Mehrkampfdisziplin - Saarländischer Rundfunk
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Mehrkampfdisziplin - Saarländischer Rundfunk
rlaub ist eine Mehrkampfdisziplin mit den Nachbarn“ hat Charles Aznavour angeblich einmal gesagt. Einer dieser Kämpfe ist das Angeben mit dem exotischsten Urlaubsziel, ein anderer mit dem tollsten Urlaubserlebnis. Vielleicht können sich deshalb so wenige Menschen vorstellen, in der eigenen Heimat Urlaub zu machen. Dabei könnte man hier die Nachbarn sehr wohl in ungläubiges Staunen versetzen, wenn man ihnen von Urlaubserlebnissen aus dieser Region berichten U tüchern der Queen handelt die diesjährige Tour de Kultur aber auch. Also Stoff zum Angeben und Erleben gibt’s genug hier im SaarLor-Luxraum. Stoff, den die Reporter von SR3 Saarlandwelle für Sie zusammengetragen haben. Als Service für die Hörer haben sie ausgekundschaftet, probegegessen, testgewandert. Die Ergebnisse sind dank der Unterstützung des Saarländischen Wirtschaftsministeriums und der Saartoto GmbH in dieser Broschüre zusammengefasst. Eine Broschüre, die es jetzt Mehrkampfdisziplin wollte. Wenn man ihnen erzählte, dass man 18m über dem Boden durch Baumkronen spaziert ist, auf dem Baumwipfelpfad im Dahner Felsenland, wenn man ihnen von merkwürdigen Tieren berichtete, die 32 000 Zähne haben und auf einer Schneckenfarm in Molring für den Kochtopf gezüchtet werden. Man könnte aber auch von Schmugglern erzählen, auf deren Spuren man mit dem Esel durch das Umland von Berus geritten ist. Vielleicht ist Ihr Nachbar aber noch mehr von einem lothringischen Rentner beeindruckt, der eine Eingebung hatte und jetzt im Steinbruch von Jaumont Engel aus Stein schafft, die so kunstvoll sind, dass man ihrem Schöpfer ein Museum widmet. Von Einsiedlern in Felsenwohnungen, von einer barocken Gräfin als Fremdenführerin, einer Riech- und Schmeckstation im Wald oder den Tisch- zum 15. Mal gibt, weil sie immer schon nachgefragt wird, lange bevor wir unsere Sendereihe Tour de Kultur in der Ferienzeit wieder auf SR3 Saarlandwelle starten. Und am Ende gibt’s dann noch die Bustour de Kultur, in diesem Jahr ins St. Wendeler Land. Und wenn Sie glauben, dass Sie das schon kennen, dann werden Sie sich wundern. Z.B die Kapelle, in der immer Musik ist, weil sie eine gebaute Windharfe ist und..., aber das verraten wir Ihnen dann nach den Ferien im Bus. Damit Sie Ihrem Nachbarn, wenn er Sie wieder einmal mit seinem Mallorcaurlaub langweilt, den Rest geben können. Gute Fahrt mit SR3! Stefan Miller 0 eu se Thionville Villerupt Esch s.A. 25 Neufchâteau Toul Commercy St. Mihiel 50 km Vittel Lunéville Remiremont Épinal Sarrebourg Gérardmer St-Dié Le Thillot La Bresse Strasbourg Neuwiller Mulhouse Ribeauvillé 27 MoyenmoutiersSenones Vagney Rambervillers Froville Nancy 21 Bitche Basel Freiburg 16 24 Kaiserslautern Harskirchen Sarreguemines Saarbrücken 26 Molring St Avold Pange Faulquemont Metz Pont-à-Mousson 2 Windesheim Birkenfeld KirchheimBolanden Nonnweiler 8 Saarburg Türkismühle 11 18 Otzenhausen St. Wendel 13 Oberkirchen Mettlach Scheiden 30 23 Fürth 29 31 Rodemack Ottweiler 22 Merzig Landstuhl 14 Lebach Breitenbach 28 Neunkirchen Dillingen Homburg Berus 17 Saarlouis St-Ingbert Zweibrücken Walsheim Veckring Völklingen 1 6 Bliesmengen-Bolchen 4 Forbach Dahn 25 Eschviller Creutzwald Mirecourt Scy-Chazelles 12 15 in 7 Rh e Koblenz Idar-Oberstein 20 Morbach Enkirch Traben-Trarbach Bernkastel-Kues l Mose Bonn Köln Hermeskeil Daun Wittlich Trier Oberbillig Sauer Bitburg Gerolstein ar M Verdun Ettelbrück Luxembourg Colpach Wiltz Hüttingen 5 Prüm Sûre St. Vith Winseler Moutiers 3 Arlon Longwy Virton Marville 10 Montmédy 19 Avioth 9 Mouzon Centre Ardenne Bastogne Marche en Famenne Liège Sa Karl Dar Fran Das andere Museum 1 „Mäh-Robic“ auf der grünen Wiese Bernhard Lehnert aus Walsheim ist Sensenmann 12 Antoine und sein Schutzengel oder die Entstehung eines aussergewöhnlichen Museums bei Metz 43 Anke Schaefer-Schwarz 8 13 Wolfgang Felk 2 Eine Lothringer Distel für Europa Besuch im Robert Schuman Haus in Scy-Chazelles Mal so richtig von den Socken sein Der Barfußweg in Oberkirchen 48 Ulli Wagner 10 Philippe Fouché 3 Der Poet des Eisens Die Skulpturen des Amilcar Zannoni in Moutiers 12 Philippe Fouché 4 Wo die Maginot-Linie am stärksten war Die Festungsanlage Hackenberg zwischen Mosel- und Niedtal 14 14 Die heißeste Frau von Hüttingen... ...heizt das Ofen- und Eisenmuseum 15 17 Wer schön sein will... Das Friseurmuseum im Haus der Dorfgeschichte von Bliesmengen-Bolchen 16 21 Gott zu Ehren, dem Menschen zu Genuss Das Orgel ART Museum in Windesheim Schnippchen auf dem Bockfelsen Dr. Robert Schuman Rundgang in Luxemburg 55 Der Teufel, der Schuh und das Maß des Überhanges Neue alte Geschichten rund um's Straßburger Münster 58 Anke Schaefer-Schwarz Sonja Schäfer 7 52 Anke Schaefer-Schwarz Sabine Janowitz 6 Am Glan-Bliesweg schnaubte das Dampfross... ...heute quietschen hier die Drahtesel Gabor Filipp Silvia Hudalla 5 En route 17 24 Eine Luxusreise für den Kopf Mit drei Eseln über alte Schmugglerpfade bei Berus 62 Sven Rech Ulli Wagner Zeitreise Kirchengeschichten 18 8 „Ihr wollt wohl eine Kathedrale bauen!“ Der „Hochwald-Dom“ in Nonnweiler - und sein „Schlüssel-Erlebnis“ 30 Schaurig-schön Die gotische Basilika von Avioth 19 33 Wie bei Kommissar Maigret Die spröde Schönheit von Marville Fragen Sie nach dem Haus des Majors Montmédy - Trutzburg gegen Frankreich 20 36 Römische Hochkultur im Hunsrück Der Archäologiepark Belginum bei Morbach 21 Der Einsiedler Alleinsein im Krummen Elsaß Sven Rech Natürlich Kultur „Quält Migräne Dich, so wisse, manchmal hilft da auch Melisse!“ In Dr. Potempas Heilkräutergarten in Türkismühle wachsen Kräuter gegen fast jedes Leid Wolfgang Felk 74 Michael Lentes Lisa Huth 11 69 Lisa Huth Lisa Huth 10 66 Stephan Deppen Wolfgang Felk 9 Kelten sind in Der Ringwall bei Otzenhausen 40 77 Kultur für Kids 22 Spaziergang mit der Gräfin Eine historische Stadtführung durch die alte Residenzstadt Ottweiler 82 Sabine Ertz 23 Naschkatzen bei der Riech- und Schmeckstation Der Waldsinnespfad zwischen Fürth und Steinbach 86 Sabine Ertz 24 Die „Gross' Stub und die Klein' Stub Das Bauernhofmuseum Outre-Forêt in den Nordvogesen 88 Silvia Hudalla 25 Wipfeltreffen Ein Spaziergang durch die Baumkronen bei Dahn 90 Silvia Hudalla 26 32.000 Zähne und ein Haus Die Schneckenzucht in Molring 92 Natalie Weber Industriekultur 27 Tischtücher für die Queen Die Stoffmanufaktur von Ribeauvillé 96 Sabine Janowitz 28 Als die Glankuh noch ein treuer Begleiter war Das Bergmannsbauernmuseum in Breitenbach/Pfalz 100 Michael Lentes 29 Zeitreise durch den Geschirrschrank... Das Keramikmuseum Mettlach 102 Ulli Wagner Denkma(h)lzeiten 30 Vom Zankapfel zum Schmuckkästlein Das Hotel Angel in Sankt Wendel 108 Michael Lentes 31 Chez Gracieuse Das „kleine Schloß“ von Rodemack Philippe Fouché 6 Autoren: Stephan Deppen, Sabine Ertz, Wolfgang Felk, Gabor Filipp, Philippe Fouché, Silvia Hudalla, Lisa Huth, Sabine Janowitz, Michael Lentes, Stefan Miller, Sven Rech, Sonja Schäfer, Anke Schaefer-Schwarz, Ulli Wagner, Natalie Weber Redaktion: Stefan Miller Gestaltung: Johanna Krimmel © Saarländischer Rundfunk 2003 Copyright: Die Manuskripte sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen ohne Genehmigung nicht verwertet, insbesondere dürfen sie weder ganz noch teilweise oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung des Saarländischen Rundfunks genutzt werden. 110 Das andere Museum s ist schönes Wetter, Wochenende oder ein lauer Sommerabend. Der/die Saarländer/In rumort in Feinripp und Jogginghose bzw. Leggins und Kittelschürz‘ geschäftig in den Rabatten hinterm Haus. Grillen zirpen, Vögel zwitschern und Insekten brummen. Doch nicht lange, da fängt ein Rasenmäher an zu rattern, begleitet von einer Kreissäge hier und einem Schwingschleifer dort. Knaubers kleine Nachtmusik, die kaum noch Raum läßt für subtilere Arbeitsgeräusche. E Schneise im Wiesenteppich entstanden ist. Diese Kunst lehrt er nicht nur hinterm eigenen Haus. Er kommt auf Wunsch und Bestellung (und gegen Honorar natürlich) auch zu „Mährobic“-Kursen ins ganze Saarland. Zu Kunden, die unwegsame oder abschüssige Grundstücke haben. Zu solchen, die ihre Wiesenblumen erst mal in voller Pracht erleben wollen, bevor sie mähen. Und zu solchen, die schlicht keine Motorrasenmähmonster mögen. Gerne kommt er auch zu Vorführungen bei Dorffesten, Bauern- „Mäh-Robic“ auf der grünen Wiese 1 Bernhard Lehnert aus Walsheim ist Sensenmann Zum Beispiel für das rhythmische „RitschRatsch“ eines Sensenblattes, das am Wetzstein geschärft wird. Oder das metallische Klopfen, wenn die ganz abgestumpfte Sense gedengelt wird. Bei Bernhard Lehnert hinterm Haus in Gersheim-Walsheim gehören diese Geräusche zum täglichen guten Ton. Lehnert ist nämlich eine Art „Sensenmann“. Einer, der alte Sensen sammelt und in einem kleinen Museum im ehemaligen Schweinestall ausstellt. Der aber auch neue Sensen samt Zubehör verkauft und – noch wichtiger – die Käufer auf Wunsch in die Kunst des richtigen Sensenschwungs einführt. „Die Technik des Sensens ist nicht allzu schwer“, so doziert er auf einem Stück saftiger Wiese hinter seinem Haus, „doch die meisten machen den Fehler, die Sense wie einen Golfschläger schräg von oben herab auf den Boden zu führen, und da bleibt sie dann meistens mit der Spitze hängen. Die Kunst besteht darin, die Sense mit kräftigem, aber lockerem Schwung aus der Hüfte heraus direkt über den Boden gleiten zu lassen.“ Spricht’s und läßt die Sense elegant und energisch zugleich durch das hohe, feuchte Gras zischen, bis eine breite, exakt getrimmte 8 märkten oder Naturschutztagen. Meistens mit einer Begleit-Kollektion aus seinem kleinen Museum: historische Sensen aus verschiedenen Ländern mit kunstvollen Etiketten und Verzierungen, altes Zubehör wie Wetzsteinbecher und Dengeleisen. Mit im Gepäck auch sein kleines Bändchen „Naturerlebnis Mähen mit der Sense“. Darin entpuppt sich der praktische „Sensenmann“ als richtiger „Sensologe“, der sich auch in der Kulturgeschichte der Sense auskennt. So schildert Lehnert, wie schon unsere Vorfahren in der Steinzeit zunächst Erntemesser aus Tierknochen, später sichelförmige Geräte herstellten und benutzten. Der Einsatz von Bronze brachte eine weitere Verbesserung und die Hau-Sense der Kelten ermöglichte allmählich eine etwas mühelosere Heuernte. Die erste „moderne“ Sense mit langem Stil, die das mühsame Bücken überflüssig machte, tauchte etwa 200 Jahre vor Christi Geburt auf. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weiter verfeinert und sorgte im Mittelalter für eine kleine ökonomische Revolution: Die Bauern konnten dank des „flinken“ Erntehelfers nun größere Flächen anbauen und auch größere Städte zentral mit Getreide versorgen. Auch entstanden damals in unseren Breiten jene ausgedehnten Graslandschaften, die ein ganz neues Landschaftsbild schufen, vor allem aber die wirtschaftlichen Grundlagen für die Viehzucht legten und damit einen weiteren „Quantensprung“ in Sachen Ernährung darstellten. Wie so viele andere wurde auch diese segensreiche Erfindung zuweilen zweckentfremdet: in Kriegszeiten wurde sie zur „Kampfsense“ umgeschmiedet. Leonardo da Vinci entwarf um 1500 sogar einen Sichel- oder Sensenwagen mit sich drehenden Metallblättern, der bestimmt einiges Unheil anrichten konnte. In dieser Zeit mutierte auch in der Mytholo- gie die scharfe Sense zum Werkzeug des „Schnitters namens Tod“ (auch Sensenmann genannt), der uns Irdische einfach ummäht auf dem Lebensacker, wenn unser letztes Stündlein gekommen ist. „Mähen und Ernten“, so sagt Bernhard Lehnert, „sind Tätigkeiten, die mit den Jahreszeiten verbunden sind und dem Blühen und Vergehen des Menschen entsprechen.“ Ein wahrhaft weiter Bogen, den er da spannt mit seiner Sense vom flotten Mäh-robicWerkzeug bis zum düsteren Symbol des Todes. Und wenn er dann da oben auf den Hügeln über Gersheim steht und im Gegenlicht der untergehenden Sonne als schwarzer Schattenriss einsam die Sense kreisen läßt, dann hat das auch schon was, das einen ein bisschen schaudern läßt... Wolfgang Felk Kontakt Bernhard Lehnert Allmendweg 54 66453 Gersheim-Walsheim Tel: 0 68 43 - 85 93 Öffnungszeiten Dienstag und Freitag 15-18.30 Uhr nach telefonischer Vereinbarung Anfahrtsweg Von Gersheim über die Landstraße nach Walsheim. Dort kurz hinter dem Ortsseingang rechts abbiegen in den Allmendweg 9 finanziert von Robert Vaglio, dem Chef des Unternehmens. Er stellt eine 2500 Quadratmeter große Werkshalle zur Verfügung. Wie es zu dieser Museumsgründung kam, ist fast ein kleines Wunder. Der Betreiber des Steinbruchs, Robert Vaglio, finanziert die Gründung des Museums und stellt den Ort zur Verfügung: Eine 2500 m2 grosse Werkshalle. Der Künstler Antoine Dyduch hatte den Beruf der Bildhauerkunst nie erlernt. Er ist eigentlich Grundschullehrer. Aber vor 20 Jah- Antoine und sein Schutzengel 2 oder die Entstehung eines aussergewöhnlichen Museums bei Metz in Museum entsteht auf dem Gelände des Steinbruchs in Malancourt-la-Montagne bei Metz. Die Geschichte dieses Museums ist die einer Begegnung zwischen einem aussergewöhnlichen Künstler, Antoine Dyduch und seinem Mäzen, Robert Vaglio. Die „Carrière de Jaumont“ ist wahrscheinlich der älteste Steinbruch Frankreichs. Er ist seit 2000 Jahren ohne Unterbrechung in Betrieb. Den Jaumontstein nennt man auch „Sonnenstein“ aufgrund seiner sonnengelben Farbe, die ihm das Eisenoxyd verleiht. Die meisten Gebäude in Metz, darunter die Kathedrale, sind aus diesem Jaumontstein erbaut worden. Jetzt entsteht in dem Steinbruch ein Museum, E 10 ren begann er, Steine zu behauen und er beherrschte das Handwerk auf Anhieb. Der Künstler ist überzeugt davon, daß nicht er selbst, sondern übernatürliche Kräfte seine Hand, seinen Meißel führen. Er hat keine andere Erklärung für seine Begabung. Seine Inspiration verdankt Antoine einer tragischen Erfahrung. Nach dem Verlust eines ihm nahestehenden Menschen, verließ ihn jeder Lebensmut. In dieser Situation beschloß er, sein Leben Gott zu weihen. Seitdem hat er nur noch ein Ziel vor Augen: Eine Art Gotteshaus zu erbauen. Antoine Dyduch nimmt für seine Arbeit grundsätzlich kein Geld an. Im Laufe der Jahre wurde dem Betreiber des Steinbruchs bewußt, daß in Antoine Dyduch ein aussergewöhnliches Talent steckt. So beschloss er, dem Künstler kostenlos jeden Stein zur Verfügung zu stellen, den er sich nur wünschte. Da das von ihm ausgesuchte Material tonnenschwer war, wurde Antoine Dyduch erlaubt, in einem Atelier auf dem Steinbruchsgelände selbst zu arbeiten. Jetzt hat ihm Robert Vaglio sogar eine Wohnung mit integriertem Atelier eingerichtet, damit der Künstler, der seit einem Jahr in Rente ist, Tag und Nacht seiner Leidenschaft nachgehen kann: dem berühmten Jaumontstein Form zu verleihen. Jeden Tag arbeitet Antoin Dyduch nun 10-14 Stunden an seinen Steinen. Überdimensional grosse Engel, Reliefs, Tympana, Statuen und Säulen, die der Grundschullehrer in nächte- und jahrelanger Arbeit eigenhändig in Stein gemeißelt hatte, stehen hier als Zeugen seiner überbordenen Schaffenskraft. Und dauernd kommen neue Werke dazu. So wird aus der Riesenindustriehalle langsam ein Kunstmuseum. Ein ungewöhnlicher Ort für eine solche Sammlung. Die Halle ist für den industriellen Bedarf konzipiert und bedarf noch einer ansprechenden Austattung. Der Innenraum soll so verkleidet werden, damit Skulpturen und Reliefs besser zur Geltung kommen. Dies bedeutet für den Besitzer eine zusätzliche Investition, aber sie lohnt sich. Der Anblick der monumentalen Werke von Antoine Dyduch wird für jeden Besucher zu einem Erlebnis. Antoine Dyduch sieht in dem Projekt die Verwirklichung seines Lebenszieles. Für ihn ist das Museum mehr als nur eine Kunstsammlung. Er betrachtet es als sein „kleines Heiligtum“. Mittlerweile ist Antoine Dyduch Antoine zum „Hauskünstler“ der Carrières de Jaumont gekürt worden. Der Besitzer, Robert Vaglio, hat die Rolle des Schutzengels übernommen und Claude Maillan, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, führt die Besucher durch das Museum, ein himmlisches Erlebnis. Philippe Fouché Kontakt Claude Maillan Carrières Vaglio Saint Hubert 57360 Malancourt-la-Montagne Société Vaglio Tel: 03 87 53 51 00 Claude Maillan Tel: 03 87 53 50 41 www.pierre-de-jaumont.fr/cadre.htm Pers. Homepage mit Fotos von dem Museum: guymarie.caiveau.free.fr/index3.html Öffnungszeiten Nach Vereinbarung Anfahrtsweg Autobahn A4 Richtung Paris Ausfahrt Richtung Rombas N 54. Nach etwa 3 km in Pierrevillers nach links. Durch das Dorf geradeaus in Richtung Roncourt fahren. Nach 4 km auf der linken Seite: Carrières de Jaumont 11 Filigrane Körper strecken sich zum Himmel. Sieben anmutige Gestalten aus Eisen in menschlicher Größe scheinen mit ihren ausgestreckten Armen den Kontakt zu den Passanten zu suchen. Mal verträumt, mal hilfesuchend, mal verzweifelt oder voller Lebensmut. Beim Überqueren des Platzes wird der Blick von den grazilen Figuren magisch angezogen. Kunst am Bau? Nein, stilles Tanztheater auf der Strasse. Poesie im Alltag der 7000 Seelenstadt Commercy. Der Poet des Eisens 3 Die Skulpturen des Amilcar Zannoni in Moutiers P lace des Chanoines“ in Commercy. Ein kleiner Platz in einer kleinen lothringischen Stadt am linken Maasufer. Vorne der Bäcker, rechts die Kneipe. Eine Mutter schiebt den Kinderwagen, ein Lieferwagen fährt um die Ecke. Auf dem „Place des Chanoines“ ist die Welt in Ordnung. Der Ort wirkt unauffällig aber einzigartig wohltuend. Eine seltsame Leichtigkeit umgibt Menschen und Fassaden. Woran liegt es? Am Duft der im Bäckerladen frischgebackenen goldfarbenen „Madeleines“, der bekannten Spezialität der Stadt? Am Plätschern des Brunnens? Ja, der Brunnen ist es, der dem Ort den eigenen Zauber verleiht. 12 Auf dem Sockel des Brunnens, eine Tafel: Amilcar Zannoni. „ Tag des Zorns – Tag der Hoffnung“. Darin kann sich jeder wiedererkennen. Der Tag, an dem ich den „Place des Chanoines“ in Commercy endeckte, war für mich der Beginn einer neuen Freundschaft. Amilcar Zannoni, ein Name, der nicht gerade häufig in Lothringen zu finden ist. Um mehr über den Künstler zu erfahren, habe ich im Internet recherchiert. „Amilcar Zannoni, 1923 in Italien geboren, in Lothringen aufgewachsen. 30 Jahre lang als Bergarbeiter in den Eisengruben tätig. Wegen schwerer Berufskrankheit frühpensioniert. Entdeckte die Kunst der Eisenschmiede bei einem Kuraufenthalt in SüdFrankreich. Autodidakt. Zanonni verarbeitet für seine Kunst nur Schrottteile und hat bereits Hunderte von Skulpturen angefertigt. Die meisten wurden von Gemeinden erworben und stehen heute vor öffentlichen Gebäuden oder an Straßenrändern in Frankreich und in Italien. Zannoni ist in Frankreich als der „Poet des Eisens“ bekannt. Sein vollständiger Name: AMILCAR NAPOLEON ZANNONI !“ Napoléon? Mit einem Lächeln auf den Lippen greife ich zum Hörer: „Allô, Napoléon? Ici, Fouché.“ Ein Treffen war schnell verabredet. Erste Begegnung mit dem Künstler in seinem bescheidenen Bergmannshaus: Heller Blick, weißes Haar, markantes Gesicht: Eine Erscheinung wie aus einem Film von Marcel Carné oder Jean Cocteau. Amilcar kann nur flüstern, da ihm die Bergmannskrankheit die Stimme geraubt hat. Umso mehr sprechen die Augen. „Kunst gehört auf die Strasse, nicht in Museen. Die Objekte gehören demjenigen, der ihnen auf dem Weg zur Bäckerei oder bei der täglichen Autofahrt zur Arbeit begegnet, wo sie ihn zum Nachdenken anregen. … Meine Skulpturen gehören mir nur in der Zeit ihrer Entstehung … … Was im Leben zählt ist Solidarität, Poesie und Mitgefühl, und ich bin mir sicher: wenn jeder mit mir diese Grundsätze teilen würde, gäbe es keinen Krieg mehr.» Die Einladung zum Mittagessen nehme ich gerne an. Nach dem Kaffee führt uns ein Spaziergang zu seinem Atelier und zu der „Donation Zannoni“, der „Schenkung Zannoni“. Amilcar verkauft seine Kunstwerke nicht, er schenkt sie der Gemeinde Moutiers. Die Gemeinde stellt in einem großen Saal die Skulp- turen Zannonis aus. Sie darf einige der Objekte an öffentliche Körperschaften verkaufen. Von dem Ertrag wird der Bau von Sozialeinrichtungen finanziert. Die „Donation Zannoni“ kann nach telefonischer Absprache mit der „Mairie“ besichtigt werden. Der Spaziergang durch das Dorf zum Atelier hat meinen Tagesplan durcheinandergebracht. Für den nur etwa 500 Meter langen Weg haben wir über eine Stunde gebraucht. Kaum unterwegs wurde Amilcar von allen Seiten von Nachbarn oder ehemaligen Kollegen begrüßt. Mit den vielen Begegnungen hatte ich nicht gerechnet, den vielen netten Gesprächen, den vielen Freunden von Amilcar. Philippe Fouché Kontakt Donation Zannoni in Moutiers Place des Chanoines in Commercy Tel: 03 82 46 08 76 Anfahrtsweg In Saarbrücken Richtung Pont-à Mousson Autobahn oder Landstrasse. Pont-à- Mousson-Commercy auf der D 958 Autobahn A 4 Richtung Paris. Ausfahrt Briey-Auboué- Sainte-Marie aux Chênes. Auboué durchfahren. Richtung Briey. Moutiers liegt zwischen Auboué, Homécourt und Briey 13 Wo die Maginot-Linie am stärksten war 4 Die Festungsanlage Hackenberg zwischen Mosel- und Niedtal ch, jetzt kennen wir uns so lange, denk ich, nach all der Zeit sind sie leider verrückt geworden. Peter und Corinna holen mich ab zum jährlichen Ausflug (krieg' ich seit vielen Jahren zum Geburtstag, das Ziel ist die Überraschung). Ein himmelblauer Himmel wölbt sich über uns, eine güldene Sonne steht königinnengleich über dem Königsfeld in Güdingen und die beiden stehen da: dicke Socken sind zu sehen in sozusagen „Schaffschuhen“, Anorak. „Silvi“, sagt Peter, „ich glaub nicht, dass du richtig angezogen bist. Wir fahren zur Maginot - Linie in eine Militäranlage. Du glaubst gar nicht, wie kalt es da selbst im Hochsommer ist.