeltreffens der Afrikanischen Union gegen ausländische Militärinterventionen ausgesprochen. Ohne
die Militäraktion in Libyen ausdrücklich zu nennen, sagte Obiang in Malabo. Wenn sich nichtafrikanischer Staaten einmischten, sorge das nur für neues Leid, obwohl die Intervention mit dem Schutz
von Menschenrechten begründet werde. Für afrikanische Probleme müssten auf dem Kontinent
Lösungen gefunden werden.
Quelle: dpa
http://nachrichten.t-online.de/au-gipfel-eroeffnet-ablehnung-auslaendischermilitaerintervention/id_47624508/index, 3.7.2011.
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01.07.2011
Libyen-Konflikt beherrscht AU-Treffen
Muammar al Gaddafi ist beim Gipfel der Afrikanischen Union nicht anwesend – das Problem
Gaddafi ist es sehr wohl. Die Delegierten aus 53 Ländern ringen in Malabo um eine einheitliche
Haltung zum Konflikt in Libyen.
Bislang hatte sich die Afrikanische Union überwiegend Gaddafi-freundlich zum Libyen-Konflikt
geäußert. Zur Eröffnung des zweitägigen AU-Gipfels in Malabo (bis 01.07.2011) sprach sich Gastgeber
Teodoro Obiang am Donnerstag gegen ausländische Militärinterventionen aus. Ohne die Militäraktion
gegen Libyen ausdrücklich zu nennen, sagte der Präsident von Äquatorialguinea, die Einmischungen
nicht-afrikanischer Staaten sorge nur für neues Leid, auch wenn die Interventionen mit dem Schutz von
Menschenrechten begründet würden. Für afrikanische Probleme müssten die Lösungen auf dem
Kontinent gefunden werden.
Der libysche "Revolutionsführer" Muammar al Gaddafi hatte die Umgestaltung der früheren
Organisation für afrikanische Einheit (OAU) zur Afrikanischen Union (AU) 2002 betrieben, dominiert
und mitfinanziert. Nun sind Diplomaten aus aller Welt zum Afrikagipfel in die Hauptstadt
Äquatorialguineas gereist, um Gaddafis Kollegen zu überzeugen, ihn fallen zu lassen.
Rücktritt Gaddafis "zum Wohle Afrikas"
Offiziell steht das zweitägige Treffen der Staats- und Regierungschefs unter dem Motto, die Jugend in
den afrikanischen Staaten zu stärken, im Focus steht jedoch die Krise in Libyen. Rebellenführer
Mahmud Dschibril hatte die Afrikanische Union aufgerufen, eine "klare Haltung" zu Libyen
einzunehmen. Das war den Gipfelteilnehmern bislang nicht möglich. Nach mehr als zweistündigen
Gesprächen hinter verschlossenen Türen konnte der Präsident der AU-Kommission, Jean Ping, lediglich
verkünden, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden müssten. Dabei schien sich vor der Konferenz die
Stimmung gegen Gaddafi zu wenden.
In Gabun hatte Präsident Ali Bongo noch am Mittwoch den libyschen Staatschef zum Rücktritt
aufgefordert. "Zum Wohle seines Volkes, zum Wohle seines Landes und auch Afrikas wäre es gut, wenn
er sich aus eigenem Willen - und ich meine aus eigenem Willen - entschließen würde zurückzutreten",
sagte Bongo, dessen Vater einst vom Christentum zum Islam konvertiert war, um Gaddafi zu gefallen.
Zu den ersten prominenten AU-Politikern, die den Kurswechsel vollzogen, gehörte auch der
senegalesische Präsident Abdulaye Wade. Er erkannte die Aufständischen an und stattete ihnen in
Ostlibyen einen Besuch ab. Danach ging er mit seinem früheren Verbündeten Gaddafi hart ins Gericht
und forderte ihn unmissverständlich zum Rücktritt auf.
Die vergangenen Wochen haben die Stimmung verändert
Der britische Afrika-Minister Henry Bellingham meint in Gesprächen mit Außenministern der
Teilnehmerländer einen deutlichen Sinneswandel zu erkennen. Selbst jene, die vor kurzem noch mit
Rücktrittsforderungen gezögert hätten, meinten nun, er müsse weg. Vor fünf, sechs Wochen habe es noch
nach einem Patt ausgesehen, jetzt nicht mehr: "Gaddafi verliert den Halt", sagte Bellingham. "Es hat
einen großen Meinungsumschwung gegeben."
Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa)
Redaktion: Sabine Faber
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Wer hat Interesse am Libyen-Krieg?
Von Piero Gheddo, Päpstliches Institut für Auslandsmission *
Der Krieg in Libyen wird medial meist sehr einfach dargestellt: ein brutaler Diktator führt Krieg gegen
das eigene Volk – da muss ja die internationale Gemeinschaft eingreifen. Der katholische Bischof und
Apostolische Administrator von Tripolis, Mgr. Giovanni Innocenzo Martinelli, sieht das differenzierter:
er forderte wiederholt einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung (unter Einbeziehung der
gegenwärtigen Regierung). Und er stellte dezidiert fest: „Bombenangriffe sind unmoralisch!“. Auch der
Vatikan unterstützt – wenn auch mit vorsichtigeren Worten – die Position von Bischof Martinelli.
Der italienische Priester und Journalist Piero Gheddo vom Päpstlichen Institut für Auslandsmission,
der mit Bischof Martinelli befreundet ist, hat in der von ihm gegründeten katholischen
Nachrichtenagentur „Asia News” am 6. Mai einen bemerkenswerten Artikel publiziert, den wir – auch
als Kontrapunkt zur täglichen Medienberichterstattung – unseren Lesern zur Kenntnis bringen möchten.
Möglicherweise ist der Beitrag beim Erscheinen von „KC” bereits durch die aktuellen Ereignisse
überholt. Dennoch meinen wir, dass der Artikel über die Tagesaktualität hinaus Bedeutung hat – im
Sinne von: „Auch die andere Seite anhören”.
Ich war schockiert und überrascht, dass die italienischen Medien die Verurteilung des Krieges und die
Vorschläge zum Dialog durch den Bischof von Tripolis verschwiegen haben, weil ich 2007 in Libyen
gewesen bin und Mgr. Giovanni Martinelli kenne, der in Libyen als Sohn italienischer Siedler geboren
wurde und seit 40 Jahren Bischof ist. Er vertritt deutlich seine Meinung, aber niemand oder sehr wenige
hören auf ihn. In Übereinstimmung mit den Appellen des Papstes für Frieden in Libyen (sogar am
Ostersonntag) hat der Bischof von Tripolis seine Stimme erhoben und verurteilt einen Krieg ohne Ende,
der die Konflikte verschärft, Hass und Gewalt vervielfacht sowie eine sicherlich schlechtere Zukunft für
alle Libyer bereitet. Vor kurzem sagte er: „Einen Dialog zu beginnen, ist das Beste, was zu tun ist. Die
NATO-Bomben bringen nichts Gutes und wir müssen alle Parteien des Konflikts berücksichtigen, nicht
nur die Rebellen.“ Er forderte dazu auf, eine Möglichkeit für den Dialog zwischen den Parteien zu
bieten und die Kämpfe zu beenden. Am 5. Mai schlug der Bischof „einen ein wöchigen Waffenstillstand
als Respekt vor dem menschlichen Leben, für die Familien und Libyen“ vor. „Es ist eine menschliche
Geste und die Libyer sind sensibel für diese Akte, trotz der durch den Krieg verursachten Wut.“ Und
Mgr. Martinelli appellierte an die Mitglieder der „Kontaktgruppe“ (die sich damals in Rom traf), „die
Möglichkeit einer Übergangsregierung, die auch Mitglieder des Regimes einschließt, in Erwägung zu
ziehen, um die Ausbreitung von Hass und Misstrauen unter der Bevölkerung zu vermeiden“.
Kurz gesagt: trotz der Appelle von Papst Benedikt XVI. und der sorgenvollen Worte des Bischofs von
Tripolis ist die „humanitäre Intervention“, um die Libyer vor der Gewalt Gaddafis zu schützen, zu
einem Krieg geworden, in dem der Westen auf der Seite der Kyrenaika gegen Tripolis Partei ergriffen
hat. „Jeder spricht über die Hilfe an die Rebellen“, sagte Mgr. Martinelli, „die Zeitungen schreiben über
die schwierige humanitäre Situation in den Städten der Kyrenaika, die dramatisch ist, aber niemand
spricht über die Bevölkerung von Tripolis, die durch den Krieg und die NATO-Bombardierungen
zerstört wird.“
Der Krieg in Libyen wird für Italiener und Menschen aus dem Westen zunehmend unverständlich, weil
er drei Hauptfaktoren nicht berücksichtigt. Ich will sie kurz darstellen:
1. Libyen ist nicht Tunesien oder Ägypten, die einen einheitlichen Staat, starke Medien und eine
intellektuelle Klasse haben. Das Buch „Gaddafi“ von Angelo Del Boca, einem ernsthaften und
gebildeten Gelehrten (Yale University Press 2011), ist eine Pflichtlektüre, um wirklich zu verstehen, wie
es Libyen an einer modernen entwickelten Gesellschaft fehlt und es statt dessen seit den Zeiten des
Osmanischen Reiches in zwei Regionen, Tripolitanien und Kyrenaika, geteilt ist und auf dem Stamm,
dem Clan, der Familie und den islamischen Bruderschaften beruht. Bei einer offenen Parteinahme im
libyschen Bürgerkrieg statt zu versuchen, einen Dialog für eine Einheitsregierung zu initiieren, versenkt
der Westen das Land in einen endlosen Abgrund von Guerillakrieg, Revanche, Terrorismus und
Stammeskämpfen. Jene, die an Ort und Stelle leben wie Bischof Martinelli, die eine tiefe Liebe zum
libyschen Volk haben, wissen das und man sollte auf ihn hören. Am Telefon sagte er mir: „Es gibt keinen
anderen Italiener, der Libyen so gut kennt und das gesamte libysche Volk so liebt wie ich. Doch ich
spreche und niemand hört mir zu.“
2. Gaddafi ist ein Diktator und dieses Wort sagt alles. Aber in der islamischen Welt war er der
einzige, der versucht hat, sein Volk in die moderne Welt zu führen. Seit den 1990er Jahren bis heute
hat er die reichen Ölressourcen dafür verwendet, Schulen, Spitäler, Universitäten und
Gesundheitsstationen in den Dörfern zu errichten, er baute feste Straßen in der Wüste, stellte billige
Wohnungen für alle zur Verfügung, tat viel für die Befreiung der Frauen, indem er Mädchen an die
Schulen und Universitäten schickte (anfangs wollten die Universitäten sie nicht!), schuf für die Frauen
günstigere Ehegesetze und beseitigte in den Dörfern die hohen Mauern, die den Innenhof begrenzten, in
dem sich die Frauen aufhielten. Er förderte Wasser in der Wüste in 800 bis 1000 m Tiefe und pumpte es
in 800 - 900 Kilometer langen Kanälen nach Tripolitanien und Kyrenaika in Zementbehälter (größer als
ein Mensch). Heute hat Libyen Fließwasser für alle. Ich könnte das noch fortsetzen. Gaddafi ist ein
Diktator und zur Unterdrückung des Aufstands hat er Mittel angewendet wie in ähnlichen Situationen in
Syrien und Jemen. Es ist richtig, das zu stoppen. Aber ihn im Westen als einen blutdürstigen Diktator
vergleichbar mit Hitler darzustellen, der um jeden Preis eliminiert werden muss, bedeutet, mehr Hass
nicht nur gegen einen Menschen, sondern gegen all jene, die auf seiner Seite stehen, zu provozieren.
BISCHOF MARTINELLI ZUM KRIEG IN LIBYEN
„Es wurde für den Krieg entschieden, ohne vorher einen diplomatischen Weg zu suchen, der vielleicht
möglich gewesen wäre. Das ist etwas, was mir sehr leid tut.... Gewiss, die Krise hätte verhindert werden
können, wenn man den Bedürfnissen der jungen Menschen mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Doch
der Krieg kann eine soziale Krise nicht kösen. Im Gegenteil, er verschlimmert das Ganze und es kommt
zu einer Spirale der Zerstörung, aus dem man nur schwer wieder herausfindet.“ (20. 4. 11)
„Die Vereinten Nationen haben beschlossen, dass Krieg geführt wird und ziehen den Dialog als Mittel
für eine Überwindung der Kontroverse nicht in Betracht. Alle wollen die Lösung mit Bomben erreichen.
Dies ist sehr traurig, es ist schrecklich, denn es wird sich nichts ändern. Es ist eine Niederlage für die
Menschlichkeit.... Die libysche Krise beschränkt sich nicht auf die Person Gaddafi alleine, sondern es
betrifft das gesamte System der Beziehungen. Man sollte sich dabei nicht auf Misurata beschränken,
sondern einen Weg finden, der alle Stämme und den Rest der libyschen Bevölkerung am Dialog
beteiligt.“ (27. 4. 11).
„Die Bomben, wie genau sie auch sein mögen, fordern immer Opfer unter den Zivilisten.
Bombardierungen sind als solche unmoralisch.. Auch die Behauptung des Bündnisses der Länder, die
Libyen bombardieren, dass man Zivilisten vor Aggressionen schützen will, entspricht nicht der
Wahrheit. Denn diese Bombenangriffe fordern oft Opfer gerade unter den Zivilisten, die sie angeblich
schützen sollen.“ (2. 5. 11)
„Ich möchte betonen, dass Bombenangriffe nicht dem zivilen und moralischen Gewissen des Westens
oder im allgemeinen der Menschheit entsprechen. Bombenangriffe sind immer unmoralisch... Ich
respektiere die Vereinten Nationen und die NATO, aber ich muss darauf hinweisen, dass ein Krieg
unmoralisch ist. Wenn es zu Menschenrechtsverstößen auf der einen Seite kommt, dann kann man diese
nicht mit denselben Mitteln bekämpfen.“ (6. 5. 11)
„Gewiss gibt es auf beiden Seiten Schuld, die der Vergebung bedarf, doch es kann keine Vergebung
geben, so lange Bomben abgeworfen werden.“ (14. 5. 11)
Alle Zitate aus dem Presseorgan der Päpstlichen Missionswerke. Internet: www.fides.org
3. Es ist wahr, dass Gaddafi keine politische oder Pressefreiheit zuließ. Aber er begann, dem
libyschen Volk Bildung und Ausbildung zu bringen. Er kontrollierte die Moscheen, Koranschulen,
Imame und islamischen Institutionen, die in vielen anderen islamischen Ländern (z. B. Indonesien, das
ich jüngst besuchte) vollkommen jenseits der Staatsgewalt stehen, eine anti-westliche Ideologie
verbreiten und „die Märtyrer des Islam“ verehren, also die Selbstmordbomber, mit denen wir alle nur zu
vertraut sind. In Libyen war dies absolut nicht der Fall. In Tripolis gibt es ein Komitee der „Weisen
Männer des Islam“, das die religiöse Unterweisung für Freitagsgebete vorbereitet und im voraus in allen
Moscheen in ganz Libyen publiziert. Der lokale Imam muss diesen Text verlesen. Wenn er etwas
weglässt oder hinzufügt, wird jemand anderer mit der Leitung der Moschee betraut.
Nicht nur das: 1986 schrieb Gaddafi an Papst Johannes Paul II. und bat ihn, als Krankenschwestern
ausgebildete Ordensschwestern für seine Spitäler zu schicken. Der Papst entsandte rund 100, vor allem
aus Indien und den Philippinen, aber auch aus Italien. Heute gibt es in Libyen 10.000
Krankenschwestern und 80 Nonnen (vor allem von den Philippinen) sowie auch viele katholische Ärzte
aus dem Ausland. Bischof Martinelli erzählte mir: „Diese katholischen Frauen, kompetent und
freundlich, behandeln die Kranken auf eine humane Art und verändert damit die Denkweise der
Bevölkerung über das Christentum.“ Und das auf der Basis von viel Lob, das er von Muslimen dafür
erhalten hat, wie christliche Frauen gebildet sind, sagte der Bischof. Libyen war bisher eines der
wenigen muslimischen Länder, in denen Christen (es gibt auch tausende ägyptische Kopten) fast
vollkommen frei waren, ausgenommen natürlich, Libyer zum Christentum zu bekehren. Wer hat
wirklich Interesse an diesem Krieg?
* P. Piero Gheddo, geboren 1929 im Piemont, katholischer Priester, Schriftsteller (mehr als 80 Bücher)
und Journalist. Gründer der italienischen Missionsgesellschaften EMI (1955) und Mani Tese (1963).
Herausgeber der Zeitschrift „Mondo e Missione“ (1959-1994), Gründer und von 1987 bis 1993
Direktor der Presseagentur „Asia News“. Pater Gheddo war viele Jahre als Missionar in verschiedenen
Ländern tätig, und zwar für das Päpstlichen Institut für Auslandsmission, dessen Archiv-Direktor er
1994 wurde.
zit. unter http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/gheddo.html, 1.7.2011.
Originaltext: „asia news“. 6. 5. 11. Übersetzung: Adalbert Krims.
Aus: "KRITISCHES CHRISTENTUM", Heft 348/349, Mai/Juni 2011, S. 3-7.
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Afrikaner wollen politische Lösung für Libyen
aktualisiert am 25.05.2011, 21:58 Uhr | dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH
Addis Abeba (dpa) - Die Afrikanische Union will trotz der andauernden Nato-Bombardements gegen
Machthaber Muammar Al-Gaddafi eine friedliche Lösung des Konflikts in Libyen suchen. Nur eine
politische Lösung könne zu dauerhaftem Frieden führen. Das sagte der AU-Kommissionsvorsitzende
Jean Ping in Addis Abeba bei einem Krisentreffen der Organisation zu Libyen. An dem zweitägigen
Treffen nimmt auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon teil.
Quelle: dpa
http://nachrichten.t-online.de/afrikaner-wollen-politische-loesung-fuer-libyen/id_46728286/index,
3.7.2011.
Gaddafi sucht Freiwillige, Türkei hilft Rebellen
Gaddafi ruft zum «Dschihad» auf. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass dieser Aufruf auf fruchtbaren
Boden fallen wird. Die Aufständischen können ihre Position außenpolitisch festigen. Ihr Übergangsrat
wurde nun auch von der Türkei anerkannt.
Der von den Rebellen bedrängte libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi hat zum Heiligen Krieg
aufgerufen und sucht jetzt Freiwillige für die Front. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana
veröffentlichte am Montag einen Aufruf des Verteidigungsministeriums zum «Heiligen Krieg». Darin
hieß es, Männer und Frauen sollten sich den nun neu eröffneten Rekrutierungsbüros meldeten. Sie
würden dann in «Gotteskrieger»-Einheiten eingesetzt, um gegen die «Kreuzritter» (die Nato) und die
«Verräter-Banden» (die Rebellen) zu kämpfen. Beobachter in Tripolis gehen allerdings nicht davon aus,
dass sich eine große Zahl von Freiwilligen melden wird.
Der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates in Bengasi, Mustafa Abdul Dschalil, wies am Montag
Überlegungen zurück, Gaddafi könne im Falle eines Rücktritts unter Umständen unbehelligt im Land
bleiben: «Ich möchte betonen, dass es weder jetzt noch in der Zukunft für Gaddafi die Möglichkeit gibt,
in Libyen zu bleiben.» Gaddafi müsse entmachtet und vor Gericht gestellt werden.
Die Führung der Aufständischen macht auf politischer Ebene derzeit weiter Fortschritte. Die türkische
Regierung erkannte den Nationalen Übergangsrat als legitime Vertretung der Libyer an. Außenminister
Ahmet Davutoglu versprach der Rebellenführung am Sonntagabend in Bengasi zudem 200 Millionen
US-Dollar (138 Millionen Euro). Türkische Medien schrieben am Montag, dies bedeute eine weitere
Abkehr der Türkei von Gaddafi.
Das von der Türkei zugesagte Geld soll vor allem für den Aufbau der Infrastruktur und eine
Wiederinbetriebnahme des Flughafens in Bengasi verwendet werden. Die Fluggesellschaft Turkish
Airlines hat erklärt, sie wolle wieder Flüge nach Bengasi aufnehmen, sobald die Sicherheitslage dies
erlaube.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Gaddafi immer wieder zu einer friedlichen
Lösung aufgefordert und mehrfach mit ihm telefoniert. Er hatte ihm auch Hilfe beim Verlassen des
Landes angeboten.
Wie die Agentur Jana weiter berichtete, bezeichnete der libysche Ministerpräsident Al-Baghdadi AlMahmudi die Waffenlieferungen Frankreichs an die Rebellen als Verstoß gegen die Libyen-Resolution
der Vereinten Nationen. In der vergangenen Woche hatte die französische Regierung eingeräumt, die
Aufständischen in ihrem Kampf gegen die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi ohne
Absprache mit den Nato-Verbündeten mit Waffenlieferungen unterstützt zu haben.
• dpa, 04.07.2011
© 2011 Financial Times Deutschland
http://www.ftd.de/politik/international/:gaddafi-sucht-freiwillige-tuerkei-hilft-rebellen/60073886.html,
5.7.2011.
Portfolio: Fondssafari in Afrika
Investoren sehen südlich der Sahara bessere Chancen als nördlich der Wüste. Das liegt nicht nur an den
politischen Unruhen. von Julia Groth / Financial Times Deutschland
In Ägypten besetzen Demonstranten erneut den Tahrir-Platz und liefern sich Auseinandersetzungen mit
Sicherheitskräften. In Libyen herrscht Krieg. Marokko stimmt erst noch über eine neue Verfassung ab, und
Tunesien wartet auf den Prozess gegen den gestürzten Diktator Ben Ali. Im Norden Afrikas scheinen Frieden und
stabile Demokratien noch in weiter Ferne.
Entsprechend skeptisch blicken Investoren auf die Länder in dieser Region. "In Marokko und Ägypten ist nicht
absehbar, wie sich die politische Situation weiterentwickelt und welche Folgen das für die Aktienmärkte haben
könnte", sagt Sebastian Kahlfeld, Fondsmanager des Invest Africa der Deutsche-Bank-Tochter DWS.
Staaten südlich der Sahara sind daher für viele Fondsmanager derzeit interessanter. Viele Länder SubsaharaAfrikas hätten sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren politisch positiv verändert, sagt Sharat Dua, Manager
des Fonds Magna Africa des britischen Schwellenländerspezialisten Charlemagne Capital.
Der Reichtum an Rohstoffen komme immer häufiger der Bevölkerung zugute, etwa durch staatliche Investitionen
in die Infrastruktur. Das sorgt für Jobs, bringt den Konsum in Schwung und belebt das Kreditgeschäft für
Privatpersonen. "Diesen Prozess durchläuft gerade ganz Subsahara-Afrika", sagt Dua.
Größte Hoffnung der Fondsmanager: eine wachsende afrikanische Mittelschicht, die Konsumnachfrage erzeugt
und so das Binnenwachstum ankurbelt. In 15 Jahren werde die Einwohnerzahl Afrikas auf 1,5 Milliarden
Menschen angestiegen sein und der weitaus größte Teil oberhalb der Armutsgrenze leben, sagt Zin Bekkali,
Geschäftsführer der britischen Fondsboutique Silk Invest, die auf Investments in Afrika und in Nahost
spezialisiert ist. "Wir konzentrieren uns deshalb auf Konsumtitel." Damit ließen sich auf lange Sicht die höchsten
Renditen erzielen. Und nicht mit Rohstoffen, die vielen Anlegern mit Blick auf Afrika lukrativer erscheinen: "Die
Anlageklasse ist außerordentlich schwankungsanfällig und der Rohstoffsektor in Afrika überdies sehr
intransparent."
Zu den interessantesten Staaten für Investoren zählt zweifellos das Land an der südlichen Spitze des Kontinents.
Südafrika habe nach der Fußball-WM im vergangenen Jahr zunächst zwar enttäuscht, sagt DWS-Manager
Kahlfeld. Die Investitionen in Infrastruktur seien deutlich zurückgegangen, obwohl dafür im Staatshaushalt
weiterhin große Summen zur Verfügung stünden. Dennoch hält er Südafrika weiterhin für spannend. Immerhin
betrug das Wirtschaftswachstum 2010 vier Prozent, im laufenden Jahr dürfte es nur wenig darunterliegen.
Hinzu kommen prominente Firmenübernahmen. So erwarb kürzlich erst die US-Supermarktkette Wal-Mart 51
Prozent an Südafrikas größtem Einzelhandelsunternehmen Massmart. "Auch wenn die Transaktion kurzfristig nur
geringe Auswirkungen hat, ist sie ein Indikator für einen breiteren Trend. Global agierende Unternehmen
forcieren einen Markteintritt in Afrika, insbesondere in den Ländern südlich der Sahara", sagt Malcolm Gray,
Manager des Fonds Africa Opportunities aus dem britischen Investmenthaus Investec.
Auch in Nigeria haben Fondsmanager gute Investmentchancen ausgemacht. Es ist das bevölkerungsreichste Land
Afrikas und verfügt über riesige Öl- und Gasvorräte. "Nigeria hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft", ist
Charlemagne-Manager Dua überzeugt. Die Wahl Goodluck Jonathans zum nigerianischen Staatspräsidenten im
Mai dieses Jahres bewerteten Beobachter als die fairste seit Jahren. Das verheiße mehr Transparenz und weniger
staatliche Willkür. In Duas Fonds Magna Africa macht Nigeria mit 18 Prozent die größte Position hinter Südafrika
aus.
Ganz auf Eis gelegt haben die Fondsmanager den Norden Afrikas indes nicht. Sharat Dua etwa hat zwölf Prozent
des Fondsvermögens in Ägypten investiert: "Auf kurze Sicht ist das Land ein unsicheres Investment, auf lange
Sicht glauben wir aber weiterhin an das Potenzial ägyptischer Konsumwerte." Silk-Invest-Chef Zin Bekkali hat
sein Engagement in Ägypten nach dem Abgang Mubaraks sogar ausgebaut: "Investoren sollten nicht zu sehr auf
die aktuellen Ereignisse achten, sondern auch auf die Fundamentaldaten schauen. Die der nordafrikanischen
Länder sind gut."
http://www.ftd.de/finanzen/investmentfonds/:portfolio-fondssafari-in-afrika/60073676.html, 5.7.2011.
