Die Gemeinschaft der Missionare von der Hl. Familie (MSF)

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Die Gemeinschaft der Missionare von der Hl. Familie (MSF)
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Die Gemeinschaft der Missionare von der Hl. Familie (MSF)
Ich mache mich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Mainz-Bretzenheim, zur dortigen
Niederlassung der Ordensgemeinschaft „Missionare von der Heiligen Familie“ (MSF).
Mein Gesprächspartner ist P. Egon Färber MSF, ein geschätzter Referent, aber auch
Beichtvater bei verschiedenen Veranstaltungen des Mainzer PWB.
Wer sich unter der Mainzer Ordensniederlassung ein Kloster mit hohen Mauern und dicken
Türmen vorstellt, sucht vergebens. Äußerlich
sieht das Konventsgebäude aus wie ein gewöhnliches Wohnhaus: mehrere Stockwerke in
Weiß und Orange mit einer schönen Haustür,
an der P. Färber mich freundlich empfängt.
Berthier-Haus in Mainz-Bretzenheim
Be©
aller Fotos:
Markus
Lerchl
Wir gehen ins Sprechzimmer, in dem P. Färber sich mit
vielen
anderen
Menschen
zu
Gespräch und Geistlicher Begleitung trifft. Dort stelle ich ihm meine Fragen:
Lieber P. Färber, ich danke Ihnen, dass Sie sich heute für mich Zeit genommen
haben, um unseren Leserinnen und Lesern Ihre Gemeinschaft vorzustellen. Sie
ist ja eher unbekannt. Deswegen die erste Frage: Die Missionare von der Heiligen Familie: Wie ist die Gemeinschaft entstanden und was ist ihr besonderer
Auftrag bzw. ihr Anliegen?
P. Färber: Starke Impulse für die Gründung unserer Ordensgemeinschaft kamen von
Papst Leo XIII. (1878 – 1903). Er rief damals in mehreren Enzykliken zur Ausbreitung
des Glaubens in den auswärtigen Missionen auf. Außerdem förderte er sehr die Verehrung der Heiligen Familie von Nazareth als Idealbild für jede christliche Familie.
Der französische Priester Jean Berthier, der Gründer unserer Ordensgemeinschaft,
griff die Anliegen des Papstes auf. Er sagte: „Kaufleute aus Europa beuten in den
Kolonien die Menschen aus. Man kümmert sich aber nicht um das Seelenheil dieser
Menschen. Welche Schande! Ich muss helfen.“ Berthier war überzeugt: Die Dritte
Welt braucht viele gute Missionare, die einen festen Glauben haben und praktisch
veranlagt sind. So gründete er im Jahr 1895 in einer alten Kaserne in Holland eine
Missionsschule und ein Ordensseminar, um vor allem jungen, begabten Handwerkern, Angestellten und Arbeitern aus der Landwirtschaft zu ermöglichen, Missionare
zu werden.
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Als Ideal stellte er seiner Ordensgemeinschaft den
Handwerker Josef aus Nazareth, Maria, die Magd
des Herrn, und natürlich an erster Stelle den Gottessohn Jesus Christus vor Augen. Entsprechend
dem Vorbild der Heiligen Familie von Nazareth
sollte sich seine junge Ordensfamilie auszeichnen
durch Frömmigkeit, durch das Beheimatet-Sein im
Willen Gottes, durch Liebe zu einem arbeitsamen
Leben und durch die Einheit der Herzen.
Es existieren heute weltweit 15 Ordensprovinzen.
Die Schwerpunkte unserer Tätigkeit liegen in unserer Zeit in Indonesien, Madagaskar, Lateinamerika.
Ikone der Hl. Familie in der Kapelle
In Europa sind wir vor allem in Polen tätig, daneben
aber auch in Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich und in der Schweiz.
Wie sieht die Missionsarbeit Ihres Ordens heute aus?
P. Färber: In den 120 Jahren seit der Ordensgründung haben sich die Welt und das Missionsverständnis gewandelt. Heute sehen die
Missionare von der Heiligen Familie ihre Hauptaufgabe in der Familienseelsorge und in der
Berufungspastoral. Diese Seelsorge hat natürlich ganz unterschiedliche Gesichter. Unsere
Mitbrüder in Polen kümmern sich unter anderem
um eine intensive Vorbereitung auf das Ehesakrament und um eine gesunde Spiritualität in den
Familien, kümmern sich aber auch um solche,
die durch suchtkranke Familienmitglieder belastet und gefährdet sind. In Madagaskar dagegen
Hl. Familie aus Java
setzen sich unsere Mitbrüder sehr dafür ein,
dass Kindern aus den überwiegend armen Familien eine Volksschulbildung ermöglicht wird. In Brasilien wiederum gibt es viele instabile Familien, deren Väter aufgrund
der wirtschaftlichen und sozialen Lage ihre Familien im Stich lassen und in Großstädten ihr Glück suchen. Außerdem überfluten fundamentalistische Sekten den lateinamerikanischen Kontinent. Einfache Familien sind deren massivem Druck schlichtNewsletter der Infostelle Berufe der Kirche Mainz 09/ 2015
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weg ausgeliefert. Und in einem Land wie Indonesien, wo die christlichen Gemeinden
im Vergleich zum Islam eine verschwindende Minderheit bilden, werden die christlichen Familien mit speziellen Herausforderungen konfrontiert. Das ist ein weites Feld
für die Familienpastoral.