“ Später werd ich, still vor mich hinfrierend, daran denken. Nach der Fahrt durch eine liebliche Landschaft, entlang der Grenze, erreichen wir über Thionville Hackenberg. Es soll die größte Befestigungsanlage der Maginotlinie sein. Wie mickrig mögen dann wohl die anderen sein? Besonders beeindruckend finde ich das nun nicht, wie sich der Eingang präsentiert. Und dann kommt zur leisen Enttäuschung auch noch ein Schreck hinzu.10 Kilometer gehen die Gänge mit all ihren Verästelungen in den Berg hinein, erklärt uns der Führer. Zur Kälte A 14 werden dann auch noch Blasen an den Füßen kommen. Monsieur Dupont, das wird im Laufe der zweistündigen Führung deutlich, hat viel Sinn für Dramaturgie. Kurz nachdem er von den Ausmaßen der Anlage gesprochen hat, rumpelt und knirscht es unheimlich in einem der Gänge und eine Schmalspurbahn kommt angeschnauft. Monsieur lächelt verschmitzt, als vernehmlich ein Seufzen der Erleichterung rundherum zu hören ist. Zu laufen haben wir dann immer noch genug. Später werden wir sogar noch eine schier endlos scheinende Wendeltreppe erklimmen müssen, um wieder ans Tageslicht zurückzukehren. Keine Angst, für Leute, die nicht so gut zu Fuß sind, gibt es den Lastenaufzug. Zunächst mal aber heißt es: Bitte Platz nehmen. Einer der prominentesten Gäste, der auch in diesem Zug gesessen hat, ist sicherlich der englische König gewesen. Ob Georg VI auch so beeindruckt gewesen ist, wie wir es im Verlauf der Führung dann sind? Seine Majestät hat das Fort am 9. Dezember 1939 besucht. Ein anderer VIP der mit dem Bähnlein, das eigentlich dafür da war, Munition zu transportieren, durch die feuchten Gänge getuckert ist, war Sir Winston Churchill und ein leibhafti- ger Sultan, Mohammed V Ben Youssef. Das ist belegt in einem „Gästebuch“. Verloren geglaubt für immer, ist es vor nicht allzu langer Zeit wiedergefunden worden. Eigentlich waren es zwei Forts, aus denen Hackenberg bestanden hat, verbunden durch einen Tunnel, mit etwas mehr als einem Kilometer Länge. Insgesamt gab es 17 Kampfblöcke, ausgerüstet mit Artillerie, Mörsern und Maschinengewehren. Es war das „Heim“ für 1040 Soldaten und 43 Offiziere aller Waffengattungen. Angefangen hatte alles 1922, nein, eigentlich mit dem 1. Weltkrieg. Das Grauen des Krieges 1914/18 war tief in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt und so beschloss die französische Regierung Anfang der zwanziger Jahre nach Wegen zu suchen, die es für immer ausschließen würden, jemals wieder vom Nachbarn Deutschland überfallen zu werden. Ein Komitee wurde gegründet und nach jahrelangen Beratungen stand fest: Die „Grande Nation“ baut einen Befestigungsgürtel, der sich von Menton über die Alpen, dann durchs Elsass über Lothringen hinauf bis zur belgischen Grenze erstrecken soll. Der nach dem es dann benannt wurde, André Maginot, hatte in all den Jahren der Vorbereitung, gemeinsam mit dem damaligen Kriegsminister Paul Painlevé immer aus politischen, ökonomischen und diplomatischen Gründen auf eine defensive Variante gedrängt: Wie ein Wellenbrecher sollten sich die Festungen der Maginotlinie möglichen Angriffen der Deutschen entgegenstemmen. 1930 wurde der Bau des perfektesten Festungssytems, das Frankreich jemals realisiert hat, begonnen. Zugleich ein Werk militärischer Baukunst, das seinesgleichen sucht. Die Grenze war in 25 Sektoren eingeteilt, sie hatten unterschiedlich starke Befestigungsanlagen, der deutsch-luxemburgische Teil war der stärkste, darunter Hackenberg. Gebaut haben es überwiegend Ausländer: Italiener, Polen, Jugoslawen. Eine Million 600 000 Quadratmeter dehnen sich die Kasematten und Versorgungsräume unter Wald und Gestrüpp in der Nähe von Veckring aus. Unter anderem 9 Kanonen, 5 Haubitzen, 4 Mörser unter versenkbaren Kuppeln, 32 Mörser unter Panzerkuppeln, 27 Maschinengewehre und 128 Granatwerfer konnten in einer Minute 4 Tonnen Munition 15 abfeuern. Nachschub kam aus dem Munitionsdepot, das heute den Eingang zu dieser Anlage bildet. Wollten Sie immer schon mal ein Kraftwerk der 30er Jahre sehen, voilá, Hackenberg kann auch das bieten. Ohrenbetäubender Lärm empfängt uns, als wir um eine Ecke biegen. Einer der Originalgeneratoren ist am Arbeiten. Ähnlich ohrenbetäubend muss es in den Schlafräumen der Mannschaft nachts zugegangen sein. Bei der Akustik, die hier herrscht, ist wohl jeder Kamerad, der nicht schnarchte, ein Gottesgeschenk gewesen. Apropos, Kameradschaft muss groß geschrieben worden sein. Auch wenn die beschriebenen Ausmaße gigantisch erscheinen, für das tägliche Leben war der geringste Raum vorgesehen. Die Pritschen in den Unterkünften waren sicherlich nicht für Männer mit Gardemaß gedacht. Diese Kaserne ist erst an letzter Stelle gebaut worden. Viel kleiner als ursprünglich gedacht. 25 Unterkünfte sollten es sein, 9 wurden es dann nur, weil Kredite ausblieben. Und dann ist auch noch die Besatzung um 50 Prozent stärker ausgefallen als ge16 plant. Drei Monate konnten die Männer ohne Nachschub von außen in der „Unterwelt“ verbringen. Nicht mal Zahnschmerzen sollten sie daran hindern. Eine furchterregend aussehende Zahnarztpraxis gehört auch zur Einrichtung. Nach dem Besuch des Lazaretts erreichen wir nach über einer Meile Block 9. Ein Gewehrturm mit zwei 135 mm Geschützen hebt, senkt und dreht sich, wie geschmiert, so als ob alles gerade erst installiert worden wäre. Daneben steht eine 135 mm Howitzer. Luft, Licht und Sonne erwarten uns oberhalb besagter Wendeltreppe. Der Blick übers Land ist atemberaubend. In der Ferne schimmern die Kuppeln von Cattenom. Ich ernte Protest von meinen Freunden, als ich murmle, dass ich einfach nichts bedrohliches daran finden kann. Mehr Gänsehaut hat mir „dieses Hauptwerk militärischer Baukunst“ bereitet. Seiner Faszination aber konnte ich mich dennoch nicht entziehen. Silvia Hudalla Kontakt Amifort Veckring 57920 Veckring Tel: 0 03 33 - 82 82 30 08 – nur dienstags und freitags zwischen 17.00 und 18.30 Uhr besetzt Öffnungszeiten Samstag und Sonntag von 14.00 bis 15.30 Uhr, Führung in deutscher Sprache um 14.30 Uhr für einzelne Touristen, jeden Tag für Gruppen von mehr als 25 Erwachsenen oder 40 Schüler nach Voranmeldung Anfahrtsweg Hackenberg liegt oberhalb des Dorfes Veckring an der D 60, etwa 15 km von Thionville oder 30 km nordöstlich von Metz. heo Lukas hat ’ne Farm und eine stattliche Anzahl Rinder. Er wirkt ganz friedlich, aber das mag täuschen. Denn manchmal muss er sich abreagieren. Wenn das über ihn kommt, sagt er, dann geht er in die Werkstatt und nimmt sich ein besonders restaurierungsbedürftiges Stück vor, einen heruntergekommenen Ofen oder eine Takenplatte, auf der kein Gusseisen mehr durch den Rost schimmert. Theo Lukas heißt in der ganzen Gegend nur Ofen-Lukas, denn gusseiserne Öfen bestim- T Tage dauert es allein, den alten Mörtel abzuklopfen, bevor der Boden verlegt werden kann. Diese Ecke des Speichers wird zur Stube mit vielen Nähmaschinen und allem, was sonst noch so dazu gehört. Zum Beispiel ein anscheinend uraltes Eisen, mit dem die Eigentümerin des Holzfußbodens bis zu ihrem Tod letztes Jahr noch gebügelt hat. Brigitte Lukas möchte in einer etwas dunklen Ecke eine historische Lampe anbringen? Theo entdeckt in seinem Kopfverzeichnis ein Die heißeste Frau von Hüttingen... 5 ...heizt das Ofen- und Eisenmuseum men sein Leben. Schon seit über 20 Jahren sammelt er alles, was ihm interessant scheint, viel Kleinzeug, das niemand haben will, und mit dem er erst mal gar nichts anfangen kann. Heute kommt es ihm zugute, irgendwie kriegt er jeden Ofen, jede Maschine, jeden Herd, den er auf Flohmärkten oder in alten Häusern findet, mit alten Teilen restauriert. In seinem Kopf ist das Verzeichnis, was er wo aufbewahrt; niemand außer ihm würde sich in Werkstatt und Lager zurecht finden. Um die 300 Öfen besitzen der Ofen-Lukas und seine Frau Brigitte schon, doch das ist nur ein kleiner Teil ihres Schatzes. Insgesamt 8.000 Stücke hat Theo Lukas restauriert, etwa ein Viertel davon ausgestellt. Das Museum erstreckt sich über mehre Teile der ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Hofes. Jeder Raum ist historisch eingerichtet. Denn Theo Lukas ist nicht nur ein Ofen-, sondern überhaupt ein Handwerker-Lukas. Der Getreidespeicher mit dem kalten Betonboden soll ausgebaut werden? In einem Haus im nahen Luxemburg nimmt er einen alten Holzfußboden von 1897 heraus und bringt ihn auf seinen Speicher. Dazu schlichte schwarzweiße Fliesen von Villeroy und Boch, vier 17 altes Brett, das nur darauf gewartet hat, diese Lampe zu halten. Seine Frau versteht sich genau so gut darauf, behutsam zu restaurieren. Mitten in der Führung durch ihr Museum fragt sie die Besucher, ob ihnen etwas an den Gardinenstangen auffällt. Holz, mehr fällt keinem ein. Die Gardinenstangen hat sie aus Dreschflegeln hergestellt, die sie auf dem Hof ihres Mannes gefunden haben. Und die Gardinen aus altem Leinen, ebenfalls vom Hof. Man darf nur sehr langsam durch dieses Museum gehen, damit einem kein Detail entgeht. Die Lukas haben ihre Stücke nach etwa 20(!) Themen geordnet: Eine Ecke bietet eine alte Schusterei, eine andere ein Stückchen Klassenzimmer. Es gib eine Wäscherei, eine Zimmeranordnung wie in einer alten Kemenate, eine Kinderecke und eine komplette Küche, in der sogar manchmal richtig gekocht wird. Eine Kaffeerösterei mit original geschmuggel18 tem Kaffee aus der Kriegszeit, gefunden in Luxemburg. Eine Näherei mit einem elektrisch beleuchtbaren Stopfei, erfunden von Konrad Adenauer. Viele Besucher haben dem Ehepaar Lukas schon gesagt, sie müssten ihr Museum eigentlich umbenennen. Aber wie? Wenn überhaupt, dann „Historisches Museum in der Eifel“; alles andere wäre viel zu bescheiden. Ofen-Lukas findet, alles habe irgendwie mit dem Heizen zu tun; also bleibt es bei Ofenund Eisenmuseum. Jedes Stück im Museum ist voll funktionstüchtig, seit Ofen-Lukas es restauriert hat, und das ist einer der Gründe, warum es so gemütlich ist. In jedem Raum ticken die Wand- oder Standuhren, brennen die alten Lampen. In der Küche strahlt ein tonnenschwerer Gussofen behagliche Wärme ab: „Die heißeste Frau von Hüttingen“ wird sie von Ofen-Theo genannt, denn das Abzugsrohr ist eine Mädchenfigur. Sogar dem 19 mit das Essen schneller gar wurde.) Ofen-Lukas will sein Museum erweitern. Nächstes Jahr wird er 50, und dann soll mindestens ein weiteres Geschoss ausgebaut sein. Bisher müssen sich auch größere Gruppen in der (Museums)Küche drängen, wenn die Gastgeber einen hauseigenen Apfelschnaps servieren; bald soll es ein Museumscafé geben. Wenn alles ausund umgebaut ist, muss Ofen-Lukas sich eine neue Herausforderung suchen. Vielleicht sollte er dann die Geschichten der einzelnen Stücke aus seinem Kopfverzeichnis herausholen und aufschreiben. Oder doch mal Urlaub machen. So etwas gibt es bei den Lukas nämlich nicht. Immerhin, zu ihrer Silberhochzeit sind sie mal weggefahren. Einen Tag. s ist schon eine kleine Zeitreise. Wenn man unter dem Dach des Hauses für Dorfgeschichte angekommen ist, vorbei an alten Eggen und Butterfässchen, einem bäuerlichen Schlafzimmer und einer Schusterwerkstatt, steht man plötzlich in einem kleinen ländlichen Friseursalon. Zwei Spiegel mit Waschbecken, davor zwei höhenverstellbare Sitze aus dunklem Holz mit Nackenstütze. Das Leder ist schon ziemlich mitgenommen, aber die Mechanik funktioniert noch. Stolz führt Alfons E Wack die Ausstellungsstücke seiner Sammlung vor. Der Friseurmeister aus Fechingen vermutet, dass eine der Nackenstützen vielleicht sogar schon hundert Jahre auf dem Buckel hat. Noch älter ist das BarbierBecken, das traditionelle Symbol für das Friseurhandwerk: aus Zinn ist es, geformt wie ein Suppenteller, mit einer Aussparung für den Hals des Kunden. Damit er sich nicht bekleckerte, wenn er rasiert wurde. Wenn das Becken draußen vor dem Geschäft hing, be- Wer schön sein will... 6 Das Friseurmuseum im Haus der Dorfgeschichte von Bliesmengen-Bolchen Sabine Janowitz Grammophon, das ausnahmsweise ein bisschen zusammenhanglos in einer Ecke steht, kann man Töne entlocken. Wenn irgendwann noch das Thema „Schlafzimmer“ dazu käme, könnte man glatt hier einziehen. (Allerdings nicht ohne eine Putzhilfe.) Man fragt sich wirklich, wie die Lukas das alles nebenberuflich bewältigen. Er arbeitet als Landwirt, sie in einer Brauerei. Manches seiner Stücke erfordert Hunderte (!) von Arbeitsstunden; ihr Museum ist jedes Wochenende und an jedem Feiertag geöffnet. Sie laufen zwar nicht mehr tage- und nächtelang auf allen Flohmärkten von Trier bis Brüssel herum, so wie früher, doch Arbeit bleibt genug. Theo Lukas will sogar noch einen Zahn zulegen. (Diese Redewendung hat Brigitte gerade den Besuchern vor dem Kamin erklärt: Wenn man früher „einen Zahn zulegte“, so bedeutete es, den gusseisernen Topf, der an einer sogenannten Kaminsäge hängend über dem Feuer schwebte, einen Zahn tiefer aufzuhängen, da20 Kontakt Brigitte und Theo Lukas Am Römerberg 10, 54675 Hüttingen-Lahr Tel: 0 65 66 - 85 42 [email protected] www.ofen-und-eisenmuseum.de Öffnungszeiten ganzjährig! Freitags, samstags, sonntags, feiertags 14-18 Uhr Eintrittspreise 2,50 €, incl. Führung (rund 1,5 Stunden!!!); Kinder ab 6 Jahre 1 € Anfahrtsweg ca. 160 km, ca. 2 Std. Autobahn oder Landstraße bis Trier, ab B51 Richtung Bitburg, dort links Richtung Vianden oder Sinspelt (B 50) Oder romantischer: an der Sauer entlang fahren bis Körperich, dann rechts ab nach Hüttingen 21 deutete das in alten Zeiten für den Kunden: das Wasser ist warm, der Bader ist bereit. Der Besucherin bleibt kaum Muße, um von diesen historischen Schmuckstücken beeindruckt zu sein. Im alten Salon sind nämlich furchteinflößende Gerätschaften aufgebaut, bei denen man eher an Folterinstrumente als an Handwerkszeug denkt. Und schon gar nicht an Handwerkszeug für so filigranes Material wie Haare. Zum Beispiel ein Exemplar der ersten Generation von Trockenhauben. Eine sogenannte Zehn-Finger-Haube: zehn fingerdicke Metall-Rohre, die den Kopf der Kundin umschließen. Oder ein Gerät mit unendlich vielen Kabeln, an denen Metallrollen hängen. „Das ist einer der allerersten elektrischen DauerwellApparate“, erklärt Alfons Wack und fügt stolz hinzu: „Innenbeheizt!“ Die Locken wurden auf das Metall gewickelt, dann wurden elektrische Kabel angeklemmt. Ganz schön schwer für die 22 Trägerin und auch nicht sehr schmeichelhaft – mit der Verkabelung sah sie aus wie eine Probandin im Labor für Gehirnforschung. „Das war schon eine Tortur“, sagt der Friseurmeister. Und das mit dem Strom war auch nicht ganz ungefährlich. „Da musste man gut aufpassen, dass man die Kabel auch richtig angeschlossen hat“, so Alfons Wack, „sonst machte es ‚ssshht‘ und die Locke war weg.“ Aber das sei sicher nur ganz, ganz selten passiert. Wack selbst hat diese Dauerwell-Methode nicht mehr praktiziert. Sie stammt aus den 20er Jahren. Er hat in den 50er Jahren gelernt. Nach seiner Meisterprüfung 1960 hatte er 33 Jahre lang einen Salon in Brebach-Fechingen. Den hat er mittlerweile an seine Nachfolgerin übergeben. Aber so ganz kann er es nicht lassen. Noch heute schneidet er dort jeden Dienstag den Stammkunden die Haare. Er ist eben Friseur aus Leidenschaft. Ein Drittel der Sammlung, die im Haus der Dorfgeschichte untergebracht ist, hat der Figaro selbst zusammengetragen. Den Rest bekam er von Kollegen geschenkt. Nach einem Interview auf SR3 Saarlandwelle konnte er sich vor Zusendungen und Anfragen gar nicht retten. Und so sind hunderte von Stücken zusammengekommen, gezählt hat er sie nie. Viel Technik ist zu sehen: Föne in den bizarrsten Formen, Bartschneidemaschinen und immer wieder ganz unterschiedliche Geräte, um den scheinbar größten Wunsch jeder glatthaarigen Frau zu erfüllen: Locken. Aber in der kleinen Ausstellung geht es nicht nur um Damen- und Herrenfrisuren, sondern auch um das Zweithaar – die Perücke. Hier kann man auf die Werkbank des Perückenmachers blicken, englische, deutsch-einfache und deutsch-doppelte Tressen unterscheiden lernen. Und ein Perückenkopf wird immer auch die neueste Frisurenmode zeigen. Regelmäßig neu geknüpft, nur für das Museum. Vor lauter beeindruckendem Gerät und nostalgischer Einrichtung könnte man fast eine der größten Kostbarkeiten der Sammlung übersehen: eine Uhrenkette und eine Brosche aus Menschenhaar. Eine Liebesgabe aus dem 18. Jahrhundert. Kaum vorstellbar, wieviel Stunden Arbeit dafür aufgebracht worden sein müssen, aus einzelnen Haaren derart fein ziselierte Schmuckstücke zu knüpfen. Richtig schwer liegt die Uhrenkette in der Hand. Alfons Wack hängt sie behutsam zurück in das verschlossene Glasschränkchen. Er ist froh, mit seiner Sammlung einen Platz im Haus der Dorfgeschichte in Bliesmengen-Bolchen gefunden zu haben. „Wir wollen hier nicht nur die traditionelle landwirtschaftliche Arbeit unserer Region zeigen“, erklärt Erwin Flieger, der Leiter des Museums, „sondern auch das Handwerk.“ Und so findet sich neben der Schusterwerkstatt eben auch ein Friseursalon. Ganz so wie auf der Dorfstraße in alten Zeiten. Sonja Schäfer Kontakt Haus der Dorfgeschichte, Erwin Flieger Bliestalstr. 67, 66399 Mandelbachtal – Bliesmengen-Bolchen Tel: 0 68 04-65 78 Öffnungszeiten Jeden dritten Sonntag im Monat 14 – 18 Uhr und nach Vereinbarung Wer Details über das Friseurmuseum wissen möchte, eine Spende hat, oder gerne eine Führung hätte kann sich an Friseurmeister Alfons Wack wenden. Tel: 0 68 71-89 55 Eintrittspreise Eintritt frei Anfahrtsweg Die Bliestalstraße ist die L 105, die durch Bliesmengen-Bolchen führt. Das Haus der Dorfgeschichte liegt hinter dem Haus mit der Nummer 67 – war früher die dazugehörige Scheune. 23 ie Oberlingers aus Windesheim an der Nahe sind die älteste Familie von Orgelbauern, die noch im Dienst ist. Seit 1760 werden dort im Naheland Orgeln gebaut, die weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt sind. Und die Oberlingers haben auch schon immer alte Instrumente restauriert, oder aber auch in Zahlung genommen. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich da so einiges angesammelt. Darunter auch viele wertvolle historische Instrumente. Doch die standen bloß rum, D konnten niemanden erfreuen und verkümmerten auf dem Dachboden oder im Keller. Das kann so nicht weitergehen, sagte sich eines Tages Wolfgang Oberlinger, ein Ur...enkel des Gründervaters Oberlinger. Wie dieser ist auch Wolfgang Oberlinger Orgelbaumeister, aber er hat noch einen zweiten Beruf: Architekt. Naheliegend also, dass er auf die Idee kam, für die vielen historischen Instrumente ein eigenes Haus zu bauen: ein Orgelmuseum. Bloß, alleine war das nicht zu schaffen. Die Oberlingers Gott zu Ehren, dem Menschen zu Genuss ... 7 Das Orgel ART Museum in Windesheim 24 brachten schon sehr viel Eigenleistung ein: das Gelände, den Entwurf und vor allem: die Füllung, die Instrumente also, um die es ja letztendlich geht. Die Oberlingers brauchten Mitstreiter und nach vielem Klinkenputzen waren die auch gefunden. Gemeinde, Kreis und Land machten mit und unter dem Motto Tourismusförderung entstand so das Orgel Art Museum Rhein-Nahe in Windesheim. Der Grundriss des Gebäudes erinnert an eine klassische Orgel. Im Inneren nimmt sich das Gebäude ganz zurück, die Instrumente stehen im Vordergrund. Und damit die so richtig zur Geltung kommen, spielt indirektes aber natürliches Licht im Orgel Art Museum eine große Rolle. Von oben flutet das Licht regelrecht an den Wänden vorbei und trifft ganz weich auf die Instrumente. Und von den Seiten zum Innenhof hin sind Holzjalousien vor den Scheiben, so entsteht Streulicht. Die Ausstellung beginnt mit einem der ältesten Instrumente, die in der Literatur erwähnt werden: einem gotisches Positiv nach dem Gemälde des Genter Altarbildes von Jan van Eyck. Die Oberlingers hatten vor langer Zeit mal den Auftrag erhalten, dieses Instrument zu rekonstruieren. Von dort aus beginnt die Zeitreise durch die Geschichte der Orgeln und der besaiteten Tasteninstrumente. Deren technische Entwicklung wird nahezu lückenlos dokumentiert und obendrein wird dabei auch deutlich, dass Orgel- und „Clavier“-Bau bis zum 18. Jahrhundert eng miteinander verbunden waren. Was die alten Exponate angeht, so gilt der Grundsatz: Je kleiner, desto wertvoller. Da ist zum Beispiel ein ganz kleines Instrument, das sogar unter den Arm passt, 20 Zentimeter breit, 80 cm lang und nur 6 cm hoch, kleiner also als ein Keyboard heutzutage. Um das spielen zu können, brauchten die Musiker früher einen Kalkanten, einen Menschen also, der die 25 Bälge hochzog oder mit den Füssen bediente. Adlig geht es auch zu im Orgel ART Museum der Oberlingers in Windesheim. Die Orgelbauerfamilie hatte nämlich einmal den Auftrag, ein berühmtes Instrument aus dem schottischen Königshaus zu restaurieren. Halb Orgel, halb Cembalo ist das, einzeln oder zusammen bespielbar. Und zum Dank durften die Oberlingers dieses Instrument kopieren, auch vom Äußeren her, und so befindet sich in Windesheim an der Nahe nun ein Duplikat aus dem Schloss von Edinburgh in Schottland. Schließlich gibt es auch noch ein Modell, an dem gezeigt werden kann, welche Mechanik in jeder Orgel sein muss, damit die überhaupt klingt. Verschiedene Ventile, verschiedene Möglichkeiten, die aufzuziehen, es gibt Pfeifen und aus denen kommen auch Töne. Anders als in den meisten Museen gibt es im 26 Orgel ART Museum aber nicht nur Historisches zu bestaunen. Auch ganz modern gestylte Instrumente sind dort aufgestellt und die Besucherinnen und Besucher können selbst vergleichen, wie Orgeln früher gebaut wurden und wie heute. Edelstahl spielt heute eine große Rolle und Intarsien aus verschiedenen Hölzern stehen hoch im Kurs. Früher waren es meist Blattgold-Verzierungen und Schnitzereien. Auch wenn Sie bislang wenig oder gar keine Ahnung von Orgeln hatten, nach Ihrem Rundgang durch dieses Museum werden auch Sie wissen, was sich dahinter verbirgt, wenn eine Orgel vorder- oder hinterspielig ist. Oder gar seitenspielig, wie jene Stummsche Orgel aus dem Jahre 1720, eines der Prunkstücke im Konzertsaal des Museums. Am sogenannten Nonnen-Positiv können Sie lernen, dass in Klosterkirchen oft hinterspielige Orgeln verwendet wurden. So konnten die Nonnen in der Kirche Musik machen, ohne selbst gesehen zu werden. Und Sie werden wahrscheinlich ziemlich Achtung haben vor den Menschen, die früher dafür sorgten, dass aus diesen Orgeln überhaupt Töne kamen, vor jenen Menschen also, die die Balganlage, die Windlade oder Windbretter in Bewegung hielten. Es ist nämlich gar nicht so einfach, diese Instrumente zum Klingen zu