Pekings Afrika-Politik: China, Freund der Gewinner
Mit afrikanischen Revolutionen geht Peking äußerst flexibel um. Um ihre nationalen Interessen zu
wahren, betreibt die Regierung eine Chamäleondiplomatie. von Jonathan Holslag
Jonathan Holslag ist Fellow am Brussels Institute of Contemporary China Studies (BICCS).
Während sich der Westen abmüht, Oberst Gaddafi aus dem Amt zu bomben, baut China ganz
geschmeidig Beziehungen zu libyschen Oppositionsgruppen auf. Das ist schon ungewöhnlich für ein
Land, das im Ruf steht, weltweit autokratische Schurken zu unterstützen. Hinzu kommt noch, dass China
die Uno-Resolution durchwinkte, die die Militäraktion gegen das Gaddafi-Regime erst möglich machte.
Man könnte vermuten, dass sich China von seiner traditionellen, stark auf die politischen Eliten
zugeschnittenen Afrika-Politik abwendet und sich gegenüber dem Westen kooperativer zeigt. Die
Wahrheit ist jedoch einfacher: Es ist China noch immer völlig egal, wer an der Macht ist, solange seine
nationalen Interessen gewahrt werden.
China hat schon in der Vergangenheit mit Oppositionsgruppen gesprochen, die den Umsturz
autokratischer Führer betreiben, zu denen chinesische Unternehmen ein gutes Verhältnis pflegten. Siehe
Sudan: Die Regierung von Omar al-Baschir hat Chinas Firmen ausgesprochen großzügig mit
Ölbohrkonzessionen und großen Infrastrukturprojekten bedacht. Im Gegenzug lieferte Peking
Unterstützung auf politischer und militärischer Ebene. Aber während al-Baschirs Truppen chinesisches
Militärgerät gegen die Abtrünnigen aus dem Süden einsetzten, baute Peking Beziehungen zu den
Separatisten auf und nahm deren Ziele ernst - und zwar schon weit vor der Volksabstimmung von 2011,
die dem Südsudan die Unabhängigkeit ermöglichte.
Der Sudan mag das dramatischste Beispiel dafür sein, wie sich China politisch absichert. Aber auch in
anderen afrikanischen Problemstaaten wie Simbabwe, der Demokratischen Republik Kongo, Niger und
Äquatorialguinea pflegt Peking Kontakt zu Oppositionsgruppen.
China hat sich als sehr biegsam erwiesen, wenn es darum geht, nach politischen Unruhen und
Regierungswechseln Beziehungen aufzubauen. Als 2007 Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdallahi zum
Präsidenten Mauretaniens ernannt wurde, sandte Hu Jintao persönlich ein Glückwunschtelegramm. Nur
ein Jahr später wurde Abdallahi durch das Militär gestürzt. Peking hüllte sich einige Wochen in
Schweigen - zeigte sich dann aber an einer Zusammenarbeit mit der neuen Regierung interessiert.
2008 wurde Guineas Präsident Lansana Conté, ein bewährter Wirtschaftspartner, in einem brutalen
Militärputsch gestürzt. Chinas Botschafter in Conakry vertrat hartnäckig die Ansicht, dass der Coup
keinen Unterschied machen würde. 2010 sicherte sich Peking von Tandja Mamadou, dem Präsidenten
des Niger, die wichtige Zusage für die Uranförderung. Einen Monat später war Mamadou aus dem Amt
gejagt, aber wieder einmal baute Peking schnell Beziehungen zur neuen Junta auf und konnte das
Projekt so am Laufen halten. Ähnliches ist denkbar bei Gaddafi, den Hu einst für seine Freundschaft
pries.
Die politischen Freundschaften, von denen Peking gern spricht, sind nur Freundschaften, solange sie
Chinas Wirtschaftsinteressen dienen. Aus diesem Grund stellt China seine Partnerschaften zu
afrikanischen Ländern vermehrt auf eine Basis, die über Kontakte zur Zentralregierung hinausgehen.
So werden vertrauliche Gespräche mit Oppositionsgruppen geführt, direkte Bande zwischen der
Volksbefreiungsarmee und örtlichen Militärführern geknüpft oder Wirtschaftsbündnisse direkt mit
Kommunalregierungen eingegangen. Auch die beeindruckende Charmeoffensive der Kommunistischen
Partei gegenüber politischen Bewegungen Afrikas lässt sich so erklären. Deshalb interessiert es Peking
auch wenig, wie politische Führer ihre Macht verlieren, und noch weniger, wie Afrikas regionale
Organisationen reagieren.
Teil 3: Demokratie als Vorwand
Hinter dieser Chamäleondiplomatie stehen mehrere Beweggründe. An allererster Stelle ist den meisten
Funktionären klar geworden, dass China als Entwicklungsland nicht wählerisch sein darf. Darüber
hinaus sieht das Land Staatsstreiche nicht als wesentliche Bedrohung für seine Wirtschaftsinteressen an.
Natürlich mussten viele chinesische Bürger evakuiert werden - allein in Libyen waren es etwa 35.000 -,
aber unterm Strich bleiben die Sicherheitsrisiken überschaubar. Regierungswechsel haben Chinas
Verhandlungsposition gestärkt und Firmen die Tür zu prestigeträchtigen Infrastrukturprojekten geöffnet.
Darüber hinaus herrscht die Meinung vor, dass Afrika auf seinem jetzigen Entwicklungsstand politisch
volatil ist und dass Staatsstreiche dominieren, solange die Länder in Armut gefangen sind.
Chinas Entscheider sind sich größtenteils einig, dass Demokratie nicht zu Afrikas Gesellschaften und
Entwicklung passt. Der Schutz der Demokratie ist aus ihrer Sicht nur ein Vorwand, mit dem der Westen
seine Interessen bewahren will.
Anstatt zu versuchen, die politischen Realitäten in Afrika zu beeinflussen, zog es Peking vor, sich
pragmatisch auf die Schwankungen in der Region einzustellen. Die große Frage bleibt jedoch, wie China
reagieren würde, sollte politische Instabilität viele Opfer unter chinesischen Bürgern fordern oder den
Wirtschaftsinteressen des Landes schwerer Schaden entstehen. Peking ist entschlossen, sich auf derartige
Szenarien vorzubereiten. Dabei zeichnet sich ein Konsens ab, dem zufolge es Chinas wachsende globale
Wirtschaftspräsenz notwendig macht, die Interessen des Landes schützen zu können, gegebenenfalls
auch militärisch.
Aufstrebende Mächte lassen sich eigentlich nicht gern in weit entfernte Machtkämpfe hineinziehen.
Doch wenn der Einsatz steigt, finden sich immer Argumente für einen Kurswechsel. Grund sei dann
eben nicht das Streben nach Macht und Wohlstand, sondern die große, ungewisse Welt um sie herum.
• FTD.de, 23.06.2011
© 2011 Financial Times Deutschland
http://www.ftd.de/politik/international/:pekings-afrika-politik-china-freund-dergewinner/60068167.html, 5.7.2011.
Libysche Rebellen bitten Berlin um weitere Hilfe
Die libyschen Rebellen haben Deutschland um Hilfe für Kriegsversehrte, die Freigabe von libyschem
Vermögen und um Minenräumgerät gebeten.
Die Bereitstellung von Waffen für den Kampf gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi war dagegen beim
Besuch des Vorsitzenden des Übergangsrates der Aufständischen, Mahmud Dschibril, am Donnerstag in
Berlin kein Thema. Außenminister Guido Westerwelle bekräftigte seine Entschlossenheit, die Rebellen zu
unterstützen. «Wir stehen an der Seite der demokratischen Kräfte in Libyen», sagte er.
Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass Frankreich Waffen an die Rebellen liefert. Die Golf-Emirate
sollen heimlich ebenfalls Waffen zur Verfügung stellen. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte,
das Bündnis sei in die französische Initiative nicht eingebunden gewesen.
Vor seinem Besuch bat Dschibril in Wien um mehr Unterstützung für den Krieg gegen Gaddafi. «Wir
brauchen Waffen, um möglichst schnell diesen Kampf zu gewinnen», sagte er.
Russland kritisiert Frankreichs Vorstoß. «Falls es stimmt, wäre dies der gröbste Verstoß gegen den
Libyenbeschluss des Weltsicherheitsrats», sagte Außenminister Sergej Lawrow laut der Agentur Interfax.
Die Vetomacht Russland hatte sich bei der Resolution im UN-Sicherheitsrat zum militärischen Schutz der
Zivilbevölkerung enthalten. Allerdings wirft Moskau der Nato vor, den Beschluss mit ihren gezielten
Luftangriffen gegen Gaddafi zu missbrauchen.
In Tripolis veröffentlichte ein Zusammenschluss regimetreuer Stammesführer eine Erklärung, in der er die
Waffenlieferung der Franzosen an die Rebellen als «große Beleidigung für die Libyer» bezeichnete.
Gleichzeitig riefen die Stammesführer ihre Landsleute auf, «die westliche Bergregion von den Ratten der
bewaffneten Terrorbanden, die Frankreich geschaffen hat, zu säubern».
Die Waffenlieferungen spielten bei dem Treffen von Westerwelle und Dschibril in Berlin nach Angaben von
Teilnehmern keine Rolle. Stattdessen bat der Chef des Übergangsrates um Hilfe für die 400
Kriegsversehrten, psychisch belastete Kinder, die rund 700 libyschen Studenten in Deutschland und um
Minenräumgerät. Zudem ging es um die Bemühungen, auf ausländischen Konten eingefrorenes libysches
Vermögen freizugeben. «Hier ist mehr Druck und Tempo erforderlich», räumte Westerwelle ein. Auf
deutschen Konten befinden sich nach neuen Angaben des Auswärtigen Amts 7,35 Milliarden Euro. Die
Staatengemeinschaft sucht nach einem legalen Weg, das eingefrorene Geld zu «enteisen».
Westerwelle sagte, dass Deutschland in dem Konflikt nicht neutral sei, obwohl es sich nicht an dem
Militäreinsatz gegen Gaddafi beteilige. Dschibril betonte, der Übergangsrat respektiere die militärische
Zurückhaltung Deutschlands. Wirtschaftliche Unterstützung und politischer Druck seien ebenso wichtig.
Die EU und die USA warnten indes davor, dass Waffen aus Libyen in die Hände des Terrornetzwerks AlKaida gelangen könnten. Die Terroristen könnten dafür die chaotische Lage in dem nordafrikanischen
Kriegsland ausnutzen, sagte der spanische Innenminister Alfredo Perez Rubalcaba nach einem
internationalen Treffen in Madrid. An der Konferenz in der spanischen Hauptstadt nahmen Vertreter aus
Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Polen und den Vereinigten Staaten teil.
Rubalcaba sagte, die Waffen Gaddafis - «oder was davon übrig ist» - könnten in die Hände der Terroristen
gelangen. So kämpften Angehörige des Wüstenvolks der Tuareg in den Truppen Gaddafis, die bei ihrer
Rückkehr nach Mali in Waffengeschäfte zwischen beiden afrikanischen Staaten verwickelt werden könnten.
Insbesondere die Sahelzone sei ein Trainingscamp für Al-Kaida und ein Drehkreuz für Kokainschmuggel,
Waffen- und Menschenhandel, sagte Rubalcaba. Deswegen müsse in der afrikanischen Region verschärft
Polizei eingesetzt werden; gleichzeitig müsse die Koordination mit der Afrikanischen Union intensiviert
werden.
• dpa, 30.06.2011
© 2011 Financial Times Deutschland, http://www.ftd.de/politik/international/:libysche-rebellenbitten-berlin-um-weitere-hilfe/60071930.html, 5.7.2011.
Revolte in Tunesien: Wie Lügen zum Sturz des Diktators Ben Ali führten
Der "arabische Frühling" begann mit kleinen Unwahrheiten. Sechs Monate nach der Selbstverbrennung eines
tunesischen Straßenhändlers ist klar - vieles war nicht so, wie es schien. Ein Revoluzzer gibt zu: "Wir haben
uns das alles ausgedacht." von Ansgar Haase
Hätte es ohne Mohammed Bouazizi nie eine tunesische Revolution gegeben? Wäre vielleicht sogar in
Ägypten noch alles beim Alten, und würden Gaddafi und Assad keine blutigen Kriege gegen ihre Völker in
Libyen und Syrien führen? Auf diese Fragen wird es wohl nie eine endgültige Antwort geben. Mittlerweile
ist allerdings klar, dass der Name des jungen Mannes auf alle Zeiten mit dem "arabischen Frühling"
verbunden sein wird. An diesem Freitag ist es sechs Monate her, dass sich Bouazizi in der tristen tunesischen
Kleinstadt Sidi Bouzid mit Benzin übergoss und anzündete.
Der 26-Jährige ahnte an jenem 17. Dezember 2010 nicht, dass seine Verzweiflungstat den Anstoß zu einem
Jahrhundertereignis geben sollte, dass die Verbrennung sogar geschickt instrumentalisiert werden würde.
Bouazizi wollte schlicht und einfach gegen die Behörden protestieren, die ihm nicht erlaubten, auf der Straße
seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Politik war ihm fremd, berichteten wiederholt Freunde.
Die nachfolgende Revolution begann deswegen mit kleinen Lügen. Bouazizi war kein arbeitsloser
Hochschulabsolvent, wie zunächst verbreitet wurde, sondern nur ein armer Straßenhändler. Und er wurde
wahrscheinlich auch nicht von einer städtischen Ordnungshüterin gedemütigt und geschlagen. "In der Tat,
wir haben uns das alles ausgedacht", sagte jüngst ein tunesischer Gewerkschaftsangehöriger der
französischen Tageszeitung "Libération". Mit der Geschichte vom "diplomierten Opfer" sollte das tunesische
Bildungsbürgertum zu Protesten gegen das Regime motiviert werden, mit der von einer schlagenden Beamtin
die konservative Landbevölkerung.
"Seit den ersten Ausschreitungen in Gafsa (...) wussten wir, dass das Regime verwundbar ist", erläutert
Lamine al-Bouazizi, der durch Zufall den gleichen Nachnamen wie das Verbrennungsopfer trägt. "Wir haben
versucht, jede Demonstration in einen Protest gegen das Regime umzuwandeln." Aus Sicht des
Gewerkschafters kam die Revolution keineswegs wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel.
Ben Ali soll Kokain genommen haben
Für den gestürzten und nach Saudi-Arabien geflüchteten tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali
dürfte das heute alles egal sein. Dem 74-Jährigen wird zwar vom kommenden Montag an ein erster Prozess
in Tunis gemacht. Es steht aber nicht zu erwarten, dass er im Fall einer Verurteilung an sein Heimatland
ausgeliefert wird.
Zudem gilt der ehemalige Herrscher als schwer krank. "Sein Gesundheitszustand hat sich seit 2004 stark
verschlechtert", schreibt Ben Alis ehemaliger Hausangestellter Lofti Ben Chrouda in einem jüngst
erschienenen Buch. Sein ehemaliger Chef sei zum Ende hin senil gewesen, habe eine schwere Behandlung
wegen Prostatakrebs über sich ergehen lassen und Kokain genommen. In dem ersten Prozess soll es unter
anderem um im Präsidentenpalast entdeckte Drogen und Waffen gehen. Auch die illegale Aneignung von
öffentlichem Vermögen wird Ben Ali vorgeworfen.
Im Fall "Mohammed Bouazizi" hatte Ben Ali zuletzt noch einmal alles versucht. Kurz bevor der
Straßenhändler am 4. Januar seinen schweren Verletzungen erlag, hatte der Präsident den Mann noch im
Krankenhaus besucht und versucht, die bereits stark aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Der Familie soll er
viel Geld angeboten haben. "Er war sehr überrascht, dass sich die Dinge nicht wie sonst regeln ließen",
schreibt Lofti Ben Chrouda.
Wenige Tage darauf floh der seit 1987 regierende Herrscher ins Exil. Was folgte ist bekannt. Kurz nach Ben
Ali stürzte auch der ägyptische Präsident Hosni Mubarak. Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi,
Syriens Präsident Baschar al-Assad und anderen arabischen Herrschern droht ein ähnliches Schicksal.
• dpa, 16.06.2011
© 2011 Financial Times Deutschland, http://www.ftd.de/politik/international/:revolte-in-tunesienwie-luegen-zum-sturz-des-diktators-ben-ali-fuehrten/60066035.html, 5.7.2011.
Top-Ökonomen: Franco Frattini - Ein MarshallPlan für die arabische Welt
Die bedeutende Rede des amerikanischen Präsidenten Barack Obama über die Konsequenzen des
Arabischen Frühlings stellt auch Europa vor eine Herausforderung.
Franco Frattini ist italienischer Außenminister und ehemaliger EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und
Sicherheit.
Nur wenn sich die transatlantische Partnerschaft als effektiv erweist, so wie als es darum ging, den
Anforderungen des Kalten Krieges und der Überwindung der europäischen Teilung zu begegnen, kann
der Westen dazu beitragen, dass die durch die arabischen Aufstandsbewegungen geweckten Hoffnungen
Realität werden.
Die Krise in Europas südlicher Nachbarschaft spiegelt einen tiefgreifenden Prozess des Wandels wider,
der anhaltende Folgen haben wird – für die Region, Europa und die Welt als Ganze. Die
Mittelmeerregion ist für den Frieden, die Stabilität und das Wirtschaftswachstum Europas von zentraler
Bedeutung. Unsere außereuropäischen Nachbarn im Mittelmeerraum betrachten Europa als ihren
natürlichen Partner. Und was in diesen Ländern passiert, einschließlich des israelisch-palästinensischen
Friedensprozesses, hat eine Breitenwirkung, die natürlich die enge Beteiligung weltweiter Partner
bedingt – an erster Stelle der USA.
Die jüngsten Ereignisse nicht nur in Libyen, sondern auch in Tunesien, Ägypten, Syrien, dem Jemen und
Bahrain spiegeln die politische Komplexität dieser Länder wider. Sie sind zugleich das Ergebnis
verschiedener Faktoren wie der Frustration über steigende Lebensmittelpreise und weit verbreitete
Korruption, verbunden mit Forderungen nach größerer Demokratisierung, der Reduzierung
wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Europas Antwort auf diesen Prozess muss das Ziel eines geordneten und raschen Wandels innewohnen.
Vorschläge für eine "Partnerschaft für den Wandel", die auf politischen Reformen und der
uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten beruht, sollten
berücksichtigen, dass die politische Landschaft der Region in den kommenden Monaten mit Sicherheit
angespannt und unberechenbar bleiben dürfte.
Nicht überraschend hat daher die regionale Stabilität für die Europäer eine hohe Priorität. Chaos, ein
Wiedererstarken des Terrorismus, der Aufstieg des radikalen Islamismus und massive
Immigrationswellen in Richtung Europa sind nur einige der potenziellen Gefahren für die Europäische
Union, über die derzeit nachgedacht wird. Die EU sollte vor diesem Hintergrund ihr Möglichstes tun,
um jede Verschlechterung der Sicherheitslage innerhalb der Region zu verhindern.
Nach 1945 wurde mit einem Paket von Finanzhilfen, dem Marshall-Plan, das Ziel verfolgt, die
Volkswirtschaften Westeuropa wieder aufzubauen und neu zu beleben, um demokratischen Wandel und
politische Stabilität zu unterstützen. Heute stehen die Länder des Arabischen Frühlings vor ähnlichen
Herausforderungen und Notwendigkeiten. Wir müssen Länder wie Ägypten und Tunesien – und
möglicherweise ein friedliches Libyen – in die Lage versetzen, ihre politische Stabilität durch
Demokratisierung zu stärken.
Der Marshall-Plan ging mit Partnerschaften zum Wiederaufbau einher, in denen die USA und die
europäischen Empfängerländer gleichberechtigt waren. Das Ziel bestand darin, zur Schaffung eines
dauerhaften Friedens die gegenseitige Zusammenarbeit zu stärken. Im Mittelmeerraum ist die Situation
weiter fortgeschritten: Die breiten Linien einer Partnerschaft existieren bereits; was jetzt erforderlich ist,
ist eine Stärkung der Integration Europas mit seinen südlichen Nachbarn.
Dies ist der Grund, warum Italien einen neuen "EU-Mittelmeerplan" vorgeschlagen hat, der darauf
abzielt, den Prozess des Wandels zu unterstützen und der Region aufbauend auf bestehenden
institutionellen und finanziellen Hilfsmitteln zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die vom
französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy 2008 ins Leben gerufene Union für das Mittelmeer muss
wiederbelebt werden und eine neue Ausrichtung hin zu Entwicklungsprojekten erhalten, die von
Schnellstraßen und Häfen bis hin zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMUs) reichen.
Zugleich jedoch bedarf es einer breiter angelegten Wirtschaftsinitiative zur Mobilisierung einer
kritischen Masse an europäischen und internationalen Finanzressourcen, um Investitionen in die Region
zu locken und ihre Infrastruktur und Dienstleistungen zu modernisieren. Wir sollten gemeinsam mit den
USA die Handels- und Wirtschaftsbarrieren niederreißen, die diesen Volkswirtschaften die Luft
abdrücken. Und wir sollten einigen Mittelmeerstaaten den Assoziierungsstatus gewähren, der ihnen eine
schrittweise Integration mit dem EU-Binnenmarkt und die Teilnahme an EU-Programmen ermöglicht.
Um all dies zu erreichen, bedarf es einer Reihe klarer Prinzipien. Wir Europäer müssen Stabilität
begünstigen, einen echten Geist gemeinsamer Zuständigkeit erzeugen und politische Verantwortung
fördern. In diesem neuen Rahmen sollte die EU eine überzogene Konditionalität vermeiden,
insbesondere in der Phase des Wandels.
Europas starke Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region muss oberste Priorität
bleiben, während die arabischen Länder die notwendigen Reformen einleiten. Darüber hinaus sollte eine
spezielle Finanzorganisation gegründet werden, um bei dieser Aufgabe zu helfen. Ein erwägenswerter
Vorschlag ist die Aufwertung und Stärkung der FEMIP (Fazilität Europa-Mittelmeer für Investition und
Partnerschaft) der Europäischen Investitionsbank, die so zu einer autonomen Einrichtung – vieleicht mit
Sitz im Nahen Osten oder in Nordafrika – werden würde, deren Anteile von den Regierungen (oder
anderen Institutionen) der Region und anderen hierzu bereiten Parteien gehalten würden.
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London könnte diesem Unterfangen
beitreten, indem sie ihre Aktivitäten auf die Region ausweitet. Dies könnte mit dem Aufbau spezieller
Dienste zur Förderung arbeitsplatzschaffender Unternehmen gekoppelt werden. Die EBWE hat einen
wichtigen Beitrag zum Prozess des wirtschaftlichen Wandels in Osteuropa geleistet, und viel spricht
dafür, ihre Erfahrung und Kompetenz zu nutzen, um dem südlichen Mittelmeer zu helfen.
Zugleich muss die EU einen "Dialog unter Gleichen" in Politik- und Sicherheitsfragen einleiten, der
darauf abzielt, regionsübergreifend Vertrauen zu schaffen. Eine Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Mittelmeer und Nahen Osten (KSZM) könnte schnell zu einem nützlichen
Instrument zur Förderung dieses umfassenden Ansatzes in Bezug auf Sicherheit und Entwicklung
werden. Kurz gesagt: Wir müssen die Mittelmeerländer in Produzenten statt in Konsumenten regionaler
Stabilität verwandeln.
Wir Europäer können es uns nicht leisten, unsere arabischen Freunde an den jenseitigen Küsten unseres
gemeinsamen Meeres im Stich zu lassen. Sie sind Teil unserer gemeinsamen Geschichte, und sie
verdienen jene bessere Zukunft, die zu errichten wir ihnen helfen können.
Copyright: Project Syndicate/Europe’s World, 2011. www.project-syndicate.org
• FTD.de, 04.06.2011
© 2011 Financial Times Deutschland, http://www.ftd.de/politik/international/:top-oekonomenfranco-frattini-ein-marshall-plan-fuer-die-arabische-welt/60058908.html, 5.7.2011.
AFRIKA/2035: NATO-Krieg gegen Libyen - Krieg gegen den gesamten Kontinent
(SB)
Libyen muß seine Auslandsinvestitionen und damit auch seine Entwicklungshilfe in Schwarzafrika
zurückfahren
Umfangreiches Reisanbauprojekt in Liberia steht vor dem Aus
Die Zerstörungen, die von dem NATO-geführten Bündnis in Libyen angerichtet werden, wiegen schwer.
Ähnlich wie beim Irak wird hier ein Land niedergemacht, in dem die Einwohner einen verglichen mit
ihren Nachbarn sehr hohen Lebensstandard besaßen. Nun werden sie in die Steinzeit zurückgebombt.
Das hat Folgen für den gesamten Kontinent. In der hiesigen, europazentrierten Berichterstattung wird
gern vernachlässigt, daß die libysche Regierung einer der fünf Hauptfinanziers der Afrikanischen Union
(AU) ist - zusammen mit Algerien, Ägypten, Nigeria und Südafrika kommt es für mehr als 75 Prozent
der Mittel der AU auf [1] - und für Dutzende afrikanische Länder Entwicklungshilfe leistet bzw. hohe
Summen in Schlüsselressorts investiert hat und damit entwicklungsfördernd wirkt [2]. Der
Umsturzversuch der in Ostlibyen ansässigen Milizen und ihre inzwischen wochenlange direkte
militärische Unterstützung durch den von der NATO angeführten Pakt wirken sich destruktiv auf all die
vielen Projekte der libyschen Regierung in anderen afrikanischen Ländern aus. Auch die notorisch
geldknappe Afrikanische Union, eine Hyperadministration vergleichbar mit der Europäischen Union,
könnte in eine Krise geraten, sollte Libyen seine Unterstützung unterbrechen oder in Zukunft seinen
hohen Anteil an der Finanzierung zurückfahren.