Wie war Ihre persönliche Berufungsgeschichte, die Sie zu den Missionaren der
hl. Familie geführt hat?
P. Färber: Als Jugendlicher habe ich nicht viel darüber reflektiert. Im Rückblick glaube ich, dass die Wurzeln meiner Berufung bereits in der Kriegs- und Nachkriegszeit
liegen. Ich bin im Jahr 1937, also zwei Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, geboren und habe in meiner Kindheit intuitiv die Ängste und Bedrohungen der
Kriegszeit und des totalitären Regimes wahrgenommen. So kann ich mich noch gut
daran erinnern, dass einmal ein mächtiger Polizist wegen gewisser Verdächtigungen
ins Elternhaus kam oder dass Kriegsgefangene wie Vieh durch das Dorf getrieben
wurden. Als Kind empfand ich, dass diese armen Menschen schlicht und einfach der
ungerechten Macht ausgeliefert waren.
Demgegenüber war unsere kleine Dorfkirche im Sauerland mit ihrer weihevollen Atmosphäre und mit der andächtigen Art meiner Eltern wie eine Oase des Guten und
des Heiligen. Ich glaube, dass sich mir damals der Sinn für das Heilige aufgetan hat.
Vielleicht berühren mich deshalb in besonderer Weise die Worte aus einem Hochgebet: „Barmherziger Gott, mache deine Kirche zu einem Ort der Wahrheit und der
Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, damit die Menschen neue Hoffnung
schöpfen.“ Ich fühle es als Berufung zu versuchen, in dieser Weise dem Reich Gottes
zu dienen.
Ich bin unserem Volksschullehrer dankbar, der mich mit 14 Jahren ermutigte, nicht
die Schreinerlehre zu beginnen, sondern in einer Missionsschule zu versuchen, den
Weg zum Priestertum zu gehen. Im Laufe der Jahre ist meine Berufung in Höhen
und Tiefen gereift, und dieser Reifungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.
Sie leben im Mainzer Berthier-Haus mit fünf weiteren Mitbrüdern. Wie sieht Ihr
Alltag konkret aus?
P. Färber: Zum Tagesablauf unserer kleinen Gemeinschaft gehören das gemeinsame Morgenlob, die Laudes, und die Eucharistiefeier. Die Mahlzeiten nehmen wir gemeinsam ein. Vor dem
Abendbrot versammeln wir uns in der Hauskapelle zur Vesper.
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Refektorium
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Zum Tagesablauf gehören ferner die Meditation und das private Gebet, aber auch
abwechselnd die Vorbereitung der Liturgie oder die Vorbereitung des Frühstücks und
des Abendessens für die Gemeinschaft.
Zu meinem Tagesablauf gehören nicht selten Krankenbesuche oder Besuche in Altenwohnheimen, die Begleitung eines Gebetskreises und die Mitgestaltung des Taizé-Gebetes in der Kapelle des Caritas-Hauses, wo ich der Rektor Ecclesiae (Kirchenrektor) bin.
Drei Ihrer Mitbrüder sind im Dienst des Bistums Mainz.
P. Färber: Ich persönlich habe mit 77 Jahren keine offizielle Anstellung im Bistum
Mainz, bin aber fast täglich für zwei oder drei Stunden im Sprechzimmer unseres
Klosters zur geistlichen Begleitung, zu Beichtgesprächen und zur Spendung von
Sakramenten in aller Stille. Das Sprechzimmer im Kloster wird als ein geschützter
Raum empfunden, in dem das zur Sprache kommen darf, was das Herz bewegt oder
auch belastet.
Im März 2016 wird das Berthier-Haus in Mainz geschlossen.
P. Färber: Die Aufhebung unserer Ordensniederlassung in Mainz ist im Zusammenhang mit der aktuellen Situation unserer Gemeinschaft in Deutschland zu sehen. In
unserer deutschen Ordensprovinz bewohnen wir zurzeit noch vier, zum Teil große
Häuser. Das Durchschnittsalter von uns MSF in Deutschland geht auf die 79 Jahre
zu. Dem müssen wir - auch aus finanziellen Gründen - Rechnung tragen. Wir haben
in Betzdorf/Sieg ein Ordenshaus, das für unsere alternde Gemeinschaft hergerichtet
ist und uns genügend Platz bietet. Dort können wir - natürlich in gewandelter Form unser Ordensleben führen. Eine Etage des Hauses ist als Pflegestation eingerichtet,
in der die Mitbrüder, die einer besonderen Hilfe bedürfen, bei Tag und bei Nacht betreut werden.