bringen, mancher kommt dabei heutzutage mehr ins Schwitzen als beim Fitnesstraining. Und Gottesdienste dauerten früher richtig lange. Über die Empore des Konzertsaals geht es zu den Saiteninstrumenten. Nach all den Orgeln wirken die richtig klein, aber auch sie haben ihre Geschichte zu erzählen. Da ist zum Beispiel ein Fortepiano - der Beginn des Klaviers, bei dem die Saiten angeschlagen werden und ein kräftiger Klang entsteht, anders also als bei den Clavicorden, die noch ganz zart klangen. Spinette gibt es natürlich auch, ein Tafelklavier, der Vorläufer der Konzertflügel, ein aufrecht stehendes Liraklavier mit langen Seiten. Alles Originale, die auch den Übergang vom Holz zum Gussrahmen zeigen. Auch Klaviere konnten früher reich verziert sein, zum Beispiel gebaut von der Firma Mand aus Koblenz für Fürsten etwa oder sehr reiche Winzer. Das jüngste und letzte Exponat in diesem Bereich ist ein Colani-Klavier, extravagant wie sein Designer. Die Seiten können aufgeklappt werden und haben spezielle Halterungen für Bier oder Whisky - schließlich hat er ja auch mal Durst, der Mann am Klavier. Bald schon will das Orgel ART Museum in Windesheim nicht nur in seinem Innern zu ei27 ner Zeitreise durch die Geschichte des Orgelund „Clavier“-Baus einladen. Über eine Außenorgel soll es Open Air Konzerte in die Weinberge der Umgebung geben, die Voraussetzungen dafür sind schon geschaffen. Und am Teich soll ein klingender Garten für Kinder entstehen. Bis dahin gibt es erst einmal Kunst im Innenhof, genannt Hofkunst, mit heimischen Künstlern und viel Musik - ganz wie es sich gehört, in einem Orgel-Museum der etwas anderen ART. Kontakt Orgel ART museum rhein-nahe Hauptstraße 52 55452 Windesheim Tel: 0 67 07 - 9 11 44 [email protected] www.orgel-art-museum.de Öffnungszeiten Di-So 11 bis 18 Uhr, montags geschlossen Eintrittspreise Ulli Wagner 4 €, ermäßigt 2,50 €, Kinder unter 6 Jahren frei, Familienkarte 10 € Kirchengeschichten Anfahrtsweg Am kürzesten und am schönsten ist die Fahrt über die B 41 über St. Wendel, Idar-Oberstein und Kirn Richtung Bad Kreuznach. An der Ausfahrt Rüdesheim/Kreuznach-West auf die L 236 Richtung Roxheim. Dann über Hargesheim nach Windesheim. Wer ganz schnell fahren und Umwege in Kauf nehmen will, der kann auch die Autobahn nehmen: das Orgel Art Museum liegt an der A 61 nördlich vom Nahetaldreieck bei Bingen, Abfahrt Waldlaubesheim/Windesheim/Autobahnkirche und ist auf der Autobahn bereits ausgeschildet 28 29 as waren noch Zeiten: Die Kirche brechend voll, ja „fast die Hälfte der Gottesdienstbesucher musste bei Wind und Wetter draußen vor der Kirche der heiligen Messe beiwohnen. Ein unhaltbarer Zustand“, beschreibt der Lehrer und Ortschronist HansJosef Barth aus Nonnweiler die Lage Ende des 19. Jahrhunderts. Die alte Kirche war nicht nur zu klein, sie war auch baufällig. Und die Bevölkerung in Nonnweiler und den umliegenden Hochwalddörfern war stark ange- D wachsen und verlangte nach einem neuen Gotteshaus an alter Stelle. Also wurde im März 1900 die alte Kirche aus dem Jahre 1787 abgerissen und an gleicher Stelle die heutige Pfarrkirche St. Hubertus errichtet. Ein beeindruckendes Gemeinschaftswerk aller Gläubigen. Die Familie von Beulwitz, Eigentümer des Eisenwerkes Mariahütte und damit größter Arbeitgeber der Region, gab ein erkleckliches Sümmchen für den Neubau. Und erhielt für einen zusätzlichen Obulus di- „Ihr wollt wohl eine Kathedrale bauen!“ 8 Der „Hochwald-Dom“ in Nonnweiler - und sein „Schlüssel-Erlebnis“ rekt hinter der neuen Kirche auch eine Familienbegräbnisstätte, die heute noch dort zu finden ist. Aber auch die einfachen Leute spendeten kräftig oder legten sich selbst ins Zeug. Sie brachen Steine für die Kirche im Steinbruch am Kahlenberg und transportierten sie mit ihren Pferdefuhrwerken zum Bauplatz. Auch das Bauholz wurde selber geschlagen und aus den Wäldern herangekarrt, so dass die Handwerker „nur noch“ alles zu einer Kirche auftürmen mußten. „Die Nonnweiler wollen wohl eine Kathedrale bauen“, bemerkte in einer Mischung aus Anerkennung und mildem Spott der Bischof von Trier angesichts der stattlichen Ausmaße der neuen Kirche. Zumindest im Volksmund ist tatsächlich ein Dom draus geworden – der Hochwald- oder Hubertus-Dom. Am 17. August 1902 war das Werk vollendet. Der erste Gottesdienst fand statt und anschließend, wie es sich gehört, ein großes Volksfest. Rund ein Drittel der Bausumme hatten die Nonnweiler Bürger durch Eigenleistung und Spenden finanziert, kein Wunder, dass auch heute noch eine enge Verbundenheit der Bevölkerung mit „ihrem Dom“ zu spüren ist. Eine Verbundenheit, die freilich auch mit dem Kirchenpatron 30 zu tun hat, der schon Jahrhunderte zuvor die Gegend und ihre Bewohner geprägt hat: St. Hubertus. Im Inneren der Kirche ist er gegenwärtig im Hauptaltar: Im linken Flügel ist die berühmte Szene der Bekehrung des Heiligen während einer Jagd in den Ardennen dargestellt. Seine Begegnung mit dem Hirsch, der ein Kreuz in seinem Geweih trägt. Sie macht aus dem adligen Lebemann, Sohn des Herzogs von Toulouse, im 7. Jahrhundert erst einen Einsiedler, dann einen Missionar, der vor allem in den Ardennen zur Legende wurde. Aber nicht nur dort ist er populär geworden und geblieben als Patron der Jäger und des Wildes. Im rechten Altarflügel schließlich ist seine Ernennung zum Bischof von Tongern durch Papst Sergius dargestellt, ebenfalls als Halbrelief aus Holz, geschaffen von dem Trierer Bildhauer Karl Frank. Bekannte Motive, die in vielen Hubertus-Kirchen zu finden sind. Einzigartig sind jedoch die zwei Nonnweiler Hubertus-Insignien, die in einem Schrein im rechten Seitenschiff aufbewahrt werden: Zum einen das silberbeschlagene „HubertusHorn“, angeblich aus dem Horn eines irischen Ochsen gefertigt. Der Heilige Hubertus, so will es die Orts-Legende, soll es beim Jagen im Hochwald verloren haben. Sicher ist nur: es ist schon sehr alt. Eine lateinische Inschrift erwähnt einen Nicolaus Clincius, Pastor der hiesigen Kirche Anno 1182. Ursprünglich war es wohl ein Jagdhorn, um 1500 umgewandelt in ein Trinkhorn, das seither von jedem neuen Pastor, der nach Nonnweiler kommt, beim Amtsantritt einmal benutzt werden darf, so auch vom amtierenden Pfarrer Hermann Josef Floeck, dem die Ehre 1997 zuteil wurde. Kulturgeschichtlich noch interessanter ist jedoch das zweite Stück in der Vitrine, der sogenannte „Hubertus-Schlüssel“. Ein Eisenstab mit Holzgriff, am anderen Ende ist ein Ring mit einem Kreuz darin angeschweißt. Dieser Stab wurde einst glühend gemacht und zur 31 Behandlung von tollwütigen Tieren, meist Kühen und Rindern, aber auch bei Menschen eingesetzt. Die befallenen Bisswunden wurden mit dem glühenden Eisen ausgebrannt, was zwar sehr schmerzhaft war, aber dennoch zu Heilungserfolgen führte. Diesem durchschlagenden „Schlüssel-Erlebnis“ verdankt Nonnweiler auch seinen Ruf als Wallfahrtsort, der vier Jahrhunderte Bestand hatte und vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts in voller Blüte stand. Um die 4000 Menschen pilgerten da jährlich in den Hochwald, um sich und ihr liebes Vieh „gesundbrennen“ zu lassen. „Natürlich wurde um das ‚Ausbrennen‘ eine Zeremonie herumgebaut“, schreibt wieder Hans-Josef Barth. „Der Kranke musste neun Tage lang fasten, durfte nur geweihtes Wasser und gesegnetes Brot zu sich nehmen und um die Hilfe des Hl. Hubertus und dessen Fürbitte bei Gott beten.“ Dennoch verbot das Bischöfliche Generalvikariat 1820 schließlich die Anwendung des Hubertus-Schlüssels und die Wallfahrten nach Nonnweiler, obwohl (oder weil?) schließlich sogar „Evangelische“ heimlich den heilenden Hubertus-Schlüssel ausgeliehen haben. Schade drum, schließlich beruhten die Heilungen hier mal nicht auf obskuren Wundern, sondern auf medizinisch anerkannten Methoden! Ein bisschen „Kult“ ist aber dennoch geblieben in Nonnweiler. Zumindest einmal im Jahr, am ersten Sonntag nach dem Hubertus-Tag am 3. 32 November. (2003: 9. Nov.) Da wird ein feierliches Festhochamt zu Ehren des Heiligen im Hochwald-Dom zelebriert, zu dem Jäger aus Nah und Fern kommen. In schmucker Montur, zu Fuß, zu Pferde und im Geländewagen. Da erschallen im langen, lichten Schiff der neogotischen Kirche die Jagdhörner, und St. Hubertus im Hauptaltar bekommt leuchtende Augen angesichts der großen frommen Jägerschar, die sich versammelt hat zu seinen Füßen... Wolfgang Felk vioth liegt im extremen Norden des Départements Meuse in Lothringen. Genauer gesagt: hinter Luxemburg, kurz vor Belgien. Noch genauer gesagt: Kommt man vom belgischen Arlon herunter, wird die Gegend zusehends rauer, die Häuser geduckter, hier und da blitzen die Reste niederländisch-spanischen Reichtums auf, die Straßen werden schmaler, die Vögel, die Autos offenbar nicht gewöhnt sind, stieben erst gar nicht auf, Hunde bellen am Straßenrand die Reifen an. A Schaurig-schön 9 Die gotische Basilika von Avioth Kontakt Hans-Josef Barth Trierer Str. 17 66620 Nonnweiler Tel: 0 68 73-72 01 oder Kath. Pfarramt Nonnweiler Trierer Str. 3 Tel. 0 68 73-2 84 Öffnungszeiten Kirche ist außer zu Gottesdienst-Zeiten in der Regel geschlossen,Schlüssel im Pfarramt erhältlich von 9-12 und 15-18 Uhr Anfahrtsweg A1, Abfahrt Nonnweiler, Kirche prangt unübersehbar in der Ortsmitte (Trierer Straße) Ein paar Traktoren balancieren riesige Strohballen. Die Häuser verlieren sich, die Gegend wird vollends unwirtlich. Sie denken, die Erde ist in Wirklichkeit doch eine Scheibe und gleich fallen wir runter – da baut sich hinter einem Hügel eine gigantische Kathedrale auf. DAS ist Avioth. Avioth, das ist eine gotische Basilika, gebaut zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, umringt von fünf bis 20 Häusern, keine Kneipe (das wäre im Saarland nicht passiert). Montagmorgen, der Platz vor der Kirche liegt verwaist, nur die Kirchentauben künden von Leben. Wie kommt eine solche Kathedrale mitten in ein Nichts aus Wiesen, Büschen und Feldern? Büsche, das ist das Stichwort für Nathalie Grudman, eine Pariserin, die es vor Jahren in diese raue Ardennenlandschaft verschlagen hat. Sie ist Fremdenführerin aus Leidenschaft. Leuchtenden Auges erzählt sie, dass Schäfer in den Feldern eine Schwarze Madonna gefunden hätten. Das vor fast 900 Jahren. Dazu muss man wissen, dass der Schwarze-Madonna-Mythos auf heidnische Ursprünge zurück geht. Eigentlich geht es um eine Muttergottheit, die sozusagen christianisiert wurde. Der Schwarzen Madonna, die 33 heute übrigens weiß ist, wurden heilende Kräfte zugeschrieben. Aber nicht nur das. Sie konnte Tote zum Leben erwecken. Makaberschaurig: Von weither brachten die Menschen ihre tot geborenen Kinder. Ungetauft wären sie dem ewigen Fegefeuer anheim gefallen. Die Schwarze Madonna sorgte dafür, dass sie sich noch einmal bewegten, dass ihnen doch noch eine Träne über die Wange lief. Damit galten die Babys kurzfristig als lebendig und konnten getauft ins Himmelreich gelangen. Was der mittelalterliche Mensch nicht wusste: Nach der Totenstarre wird der Körper wieder beweglich. Lebendig wurden die Kinder also keineswegs wieder, auch nicht für einen kurzen Moment. Dort, wo die Schäfer die Schwarze Madonna angeblich gefunden hatten, wurde die erste, romanische, Kapelle gebaut. Davon ist heute recht wenig übrig. Fest steht, dass sie nicht die Form eines lateinischen t‘s hatte. Die gotische Basilika hat ein hohes Mittelschiff und zwei 34 kleine Seitenschiffe. Es gibt ein paar Kapellen von reichen Stiftern, einen Rundgang um den Altar, gebaut für Mönche und später Nonnen, die niemals einziehen sollten und andere Geheimnisse mehr. Es findet sich kein Zugang zu einer Krypta, doch es ist offensichtlich, dass es eine geben muss. Der Nordturm der Kirche ist gleichzeitig auch ein Verteidigungsturm. Ein unterirdischer Gang führt von der Basilika ins zehn Kilometer entfernte Zisterzienserkloster Orval (im heutigen Belgien). Einen turmartigen gotischen Tabernakel ziert eine schmiedeeiserne Tür mit einer mysteriösen Inschrift, die bis heute niemand entziffern konnte. Im Rundgang findet sich eine Statue der Heiligen Ursula. Die Französische Revolution hat zwar auch an dieser Stein-Statue ihre Spuren hinterlassen (der linke Arm ist abgeschlagen), eine Besonderheit aber ist nicht den Bilderstürmen der Revolution geschuldet: Der obere Teil des Kopfes, beginnend über den Augen, kann abgenommen werden. Geistig Behin- derte berührte man mit diesem Teil, die Geste sollte Heilung bringen. Eine Besonderheit auch im mittleren Schiff: Der Predigtstuhl aus dem 15. Jahrhundert ist nicht aus Holz, sondern, sehr selten, aus Stein gemeißelt. Es finden sich noch Spuren bunter Farbe und hier zeigt sich, dass der mittelalterliche Mensch seine Kirchen nicht aus nüchternem Stein, sondern farbenprächtig gestaltet hatte. Am 28. April 1180 wird Avioth erstmals in einer Bulle von Papst Alexander III. erwähnt. Zufall oder nicht, 1223 erhält Avioth vom Grafen von Chiny den Freibrief. Mit dem entstehenden Marktflecken bekamen die Bürger die Möglichkeit, recht autonom über ihre kommunalen Finanzen zu verfügen. Die Pilger strömten zahlreich, der Reichtum von Avioth wuchs. Die Geschäftstüchtigkeit zeigt sich auch an einem einzigartigen Bauwerk direkt vor der Basilika: Der „Recevresse“. Da man die Kirche von der Seite betritt, muss man an diesem kapellenartigen Bau vorbei. Die Bauern aus der ganzen Umgebung brachten Geschenke und Opfergaben auf ihrer Pilgerreise mit, die in der „Recevresse“ entgegen genommen wurden – genau das bedeutet auch der Name. Später wurde hier Gericht gehalten. Dieses einzigartige spätgotische Bauwerk muss auch andere Bestimmungen gehabt haben, es steht dort ein steinerner Altar. Genaueres weiß man aber nicht. Schon im 17. Jahrhundert war in Vergessenheit geraten, wozu die „Recevresse“ ursprünglich diente. Als Pranger jedenfalls nicht, auch wenn die schmiedeeiserne Kette mit den Handschellen, die über dem Altar hängt, das vermuten lassen könnte: Ein Kriegsgefangener hatte sie dort hingehängt, nachdem er den Türken entkommen war. Solche Ex-Voto-Objekte müssen früher zuhauf an der „Recevresse“ angebracht gewesen sein. Nicht nur die „Recevresse“, auch Avioth fiel langsam der Vergessenheit anheim, erstaunlicherweise als der Ort beim Pyrenäenfrieden 1659 Frankreich zugeschlagen wurde. Für die zentralistische Pariser Verwaltung war ein Flecken irgendwo im Nordnordosten von Frankreich nicht mehr bedeutsam genug. Aber das ist eine Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden muss. Lisa C. Huth Kontakt Office du Tourisme du Pays de Montmédy Laurence Muller Boîte Postale 28 55600 Montmédy Tel: 03 29 80 15 90 oder 03 29 80 06 35 [email protected] www.montmedy.com oder: users.skynet.be/torgny/Environs_fr/avioth_f.htm Öffnungszeiten Täglich von 7 Uhr bis Mitternacht Eintrittspreise Keine. Eine Führung kostet für 20 oder 40 Personen: 0,76 € bzw. 1,52 € pro Person Führungen nur auf französisch Anfahrtsweg Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange wieder über die Autobahn über Esch-sur-Alzette bis Pétange, von dort ab wieder Landstraße: Aubange, Mussan, Harnoncourt, Ecouvier (Rtg. Montmédy: nach 1-2 Kilometern: dem Schild „Avioth“ (rechts ab) folgen, Ankunft nach weiteren ca. 7 Km. Ca. 170 Km, 2-2,5 h Fahrt, wenn die Autobahn zwischen Schengen und Dudelange fertig ist, schneller 35 Rest ist unsichtbar, geschützt von den Außenmauern. Das erinnert doch an? Ja, mittelalterliche Dörfchen in der Provence, oder wenigstens Vezelay in Burgund. Das ist die erste Überraschung. Die zweite: Hier finden Sie Gotik und das Mittelalter, Renaissance und eine reiche spanisch-lothringische Vergangenheit, eine mystische Legende, fürchterlich viele Gebeine und die Kulisse für einen Film. Es gibt nur eine Zufahrtsstraße für Autos in das Dorf. Wie bei Kommissar Maigret 10 Die spröde Schönheit von Marville enn Sie nach Marville fahren, fahren Sie erst einmal daran vorbei. Sieht es doch auf den ersten Blick aus wie jedes x-beliebige Dörfchen, das links vom Weg auf einer kleinen Anhöhe liegt. Fahren Sie noch einmal zurück, aber nicht in den Ort hinein, sondern ganz gemütlich die Straße entlang und schauen Sie noch einmal genau hin. So sieht eine original mittelalterliche Stadt aus: eine Befestigungsmauer, überragt von Häusern, die ebenfalls noch der Befestigung dienen, dahinter ein Kirchturm, der W 36 Kommen Sie im Frühling, säumen die Straße japanische Kirschblütenbäume. Dahinter blitzen Renaissancefassaden auf. Klein und geduckt sind die Häuser, trotzdem ist ihnen ihre einstige herrschaftliche Pracht anzusehen. Über die beiden großen Plätze hinweg finden Sie zur Kirche St. Nicolas. Sie wird gerühmt als das außerordentlichste Bauensemble im Nordosten Frankreichs: Hier vereinigen sich Gotik und – nicht Romanik, sondern – Renaissance. 1227 begonnen, findet sich in der ersten dreijochigen Brücke des Mittelschiffes noch ursprüngliche Frühgotik. Bis ins 16. Jahrhundert weitergebaut, entwickelt sich die gotische Kunst immer weiter, besonders gut zu sehen an der spätgotischen Auflösung des Marienalters in einer der Seitenkapellen. In der zweiten Brücke finden sich bereits Renaissance-Elemente, ebenso auf der wunderbar durchbrochenen Orgelempore. In der Kirche St. Nicolas ist auch eine seltene Heilige anzutreffen: Die italienische Heilige „Santa Fina“ von Gimignano. Das mag auf die italienischen Einflüsse des „Chevalier Michel“ zurückzuführen sein, jedenfalls gibt es sogar eine Seiten-Kapelle, die der Heiligen Fina gewidmet ist. Eine ungewöhnliche Kapelle in zwei Etagen. Links und rechts führt je eine Treppe auf die Empore. Gut zu sehen: Die Stufen sind überbaut worden. Angeblich sind diese Steinstufen vom „Auf-den-Knien-nachoben-Rutschen“ dermaßen ausgehöhlt worden, dass es irgendwann unmöglich war, darauf nach oben zu gehen. Beim Verlassen der Kirche fällt die unverfälschte Renaissance-Häuserpracht auf: Absolut nichts scheint in den letzten vier Jahrhunderten verändert worden zu sein. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum Marville als Kulisse für einen Maigret-Film von Georges Simenon gewählt wurde. Die Bürger von Marville verweisen heute noch stolz auf einige besonders angemalte Fassaden. Die SimenonKrimis spielen alle in den 60-er Jahren. Für die Kulisse musste fast nichts verändert werden. Die Filme laufen derzeit im französischen Fernsehen, und Marville kommt so wieder zu neuer Berühmtheit. Dass das mittelalterliche Städtchen nie zerstört wurde, hängt auch damit zusammen, dass es über 500 Jahre lang neutral war. Durch Heirat 37 an das Herzogtum Luxemburg und die Grafschaft Bar gefallen, wurde es gewissermaßen zu neutralem Boden. Das war 1270. Damals besaß Marville bereits das Marktrecht. Die Bürger organisierten Finanzen und Verwaltung auf eine damals recht demokratische Weise: Die „40 Männer“, das heißt 40 Familien, wählten jeweils für ein Jahr den Bürgermeister. Wohlgemerkt, in Marville selbst herrschten niemals Adlige, Marville war von Anfang an eine Bürgerstadt. Über Jahrhunderte hinweg funktionierte das System hervorragend, das Städtchen (heute würde man Dorf sagen) wurde immer reicher. Seine Blütezeit erlebt Marville im 16. Jahrhundert, ein Jahrhundert, in dem Eroberungs- und Religionskriege rings um den neutralen Marktflecken tobten. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten Renaissancebauten. 2000 Menschen bevölkerten Marville inzwischen. Dann wüteten aber auch der 30-jährige Krieg und die Pest hier. Schließlich wurde Marville von den Franzosen erobert, im Pyrenäenfrieden 1659 wurde der Flecken endgültig den Franzosen zugeschlagen. Leider vergingen danach Reichtum und Ruhm. Heute findet er sich vor allem in dem außergewöhnlich gut erhalten Bürgerhäusern wieder. Zum Beispiel der Balkon am Haus des „Chevalier Michel“. Die Fresken dieser „Loggia“ aus dem 16. Jahrhundert im italienischen Stil vereinigt das Weltbild des RenaissanceMenschen: Die Bibel (David gegen Goliath), die Antike (die Legende von Pyramus und Thisbe) und das Lokale: der Roman der vier Aymon-Brüder, denen es mit Hilfe eines Magiers gelang, das verzauberte Pferd Bayard einzufangen. Nach zahlreichen Abenteuern beschließt Renaud, einer der Brüder schließlich, nach Köln zu gehen, um dort am Bau der Kölner Kathedrale mitzuwirken. Wenn Sie Zeit finden, fahren sie noch auf den Marville gegenüber liegenden Hügel: Dort 38 sind der Friedhof und die Kirche St. Hilaire (eine wunderbar erhaltene romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert, heute nicht mehr genutzt). Kanadische Gräber erinnern daran, dass ganz in der Nähe eine Nato-Basis war, deutsche Gräber erinnern an die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich, besonders interessant sind aber das Ossuarium aus dem 16. Jahrhundert (mehr als 40.000 Schädel und Knochen wurden in diesem Beinhaus zusammengetragen) und die Renaissance-Gräber – ein regelrechtes Museum der Grabmalkunst aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Natürlich Kultur Lisa C. Huth Kontakt Office du Tourisme du Pays de Montmédy Laurence Muller Boîte Postale 28, 55600 Montmédy Tel: 03.29.80.15.90 oder 03.29.80.06.35 [email protected] www.montmedy.com oder: www.cr-lorraine.notaires.fr/meuse/circuit2.htm Öffnungszeiten Keine, immer zu besichtigen Eintrittspreise Keine. Eine Führung kostet für 20 oder 40 Personen: 0,76 € bzw. 1,52 € pro Person Anfahrtsweg Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange wieder über die Autobahn über Esch-sur-Alzette bis Pétange, von dort ab wieder Landstraße: Longwy, Longuyon, dort Richtung Montmédy, nach ca. 12 Kilometern links: Marville. Ca. 160 Km, 2-21/2 Fahrt, wenn die Autobahn zwischen Schengen und Dudelange fertig ist, schneller. 