Die NATO-Staaten haben den Weg der Zerstörung gewählt und sich durch die Dämonisierung des
libyschen Revolutionsführers Muammar Gaddafi der Möglichkeit beraubt, eine einvernehmliche Lösung
des Konflikts herbeizuführen, eines Konflikts, der von einer Gemengelage an - durchaus
nachvollziehbaren - Befreiungsbestrebungen der libyschen Bevölkerung, aber auch an gegenüber dem
"Gaddafi-Clan" konkurrierenden Oligarchien sowie westlichen Hegemonialinteressen vorangetrieben
wird. Im Kern sieht das UN-Mandat, auf den sich die NATO beruft, vor, daß die Zivilbevölkerung
geschützt werden soll. Daraus hat der Angriffspakt den Auftrag abgeleitet, die Regierung zu stürzen und
die ostlibyschen Milizen, als deren Sprachrohr der Nationale Übergangsrat gilt, an die Macht zu bringen.
Das ist ein Unterfangen, das sich, so es je in Erfüllung geht, über viele Wochen oder Monate hinziehen
kann. Das wird sich negativ auf sämtliche Investitionen Libyens in den Subsaharastaaten auswirken.
Schon vor Wochen hat die Gaddafi-Regierung begonnen, Prioritäten zu setzen, und ihre
Auslandsaktivitäten zurückgefahren. Ob und in welchem Ausmaß eine Nachfolgeregierung den alten
Zustand wieder herstellt, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen.
In der Entwicklungshilfe werden Lücken gerissen, die möglicherweise nicht gefüllt werden können. Die
Schäden der Bombardierung beschränken sich folglich nicht allein auf das Land selbst, sondern
gefährden auch die weitere Entwicklung des Kontinents, respektive die Kommunikationsinfrastruktur,
den Tourismus, Rohstoffabbau, die Landwirtschaft und viele Branchen mehr, in die libysche Gelder
geflossen sind. Immerhin war es Muammar Gaddafi, der 300 Millionen Dollar für den ersten
afrikanischen Kommunikationssatelliten freistellte (50 Mio. Dollar gab die African Development Bank
und 27 Mio. Dollar die West African Development Bank dazu). Der Satellit wurde am 27. Dezember
2007 in den Orbit gebracht. Mit den 300 Mio. Dollar habe sich "das Leben eines ganzen Kontinents
verändert", unterstrich Jean-Paul Pougala auf der Website pambazuka.org [3] die herausragende
Bedeutung von Gaddafis Investition. Der Autor deutet sie sogar als Maßnahme gegen die Plünderung
des Kontinents durch den Westen, habe Afrika doch bis dahin jährlich 500 Mio. Dollar an Gebühren
abtreten müssen.
Vergleichbar mit dem Staatsfonds Norwegens, mit dem die Einnahmen aus der Erdölförderung
diversifiziert werden, hat auch Libyen Investitionen in ganz Afrika und darüber hinaus getätigt.
Stellvertretend soll hier näher auf die Reisproduktion in Liberia eingegangen werden, die von Libyen
mit 30 Millionen Dollar gefördert wurde und nun, da die weitere Unterstützung wegen des Kriegs
ausbleibt, vor dem Aus steht. Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf sagte kürzlich laut einem
Bericht der in Monrovia herausgegebenen Zeitung "New Democrat" [4], daß das Reisprojekt im FoyaDistrikt der Lofa-Region in Schwierigkeiten stecke und man andere Investoren als Ersatz für das von
Libyen unterstützte ADA-Projekt (ADA - African Development Aid) finden müsse. Auch bei ihrem
Besuch in Foya habe sich Johnson-Sirleaf zu dem Projekt geäußert. Angestellte berichteten, daß sie seit
mehreren Monaten keine Gehälter mehr erhielten und die Jugend unruhig werde.
Die Entscheidung für das ADA/LAP-Projekt (LAP - Libya African Investment Portfolio) fiel vor drei
Jahren. Bei dem Vorhaben sollten mehrere hundert Arbeitsplätze geschaffen werden, die einen
maßgeblichen Beitrag zum Erlangen der Ernährungsouveränität des Landes leisten sollten sowie als
Integrationsmaßnahme für ehemalige Bürgerkriegskämpfer aus der Diaspora im benachbarten Guinea
gedacht waren, wie in der Selbstdarstellung des ADA/LAP-Projekts online nachzulesen ist [5].
Nach einigen Jahren der Vorbereitung, bei dem ADA, LAP und Liberias Regierung die Einzelheiten des
Projekts aushandelten, erteilte ihm der liberianische Gesetzgeber am 11. Juni 2008 grünes Licht; am 8.
Juli erhielt es auch von Liberias Präsidentin ihren Segen. ADA bekam Bewirtschaftungskonzessionen für
15.000 Hektar Land über einen Zeitraum von 20 Jahren und 3000 Hektar für Zuchtanlagen
zugesprochen [6].
Unabhängig davon, daß Libyen den Geldhahn zugedreht hat, steckte das Projekt anscheinend bereits in
Schwierigkeiten. Diesen Eindruck erweckt zumindest ein Bericht auf der Website liberiawebs.com [7].
Den Schilderungen zufolge, die sich unter anderem auf eine Vor-Ort-Recherche von Vertretern der
Website FrontPageAfrica stützen, steht das Projekt still, und das nicht erst seit Beginn der Libyen-Krise.
Die mehrere Millionen Euro teuren, hochmodernen landwirtschaftlichen Maschinen rosteten vor sich hin
und würden nur noch von einem unbewaffneten Mann bewacht, hieß es. Ursprünglich sollten 908
landwirtschaftliche Arbeitsplätze geschaffen werden, aber daraus seien dann nur rund 500 geworden und
die auch nur für ein paar Monate. Das Projekt sei nicht in die Gänge gekommen, resümiert die Website.
Mehr noch, einige Bewohner sollen sogar behauptet haben, daß ADA, mit Befugnissen der Regierung
ausgestattet, ihnen das Land weggenommen habe.
Dieser Einwand bedeutet jedoch nicht, daß ADA generell einen schlechten Ruf genießt. Im Gegenteil, es
wurde von Seiten des UN-Entwicklungsprogramms UNDP für seine Beteiligung an der Entwaffnung
und Wiedereingliederung ehemaliger Bürgerkriegskämpfer gelobt und Liberias Presse wählte ADA zur
"NGO des Jahres 2004" und im Jahr darauf zur "NGO des Jahres 2005" [8].
Dennoch, den Medienberichten zufolge steht das Projekt schon länger still, was somit nicht allein damit
zusammenhängt, daß Libyen die Finanzierung eingestellt hat. Aber daraus wiederum den Schluß zu
ziehen, daß der augenscheinliche Verfall nichts mit dem Libyenkrieg zu tun hat, wäre voreilig.
Schließlich verfallen weder die landwirtschaftlichen Geräte noch die modernen Fabrikationsanlagen in
so kurzer Zeit, daß sie nicht mehr in Betrieb genommen werden könnten. Es wäre sehr gut vorstellbar,
daß das Projekt bei Neuverhandlungen zwischen dem libyschen Geldgeber und örtlichen Vertretern der
Region wieder angeschoben werden könnte. Die infrastrukturellen Voraussetzungen dazu sind, soweit
erkennbar, vorhanden, der Maschinenpark steht. Aber Libyen sind die Hände gebunden.
Hieran zeigen sich die weitreichenden Folgen des von westlichen Geheimdiensten unterstützten
Aufstands und des noch laufenden NATO-Luftangriffs. Durch die Zerstörungen werden nicht nur die
Entwicklungschancen Libyens zunichte gemacht, sondern auch die vieler andere afrikanischer Ländern
zumindest beeinträchtigt. Das wird am Beispiel des Reisanbaus in Liberia ungeachtet sonstiger
Probleme, die möglicherweise mit Korruption und Mißwirtschaft zu tun haben, deutlich. Zu den
zahlreichen Investitionen Libyens allein in Liberia gehört abgesehen von der ADA-Reisfarm auch das
Ducor Hotel, die Investmentgesellschaft Libyan Holding und zahlreiche Bauprojekte. Auch sie sind von
den kriegerischen Vorgängen im Mutterland betroffen.
Angesichts der zahlreichen entwicklungsfördernden Investitionen durch den Libyschen Investitionsfonds
bzw. seinem Ableger LAP in den Subsaharastaaten muten Beschreibungen in der hiesigen Presse, wie sie
beispielsweise von der Zeitung "Capital" verbreitet werden - "weltweit hat die Jagd nach den
Blutgeldern des Diktators begonnen" und "Der Diktator lässt sein Zelt im Stadtpark um die Villa Doria
Pamphili in Rom aufschlagen. Abgewetzt sieht es aus, schwere Planen hängen schlaff an den
Seitenwänden herab. So ähnlich würde man auch einen Bierstand gegen Regenschauer absichern" [9] wie Musterbeispiele kriegsvorbereitender Propaganda an.
30 Milliarden Dollar an libyschen Geldern hat die US-Regierung eingefroren, sechs Mrd. Dollar die
Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien, Frankreich, Italien und viele mehr sind ebenfalls an dem
Raubzug beteiligt. Das dürfte schwerwiegende Folgen für zahlreiche Entwicklungsprojekte in Afrika
nach sich ziehen. Mit Fug und Recht läßt sich der NATO-Angriff auf das Land als eine Attacke gegen
den afrikanischen Kontinent bezeichnen. Ist es Zufall, daß dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erfolgt,
an dem sich einige Länder Afrikas erstmals vom kolonialen Erbe befreien, stetige
Wirtschaftswachstumszahlen verzeichnen und mit China im vergangenen Jahrzehnt eine
schwergewichtige Alternative zum Westen das Spielbrett betreten hat? Die festgefahrene Doha-Runde
der Welthandelsorganisation, die zähen bis stockenden Verhandlungen der Europäischen Union mit
afrikanischen Ländern, um Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA - Economic Partnership
Agreements) abzuschließen, die schwindende Bedeutung der letzten EU-Afrikagipfel sprechen eine
deutliche Sprache: Die westliche Hegemonie in Afrika steht auf dem Spiel.
Wenn sich die afrikanischen Länder von der Vorherrschaft des Westens zu emanzipieren beginnen,
bedeutet das nicht, daß sie sich damit vom Weltmarkt abkoppeln. Es tritt jedoch eine Verschiebung ein.
Andere Akteure gewinnen global an Bedeutung, allen voran die BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland,
Indien, China, Südafrika). Libyen zählt nicht dazu, aber es befindet sich sehr wohl auf dem Weg dahin.
Viele Jahre lang waren die Möglichkeiten Libyens, Auslandsinvestitionen zu tätigen, sehr beschränkt.
Erst ab 2006, als die USA das Land von der Terrorliste strichen, änderte sich alles. Noch im selben Jahr
gründete Libyen den zunächst mit 40 Milliarden Dollar bestückten Staatsfonds LIA (Libyan Investment
Authority), der sofort seine Arbeit aufnahm und über diverse Fonds und Investmentorganisationen
Gelder verteilte. Die Liste der Beteiligungen wirkt wie das Who is Who des westlichen Kapitalismus:
Goldman Sachs, JP Morgan, Fortis, Export-Import Bank of the United States, Citigroup, Carlyle Group,
Blackstone, Unicredit, FM Capital Partners, Boston Generating LLC, Eni, Rusal Finmeccanica, Pearson,
etc.
Hinter der diffamierend das "Gaddafi-System" bezeichneten Diversifizierung der Finanzmittel steckt
nicht nur der Versuch Libyens, seine Exporteinnahmen krisenfest anzulegen, sondern auch der Plan, die
heimische Wirtschaft zu diversifizieren, um die extreme Ausrichtung auf Erdöl zu lockern. Diese auch
von anderen Staatsfonds wie dem norwegischen bevorzugte Praxis als "Gelder verstecken" zu
bezeichnen, wie es verschiedentlich in den hiesigen Medien getan wird, zeigt den diffamierenden
Charakter der Berichterstattung. Wobei hier weder geleugnet noch beschönigt werden soll, daß
Muammar Gaddafi, seine Familie und auch ihm treue Verbündete in Politik und Wirtschaft Gelder privat
auf die Seite geschafft haben könnten. Aber ob das jene Staatsfonds sind, die nun gesperrt werden, ist
unklar, und wer den Stab über Gaddafi bricht, gleichzeitig jedoch den materiellen Reichtum und die
Medienmacht beispielsweise eines Silvio Berlusconi ignoriert, muß sich den Vorwurf der
Doppelzüngigkeit gefallen lassen.
97 Milliarden Dollar soll Libyen bereits in afrikanische Länder investiert haben [1]. In Anlehnung an
den Marshall-Plan, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg Westeuropa als Maßnahme der
psychologischen Kriegführung an sich gebunden haben, konnte man in den letzten Jahren von einem
Gaddafi-Plan für Afrika sprechen, hat doch der libysche Revolutionsführer die wirtschaftliche
Entwicklung der afrikanischen Staaten nicht zuletzt deshalb unterstützt, um sie von der Einflußnahme
außerafrikanischer hegemonial getriebener Interessen zu befreien. Libyen zu bombardieren ist folglich
von viel weitreichenderer Bedeutung für die Subsaharastaaten, als wenn beispielsweise ähnlich
flächengroße Staaten wie Sudan oder Algerien attackiert worden wären.
Anmerkungen:
[1] "Libyen-Krise mit Auswirkungen in Subsahara-Afrika", Inge Hackenbroch, Germany Trade and Invest, 15.
April 2011
http://www.gtai.de/fdb-SE,MKT201104148015,Google.html
Germany Trade and Invest wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und vom Beauftragten
der Bundesregierung für die neuen Bundesländer aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
gefördert.
[2] Libyens Finanzmittel werden hauptsächlich über vier Investmentgesellschaften gestreut: Laico (Libya Arab
Africa Investment Co), Lafico (Libyan Foreign Investment Co), Libya Oil Holdings und LAP (Libya African
Investment Portfolio). Inge Hackenbroch [siehe 1], die sich unter anderem auf die ostafrikanische
Wirtschaftszeitung "The East African" beruft, benennt zahlreiche Länder, Branchen, Unternehmen und Projekte
Afrikas, in die libysche Gelder fließen. Auch Wikipedia (Stichwort "Libyan Investment Authority") und die
Websites http://taighde.com/w/Libyan_Investment_Authority und http://www.swfinstitute.org/ liefern Einblicke in
das Engagement Libyens auf dem afrikanischen Kontinent.
[3] "The lies behind the West's war on Libya", Jean-Paul Pougala, pambazuka.org, 14. April 2011
http://pambazuka.org/en/category/features/72575
[4] "Liberia: Gaddafi's U.S.30 Million Lofa Project Collapses", New Democrat (Monrovia), 4. Mai 2011
http://allafrica.com/stories/201105051089.html
[5] http://www.adalap.com/index.html
[6] Kasten zu dem auf farmland.org gespiegelten New Democrat-Bericht [siehe 3]
http://farmlandgrab.org/post/view/18561
[7] "Libyan funded agriculture project vanished" Monday, übernommen von Frontpageafricaonline, 25. April
2011
http://www.liberiawebs.com/index.php?option=com_content&view=article&id=1303:libyan-funded-agricultureproject-vanished-&catid=27:special-report&Itemid=580
[8] African Development Aid, History of ADA, abgerufen am 11. Mai 2011
http://www.winne.com/ssa/liberia/reports/2008/cp/aid/index.php
[9] "Die Welt in der Hand - Wie der Gaddafi-Clan märchenhaft reich wurde", Capital, 28. Februar 2011
http://www.capital.de/politik/:Die-Welt-in-der-Hand--Wie-der-Gaddafi-Clan-maerchenhaft-reichwurde/100036528.html?mode=print
11. Mai 2011
Copyright 2011 by MA-Verlag
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E-Mail: [email protected]
Internet: www.schattenblick.de
letzter Abruf der Seite: 5.7.2011.
Großbritannien und Libyen: Heikle Interessen
Johannes Leithäuser: Die britische Regierung gerät durch Gaddafis Gewalttaten unter Druck:
Nicht nur weil der Ölkonzern BP in Libyen engagiert ist und London Waffen und
Polizeiausrüstung nach Tripolis liefert - sondern auch, weil Gaddafis Sohn einst in London
studierte. 22. Februar 2011
Die Gewalttaten des Gaddafi-Regimes und anderer Herrscher in der Region gegen ihre eigene
Bevölkerung bringen die bisherige britische Außenpolitik gegenüber der arabischen Welt unter
immensen Rechtfertigungsdruck. Premierminister Cameron erfährt das in diesen Tagen persönlich: Er ist
mit einer Delegation britischer Rüstungsfirmen unterwegs an den Golf, die auf neue
Geschäftsabschlüsse hoffen, während seine Regierung in London beteuert, bestehende Lizenzen für die
Lieferung von Waffen, oder Polizeiausrüstung, an Staaten wie Bahrain und Libyen würden unverzüglich
überprüft und ausgesetzt.
In Bezug auf Libyen ist Großbritannien durch die Gewalttätigkeiten des Regimes besonders heikel
getroffen, da der frühere Premierminister Blair und seine Labour-Regierung vor sieben Jahren die
Rückkehr des nordafrikanischen Landes in den Kreis der international respektierten Nationen wesentlich
vorbereiteten und ermöglichten. Zum zentralen Ansprechpartner, zu Libyens neuem, „westlichen“
Gesicht, wurde damals Gaddafis Sohn Saif-al-Islam (Siehe auch Saif al Islam al Gaddafi: Schwierige
Familienverhältnisse).
Er begann 2002 ein vier Jahre währendes Studium an der renommierten London School of Economics
(LSE), bewohnte eine großzügige Stadtvilla nördlich des Regents Park und machte Bekanntschaften wie
den Labour-Politiker Lord Mandelson oder den Handelsrepräsentanten der britischen Nation, Andrew
Duke of York. Saif spielte eine wichtige Rolle bei der vorzeitigen Freilassung des Lockerbie-Attentäters
al Megrahi, der 2009 auf dem Gnadenwege aus schottischer Haft nach Libyen überstellt wurde - er
begleitete den Freigelassenen persönlich nach Hause.
Die LSE lehnte die Stiftungsgabe von Saif Gaddafi ab
Dieser Gnadenakt war zwar keine direkte Bedingung, aber doch eine Voraussetzung für ein
geschäftliches Engagement des britischen Ölkonzerns BP zur Sicherung libyscher Ölvorkommen im
Wert von rund 600 Millionen Euro. Während der Konzern am Dienstag mitteilte, er bereite die
Rückholung von 40 Beschäftigten und deren Familien aus Tripolis vor, beteuerte in London Saif
Gaddafis frühere Hochschule, sie sei nicht länger an einer Stiftungsgabe interessiert, die der Sohn des
libyschen Herrschers ihr hinterlassen hatte.
Die Summe, knapp zwei Millionen Euro, habe zum Aufbau eines „virtuellen Demokratie-Zentrums“ an
der LSE dienen sollen, es sei in den vergangenen Jahren jedoch erst ein Fünftel der Summe empfangen
und ausgegeben worden. Und Premierminister Cameron, der am Montag während des Fluges in den
Nahen Osten noch die „enge Verteidigungs-Zusammenarbeit“ mit einigen „Staaten der Region“
verteidigt hatte, die „stark im britischen Interesse“ gelegen habe, sah sich am Dienstag in Kuweit zu
anderen Botschaften veranlasst: In der Vergangenheit hätten britische Regierungen vor allem auf
Handels- und Sicherheitsfragen gegenüber den Regimes des Nahen Ostens Wert gelegt; sie hätten
Stabilität statt weiterer Ziele im Blick gehabt. Cameron endete mit der Feststellung, die britische
Außenpolitik habe gegenüber den „Interessen“ die „Werte“ vernachlässigt.
Text: F.A.Z., http://www.faz.net/artikel/C32315/grossbritannien-und-libyen-heikle-interessen30328448.html, 5.7.2011.
World Socialist Web Site: Deutsche Interessen in Libyen
Von Ulrich Rippert, 2. März 2011
Der revolutionäre Aufstand in Tunesien, Ägypten und nun im Libyen hat die Bundesregierung zu hektischen
diplomatischen und militärischen Aktivitäten veranlasst. Als erster westlicher Politiker eilte Außenminister Guido
Westerwelle Mitte Februar nach Tunis, um dem damals amtierenden Ministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi
deutsche Unterstützung zuzusichern.
Bei diesem Kurzbesuch habe der Außenminister auch intensive Gespräche mit „Vertretern aus der Wirtschaft und
Zivilgesellschaft“ geführt, heißt es in einem Bericht des Außenamts. Westerwelle schlug die Bildung einer
„Transformationspartnerschaft“ vor und bot großzügige finanzielle Unterstützung an. Später erklärte die EUAußenbeauftragte Catherine Ashton, die Europäische Union werde die Soforthilfe für Tunesien mit 258 Millionen
Euro unterstützen.
Doch wenige Tage später trat Ghannouchi, der dem gestürzten Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali mehr als ein
Jahrzehnt als Regierungschef gedient hatte, unter dem Ansturm erneuter Massendemonstrationen zurück.
Die Bundesregierung macht gute Miene zum bösen Spiel und versucht, ihre enge Zusammenarbeit mit den
diktatorischen Regimen vergessen zu machen. Nach außen hin spricht sie von Unterstützung für eine „erfreuliche
Demokratiebewegung“. Westerwelle preist bei jeder Gelegenheit den „Beginn einer demokratischen Neuordnung“
im Nahen Osten. Doch in Wahrheit ist sie tief besorgt und entschlossen, ihre Interessen mit aller Macht zu
verteidigen.
Das betrifft ganz besonders die Ereignisse in Libyen. Das Land zwischen Tunesien und Ägypten liegt im Zentrum
deutscher Interessen. Denn es ist seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik.
Deutsche Konzerne haben Milliardensummen dort investiert, und das Gaddafi-Regime spielte eine zentrale Rolle
bei der Abschottung der EU gegen Armutsflüchtlinge.
Die enge deutsche Zusammenarbeit mit dem Gaddafi-Regime hat eine lange Tradition. Vor einem Jahr gab das
Außenamt bekannt: „Die politischen Beziehungen zwischen Libyen und Deutschland haben sich konsolidiert.
Eine Intensivierung insbesondere durch hochrangige Besuchskontakte war dank der Entschädigung für die
deutschen Opfer des Attentats auf die Berliner Diskothek „La Belle“ (1986) möglich geworden.“
Unmittelbar nachdem Gaddafi im September 2004 eine Entschädigungsvereinbarung unterzeichnet hatte, reiste
der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach Tripolis und leitete ein neues Stadium der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein. Seitdem wurde das jährliche deutsch-libysche Wirtschaftstreffen und die
deutsche Beteiligung an der Internationalen Messe Tripolis Anfang April jedes Jahr stark ausgebaut.
Libyen ist Deutschlands drittwichtigster Erdöllieferant und deckt etwa 11 Prozent des deutschen Gesamtbedarfs.
Als Abnehmer für libysches Erdöl steht die Bundesrepublik an zweiter Stelle nach Italien. Durch die Öleinnahmen
verfügt Libyen über einen starken Leistungsbilanzüberschuss. Er betrug im vergangenen Jahr 16,8 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes und ermöglichte beträchtliche Investitionen in große Infrastrukturprojekte, an denen sich
deutsche Konzerne massiv beteiligten.
So hat Siemens einen wichtigen Teil der Produktion des gigantischen Wasserversorgungsprojekts „Great Manmade River“ übernommen. Es handelt sich dabei um das größte Trinkwasserprojekt der Welt. Insgesamt konnten
deutsche Unternehmen ihre Exporte nach Libyen deutlich steigern – im Jahr 2009 um rund 23 Prozent.
Die BASF-Tochter Wintershall ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv und betreibt zurzeit acht Ölfelder in der
libyschen Wüste. Nach eigenen Angaben umfasst ihr Investitionsvolumen zwei Milliarden US-Dollar. Sie ist
damit der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen. Die Öl- und Gasfördertochter Dea des Essener RWEKonzerns verfügt über Konzessionen für Öl- und Gasförderung auf einem Gebiet von 40.000 Quadratkilometern.
Libyen verfügt mit mehr als 44 Milliarden Barrel über die größten nachgewiesenen Erdölreserven Afrikas und ist
einer der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten Europas.
Der Bau- und Dienstleistungskonzern Bilfinger Berger baut libysche Autobahnen und hat im vergangenen Jahr die
Ingenieurbauarbeiten für ein großes Gasturbinenkraftwerk in der Industriestadt Zawia, vierzig Kilometer westlich
der Hauptstadt Tripolis, durchgeführt. Zum Auftrag gehörten auch die Gründungsarbeiten für die Generatoren und
Turbinen, für den Kühlturm und die Wassertanks.
Im April 2009 veröffentlichte die FAZ einen langen Bericht über die Bemühungen des damaligen
Bundeswirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der deutschen Wirtschaft eine „Teilhabe am
libyschen Wirtschaftswunder“ zu verschaffen. Unter der Überschrift: „Klinkenputzen bei Gaddafi“ schrieb die
FAZ: „Geld ist in Libyen auch in der Krise mehr als genug da und inzwischen auch der Wille, es zum Nutzen des
Landes zu nutzen – schon allein um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren.“
Die libysche Führung wolle Dutzende Milliarden „in die Maximierung der Energiegewinnung bis hin zur Nutzung
von Solarstrom“ stecken. Sie strebe die Erneuerung der kompletten Infrastruktur, den Bau von Schulen und
Krankenhäusern und die schnelle Industrialisierung des Landes an. Ausländische Investitionen und
entsprechendes Knowhow seien daher „hochwillkommen – solange alles unter der Kontrolle des Gaddafi-Clans
bleibt.“
Frankreich habe sich bereits ein „großes Stück des libyschen Kuchens“ gesichert. Ebenso die Amerikaner, die den
„tollwütigen Hund“ (Reagan) jetzt „eher wie einen Königspudel behandeln“. Berlusconi habe nicht ohne
Hintergedanken „den Diktator zum G-8-Gipfeltreffen im Juli eingeladen“, und die Russen seien auch immer
präsent, „wenn Gefahr für ihr Gasmonopol droht“.