Der Abschied von Mainz fällt uns nicht leicht. Wir müssen gut mit diesem Abschied
umgehen. Bei unserem letzten monatlichen Besinnungstag, bei dem der Abschied
ein Thema war, wurde uns folgender Gedanke mitgegeben: „Vielleicht liegt die Mission des Ordens in Deutschland heute darin, den Menschen das Loslassen vorzuleben
und den Lebensabend so zu gestalten, dass andere Menschen diese ihre ‚Mission‘ im
eigenen Alter annehmen können und auch die Ängste verstehen, die damit verbunden sind…“ – Es ist wohl kein Zufall, dass gerade in diesen Tagen vier junge MitbrüNewsletter der Infostelle Berufe der Kirche Mainz 09/ 2015
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der aus Indonesien mit ihren Ordensobern beraten, wie sie – und noch weitere Mitbrüder von dort – ihren missionarischen Dienst in Deutschland gestalten wollen. Das
Leben der Kirche und in unserer Ordensgemeinschaft geht in neuer Form weiter.
Was geht Ihnen persönlich durch den Kopf, wenn Sie an den Abschied denken?
P. Färber: Der Weggang von Mainz
ist für mich ein wirklicher Einschnitt.
Hier habe ich viele seelsorgliche
Kontakte in der Geistlichen Begleitung bzw. Sakramentenspendung. In
Betzdorf werde ich mit den Mitbrüdern in einem ordenseigenen Altenheim sein. Ich vermute, dass ich in
Ein echter Hirte hat immer Schafe um sich! – Impressionen vom Schreibtisch im Arbeitszimmer von P. Färber
der bisherigen Form kaum noch
seelsorglich-begleitend
tätig
sein
kann, einfach auch deshalb, weil ich dann mit rund 25 Priestern im vorgerückten Alter zusammenlebe.
Das ist für mich eine wichtige Erfahrung: ich muss das Loslassen üben. Zu denken
gab mir Papst Franziskus mit seiner berühmten letztjährigen Weihnachtsansprache
an die Römische Kurie. Dort nannte er als erste
der 15 Krankheiten der Kurie, „sich ‚unsterblich‘, ‚immun‘ oder geradezu ‚unersetzlich‘ zu
fühlen“.
Ich werde immer wieder gefragt, ob ich nicht in
Mainz bleiben könnte. Aber als Oberer habe ich
dafür geworben, dass wir im Orden gemeinsam
alt werden. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen,
Kapelle im Berthier-Haus
dieses Wort selbst einzulösen.
Woran erkennt man (s)eine geistliche Berufung? Was raten Sie einem jungen
Menschen, der für sich überlegt, in einen Orden einzutreten?
P. Färber: Die Berufung zu einem Leben in einer geistlichen Gemeinschaft kündet
sich meistens nur leise an und ist oft mit Unsicherheiten und Fragen verbunden. Eine
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Berufung, wie sie der heilige Paulus vor Damaskus erlebte, ist eine Seltenheit. Die inneren Stimmen, die zu einem
geistlichen Dienst einladen, sind manchmal widersprüchlich, und es ist nicht leicht zu unterscheiden, was vom guten Geist, vom heiligen Geist, oder was von unguten
Geistern her kommt. Nicht selten sind es die Menschen,
die uns nahe stehen, die von einer geistlichen Berufung
abwinken. Es ist in der Tat nicht leicht, jemand zu finden,
mit dem man offen über eine so intime Wahrnehmung
sprechen kann.
Ich finde es wichtig, „am Ball zu bleiben“, aber auch nichts zu überstürzen. Eine so persönliche Berufung muss wachsen und reifen. Ich rate unbedingt zu
einer geistlichen Begleitung mit einer Person, die dem/der Betreffenden nicht zu nahe steht und die einen Sinn für geistliche Prozesse hat. Dieser Person muss ich zutrauen können, dass sie mich in meiner Suchbewegung diskret und mit dem Gebet
begleitet. Vor allem finde ich es hilfreich und wesentlich, die Berufungsgeschichten
im Alten und im Neuen Testament zu betrachten.
Lieber P. Färber, herzlichen Dank für das Gespräch. Für die anstehenden
Schritte wünschen wir Ihnen seitens der Infostelle und des PWB schon jetzt
Gottes reichen Segen!
Unser Gesprächspartner:
P. Egon Färber MSF (* 1937), gehört seit 1959 zur Gemeinschaft der Missionare von
der Heiligen Familie. Nach seiner Priesterweihe im Jahre 1966 war er in verschiedenen Funktionen sowohl in der Ausbildung der Studenten seiner Gemeinschaft als
auch in der Ordensleitung tätig, davon auch 12 Jahre als Generaloberer in Rom
(1983-1995) und 6 Jahre als Provinzial in Deutschland (2004-2010). Seit 2010 ist er
stellvertretender Provinzial und lebt im Berthier-Haus in Mainz.
© alle Fotos: Markus Lerchl
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