39 chöne alte Bäume spenden angenehmen Halbschatten, schräg fällt das Sonnenlicht durch die flirrenden Blätter auf sattgrüne Wege und Beete. Und da wächst, blüht und gedeiht es in allen möglichen Formen, in allen Farben des Regenbogens. Dr. Karl-Heinz Potempas Kräutergarten auf dem 4000 Quadratmeter großen Hanggrundstück an der Saarbrücker Straße in Nohfelden-Türkismühle ist zuallererst mal ein Augenschmaus. Man kann sich nämlich kaum satt sehen an der üppigen S 1 Blütenpracht der 400 verschiedenen Heilund Kräuterpflanzen, die hier stehen, vergißt, dass man sich ja eigentlich in einem Nutzgarten befindet, angelegt zum Zwecke, allerlei Wehwehchen von Migräne über Herzrasen bis Verstopfung auf weitgehend „natürliche“ Weise zu lindern. Und Potempa, von Beruf Apotheker, trägt auch selber alles dazu bei, dass eine Führung durch die Welt seiner Kräuter zu einem „Gesamtkunstwerk“ wird. Das beginnt damit, Quält Migräne dich, so wisse, oftmals hilft da auch Melisse! In Dr. Potempas Heilkräutergarten in Türkismühle wachsen Kräuter gegen fast jedes Leid dass er seine Besucher in einer gemütlichen Laube am Eingang zünftig mit Strohhut und Wanderstock (der alsbald zum Zeigestock wird), willkommen heißt mit einem Gedicht, das sich auf viele der Kräutchen hier einen Reim macht: „Ist der Magen schwach und krank, hilft ihm bittrer Wermuttrank. Oder wenn er schlecht verdaut, tut’s manchmal Tausendgüldenkraut. Baldrian kurz aufgebrüht, wirkt auf Nerven und Gemüt. Quält Migräne dich, so wisse, oftmals hilft da auch Melisse.“ Nach diesem gereimten „Briefing“ geht es dann schnell zur Sache. Die Pflanzen in ihren Rabatten beiderseits des Weges tragen auf einem Schildchen den lateinischen Namen ihrer Spezies, die gebräuchliche deutsche Bezeichnung und natürlich das Anwendungsgebiet: Tussilago farfara, der Huflattich; Blüten und Blätter bei Husten, Asthma, Magenbeschwerden. Daphne mezereum, der Seidelbast; Rinde und Früchte äußerlich als Bad oder Tinktur bei Hautjucken, Ekzemen, Neuralgie. 40 Pimpinella, die Bibernelle; schleimlösend, Auswurf fördernd. Um nur einige Beispiele zu nennen. Aber keine Angst: Dr. Potempa „klappert“ bei seinem Rundgang durch den Garten nicht einfach stur alle Pflänzchen ab von Nummer 1 bis 400. Er setzt Schwerpunkte, weist auf besonders schön blühende oder seltene Pflanzen hin, läßt die Besucher Blüten und Samen pflücken, beriechen, betasten, hat fast immer eine Story oder Anekdote auf Lager. Hildegard von Bingen, die Ikone der Naturheilkunde, führt er gerne im Munde. Zeigt auf das gelb blühende Bilsenkraut, das als Öl gut gegen Rheumaschmerzen sein soll. Doch die Hildegard, so erzählt er, hielt es auch für ein wirksames Mittel gegen die Trunksucht bei Männern: Man mußte nur dem Mann erst mal den Schädel glatt rasieren und ihm dann das zerquetschte Kraut drauf binden! Ob’s wirklich half oder den Probanden eher vor Schreck erst mal vom Trinken abhielt, ist nicht so recht erwiesen. Erwiesen aber ist zum Beispiel die Heilkraft des Beinwell, so etwas wie die Lieblings-Heilpflanze des launigen Kräuterapothekers. Die pflanzt und erntet er in großem Stil und verarbeitet sie in seiner Apotheke in Türkismühle zu Beinwell-Salbe oder -Gel. Wirkt bei Arthrose, Rheuma und Sportverletzungen wie Zerrungen und Prellungen. Und dieses Gel kann man auch gut selber zu Hause herstellen, verrät Potempa: Die Pflanze wird einschließlich Wurzel ausgegraben, gewaschen und dann zerkleinert - von der Wurzel bis zu den Blättern. Das Ganze kommt in ein Glasgefäß, wird mit 50-prozentigem Alkohol versetzt, umgerührt und drei Wochen abgedeckt stehen gelassen. Danach hat sich ein dunkler Sud gebildet, der durch ein Sieb passiert wird. Die Restflüssigkeit wird mit einem Gel-Bilder versetzt und ein Tag spä- ter kommt noch eine Ammoniaklösung dazu. Das macht den Extrakt cremig und haltbar. Noch einmal kräftig durchgerührt – fertig ist das Beinwell-Gel zum Einreiben! Andere Pflanzen, vor allem die mit giftigen Ingredienzien, sollte man aber tunlichst nicht selber verarbeiten – und auch nicht einnehmen, ohne vorher den Arzt oder Apotheker gefragt zu haben. Seit 1974 betreibt Potempa nun seinen Heilund Kräutergarten. Nicht weil er ein fanatischer Apostel der Heilkräuterkunde wäre – in seiner Apotheke gibt’s ja auch jede Menge „normaler“ Pillen – sondern weil er in den Naturkräutern eine vernünftige und wirksame Ergänzung zu den Erzeugnissen der PharmaIndustrie sieht. Inzwischen ist seine in jeder Beziehung blühende „Feld-Wald-und-Wiesen-Apotheke“ am Busen der Natur ein beliebter Treffpunkt geworden für Landfrauen wie für Studenten der Pharmazie, für naturheilkundlich orientierte Ärzte wie für Wanderer, die sich von der auffallenden Blütenpracht 41 Kontakt Dr. Karlheinz Potempa Hubertus-Apotheke Saarbrücker Straße 47 66625 Nohfelden-Türkismühle Tel: 0 68 52 - 63 65 Fax: 0 68 52 - 77 59 www.hubertus-kraeutergarten.de Öffnungszeiten am Wegesrand haben anlocken lassen. Sie alle sind eingeladen, sich zwischen Mai und September von Dr. Potempa durch den Garten Eden der Naturheilkräuter führen zu lassen. Alles andere als eine trockene Angelegenheit, nicht nur deshalb, weil der Apotheker seine Gäste zum guten Schluss noch zum Umtrunk in eine lauschige Laube bittet... Und wer sich danach noch weiter in die Materie vertiefen will, dem sei das Bildbändchen von Ulrike und Karl-Heinz Potempa empfohlen: „Dr. Potempas Gift und Heilkräutergarten“ – eine Beschreibung heimischer Heilkräuter, ihrer Wirkung und Anwendung. Von Mai bis Sept., nur für Gruppen und nach tel. Vereinbarung Einzelpersonen können sich Gruppenführungen anschließen. Schon feststehende Termine: 15./20.5. jew. 15 Uhr, 30.5. 18 Uhr, 5.6. 17 Uhr, 26.6. 16 Uhr, 28.6./9.8./16.8. jew. 9 Uhr as war gewagt. Das war so gewagt, das kann man sich heute fast gar nicht mehr vorstellen: Mai 1950. Der Krieg ist gerade erst fünf Jahre vorüber. Die Deutschen sind endlich besiegt. Sie werden gehaßt. Und da geht einer her und sagt den Franzosen: Laßt uns eine Versöhnung anstreben. Laßt uns die Grundlagen der wirtschaftlichen Prosperität, laßt uns Kohle und Stahl gemeinsam nutzen. Laßt uns die Communauté Européene du Charbon et de l'Acier, die Montanunion gründen. D Es war ein Samstag oder ein Sonntag, als Robert Schuman, der französische Außenminister, den Entschluß faßte, die Gründung der EGKS (auch Montanunion genannt, ursprünglich eine Idee Jean Monnets) vorzuschlagen und voranzutreiben. Er hatte wie immer am Freitag den Zug bestiegen, um der Pariser Stadtluft zu entkommen. Er war hier, atmete die lothringische Luft von Scy Chazelles. Vielleicht stand er am Fenster seines Arbeitszimmers. Vielleicht guckte er über seinen Eine Lothringer Distel für Europa Besuch im Robert Schuman Haus in Scy-Chazelles Eintrittspreise 3 € pro Person (incl. Umtrunk) Anfahrtsweg A 1/A 62, Abfahrt Nohfelden-Türkismühle. Treffpunkt für Führungen: Hubertus-Apotheke, Saarbrücker Str. 47 in Türkismühle Wolfgang Felk 42 43 12 großen Garten hinweg in die Weite. Sah auf die bewaldeten Hügel auf der anderen Seite der Mosel. Ganz sicher stellte er sich ein geeintes Europa vor. 1950! Die Mosel war lange der Grenzfluß gewesen. Von 1870 bis 1918 hatte Scy-Chazelles zu Deutschland gehört. Aber als Schuman sein kleines Haus hier kaufte, im Frühjahr 1926, war es schon wieder Frankreich. Lothringen – Grenzland, Spielball der Mächte. Und er? Schuman? Grenzgänger, einflußreicher Spieler im Team der Mächtigen, obwohl er nie einer der machthungrigen Intrigenspinner war, die sonst dieses Feld bevölkern. Er war vielmehr ein sehr gebildeter und durchgeistigter Mann. Sprach Französisch, Deutsch und Luxemburgisch. Las viel. Glaubte an Gott. Und war dazu ein sehr bescheidener Mann. Die Einwohner von ScyChazelles erzählen sich, dass er niemals ein Taxi genommen hätte, um zum Bahnhof zu 44 kommen, wenn er zum Zug nach Paris mußte. Er lief, wie alle anderen auch, zu Fuß den Berg hinunter und auch wieder hinauf. Und Scy-Chazelles liegt am Hang des Mont St. Quentin, da gilt es ganz schön Steigung zu überwinden. (Was einem leichter fällt, wenn man sich den erwähnten Blick über das Moseltal ausmalt.) Er grüßte grundsätzlich freundlich alle Menschen, denen er begegnete, interessierte sich für die Schicksale seiner Mitbürger, war sich auch nicht zu fein, sie dann und wann um Rat zu fragen. Oft hat er die Gesellschaft von Mönchen gesucht, sich in die Abgeschiedenheit der Abtei von Ligugé zurückgezogen, in der Nähe von Poitiers. In der Bibliothek neben seinem Arbeitszimmer, reihten sich dicht an dicht 8000 Bände. Werke der französischen, der deutschen Literatur, Werke über Lothringen, über Luxemburg, über das Saargebiet. 45 Heute besitzt das Museum davon nur noch 3000 Bände, denn als Schuman 1963 starb, konnten sich die Erben nicht einigen, was mit den Büchern geschehen sollte und verkauften sie auf einem Flohmarkt im Garten, auf den sie auch keinen weiteren Wert legten. In diesem riesigen Garten blühten über Jahre nur mehr Gänseblümchen. Die hätten Schuman zwar bestimmt gefallen, denn er liebte vor allem weiß-blühende Blumen, doch es hätte ihn auch erschüttert, ihn so verwahrlost zu sehen. Erst in diesem Jahr bekommen wir Nachkommen wieder eine Ahnung davon, wie Schumans Garten ausgesehen hat. Im Rahmen des Projekts „Gärten ohne Grenzen“ werden auf 1000 Quadratmetern lothringische Pflanzen angesät. Dazu gesellt sich, unter den Bäumen, ein „Schattengarten“ und außerdem wird es wieder einen üppigen Gemüsegarten geben. Wir werden vor Bohnen, Erbsen und Salat stehen. Schuman war „un homme à tout faire“, einer, der alles konnte. Und so war er nicht nur Denker und Politiker, sondern gelegentlich auch Klempner und Gärtner. In seinem Gemüsegarten wuchs alles, was des Gourmets Herz höher schlagen läßt. Ein Koch war er zwar nicht, aber das konnte er getrost seiner Haushälterin überlassen. Marie Kelle hieß sie, war 20 Jahre älter als ihr Dienstherr, lebte 44 lange Jahre mit ihm, bis zu seinem Tod, und von ihren Kochkünsten schwärmen die Schuman-Kenner heute noch. Marie war zwar nicht die einzige Frau in Schumans Leben, aber er hat nie geheiratet. Man sagt, er habe eine sehr enge Beziehung zu seiner luxemburgischen Mutter gehabt, der er als Student (der Jurisprudenz) aus Metz, Bonn, Berlin, München und Straßburg fast täglich schrieb. Und als sie starb, war er erst 25. Vielleicht hat er danach immer eine Frau gesucht, 46 die seiner Mutter geähnelt hätte? Und diese nicht gefunden? Diese Details aus dem Privatleben des „Vater Europas“ erfährt man im Museum nicht, da muß man schon die Mitarbeiter des Centre Europeen Robert Schuman fragen, dessen Aufgabe es unter anderem ist, Leben in dieses Museum zu bringen. Es veranstaltet Treffen für Jugendliche, vermittelt die Geschichte Europas. Jetzt noch in einem Zelt, das auf dem hintersten Zipfel des Garten-Geländes steht, in absehbarer Zeit aber in ganz neuen Gebäuden. Der Conseil Regional de la Moselle hat mit der Maison Robert Schuman viel vor. Insgesamt will man in den nächsten Jahren 5-6 Millionen Euro auf dem Mont St. Quentin investieren. Bis Mai 2004 wird das Wohnhaus selbst geschlossen sein, es muß renoviert werden, denn es kommen inzwischen 10.000 Besucher im Jahr (überwiegend Deutsche) und dafür war das Parkett nicht gemacht. Dann sollen neue Ausstellungs- und Veranstaltungsräume, wie auch Büros entstehen. Wo die plaziert werden, das ist noch nicht geklärt und wird den Architekten auch einiges Kopfzerbrechen bereiten, denn das ganze Ensemble um die Maison Robert Schuman steht unter Denkmalschutz. Dazu gehört neben dem Wohnhaus auch das zweite Haus auf dem Grundstück, die Conciergerie (in der sich unten eine Schuman-Ausstellung befindet, die, wie auch der Garten, während des Umbaus des Wohnhauses offen bleibt). Vor allem aber auch die wunderschöne romanische Wehrkirche gegenüber, in der Schumann begraben liegt. François Mitterrand hätte ihn gerne ins Pantheon geholt, doch seine Freunde wehrten dieses Ansinnen ab – er hätte so viel großstädtischen Pomp gewiß nicht gewollt, argumentierten sie. Ein paar 1000 der zu investierenden Euros sollen auch in die Garage fließen, in der man den alten Simca Aronde ausstellen will, das Auto, das Robert Schuman fuhr. Das ist vielleicht ein netter Gag, wird aber nicht so viel über Schuman aussagen, wie der „chardon lorrain“, die lothringische Distel, die sich immer wieder auf seinen Schränken findet, auf dem Geschirr und hoffentlich auch im Garten. Die Distel, Symbol für eine anspruchslose Pflanze, die ganz schön durchsetzungsfähig ist, eine gewisse Härte ausstrahlt, dabei aber wunderschön blüht. Symbol für die Lothringer und Symbol auch für diesen bescheidenen Europäer, der mit seiner großen Vision vom Frieden die Welt ein bißchen besser gemacht hat. Anke Schaefer Kontakt Maison de Robert Schuman 8, Rue Robert Schuman F – 57160 Scy-Chazelles Tel: 0 03 33 - 87 60 19 90 www.cg57.fr Öffnungszeiten 1.Mai bis 30. September tägl. außer Dienstag 10 - 12 Uhr, 14 -18 Uhr 1. Oktober bis 30. April tägl. außer Dienstags 14 - 18 Uhr Wohnhaus wegen Umbau geschlossen, Wiedereröffnung 9. Mai 2004; Garten und Wehrkirche sind aber geöffnet. Eintrittspreise 3€ ermäßigt 1,50 € Anfahrtsweg Autobahn in Richtung Metz, Abfahrt Metz Centre, dann immer Richtung Autobahn Nancy, Montigny les Metz; durch Montigny les Metz ganz durch, wieder Richtung Autobahn Nancy/ Verdun, auf den Autobahnzubringer und über die Mosel, dann Scy Chazelles, auf der Hauptstrasse an dem Schild nach links abbiegen und den Berg hochfahren... 47 eutzutage müssen unsere Füße ganz schön viel aushalten. Nicht nur unser Gewicht. Meist sind sie auch noch eingepackt in Strümpfe und fest verschnürt in Schuhen, ob mit oder ohne Absatz. Die armen! Kein Wunder, dass sie sich manchmal ins Freie sehnen ...aber auch Sandalen sind da nur ein kleiner Lichtblick. Barfuß laufen wäre das richtige – aber wann macht der Mensch von heute das noch? Vielleicht im Urlaub am Sandstrand oder im Wattenmeer oder bei der Reflexzo- H nen-Massage. Das alles ist aber entweder weit weg oder teuer. Doch unseren Füßen kann geholfen werden. Sogenannte Barfußwege haben nämlich Konjunktur. Und im Saarland gibt es inzwischen sogar zwei davon. Den in Waldhölzbach und jetzt auch den im Freisener Ortsteil Oberkirchen. Der wurde vor einem Jahr eröffnet und gehört zum Projekt Renaturierung und Reaktivierung des Ostertals. Der Barfußweg Oberkirchen ist ein Rundweg von gut anderthalb Kilometern Länge und Mal so richtig von den Socken sein 13 Der Barfußweg in Oberkirchen liegt mitten im schönen Ostertal im Norden des Saarlandes. Der Weg hat 22 Stationen und führt über weite Strecken am Hobelbach entlang. Der kann sich seit kurzem auch wieder frei in seinem Bett entfalten und ist ein Quellzufluss der Oster. Das Prinzip der Barfußwege ist ganz einfach: ohne Schuhe über ganz verschiedenen Untergrund laufen. In Oberkirchen sind das zum Beispiel Sand und Lehm, Rindenmulch und Wiesen oder Kiesel und Hölzer. Jede der 22 Stationen hat einen eigenen Untergrund, mal ganz fein, aber auch mal ganz grob. Und weil das manchmal nicht so angenehm ist, vor allem wenn Sie länger nicht barfuß gelaufen sind, ist der Oberkircher Weg so angelegt, dass Sie schummeln können, ohne dass es groß auffällt: Sie laufen einfach um die Station rum. Aber das ist ja nicht der Sinn der Sache und außerdem lohnt es sich in dem Fall wirklich, tapfer zu sein! Nicht nur Ihre Füße machen neue Erfahrungen, wenn sie direkten Kontakt zur Erde haben. Auch Sie nehmen sich selbst und Ihre Umgebung ganz anders wahr. Beim Gang über Waldboden und Wiese zum Beispiel merken Sie, wie weich natürlicher Untergrund ist, wie gut er 48 abfedert, kostenlos – bei Straßenschuhen müssten Sie das teuer bezahlen. Auf dem Knüppeldamm dann werden Sehnen und Muskeln so richtig gefordert und gefördert. Auf den Rundhölzern ist nämlich abrollen angesagt. Das sind wir kaum noch gewohnt und das sieht auf den ersten Metern auch ziemlich lustig aus, aber dann machen Ihre Füße das von selbst. Und die empfindlichen Fußsohlen bekommen als Belohnung eine richtig gute Massage – kostenlos, versteht sich. Beim Laufen durch Sand oder über Kiesel können Sie testen, wie beweglich Ihre Zehen sind und wenn Sie Lust haben, können Sie sogar richtige Greifübungen damit machen – das ist nur ein bisschen anstrengend, bringt aber richtig Spaß, vor allem, wenn Sie in der Gruppe sind und Kinder mit dabei haben. Zwischendurch lohnt es sich immer wieder, eine kleine Pause einzulegen und einfach die Landschaft zu genießen. Dabei sollten sie sich vor allem den Weiselberg einmal genau anschauen. Das ist jener Berg, nach dem das Schwimmbad am Start und Ziel des Barfußweges benannt ist. Und dieser Weiselberg hat eine sehr lange Geschichte. In früheren Jahren haben die Menschen im Freisener Land dort nämlich nach Halbedelsteinen gesucht und sind auch fündig geworden. Die Schätze wurden dann nach Idar-Oberstein zu den Schleifern gebracht. Auch heute noch wird in der Region nach Halbedelsteinen geschürft, allerdings nur noch zum Vergnügen. Und die Stollen im Weiselberg sind auch noch vorhanden. Sie sind nur leider in so schlechtem Zustand, dass es lebensgefährlich wäre, dort hinein zu gehen. Und deshalb sind diese Stollen gut verschlossen. Noch, es gibt nämlich bereits Pläne, den wertvollen Weiselberg für den Tourismus zu erschließen. Das aber kostet ziemlich viel und da auch in der Freisener Gemeindekasse derzeit Ebbe herrscht, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis die Stollen im Weiselberg für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Auf dem Rückweg müssen Sie mit bloßen Füßen den Hobelbach überqueren. Und das heißt entweder rein ins klare, aber nicht allzu tiefe Nass, oder Geschicklichkeitstraining und Steine-Hüpfen machen. Wenn Sie nicht wasserscheu sind, wird es Ihnen ohnehin so viel Spaß machen, dass Sie beide Varianten ausprobieren. Und wenn Sie Kinder dabei haben, werden Sie sich an der Stelle vermutlich sowieso länger aufhalten. Für die Kleinen gibt es dann kurz vorm Ziel noch einen Leckerbissen, einen 49 Kontakt Gemeinde Freisen Schulstraße 60 66629 Freisen Tel: 0 68 55 - 97 55 [email protected] www.freisen.de Öffnungszeiten Von Mai bis Oktober täglich von 9 bis 20 Uhr En Route Anfahrtsweg Über die B 41, ob mit oder ohne Abstecher auf die Autobahn, über Neunkirchen nach Ottweiler. Dort auf die B 420 bis etwa Höhe Marth. Dann auf die L122 über Osterbrücken und Haupersweiler nach Oberkirchen. Der Barfußwanderweg startet am Weiselbergbad und das ist gut ausgeschildert ziemlich großen Spielplatz mit allen erdenklichen Geräten zum ausprobieren und austoben. Wenn Sie dann zurück zum Parkplatz des Weiselbergbades kommen, dann werden Ihre Füße gut massiert und gut durchblutet und auch ein bisschen schmutzig sein. Aber auch daran haben die Planer des Barfußwegs in Oberkirchen gedacht. Direkt neben dem Holzhäuschen, in dem Sie Ihre Treter abstellen können, gibt es nämlich eine Wasserstelle. Dort können Sie Ihre Füße waschen und sich dann ganz sauber und um etliche Eindrücke reicher auf den Heimweg machen. Ulli Wagner 50 51 ine landschaftlich reizvolle Strecke vorbei an Natur- und Landschaftsschutzgebieten, gut befahrbar, ohne nennenswerte Steigungen und rund 15 Kilometer lang – das sind die grundlegenden Merkmale des 2002 eröffneten Radwegs zwischen Waldmohr und GlanMünchweiler. Der Radweg, den auch Wanderer nutzen können, führt zum Teil über die Trasse der ehemaligen Glantalbahn, aber auch über asphaltierte Feldwirtschaftswege. Wo der Asphalt fehlt, rollt E idyllisch gelegene Mohrmühlweiher veranlasst nicht nur Angler zum stationären Müßiggang, vielmehr ist er mit seinen Rastmöglichkeiten und gastronomischen Angeboten auch geeignet, Radfahrambitionen zu dämpfen. Wer sich dennoch vom Weiher lösen kann, der wird kurze Zeit später nach rechts auf die ehemalige Bahntrasse einschwenken und in einer mit Bäumen und Sträuchern gesäumten tiefen Schneise schnurgerade dahin rollen. Schatten ist selbst an heißen Sommertagen zur Am Glan-Bliesweg schnaubte das Dampfross ... 