„Da war es höchste Zeit, dass auch Berlin Flagge zeigte“, kommentierte die FAZ. Sie berichtete, wie Guttenberg
tagelang auf eine Audienz bei Gaddafi gewartet habe, schließlich aber doch nur mit einem „Schwager des Oberst“
abgespeist worden sei.
Die Zusammenarbeit mit dem Gaddafi-Regime bestand auch in Fragen der inneren Sicherheit und militärischen
Aufrüstung. Pressemeldungen zu Folge gab es bereits in den 1960er Jahren sicherheitspolitische Partnerschaften.
Mit einigen Unterbrechungen wurden zwischen 1965 und 1983 libysche Soldaten von der Bundeswehr
ausgebildet und libysche Polizisten nahmen an Kursen des Bundeskriminalamts (BKA) teil.
Mit der formellen Aufhebung der UN-Sanktionen im September 2003 nahm die Zusammenarbeit beim Aufbau
von Polizei und Armee zu. Mehrfach fragten Angehörige des Gaddafi-Clans bei der Bundesregierung um
Unterstützung für den Ausbau der Polizei Libyens nach. Die Zusammenarbeit wurde offiziell abgelehnt, aber
inoffiziell intensiviert. So berichtete die Berliner Zeitung im April 2008 über eine private deutsche SicherheitsFirma, die mehrere Hundert libysche Offiziere und Unteroffiziere aus Gaddafis Schutztruppe im Nahkampf,
Scharfschießen, Minenlegen, Häuserkampf und der Festnahme von Verdächtigen unterrichtet habe.
Diese Spezialkräfte wurden sowohl zur Unterdrückung der libyschen Bevölkerung, wie auch zur so genannten
Flüchtlingsabwehr eingesetzt. Dazu dienten auch Lieferungen von Waffen und Polizeiausrüstung. Allein in den
vergangenen drei Jahren erhielt Libyen „genehmigungspflichtige deutsche Ausfuhren“ im Wert von mehr als 80
Millionen Euro – vorwiegend Kommunikationsgerät, Polizeiausrüstung und Hubschrauber.
Die Gewaltorgien und Massaker, die in den vergangenen Tagen gegen libysche Demonstranten angewandt
wurden, sind im Kampf gegen Flüchtlinge schon lange bekannt. Menschenrechtsorganisationen haben bereits in
vielen Berichten auf die äußerst brutalen Praktiken aufmerksam gemacht, mit denen das Gaddafi-Regime gegen
Armutsflüchtlingen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara vorgeht. Die Brutalität und Grausamkeit, mit
der Menschen zu Hunderten in Container gepfercht und in Wüstenlager transportiert werden, wo man sie ohne
genügend Nahrung in völlig überfüllte Zellen sperrt und nicht selten einfach verhungern und verdursten lässt, ist
kaum zu beschreiben.
Die enge wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen dem Gaddafi-Regime und der
Bundesregierung macht deutlich, wie stark die deutsche Wirtschaft von der Unterdrückung in Tripolis profitierte.
Sie zeigt aber auch, dass sich der Kampf gegen das korrupte Gaddafi-Regime auch gegen die imperialistischen
Machthaber in Europa und den USA richten muss. Die wichtigsten Verbündeten der libyschen Aufständischen in
diesem Kampf sind die europäischen und amerikanischen Arbeiter.
http://www.wsws.org/de/2011/mar2011/inte-m02.shtml, 5.7.2011.
Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und
Folgen
Von Lühr Henken *
Am 19. März begannen westliche Länder gegen das Libyen Gaddafis einen Krieg. Er hat bereits die
Länge des 78 Tage währenden NATO-Krieges gegen das Jugoslawien Milosevics überschritten. Die USRegierung setzte am am Tag nach dem Kriegsbeginn scheinheilig in die Welt, „der Einsatz in Libyen
werde Tage nicht Wochen dauern.“ (FAZ 21.3.1) Dabei hatte die NATO bereits eine Frist von 90 Tagen
angesetzt, nun hat sie den Krieg bis – vorerst – Ende September verlängert. Ein Ende ist nicht
abzusehen.
Die führenden Kriegstreiber Sarkozy, Cameron und Obama rühmen sich in einem gemeinsamen
Zeitungsartikel, dass sie mit ihrem schlagartigen Kriegsbeginn am 19. März ein Blutbad im von
Gaddafis Truppen belagerten Bengasi verhindert hätten. (http://www.ag-friedensforschung.de, 19.4.11)
Und in der Times lesen wir von Cameron und Obama, sie hätten damit „eine humanitäre Katastrophe
verhindert.“ (www.handelsblatt.com, 24.5.11) Die wahren Gutmenschen schlechthin?!
Konkret gemeint ist Donnerstag, der 17. März. Gaddafis Truppen hatten einen Monat nach Beginn der
Rebellion verlorenes Terrain zurückerobert und vor den Toren Bengasis stehend mit dem Angriff auf die
Rebellenhochburg gedroht. Beispielhaft sei hier focus.de zitiert: Gaddafi sagte „am Donnerstagabend in
einer telefonischen Ansprache im Staatsfernsehen: 'Die Stunde der Entscheidung ist gekommen.'
Aufständischen, die ihre Waffen niederlegten, werde er eine Amnestie anbieten. Für diejenigen, die nicht
kapitulierten, werde es dagegen 'keine Gnade und kein Mitleid' geben“ (focus.de 17.3.11).
Symptomatisch für die Stimmung hierzulande ist die Überschrift im Handelsblatt am 18.3.: „Ohne
Flugverbot droht in Libyen Völkermord.“
Eine andere Bewertung dieser Ankündigung Gaddafis entnehmen wir dem Boston Globe vom 14. April
2011. Der Professor für öffentliche Angelegenheiten an der Universität von Texas, Alan J. Kuperman,
schreibt: „Gaddafi (hat) niemals mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung in Bengasi gedroht, wie
Obama behauptete. Die Warnung 'es werde kein Pardon gegeben' vom 17. März richtete sich
ausschließlich gegen die Aufständischen, wie die New York Times berichtete. Zudem habe der libysche
Machthaber denjenigen eine Amnestie versprochen, die 'ihre Waffen wegwerfen', Gaddafi bot den
Rebellen sogar einen Fluchtweg und offene Grenzübergänge in Richtung Ägypten an, um einen 'Kampf
bis zum bitteren Ende' zu vermeiden.“ (The Boston Globe, 14.4.11, A.J Kuperman, „False pretense for
war in Libya?“)
Am selben Abend, dem 17.3., hatte der UN-Sicherheitsrat dann mit der Resolution 1973, diesen Angriff
einer „Koalition von Willigen“ mandatiert. Libanon hatte die Resolution als Vertreterin der Arabischen
Liga eingebracht und sie wurde mit 10 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen angenommen. Sie beinhaltet im
Wesentlichen Folgendes: Sie „verlangt eine sofortige Waffenruhe, und ein vollständiges Ende der
Gewalt und aller Angriffe und Missbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen“; sie ermächtigt „die
Mitgliedsstaaten, [...], alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen , [...] um von Angriffen bedrohte
Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete in Libyen, einschließlich Bengasis, zu
schützen, unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen jeder Art in irgendeinem Teil libyschen
Hoheitsgebiets.“ Und „beschließt, ein Verbot aller Flüge im Luftraum Libyens zu verhängen, um zum
Schutz der Zivilpersonen beizutragen.“ Darüber hinaus wird das bestehende Waffenembargo bekräftigt,
Reiseverbote gegen die libysche Führung werden erlassen. Außerdem werden die Vermögenswerte von
libyschen Banken im Ausland und der großen Nationalen Ölgesellschaft NOC eingefroren.
Also erlaubt diese Resolution den ausländischen Mächten zum „Schutz der Zivilbevölkerung“
militärisch eigentlich alles unterhalb einer Besatzung des Landes. Sie erlaubt nicht die gezielte Tötung
Gaddafis.
Was war diesem Beschluss vorausgegangen?
Dazu müssen zwei Vorgänge getrennt untersucht werden. Erstens der angebliche Einsatz der libyschen
Luftwaffe gegen Zivilpersonen und zweitens der Einsatz von Bodentruppen gegen Zivilpersonen.
Um die Frage nach dem Luftwaffeneinsatz gegen Zivilpersonen zu beantworten, genügt die Antwort der
Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Linksfraktion (DS 17/5409 vom 21.4.11): „Der
Bundesregierung liegen keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf
Zivilisten vor.“
Um die zweite Frage nach dem Einsatz von Bodentruppen gegen die Zivilbevölkerung zu untersuchen,
müssen wir uns den Kriegsverlauf vergegenwärtigen. Die Informationslage ist allerdings noch
lückenhaft.
Am 15. Februar gab es im Osten Libyens vor allem in Bengasi mit 300 bis 400 Teilnehmern eine
Demonstration gegen die Festnahme eines Rechtsanwalts. Dieser hatte sich für die Hinterbliebenen eines
Massakers an Inhaftierten eingesetzt. Das Massaker wurde im Juni 1996 im Hochsicherheitsgefängnis
Abu Salim bei Tripolis von Uniformierten an etwa 1.200 politischen Gefangenen, die hauptsächlich aus
Benghasi stammten, verübt und ist bis heute nicht aufgeklärt. Dieser Umstand eines über 15 Jahre
zurück liegenden ungelösten Konflikts verdeutlicht zweierlei. Einen eklatanten Mangel an
Rechtsstaatlichkeit und eine Geringschätzung der ostlibyschen Cyrenaika durch das Regime Gaddafis.
Vom 15.2. gibt es Berichte von Al Dschasira, dass Gruppen unvermittelt in Zintan und Al-Bayda
Polizeistationen in Brand gesetzt hätten. Diese Meldungen gab es hierzulande nicht. France 24 berichtet
am selben Tag von einem Arzt in Bengasi, demzufolge sich in einem Krankenhaus 38 Personen
befanden, die bei Zusammenstößen verletzt wurden. Die meisten von ihnen seien Sicherheitskräfte
gewesen. (www.youtube.com [externer Link]) Auch vom 16.2. gibt es Berichte aus dem Osten Libyens
von Brandschatzungen an Polizeistationen.
Am 17.2. kam es am „Tag des Zorns“ in mehreren Städten Ost-Libyens zu Demonstrationen. Die größte
davon in al-Beidha, mit 1500 Teilnehmern. Gleichentags demonstrierten Tausende Gaddafi-Anhänger in
mehreren Städten des Westens. Die NZZ kommentiert: „Das bildet die historische Polarität im Lande ab.
Der Nordosten des Landes [...]steht traditionell dem Regime eher kritisch gegenüber. Al-Beidha hat den
Ruf, noch den 1969 abgesetzten König Idriss as-Senussi zu verehren, und in Benghasi und an den
Hügeln des Jebel Akhbar hielt sich lange eine islamistische Opposition. Der relative Aufruhr im Osten
kann deshalb nicht einfach als Anzeichen für eine Oppositionswelle im ganzen Land gedeutet werden.“
(NZZ 18.2.11) Das Abfackeln von Polizeistationen und auch Regierungsgebäuden in Städten des Ostens
ging weiter.
In Al-Beidha wurden am 18.2. 14 Opfer von Zusammenstößen beigesetzt, berichtet die NZZ (19.2.11).
Während der Beisetzung dieser Toten in al-Beidha hätten Söldner „mit scharfer Munition direkt in die
Menge“ gefeuert (NZZ 19.2.11). Diese Information hatte die NZZ von der nicht näher bezeichneten
Exilopposition. Die FAZ berichtete: „Al Dschazira schaltete am Nachmittag telefonisch zu einem
Augenzeugen in Bengasi. […] Die Sicherheitskräfte hätten auf die Menschen geschossen, die Tote zum
Friedhof getragen hätten, er sprach von einem 'Massaker'“ (FAZ 19.2.11) Human Rights Watch zählte in
Bengasi 24 Tote. In Bengasi und anderen Städten erhoben sich Tausende von Menschen. Regimegegner
hätten am 18.2. „in Al Baida die Kontrolle übernommen“, (FAZ 19.2.11) berichtet die FAZ und
kommentiert: „Der Osten des Landes wurde vom Regime in den vergangenen Jahrzehnten
vernachlässigt. Städte wie Al Baida und Bengasi sind Hochburgen der Islamisten.“
Am 21.2. schreibt die FAZ : „Augenzeugen berichteten, dass bei einem Trauermarsch in der Stadt
Benghasi mit Maschinengewehren auf Regierungsgegner geschossen worden sei. Nach Berichten der
Opposition wurden innerhalb von zwei Tagen mindestens 200 Personen getötet, doch der Protest breite
sich aus. Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch teilte in London mit, ihr
seien mindestens 173 Todesfälle bekannt.“ (FAZ 21.2.11).
Zu diesen schrecklichen Meldungen ist festzustellen: Es fehlen ihnen die Quellenangaben. Welche
Exilgruppen? Was bedeutet Opposition? Woher hat HRW in London die Zahlen? Die Quantitäten sind
nicht verifizierbar. Bilder davon gibt es nicht.
Ebenfalls am 21.2. notiert die NZZ: „Es gibt auch Berichte, wonach zumindest in al-Beidha Einwohner
den gewaltlosen Widerstand aufgegeben haben und dem Wüten der Schergen Ghadhafis bewaffnet
gegenübertreten.“ (NZZ 21.2.11) Tags drauf, am 22.2. berichtet die NZZ: „Die bruchstückhaften
Informationen deuten in Benghasi und al-Baidha am Montag einen Umsturz an, wobei breitere Teile der
Bevölkerung zu den Aufständischen halten und die Strassen dominieren, während die Sicherheitskräfte
in ihren Kasernen verschanzt sind. Seifulislam (ein Sohn Gaddafis) hat eingeräumt, dass dort
Panzerfahrzeuge in den Händen der Bevölkerung sind [...]. Dabei sind zweifellos auch islamistische
Afghanistan-Veteranen am Werk, welche endlich eine Gelegenheit für ihr Kriegshandwerk auf dem
eigenen Boden erspähen.“ (NZZ 22.2.11). Daraus ist zu schließen, dass sich Rebellen bereits ab am 20.2.
bewaffnet haben und Islamisten darunter sind.
Aus demselben Artikel der NZZ möchte ich die Einschätzung ihres langjährigen NahostKorrespondenten Victor Kocher wiedergeben. Kocher schreibt: „Hier zeichnet sich das historische
Selbstbewusstsein der Cyrenaika wieder ab, jenes Ostteils des Landes, der ursprünglich das wahre
Macht- und Wirtschaftszentrum darstellte. Von dort stammte der Nationalheld und
Unabhängigkeitskämpfer Omar al-Mukhtar, der im Kampf gegen die italienischen Kolonisten gefallen
ist. Und dort sind die Wurzeln der Senussi-Dynastie, aus welcher der letzte König Idriss stammte, den
Ghadhafi 1969 stürzte. In den Augen der Libyer aus der Cyrenaika ist das Ghadhafi-Regime eine
illegitime und zur effizienten Regierung unfähige Konstruktion aus verspäteten Versatzstücken des
Nasserismus.“
Zurück zum Ablauf. Die FAZ meldet am 22.2.: „Der Sohn des Revolutionsführers bestätigte Berichte
von Demonstranten, nach denen sie die Städte Benghasi und Al Baida im Osten des Landes unter ihre
Kontrolle gebracht hätten.“ (FAZ 22.2.11). Dies kann gegenüber Gaddafis-Truppen schlechterdings nur
bewaffneten Demonstranten gelungen sein. Berichte über diesen Eroberungsvorgang liegen allerdings
nicht vor. Ab diesem Zeitpunkt handelt es sich also um einen bewaffneten Bürgerkrieg in Libyen.
Am Morgen des 23.2. machte der Luxemburgische Außenminister Asselborn in Alarmismus: „in Libyen
ereigne sich ein 'Völkermord in höchster Potenz.'“. Was nachweislich nicht stimmte, aber den
Militärinterventionismus befeuerte.
Die Opferbilanz belegt, dass es keinen Völkermord gab: Ärzte in der 700.000-Einwohner-Stadt Bengasi
gaben am 28.2. - nach dem Ende der Kämpfe - bekannt, dass sie dort 256 Tote und rund 2.000 Verletzte
gezählt hätten. (NZZ 1.3.11)
Aufständische bewaffneten sich mit Handfeuerwaffen, Granatwerfern und Schützenpanzern und hatten
sogar fünf Kampfflugzeuge erbeutet. Erbeutete moderne Kampfpanzer konnten sie nicht nutzen, weil sie
nur per Fingerabdruck-Scan zu starten sind.
Am 27.2. rief die Opposition unter der Führung des ehemaligen Justizministers Dschalil eine
Übergangsregierung aus. Dschalil erklärte, dass die Hauptstadt des Landes Tripolis bleibe. (NZZ
28.2.11). Das heißt, das Selbstverständnis der Aufständischen ist ein Machtanspruch auf ganz Libyen.
„Ihre Parole war seit Beginn des Aufstands am 17. Februar: 'Ein Libyen ohne Gaddafi, ein einiges
Libyen, ein Libyen mit der Hauptstadt Tripolis.“ (sueddeutsche.de, 28.3.11)
Die USA und Großbritannien verlegten nun Kriegsschiffe vor die Küste Libyens, und bauten damit eine
Drohkulisse gegen Gaddafi auf, die die Opposition in ihrem Vorhaben bestärkte.
Susan Rice, UN-Botschafterin der USA, sagte am 1. März, „Gaddafi schlachte sein eigenes Volk ab.
Zudem zeige die Behauptung Gaddafis gegenüber westlichen Medien, es gebe keine Gewalt in Libyen,
dass der libysche Diktator 'wahnhaft' sei und die Verbindung zur Wirklichkeit verloren habe. 'Er ist nicht
in der Lage, das Land zu führen', sagte sie“ (FAZ 2.3.11). Das war die klare Ansage: Gaddafi muss weg.
Wie zweifelhaft die Aussagen über das angebliche Abschlachten oder das Bombardieren von Zivilisten
ist, machte ein leitender Beamter des Auswärtigen Dienstes der EU deutlich. Auf seiner Erkundungsreise
nach Libyen, über dessen Ergebnisse die FAZ am 9.3. berichtete, hatte er die letzten verbliebenen acht
Botschafter aus EU-Staaten gesprochen: „Die EU-Botschafter [...] hätten dargelegt, dass sie von
Menschenrechtsverletzungen wüssten, aber nicht genau sagen könnten, wer dafür verantwortlich sei. Ob
Gaddafi die Bevölkerung systematisch beschießen lasse, etwa aus der Luft, sei unklar; es könne auch
nicht genau gesagt werden, wer die Aufständischen seien und ob sie als Partner für die EU in Frage
kämen. Die Botschafter hätten angegeben, ihre Informationen beruhten auf Medienberichten und
Aussagen von Bürgern, nötig sei eine sofortige unabhängige Untersuchung durch die Vereinten
Nationen. Diese Forderung erhob auch der libysche Diplomat, der mit dem EU-Beamten redete.“ (FAZ
9.3.11) . Dazu ist es nie gekommen.
Inzwischen hatte Venezuelas Präsident Chavez einen Plan vorgelegt, wonach „eine Delegation aus
Lateinamerika, Europa und dem Nahen Osten versuchen (solle), eine Annäherung zwischen Gaddafi und
den Aufständischen auf dem Verhandlungswege herbeizuführen.“ Gaddafi stimmte dem zu. (ftd.de
3.3.11) Die Aufständischen lehnten den Plan ab. „Die Zeit für einen Dialog sei vorüber.“ (FAZ 4.3.11),
sagten sie. Niemand griff den Plan auf. Im Gegenteil: US-Präsident Obama forderte tags drauf am 5.3.
erstmals den Rücktritt Gaddafis. Das ist eine weit gehende Forderung. Sie impliziert, dass Obama eine
Verhandlungslösung mit Gaddafi ausschließt.
Die FAZ meldete am 10. März: „Der Aufstand hat nach Schätzungen schon mehr als 1000 Todesopfer
gefordert.“ Wer die Schätzungen vorgenommen hat, wurde nicht mitgeteilt. Die Zahl war offensichtlich
von interessierter Seite aufgebauscht worden. Denn genau drei Wochen später gab das britische
Außenministerium offiziell exakt dieselbe Zahl 1.000 Tote an. (NZZ.de 1.4.11).
Nachdem „Sarkozy in einer Fernsehansprache den Sturz Gaddafis als Ziel“ (FAZ 10.3.11) nannte,
erklärten die Staats- und Regierungsschefs der EU am 11.3. unisono, dass „Oberst Gaddafi die Macht
unverzüglich abgeben muss.“ (FAZ 12.3.11) Sarkozy hatte sich zuvor für gezielte Luftschläge eingesetzt
und erkannte die Gegenregierung an. Frankreich war die treibende Kraft in Richtung Krieg.
Zum Beschluss des UN-Sicherheitsrats
Kommen wir nun zu der Phase direkt vor dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats. Er nahm am 14.3.
seine Beratungen über eine Flugverbotszone auf, kam jedoch nicht zu einer schnellen Entscheidung,
weil sich insbesondere die USA zurück hielten. Unterdessen eskalierte der Bürgerkrieg in Libyen. Das
Gaddafi-Regime wollte Fakten schaffen, ehe NATO-Staaten militärisch eingriffen.
Die NZZ berichtet: „Am Dienstag (dem 15.3.) haben Kampfflugzeuge und Helikopter von Muammar alGhadhafi Adschdabija angegriffen, die letzte Stadt in Rebellenhand vor der Hochburg der
Aufständischen Benghasi. In der strategisch wichtigen Ölstadt Brega wechselte die Kontrolle mehrfach.
In den Ruinen zerstörter Gebäude lieferten sich Rebellen Rückzugsgefechte mit den nach Osten
vorrückenden Regierungssoldaten.“ (NZZ 16.3.11) In den Kampf um Misrata im Westen griffen
Gaddafis Truppen mit Artillerie und Panzern ein. Am Mittwoch, dem 16.3., kündigte das GaddafiRegime an, „es wolle den Aufstand binnen zwei Tagen niederschlagen.“ (FAZ 17.3.11) „Wie ein
Sprecher der Aufständischen, Mustafa Gheriani, erklärte, haben Gadhafis Kampfflugzeuge am
(Donnerstag-)Morgen (17.3.) den Flughafen von Bengasi sowie angrenzende Wohngebiete bombardiert.
Über die Zahl der Opfer gab es bis zum Nachmittag keine gesicherten Informationen […] An den
Weltsicherheitsrat appellierte Gherani, endlich eine Flugverbotszone einzurichten sowie Panzer und
Artillerie Gadhafis zu bombardieren. 'Worauf warten Sie noch – Gadhafi führt Krieg gegen sein eigenes
Volk,' sagte er. Die Bewohner seien den Kriegswaffen des Diktators völlig hilflos ausgeliefert, 'es ist wie
Tontaubenschießen.“ (zeit.de, 17.3.11) Ob auf dieses Schreiben hin oder unabhängig davon, das lässt
sich nicht ermitteln, deutet sich am Donnerstagnachmittag (17.3.) ein Sinneswandel bei den USA an.
Laut Susan Rice zögen die USA Schritte in Betracht, „die eine Flugverbotszone einschließen und
vielleicht auch darüber hinaus gehen.“ (zeit.de, 17.3.11). „Gaddafi kündigte für den Abend eine
Offensive seiner Regierungstruppen in Bengasi an.“ (zeit.de, 17.3.11) Das hatte ich eingangs schon
angesprochen.
Am späten Abend kam es dann zum Beschluss über die UN-Resolution 1973. Der UN-Sicherheitsrat
fasste also einen Beschluss, der nicht auf verifizierten Fakten beruht, sondern auf Medienmeldungen und
Stellungnahmen einer Konfliktpartei. Eine Untersuchung der Vorwürfe wurde nie eingeleitet.
Verhandlungsangebote wurden ausgeschlagen.
Das brachte den Hamburger Rechtsphilosophen Professor Reinhard Merkel zu einem bemerkenswerten
Aufsatz im Feuilleton der FAZ. Er fragt: „Darf man zum Schutz der Zivilbevölkerung eines anderen
Staates gegen diesen Staat Krieg führen? Ja, im Extremfällen darf man das – wenn sich nur so ein
Völkermord oder systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindern lassen, wie sie Artikel
7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs beschreibt. […] Dass Gaddafi keinen Völkermord
begonnen oder beabsichtigt hat, ist evident,“ schreibt Merkel und fragt weiter: „Haben Gaddafis Truppen
systematisch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder doch als bevorstehend befürchten
lassen? Die Antwort lautet beide Male: nein.“ Das Nein begründet er dann. Das überspringe ich mal.
Merkel setzt sich dann mit folgendem Vorwurf auseinander: „'Der Diktator führt Krieg gegen sein
eigenes Volk, bombardiert systematisch seine eigene Bevölkerung, massakriert die Zivilbevölkerung
seines Landes' – ja, das alles in den vergangenen Tagen tausendfach wiederholt, wären Beispiele für
gravierende Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber Gaddafi führt Krieg gegen bewaffnete Rebellen,
die ihrerseits Krieg führen. Kämpfende Aufständische, und wären sie Stunden zuvor noch Bäcker,
Schuster und Lehrer gewesen, sind keine Zivilisten. Das Gaddafis Truppen gezielt Zivilisten töteten, ist
vielfach behauptet, aber nirgends glaubhaft belegt worden. Und jeder nach außen legitimierte, also
autonome Staat der Welt, darf - in bestimmten Grenzen – bewaffnete innere Aufstände zunächst einmal
bekämpfen.“ (FAZ 22.3.11)
Klar ist, der Sicherheitsratsbeschluss ist illegitim, weil ihm die faktische Grundlage fehlt. Die
Kriegstreiber nahmen es nicht so genau mit der Beweislage. Offensichtlich ging es ihnen lediglich
darum, diese Legitimität zu erlangen, um das Ziel, Gaddafi loszuwerden legal in Angriff nehmen zu
können.