14 ...heute quietschen hier die Drahtesel das Rad auf einem Belag aus feinkörnigem Steinsand auf festem Unterbau, so dass selbst nach Regentagen die Felgen nie Gefahr laufen in schlammigem Boden zu versinken. Schon beim Start in Waldmohr könnte der Radwanderer indes der Versuchung erliegen, bereits nach wenigen Metern das Pedaltreten einzustellen, um vor Ort zu verweilen. Der 52 Genüge da. Die ersten Kilometer sind mangels Steigungen ohnehin alles andere als schweißtreibend. Auf der Höhe von Schönenberg-Kübelberg müssen die radfahrenden Touristen die Route der 1981 verbannten Eisenbahnzüge verlassen und auf einen Feldwirtschaftsweg wechseln. Linkerhand zeigt sich der über eine Brücke zu erreichende schmucke Ort. Burgen und Schlösser oder andere Aha-Erlebnisse hat Schönenberg-Kübelberg zwar nicht zu bieten, dafür aber einige Einkehrmöglichkeiten und vor allem ländliche Abgeschiedenheit mit herrlichen Aussichten. Der Blick schweift ungehindert über die weite Hügellandschaft, sucht aber möglicherweise vergeblich das nächste Hinweisschild, das Aufschluss auf den weiteren Verlauf des Radweges geben könnte. Vandalen montieren mitunter die mit einem Radfahrer-Logo versehenen Wegweiser ab. Die freundlichen Zeitgenossen aus dem Kreis Kusel helfen dann aber gegebenenfalls gerne weiter, klären darüber auf, daß es zunächst einmal nach rechts geht, dann in einem Linksbogen um einen kleinen Fischweiher herum, bevor es schließlich wieder rechts hinunter talwärts zu fahren gilt. Beiderseits des Radwegs sind nur Wiesen und Weiden, stellenweise aufgelockert mit Baumbewuchs. Unten angekommen sollte man es vermeiden, das nach links weisende Hinweisschild zu übersehen, rechts endet der Weg entlang eines teilweise sumpfigen und durchaus schönen Terrains abrupt im Kiefernwald vor dem Zaun eines US-Militärgeländes. Die richtige Route streift irgendwann einen unschönen Autoschrottplatz – einziger Makel des Glan-Blies-Radwegs. Danach ist es nur noch pure Freude durch die Landschaft zu radeln, einen Bach überquerend, um alsbald wieder die alte Bahntrasse zu erreichen. Andere Radfahrer kommen entgegen, sportliche Mountainbiker, die aufs Tempo drücken, dann wieder komplette Familien oder ältere Leute, die eher das gemütliche Dahinrollen auf der Kräfte schonenden Strecke schätzen. Ein Abstecher zum nahen 15 Hektar großen Ohmbach-Stausee ist jetzt empfehlenswert. Da kann man baden, grillen oder Boot fahren, sich eine Ruhepause gönnen – wenn´s länger sein soll auch auf dem Campingplatz. Ansonsten geht es inzwischen wieder auf der alten Bahntrasse weiter auf Elschbach zu, dort vorbei am ehemaligen kleinen Bahnhof, der heute Privathaus ist. Kurz hinter dem Ort radelt man durch einen Tunnel, in dem eine bescheidene Beleuchtung den nach wie vor guten Zustand des Weges ausreichend erkennen lässt. Unmittelbar nach Verlassen der vielleicht zweihundert Meter langen Röhre folgt das schönste Teilstück des Glan-Blies-Weges: ein weites Tal öffnet sich, tief unter der Trasse 53 54 Die romanische Kirche ist auf 840 datiert und d i e Sehenswürdigkeit vor Ort, wo 1793 die Reichsgräfin von der Leyen vor den französischen Revolutionstruppen Zuflucht suchte. Nach deren Siegszug gehörte Glan-Münchweiler übrigens zum Kanton Waldmohr im Arrondissement Saarbrücken. Vor Antritt der Rückfahrt nach Waldmohr lohnt ein Besuch von „Ulli´s gudd Stub“. Dort gibt es nicht nur Stärkung zu zivilen Preisen, sondern auch Gratis-Pressluft für die Fahrradreifen. Die dürfte notfalls auch noch für die Fortsetzung des Glan-Blies-Radweges bis nach Bliesbruck-Reinheim oder gar bis Saargemünd reichen. Gabor Filipp Kontakt Tourist-Information Kusel Trierer Straße 41 66869 Kusel Tel: 06 38 - 42 42 70 [email protected] Öffnungszeiten ganzjährig Anfahrtsweg Ab Saarbrücken über Autobahn A 620 bzw. A 6 bis Anschlussstelle Waldmohr, ab dort auf der B 423 in Richtung Schönenberg-Kübelberg, links nach Waldmohr und bei erster Gelegenheit rechts zum Mohrmühlweiher einbiegen. Dort gibt es Parkmöglichkeiten und ist der Start. Gesamtentfernung ca. 43 Kilometer ab Saarbrücken. undes Gesicht, abstehende Ohren, einen Ausdruck in den Augen, der nicht so leicht zu deuten ist. Vielleicht fragt er sich, was das ganze Posieren soll, vielleicht zweifelt er auch ein bißchen daran, ob das, was sich vor seinen Augen (und für uns unsichtbar) abspielt, wohl seine Richtigkeit haben mag. Wie alt wird er sein, auf diesem Bild? Vielleicht 12? Er steht neben seiner sehr geliebten Mutter, die in die gleiche Richtung guckt, am Fotografen vorbei, offen, freundlich. Robert Schumans Mut- R © Centre d’études et de recherches européenes Robert Schumann fließt der Glan gemächlich dahin, sucht sich das naturbelassene Flüsschen mit vielen Windungen nach Gusto seinen Weg, begleitet sich zwischen grünen Wiesen dahinschlängelnd - den Radwanderer nunmehr auf seiner weiteren Fahrt. Den Weg mal zu verlassen für ein Picknick am Ufer oder um einfach die Füße ins kühle Wasser baumeln zu lassen ist sicherlich nicht verkehrt. Dietschweiler als nächste Station bietet außer einer Pizzeria eine eigens für Radfahrer geschaffene Imbissmöglichkeit und darüber hinaus ein beschauliches dörfliches Ortsbild. Gegenüber der hübschen neoromanischen Kapelle in der Kirchstrasse ist bei der Imkerei Thoma feiner Honig zu haben. Wenig später – kurz vor Nanzdietschweiler und von der Trasse kaum einsehbar – ist der Glan wieder ganz nah und an seinem Ufer eine unter Denkmalschutz stehende alte Waschtreppe bestehend aus elf Steinquadern, unter denen die Stufen hinab zum Wasser führen. Jenseits einer kleinen Brücke gleich nebenan gruppieren sich einige Häuser romantisch um eine verfallene Mühle aus Sandstein. Von Nanzdietschweiler aus lässt sich ein Abstecher nach Brücken machen. Wer wie Marilyn Monroe der Meinung ist „diamonds are the girls best friends“ wird dort das Diamantschleifermuseum ansteuern. Andernfalls folge man wieder dem Radweg, der an mit Schildchen erklärten geologischen Besonderheiten in der flankierenden Felswand vorbei führt, um dann eine noch in Betrieb befindliche Bahntrasse zu queren. Rechterhand glitzert der Glan, und kurz darauf taucht GlanMünchweiler auf sowie dann ein Schild mit der Aufschrift: „Hier endet vorläufig der Glan-Blies-Weg. Wir bauen weiter für Sie“. Glan-Münchweiler, besiedelt schon zur Römerzeit, ist gewiss nicht aufregend, sondern ein eher stilles und gemütliches Fleckchen. Schnippchen auf dem Bockfelsen 15 Dr. Robert Schuman Rundgang in Luxemburg ter war Luxemburgerin, und hier in Luxemburg, in Clausen, nahe der Alzette, in einem wunderschönen Haus mit Türmchen ist er geboren. In diesem Dorf ist er groß geworden. Er, der später französischer Außenminister wurde und nach dem 2. Weltkrieg mit dem Schuman-Plan einen Weg der Versöhnung eröffnete, indem er die Montan Union auf den Weg brachte. Er, der heute zu recht gerühmt wird als der „Vater Europas“. Er sorgte dafür, dass Deutsche und Franzosen Kohle und Stahl gemeinsam nutzten und ein neuerlicher Krieg damit unmöglich wurde. Er war prädestiniert für diese Rolle des Vermittlers über die Grenzen hinweg. Denn seine Mutter war Luxemburgerin, sein Vater aber Deutscher. Zuerst. Und dann Franzose. Sein Vater war Lothringer, aus dem kleinen Dörfchen Evrange, das an der Grenze zu Luxemburg liegt, gegenüber von Frisange. Als Robert geboren wurde, 1886, waren Vater und Sohn Deutsche. Nach dem ersten Weltkrieg aber, 1918, wurden sie Franzosen. Die Stadt Luxemburg hat nun einen Weg erdacht, der durch die ganze Innenstadt führt, und der verspricht, die geneigte Europäerin auf den Spuren des damals noch jungen Vaters der heute immer größer werdenden Union entlang zu führen. Zweieinhalb Stunden soll sie einplanen und wird gefragt, ob sie wohl auch wirklich gut zu Fuß sei? Selbstverständlich, nickt die Europäerin leichtfertig und da legt die Führerin auch schon los, ihre ersten Ausführungen macht sie – auf der Place d’Armes, direkt vor dem City Tourist Office. Dieses befindet sich im sehr repräsentativen „Cercle Municipal“. Und hier waren Räumlichkeiten für den Gerichtshof der EGKS, der von Schuman gegründeten Europäischen Union für Kohle und Stahl untergebracht (Mitglieder: Benelux, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande). So so. Nächster Ort von Interesse – das neoklassische Rathaus auf der Place Guillaume. Hier fanden sich am 8. August 1952 die Außenminister der EGKS ein und feierten die Etablierung der sogenannten „Hohen Behörde“ (aus der später die EUKommission hervor gehen wird). Aha, soso, mhmh. Nebenbei erklärt beflissen die Führerin, dass dieser Platz bei den Luxemburgern ja der „Knuedler“ genannt wird. Warum? Weil sich hier Anfang des 13. Jahrhunderts ein Franziskaner Kloster befand, das eines Nachts vor langer Zeit, auch das, bitte sehr, nur ne55 © Luxembourg City Tourist Office benbei, spektakulär in die Luft flog, weil ein Munitionslager explodierte. Aber, also jedenfalls diese Franziskaner-Mönche, die pflegten ihre braunen Kutten durch einen Strick am Leib festzubinden, der natürlich geknotet werden mußte, mit einem „Knued“, daher später der „Knuedler“..... Interessant, nickt höflich die geneigte Europäerin, und beginnt heimlich und leise zu zweifeln, ob sie auf diese Weise dem jungen Robert Schuman mit den abstehenden Ohren wohl näher kommen wird? Hat er die Geschichte vom Knued wohl (anders als die meisten anderen Luxemburger, wie die Führerin stolz versichert) gekannt? Und wenn ja - hat sie ihn interessiert? Hat er sich vielleicht als Junge mal als Mönch verkleidet? Und sich am Knoten einer Kutte versucht? Abwegig wäre das nicht, denn er hat später, als er dann Außenminister war, oft das Leben in der Abgeschiedenheit gesucht, ist in ein Kloster gefahren, um zu beten und alleine 56 zu sein. (Näheres zum Leben des erwachsenen Schuman in diesem Heft auf S.43 Seitenverweis). Heute gibt es sogar eine Gesellschaft, die sich um seine Heiligsprechung bemüht und man hofft, dass es 2005 so weit sein wird. Sehenswürdigkeit Nummer drei ist dann ein weiteres, eher schnödes, sehr abweisendes, unpersönliches Gebäude: Die Nationalbibliothek. Bevor die Nationalbibliothek allerdings hier einzog, war dies das Athenäum der Stadt Luxemburg, das Jesuiten-Gymnasium. Und hier lernte Robert Schuman Deutsch und Französisch, dazu Latein und Griechisch. Aus welchem der Fenster mag er wohl geguckt haben, wenn ihm zwischen all den Vokabeln mal zum Träumen war? Oft ist das sicher nicht vorgekommen, denn obwohl er ein sehr guter Schüler war, mußte er sich konzentrieren. Es wurde viel verlangt. „Wir“, sagte er später über seine Schulzeit, „wir, die wir auf dieser Demarkationslinie zwischen Frankreich und Deutschland lebten, mussten uns profunde Kenntnisse in beiden Sprachen und beiden Kulturen aneignen. Das hat es den Lehrern nicht leicht gemacht, die Lehrpläne waren überfrachtet. Vielleicht habe ich nie in meinem Leben mehr gearbeitet“. Noch steht man vor der Mauer, guckt zu den Fenstern hoch, versucht sich den rundgesichtigen Jungen dahinter vorzustellen, als die Führerin zum Weitergehen drängt, Sie wissen ja, zweieinhalb Stunden, nein, da sollten wir nicht trödeln, Punkt Vier des Weges ist angesagt... – doch: Da durchfährt es die geneigte Europäerin - nein. Stop. Zu Punkt Vier sollen wir doch tatsächlich über die ganze lange Brücke, den Pont Adolphe wandern, nur um dann vor der Banque et Caisse d’Epargne de l’Etat mit ihrem Turm zu stehen und auf das Gebäude gegenüber zu blicken, in dem einst der Verwaltungssitz der Eisenbahngesellschaft war und dann – 1952 – der Sitz der „Hohen Behörde“ einge- richtet wurde. Nein. Gut zu Fuß sein ist eines, aber Pflastertreten zwischen 17.000 Autos und noch mehr Auspuffen, nur um etwas von Nahem zu sehen, was man von Weitem viel besser sieht, und was noch dazu wenig mit dem Jungen zu tun hat, um den es hier geht, das ist was anderes. Und sollten Sie, geneigte Tour de Kultur-Leser, an diesem Punkt stehen, schlagen Sie allen Fremdenführern und dem Robert Schuman Rundgang ein Schnippchen, legen sie ein Veto ein, falls sie nicht völlig fußplatt und abgasvergiftet auf den Spuren des Europäischen Vaters am Ende den Glauben an den Himmlischen und dazu an alle Väter der Touristik verlieren wollen. Gehen sie nicht über diese Brücke, dann auch nicht zur Villa Vauban, wo die öffentlichen Sitzungen des Gerichtshofs der EGKS abgehalten wurden. Lassen Sie den Rond-Point- Robert Schuman, einen der – ach welch Augenweide – verkehrsreichsten Punkte der Stadt, einfach aus. Ebenso das Gymnasium, das sich nördlich dieses Verkehrsknotenpunkts befindet und einfach nur den Namen Schumans trägt, sonst nichts. Sparen sie sich getrost den wenig erfreulichen Blick auf das rostige, wenig sinnliche Schuman-Denkmal. Gehen sie einfach direkt über Los. Das heißt: Steigen Sie auf den Bockfelsen. Dies ist die Wiege der Stadt. Von hier oben hat man eine herrlichen Blick. Tief unten liegt zum Beispiel das Tal der Alzette, darüber das Kirchberg-Plateau mit dem weißen Hochhaus, in dem das Europäische Parlament seinen Sitz hat. Und unter diesem markanten Hochhaus, steht im Tal, im Stadtteil mit Namen Clausen, besagtes wunderschönes Haus mit dem Türmchen, Robert Schumans Geburtshaus. Weiß getüncht, hellgelbe Fenstereinlassungen, zwei kleine Giebelchen ragen neben dem Turm aus dem schwarzen Dach. Es von hier oben zu sehen ist völlig ausreichend. Heute nämlich ist darin ein Centre Robert Schuman für Europäi- sche Studien beherbergt, man kann nicht hinein. Es lohnt sich daher nicht, völlig fußlahm dort unten anzukommen und dann nur einen sehnsüchtigen Blick durch das Fensterchen in der Tür in den Flur werfen zu können. Aber hier oben, auf der Terrasse des Bockfelsen, gibt es eine Bronzeplakette, die uns den jungen Schumann in reifen Jahren zeigt und daneben gibt es einen Knopf: Drücken Sie ihn – und Sie hören ihn sprechen. Luxemburgisch, französisch und deutsch. Geneigt oder nicht, gut zu Fuß oder nicht, in zweieinhalb Stunden oder vier - näher kommt man ihm, dem Vater Europas, auf diesem Rundweg nicht. Aber die Stimme, die aus den Lautsprechern dieses Open-Air-“Parlodrom“ scheppert, die ist sympathisch, sie hat Überzeugungskraft, hat Charisma. Und wenn man Schuman in seinen drei Sprachen reden hört, mit Blick auf diese von Gräben durchfurchte, geschichtsträchtige Stadt im Grenzland, dann ahnt man, wie sehr schon der rundgesichtige Junge mit den abstehenden Ohren die europäische Geschichte im Herzen getragen haben muß. Es war seine Bestimmung, ein Vermittler zwischen den Kulturen zu sein. Anke Schaefer Kontakt Luxembourg City Tourist Office Place d’Armes L- 2011 Luxemburg Tel: 0 03 52 - 47 96 27 09 [email protected] www.luxembourg-city.lu/touristinfo/ Anfahrtsweg Autobahn in Richtung Luxemburg, parken am besten in einem der Parkhäuser, dann zu Fuß auf die Place d‘Armes 57 W ie kommt der Teufel von A nach B, oder sagen wir - von Saarbrücken nach Straßburg? Er reitet nicht auf dem Besen, er ist ja keine Hexe. Er läuft nicht und er fährt auch nicht mit dem Auto, er ist ja nun wirklich kein moderner Mensch. Der Teufel hat ein ganz eigenes Vehikel. Und das trifft man in Straßburg. Natürlich nicht irgendwo, sondern direkt vor dem Gotteshaus. Vor der Kathedrale. Doch da sind wir noch nicht. Noch stehen wir auf der“Place du Marché aux Chochons de erheben sollte. Dieser zweite Turm wurde nie gebaut, warum, das weiß man nicht. Er fehlt einem ein bißchen, aber die leere Plattform ließ sich auch so hervorragend nutzen: Jahrhunderte lang saß da oben nachts ein Wächter und ließ seine Blicke unablässig über die Stadt schweifen. Nach Bränden hielt er Ausschau und wenn es irgendwo rauchte, dann schlug er sofort Alarm. Die Kathedrale, die zieht jedermanns Blick sofort auf sich, wem aber fällt schon auf, wo- Der Teufel, der Schuh und das Maß des Überhanges 16 Neue alte Geschichten rund um’s Straßburger Münster lait“, 100 und ein paar Meter von der Kathedrale entfernt. Wir sind auf der Suche nach den kleinen Geschichten aus der Geschichte, die in keinem Reiseführer stehen: Elisabeth, meine Stadtführerin, und ich. Sie zeigt gerade eindringlich nach oben, ich will mit dem Blick der Richtung ihres Armes folgen, als neben uns etwas rasselt. Wir drehen uns um und sehen, tatsächlich, ein Schwein. Wenn es nicht rasselt, dann gibt es durchdringende Töne von sich, ganz wie ein verunglücktes „Oink Oink“. Klar, muss ja so sein, auf dem Ferkel-MarktPlatz. Doch dieses Schwein rasselt so seltsam vor sich hin, weil es ein armes KunststoffSchwein ist. Es gehört zum Angebot des Souvenirgeschäftes und zieht die Kinder der Touristen an. Nicht aus Kunststoff waren dagegen die Ferkel, die hier auf diesem Platz im Mittelalter verkauft wurden. Lang ist’s her. Geblieben ist nur der Name des Platzes, und das wunderschöne alte Fachwerkhaus, in dem jetzt rasselnde Souvenirs angeboten werden. Wir lassen uns nicht weiter ablenken und gucken nach oben. Da sehen wir ganz nah den einen, einsamen Turm der Kathedrale und daneben das flache Haus auf der Aussichtsplattform, dort wo sich eigentlich der zweite Turm 58 hin Elisabeth jetzt zeigt? Da dreht sich ein Eisen-Schuh in luftiger Höhe auf dem Giebel des alten Fachwerkhauses im Wind. Ein mittelalterlicher Schnabelschuh ist das, der sich schwungvoll über den Zehen zur Schnecke wölbt. Die Straße, die zur „Place du Marché aux Chochons de lait“ führt, heißt Rue du Maroquin, hier wurde also feines marokkanisches Leder verarbeitet, auch zu Schuhen. Doch der Wetterfahnen-Schuh erinnert an die Füße eines ganz besonderen Menschen, weiß Elisabeth: „Es war wohl 1414, als Kaiser Sigismund hier vorbei kam, Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen“, sie guckt mich kritisch an, wie um zu fragen, wie gut kennst du dich in Geschichte aus? Sicherheitshalber fügt sie dann hinzu: „Straßburg gehörte ja damals zum „Saint Empire“! „Dieser Sigismund“, so erzählt sie weiter, sei ein liederlicher Mensch gewesen. „Kaum war er angekommen, folgte er auch schon der Einladung einiger Damen zum Tanze. Nur ist er so blitzschnell hinter den Frauen her gelaufen, dass er keine Zeit mehr hatte, seine Schuhe anzuziehen. Er lief barfuß, bis die Damen schließlich solches Mitleid mit seinen armen Füßen hatten, dass sie ihm hier ein paar Schuhe gekauft haben.“ So war das also. Zwar nicht in Schnabelschuhen, dafür aber in wesentlich luftigeren Sommer-Sandalen gehen wir jetzt in Richtung Kathedrale. Vorbei an den vielen Restaurants, von denen in der Rue du Maroquin die meisten einem Deutschen gehören: Dieterle. (Man erkennt sie leicht: Überall die gleichen roten „Wir- machen-hier-einen-auf-Tradition“-Lampenschirme! Allein schon deshalb ißt man auf jeden Fall lieber woanders...) Vor der Kathedrale gehen wir rechts und stehen unversehens in einem Pulk von Touristen. Sie warten darauf, vor die astronomische Uhr, also ins Innere des Münsters, gelassen zu werden. Keiner guckt auf die rechte Wand dieses Süd-Portals. Keiner sieht: Da steht doch was! In gotischer Schrift: „DIES IST DIE MASSE DES ÜBERHANGES“. Drum herum ist ein Kasten gezogen. Elisabeth zeigt die Länge dieses Kastens mit den Händen: „Die Strecke ist 90 Zentimeter lang.“ Nur so weit durften die Häuser im Mittelalter „überhängen“, erklärt sie, eine wichtige Maßeinheit war das. Denn es gab im mittelalterlichen Straßburg nur sehr wenig Platz innerhalb der schützenden Stadtmauern. Und knappes Gut war schon damals teuer: Hausbesitzer mußten gemäß der von ihnen beanspruchten Grundfläche gesalzene Steuern bezahlen. Doch manche dieser mittelalterlichen Hausbesitzer waren listig. Sie bauten ihre Häuser unten ganz eng und klein und ließen sie nach oben immer breiter werden... Man kann sich leicht vorstellen, wo das 59 hingeführt hätte, hätte die Stadt nicht hier, an prominenter Stelle, festgelegt, wie weit der Überhang höchstens in die Straße ragen durfte... Dazu kommt, dass manche Straßburger Straßen ja auch sehr eng waren (und es immer noch sind) und sich dort die Erker fast berühr(t)en – was natürlich vor allem bei Ausbruch eines Brandes fatal sein konnte (und kann). Wir lassen die Touristen, die keine Ahnung von den kleinen Dingen, etwa vom Maß des Überhanges haben, weiter auf das (zugegeben: auch nicht zu verachtende) Uhr-Erlebnis warten und gehen einmal hinter der Kathedrale herum, bis wir auf deren Nordseite stehen. Gegenüber der Kirche verkauft ein wohlhabender Straßburger Antiquitätenhändler seine Schmuckstücke. „Achte auf das schmiedeeiserne Schild an diesem Haus aus dem 18. Jahrhundert“, sagt Elisabeth und lenkt einmal mehr meinen Blick nach oben. Das Schild zeigt die Kathedrale, mit einem erstaunlichen Zusatz: Auf der Spitze ihres einsamen Turmes trägt sie ein kleines rotes Mützchen! Über diesem Emblem lächelt ein bronzener Männerkopf. Es ist der Kopf des Herrn, der hier früher wohnte, Herr Sulzer. „Das war zur Zeit der Revolution einer der bedeutenden Schmiede der Stadt Straßburg“, erklärt Elisabeth, „und die Revolution, die ist natürlich auch am Straßburger Münster nicht spurlos vorüber gegangen.“ 1792 wurden die Gottesdienste abgeschafft, man nannte das Münster nur noch den „Tempel der Vernunft“. Rund 300 Statuen haben die Revolutionäre zerstört, doch damit nicht genug, wollten sie auch noch dem Turm die Spitze abschlagen. Eine einsame Spitze, das widersprach doch klar dem Postulat der Gleichheit! „Doch da kam Sulzer!“ ruft Elisabeth, voller Stolz auf die Findigkeit dieses Mannes, „er hat sie gerettet! Er hat vorgeschlagen, dass man die Spitze doch 60 lieber nutzen sollte, anstatt sie abzuschlagen. Man könnte ihr doch eine rote Jakobinermütze aufsetzten! Die Revolutionäre fanden das gut!“ Und er wahrscheinlich auch, denn er hat die Mütze aus Blech hergestellt, rot angemalt. (Doch bestimmt nicht umsonst.) „Neun Jahre“ weiß Elisabeth, „hatte die Spitze diesen Jakobiner-Hut auf – das war eine hervorragende Werbung für die Revolution!“ 1801, als der Spuk vorüber war und die Kathedrale wieder zum Gotteshaus werden durfte, hatte die Spitze ihre rote Mütze noch auf – und dann noch für ein weiteres ganzes Jahr – denn sie war nur schwer wieder abzunehmen. Später ist sie dann leider im Kugelhagel von 1870 zerstört worden. Hier, wo wir jetzt stehen und rund um die Kathedrale, befand sich im Mittelalter der Friedhof. Die Menschen wollten so nah wie möglich neben der Kirche begraben sein... Irgendwann, Anfang des 16. Jahrhunderts, hat man dann aber gemerkt, dass es der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich war, wenn das Wasser, das man aus den Brunnen schöpfte, auch durch die Verwesung verunreinigt war. Also verbot man das Begraben der Leichen innerhalb der Stadtmauern und nutzte den Platz bald anders. Hier, auf der Nordseite, entstand ein Markt für Brot und Salz, auf der Südseite einer für Kirschen und Lumpen (damals hat man nichts weggeworfen!). Und rund um die Kathedrale wurde eine Galerie gebaut, denn im 18. Jahrhundert hatten sich jede Menge kleine Geschäfte an der Kirchenmauer angesiedelt, die dem Kardinal ein Dorn im Auge waren. Nicht, dass er gemäß dem Bibelwort die Händler aus der Kirche oder von der Kirche wegjagen wollte – aber einen ästhetischen Eindruck, den sollte sein Gotteshaus doch machen – daher die neogotischen Bögen der Galerie, die einem gar nicht gleich auffällt. Jetzt, endlich, gehen wir in Richtung Haupt- portal der Kathedrale. Im Vorbeigehen werfen wir noch einen Blick rechts auf das Hotel de la Cathédrale – hängt doch neben dem äußersten Fenster im zweiten Stock etwas Schwarzes. Wer hat`s gesehen? Es ist tatsächlich eine übrig gebliebene Granate aus dem Krieg von 1870/71! Es gibt noch ein paar weitere in den Mauern dieser Stadt, martialische Erinnerung an die – glücklicherweise vergangenen - Kriegszeiten. Als wir mitten auf der „Place de la Cathédrale“ stehen, wird uns kalt. Der Wind, der hier bläst, scheint aus der Arktis zu kommen, er ist eisig. Im Winter braucht man eine dicke Daunenjacke, um das auszuhalten, jetzt ziehen wir die dünnen Pullöverchen über die T-Shirts, was wenig nützt. Der Wind, ja, der kalte, kalte Wind... woher kommt der? Elisabeth lächelt wissend. „Das war so“, hebt sie an, „als man die Kathedrale fertig gebaut hatte, also um 1330, da hatte jemand nichts besseres zu tun, als zum Teufel zu gehen und zu prahlen: Wir haben hier ein tolles, ein wunderschönes Gebäude errichtet! Zu Ehren Gottes! Das konnte der Teufel natürlich nicht unbesehen so stehen lassen. Das möchte ich sehen, rief er und schickte nach seinem Vehikel.“ Und was ist das Vehikel des Teufels? Elisabeth rollt mit den Augen: „Der Wind!“ Na klar. „Vor dem Portal stieg der Teufel ab, hieß den Wind warten und ging in die Kathedrale hinein. Drinnen aber ärgerte er sich so furchtbar über die Schönheit des Gebäudes, dass er vor lauter Wut direkt und ohne Umschweife in die Hölle gefahren ist.“ - „Und der Wind?“ frage ich und ahne die Antwort schon: „Der wartet immer noch auf ihn!“ Mit wehenden Hosenbeinen und eiskalten Zehen (vielleicht hätten Schnabelschuhe an so teuflischen Orten doch was für sich?) gehen wir wieder in Richtung Place du Marché aux Chochons de lait. 900 Jahre Geschichte finden sich hier in den kleinsten Details, denke ich noch, aber da sitzen wir auch schon vor einer guten Portion Choucroute. Wo? Im „Münsterstuewel“, das gehört keinem Deutschen und hier herrscht so viel Ur-Straßburger Atmosphäre, dass man sich leicht vorstellen kann, dass es vielleicht im Mittelalter schon genauso gut geschmeckt hat. Anke Schaefer Kontakt Office de Tourisme Strasbourg 17, Place de la Cathédrale 67 082 Strasbourg Tel: 00 33 3 88 52 28 28 [email protected] www.ot-strasbourg.fr Öffnungszeiten 9 – 19 tous les jours Eintrittspreise Die Tour „Strasbourg Insolite“ dauert 2 Stunden und man kann sie für 6 € mitmachen (Allerdings nur auf französisch) am 9 Juli, 23 Juli, 6 August, und 20 August 2003, jeweils 18.30 Uhr Man kann aber auch privat eine Tour für eine Gruppe buchen – 114 € (maximal 40 Personen) Anfahrtsweg Autobahn A4 bis Strasbourg 61 urz vor der letzten Kurve trat ich erschrocken auf die Bremse. Ein entsetzliches Geräusch drang durch den Motorlärm. Es mußte vom Getriebe kommen, so kreischend, so ungeschmiert, so verrostet wie das klang... Ich hielt an und schaltete den Motor aus. Einen Moment lang war es so still, wie ein warmer Frühlingstag nur sein kann: Vögel zwitscherten, Kinder lachten, Rasenmäher brummten. Dann aber wurde das akustische Idyll erneut zerrissen von jenem klagenden, K wie Gerhard Stahl-Manstein, der eigentlich Geologe ist und in Überherrn auf dem Umweltamt arbeitet, zusammen mit seiner Frau, die eigentlich ebenfalls Geologin ist, allerdings in Saarbrücken auf dem Umweltamt arbeitet, das Haus des Schweinehirten von Berviller auf dem lothringischen Saargau gekauft hat, wie sie es peu à peu restauriert und gemütlich gemacht haben, wie ihr Sohn geboren wurde und („ein halber Franzos!“) hier auch zur Schule geht, wie sie von den Alten im Dorf Eine Luxusreise für den Kopf 17 Mit drei Eseln über alte Schmugglerpfade bei Berus markerschütternden Laut. Es war nicht das Getriebe. (Gottseidank!). Es war - etwas Größeres... vielleicht (hoffentlich!) nur ein rostiges Eisentor, das zerknirscht in seinen Angeln hing, drüben, in Berviller? Ich fuhr hin. Das Geräusch wurde lauter. Kein Schrei einer verbogenen Scheunentür, schlimmer: das Todesröcheln einer gequälten Kreatur, der Hund von Baskerville, ein Werwolf, Günther Wewel? Jedenfalls ein letztes asthmatisches Brüllen aus einer grausam gemarterten Brust, aus tieftser Seele, Herr, ruf, schrei ich zu Dir - ! „Das ist Noëlle“, sagte Gerhard Stahl-Manstein. „Sie freut sich immer so, wenn sie die Gartentür hört.“ Noëlle reckte noch einmal den Hals und saugte mit einem heiseren, schwellenden, steigenden „Huuüüüüiiiiiiiii“ ihre Lungen voll Luft und hustete dann alles wieder mit einem vielstimmig krächzenden „Bchwwaaaaaaaa!“ wieder hinaus. „Du alter Esel!“, sagte ich, und Noëlle nickte freundlich mit ihrem großen Kopf. Noëlle ist ein alter Esel. „Ich habe sie gerade noch vor dem Metzger retten können“, sagte Gerhard Stahl-Manstein und öffnete den Rosé. Es würde eine lange Geschichte werden. Sie handelte davon, 62 und von den Alten von drüben, aus Berus, Schmugglergeschichten gehört und gesammelt haben, wie sie zu den Hühnern kamen, die nun im Garten grüne Eier legen, wie Noëlle, die Eselsdame, in letzter Sekunde von der Schlachtbank geführt wurde, wie später Stella dazukam und in ihrem Bauch den Eselsjungen mitbrachte, der jetzt mit den anderen auf der Weide steht, wie der Rosé in Südfrankreich von ehemaligen Fremdenlegionären abgefüllt wird, wie die kranken Kinder von der Kohlhofklinik mit den Eseln über die Felder wandern, wie eine Mutter in Saarlouis drei Monate im Kittchen saß, weil sie Kartoffeln geschmuggelt hatte, wie die ganze Gegend einmal ein Meeresboden war und ob ich noch eine Merguez wolle. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, daß alles miteinander zu tun hatte: die Esel, die Schmuggler, die grünen Eier, der Rosé, die Geologie, die Merguez. Alles hatte mit allem zu tun, denn in der Mitte saß ein Mann, der erzählen kann wie ein marokkanischer Derwisch. Er hielt die Fäden in der einen und das Weinglas in der anderen Hand und alles fügte sich, während er erzählte, zusammen, wie sich in einem Traum alles auf wunderbare Weise fügt. © J.Krimmel Es ist nämlich so, daß der Derwisch am Wochenende (für 125 Euro pro Gruppe) seine drei Esel mit einem Sack voller Geschichten und drei weiteren voller Rosé und Kartoffelsalat bepackt und den alten Schmugglerpfaden folgt. Also den Wegen, auf denen man noch 1990 wegen einer Kiste Wein verhaftet werden konnte. Früher, nach dem Krieg, war es noch schlimmer: da kamen die Leute aus Berus zu den Leuten aus Berviller und baten um Brot, Kartoffeln oder ein Stück Fleisch. All das war streng verboten und mußte bei Nacht und Nebel über die Grenze geschafft werden. Einmal hatten die Leute aus Berviller den Leuten aus Berus gar eine Ziege geschenkt - mit weißem Fell. Keine gute Farbe für eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Also wurde die Ziege in einen Tarnanzug aus Kartoffelsäcken gesteckt - in Berus kam sie trotzdem nicht an. Vor lauter Angst und Finsternis sind die Schmuggler im Kreis gelaufen - und die Ziege blieb französisches Bruttosozialprodukt. Solcherart sind die Geschichten, die man unterwegs von Gerhard Stahl-Manstein zu hören bekommt. Und viele Informationen, die man bis dato nie vermißt hat und die zu kennen daher der pure Luxus ist: Champagner für den Geist. Etwa, daß man früher bei der Geburt eines Mädchens eine Pappel gepflanzt hatte denn Pappeln wachsen genauso schnell wie Mädchen, und wenn diese groß genug zum Heiraten sind, sind jene groß genug zum Fällen. Und das Holz der Pappel finanziert die Aussteuer des Mädchens. Wozu muß man das wissen? Man muß es nicht wissen. Das ist das Schöne. 63 Oder die Hl. Oranna zu den Kopfschmerzen wer hätte schon geahnt, daß sie die Tochter eines irischen Königspaares aus dem 5. Jahrhundert war? Gerhard Stahl-Manstein aber kennt nicht nur die Vornamen der noblen Eltern, sondern auch das gereimte Gebet, mit dem Jungfrauen die Heilige um einen Mann anhauen können. In der Kapelle (dieseits? jenseits?) der Grenze liegen noch zwei Eisenkronen, die gegen Kopfweh helfen, wenn man fest dran glaubt. Einen ganzen Tag kann man so mit den Eseln durch die Felder ziehen, oder auch zwei: Herr Stahl-Manstein sorgt schon für die Übernachtung. Man kommt am Europadenkmal vorüber, von dem aus die Sicht über die Grenzen hinweg phantastisch ist, man steht im Dickicht struppiger Hecken vor verwitterten Grenzsteinen und versucht sich zu erinnern, wer beim Wiener Kongress mit wem getanzt hat, man schreitet vorsichtig über zwei Bänder aus Beton, in die deutsche und französische Kinder ihre kleinen Hände gedrückt haben, als er noch frisch war, man schaut über weite Wiesen, auf denen einmal der Kaiser selbst ein Manöver abhalten ließ und jetzt ein Traktor gegen den Lehm ankämpft, „Stundenböden“, sagt StahlManstein, weil sie nur ein paar Stunden im Jahr überhaupt zu beackern sind. Schon wieder ein Glas Schampus für den Kopf. Und die Esel? Die trotten gemütlich mit und rupfen sich hie und da eine Orchidee, nachdem ihr Herr den botanischen Namen beschworen hat. Und dann sagen sie vor Freude so laut „Huuüüüiiiii - bchwaaaaaa!“, daß der schon abgereiste Reporter zwei Kilometer weiter doch nochmal besorgt nach dem Getriebe schaut. Aber es waren wirklich die Esel: am nächsten Tag ging mein Auto über den TÜV - ohne Mängel! Kontakt Gerhard Stahl-Manstein, Berviller, Frankreich Tel: 0033 3 87 57 03 57 [email protected] www.maison-du-patre.de Eintrittspreise In der Regel 125 € für eine Esels-Tour auf den Schmugglerpfaden, die Gruppe kann dabei bis zu 15 Teilnehmer betragen. Die Tour eignet sich für Betriebsausflüge ebenso wie für Klassenfahrten oder private Wanderungen Zeitreise Anfahrtsweg Über Saarlouis - Felsberg Richtung Metz, irgendwann gehts links ab nach Berviller. Genaue Anfahrtsskizze im Internet (s.o.) Sven Rech 64 65 elten sind ‚in‘. Das Interesse an Lebensweise und Gewohnheiten der Kelten ist in den letzten Jahren rapide gewachsen. Vielfältige Keltenfeste belegen diesen Trend. Davon profitiert auch der Keltische Ringwall von Otzenhausen. Ein wahrlich gigantisches Werk: auf dem Dollberg bei Otzenhausen angelegt, ist er noch immer bis zu 10 Meter hoch. Seine Innenfläche beträgt 19 ha, etwa 200.000 Kubikmeter Baumaterial haben die Kelten etwa K um das 2. bis 1. Jahrhundert v.Chr. zusammengetragen. Erde, Holz und Taunusgranit haben sie damals zu der noch heute gigantisch erscheinenden Umfassungsmauer aufgehäuft. Selbst die zerfallenen Mauern, die als Randbefestigung dienten, türmen sich dem heutigen Besucher noch immer als zwei Meter hohe und bis zu 15 Meter breite Wälle auf. Große graue Granitbrocken – teils mit Moos bewachsen, die zu überwinden einige Anstrengung erfordert. Kelten sind in 18 Der Ringwall bei Otzenhausen Die Granitbrocken stammen vom Dollberg selbst – vermutlich war das mit ein Grund, warum der Wall gerade dort angelegt wurde. Ganz genau wissen das die Ringwall-Forscher noch nicht. Ebenso wenig ist klar, welche Rolle der Ringwall im damaligen Siedlungsgefüge gespielt hat. Aufgegeben wurde die Siedlung innerhalb des Ringwalles, als die Römer die Region für sich entdeckten. Aber auch die genauen Gründe für die Aufgabe liegen noch im Dunkeln. Immerhin haben die Funde auf dem Dollberg keine Anzeichen dafür erbracht, dass es um die Siedlung und den Wall eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben hätte. Die Grabungen auf dem Dollberg sind in den letzten Jahren verstärkt worden. Im 19. Jahrhundert hatten sich Forscher schon einmal den Ringwall vorgenommen, dann noch einmal zwischen 1936 und 1940. Dann aber passierte rund 60 Jahre lang gar nichts. Immerhin: die Grabungsergebnisse der 30er Jahre boten eine brauchbare Basis für weitere Forschungen. Es fanden sich Siedlungsspuren aus früh-, vor allem aber spätkeltischer Zeit, wie zum Beispiel Siedlungsmüll, also Keramik66 scherben und eisernes Gerät sowie Bodenverfärbungen, die Rückschlüsse auf die Struktur der Gebäude zulassen. 2001 gründeten der Landkreis St.Wendel und die Gemeinden Marpingen, Nonnweiler, Oberthal und Tholey die Terrex gGmbH. Diese Gesellschaft kümmert sich um die Pflege der römischen und keltischen Bodendenkmäler im Kreis St.Wendel - und um deren touristische Vermarktung. Ein Projekt ist ‚Römischer Vicus im Wareswald‘ bei Tholey, das andere der Ringwall von Otzenhausen. Das in den letzten Jahren stark gewachsene Interesse an den Kelten sehen die Archäologen der Terrex mit gemischten Gefühlen, gilt es doch, die Grenze zu ziehen zwischen esoterischen Auswüchsen und historisch authentischer Wiedergabe der damaligen Lebensumstände. Auf jeden Fall versucht die Terrex das Interesse an keltischer Kultur für ihre Arbeit zu nutzen. So präsentieren sich Mitarbeiter der Terrex und des Freundeskreises Keltischer Ringwall auf Messen und Festen in Kostümen, die andeuten, wie sich die Kelten damals kleideten. Nicht der kriegerische Aspekt steht dabei im Vordergrund, sondern der hand67 werkliche: Gewänder schneidern, Brot auf traditionelle Weise backen, Lederschuhe herstellen oder Pfeile und Bögen. Diese Fertigkeiten werden auch interessierten Besuchern vermittelt: So bietet die Terrex zusammen mit der Europäischen Akademie Otzenhausen Archäologieseminare an. Mit großem Erfolg. Junge Menschen aus ganz Europa verbringen eine Woche auf dem Dollberg, je nach Jahreszeit bei Regen, Nebel und niedrigen Temperaturen auf den Knien in einem eng umgrenzten Erdloch. Oder auch Senioren, die einmal an einer Ausgrabung teilnehmen möchten – manche haben schon mehrmals an solchen Seminaren in Otzenhausen teilgenommen. Für den ersten Zugang zu den Kelten in unserer Region bieten sich zwei Wege an. Der eine führt in eine Buchhandlung: In Caesars Schilderungen über den Gallischen Krieg finden sich viele interessante Hinweise auf den Alltag im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Der andere Weg führt direkt nach Otzenhausen: Dort gibt es seit zwei Jahren einen archäologischen Wanderweg mit Schautafeln. Darauf finden sich Erklärungen zum Ringwall selbst, aber auch zum Leben der Kelten. Aber Achtung: Festes Schuhwerk ist für die Wanderung auf dem Ringwall ebenso wichtig wie die Bereitschaft, die eine oder andere Steigung zu erklimmen. Der Ringwall selbst präsentiert sich so, wie ihn viele noch von ihrer persönlichen ‚Erstbesteigung‘ als Schüler kennen – das Informations- und Unterhaltungsangebot aber ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Ein Besuch lohnt sich also Kontakt Projekt Ringwall Thomas Fritsch Tel: 0 68 73 - 66 92 32 [email protected] Gemeinde Nonnweiler Tel: 0 68 73 - 66 00 [email protected] Freundeskreis keltischer Ringwall Tel: 0 68 73 - 66 92 32 www.hochwaldkelten.de Öffnungszeiten ie kennen die Festung im lothringischen Bitche, oder haben zumindest davon gehört: Die stark ausgebaute Festung sollte vor allem den Deutschen trotzen. Anders Montmédy im lothringischen Département Meuse, im Dreiländereck zwischen Belgien, Luxemburg und Frankreich: Die Zitadelle von Montmédy hat ihre spitzen Wehrwerke komplett nach Frankreich ausgerichtet. Noch merkwürdiger: Zwar ist die Gegend heute französisch, doch hört man hie und da, dass S die Bevölkerung auf ihre ältere Vergangenheit mit sehr viel mehr Stolz zurück blickt als auf die letzten 300 Jahre. Wie kann das kommen, wo doch die Franzosen für nichts mehr als ihren Stolz auf die Grande Nation bekannt sind? Montmédy ist heute ein typisch-französischer 2000-Seelen-Ort: Marktplatz, Mairie, Monument aus dem 1. Weltkrieg. Die Häuser könnten französischer nicht sein. Die Unterstadt wird überragt von der weithin sichtbaren Zi- Fragen Sie nach dem Haus des Majors 19 Montmédy - Trutzburg gegen Frankreich Nach Absprache Eintrittspreise Wanderweg kostenfrei, Seminare, Workshops und Ausgrabungen auf Anfrage Anfahrtsweg Aus Saarbrücken über die A1 bis AK Nonnweiler Bundesstraße nach Nonnweiler Hinweisschildern nach Otzenhausen folgen Der Wanderweg beginnt am Ortsausgang Otzenhausen auf dem Hunnenringparkplatz. Stephan Deppen 68 69 tadelle aus dem 16. Jahrhundert. Kein Geringerer als Karl V, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und König von Spanien, ließ diese wahrhaft gigantische Festung errichten. Der Grund: Montmédy wurde um 1545 dreimal eingenommen und jedes Mal wenig später von Karl V zurück erobert. Das reichte ihm schließlich, er wollte diese Seite seines Reiches gegen Frankreich gesichert wissen. Als er 1556 zu Gunsten seines Sohnes Philipp II abdankte, baute dieser die Zitadelle weiter aus. Montmédy gehört nun also zu den spanischen Niederlanden. Lange vor dem berühmten Wehr-Baumeister Vauban fand sich für die Zitadelle eine Lösung, den toten Punkt bei der Verteidigung zu vermeiden: Spitze Winkel statt runder Türme zeichnen die Festung von Montmédy aus. Aber nicht nur das: Man kann mit dem Auto in den inneren Ring hineinfahren – über meh- 70 rere tiefe Gräben und Zugbrücken hinweg, schließlich durch einen meterlangen Tunnel. Allein das ist schon beeindruckend. Doch, es gab ein Problem: Die Chiers floss zwar im großen Bogen um Montmédy herum, bildete so einen zusätzlichen Schutz gegen Eroberer, doch in der Zitadelle selbst gab es kein Wasser. Zwar war es im Mittelalter üblich nicht nur in Montmédy - dass Kinder die Burg verlassen durften, um Wasser zu holen. Doch wie viel Wasser konnten Kinder in eine Burg hinein tragen, wenn sie ein Heer zu versorgen hatten? Das Wasser sollte den Verteidigern der Zitadelle schließlich zum Verhängnis werden. Über hundert Jahre lang trotzte Montmédy dem steten Ansturm der Franzosen. Diese waren mittlerweile bis ins benachbarte Stenay vorgedrungen. 1657, im Alter von 19 Jahren, belagerte Ludwig XIV persönlich mit seinem Heer, circa 30.000 Mann, die Zitadelle von 71 Montmédy. Selbst Kardinal Mazarin war angereist. Gemeinsam mit Ludwig XIV und einem großen höfischen Gefolge wohnte er der Belagerung bei. In der Festung: 736 Soldaten unter dem damaligen Gouverneur von Montmédy, Jean d’Allamont, und die Bevölkerung aus der Unterstadt. (Die Bevölkerung konnte sich in den inneren Ring zurückziehen, denn dort steht ein regelrechtes Dorf mit etwa zwei Dutzend Häusern). 57 Tage hielten die Mannen von Jean d’Allamont dem Riesenheer des zukünftigen Sonnenkönigs stand. Die Bewohner Montmédys halfen, wo sie konnten. Selbst die Kinder, die ausrückten, Wasser zu holen, wurden angehalten, die ausgetrockneten Holzwälle der Franzosen anzuzünden. Doch schließlich gab es kein Wasser mehr, die Soldaten starben, zuletzt kam d’Allamont selbst um, die Festung wurde eingenommen. Der 7. November 1659 markiert das Ende des Krieges zwischen Spanien und Frankreich (Sie erinnern sich, durch Philipp II war Montmédy spanisch geworden): beim Pyrenäenfrieden wurden die Festung und das weitreichende Umland endgültig Frankreich zugeschlagen. Im Fremdenführer über Montmédy steht: „Und da öffnete sich die gloriose Seite unserer Geschichte.“ So glorios war sie leider nicht. Zunächst darf der Baumeister des Sonnenkönigs, Vauban, die Außenbefestigungen und die Unterstadt noch nach den damals neuesten wehrtechnischen Erkenntnissen umbauen. Dann dauert es schon gute 100 Jahre, bis Montmédy wieder Erwähnung findet: Ludwig XVI wollte 1791 nach Montmédy fliehen, doch die Revolutionstruppen stoppten ihn bereits bei Varennes. In den folgenden anderthalb Jahrhunderten spielt Montmédy kaum noch eine Rolle. Studiert man nämlich die Karte Frankreichs, fällt auf, dass vor allem die Landesteile unmittelbar 72 gegenüber der deutschen Grenze geradezu gespickt sind mit Wehranlagen und Festungen. Die inzwischen veraltete Anlage von Montmédy an der französisch-belgisch-luxemburgischen wurde aber nicht mehr weiter ausgebaut. Für Frankreich ist die Region inzwischen wirtschaftlich völlig uninteressant. Außer Kalk und Wald hat sie nichts zu bieten. Weder Kohle noch Stahl, auch sonst keine Bodenschätze, es gibt keine nennenswerte Industrie. Die einstmals reichen Flecken verarmten, kaum jemand verirrte sich noch hierher. Die Folge der 300 Jahre langen Ausdünnung: Die Jugend hat ihr Heil in Paris oder anderswo gesucht, die Alten konservieren die Geschichte. Und die reicht sehr viel weiter zurück als nur bis zu Karl V: Schon die Römer gaben Montmédy den Namen: Madiacum. Möglicherweise ist der Name auf den römischen Gott Merkur zurückzuführen, den die Römer auf diesem Felsen verehrten. Nach den Römern blieb der Ort fast 1300 Jahre unbewohnt, Hunnen und Franken verwüsteten das Land. Doch dann kamen die Grafen von Chiny (10. Jahrhundert), die die erste Burg, Mont de Mady, auf dem Felsen errichten ließen (1221 unter Arnulf III). Nachdem sich so lange keiner für Montmédy interessiert hatte, überschlagen sich die Besitzer in den folgenden Jahrhunderten geradezu: Chiny, Luxemburg, Spanische Niederlande, Frankreich, Deutschland, Frankreich. Sie alle haben ihre architektonischen Spuren in der Region hinterlassen. Heute sind die Belgier und Niederländer an der Reihe, allerdings auf eine andere Weise: Die Oberstadt im Innern der Zitadelle war völlig verfallen. Nach und nach werden die bis zu vierstöckigen Häuser vor allem von Niederländern aufgekauft und nach den strengen Regeln des Denkmalschutzes renoviert. Wenn Sie in der Oberstadt sind, fragen Sie nach dem Haus des Majors. Vielleicht treffen Sie dort einen wild gelockten Mann an, der sich Ihnen als Comte de Irgendwas aus der Gascogne vorstellt. Für die Bewohner von Montmédy galt er anfangs als verrückt, war er doch entschlossen, das bis auf die Grundmauern zerstörte Haus des Majors wieder aufzubauen. Ein wenig wunderlich mag der Comte de Irgendwas aus der Gascogne schon erscheinen, doch hat er es geschafft: Stein für Stein und nach uralten Bauplänen hat er das Haus innerhalb weniger Jahre ganz alleine wieder aufgebaut. Der berechtigte Stolz auf diese Leistung ist ihm anzumerken. Fragen Sie ihn nach der Bedeutung der liebevollen Details über dem Türsturz (von ihm selbst gemeißelt), Sie werden so auch viel über die Geschichte der Gegend erfahren. Zögern Sie auch nicht, mit dem „Office de Tourisme“ Kontakt aufzunehmen. Die Chefin, Laurence Muller, macht auch für deutsche Gäste alles möglich, um „le pays de Montmédy“ der Vergessenheit zu entreißen. Die Innenstadt ist kostenlos zu besichtigen, doch lohnt es sich, die paar Euro fuffzig auszugeben für die geführte Besichtigungstour über die Befestigungsanlage, mit den Pferdeställen, den Pulvermagazinen und dem (spät!) entdeckten Brunnen in 80 Metern Tiefe. Besonders spannend: Die „Nocturnes de la Citadelle“, jeweils freitags und samstags nachts im Juli und August. Mit Fackeln geht es in die Tiefen der Befestigung hinunter. Und wer noch mehr über Wehranlagen wissen möchte: Im Museum Jules Bastien-Lepage in der ehemaligen Hauptwache der Zitadelle erfahren Sie alles über Kriegstechnik, von den Römern bis heute. Kontakt Office du Tourisme du Pays de Montmédy Laurence Muller Boîte Postale 28 55600 Montmédy Tel: 03 29 80 15 90 oder 03 29 80 06 35 [email protected] www.montmedy.com oder: www.cr-lorraine.notaires.fr/meuse/circuit2.htm Öffnungszeiten Im Sommer (Juli/August): 10-19 Uhr, im Frühjahr und Herbst: 10-18 Uhr, im Winter (November bis März: 10-16 Uhr) Eintrittspreise 4 € für Erwachsene, 2 € für Kinder Anfahrtsweg Von Saarbrücken aus über die Autobahn bis Luxemburg, von Schengen über Mondorf-les-Bains bis Dudelange über die Landstraße, bei Dudelange wieder über die Autobahn über Esch-sur-Alzette bis Pétange, von dort ab wieder Landstraße: Aubange, Mussan, Harnoncourt, Ecouvier, nach weiteren 6-7 Kilometern: Montmédy. Ca. 170 km, 2-2,5 h Fahrt, wenn die Autobahn zwischen Schengen und Dudelange fertig ist, schneller Lisa C. Huth 73 ausende Autos brummen täglich über die Hunsrückhöhenstraße Richtung Mainz beziehungsweise Hermeskeil. Das war vor 2000 Jahren nicht anders, nur dass es keine Autos waren, sondern schwerfällige Pferde – und Ochsenkarren. Reger Verkehr herrschte schon immer auf den Höhen des Hunsrücks. Mehr durch Zufall wurde schon im 19. Jahrhundert die Siedlung „Belginum“ unweit des heutigen Ortes Morbach entdeckt. Seitdem wurde immer mal wieder nach Altertümern T Römische Hochkultur im Hunsrück 20 Der Archäologiepark Belginum bei Morbach gegraben. Nun hat die Gemeinde Morbach ein geräumiges Museum auf die Reste der alten römischen Siedlung gesetzt, ein richtiger Archäologiepark ist entstanden, so etwa wie in Bliesbrück – Reinheim oder in Borg. Was hier oben in nur 2 Jahren auf die Beine gestellt wurde, kann sich sehen lassen. Das Museum vermittelt in seiner Struktur einen hervorragenden, dreidimensionalen Eindruck von der antiken Bebauung. Große Panoramafenster geben den Blick frei auf das antike Gräberfeld, das sich in östlicher Richtung zum Wald hin erstreckt hat. Nördlich die Mosel und die Höhen der Eifel, im Westen der Tempelbezirk, im Süden die Siedlung. Die Dauerausstellung: Mal was anderes. Man muß selber was tun und das macht den besonderen Charme dieser Präsentation aus. So muß man, will man in römische Zeiten abtauchen, Schubladen aufziehen. Die stecken in einer Art Kiste und verbergen zunächst die Funde aus keltischer und römischer Zeit. Klappt man den Deckel einer Kiste auf, zeigt sich das Panorama zum Beispiel einer antiken Besiedlung. Bekannt ist Belginum schon lange und auch immer wieder wurden Funde gemacht, eher 74 unsystematisch beim Bestellen der Felder etwa oder beim Fällen von Bäumen. Diese Funde kamen dann, der Zuständigkeit halber, nach Trier ins Rheinische Landesmuseum. Von dort, kleine Ironie der Geschichte, sind sie nun zurück auf dem Hunsrück - als Leihgabe. Kleine, wunderschön gearbeitete Statuetten etwa, eine Quellgöttin oder eine Amme, 10, 15 Zentimeter hoch, doch bis ins Detail die originalgetreue Abbildung eines Menschen – oder wenn man so will einer Göttin, aber diese waren bei den alten Römern ja meist allzu menschlich. Die Macher der Ausstellung haben sich bemüht eine möglichst umfassendes Bild gallo – römischer Lebensverhältnisse zu bieten. Gleich welche Kiste man öffnet, immer wartet eine Überraschung. Zum Beispiel: welche Pflanzen gab es vor 2000 Jahren auf dem Hunsrück? Brot wurde gefunden, Getreide zum Bereiten des sehr beliebten Breis oder Gebäck, das genauso aussieht wie heute die aus den USA importierten Bagels. Also Teig mit Loch in der Mitte. Belginum war ein Straßendorf, denn was heute als Hunsrückhöhenstraße in den Karten auftaucht, war schon seit Urzeiten eine der wichtigsten Handelsstraßen. Hatte man, von Trier kommend, erst einmal die Anhöhe erklommen, ging es nur noch eben bis nach Mainz. Handel und Handwerk die Urtätigkeiten des Menschen. Und damit alles seinen rechten Gang ging, wurden schon früh Waagen erfunden. Die ältesten weit mehr als 2000 Jahre alt. Noch sehr klein, warum weiß keiner. Aber bei den Römern wurde dann alles viel größer, Waagen zum wiegen von Zentnerlasten sind keine Seltenheit. 