Schutz von Menschenrechten?
Dass es dem Westen bei seinem militärischen Eingreifen nicht um den Schutz von Menschenrechten
geht, zeigen folgende nur wenigen Beispiele aus der jüngeren Geschichte: die barbarischen
Kriegsverbrechen der westlichen Alliierten in den Irakkriegen, ihr Schweigen während der israelischen
Aggression gegen den Libanon 2006 und den Gazastreifen 2009, und die Duldung zur Niederschlagung
der friedlichen Demonstrationen von Schiiten in Bahrain, bei denen am 17.2. - übrigens zeitgleich mit
dem „Tags des Zorns“ in Libyen - vier unbewaffnete Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen
wurden.
Die Option, Krieg gegen Gaddafi zu führen, wurde in Washington, London und Paris bereits vor dem
17.3., dem Tag der UN-Resolution, konkret in Angriff genommen. Obama hatte bereits in der Woche vor
dem 17. März „eine Genehmigung zur Unterstützung der Rebellen durch den CIA unterzeichnet.“
(focus.de, 31.3.11) Diese Autorisierung umfasste „auch die Lieferung von Waffen an die libyschen
Rebellen“. (FAZ 1.4.11). Das konservative Wall Street Journal berichtete am 17. März: „Laut offiziellen
Vertretern der USA und der libyschen Rebellen hat das ägyptische Militär damit begonnen, mit Wissen
Washingtons Waffen für die Rebellen über die Grenze nach Libyen zu senden. Die Lieferung umfasst
meist Kleinfeuerwaffen wie Sturmgewehre und Munition.“ (hintergrund.de, Libysche Notizen von Peter
Dale Scott, 31.3.11)
Die Briten waren möglicherweise in geheimer Mission in Libyen noch vor den USA aktiv. Focus-online
meldet bereits am 19.3., dass „Sondereinheiten des britischen Militärs bereits vor Wochen nach Libyen
eingesickert“ seien. Dabei soll es sich um „getarnte Teams des Special Air Service (SAS) und des
Special Boat Service (SBS) handeln“. Sie hätten „strategische Ziele wie Militärflughäfen,
Luftabwehrstellungen und Kommuniktionszentralen vermessen und für Bombenangriffe markiert.“
(focus.de, 19.3.) Wochen vorher bedeutet auch Wochen vor dem UN-Sicherheitsratsbeschluss am 17.3..
Der französische Auslandsgeheimdienst DGSE hatte die Aufständischen in Bengasi erstmals bereits vor
dem 12. März diskret beliefert hat: mit Panzerabwehr-Munition und Kanonen. (focus.de, 2.4.11)
Aber das ist längst nicht alles. „Möglicherweise ist (auch) der US-Geheimdienst […] noch wesentlich
aktiver,“ schreibt die Frankfurter Rundschau am 31.3. „So soll der Oberbefehlshaber der Rebellenarmee,
Oberst Khalifa Haftar, sehr gute Beziehungen zur CIA unterhalten. Erst vor kurzem ist er aus dem Exil
zurückgekehrt. Gelebt hat er angeblich in der Nähe des CIA-Hauptquartiers in Langley. Haftar galt im
Exil als Chef der Untergrundbewegung Libysche Nationale Armee (LNA), die seit den 90er Jahren
Gaddafis Regime bekämpft. Diese Anti-Gaddafi-Bewegung ist der militärische Ableger der in der
Nationalen Front für die Rettung Libyens organisierten Exil-Opposition. Die LNA-Kämpfer und ihr
Anführer Haftar sollen in der Vergangenheit von den USA finanziert und ausgebildet worden sein, heißt
es in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Parlaments (CRS).“ Das schreibt die
Frankfurter Rundschau. Und fügt hinzu: „Schon seit Tagen wird berichtet, dass die Rebellenführung
über geheime Kanäle mit dem alliierten Kommando in Kontakt steht. (fr-online.de, 31.3.11)
Waffenbrüderschaft NATO-Islamisten
Dass die NATO die Waffenbrüderschaft mit Islamisten nicht scheut, belegt ein Bericht in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung vom 24. April. Demnach kämpfen „Mitglieder der regionalen
Organisation 'Al Qaida im islamischen Maghreb' an der Seite der Rebellen.“ Aiman al Zawahiri, im
April noch die Nr. 2 der Al Kaida, hatte zum Kampf gegen Gaddafi aufgerufen. (FAS 24.4.11). Die FAS
weiter: „Aus den Lagern der libyschen Sicherheitskräfte sollen die Extremisten nach Angaben von
Diensten aus der Region auch schwere Waffen, Panzerabwehrwaffen und Manpads – schultergestützte
Luftabwehrwaffen – aus russischer Produktion erbeutet haben. Diese Pendants zu amerikanischen
'Stinger'“, so die FAS, „sind in ihrer modernen Variante zwar schwierig zu bedienen, stellen aber
potentiell auch eine Gefahr für den zivilen Luftverkehr dar.“ Das ist längst nicht alles. Welch
destabilisierendes Potential der von der NATO eskalierte Krieg auf die Gesamtregion hat, macht
folgende Meldung von RIA Novosti vom 1.6. überdeutlich: „Aus algerischen Sicherheitskreisen erfuhr
Reuters, dass etliche Konvois von mit Waffen beladenen LKWs von Libyen nach Niger fahren. Von dort
aus würden die Waffen nach Nordmali gebracht, wo sich mehrere Al-Kaida-Lager befinden. Die
Behörden dieses Landes hatten noch Anfang Mai einen Zustrom von Flugabwehr-Raketen und schweren
Waffen gemeldet, die aus dem Militärlagern in Libyen gestohlen worden sind.“ (http://de.rian.ru, 1.6.11)
Hier braut sich etwas zusammen, was dem US-Regionalkommando für Afrika AFRICOM Argumente
liefert, um endlich in Afrika militärisch eingreifen zu können.
Zur politischen Führung der Rebellen. Premierminister der am 23. März gegründeten
Übergangsregierung ist der Wirtschaftswissenschaftler Mahmud Dschibril. Über ihn weiß die FAZ zu
berichten: „Nach dem Studium der Politik und Wirtschaftswissenschaften in Kairo und Pittsburgh lehrte
er in den Vereinigten Staaten mehrere Jahre lang strategisches Planen und Entscheidungsfindung. [..] Im
Jahr 2007 kehrte Dschibril, der als ein Neoliberaler gilt, in sein Heimatland zurück.“ Er übernahm die
Leitung des Nationalen Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung. „Dessen Aufgabe war es, die
Privatisierung der bisher staatlich gelenkten Wirtschaft voranzutreiben. Was Dschibril in Libyen
vorfand, muss ihn jedoch sehr ernüchtert haben,“ meint die FAZ. „Die Chancen, das Wirtschaftssystem
erfolgreich zu reformieren, habe er bald als gering bezeichnet, heißt es. Zugleich half Dschibril auch
amerikanischen und britischen Firmen, in Libyen Fuß zu fassen. Besonders die Regierung in Washington
forderte er immer wieder dazu auf, sich stärker in Libyen zu engagieren, wie aus geheimen
Botschaftsdepeschen hervorgeht, welche die Internetplattform Wikileaks veröffentlichte. Amerikanische
Diplomaten schätzten Dschibril demnach als einen 'ernsthaften Gesprächspartner.'“ (FAZ 25.3.11). So
weit die FAZ. Also ist Dschibril offenkundig ein Mann der USA.
Ein weiterer Mann der USA in einer Schlüsselstellung ist der neue Wirtschafts- und Finanzminister „in
den befreiten libyschen Gebieten“, wie die NZZ neu definiert. Der 61-jährige Ali Tarhuni war seit 1973
in den USA und kam erst im März zurück. Er ist Finanzfachmann und hat eine Professur an der
Washington-Universität in Seattle. Er machte bei der libyschen Opposition im Exil mit. (NZZ 30.3.11)
Als erstes leitete er druckfrische libysche Banknoten im Wert von über einer Milliarde Euro in den Osten
um. (focus.de, 3.4.11) Diese sollten Ende Februar eigentlich aus der Druckerei in Nordengland mit
einem libyschen Flugzeug nach Tripolis transportiert werden. Wegen der EU-Sanktionen gegen das
Gaddafi-Regime kam es jedoch nicht dazu. Tarhunis Verhandlungen waren erfolgreich. Professor
Tarhuni hat hoch fliegende Ziele: „Ich hoffe, dass wir Libyen in Zusammenarbeit mit internationalen
Investoren zu einem Finanzzentrum ausbauen können.“ Und: „Wenn das Land erobert sei, werde er 'so
schnell wie möglich' eine neue Währung einführen.“ (http://www.finanznachrichten.de, 6.4.11)
Prof. Tarhuni ist auch für Öl zuständig. „Mit der Qatar Petroleum Company hat er einen Vertrag
unterzeichnet, das Rohöl des freien Libyens zu vermarkten.“ (FAZ 30.3.11). Bisher wurde ein
Lagerbestand von einer Million Barrel für 100 Millionen Dollar über Katar verkauft. Das war es aber
auch schon. Denn die von den Rebellen schon zu Beginn des Aufstands gegründete Öl-Gesellschaft Arab
Gulf Oil Company (AGO), eine Abspaltung von der Nationalen Ölgesellschaft NOC, die „über 40
Prozent der Ölförderstätten des Landes“ verfügt, (focus.de, 2.4.11) gab bekannt, dass sie aus
Sicherheitsgründen „bis zum Ende des Krieges kein Öl mehr fördern werde.“ (http://www.bild.de,
15.5.11) „Laut Tarhuni haben die Rebellen einen täglichen Bedarf von umgerechnet 43 bis 86 Millionen
Dollar.“ (NZZ 4.5.11). Mit dem Ölgeld kommen sie also nicht weit. Deshalb wollen sie sich bei
westlichen Staaten zunächst zwei bis drei Milliarden Dollar leihen. Zwar gibt es Zusagen von
Golfstaaten über mehrere Hundert Millionen, aber an das beschlagnahmte libysche Auslandsvermögen
in Höhe von 60 Milliarden Dollar kommen die westlichen Staaten nicht heran. Dafür fehlt ein Beschluss
des UN-Sicherheitsrats.
Dieser kurze Blick auf die Führung der Aufständischen macht klar: Sie wollen die neoliberale Öffnung
der libyschen Wirtschaft.
Kampf um Ressourcen und strategische Positionen
Auf welche Ressourcen Libyens könnte westliches Kapital nach dem gewaltsamen Sturz des GaddafiRegimes mehr oder weniger uneingeschränkten Zugriff erhalten und welche weiteren Folgen hätte dieser
Umsturz? Dazu fünf Thesen.
Libyen ist ein an Ressourcen reiches Land. Es ist vor allem reich an Erdöl, Erdgas und Süßwasser. Dazu
kommen Gips, Kalkstein, Ton, Kalisalz, Marmor, Pottasche, Eisenerz, Phosphate, Uran, Bauxit, Kupfer
und Zinn. Die Uran- und Eisenerzlagerstätten liegen allerdings verkehrstechnisch ungünstig.
These eins: Es locken der freie Fluss von Erdöl und Erdgas und damit Gewinne im
Upstreamgeschäft.
Zunächst ein kurzer Blick auf die Geschichte des libyschen Erdöls. Mit der Erdölförderung wurde Ende
der 50er Jahre in der Zeit des Königs al-Senussi begonnen. „Vor 1969 waren 42 ausländische
Erdölgesellschaften in Libyen tätig. Allein 22 US-amerikanische Gesellschaften vereinigten 87,5 % der
gesamten libyschen Erdölförderung. In zähen Verhandlungen gelang es der neuen libyschen Führung,
durch Preiserhöhungen und Nationalisierungsmaßnahmen eine bestimmte Verfügungsgewalt über
Libyens Erdölressourcen zu erlangen. Seit September 1973 müssen sämtliche in Libyen tätigen
Erdölkonzerne dem Staat eine mindestens 51%ige Beteiligung einräumen.“ (Länder der Erde; Köln
1981, 720 Seiten, S. 383) Ende der 70er Jahre bereits kontrollierte die Nationale Erdölgesellschaft etwa
zwei Drittel der Erdölproduktion. Seit 1980 liegt der Staatsanteil bei 80 %. (Hanspeter Mattes, Libyen in
D. Nohlen, F. Nuscheler, Handbuch der Dritten Welt, Bonn 1993, Bd. 6, S. 228)
Erdöl und Erdgas trugen in den letzten Jahren zu etwa drei Vierteln zum BIP Libyens von rund 60 Mrd.
Dollar bei. Libyen hat mit nachgewiesenen 44,3 Milliarden Barrel die größten Erdöllagerstätten Afrikas.
Das sind 3,3 Prozent der Weltreserven. (BP Statistical Review of World Energy, June 2010, 50 Seiten,
S.6) Damit liegt das Land auf Platz 8 in der Welt. Aber das Potenzial wird als noch wesentlich höher
eingeschätzt, weil längst nicht die gesamte Fläche und das Offshoregebiet exploriert sind. Nur etwa ein
Drittel der Fläche ist bisher konzessioniert. Bei einem gegenwärtigen Rohölpreis von 115 Dollar je
Barrel errechnet sich für Libyen ein Wert für die nachgewiesenen Ölressourcen von über 5 Billionen
Dollar. Das ist das 83-fache des BIP. Der Wert der Erdgasvorkommen wird auf 500 Mrd. Dollar
geschätzt.
„Größter ausländischer Akteur für die Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas“ ist Eni. Die
italienische Firma förderte vor dem Aufstand ca. ein Viertel der gesamten Ölmenge. Andere Ölfirmen in
Libyen sind Total (Frankreich), Repsol (Spanien), BP (GB), ExxonMobil (USA), Statoil (Norwegen),
Royal Dutch/Shell (GB/NL), Gazprom (Russland), RWE und Wintershall/BASF (Deutschland), CNPC
(VR China), Waha Oil (ein Joint Venture von NOC/Libyen mit Conoco/Phillips/Marathon/Hess/USA)
und OMV (Österreich). Lizenzen „erhielten auch ein algerisches, ein brasilianisches, ein kanadisches
und ein indonesisches Unternehmen.“ (NZZ 17.1.06). Das sieht nach einer großen internationalen
Beteiligung aus. Die Verträge mit den Konzernen sind jedoch nach wie vor so abgefasst, dass diese „bis
zu 80 Prozent der Produktionserlöse […] an die staatliche libysche Ölgesellschaft NOC“ liefern müssen,
berichtet das ZDF. „Die NOC kontrolliert die Geschäfte mit den fossilen Ressourcen des Wüstenlandes
und ist an nahezu allen Fördervorhaben ausländischer Konzerne auf libyschem Boden beteiligt.“
(heute.de, 26.3.11) Am Beispiel Wintershall wird deutlich, wie hoch bis zuletzt die Steuern und Abgaben
an den libyschen Staat waren. „Von den rund 1,3 Milliarden Euro EBIT (Gewinn vor Steuern und
Zinsen, L.H.) blieb in Libyen aufgrund der hohen Steuern nur noch ein Nettoergebnis von 70 Millionen
Euro übrig.“ (http://nachrichten.finanztreff.de, 6.5.11). Also magere 0,05 Prozent. Die Verträge sind
unterschiedlich. Durchschnittlich belief sich zuletzt der Anteil an der Ölproduktion, den die Ölfirmen
behalten können, auf 11 Prozent. (le monde diplomatique, 8.4.11, in Joachim Guilliard, Der Krieg gegen
Libyen und die Rekolonalisierung Afrikas, 2.5.11, http://www.hintergrund,de) Westliche Firmen
sprechen angesichts dessen auch von Knebelverträgen.
Der Vorsitzende des Übergangsrats, Abdul Dschalil, stellte laut FAZ in Aussicht, „dass Libyen, wenn es
in Freiheit vereint sei, sich daran erinnern werde, wer im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 'für uns'
gestimmt habe.“ (FAZ 31.3.11) Sein Finanz- und Ölminister Tarhuni, wurde konkreter: „Ich glaube, dass
die Länder, die wie Frankreich sehr früh auf unserer Seite standen, Vorteile haben werden.“ (Die Zeit,
6.4.11)
These zwei: Es lockt das libysche Süßwasserreservoir, das noch in staatlicher Hand ist.
Unter Libyens Wüste lagern gewaltige Süßwasserreserven unterhalb einer Tiefe von etwa 300 m, die
bereits in den 50er Jahren bei Ölbohrungen entdeckt wurden. Der Nubische Aquifer, der eiszeitliches
Wasser enthält, erstreckt sich über Ägypten, Libyen, Sudan und Tschad und ist das größte fossile
Frischwasserreservoir der Welt. Inzwischen wird das Wasser aus vier Becken, die im Westen und im
Osten Libyens liegen, gefördert. Über ein fast 4.000 km langes Rohrsystem werden die libyschen
Küstenstädte mit Trinkwasser versorgt. 1984 startete unter Gaddafi dieses mindestens 30 Mrd. Dollar
teure „Great Man Made River-Projekt“ (GMMRP). Durch die 4 m hohen Stahlbetonrohre werden täglich
etwa 6,5 Mio. m³ Wasser transportiert. Die libyschen Wasservorräte betragen 37.500 km³, von denen
etwa 10.000 bis 12.000 km³ abpumpbar sind. (www.zeit.de, Sahara-Wasser für Libyens Küste, 27.12.10)
Um eine Vorstellung von der Dimension zu bekommen, wie groß die Menge des brauchbaren
Frischwassers ist, hier ein Vergleich: Es würde einen Bassin der Fläche der Bundesrepublik Deutschland
mit einer Tiefe von 33 m füllen. Bei einem Verkaufspreis von 2 Euro pro m³ Wasser, errechnet sich ein
Marktwert von 24 Billionen Euro für das abpumpbare Wasser. Da die Förderkosten pro m³ lediglich bei
25 Cent liegen sollen, ergäbe sich eine immense Gewinnspanne. Die drei französischen Konzerne
Veolia, Suez-Ondeo und SAUR beherrschen 40 Prozent des Weltwassermarktes. (Vgl. Kurswechsel,
arte, 22.3.11) Die „drei Schwestern“ sind also besser aufgestellt als andere Firmen, wenn es um die
Privatisierung und den Export des kostbaren Nasses käme. Nach Berechnungen des „UN-Zentrums für
Umwelt und Entwicklung für die arabische Region und Europa“ (Cedare) in Kairo reichen die libyschen
Wasservorräte bei gleich bleibendem Verbrauch noch 4.860 Jahre. (Zeit.de, 27.12.10) Geplant ist auch,
das Wasser für die Wüstenbewässerung einzusetzen, um Libyen unabhängig von Lebensmitteleinfuhren
zu machen und landwirtschaftliche Güter zu exportieren. (http://de.wikipedia.org) Übrigens: Der
deutsche Siemens-Konzern rühmt sich auf seiner Website: „Siemens ist am Wasserversorgungsprojekt
'Great man-made River', dem größten Projekt in Libyens Geschichte und dem größten Stromerzeugungsund -verteilungsprojekt überhaupt, maßgeblich beteiligt.“
(www.siemens.com/about/de/weltweit/libyan_arab_jamahiriya_1343893.htm, gelesen am 7.6.11)
These drei: Gaddafis Bemühungen um die Einigung Afrikas beenden, bevor es zu spät ist.
Gaddafi war 1999 Initiator zur Bildung der Afrikanischen Union (AU), die dann 2002 aus der OAU
hervorging. Libyen zahlt 15 Prozent des AU-Budgets und die Beiträge mehrerer kleiner afrikanischer
Staaten. Insgesamt werden die libyschen Investitionen in Afrika auf 6 Mrd. Euro geschätzt. Die AUTruppen in Somalia werden vor allem von Libyen finanziert. Mit 260 Millionen Euro ist Libyen einer
der wichtigsten Anleger der Afrikanischen Entwicklungsbank. (Vgl. Erhard Crome, Der libysche Krieg
des Westens, Berlin 2011, 76 Seiten, S. 18)
Aber die Pläne Gaddafis gehen weit darüber hinaus. Wenige Monate vor dem NATO-Angriff auf sein
Land forderte er die arabischen und afrikanische Staaten auf, eine neue gemeinsame Währung
einzuführen, um sich der Macht des Dollars und des Euros zu entziehen. Grundlage sollte der GoldDinar sein, der auf dem 144 Tonnen schweren libyschen Goldschatz beruht, der in der staatlichen
Zentralbank lagert. Dieser Initiative waren bereits geheime diesbezügliche Konferenzen 1996 und 2000
vorausgegangen. Die meisten afrikanischen Länder unterstützten dieses Vorhaben. Sollte dies gelingen,
wäre Frankreich der größte Verlierer, denn das bedeutete das Ende des CFA-Franc in den 14
frankophonen Ländern Afrikas, und damit auch das Ende der postkolonialen Kontrolle Frankreichs über
diese. Drei Schlüsselprojekte hatte Gaddafi in Planung, die den Grundstein für eine afrikanische
Föderation bilden sollten: Die Afrikanische Investmentbank im libyschen Sirte, die Afrikanische
Zentralbank mit Sitz in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, sowie die für 2011 geplante Einrichtung des
Afrikanischen Währungsfonds in Jaunde (Kamerun), der über einen Kapitalstock von 42 Milliarden
Dollar verfügen soll. (Peter Dale Scott, http://info.kopp-verlag.de, 5.5.11) Der Afrikanische
Währungsfonds (AWF) soll unabhängig machen vom IWF. Libyen will 10 Milliarden, Algerien gar 16
Milliarden Dollar für den AWF zur Verfügung stellen. (Michel Collon, Den Krieg in Libyen verstehen,
http://www.hintergrund.de)
Die in den USA eingefrorenen 30 Mrd. Dollar waren für die Schlüsselprojekte vorgesehen. Würde es zu
einer afrikanischen Gemeinschaftswährung kommen, würde die Rolle des Petrodollars schwinden.
Beobachter weisen darauf hin, dass Saddam Hussein kurz vor dem Angriff auf den Irak angekündigt
hatte, das Öl nicht mehr in Dollar sondern in Euro abzurechnen. Ist Gaddafi nun das zweite Opfer?
These vier: Die Rolle Chinas in Afrika zurückdrängen.
13 Prozent der libyschen Erdölexporte gingen in die VR China, was dort drei Prozent der Ölimporte
ausmacht. Knapp 20 Milliarden Dollar hat die VR China in Libyen investiert. 36.000 Chinesen
arbeiteten in Libyen und 75 chinesische Firmen waren dort aktiv. Sämtliche Chinesen wurden evakuiert.
Sie waren vor allem im Eisenbahnbau, im Bewässerungsbau und im Telekommunikationsbau und in der
Ölförderung aktiv. Ihre Rückkehr ist ungewiss. China verstärkt seine Zusammenarbeit mit Afrika.
Betrug der Handelsumsatz mit afrikanischen Ländern 1995 noch 6 Milliarden, waren es 2010 bereits 130
Milliarden Dollar. Wie intensiv die Chinesen die Bande zu den afrikanischen Staaten bereits geknüpft
haben, zeigte zuletzt die 4. Tagung des „Forum on China-Africa Cooperation“ in Addis Abbeba 2009, an
dem fast 50 afrikanische Staatsoberhäupter teilnahmen. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao gab
bekannt, einen Niedrigzinskredit über 10 Mrd. Dollar an afrikanische Staaten zu vergeben.
These fünf. Westliches Interesse an militärischer Zusammenarbeit und Stützpunkten
Libyen ist einer von sechs Staaten des afrikanischen Kontinents, der zum African Command
(AFRICOM) der USA keine militärischen Beziehungen unterhält und sich neben Libanon als einziger
arabischer Mittelmeeranrainer nicht am NATO-Mittelmeerdialog beteiligt. USA und NATO übten vor
dem Angriff keine Kontrollfunktion an den libyschen Küsten aus. Nach der Räumung des britischen und
des US-amerikanischen Militärstützpunktes durch Gaddafi 1970 war diesen der Zutritt auf libysches
Gebiet verwehrt. Das könnte sich unter einer neuen Herrschaft wieder ändern.
Summa Summarum sind das handfeste Interessen, die stimulierend auf einen Kriegseintritt wirken.
Vorteile für die Bevölkerung?
Welche Vorteile sich daraus für die libysche Bevölkerung ergeben, ist zweifelhaft. Allein durch den
Krieg hat sich die Lage sehr verschlechtert. Das betrifft zunächst die Zahl der Flüchtlinge und Toten. Bis
zum Eintritt der Westalliierten in den Krieg am 19.3. wird von „rund 270.000 ausländischen Arbeitern“
berichtet, die „seit Ausbruch des Bürgerkrieges über die Grenze nach Tunesien geflüchtet sind.“ (NZZ
18.3.11) Zwei Monate später gibt die UNO an, dass 800.000 aus Libyen geflohen und 200.000 im Land
auf der Flucht seien. (NZZ 20.5.11) Das ist eine Vervierfachung der Flüchtlingszahl. Über die Zahl der
Getöteten kursieren nur Schätzungen. Waren es Ende März rund 1.000 Tote (siehe oben), bezifferte der
US-Botschafter in Libyen, Gene Cretz, Ende April, „die Zahl der Todesopfer in Libyen seit Beginn des
Aufstands mit 10.000 bis 30.000.“ (FAZ 30.4.11). Die Berichterstatter des UN-Menschenrechtsrats
gaben in der letzten Woche die Schätzung von 10.000 bis 15.000 Toten seit Mitte Februar an.
(http://www.rp-online.de, 1.6.11).
Hinzu tritt die immer schwieriger werdende Versorgungslage der Bevölkerung.
Ob der hohe soziale Standard in Libyen nach dem Krieg in dem Maße aufrecht erhalten wird wie er
unter Gaddafi war, ist auch zu bezweifeln. In seinem Beitrag über die Sozialstruktur und soziale
Entwicklung Libyens schreibt der Mitarbeiter des Deutschen Orient-Instituts Hanspeter Mattes schon
1992: „Libyen ist das nordafrikanische Land mit dem geringsten Wohlstandsgefälle und, abgesehen von
der weißen Minderheit in Südafrika, das Land mit dem höchsten Lebensstandard in Afrika. Es nimmt
hinter den Golfstaaten auf der UNDP-Skala des Human Development Index einen arabischafrikanischen Spitzenplatz ein. Die Einkommensverteilung wurde durch die seit 1969 ergriffenen
sozialpolitischen Maßnahmen (Subventionierung der Grundnahrungsmittel, von Strom, Benzin und Gas,
Wohnungsbauprogramme, Erhöhung der Mindestlöhne, seit 1973 Beteiligung der Arbeitnehmer an den
Unternehmensgewinnen) nivelliert. [...] Libyen ist mit Tunesien der Maghrebstaat mit der höchsten
Einschulungsrate und das medizinisch am besten versorgte Land. Die Analphabetenrate konnte […) von
78 Prozent (1966) auf unter 40 Prozent (1990) gesenkt werden.“ (Mattes, S. 230 f). Die Zahl der
Studenten verzehnfachte sich von 1970 bis 1990. Die Medikamentenabgabe erfolgt kostenlos. Mattes
schreibt 1992 von einer „im internationalen Vergleich hervorragende(n) Sozialversicherung“. (Mattes, S.
232) Im Jahr 2008 lag das BIP pro Kopf Libyens beim Doppelten der seiner Nachbarn Algerien und
Tunesien. Die Lebenserwartung liegt bei 74,5 Jahren, die Kindersterblichkeit bei 17 Toten pro 1000
Geburten und damit unter der von Saudi-Arabien mit 21. Die Analphabetenrate sank 2008 sogar auf 11,6
Prozent. Zum Vergleich Ägypten 33 und Algerien 27 Prozent. Beim HDI-Index rangiert Libyen an 53.
Stelle noch vor Saudi-Arabien, Bulgarien und Russland. Libyen zählt damit noch zu den
hochentwickelten Ländern. Der HDI-Index ist ein Indikator, der die Lebenserwartung, das Einkommen,
die Kindersterblichkeit und den Bildungsgrad einbezieht. Die UNDP konstatiert in ihrem Bericht von
2008, dass Libyen „die extreme Armut praktisch beseitigt“ habe. (Vgl. Joachim Guilliard, Zerstörung
eines Landes, Junge Welt 5.5.11)
Wenn es zum Sturz des Gaddafi-Regimes kommt, und der Neoliberalismus die Regie führt, werden die
Staatseinnahmen geringer ausfallen und die sozialen Leistungen schrumpfen, denn den Ölmultis ist ein
größerer Anteil an der Ölförderung versprochen worden. Ob dann noch der Schulbesuch, das Studium,
der Krankenhausaufenthalt und Medikamente kostenlos sein werden, ist fraglich. Gleiches gilt für
Subventionen von Grundnahrungsmitteln, Gas und Benzin. Werden junge Eheleute weiterhin 50.000
Dollar vom Staat erhalten, wie unter Gaddafi?
Bis zur Übernahme der Macht durch die Aufständischen ist es noch ein langer und blutiger Weg. Welche
Entwicklung ist zu erwarten?
Die Gesellschaft der etwa 6,5 Millionen Libyer ist trotz der Urbanisierung von etwa 80 Prozent eine
Stammesgesellschaft. Es wurden etwa 850 Stämme gezählt, deren Größe von wenigen Hundert
Mitgliedern bis zu einer Million reichen.
In Libyens Osten, der Cyrenaika, leben nur etwa 30 Prozent der Libyer, in Tripolitanien mit der zwei
Millionen Einwohner zählenden Agglomeration Tripolis sind es etwa zwei Drittel und in der südlichen
Provinz Fezzan etwa 5 Prozent. Die Machtübernahme des Ostens würde die Herrschaft der Minderheit
über die Mehrheit bedeuten. Die Rebellen sind nicht imstande, allein - ohne ihre NATO-Luftwaffe –
dieses Ziel zu erreichen. Denn noch stehen die vier großen Stämme des Landes hinter Gaddafi, so dass
eine Tötung des Revolutionsführers in naher Zukunft durch einen NATO-Angriff sehr wahrscheinlich zu
einem Aufstand dieser Stämme führen würde. Deshalb ist diese Mord-Taktik als kontraproduktiv zu
bewerten, um den Regime Change zu erreichen. Dies strategische Ziel bestimmt die NATO-Taktik, über
lange Zeit relativ verhalten Angriffe zu fliegen und den Einsatz von Bodentruppen auszuschließen,
Kriegsaussichten
Der NATO ist es durch massive Angriffe insbesondere ihrer fürchterlichen Erdkampfflugzeuge A 10 und
AC 130 seit Ende März gelungen, die Gaddafi-Truppen zurück zu drängen, so dass nahezu ein
militärisches Patt entstanden ist. Bei fort dauernder politischer, militärischer, finanzieller und
ökonomischer Isolierung des Regimes hat die NATO ihre Taktik eskaliert, gezielt Hochwertziele, wie
Kommunikationsknotenpunkte, Kommandozentralen und Munitionslager, zu zerstören und durch das
Bombardement von Funktionsgebäuden, das Regime unter permanenten Druck zu setzen. Der Einsatz
von Kampfhelikoptern und „Bunker Bustern“ soll den Druck nun noch steigern. Der Krieg gegen
Jugoslawen um das Kosovo 1999 bildet hierfür die Blaupause. Die Zerstörung militärischen Geräts wird
unterdessen fortgesetzt. Die Rebellen werden mit Waffen, Ausrüstungen und Verpflegung über Tunesien,
Ägypten und Misrata versorgt, sie werden militärisch angeleitet und die Angriffe zunehmend
koordiniert.
Die NATO-Taktik zielt auf die Delegitimierung der Macht Gaddafis und das Aufweichen der
Unterstützung durch die Stämme. Letztlich wird auf den Zusammenbruch des Regimes gesetzt, auf ein
Wegbrechen seiner Stützen. Dieser Zermürbungskrieg im schnöden machtpolitischen und ökonomischen
Interesse des Westens nimmt das Leiden der libyschen Zivilbevölkerung bewusst in Kauf. Noch mehr
Tote, Verletzte und Flüchtlinge werden die Folge sein. Um diese Taktik zu durchkreuzen, hilft nur der
Einsatz für eine Waffenruhe, um damit Verhandlungen über die Zukunft Libyens einzuleiten. Gaddafi ist
zu einem Waffenstillstand bereit. Der Westen muss dazu gebracht werden, dem zuzustimmen. Lenkt die
NATO ein, dann wird die Opposition folgen. Die NATO ist der stärkere Teil der Kriegskoalition.
* Lühr Henken, Berlin, ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Dem vorliegenden Manuskript liegt ein Vortrag zu Grunde, den der Autor am 8. Juni in Düsseldorf
gehalten hat.
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/henken2.html, 1.7.2011.
Kriminelle in Nadelstreifen 23.06.2011, 11:15 Uhr | McClellan, Angela
Während des G8-Gipfels in Deauville haben die Industriestaaten beschlossen, Korruption in
Nordafrika aktiver zu bekämpfen. Was sie dabei vergessen haben, ist die eigene Verantwortung
für das Problem. Die Suche nach dem Vermögen der ägyptischen, libyschen oder tunesischen
Diktatoren hat ein globales Netzwerk ineinander verknüpfter Gelder offengelegt: Anteile einer
britischen Zeitung und eines italienischen Fußballvereins oder auch Hunderte von Immobilien in
London, Paris, Afrika und an der spanischen Küste. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Wie kommt das Geld in die Wirtschaft?
Es dauert eine Sekunde, Gelder ins Ausland zu schaffen. Doch wenn Steuergelder erst einmal veruntreut
sind, kann es zehn Jahre dauern, sie wieder zurückzufordern. Steuerparadiese leben von der
Verschwiegenheit, sie haben wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit Behörden, um Gelder in
Entwicklungsländer zurückzuführen. Es überrascht also nicht, dass in den letzten 16 Jahren nur 5
Milliarden Dollar an Korruptionsgeldern wieder extrahiert werden konnten.
Die große Frage ist allerdings, wie die Gelder überhaupt erst ihren Weg in die internationale Wirtschaft
finden. Diktatoren müssen ihr Geld nicht unter der Matratze verstecken. Das Einzige, was sie brauchen,
sind fähige Anwälte, Finanzexperten und Agenten und dann noch die schweigende Zustimmung der
Regulierungsbehörden und Manager. Niemand erwartet, dass Banken jeden Politiker ablehnen. Aber
eine Bank darf auch nicht schweigen, wenn ein Führer wie Suharto mindestens 32 Milliarden Dollar
stiehlt, oder wenn nigerianische Politiker 500 Milliarden Dollar veruntreuen. Es wird geschätzt, dass
während der vergangenen Jahrzehnte bis zu 180 Billionen Dollar allein durch politische Führer auf der
ganzen Welt veruntreut worden sind.
Die Regierungen der G8 haben schließlich auf Rückführungsgesuche reagiert und mehrere Milliarden
Dollar an verdächtigen Geldern bei ihren Banken eingefroren. Diese Gelder sollten jetzt an unabhängige
Treuhänder wie die Weltbank oder die African Development Bank überwiesen werden, damit die
Banken nicht auch noch von den Zinsen profitieren.
Deutschland übernimmt keine Verantwortung
Es überrascht, dass die internationale Gemeinschaft nicht bereits früher versucht hat, Geldflüsse in
Bankkonten auf Übersee zu stoppen. Regierungen sind verpflichtet, die Banken so zu regulieren, dass
sie politische Mandatsträger in Einklang mit der UN-Konvention gegen Korruption besonders sorgfältig
beleuchten – auch wenn Deutschland immer noch eine von drei G20-Nationen ist, die diese
Schlüsselkonvention nicht ratifiziert hat.
Wenn wir uns nicht um die Vorgänge in unserem eigenen Hinterhof kümmern, verschaffen wir korrupten
Akteuren de facto Straffreiheit. Wir verkomplizieren Versuche, politische Stabilität und nachhaltige
Entwicklung voranzutreiben.
Nach dem 11. September hat die internationale Gemeinschaft entschlossen gehandelt, um Terroristen
den Geldhahn abzudrehen, indem aktiv gegen das undurchsichtige Finanzsystem und Geldwäsche
vorgegangen wurde. Nach der Finanzkrise 2008 versprach die neu erweiterte Gruppe der G20,
Steuerparadiese zu eliminieren. Es wurde propagiert, dass die Tage der Verschwiegenheit vorbei seien.
Die G20 beinhaltet auch die sogenannten BRICS-Staaten, die inzwischen zu wichtigen Akteuren des
Finanzsystems geworden sind und als solche auch Verantwortung für die Durchsetzung von Transparenz
tragen.
Aber hat diese Gruppe mehr erreicht als die G8? Immerhin gab es einen Aktionsplan zur
Korruptionsbekämpfung. Doch wir warten immer noch auf konkrete Schritte, um sicherzustellen, dass
die Profite der Korruption nicht in den Bilanzen der Banken verschwinden.
McClellan, Angela, The European, http://nachrichten.t-online.de/korruption-in-nordafrika-kriminelle-in-
nadelstreifen/id_47415020/index, 3.7.2011.
islam.de - Druckdokument - Druckdatum: Montag, 27.06.11
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Donnerstag, 10.03.2011
Wandel in Nahen Osten: Die neue
Weltordnung kommt doch - Von Aiman
Mazyek
Drei Erkenntnisse aus den Revolutionen in der arabischen
Welt - Warum es für den Westen existentiell notwendig ist
jetzt nicht wegzuschauen
Die Bürger Ägyptens, Tunesiens und auch anderer arabischer Länder haben uns alle
beeindruckt. Unter Gefahr von Leib und Leben sind sie auf die Straße gegangen, um für
Freiheit zu kämpfen. Sie waren entschlossen, sie waren friedlich und alle Schichten der
Gesellschaft waren beteiligt: Jung und Alt, Männer und Frauen, Liberale, Geistliche, Muslime
und Christen, Vertreter aller politischen Lager – sie alle haben Jahrzehnte währende
Diktaturen beendet.
Wir sind Zeugen einer Zeitwende in der islamischen Welt geworden, deren Verlauf
unumkehrbar ist und die mehr als deutlich macht, dass Islam und Demokratie miteinander
einhergehen können, ja sogar müssen. Die Welt ist Zeuge geworden, wie Christen Muslime
während des Freitagsgebets auf dem Tahrir-Platz vor bezahlten Schlägern schützten, und wie
Muslime Christen während der Sonntagsmesse schützen. Die ägyptische Revolution lieferte
uns Bilder, die nicht in das angenommene Schema von Christenverfolgung und gewalttätigen
Muslimen passten. Wir dürfen aber bei aller Freude die vielen Tausend Toten und Verletzten
nicht vergessen, die Opfer der brutalen Regime geworden sind, wie gerade das Beispiel
Libyen zeigt.
Nicht nur die arabische Welt steht vor einem epochalen Wandel. Auch Europa hat jetzt die
große Chance, verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Aber das setzt voraus,
dass Europa die eigenen hehren Worte nach Freiheit und Demokratie auch in ehrliche Politik
umsetzt. Jahrzehntelang haben Europa und die USA mit Despoten gekungelt, während sie
gleichzeitig blind waren gegenüber jenen, die wegen ihres Eintretens für universelle Werte
drangsaliert und ermordet wurden.
Westen darf jetzt nicht weggucken
Der Westen darf jetzt nicht wegschauen. Er muss die Freiheitsbestrebungen der Menschen in
den arabischen Ländern unterstützen. Ich begrüße die Worte von Außenminister Guido
Westerwelle, der die Gewalt in Libyen verurteilt und Hilfe der Bundesregierung für den
politischen Wandel in der arabischen Welt zugesagt hat. Zu Recht kritisierte auch
Bundespräsident Christian Wulff die laschen Reaktionen der EU in diesem Zusammenhang
und mahnte zu entschlossenerem Handeln.
Dies bedeutet im Klartext: Der politische Druck gegenüber den Übergangsregierungen in
Tunesien und Ägypten muss aufrecht erhalten bleiben, damit in diesen Ländern freiheitlich
demokratische Verfassungen Geltung erlangen. Nur so können Gleichberechtigung und
Mitwirkung aller politischen Kräfte durch freie und geheime Wahlen ermöglicht werden. Nur
dann ist garantiert, dass Bürger nicht dauerhaft im Ausnahmezustand leben müssen und dass
Korruption, Vetternwirtschaft und Verunglimpfung ein Ende haben.
Die Rolle der religiösen Gruppen und wie Fanatiker entgegen allen Vorurteilen keine
Rolle gespielt haben
Allen hiesigen Unkenrufen zum Trotz haben religiöse Fanatiker bei den Volksaufständen keine
Rolle gespielt. Muslimische Vertreter haben stets betont, dass der Einfluss Radikaler marginal
ist. Geglaubt hat man ihnen im Westen nicht. Geglaubt hat man den Diktatoren, die ihre
Gewaltherrschaft mit der angeblichen islamistischen Gefahr begründeten. Geglaubt hat man
so genannten Islamkritikern, die gläubigen Muslimen grundsätzlich die Fähigkeit zur
Zivilgesellschaft absprechen. Nun stellt sich heraus, wie schädlich diese von Islamkritikern und
einigen politischen Think Tanks geprägten Annahmen waren. Letztere mündetet nicht selten in
aufgebauschten Analysen nahöstlicher Expertisen mit fatalen Folgen. Westliche Staaten
verhielten sich in Sachen Menschenrechte und Demokratie nicht selten schizophren
gegenüber den Völkern des Nahen Ostens. Obwohl einmal mehr klar sein dürfte, dass der
wahre Grund für Terrorismus neben der Armut der Mangel an Freiheit und politischer
Mitwirkung ist.
Die Angst vor dem bösen Muslim bleibt dennoch allgegenwärtig – das hat die Reaktion auf den
abscheulichen Mord des Kosovo-Albaners auf US-Soldaten in Frankfurt deutlich gemacht doch sie scheint Risse zu bekommen. Angesichts der beeindruckenden und mit friedlichen
Mitteln eingeleiteten demokratischen Umwälzungen - insbesondere in Ägypten und Tunesien –
dürften es die Hohepriester der Angst schwerer haben, ihre These von der islamischen
Weltherrschaft weiterhin an den Mann/die Frau zu bringen.
Es hätte übrigens genügt die Plakate der Demonstranten zu lesen und ihre Slogans zu hören,
um zu erkennen, was diese Menschen millionenfach auf die Straße getrieben hat: nicht
religiöser Fanatismus, sondern die Sehnsucht nach Freiheit, Bürgerrechten, fairen Wahlen und
ein Leben in Würde. Aber hiesige Experten und Islamkritiker konnten die Plakate nicht lesen
und die Slogans nicht verstehen, weil sie im doppelten Sinne der Bedeutung die Sprache der
muslimischen Völker nicht verstehen. Sie wollten nicht einsehen, dass die arabischen Völker
die gleichen Sehnsüchte hatten, wie die osteuropäischen Völker vor dem Fall des eisernen
Vorhangs.
Muslimbrüder
Und religiöse Gruppierungen, wie die Muslimbrüder, werden sich dem demokratischen
Wettbewerb stellen müssen. Sie werden seriöse Antworten auf die gewaltigen wirtschaftlichen
und sozialen Probleme ihrer Länder geben müssen, wenn sie vor den Wählern bestehen
wollen. Die Ideologisierung der Religion als konzeptionelles Modell wird dabei, - das hat die
Türkei, welches in den letzten Tagen oft als Vorbildmodell erwähnt wird - kein wirkungsvolles
Rezept sein. Die Zeiten der Ideologisierung der Religion sind – das hat die Revolution ebenso
eindrucksvoll und wie für manche hierzulande auch überraschend gezeigt – endgültig vorbei.
Das wissen auch die Muslimbrüder.
Bisherige Sicherheitspolitik im Nahen Osten hinterfragen
Angesichts der dramatischen Veränderungen in der arabischen Welt muss die westliche
Staatengemeinschaft ihre Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten hinterfragen. War es richtig,
Jahrzehnte lang auf Diktaturen zu setzen und Milliarden für eine zweifelhafte Antiterrorpolitik
aufzuwenden? War es richtig, mit Autokraten Geschäfte zu machen, Menschenrechtsverletzungen zu
ignorieren und auf eine Scheinstabilität zu setzen? Sicherlich nicht, denn so konnten Alleinherrscher
unter den Augen der Weltöffentlichkeit ungeniert Menschenrechte mit Füßen treten – sie profitierten
dabei der unheiligen Dialektik, der sich der Westen im Kampf gegen Terror verschrieben hatte. Und
ohnehin gilt: Die beste Garantie gegen Fanatiker in den arabischen Ländern bieten bürgerliche
Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und prosperierende Wirtschaften.
Kluge Vorschläge sind jetzt gefragt, wie der vom ehemaligen israelischen Botschafter Avi Primor, der
einen Marshall-Plan für die islamische Welt vorschlug. Das sind Rezepte, die in die richtige Richtung
weisen. Rezepte, die die Religion nicht als Hindernis sehen oder gar als Teil des Problems, sondern als
einen Teil der Lösung begreifen. Und dies wäre die dritte Erkenntnis aus den demokratischen
Umwälzungen in der arabischen Welt.
Im Irak und in Afghanistan haben westliche Alliierte vor Jahren mit Gewalt versucht, Demokratie zu
„implantieren“ – mit desaströsen Folgen. Nun bietet sich die historische Chance, arabischen Länder zu
demokratischen Regierungen zu verhelfen – nicht gegen, sondern mit dem Willen des Volkes. Nach
1989 hat der Westen den Osteuropäern geholfen. Nun muss er im ureigensten Interesse den
nahöstlichen Ländern helfen. Die Religionszugehörigkeit darf dabei keine Rolle spielen.
http://islam.de/17630.php, 27. 6. 2011.
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„Die Sklavenhalter sitzen heute in den Börsen“
Veröffentlicht am Oktober 25, 2009 von erenguevercin| 3 Kommentare
Der Schweizer Soziologe und Politiker Jean Ziegler gilt als Globalisierungskritiker. Seit
Jahrzehnten kämpft er gegen Hunger und Armut und den für diese verantwortlichen
kapitalistischen Bedingungen. Er war viele Jahre Abgeordneter für die Sozialistische Partei im
Nationalrat. 2000-2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. 2008 wurde
er in den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats gewählt.
Herr Ziegler, der Titel Ihres neuen Buches lautet „Der Hass auf den Westen“. Welchen Hass
meinen Sie?
Jean Ziegler: Ich muss zugeben, der Titel meines Buches „Der Hass auf den Westen“ kann schockieren.
Es geht in meinem Buch über zwei Arten des Hasses. Der Hass der südlichen Hemisphäre, wo immerhin
4,5 Milliarden der 6,7 Milliarden Menschen leben, hat zwei ganz unterschiedliche Gesichter. Es gibt
einen pathologischen Hass. Das ist Al-Kaida, der Terrorismus, das ist organisiertes Verbrechen. Und es
gibt den vernunftgeleiteten Hass, den Willen zum Aufstand gegen den kannibalischen, vom Westen über
den Planeten erricheteten Weltordnung. In Bolivien zum Beispiel ist seit 3 Jahren zum ersten Mal seit
500 Jahren ein Indianer demokratische gewählter Präsident. Eine unglaubliche Identitätsbewegung ist im
Gange, eine demokratische Widerstandsbewegung, gemacht aus den fünf großen indianischen Völkern
des Andenhochlandes. Evo Morales hat dank dieser Widerstandsbewegung die Macht über 200
ausländische Konzerne zu übernehmen, ganz neue Bedingungen zu diktieren und plötzlich hat dieser
bitterarme bolivianische Staat das Geld, sein Volk aus dem Unglück und Hunger zu führen. Das ist der
vernunftgeleitete Hass.
„Das Finanzkapital in den Händen einiger westlicher Oligarchen hat eine Macht, die es nie zuvor in
der Geschichte der Menschheit ein König, ein Kaiser oder ein Papst gehabt hat.“
Woher kommt dieser Hass? Die Zeit des Kolonialismus gehört doch längst der Vergangenheit an…
Ziegler: Er hat drei Quellen. Die erste Quelle ist das verwundete Bewusstsein. Das ist wie beim
Holocaust, man weiß nicht warum ein verwundetes Bewusstsein, ein fürchterliches Verbrechen zwei,
drei Generationen braucht, bis es Bewusstsein wird. Dasselbe erleben jetzt die Völker des Südens. Zwei
fürchterliche Wunden, die im Gedächtnis fortleben, das ist die Sklaverei und das sind die
Kolonialmassaker, und heute erst, Generationen nachdem diesen Massakern, wird dieses verwundete
Gedächtnis zum politischen Bewusstsein. Ich möchte ihnen eine Anekdote erzählen, um das zu
illustrieren. Im Dezember 2007 kommt der französische Staatspräsident Sarkozi zum ersten Mal nach
Algier, um Erdölverträge zu verhandeln. Die französische Delegation setzt sich an den Tisch im
Präsidentenpalast von Algier. Bevor die Verhandlungen beginnen, steht Präsident Bouteflika auf und
sagt: „Zuerst möchte ich eine Entschuldigung für Sétif!“ Sétif ist das fürchterliche Massaker, das die
Fremdenlegion verursacht hat am 8. Mai 1945 an der algerischen Zivilbevölkerung, das über 42 000
Tote und Verwundete gekostet hat. Ganz verstört antwortet Sarkozy: „Ich bin nicht der Nostalgie wegen
gekommen.“ Die Antwort von Bouteflika: „Das Gedächtnis vor den Geschäften!“ Daraufhin gab es
keine Verhandlungen. Die letzte Staatsvisite, die Bouteflika in Paris machen sollte, war im letzten Juli.
Die wurde abgesagt, weil die Entschuldigung für Sétif immer noch nicht eingetroffen ist.
Die zweite Quelle des vernunftgeleiteten Hasses ist die permanente westliche Doppelzüngigkeit, wenn
es um Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geht. Ich bin Vizepräsident des beratenden
Ausschusses des Menschenrechtsrates des Uno-Menschenrechtsrates. Ich erlebe bei jeder Versammlung
des Uno-Menschenrechtsrates diese westliche Verlogenheit. Auch Präsident Obama foltert weiter. In
Bagram wird weitergefoltert. Er kriegt den Nobelpreis, während er zwei Kriege führt. Die
Doppelzüngigkeit des Westens wird nicht mehr ertragen von den Völkern des Südens. Ich möchte ihnen
auch hier ein Bespiel geben. In meinem Buch spielt Nigeria eine große Rolle, das bevölkerungsreichste
Land in Afrika und einer der größten Erdölexporteure der Welt. Seit 1966 wird Nigeria von wechselnden
Militärdiktaturen unter demokratischer Maske regiert, und das Land wird von Erdölkonzernen
geplündert. Die Bevölkerung leidet dabei an Hunger, an verseuchtem Wasser und Analphabetismus. Im
April 2007 fanden wieder sogenannte Wahlen in Nigeria statt. Die Europäische Union stand unter dem
Vorsitz von Frau Merkel. Frau Merkel hat die Wahlbeobachtung angeordnet. Die EU kann das sehr gut.
Sie hat den Wahlprozess beobachtet und das Fazit war absolut vernichtend. Es war ein totaler
Wahlbetrug. Es wurden sogar oppositionelle Politiker erschossen. Der neue nigerianische Präsident
Amaru hat überhaupt keine demokratische Legitimation. Zwei Monate später findet in Heiligendamm
der G8-Gipfel statt. Frau Merkel lädt als Ehrengast aus Afrika Amaru ein, den Wahlbetrüger. Frau
Merkel ist gefangen im Ethnozentrismus der Europäer. Sie sieht nicht die tiefe Wunde, die Beleidigung,
die sie dem nigerianischen Volk antut, wenn sie den Mann, den sie zwei Monate vorher als Wahlbetrüger
bloßgestellt hat, jetzt als Ehrengast zum G8-Gipfel nach Heiligendamm einlädt. Diese Blindheit des
Westens ist unerträglich für den Süden.