1 % der Gesamtfläche sind bisher erst erforscht, es gibt also noch viel zu tun. Belginum war nicht nur eine wichtige Zwischenstation auf der großen Handelsroute, es war auch Garnison. Zu beiden Seiten der Straße befanden sich auf einer Länge von rund 600 Metern dicht an dicht schmale, nur 8 bis 10 Meter breite Parzellen, die aber bis zu 90 Meter lang sein konnten. Diese Parzellen waren mit einer Steinmauer umgeben, wehrhaft, denn nicht erst seit dem Schinderhannes gibt es böse Buben auf dem Hunsrück. Die Wohnverhältnisse waren einfach, mit Werkstatt und Laden kombinierte Wohnhäuser, der Eingang an der Straße. An diesen Bereich schloß sich ein Tempelbezirk 75 an, der wohl der Zivilbevölkerung diente. Die Soldaten hatten einen eigenen kultischen Bezirk. Mit am aufschlussreichsten war für die Archäologen das riesige Gräberfeld mit 2 500 Grabanlagen aus keltischer und römischer Zeit. Ein weiterer Beweis für die tausendjährige Besiedlung des Areals. Die Überreste der Toten und die Grabbeigaben finden sich ebenfalls im neuen Museum, in einer ganz großen Kiste mit vielen unterschiedlich großen Deckeln. Hier kann man auch nachvollziehen, wie sich im Laufe der Zeit die Begräbnissitten wandelten. Lebensgeschichten anhand von Gräbern sollen erzählt werden. Viel kann man von Seiten der Wissenschaft erfassen, erklären, aber noch lange nicht alles. Und das ist das Schöne an dieser Dauerausstellung auf dem Hunsrück, es bleibt dem Besucher Raum sich selbst ein Bild zu machen, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, in seinem Kopf Lebenswelten längst vergangener Epochen entstehen zu lassen. Und wer noch ein wenig mehr wissen will, der kann sich einen Audio–Guide nehmen. In Interviews mit verschiedenen Wissenschaftlern wird hier konkret auf die jeweiligen Exponate oder bestimmte Fragestellungen eingegangen. Michael Lentes 76 Kontakt Archäologiepark Belginum Keltenstraße 2 Wederath Tel: 0 65 33 - 95 76 30 [email protected] Öffnungszeiten März bis Mai 10.00 bis 17.00 Uhr Juni bis September 10.00 bis 18.00 Uhr Dezember und Januar geschlossen, montags geschlossen Eintrittspreise Erwachsene: 3,10 €, Kinder (6-15 J.): 1,50 €, Familie 6,10 € Gruppen je Person 1,50 €, Schulklassen je Person 0,80 € Führungen (max. 25 Pers.) nach Anmeldung: 35 € Anfahrtsweg Von Saarbrücken über die A1, Abfahrt Otzenhausen, dann über Birkenfeld Richtung Morbach. Belginum liegt unmittelbar im Kreuzungsbereich der B 327 (Hunsrückhöhenstraße) und der B 50 bei dem Dorf Wederath Der Einsiedler Alleinsein im Krummen Elsaß 21 ie taten ihm nichts. Sie mochten ihn nicht, sie beäugten ihn mißtrauisch. Hinter seinem Rücken tuschelten sie sich die absurdesten Geschichten über ihn zu. Aber sie taten ihm nichts. Sie ließen ihn in Ruhe. Das war schon etwas. Nach ca 15 Minuten Wanderung auf einem schönen breiten Weg geht es links ab. So siehst du aus! Schon nach zehn Minuten Wanderung hatte sich der schöne breite Weg zu einem Trampelpfad durch die Hecken verjüngt, und nach 15 Minuten stand ich auf einer grünen Wiese, auf der es nirgendwo hin ging - oder überall. Die Bienen summten, die Blumen leuchteten in der Sonne, die Erde roch nach Frühling. Hier war es schön und still und friedlich. Hier konnte es nicht sein. S 78 Ich suchte nach einem Ort der Entbehrung, der Einsamkeit, der Buße. Er sprach nicht viel. Nur das Nötigste. Seine Sprache war verräterisch. Sie verriet seine Herkunft. Zumindest verriet sie, wo er nicht herkam: er kam nicht von hier. Er kam (hier gingen die Meinungen auseinander) aus einem benachbarten Tal. Oder aus den Bergen. Oder aus der Schweiz. Nein: aus B... Jedenfalls: er gehörte nicht dazu. Seine Sprache verriet es. Er war ein Fremder und würde es immer bleiben. Bleiben... Er konnte nicht zurück. Er blieb. Hier. Allein. Ich suchte die Einsiedelei von Hellert im krummen Elsaß. Eine Felsenwohnung. Maison troglodyte. Eine Höhle im Fels, in der einmal ein Mensch gehaust hat, als der Rest der Menschheit schon Fahrrad fahren, Licht anknipsen und Gesangsvereine gründen konnte. Dieser eine aber konnte, wollte das alles nicht. Warum? Ich ging den Pfad zurück, durch die Hecken, in den Wald, der Pfad wurde breiter und zu dem schönen Weg vom Anfang. Er ist, was mir am Anfang entgangen war, eine Trimm-DichStrecke mit Geräten aus Original-Holzstämmen aus diesem Wald. Bei Station 9 (Bauchtraining) verzweigt sich der Weg. Weil ich zuvor links hätte abbiegen müssen, ging ich jetzt nach rechts. Bergab. Schon nach wenigen Metern kamen die Felsen: ein Plateau, ein jäher Abgrund und unten - endlich - die Höhlen. Genaugenommen sind es keine Höhlen, sondern Felsvorsprünge, deren offene Seite zugemauert ist. Eine Öffnung fürs Fenster, eine für die Tür, drinnen gestampfter Lehmboden, ein gemauerter Kamin. Der Einsiedler habe einen Strohsack, einen Stuhl und einen Ofen besessen, berichtet der Prospekt des Tourismusbüros. Ihm schräg gegenüber wohnte der „Felsenmartin“ mit seiner Frau. Keine Einsiedelei also, sondern eine Dreisiedelei. Aber auch drei allein in einem Wald sind wenig. Kein Wasser, kein Strom-, kein Gasanschluß. Nur die Aussicht ist phantastisch. Er konnte nicht zurück. Der Pfarrer Schwaller, dem er sich anvertraute, notierte später, er habe seine Heimat aus bedauerlichen Meinungsverschiedenheiten in seiner Familie verlassen. Was er nicht notierte, war, warum Edouard Himbert nicht in einem der Dörfer wohnen wollte. Zu den Höhlenbewohnern am Falkenfelsen war er gezogen, zu den Wilddieben und Plünderern. Seit Menschengedenken hausten sie hier, lange bevor sich im Tal die Dörfler ansiedelten und mit scheelen Augen zu ihnen hinaufsahen. Erst als der deutsche Kaiser die ganze Gegend annektierte und die preußische Forstverwaltung die Höhlen mit Dekreten und Dynamitstangen zum Einsturz brachte, mußten sich auch die Gesetzlosen fügen. Alle, bis auf drei. Der Felsenmartin mit seiner Frau und er selber: Eduard Himbert, genannt der Waldbruder. Sie hatten ein Stückchen Fels gefunden, das nicht dem Kaiser gehörte. Dort ließ man sie in Ruhe. Warum zieht es jemand vor, in einer zugigen Felswand zu leben statt in einem Dorf mit einem Bäcker und einem Wirtshaus und Leuten, die einander grüßten und miteinander lachten? Wollten sie ihn nicht, oder wollte er sie nicht? Wie fühlte man sich, wenn man morgens erwachte in einer Behausung, die halb Versteck, halb stolze Burg hoch über den Gemeinen war? Woran dachte Eduard Himbert, wenn er Stöcke schnitzte und zuschaute, wie gegenüber der Kirchenfelsen von Dabo in den Horizont ragte wie ein Schiff? Auf dem Riff vor Himberts Höhle stehend ahnte ich unter mir das Meer, aus dem vor Urzeiten glucksende Seeungeheuer ihre dünnen grünen Hälse reckten. Insekten, fett wie Katzen, flogen von Schachtelhalm zu Schachtelhalm, und in den Zweigen wuchs einem Affen das Gehirn so schnell, daß sein Nachfahr noch Millionen Jahre später davon Kopfschmerzen bekam. Ich starrte in die längst verdampfte See, auf deren Grund jetzt Bäume standen und Renaults und ein Dorf, in dem kein Mensch an Ungeheuer dachte, sondern an den Rasenmäher, an die Steuererklärung oder an Tahiti. Über Kilometer hinweg konnte man die Braten riechen und die Scheuermittel, mit denen dort drüben die Äonen weggeputzt wurden, auf daß Sonntag sei, der siebente Tag, und der Mensch in seinem Paradiese sehe, daß es gut war. Und für einen Moment lang, den Bruchteil einer Sekunde wußte ich genau, warum der Einsiedler nicht dort unten wohnen wollte, sondern allein in seiner Höhle. 79 Sie taten ihm nichts. Sonntags drückte er dafür den Blasebalg für die Orgel in ihrer Kirche. Er mochte die Musik und das Feierliche am Gottesdienst. Im Grunde mochte er wohl auch die Menschen. Er schnitzte ihnen Kreuze und Spazierstöcke und Heiligenbilder. Sie nahmen sie ihm gerne ab. Er schnitzte gut. Aber er gehörte nicht dazu. Er gehörte auf seinen Felsen, umgeben von kühler, freier Luft und von Legenden. Am 21. März 1902 ist Eduard Himbert gestorben. Sein Haus verfiel, bis es vor rund zehn Jahren für die Touristen wieder hergerichtet wurde. Wenn sie jetzt im Wald noch Schilder aufstellen, wie man dahinkommt, findet vielleicht auch einer hin. Allerdings ist es dann auch nicht mehr so einsam dort - und das ist ja eigentlich die Hauptattraktion. Sven Rech 80 Kontakt Office de Tourisme du Pays de Dabo 10, place de l’église, F-57850 Dabo Tel: 00 33 3 87 07 47 51 [email protected] www.ot-dbo.fr Anfahrtsweg Über die Autobahn Saarbrücken-Strasbourg, Ausfahrt Phalsbourg. Hinter der Pèage-Station im Kreisel zunächst Richtung Dabo. Kurz nach dem Schiffshebewerk von Arzwiller gabelt sich die Straße (bei Sparsbrod). Links hoch in Richtung Hellert. Vor dem Ortseingang Hellert befindet sich ein Sägewerk. Gleich dahinter geht es scharf rechts einen Feldweg hoch. Nach ca. 50 Metern parken. DemTrimm-Dich-Pfad in den Wald folgen (hier steht auch noch ein Schild „Maisons troglodytiques“). Bei Station 9 (Bauchmuskeln) links den Pfad hinunter. Nach knapp 100 Metern steht man auf dem Falkenfelsen. Kultur für Kids 81 ie Kaffeetafel ist gedeckt, der Page empfängt uns an der Tür, die Gräfin erwartet uns zum Plausch im Witwenpalais in Ottweiler, der ehemaligen Residenzstadt der Fürsten zu Nassau-Saarbrücken. „Wir“ – das sind Kinder des 21. Jahrhunderts – und die Gräfin ist Catharina, Reichsgräfin und Gemahlin des Fürsten Ludwig. Catharina möchte erzählen vom Leben am Hofe, aus ihrer Zeit. Sie ist inzwischen 244 Jahre alt, sieht aber dafür noch ganz gut aus in D die Jungs sie nicht mehr ärgern konnten. Das hat ihr den bis heute erhaltenen Spitznamen eingebracht. Geboren wurde sie nämlich nicht als Gräfin, sondern als einfaches Kind vom Land. An den Hof der Fürsten zu Nassau-Saarbrücken kam Catharina als Kindermädchen und wie das so ist, hat der Fürst sich in das Kindermädchen verliebt und als seine erste Frau starb, hat er dann Catharina zu seiner zweiten Frau gemacht. Spaziergang mit der Gräfin 22 Eine historische Stadtführung durch die alte Residenzstadt Ottweiler ihrem Kleid aus dem Barock, mit Reifrock und Perücke. Die Kaffeetafel ist schon ein bisschen anders als zu Hause: Die Gräfin hat vor sich ein Gedeck aus edlem Porzellan – schließlich gab es in Ottweiler ja die Manufaktur -, für uns Kinder ist nur Tongeschirr vorgesehen. Komisch. Aber das war damals so, erfahren wir. Der normale Untertan aß und trank aus Tongeschirr, Porzellan gab’s nur bei Hofe. Auch zu essen gab’s nur Brot und zu trinken Wasser – das bekommen jetzt auch wir vorgesetzt, während die gräfliche Tasse mit Kaffee und der Teller mit Gebäck gefüllt wird. Egal, es schmeckt uns trotzdem und mit vollem Mund, ganz gegen die höfischen und auch heutigen Sitten beeilen wir uns zu antworten: „Gänsegretel“, als Gräfin Catharina uns fragt, unter welchem Namen sie denn besser bekannt sei? Gänsegretel – den Beinamen hat sie ihrer Tierliebe zu verdanken, erzählt sie uns bei Wasser und Brot. Als sie etwa 13 Jahre alt war, hat sie eine Gans vor den Streichen einiger Jungs gerettet und mit nach Hause genommen, damit 82 Das klingt zwar alles wie im Märchen, ist aber wahr und in den Geschichtsbüchern auch nachzulesen – dennoch haben wir wenig Interesse daran, vielleicht auch mal Gräfin zu werden. Das scheint uns dann doch zu anstrengend! Immer diese riesengroßen Kleider, immer Diener um uns rum und überhaupt die ganzen höfischen Sitten! Aber ein schönes Lustschlösschen hatten die damals! Das steht heute noch in Ottweiler, inzwischen nicht mehr auf einer Insel, sondern direkt an der B 41 und ist auch nicht mehr bewohnt, sondern dort ist jetzt eine Behörde untergebracht. Aber früher, wenn der Fürst Feste feiern wollte, dann fanden die dort statt. Mitten im Rosengarten, der heute wieder so hergerichtet worden ist, wie er früher ausgesehen hat. Mit Brunnen und exakt angelegten Wegen, mit Rosenbüschen und Sträuchern – ganz wie früher, nur die Zugbrücke über die Weth ist nicht mehr da, dafür gibt’s jetzt die Ampel über die B 41. Und schon sind wir mitten in unserem Spaziergang mit der Gräfin durch ihre alte Residenz. Ausgangspunkt ist der Rosengarten, von dort geht’s in die Museumsapotheke. Die älteste privilegierte Apotheke im Saarland seit 1771. Der Graf hatte erlassen, dass hier eine Apotheke eingerichtet werden durfte, damit die Untertanen nicht mehr auf die fahrenden Händler angewiesen waren, die Kräuter und Tränke anboten und damit sicher gestellt war, dass die Tinkturen und Mixturen auch genau nach Rezept hergestellt worden sind und nicht etwa gefährlich waren. „Herba artemisiae“ liest Nina auf einem alten Holzgefäß – Flora wundert sich, dass alle Gefäße aus Holz sind, nicht wie heute aus Glas, aber besonders interessant finden wir alle den riesengroßen Mörser. Violetta und Kim können ihn kaum heben, so schwer ist das Gerät. „Warum sind da Teebeutel drin?“ will Kim wissen – „weil man früher in so einem Mörser Kräuter gestampft hat, die dann zu Tee gebraut wurden. Jeder Apotheker hatte ein Kräutergärtchen bei der Apotheke, erklärt uns die Gräfin, er musste nämlich seine Arzneien selber mischen. Und dann hatte er noch ein kleines Häuschen im Garten, das sogenannte Stoß-Häuschen, in dem wurde mit dem Mörser gearbeitet – nicht etwa in der Apotheke selbst. „Warum denn nicht, das wäre doch viel praktischer?“ Ganz einfach: die Mörser waren so schwer, dass hin und wieder mal die Decke eingekracht wäre, wenn der Apotheker immer wieder in einem Raum im Haus damit gearbeitet hätte. Und auch die Waagen finden unser Interesse, so was haben wir noch nicht gesehen. Gewichte, winzig klein und kaum spürbar, so leicht sind sie und dann wieder andere, die wiegen richtig viel. Ja, auch das war ganz, ganz wichtig, wenn man sicher sein wollte, dass die Arzneien die richtige Mischung enthielten. Wenn man nämlich von dem einen oder anderen Kraut zuviel genommen hat, dann wurden die Patienten vielleicht nicht gesund, sondern 83 noch viel kränker oder konnten sogar sterben. Und dann erklärt uns Gräfin Catharina auch noch, warum der Apotheker auch hin und wieder Pillendreher genannt wird. Das Gerät, mit dem er die Pillen früher von Hand herstellen musste, ist ebenfalls noch in der Museumsapotheke zu sehen. Viel gäbe es hier noch zu bewundern und zu testen, aber wir müssen weiter, die Tour ist noch lange nicht zu Ende. Über den Schlossplatz, vorbei am Quakbrunnen, wo die Gräfin uns vom alten Brauch erzählt, dem der Brunnen seinen Namen verdankt, gehen wir an der Schlossmauer entlang zum Zwinger. So nannte man den engen Zwischenraum zwischen beiden Stadtmauern, die die Stadt schützten. Der äußere Teil diente als Schutz, am inneren Teil waren ganz eng die Häuser angebaut. Hier steht auch das älteste Ottweiler Haus. Es wurde 1444 zum ersten 84 Mal in einer Urkunde erwähnt und darin wohnten die letzten drei Nonnen des Ottweiler Klosters Neumünster. Und schon gehen wir durch Ottweilers älteste Straße, die Tensch. Der Name hat nichts mit Dreschen zu tun, wie wir hören, sondern es war ein schmaler Uferweg über einen Weiherdamm. Die Straße ist auch heute noch ganz schmal, allerdings stehen heute hier keine Häuser mehr. Das älteste Schulhaus ist allerdings noch erhalten. Um 1700 war hier eine Schule für Buben und der Lehrer wohnte gleichzeitig auch da. „Das war ja bestimmt ganz eng“, meint Nina – ja, das war es sicher, denn die Häuser sind noch immer sehr eng und schmal. Es gab auch nicht viel mehr als den Raum, in dem so 20 bis 30 Buben unterrichtet wurden und dann den Raum, in dem der Lehrer wohnte und eine Küche. „Und das Klo?“ Das Klo war ein Häuschen im Hof, das war früher so und bis vor etwa 30 Jahren gab es auch in Ottweiler in der Altstadt eine Stelle, wo noch immer einige Klohäuschen standen. Apropos Klo: Ottweiler war schon damals etwas vornehmer als die Dörfer rundum: die Rinne, in der der ganze Abfall, das Abwasser und alles, was man loswerden wollte, weggespült wurde, war in Ottweiler schon im Mittelalter gepflastert – und deshalb waren die umliegenden Dörfer neidisch und haben den Ottweilern einen nicht ganz liebevollen Spitznamen verpasst: die Plaschderschisser! Aber hier konnte man eben alles ganz gut wegspülen und es hat in der Stadt nicht mehr so stark gestunken! Durch die engen Straßen der Altstadt kommen wir zur evangelischen Kirche. Dort im Keller war früher das so genannte Grabgelege der Ottweiler Grafen. Bis vor 10 Jahren hat man immer mal wieder Gebeine gefunden. Die Gruft wurde immer wieder geplündert und wenn heute im Kirchenkeller gefeiert wird, gibt’s immer wieder die eine oder andere gruselige Anekdote. Auch Gräfin Catharina weiß eine vom Silberschatz, der dem Kloster Neumünster gehörte und nach dem die Leute immer wieder suchten. Im heutigen Stadtteil Neumünster sollen Burschen immer wieder versucht haben, den Schatz zu finden und haben tagelang gegraben, bis sie auch wirklich einen riesigen Sarg gefunden haben... In den wollten sie natürlich auch reingucken, weil man ja schließlich Gold und Silber bei den Gebeinen vermutete... Einer der jungen Burschen entdeckte ein kleines Fensterchen, das rieb er blank und schaute rein - und schrie und rannte weg! Und die anderen taten es ihm der Reihe nach nach! Sie schauten rein und schrien und rannten weg! „Und warum rannten sie weg?