Was sind die Gründe für diese schizophrene Haltung des Westens?
Ziegler: Der Westen, der mit 12,8 Prozent der Weltbevölkerung eine Minderheit ist, herrscht über den
Planeten seit über fünfhundert Jahren. Ende 15. Jahrhundert, als die Erde rund geworden ist, nach der
vierten Reise von Kolumbus, der Genozid in Lateinamerika, dann 350 Jahre Sklavenhandel, dann 150
Jahre lang die Kolonialmassaker und die Territorialbesetzung und heute die Tyrannie des globalisierten
Finanzkapitals. Letztes Jahr haben die fünfhundert größten Privatkonzerne der Welt nach
Weltbankstatistiken gemeinsam über 52 Prozent des Weltsozialproduktes beherrscht. Dieses
Finanzkapital in den Händen einiger westlicher Oligarchen hat eine Macht, die es nie zuvor in der
Geschichte der Menschheit ein König, ein Kaiser oder ein Papst gehabt hat. Diese Finanzdiktatur wird
von den südlichen Völkern als letzte Etappe der Ausbeutung und Unterdrückungsstrategie des Westens
gesehen. Die Sklavenhalter sitzen heute in den Börsen, bestimmen die Rohstoffpreise durch Spekulation
und sind heute – wenn auch der Allgemeinheit nicht sichtbar – verantwortlich für den Hunger
hunderttausender Menschen. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kinder unter 10 Jahren. Dieses Jahr im
April hat zum ersten Mal die Zahl der permanent unterernährten Menschen die Milliardengrenze
überschritten. Das auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt. Es gibt heute keine Fatalität mehr,
ein Kind, was jetzt wo wir reden am Hunger stirbt, wird ermordet. Diese Weltordnung, die der Westen
dem Planeten aufzwingt, der schafft seine eigene Theorie. Der Westen glaubt an die Universalität seiner
eigenen ethnozentrischen Werte. Ich komme gerade aus der Generalversammlung der Uno aus New
York. Jeder westliche Botschafter so klug, so subtil und so kultiviert er ist, wenn er redet, redet er im
Namen der Menschheit, der universellen Werte, und gibt seine Belehrungen an die Völker
Lateinamerikas, Asiens und Afrikas ab. Das ist fast konsubstanziell dem westlichen Diskurs, und das
kommt aus dieser totalen Blindheit, weil die materielle Unterdrückung, die vom Westen produziert wird,
produziert den eigenen Legitimationsdiskurs. Und dies wird heute überhaupt nicht mehr toleriert.
Wird die Weltgeschichte mehr und mehr vom Süden ausgehen? Ist das nicht allzu utopisch?
Ziegler: Heute diktiert zwar die euroatlantische Welt, seit sie die paar korrupten Oligarchien der
Peripherie Chinas und Indiens in ihr Ausbeutungsgeschäft integriert hat, die Rohstoffpreise und immer
noch ganz massiv den Süden plündert. Die Demokratische Republik Kongo, dieser Subkontinent, wo die
Menschen zu tausenden jeden Tag an Hunger sterben, ist ein geologisches Wunder. Da liegen
unglaubliche Reichtümer. Die Plünderung geht aber weiter, weil es den Konzernen gelungen ist, in
vielen Ländern korrupte Herrschaften einzusetzen, die diese Scheinverträge, diese Ausbeutungsverträge
unterschreiben. Die tatsächliche Geschichte, die Geschichte der Mobilisation, des Widerstandes, dort wo
Leben entsteht, Solidarität zu politischen Kraft wird, das geschieht heute im Süden. Was heute im
Andenhochland an Mobilisierung entsteht, was in Venezuela oder Ecuador entsteht, das ist radikal neu.
Auch in Afrika sind diese Kräfte am entstehen. Marx hat gesagt, der Revolutionär muss im Stande sein,
das Gras wachsen zu hören. Und dieses Gras wächst überall an der Peripherie der westlichen
Weltfinanzdiktatur.
Sie erzählen in Ihrem Buch viel von Bolivien und den Veränderungen unter Evo Morales. Sind
diese Entwicklungen in Südamerika wirkliche Alternativen zum – wie sie es nennen –
„Raubtierkapitalismus“? Viele kritisieren die Entwicklungen etwa in Bolivien als totalitär…
Ziegler: Man kann alle politischen Vorurteile haben. Man kann links sein, rechts sein. Wir leben ja in
freien Gesellschaften in Westeuropa. Aber die Ignoranz und die hochmütige Verurteilung der
revolutionären Bewegungen an der Peripherie ist unwürdig. Die kreative, gemeinschafts- und
solidaritätsschaffende Geschichte, die findet auf den Anden, in den 12 000 indianischen Stämmen, die
Bolivien ausmachen, statt. In vielen Teilen Südamerikas wird Geschichte geschaffen, und wir sollten von
ihnen lernen. Aber auch in Europa passiert etwas. Ich glaube nicht mehr an den europäischen
Nationalstaat, dessen Souveränitätsrechte sofort überdeteminiert sind durch die kapitalistische
Warenrationalität. Die EU ist ja nichts anderes als ein Konzernverwaltungsrat. Da sind keine Werte,
keine Ambitionen mehr vorhanden. Aber es gibt die Zivilgesellschaft, diese wundersame Bruderschaft.
Ich komme zurück auf Heiligendamm im Sommer 2007. Ich war auf der anderen Seite des
Stacheldrahts. Da waren wir 140 000 Menschen aus 41 Nationen aller politischer Coleur. Es waren
Pastoren da, Trotzkisten, Junge und Alte. Alle sind dort gewesen und haben diskutiert. Sie waren alle
getrieben von dem moralischen Imperativ, nicht vom politischen Imperativ oder irgendwelchen
Parteiideologien. Immanuel Kant hat gesagt: „Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird,
zerstört die Menschlichkeit in mir.“ Diese moralische Imperativ ist der Motor einer neuen
Zivilgesellschaft, die eine Welt nicht mehr tolerieren will, wo alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger
stirbt. Diese Zivilgesellschaft in Deutschland sehr stark, von der Welthungerhilfe über Geenpeace bis zu
attac. Der Aufstand des Gewissens wird kommen. Deutschland ist die lebendigste Demokratie in Europa.
Es gibt keine Ohnmacht in einer Demokratie, Die Grundrechte gibt es, und die kann man brauchen, um
unsere Regierung zu zwingen, auf das Agrardumping der EU in Afrika zu verzichten, die
Schuldknechtschaft der Dritten Länder zu brechen, anstatt die Gläubigerinteressen der Deutschen Bank
und der anderen großen Banken immer zu fördern. Ich bin ganz zuversichtlich, dass dieser Aufstand des
Gewissens bei uns nahe bevorsteht.
Interview von Eren Güvercin, zit. auf grenzgängerbeatz, Eren Güvercin’s Weblog, unter
http://erenguevercin.wordpress.com/2009/10/25/%E2%80%9Edie-sklavenhalter-sitzen-heute-in-denborsen%E2%80%9C/, 27. 6. 2011.
Ian Black, Where the Arab spring will end is anyone's guess. Arab unrest has become
a permanent feature of the global landscape, unfinished business wherever it is
happening, in: The Guardian, 17. 6. 2001.
The Arab Spring united protesters across the region, but it is still unclear how the situation will play out in
many countries. Photograph: AFP/Getty Images
Tunisia's Jasmine revolution will always be remembered as the event that triggered the Arab spring, which
has shattered the status quo from Libya to Syria and is widely seen as the biggest transformative event of the
21st century so far. But, six months on, progress has been patchy.
Mohammed Bouazizi, the young Tunisian who started it all by burning himself to death in December 2010,
had his desperate imitators in Egypt, where revolution erupted days after Zine el-Abidine Ben Ali's flight into
Saudi exile; and in Jordan, which has seen sporadic unrest but no uprising.
But if the politics of the Arab spring are local, many factors are common across: young people angry and
frustrated at the lack of freedoms, opportunities and jobs, unaccountable and corrupt governments, cronyism
and, in a few places, grinding poverty.
Rich and poor alike lived in fear of the secret police. But Tunisia, one of the most repressive regimes, fell
quickly. The decision by the army to dump the president and not crush the protests was a vital lesson for the
Egyptian generals. The alternative is the cruelty of the dictators' fightbacks in Tripoli and Damascus.
Regional differences were ignored in the chain reaction that followed. Yemen's protests were galvanised by
the drama in Cairo's Tahrir Square but they also involved tribalism, elite rivalry and a small but alarming alQaida presence against a background of resource depletion and fear of state failure. Sectarian tensions were
the key to the trouble in Bahrain, where a Sunni monarchy rules over a restive Shia majority.
Islamists, the bogeymen of the west and the enemies of all autocratic Arab regimes, have not – yet – played a
significant role. Still, Ennahda in Tunisia and the Muslim Brotherhood in Egypt have new opportunities in
multi-party systems that will in turn change them. The killing of Osama bin Laden was a timely reminder of
the defeat of jihadi ideology in an Arab world being transformed by people power.
Another variable has been the response: French support for Ben Ali was embarrassing; the US was praising
Mubarak days before he departed. Muammar Gaddafi had no friends – and the Arab League was crucial in
providing a figleaf for UN-sanctioned Nato intervention. Bashar al-Assad, by contrast, has yet to be
condemned by the UN for a crackdown that has cost at least 1,300 lives. Bahrain is too strategically
important to face more than a rebuke from the US.
Elsewhere in the region, Israel is nervous about the demise of Mubarak. Turkey fears instability in Syria. The
Palestinians, eclipsed by drama elsewhere, are trying to learn lessons. Iran's support for the Arab uprisings is
sheer hypocrisy given its crushing of democratic protests since 2009.
Now the EU and the US must stop being seen by Arabs as "partners for dictators" in the words of the
Tunisian academic Ahmed Driss. Billions of dollars will be needed to support democracy and development.
Tunisia and Egypt fear instability as they face free elections. But the really hard transformational work, as the
respected commentator Rami Khouri has observed, "will start in the years after the new parliaments are
elected and the complete infrastructure of political governance is forged according to the will of the
majority".
There are exceptions. The Saudis are investing to create jobs and defuse dissent. Jordan and Morocco have
tried liberal gestures. Algeria's oil wealth and experience of civil war have helped maintain peace there. But it
is striking how Arab unrest has become a permanent feature of the global landscape. It is unfinished business
wherever it is happening. "The outcome of this tectonic realignment is not just unpredictable but
unknowable," said Prince Hassan of Jordan.
• guardian.co.uk © Guardian News and Media Limited 2011
zit. nach http://www.guardian.co.uk/world/2011/jun/17/arab-spring-end-anyone-guess, 27. 6. 2011.
Libya's postponed democracy
Larbi Sadiki examines the liberation movements in Libya, both internal and external, and how they
benefit civic life.
Larbi Sadiki Last Modified: 19 Apr 2011 11:17
In order to prepare Libyans for post-Gaddafi rule, a vibrant civil society with proper institutions must first be created
[GALLO/GETTY]
Libya's emerging civil society, wherever it may be, must fight Muammar Gaddafi on its own terms,
using the means that enable it to outmanoeuvre the Colonel.
He sought and succeeded at militarising their uprising. Maybe that was his game, so those leading Libya
today should demarcate a different terrain: constructing an active civil society and organising for the
sake of democratic institution-building.
So what is being done to build a new, stronger civil society? What role does the Libyan diaspora play in
it? What critique can be presented against the main body now vying to win the right to represent free
Libya, the National Transitional Council (NTC)?
A society under construction
Libya's uprising does not fit the Orientalist stereotype of a 'mob' or 'street' raging in uncontrollable anger.
It is a quasi-referendum against misrule in a country where Gaddafi bans elections, political parties and
all forms of autonomous organised political activity. Law 71 does exactly that (article 3 of this law
imposes the death penalty on anyone who forms, supports or participates in an opposing political party).
The uprising is, in a way, a form of 'public opinion', spontaneous and instantaneous.
Partly, Libyans' hunger for activism and resistance has been dismissed by scholarship obsessed with the
study of elites and the state's capacity for control.
Libyans began their resistance against tyranny a long time before the world cared to notice.
Resistance is not born overnight. Its threads originate in the acts of courageous men and women, some
of whom die only to live forever as unsung heroes who rose up against tyranny and were prepared to pay
a price for their acts of resistance.
The Organizing Committee for the National Conference of the Libyan Opposition is one vision begun a
long time ago. The Islamists, including those closest in ideology to the Muslim Brotherhood, have not
been passive vis-à-vis dictatorship.
Who are some of the key actors and voices today carrying the torch of popular empowerment, steering
Libya away from dynasticism and tyranny? How are they re-imagining Libya's civil society?
Critique of the NTC
Before delving into the key players, it is imperative to first get an understanding of the National
Transitional Council itself.
The NTC is not perfect, but it must be lauded for initiative, boldness and decisiveness at a critical
juncture in Libya's history.
From the outset, the NTC was in-built with power – and weakness – owing to the voices and figures
siding with the rebels against Gaddafi.
Many bring into the rebels' camp insider or antidote-type knowledge/medicine against the bacteria
contaminating the body politic embodying the Gaddafi dynasty.
At least psychologically, this factor alone shakes the confidence of the dynasty's mission to reproduce
itself and to recruit allies, internally and externally.
The weakness is no less potent though. Hypothetically, were these figures to switch sides or allow their
loyalty to be bought back, it would deliver Gaddafi a perfect counter-revolution.
Incidentally, neither the Egyptian nor Tunisian people power revolts were devoid of counterrevolutionaries. Fortunately, the revolutionary tidal wave was such that counter-revolutionaries had no
choice but to ride the wave or risk drowning.
Gaddafi versus Gaddafi
It is almost a case of Gaddafi versus Gaddafi in Libya.
Amongst the rebellious coalition were some of Gaddafi's most ardent confidantes and loyal comrades-inarms.
If not tainted by the blood of his misrule, they knowingly consented to partner in Gaddafi's dictatorship.
Today they may qualify as some kind of 'born-again' politicians, but until two months ago they reeked of
'Gaddafi-ism'.
Ali al-Issawi, foreign minister in the Council, was an associate of Saif, who appointed him as a
minister of economy before the revolt. He also 'anointed' him president for Saif's Excellence Award.
Mahmoud Jibril, the NTC's premier, was another close associate of Gaddafi and Saif, who charged him
with overseeing the National Forum for Economic Development that was tasked with economic
liberalisation and privatisation. He also was a member in the committee of Saif's withdrawn
Constitution.
Limitations of the NTC
There are, though, many limitations of the NTC.
There is a 'tribal' element that may be deliberately concealed, and it, too, may need specific
representation.
The names of key players do not show the tribal geneaology, such as Jibril's 'Al-Warfalli' (in reference to
Warfallah, Libya's largest tribe) and Mustafa Abd al-Jalil's al-Bara'si (in reference to the Bara'sah tribe).
The allocation of roles within the NTC will need to be subjected to more rigorous democratic
competition. There is little transparency about the process or criteria of portfolio allocation.
Portfolios were allocated long before the forming of the transitional government on March 23.
Furthermore, the set of values binding its members may for now be driven by ousting Gaddafi, making
the NTC a single-issue civic body.
Representation is confusing. Some councillors represent regions; others represent a form of 'interest
group' (political prisoners) or a specialism (military affairs). Ajdabiya, Bayda and Murj all lack
representation. The basis for regional representation is not made clear.
The diaspora and the search for a body politic
The Libyan diaspora has not been idle. One of the first civic bodies formed to to oppose Gaddafi's
dictatorship was the National Front for the Salvation of Libya (NFSL) created in October 1981.
Eleven years into Gaddafi's reign, co-founder Mohamed al-Magariaf, a well-known academic and
diplomat now based in the US, realised that the colonel's revolution was a lost cause.
This was the man personally targeted by Gaddafi's bombing of the UTA flight in 1989. Gaddafi's
henchmen thought he was on board that flight.
Luckily for Libya, al-Magariaf lived on, working with others through political means to develop a
democratic vision and help construct a civic institution fit for post-Gaddafi Libya.
The NFSL calls for a democratic government with constitutional guarantees, free and fair elections, free
press, separation of powers, non-discriminatory rule of law, gender equality, multi-partyism, sustainable
development, and a realistic democratic road-map that benefits from Libyan, Arab and Islamic traditions
as well as democratic learning from Nelson Mandela's democratisation experience, amongst others.
The NFSL's early strategies were a mix of politics and martial resistance. It took part in the 1984 attack
on Gaddafi's headquarters at Bab al-Aziziyyah, executed by some of its commandos, including Ahmad
Hwas.
However, in the diaspora, the NFSL focused on political struggle, using media campaigns and the
construction of a broad-based anti-Gaddafi coalition.
It is in the process of crystallising a democratic road map as its own contribution of how to defeat
Gaddafi using international sanctions and the International Criminal Court.
Who's who?
The NFSL boasts major names known for their dedication to the democratisation of Libya as well as by
their integrity as professionals in their fields of specialism.
They include al-Hadi Shaluf, trained in criminology in Italy and France. Dr Shaluf, who hails from
Zintan, is credited with founding the first Libyan political party in the Diaspora. He and and other
dissidents named the party they created in 2005 the Justice and Democracy Party (Hizb al Adalah wa al
Dimuqratiyyah).
Other potential key players in the NFSL, in Libya and in the diaspora abroad, include dissidents AbuBaker Buera, a US graduate in strategic management and public service, and now a well-known
academic at Garyounis University.
Others are trained in the sciences such as the physics professor, Mustafa Abu-Shaqoor, who lived and
taught in the US. He currently continues his academic career in Dubai.
Another talent is Dr Suliman Abdullah, an electrical engineer by training with academic association at
the University of Kentucky, and with a strong passion for Arab and Islamic studies.
No less talented is Mansour Mohamed Al-kikhia, professor of geography. All these men, amongst many
other dissidents, are committed to peaceful, plural, and sustainable democratic transition coupled with a
process of truth and reconciliation process such as that enacted in Mandela's South Africa.
Moreover, their combined vision places a high premium on constitutional government, institutionbuilding, human rights, equal opportunity and participation, and fair competition as the sole means to
allocate power and share it.
This vision is enshrined in the NFSL's civilisation project charter, a comprehensive programme for the
democratisation of post-Gaddafi Libya.
The charter envisions democratic induction via an elected transitional parliament to be tasked with
framing a constitution to be put to a referendum.
The road ahead
Their vision takes popular empowerment very seriously, and to this end stresses the right of Libyans
through dialogue to build a vibrant civil society and democracy suited to the Libyan locale, but not
inhospitable to learning about how democracy unfolds, deepens and widens.
The NFSL was one of the first Libyan associations to lend its full support to the NTC, believing in the
necessity of organised activism and a structure for the purpose of methodical popular empowerment and
leadership against Gaddafi's teetering rule.
The NFSL prefers transparency in the allocation of portfolios, power-sharing and pluralism.
Also, the NFSL differs from the NTC on three distinct areas: having historical pedigree being a 31-yearold declared opposition against Gaddafi's authoritarian rule; possessing a clear institutional structure and
active membership; being the first to articulate a democracy road-map for Libya.
At this critical time in Libya's struggle, this vision is bound to boost the twin fight against
authoritarianism, and for good government.
Along with the NTC and other forces, this vision adds value to the Libyan people's struggle and quest
for a Gaddafi-less society.
Dr Larbi Sadiki is a Senior Lecturer in Middle East Politics at the University of Exeter, and author of
Arab Democratization: Elections without Democracy (Oxford University Press, 2009) and The Search
for Arab Democracy: Discourses and Counter-Discourses (Columbia University Press, 2004).
The views expressed in this article are the author's own and do not necessarily reflect Al Jazeera's
editorial policy.
Source: Al Jazeera
http://english.aljazeera.net/indepth/opinion/2011/04/2011415163618467700.html, 27. 6. 2011.
Sulaiman Wilms,
Fette Beute, viele Jäger, in: COMPACT, 20. 6. 2011, zit. nach
http://www.compact-magazin.com/index.php?option=com_content&view=article&id=122:fette-beuteviele-jaeger&catid=3:newsflash, 27. 6. 2011.
Öl, Süßwasser, Gold: Die wirtschaftlichen Motive des Angriffs auf Libyen sind vielfältig und
schwer zu durchschauen. Die westlichen Kriegsmächte haben unterschiedliche Interessen und
agieren deshalb unkoordiniert, ja gegensätzlich. Von Sulaiman Wilms
Selten hat die NATO einen Krieg so chaotisch begonnen wie den gegen Libyen. Die Franzosen bombten
am 19. März schon los, als die entscheidende Konferenz der «Koalition der Willigen» kaum begonnen
hatte. Die Briten zogen innerhalb weniger Stunden nach. Doch erst, als auch die US Air Force einstieg
und die meisten Angriffe flog, konnten Muammar Gaddafis Truppen zurückgedrängt werden. Dann die
Überraschung: Nach kaum zwei Wochen zog die US Air Force ihre gefährlichsten Jets wieder ab. Dass
die NATO in der Folge das Kommando übernahm, führte nicht zu besserer Koordination, sondern zu
mehr Streit.
Auffällig ist jedenfalls: Im Vergleich zu den Großkonflikten vergangener Jahrzehnte – Irak, Jugoslawien,
Afghanistan, Vietnam – haben dieses Mal nicht das Weiße Haus und das Pentagon die Führerschaft,
sondern der Elysee-Palast und Downing Street No. 10. Das war zum letzten Mal 1956 der Fall, als die
beiden alten Kolonialmächte sich im Suez-Krieg mit Israel gegen Ägypten verbündeten – und von den
USA ausgebremst wurden.
Die Reichtümer Libyens sind beträchtlich. Um mit Gold zu beginnen: Nach Angaben von Adrian Ash,
einem Fachmann für Edelmetalle, zählen Tripolis’ Goldvorräte zu den 25 größten der Welt. Beim
aktuellen Goldpreis – der auch dank des Krieges erneut anzog – beläuft sich ihr Wert auf mehr als 4,59
Milliarden Euro. Tripolis hat überdies – anders als viele andere Staaten – sein Gold im Wesentlichen
nicht in London, New York oder der Schweiz deponiert, sondern selbst gebunkert. Mit dieser liquiden
Reserve kann Gaddafi Emissäre jederzeit auf Einkaufstour schicken – Sanktionen greifen nicht, da man
den Barren ihre Herkunft nicht ansieht. Trotzdem dürfte es schwierig sein, die Barren auf dem
internationalen Markt anzubieten. Gaddafi muss wohl, um die Ware außer Landes zu schaffen, den
Umweg über ein befreundetes Land wie den Tschad nehmen. Westliche Staaten, die diese Kriegsbeute
nach Hause schaffen könnten, könnten manches Haushaltsloch stopfen.
Des weiteren sind die Vorkommen an Trinkwasser von geostrategischer Bedeutung. Gemeinsam mit
Ägypten kontrolliert Tripolis enorme Mengen, die tief unter der nubischen Wüste verborgen sind. Zu
seiner Erschließung begann Gaddafi vor Jahrzehnten das Projekt des «Great Man Made River Projekt»
(GMMRP). Angeblich liefert das Projekt so viel Wasser wie der Nil in 200 Jahren.
Die Finanzierung dieser Mega-Unternehmung, angeblich rund 25 Milliarden US-Dollar, hat Libyen aus
eigenen Mitteln gestemmt, es musste keine Knebelverträge mit internationalen Großbanken abschließen.
Schon seit einigen Jahren werden die Siedlungszentren entlang der Mittelmeerküste mit dem frischen
Nass versorgt.
Anlässlich des Beginns der Wasserlieferung an große Städte wie Tripolis oder Bengasi schrieb ein
libyscher Autor: «Der Fluss ist eine neue Lektion und ein Beispiel im Bemühen um Selbstversorgung,
Lebensmittelsicherheit und wirkliche Unabhängigkeit. Keine Nation, die von einem anderen Land
abhängig ist, um seine Menschen zu ernähren, kann frei sein.»
Zwar konnte Gaddafi bisher über den bloßen Verbrauch hinaus keinen umfangreichen und nachhaltigen
Nutzen aus dieser Ressource ziehen. Das Wasser diente bis dato nicht zur Gewinnung neuer
Agrarflächen, obwohl sich das bei rapide steigenden Lebensmittelpreisen lohnen würde. Aber falls
clevere Westfirmen sich nach erfolgreichem Kriegszug diese Ressourcen unter den Nagel reißen
könnten, würden sie das blaue Gold bestimmt profitabel vermarkten, selbstverständlich nur an
zahlungskräftige Kunden. Die französischen Konzerne Veolia, Suez Ondeo und Saur, die 40 Prozent des
globalen Wassermarktes beherrschen sollen, werden dem Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy ihre
Wünsche beizeiten vortragen.
Nun zum Öl. Libyen, der viertgrößte afrikanische Staat, weist dank seiner Erdöleinkünfte das höchste
Prokopfeinkommen des Kontinents aus. Augenblicklich verfügt das Land über die größten
nachgewiesenen Erdölvorräte Afrikas. Allerdings fördern Angola und Nigeria – wichtige Lieferanten für
die USA und China – derzeit mehr. Tripolis ist überwiegend auf seine Erdöleinnahmen angewiesen; das
Öl trägt zu einem Viertel seiner Bruttoinlandsprodukts bei und macht 94 Prozent seiner Exporte aus.
Trotz eines relativ hohen Wohlstands gelang es Libyen nicht, weitere relevante Industrien oder
unabhängige Einkommensquellen aufzubauen. Immerhin: Mit einer Alphabetisierungsquote von 87
Prozent erfreuen sich die Libyer bisher eines höheren Lebensstandards als alle Nachbarstaaten. Auch
wenn – nach Angaben der letzten Volkszählung – 21 Prozent der Menschen als arbeitslos gelten, waren
trotzdem bis Kriegsausbruch eine Millionen «Gastarbeiter» (manche sprechen gar von 1,5 Millionen) im
Land.
Gaddafi verteilte die reichlich anfallenden Erdölgewinne an die verschiedenen Stämme, um seine
Herrschaft abzusichern. Fraglos führte dieses, in der arabischen Welt bekannte Herrschaftsmuster
(Akzeptanz politischer Unfreiheit im Austausch für Anteile am Kuchen) bei jenen zu Unzufriedenheit,
die das Gefühl hatten, nicht ausreichend beteiligt worden zu sein.
So war es kein Zufall, dass die Oppositionsbewegung ihr Zentrum im östlichen Bengasi – dem
Mittelpunkt der historischen Provinz Cyrenaika – hat. Dort liegt nicht nur ein Teil der Erdölindustrie,
sondern auch das Siedlungsgebiet vieler Stämme, die sich ungerecht behandelt fühlen. Einen Tag, bevor
es zur Anerkennung der Rebellenregierung in Bengasi durch den Golfstaat Katar kam, bot Katar
Petroleum an, ostlibysches Erdöl zu transportieren und zu vermarkten. Sollte die de facto Spaltung
Libyens durch die NATO-Intervention zementiert werden, hätte die Opposition in Bengasi so eine eigene
Einnahmequelle. Dies wiederum könnte den Konflikt weiter befeuern.
Dass es sich um einen «Krieg ums Öl» handelt, sollte man dennoch nicht simplizistisch auslegen. Denn
das Gaddafi-Regime hat bisher nichts unternommen, an bestimmte Staaten oder Konzerne kein Erdöl
mehr zu verkaufen. Zu den internationalen Firmen, die sich in Libyen bis dato engagieren konnten,
zählen immerhin Conoco (USA), Gulf (USA, jetzt Indien), BP (Großbritannien), Repasol (Spanien), ENI
(Italien), Total (Frankreich) sowie die deutsche Wintershall. Allerdings: Das nationale Erdölunternehmen
NOC verhandelte nicht nur einige Verträge in den letzten Jahren neu. Im Rahmen einer neuen NOCStrategie wurde auch diskutiert, neue Erschließungen ohne fremde Partner und mit Finanzierung
inländischer Banken durchzuführen.
Gaddafis Ölpolitik erklärt auch, warum die Afrikanische Union (AU) im Gegensatz zur Arabischen Liga
die NATO-Militärintervention ablehnt. Libyen hat nämlich große Summen seiner Petro-Euros in
Schwarzafrika investiert. Sollte Tripolis dank der Kombination aus Rebellen und Interventionskräften
fallen, dann werden auch die neuen Machthaber ihr Öl an den Meistbietenden verkaufen, also an
Westkonzerne oder die erwähnte Gesellschaft aus Katar. Bei denen sei aber wahrscheinlich, meinte
Diana Johnstone in Counterpunch, dass sie ihre Gewinne nicht in Afrika belassen, sondern der Londoner
Börse und den westlichen Waffenhändlern andienen.
Für die USA spielt Libyen, anders als für die Europäer, keine Rolle als Erdöllieferant. Trotzdem hat
Washington ein indirektes Interesse daran, die libysche Rohstoffpolitik zu verändern und dafür auch in
den Krieg zu ziehen.
Zum einen geht es um den großen globalen Widersacher China. Vor Ausbruch der Proteste arbeiteten
rund 30.000 chinesische Fremdarbeiter in Libyen – rund 400 von ihnen in der Erdölindustrie. Elf
Prozent der libyschen Erdölexporte wurden bisher an die Volksrepublik verkauft, und deren
Erdölkonzern CNPC ist an weiteren Explorationen beteiligt. Im benachbarten Tschad ist Libyen
militärisch engagiert, außerdem hat China ein Öl-Abkommen mit der dortigen Regierung unterzeichnet.
Umgekehrt planen die US-Riesen ExxonMobil und Chevron eine Pipeline vom sudanesischen
Bürgerkriegsgebiet Darfur über den Tschad bis zu Häfen in Kamerun. Ein Sturz Gaddafis könnte den
USA also eine Hegemonie über den Tschad bringen, die eigenen Projekte befördern und den
chinesischen Konkurrenten abdrängen.
Zum anderen liegt Libyen an der Schnittstelle US-amerikanischer und französischer Interessen. In vielen
Staaten Nordafrikas sind sowohl Einheiten des US-Regionalkommandos AFRICOM wie auch
französische Soldaten und Fremdenlegionäre aktiv. Außerdem soll die Sahara dank des europäischen
Mega-Konsortiums DESERTEC in wenigen Jahren 50 Prozent des europäischen Stroms durch
Solaranlagen erzeugen. Obwohl Paris und Washington jetzt im Rahmen ihres ad-hoc-Bündnisses gegen
Tripolis intervenieren, stehen ihre jeweiligen Rohstoffkonzerne in einem teils heftigen Wettbewerb.
Diese Folgen sind in der anhaltenden humanitären Katastrophe des östlichen Kongobeckens seit Mitte
der 90er Jahre zu begutachten.
Der geopolitische Fachmann Professor Michel Chossudovsky sieht in der Politik der Regierung von
Barack Obama den Versuch, durch Unterstützung der Aufstände in Tunesien, Marokko und Algerien
diese aus der frankophilen Tradition herauszulösen und weitaus enger an sich zu binden. Für ihn ist die
Südgrenze Libyens von strategischer Bedeutung für Washington, um seinen Einfluss auf die ehemaligen
französischen Kolonien auszuweiten.
Diese Gemengelage wird noch zu viel Reibereien im libyschen Krieg führen. Dabei sollte man nie
vergessen: Den Blutzoll entrichtet immer die Zivilbevölkerung.
NATO-Angriffe | 24.06.2011 15:50 | Ian Traynor
Libyen ist nicht Syrien
Amr Moussa, der scheidende Generalsekretär der Arabischen Liga, erwartet von
weiteren Luftschlägen gegen Tripolis „keinen Durchbruch“ und plädiert für eine
Waffenruhe
Der Favorit für das Amt des ägyptischen Präsidenten bei den Wahlen im September ist wenig entzückt
über die NATO-Bombardements in Libyen. Lieber wären ihm eine Waffenruhe und eine politische
Einigung mit Muammar al-Gaddafi. Der alt-gediente ägyptische Diplomat Amr Moussa hat im März
eine zentrale Rolle gespielt, um arabischen Beistand für die Luftschläge der NATO zu mobilisieren. Jetzt
aber überprüft er seine Haltung: „Wenn ich sehe, dass Kinder getötet werden, muss ich Bedenken haben.
Vor dem Risiko ziviler Opfer habe ich gewarnt.“
Amr Moussa will nun Präsident Ägyptens werden (Foto John Thys / AFP-Getty Images)
Die westliche Allianz muss vergangene Woche einen Fehler einräumen, als neun Zivilisten, darunter
Kinder, in Tripolis von einer fehlerhaften Rakete getötet wurden. Die libysche Regierung sprach indes
von weiteren 15 Toten bei einem Angriff im Westen der Stadt, dessen Beschuss die NATO bestätigte.
Arabische Unterstützung in der Form eines Plazets der Arabischen Liga war für den von Franzosen und
Briten angeführten Einsatz von entscheidender Bedeutung, als er im März nach Mehrheitsbeschluss des
UN-Sicherheitsrates begann. Inzwischen ist in Europa immer öfter zu hören, die arabische Welt stelle
sich in puncto Libyen-Einsatz gegen den Westen. „Die Arabische Liga sagt uns, dass wir die
Unterstützung der arabischen Welt verlieren“, so eine Quelle, die an den Verhandlungen über Libyen
beteiligt ist.
Gegenüber dem Guardian machte Moussa deutlich, er glaube nicht daran, dass Militäreinsatz einen
Durchbruch herbeiführen könne. „Es wird kein eindeutiges Ende geben. Der Zeitpunkt ist gekommen,
um zu tun, was in unserer Macht steht, so dass eine politische Lösung gefunden wird. Am Anfang muss
ein echter Waffenstillstand stehen, der international überwacht wird. „Bis dahin wird Gaddafi im Amt
bleiben ... Dann wird eine Übergangsphase folgen, in der es darum gehen müsste, ein Einvernehmen
über die Zukunft Libyens zu erzielen.“ Auf die Frage, ob dies ein Ende der NATO-Luftschläge bedeute,
antwortete Moussa: „Ein Waffenstillstand ist ein Waffenstillstand.“
Asyl für Gaddafi
Laut führender Brüsseler Diplomaten, die mit der Libyen-Krise befasst sind, gibt es absolut keine
Anzeichen dafür, dass Gaddafi daran denkt, aufzugeben. Sie äußerten gleichsam die Ansicht, dass die
Führung der Opposition nicht mit ihm verhandeln werde und seinen Abtritt zur Vorbedingung jeder
Verhandlungslösung erklärt. Wiederholte Waffenstillstandsangebote von Gaddafi wurden von der NATO
und westlichen Regierungen als bedeutungslos qualifiziert.
„Gegenwärtig wird auf verschiedenen politischen Kanälen versucht, dem Gaddafi-Regime klar zu
machen, dass es abtreten muss“, sagt ein hochrangiger EU-Funktionär. UN-Gesandte, die russische
Regierung und Südafrika haben entweder direkt mit ihm oder seiner Entourage gesprochen – doch
konnten sie alle keine Fortschritte vermelden.
Amr Moussa stand der Arabischen Liga zehn Jahre lang vor. Vor drei Wochen legte er das Amt offiziell
nieder, wird es aber vorerst kommissarisch weiter führen, bis ein Nachfolger im September die
Geschäfte übernimmt. Er deutet an, prüfen zu wollen, ob es Länder in Afrika oder dem Nahen Osten
gibt, die bereit wären, Gaddafi Asyl zu gewähren und bringt sogar die Möglichkeit ins Spiel, dass der
Staatschef nach einem Rücktritt ihn Libyen bleiben könne. Trotz seiner Bedenken wegen der
Luftschläge, so Moussa, habe die Arabische Liga diese wegen der Angriffe auf Zivilisten durch Truppen
Gaddafis ursprünglich unterstützt. Die Haltung der Liga auf die Ermordung von etwa 1.400 Zivilisten
durch das syrische Regime sei indes eine andere. „Bei Libyen herrschte Einstimmigkeit – bei Syrien gibt
es Bedenken aufgrund politisch strategischer Überlegungen.“
Assads Aussichten schwinden
Die arabischen Führer sind besorgt über den Einfluss der syrischen Krise auf den Libanon, den Irak,
Jordanien und die Kurden-Region. „Nichtsdestotrotz", so Amr Moussa, „sind wir entsetzt darüber, was
in Tunesien, Syrien, Libyen, dem Jemen passiert ist ... Der Mehrzahl der Mitglieder der Arabischen Liga
ist nicht wohl bei dem, was in Syrien vor sich geht.“ Über den Präsidenten Bashar al-Assad meint
Moussa: „Seine Aussichten schwinden. Es ist ein Wettlauf zwischen Reform und Revolution. Die
Aufstände der vergangenen Monate werden an keiner arabischen Gesellschaft spurlos vorüberziehen.“
Im Alter von 74 Jahren schien Moussa wenig als Galionsfigur der ägyptischen Revolution zu taugen.
Doch offenbar ist er unter den jüngeren Führern beliebt, die beim Sturz des Mubarak-Regimes im
Februar mithalfen, und genießt deren Vertrauen. Und dies, obwohl er eben diesem Regime viele Jahre
lang als führender Diplomat, Botschafter und Außenminister gedient hatte. Er kandidiert in einer Wahl
um das Amt des Präsidenten, die seiner Meinung nach frühestens Ende 2011 stattfinden sollte. Im Falle
seiner Wahl würde er aber wegen seines Alters nur für eine Legislaturperiode im Amt bleiben wollen.
Übersetzung: Holger Hutt
http://www.freitag.de/politik/1125-libyen-ist-nicht-syrien, 27. 6. 2011.
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Libyen-Konferenz: Die kühne Zukunftsvision
der Rebellen
Dienstag, 29.03.2011, 23:04 · von FOCUS-Korrespondentin Imke Henkel, London
Noch wird gekämpft, aber der Übergangsrat der libyschen Rebellen denkt voraus. In London stellte er
seine Vision für ein neues, besseres Libyen vor. Die wollen die Aufständischen auch über einen eigenen
Fernsehsender verbreiten.
Nur einmal reagierte der Koordinator für den libyschen Übergangsrat in Großbritannien ungehalten. Die
Bedeutung der Religion in der Vision eines künftigen demokratischen Libyen? „Das ist kein Problem für
uns“, beschied Guma El Gamaty, der seit 35 Jahren im britischen Exil lebt. „Libyen ist hundert Prozent
muslimisch. Wir sind eine sehr homogene Gesellschaft.“
Der Übergangsrat der libyschen Freiheitskämpfer, wie sie sich selber nennen, nutzte die Londoner
Libyen-Konferenz, an der fast 40 Außenminister und Vertreter internationaler Organisationen
teilnahmen, um seine „Vision eines demokratischen Libyens“ vorzustellen. Es ist ein beeindruckendes
Dokument. Verfasst von den 33 Mitgliedern des Übergangsrates, die, nach Auskunft El Gamatys, alle
größeren Städte Libyens repräsentieren, einschließlich Tripolis. Es will die „dunklen Tage der Diktatur“
in die Vergangenheit verbannen und stattdessen eine „freie und demokratische Gesellschaft aufbauen“,
in der „das internationale Menschenrecht und die Menschenrechts-Deklaration“ Gesetz sind.
Dialog, Toleranz, Zivilgesellschaft
„Dies kann allein durch Dialog, Toleranz, Zusammenarbeit, nationalen Zusammenhalt und die aktive
Teilnahme der Bürger erreicht werden“, heißt es in dem Dokument, das El Gamaty in London
gemeinsam mit dem in Washington lebenden Exil-Libyer und Pressesprecher für den Übergangsrat,
Machmoud Schammam, am Dienstag vorstellte.
Das „Vision eines demokratischen Libyens“ überschriebene zweiseitige Papier des Übergangsrates
fordert eine „Zivilgesellschaft, die intellektuellen und politischen Pluralismus anerkennt und die
„friedliche Übergabe von Macht durch rechtliche Institutionen und die Wahlurne“ ermöglicht. Politische
Parteien und Organisationen, Gewerkschaften, das aktive und das passive Wahrlrecht für alle
volljährigen Libyer, sowie Meinungs- und Medienfreiheit, eine freie Privatwirtschaft sowie ein
„produktiver“ öffentlicher Sektor sollen das neue Libyen kennzeichnen. Rassismus, Diskriminierung,
Terrorismus und Gewalt werden geächtet, das neue Libyen will Teil der internationalen
Staatengemeinschaft werden und als solcher zu „internationalem Frieden und Sicherheit“ beitragen.
Die Krux mit der Religion
Aber zugleich soll es ein Staat sein, der deutlich stärker als etwa europäische Demokratien von Religion
geprägt wird. Die Vision zielt auf „einen Staat, der seine Stärke aus unserem starken religiösen Glauben
an Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit und Gleichhiet bezieht“. Die Verfassung dieses Staates achte „die
Unverletzlichkeit der religiösen Doktrin“, verurteilt aber zugleich auch „Intoleranz, Extremismus und
Gewalt, die durch bestimmte politische, soziale oder wirtschaftliche Interessen entstanden sind“.
Auffällig abwesend in dieser Aufzählung sind religiöse Interessen. Ungenannt bleibt die Religion auch
in der Formulierung gleicher Bürgerrechte für alle: „Jedes Individuum wird volle Bürgerrechte genießen,
unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Volkszugehörigkeit oder gesellschaftlichem Status.“
El Gamatys Versuch, die wesentliche Rolle des Islam in der Libyen-Vision des Übergangsrates mit dem
ausschließlich islamischen Glauben der Libyer zu erklären, verschweigt, dass es eine, wenn auch
winzige Minderheit von etwa 40 000 katholischen (italienischen und maltesischen) und 60 000
koptischen (ägyptischen) Christen gibt. Die wenigen Juden des Landes wurden durch die zuletzt
faschistische italienische Kolonialmacht und den scharfen Antisemitismus der Diktatur Gaddafis
vertrieben.
Der Übergangsrat war nicht als Teilnehmer zur Londoner Libyen-Konferenz eingeladen worden, aber
sein Visions-Papier fand ein positives Echo. Der britische Aussenminister William Hague begrüßte die
vielen positiven Elemente des Entwurfs. Umgekehrt berichteten El Gamaty und Schammam von „sehr
guten, warmen Treffen“ mit den Außenministern der USA, Großbritanniens, Frankreichs und
Deutschlands. El Gamaty strich inbesondere das „sehr erfolgreiche Treffen“ mit Außenminister Guido
Westerwelle (FDP) heraus. Westerwelle habe die Gründe für die deutsche Enthaltung bei der
Abstimmung zur UN-Resolution 1973 erklärt. Nun freue man sich auf eine „konstruktive Beziehung“.
Ein eigener Sender für die Rebellen
Die vielleicht brisanteste Nachricht jedoch kam erst im Anschluss an Gamatys und Schammams
Pressekonferenz heraus. Beiläufig erwähnte Schammam, dass er am Mittwoch in Doha, der Hauptstadt
Katars, sei, um dort einen Fernsehsender des Übergangsrates in Betrieb zu nehmen. „Wie bitte“, kamen
Rufe von der Handvoll Schammam noch umringender Journalisten, „ein eigener Fernsehsender für die
Rebellen?“ Ja, der Sender werde „Libya“ heissen und täglich acht Stunden Programm ausstrahlen,
Korrespondenten gebe es in jeder größeren libyschen Stadt.
Wer das alles finanziere? Dazu wollte der Vertreter des neuen Libyen keine Auskunft geben. So darf nun
spekuliert werden, ob Katar, das als bisher einziges arabisches Land sich am Militäreinsatz der
internationalen Koalition beteiligt und dessen Emir den in Arabien einflussreichen Sender El Jazeera
finanzierte, auch hinter diesem neuen Medienprojekt steht.
zit. nach http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/libyen-konferenz-die-kuehnezukunftsvision-der-rebellen_aid_613410.html, 27. 6. 2011.
Wider die Doktrin der "Nicht-Einmischung"
von Uri Avnery
Wenn es bei den völkerrechtlich geschützten "inneren Angelegenheiten" um Massenmord geht,
degeneriert dieses Recht zur Mittäterschaft: Ein leidenschaftliches Plädoyer für die
Militärintervention in Libyen.
Letzten Donnerstag konnte ich an nichts anderes denken als an Libyen. Zuerst hörte ich die Furcht
einflößende Rede Gaddafis, in der er ankündigte, Bengasi innerhalb der nächsten Stunden zu überrennen
und die Rebellion in einem Blutbad zu ertränken. Ich war äußerst besorgt und voller Zorn auf die
internationale Gemeinschaft, insbesondere auf die USA, die Tage und Wochen kostbarer Zeit mit leerer
Phrasendrescherei verschwendet hatten, während der Diktator Libyen Stück für Stück zurückeroberte.
Und dann kam dieser fast unglaublich anmutende Entschluss des UN-Sicherheitsrates, der all das Gerede
schlagartig beendete und den Weg für eine militärische Intervention frei machte. Die Szenen, die sich in
Reaktion darauf auf dem Hauptplatz von Bengasi abspielten und von Al-Jazeera live übertragen wurden,
erinnerten mich an die Ereignisse des 29.November 1947 am Mugrabi-Platz in Tel Aviv, kurz nachdem
die Generalversammlung der UN die Resolution zur Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen
arabischen Staat verabschiedet hatte. Die Freude und die Erleichterung waren damals greifbar.
Das lange Zögern der Vereinigten Staaten und anderer Länder vor einer militärischen Intervention in
Libyen war skandalös; mehr noch: ungeheuerlich. Mein Herz schlägt für die Libyer (tatsächlich bedeutet
"libi" im Hebräischen "mein Herz"). Und "Nicht-Einmischung" klingt in meinen Ohren wie ein
schmutziges Wort. Es erinnert mich an den Spanischen Bürgerkrieg, der tobte, als ich ein Kind war. 1936
wurde die Spanische Republik infamer Weise von einem spanischen General, Francisco Franco, mit
Truppen, die er in Marokko rekrutiert hatte, angegriffen. Es war ein überaus blutiger Krieg mit
unsagbaren Gräueltaten. Und Franco wurde dabei von Nazideutschland und dem faschistischen Italien
entscheidend unterstützt, die deutsche Luftwaffe terrorisierte spanische Städte.
Die westlichen Demokratien lehnten jedoch jegliche Hilfestellung für die bedrohte Republik ab und
prägten damals den Begriff der "Nicht-Einmischung" - was in der der Praxis bedeutete, dass
Großbritannien und Frankreich nicht eingriffen, Deutschland und Italien dagegen sehr wohl - und zwar
gnadenlos. Die einzige ausländische Macht, die den belagerten Demokraten zur Hilfe kam, war die
Sowjetunion. Wie wir erst viel später erfuhren, nutzte Stalin die Lage aus, um seine Mitkämpfer zu
eliminieren - Sozialisten, Syndikalisten, Liberale und andere Freidenker. Damals galt dieser Krieg als
Kampf der Guten gegen das absolut Böse. Idealisten aus der ganzen Welt schlossen sich den
internationalen Brigaden der Republik an. Wäre ich nur ein paar Jahre älter gewesen, hätte ich mich
auch freiwillig gemeldet. 1948 sangen wir mit Inbrunst die Lieder der Internationalen Brigaden in
unserem eigenen Krieg.
Für jemanden, der zur Zeit des Holocaust lebte, und insbesondere für einen Juden gibt es in so einer
Situation kein Wenn und Aber. Als der ganze Wahnsinn dann vorbei war und das entsetzliche Ausmaß
des Genozids erkennbar wurde, gab es einen Aufschrei, der noch immer nicht verstummt ist: "Wo war
die Welt? Warum haben die Alliierten nicht die Bahngleise bombardiert, die nach Auschwitz führten?
Warum haben sie die Gaskammern und Krematorien der Todeslager nicht aus der Luft zerstört?" Diese
Fragen sind bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet. Es ist bekannt, dass der britische
Außenminister Anthony Eden Präsident Franklin D. Roosevelt fragte: "Was sollen wir mit den Juden
machen (denen die Flucht gelungen war)?" Wir wissen heute auch, dass die Alliierten aus einer tief
sitzenden Furcht heraus den Eindruck zu vermeiden trachteten, sie führen einen Krieg "für die Juden",
wie das die Nazi-Propaganda von früh bis spät behauptete. Tatsächlich warfen die Deutschen über
amerikanische Stellungen in Italien Flugblätter ab, auf denen ein hässlicher Jude mit Hakennase
abgebildet war, der einer blonden Amerikanerin an die Wäsche ging. Die Bildunterschrift lautete:
"Während du dein Leben aufs Spiel setzt, verführt der Jude deine Frau daheim!"
Der Einsatz militärischer Kräfte zur Verhinderung der Ermordung deutscher Juden - wie auch Roma -
wäre ganz gewiss ein Eingriff in die "inneren Angelegenheiten" Deutschlands gewesen. Hätte man es
also tun sollen? Ja oder nein? Und wenn die Antwort Ja ist, warum gilt sie für Adolf Hitler und nicht für
diesen kleinen "Führer" in Tripolis?
Was uns zugleich unweigerlich zum Stichwort Kosovo führt: Hier hat sich die gleiche Frage gestellt.
Slobodan Milosevic löste dort einen Genozid aus, indem er ein ganzes Volk vertrieb und dabei zahllose
Gräueltaten beging. Der Kosovo war ein Teil Serbiens und Milosevic berief sich darauf, dass es sich hier
um eine interne serbische Angelegenheit handle. Als es einen weltweiten Aufschrei gab, entschied
Präsident Bill Clinton, Stellungen in Serbien zu bombardieren um Milosevic zum Einhalten zu zwingen.
Der Definition nach war es eine Nato-Aktion. Sie erfüllte ihren Zweck, die Kosovaren konnten in ihre
Heimat zurückkehren und heute gibt es die unabhängige Republik Kosovo. Damals klatschte ich in aller
Öffentlichkeit Beifall - sehr zum Ärgernis vieler meiner linken Freunde daheim und in aller Welt, die
darauf beharrten, dass der Bombenangriff ein Verbrechen gewesen sei, insbesondere weil er unter
Führung der Nato erfolgte, die sie als ein Werkzeug des Teufels erachten. Meine Antwort darauf war:
Wenn es darum geht, einen Genozid zu verhindern, bin ich sogar bereit, einen Pakt mit dem Teufel
einzugehen.
Das gilt auch heute noch. Es ist mir egal, wer Gaddafis mörderischem Krieg gegen sein eigenes Volk ein
Ende setzt: UN, Nato oder die USA im Alleingang - wer auch immer es tut: Gott segne sie.
Noch einmal: "Nicht-Einmischung" lieferte das spanische Volk auf Gedeih und Verderb an Franco aus
und schützte Hitler in der taktilsten Phase seiner Kriegsvorbereitung. Direkte Einmischung dagegen
brachte Milosevic ins Gefängnis des Kriegsverbrecher-Tribunals. Meine Haltung in dieser Frage ist
daher eindeutig: Die Doktrin der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder ist
obsolet, wenn es um Völkermord und Massenmord geht und sollte begraben werden, bevor die Leichen
zum Himmel zu stinken beginnen. (Uri Avnery, STANDARD-Printausgabe, 22.03.2011)
Uri Avnery, Jg. 1923, Schriftsteller, Publizist und führender Repräsentant der israelischen
Friedensbewegung, lebt in Tel Aviv; er war einst ein ebenso vehementer Kritiker der US-Intervention im
Irak wie Befürworter der Nato-Angriffe im Kosovo-Krieg.
derStandard, 21. März 2011