“ Im Sarg lag der Heilige Terentius und der soll den Jungs einen Finger gezeigt haben! Den Schatz hat man bis heute nicht gefunden, aber man weiß jetzt wenigstens, wo der Heilige Terentius bestattet liegt. Soviel zu den Sagen und Geschichten, die sich um Schätze und das Kloster Neumünster ranken! Tja, so ist das mit den Schätzen und Geschichten! Zum Abschluss gibt’s noch eine Geschichte, die ist aber wahr und gar nicht gruselig. Vor gut sieben Jahren, als in Ottweiler die mittelalterliche Ringbebauung um den Schlossplatz wieder hergestellt wurde, hat man auch einen kleinen Innenhof neu benannt und zwar nach dem in Ottweiler gebürtigen deutschen Barockmaler Fornaro. Geboren wurde er eigentlich mit dem Nachnamen Schmidt, da er aber lange Zeit in Italien gelebt hat, hat er wohl den übersetzten Namen schöner gefunden. Fornaro also wurde im August 1757 in Ottweiler geboren, sein Vater war Lakai bei Hofe und der Junge hatte so Gelegenheit, den Porzellanmalern über die Schulter zu schauen – und bei ihnen was zu lernen. Fürst Ludwig wurde irgendwann aufmerksam auf ihn, erkannte, dass der Junge Talent hatte und nahm ihn mit nach Saarbrücken, wo der Junge beim Hofmaler in die Schule ging und später mit diesem nach Darmstadt. Dort wurde der junge Fornaro selbst Hofmaler und wie das damals so war, suchte er sein Glück und die Vervollkommnung seiner Kunst in Italien. Lange Zeit soll er in Rom gelebt haben. Um ihn in Ottweiler wieder in Erinnerung zu bringen, wurde erst der Platz nach ihm benannt, dann eine Torte und eine Praline erfunden, die seinen Namen tragen und sich inzwischen gut verkaufen. Ottweiler ist also eine Reise wert – eine Reise ins Barock, egal ob Groß oder Klein. Sabine Ertz Kontakt Kulturamt des Landkreises Neunkirchen Wilhelm-Heinrich-Straße 66564 Ottweiler Tel: 0 68 24 - 90 60 Öffnungszeiten Nach Vereinbarung Eintrittspreise Unterschiedlich, je nachdem ob Privatpersonen, Schulen oder Verein, die Führung buchen Anfahrtsweg Je nach Treffpunkt in Ottweiler 85 ih“ – „ Das ist doch nur eine Blindschleiche“, solche und ähnliche Ausrufe gibt’s häufiger auf unserem Spaziergang über den Waldsinnespfad zwischen Ottweiler-Fürth und Steinbach. Knapp vier Kilometer lang ist der Pfad und wir haben ausreichend Zeit eingeplant, um alles in Ruhe erfahren und genießen zu können. Los geht’s an der Ölmühle Wern – immer den Ohren oder Augen nach. Es ist noch früh im Jahr, der Waldboden selbst ist schon ein Erlebnis für die nackten Füße – zartgrün mit un- I auf etwas ganz Bestimmtes. Wie zum Beispiel den einfachen Guckkasten, der plötzlich mitten im Weg steht. Guckt man durch, wird der Blick auf einen alten, durchlöcherten Baumstamm gelenkt, an dem offenbar ein Specht ganze Arbeit geleistet und ihn dann aufgegeben hat. Verlassen ist der Baum deswegen aber trotzdem nicht, viele Insekten und auch Fledermäuse haben ihn zur Wohnung erkoren. Der Guckkasten ist nur ein Symbol für all das, auf Naschkatzen bei der Riech- und Schmeckstation 23 Der Waldsinnespfad zwischen Fürth und Steinbach zähligen Buschwindröschen übersät, verlockt es geradezu, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und einfach Laub, Blüten und Sand unter den Füßen zu spüren – aber das sparen wir uns dann doch lieber auf bis zum eigens dafür angelegten Barfußpfad. „ Das ist Wiese – das ist Moos – jetzt laufen wir über Sand, der kitzelt unter den Füßen und zwischen den Zehen“, meinen Nina und Flora als sie über die vier abgeteilten Felder laufen und mit verbundenen Augen versuchen, zu erraten, was sie da fühlen. „iih, die Kieselsteine sind aber kalt,“ findet Violetta und läuft schnell weiter auf zartes Moos. Rindenmulch ist offenbar nicht so toll, die Kinder ziehen Moos und Sand vor. Der Barfußpfad ist bewußt mit vier unterschiedlichen Materialien angelegt worden, um Kindern wie Erwachsenen wieder einmal vielleicht vergessene Eindrücke fühlbar zu machen. Barfuß über den Waldboden – ein wunderbares Gefühl, auch wenn die ein oder andere Ameise zwickt. Strümpfe und Schuhe wieder angezogen, geht’s weiter, einfach quer durch den Wald oder auch den Wegen nach – man kommt immer wieder an eine Station, die mit hölzernen Augen oder Ohren aufmerksam machen will 86 das man beim Spaziergang durch den Wald achten kann. Er wurde aufgestellt, um bewusst aufmerksam zu machen auf etwas, woran man normalerweise bestimmt eher achtlos vorbei gehen würde. Mit den kleinen Symbolen und Hilfen haben die, die vor drei Jahren begonnen haben den Pfad anzulegen den Blick oder das Ohr bewusst lenken, die Sinne ein bisschen schärfen wollen für das, was am Waldrand, auf der Wiese oder in den Bäumen so passiert – und sei es nur ein Wespennest oder ein paar Käfer, die unter Steinen leben. So wie hier am Bach, wo wir trotz der frühen Jahreszeit unter anderem Larven von Steinfliegen finden. Dort ist der Beweis dafür, dass die Wasserqualität des Baches, der durch den Wald plätschert, gut ist. Die Kinder lernen, dass die Köcherfliegenlarven und die Steinfliegenlarven das Wasser brauchen, bis sie zu Fliegen werden und dann die Luft zu ihrem Element machen. Mit ihrer braunen Farbe sind sie für ihre Feinde auch kaum zu erkennen und leben damit gut geschützt unter den Steinen, die wir im Wasser umdrehen, um sie zu finden. Wir gehen weiter und raten zwischendurch immer wieder mal, welcher Vogel da gerade zwitschert - ein Rotkehlchen, meint Flora, ein Spatz Elena – die Auswahl ist groß. Und wenn man die Vögel dann sehen kann, weil sie gerade mal Rast machen auf einem nahen Ast, dann kann man sie am Gefieder erkennen und unterscheiden – am Gezwitscher ist das eher schwer. Da hören wir nur den Specht eindeutig, wie er wieder einen neuen Baum bearbeitet. Wir kommen zur Riech- und Schmeckstation, die angelegt wurde, damit die Kinder Kräuter und Beeren kennenlernen. Sauerampfer, Minze, Liebstöckel, Bärlauch – das alles und viel mehr ist hier zu finden. Und wenn der Sommer richtig da ist, dann gibt’s auch jede Menge Beeren zu naschen. Elena hat schon die nächste Attraktion entdeckt und ist mit Violetta kräftig dabei, den aufgehängten Holzstämmen eine Melodie zu entlocken. Das klingt zwar eigentlich nur laut, aber wenn man genau hinhört, kann man beim Holzxylophon erkennen, dass die unterschiedlich dicken und langen Stämme auch ganz unterschiedlich klingen. Vio und Elena sind vielleicht noch etwas zu kurz geraten – sie haben noch Mühe, die Stämme richtig zu treffen. Flora und Nina kommen schon besser an das hölzerne Musikinstrument. Aber: keine Sorge! Auch für die Kleinsten soll in Kürze ein solches Xylophon aufgestellt werden, dann können auch sie ohne Mühe neue Kreationen komponieren. Nina und Flora sind schon weiter gegangen, sie interessieren sich für das Leben im Totholzbaum. Auch wieder so ein Begriff, der eigentlich irreführend ist. Der Baum ist nämlich keineswegs tot, er ist voller Leben, auch wenn er als Baum abgestorben und gefällt worden ist. Inzwischen leben hier Ohrwürmer, Schlupfwespen, Spinnen, alle möglichen Insekten und allerlei Organismen – und deswegen ist es eigentlich ein Biotop-Baum, der gar nicht tot ist. Und dann kommen wir noch zum Tastkasten, - hier kann man fühlen und raten, was man in den Fingern hält. Das mögen die vier Mädels gar nicht so gern. So ganz ohne zu wissen, was sie erwartet, kostet es ein bisschen Überwindung, in den Kasten zu greifen. Es könnte ja eine tote Maus drin sein! Aber Christoph Hassel von der Stadt beruhigt: „Das werdet ihr nicht finden. Wir haben da nur Federn, Baumzapfen und Moos oder Rinde reingelegt“. Los geht das fröhliche Materialien-Raten. Spaß hat’s gemacht, viel zu schnell ist die Zeit vorbei und wir sind in Steinbach angekommen. .... und eigentlich könnten wir dort im Freizeitgelände Hiemes jetzt Rast machen und dann noch mal zurücklaufen – aber das machen wir ein anderes Mal, wenn’s wieder andere Dinge zu entdecken gibt. Und bis dahin sind dann vielleicht auch noch neue Stationen aufgebaut, denn fertig ist man hier noch lange nicht – der Wald ist schließlich riesengroß. Sabine Ertz Kontakt Christoph Hassel, Stadt Ottweiler Postfach, 66564 Ottweiler Tel: 0 68 24 - 30 08 36 Öffnungszeiten Ganzjährig, 7-tägig Anfahrtsweg Von Ottweiler über B 420 nach Führt, Ortsmitte: Ölmühle Wern ein, sagt die Frau empört, so haben sich die Frauen niemals getragen in unserer Gegend. Das Tuch gehört nicht dazu, der Kragen stimmt auch nicht.“ Wie sie es sagt, das kann ich hier nicht wiedergeben. Die Frau, die es sagt, ist aus Kochersberg. Sie steht vor einer lebensgroßen Puppe und das Schildchen besagt, dass dies eine Tracht just aus ihrer Region ist. Spass haben sie aber allemal, die Leute aus der Gegend von Marlenheim, schon allein wegen ihres Erschreckens, als sie in die Gross´Stub N wie die Trachtenpuppe aus Kochersberg. Weniger schweigsam sind die Gänse im Wirtschaftsteil dieses Bauernhauses. Bedrohlich zischend recken sie uns ihre Hälse entgegen. „Deshalb haben wir sie ja auch hinter „Gitter“ gebracht“, sagt M. le directeur als ich ihm erzähle, dass ich von Kindesbeinen an Angst vor diesem Federvieh habe. Sie sind damit nicht allein, aber sie gehören nun mal dazu. Das war sicherlich auch schon so, als Felix Stambach dort 1717 eingezogen ist. Der war Die Gross´Stub und die Klein´Stub 24 Das Bauernhofmuseum Outre-Forêt in den Nordvogesen kommen und dort im Sonntagsgetüch ein Herr Messer und Gabel schwingt. Natürlich am Tisch, gedeckt mit Elsässer Geschirr und den typischen Motiven..“Bon appetit, Monsieur.“ Aber er schweigt genauso beharrlich 88 ein zugewanderter Immigrant aus Böhmen und hatte damals auf den Grundrissen eines quadratischen Turmes den Bauernhof im typischen Fachwerkstil der Weißenburger Gegend wiederaufgebaut Wie behaglich Stambach und sein Nachfolger Georg April und viele andere dort ihr Leben verbracht haben, das kann der A.M.R.O.F., der Verein der „Freunde des Bauernhofmuseums vom Outre-Forêt“ nicht mehr zeigen. Wie komfortabel es aber seit etwa 1920 schon zugegangen ist, das zeigt die Küche. Da gibt es nicht nur die Sauermilchbank zu sehen. Nein, da steht ein ausgewachsener Kühlschrank. Was immer Bauknecht glaubte zu wissen , was Frauen wünschen, er war auf alle Fälle aus Holz. Geschirrspüler, aus welchem Material auch immer, gab es nun doch noch nicht. Aber nach dem Hantieren in der Seifenlauge immer griffbereit in der Küche: Niveacreme. Die Dose ist nun wirklich aus jener Zeit, als die A. M. R. O. F. zu sammeln begonnen hat. Ich bin sicher, dass sie auf dem Arbeitstisch angeklebt ist, aber nein, die „Amis“ vertrauen, dass ihrer Bitte entsprochen wird: „Ouvrez grand vos yeux, mais ne touchez pas. Merci.“ Na und an das Eingemachte im Vorratskeller wird sowieso niemand gehen. Dem sieht man an, dass es ein paar Jahre, ach was Jahrzehnte, auf dem Buckel hat. Große Augen mache ich , als ich sehe, wie behaglich es in der „Schönstube“ schon zugegangen ist. Die gute Stube, sie wurde vom Flur aus beheizt und behagliche Wärme mag sich ausgebreitet haben, als die Reibolds oder Pfitzingers sich e G’schichtel vum Aloys erzählt haben. Er het e Mann gekannt vun 92 Johr, der het allen Owe so gebatt: Lieber Herr Gott Hol mich wenn du willst Awer in de nächschde zehn Johr nit. G’schichteln gibt es bestimmt viele zu erzählen, aber das Waschhaus, das Brennhaus, das historische Klassenzimmer, die erzählen von allein - ohne Worte. Und deshalb ist die Frau aus Kochersberg mit ihrer Familie gar nicht so böse gewesen, dass die Tracht nicht so ganz geschichtsgetreu gewesen ist. Ihr Gelächter, ihre freudigen, erstaunten Ausrufe haben mich während des ganzen Rundgangs begleitet. Silvia Hudalla Kontakt Maison Rurale de l’Outre-Forêt 1, place de l’Eglise 67 250 Kutzenhausen Tel: 0 03 33 - 88 80 53 00 Fax: 0 03 33 - 88 80 63 33 [email protected] Öffnungszeiten Vom 01.04. – 30.09.03 Dienstag bis Freitag von 10.00 bis 12.00 Uhr und von 14.00 – 18.00 Uhr, sonn- und feiertags 14.00 – 18.00 Uhr Juli und August auch am Samstag von 14.00 – 18.00 Uhr Vom 01.10.03 bis 31.03.03 Mittwoch, Sonntage und Feiertage von 14.00 bis 18.00 Uhr (im Januar geschlossen) Eintrittspreise Erwachsene: 3,90 €, Kinder 2,30 €, Rentner, Schüler, Studenten 3,10 € Anfahrtsweg Von Weißenburg in Richtung Haguenau, nach Soultz-sous-Forêts. An der ersten Ampel Richtung Kutzenhausen. Das Museum befindet sich an der Hauptstraße neben der weißen Kirche. 89 odesmutig erklimme ich die erste Sprosse. Auch wenn mich meine höchste Bergwanderung in 3500 Meter Höhe geführt hat, Leitern hasse ich. Aber der Job verlangt die ganze Frau. Schließlich habe ich mir den Baumwipfelpfad in der Pfalz auch selber ausgesucht. Nichts ahnend, dass dessen Fertigstellung immer wieder hinausgeschoben wird.(Wenn Sie in den Schulferien mit ihren Kindern dorthin einen Ausflug machen wollen, dann ist er fertig, versprochen) T Der Redaktionsschluss für dieses Heft naht, ich muss dort hoch. Ich kann doch nicht über einen Baumwipfelpfad von unten schreiben. 15 Meter klettere ich hoch, das Grummeln im Bauch in Gedanken an den Abstieg, verdränge ich. Oben erzählt mir Projektleiter Ulrich Diehl, wie die Bauverzögerungen entstanden sind. Keiner in Deutschland hat Erfahrungen mit Pfaden in luftiger Höhe. Einzig in Brasilien gibt es einige und Australien hat einen. „Nein“, lacht der Biologe, „Erfahrungen der Wipfeltreffen 25 Ein Spaziergang durch die Baumkronen bei Dahn 90 anderen einzusammeln, Dienstreisen in d e r Größenordnung, so was steht schon lange nicht mehr zur Debatte“. Ein mutiges Projekt also, das die Pfälzer vor ein paar Jahren anfingen zu planen. Bei meiner naiven Frage, ob das ganze dann vom TÜV abgenommen wird, lacht er wieder. Das ist ja das Problem. Nicht das ganze Projekt auf einmal kann einer peinlichen Prüfung unterzogen werden. Nein, all die verschiedenen Gewerke wurden immer wieder auf Sicherheit überprüft. Der Holzsteg, der sich in luftiger Höhe durch die Kronenregion des Waldes schlängelt. Holz, das eine Gewerk. Dazu wurden die Stege nicht direkt an die Bäume gehängt, sondern sitzen auf freitragenden Stahlstämmen. Sie sollen an die Form von Bäumen erinnern. Stahl, das zweite Gewerk. Und für die sogenannten Erlebnisbereiche war wieder ein anderer Prüfer zuständig. Haben Sie schon einmal auf einer Glasplatte oder einem Rost gestanden und in die Tiefe geschaut? Den meisten kommt der vermeintlich sichere Boden gar nicht mehr so sicher vor. Erst recht wenn diese Kanzel sich durch einen gekonnten Hüftschwung, in Schwingungen versetzen lässt. Aber das ist immer noch nicht alles. Schwankende Hängebrücken sollen zum Nervenkitzel in den Baumwipfeln beitragen und Taubrücken, an denen man sich entlang hangeln kann. Und wo bleibt da die Natur, bei all dem Abenteuer und der Selbsterfahrung mit der Höhenfestigkeit? Schon allein wegen des Baulärms haben doch wohl Spechte, Baumläufer und Fledermäuse das Weite gesucht und Borkenkäfer, Nachtfalter und anderes Getier, das möglicherweise in dieser Höhe zu beobachten sein könnte, an die ist doch sowieso schwer heranzukommen. Denken Sie doch, erklärt Ulrich Diehl geduldig, an die Mittelstreifen der Autobahn. Da hat vor langem schon tie- risches Leben wieder Einzug gehalten und zu uns werden die Bewohner des Waldes, die hierher gehören, auch wieder zurückkehren. Bis dahin aber wird den Besuchern der Specht in einer Animation begegnen. Tok tok tok ertönt es aus einem Automaten und das klingt spechtiger als jeder Specht, den ich jemals zu hören glaubte. Wem die 15 -18 Meter Höhe auf dem Holzbohlenpfad noch nicht reichen, der kann sich in den sogenannten Adlerhorst schwingen und aus 35 Metern Höhe Tiere, Pflanzen, Moose und Misteln aus der Nähe betrachten. Gedacht ist der Baumwipfelpfad in Fischbach bei Dahn für alle: Jung und alt, Abenteuerlustige und stille Naturbeobachter. Keiner muss jetzt mehr eine Leiter erklimmen, selbst an eine Rampe für Rollstuhlfahrer ist gedacht. Wer sich allerdings am Ende einen spektakulären Abgang verschaffen möchte, der verlässt den Parcours durch die Baumwipfel mittels einer Rutsche aus 20 Metern Höhe. Silvia Hudalla Kontakt Ulrich Diehl Am Königsbruch 1, 66996 Fischbach bei Dahn Tel: 06393/921012 [email protected] www.biosphaerenhaus.de www.wappenschmiede.de Öffnungszeiten April bis Oktober montags bis freitags 9 -18 Uhr, samstags, sonntags, feiertags 9.30 - 18 Uhr, November bis März montags bis freitags 9 -17 Uhr, samstags, sonntags, feiertags 9 - 17 Uhr Eintrittspreise Bei Drucklegung noch nicht bekannt 91 den großen Räumen im Erdgeschoss, die den Charme einer Garage versprühen, ist es warm und feucht. Man könnte hier Pilze züchten. Dabei handelt es sich um einen Schneckenstall. „C'est la nursery.“, reklamiert M. Giraud. Nursery??? Nursery, so verrät mein Wörterbuch, darf man auch als Franzose sagen (obwohl die Académie Française sicher nicht glücklich darüber ist); gemeint ist ein Wickelraum. Gewickelt wird natürlich nicht in der Nursery der Schnecken- 32.000 Zähne und ein Haus 26 Die Schneckenzucht in Molring ean-Michel Giraud spricht nicht wie ein Lothringer. Seine weiche Aussprache verrät den Landais. Er hat immer noch ein Häuschen am Bassin d'Arcachon, wo die berühmten Austern herkommen. Und eigentlich ist er Molkereidirektor. In Holland hat er Käse, in Belgien Milchpulver und in Frankreich Butterreinfett hergestellt. Bis vor zehn Jahren sein Patron, der Besitzer der Kette, sämtliche Betriebe zugemacht hat. Da war M. Giraud 51 und — arbeitslos. Doch anstelle von Stellenanzeigen studierte er Wirtschaftfbroschüren und ins geübte Auge des Managers sprang eine Zahl, die wir anderen wohl bestenfalls achselzuckend zur Kenntnis genommen hätten: Die Franzosen essen im Jahr 40.000 t Schnecken, züchten aber selbst nur 700 t. Der Rest wird importiert. Und wenn man jetzt noch weiß, dass eine Schnecke nur 18 bis 23 g wiegt, dann hat man in der Tat eine Marktlücke entdeckt. M. Giraud fing an zu experimentieren, schließlich kaufte er einen zerfallenen Hof in Molring im lothringischen Salzland und setzte erst mal Fenster ein. Dann ging's los. Molring ist der kleinste Ort Lothringens, sagt er, 4 Häuser, 16 Einwohner und... – 300.000 Schnecken. „Hereinspaziert...“ In J 92 farm von Molring, aber Jean-Michel Giraud stellt den Zusammenhang schnell klar: Hier geht's um das, was er diskret mit „Reproduktion“ bezeichnet. Also wenn ein Schneck mit einer Schneckin in einer schummerigen Ecke.... M. Giraud schüttelt den Kopf, denn es gibt weder Schneck, noch Schneckin. Es gibt nur Schnecke. „Ein Hermaphrodit“, präzisiert er. Wieder so ein leicht verschämtes Fremdwort. Will heißen: Die Schnecke ist Männlein und Weiblein zugleich. „Also, macht sie dann mit sich selbst...?“ — „Nein, nein“, würgt M. Giraud meinen verirrten Gedankengang sofort ab, „man braucht schon zwei! Die Paarung dauert 4 Stunden. Dann suchen sie ein Stück Erde, wo sie ihre Eier ablegen können – alle beide.“ M. Giraud greift nach einer durchsichtigen Plastikschachtel – so einer, in der man sonst Sojasprossen oder Cocktailtomaten kauft. Sie ist mit lockerer Erde gefüllt, oben sitzen ein paar Schnecken und als er die Schachtel hochhebt, kommen auf der Unterseite mehrere Klumpen der weißen, klebrigen Eier zum Vorschein. Sobald die Tiere mit der Eiablage fertig sind, nimmt er die Klumpen vorsichtig aus der Erde und legt sie in eine andere Plastikschachtel, die nur mit einem feuchten Filz ausgeschlagen ist. „Wegen der Parasiten“, erklärt M. Giraud. „Was glauben Sie, wie viele Lebewesen gern Schneckeneier essen? Es gibt übrigens auch Menschen, die das tun.“ Sein Gesichtsausdruck verrät deutlich, dass er nicht dazu gehört. In der Nursery also werden die ganz kleinen Schnecklein (Helix aspersa maxima, „Gros Gris“) gepäppelt, wenn es draußen noch zu kalt ist, zwar nicht mit der Milchflasche, aber dennoch mit einem Kraftfutter, das auch Menschenkinder auf die Beine bringen würde: Milchpulver, Mais- und Weizenmehl, Kleie. Und Kalk für die winzigen Häuschen auf dem Rücken, mit denen die Schnecken bereits schlüpfen. In der Natur überleben nur drei bis fünf Prozent der Winzlinge, bei Herrn Giraud sind es immerhin fünfzig. Und wie Menschenkinder machen auch Schnecken... nun ja, in die Windeln. Aber Pampers für Schnecken, lacht M. Giraud, seien leider noch nicht erfunden, deswegen muss er die Käfige täglich mit Wasser ausspritzen. Die sind Marke Eigenbau, zylindrige, lichtdurchlässige Plastikkübel mit Drahtboden und -deckel, das erleichtert die Reinigung. Überhaupt ist hier fast alles selbstgebastelt, Zuliefererfirmen für den gehobenen Schneckenzüchterbedarf gibt's noch nicht. Einmal dem Stadium des „Naissain“ entwachsen (so heißen im Französischen sonst junge Austern oder Muscheln), kommen die Tiere ins Grüne. Die „Parcs“, die Gehege, sehen aus, als hätte jemand einen zu groß geratenen Sandkasten auf die Wiese gesetzt, aber vergessen, Sand einzufüllen. Einfach ein paar niedrige Blechwände, fertig. Das Futter ist ja schon von Natur aus vorhanden, und darauf legt M. Giraud auch großen Wert. Sumpfdotterblumen, kleine Brennesseln und Disteln, Löwenzahn, Klee, Raps und wilder Senf – einen Teil der Kräuterbutter erhalten die Schnecken sozusagen schon zur inneren Würzung. Zugefüttert werden höchstens ein paar Gurken oder Zucchini, von denen bleibt nur noch die Schale übrig, wen sich 300 Schnecken pro m2 über sie hergemacht haben. Aber wie alles auf der Welt hat auch die sorglose Zeit des Kräuterfressens einmal ein Ende für die Schnecken von Molring. Dann winkt der Kochtopf. Vorher aber müssen sie noch ihre Pflicht erfüllen: Für Nachwuchs sorgen. Im zweiten Raum der Farm stehen riesige Drahtkäfige, die ein bisschen an Austernbänke erinnern. Obendrauf kriecht etwas sehr seltsames: eine Nacktschnecke. Was macht die denn hier? M. Giraud lacht: „Was wohl? Schnorren! Wenn Sie Hühner halten, haben Sie Spatzen am Hals, die Ihnen das Futter wegfressen. Bei uns sind es die Nacktschnecken. Hier ist es schön warm und feucht und das Futter schmeckt ihnen.“ Eigentlich ein Gütesiegel. Und da die Nacktschnecken den Behausten nichts antun, lässt M. Giraud sie in Ruhe. Seine Tierchen erhalten hier noch einmal für zwei bis drei Wochen das Futter ihrer Kindertage. „Das hat einen entscheidenden Vorteil: Durch dieses Futter reinigt die Schnecke ihre Därme von selbst. Wenn sie ihre Eier gelegt haben, können sie in den Kochtopf.“ Nein, mit dem Kochen seiner Schützlinge hat er keine Probleme. Wichtig ist, dass das Wasser vorschriftsgemäß siedet; so sind die Tiere in Sekundenbruchteilen tot, schneller, als wenn eine Kuh oder ein Schwein geschlachtet wird. Es ist streng verboten, die Tiere langsam zu erhitzen. „Dann kommen sie aus dem Haus und fahren ihre Fühler aus. Daran kann man sehen, dass sie gelitten haben.“ An dieser Stelle schlüpft Herrn Giraud in sein zweites Ich. Mit umgebundener Schürze steht er, ganz Chef de Cuisine, in der großen, hellen Küche und macht aus den gekochten Schnecken eine Gaumenfreude. Das bedeutet viel popelige Handarbeit; die komplizierteste Maschine, die ich in dieser Küche sehe, ist eine Schere. Zunächst müssen die Tiere aus den Häuschen gezogen werden und während letztere in Soda baden und anschließend im Backofen sterilisiert werden, nimmt M. Giraud jede einzelne Schnecke in die Hand und schneidet den Kopf ab. „Der ist nämlich schwer verdaulich, hier, fühlen Sie mal, das sind die Zähne.“ Und tatsächlich, hart und hornig spüre ich sie unter meiner Fingerkuppe, auch wenn der gesamte „Kiefer“ nicht länger als ein paar Millimeter ist. „Das sind 32.000 winzige Zähne, eine wahre Reibe!“, grinst der Chefkoch, und mir fallen die unzähligen Sonnenblumen, Basilikumpflanzen und sonstigen liebevoll gehegten Gewächse meiner Mutter ein, die ihnen schon zum Opfer gefallen sind. In die Kräuterbutter kommen bei Maître Giraud Petersilie, Knoblauch, Schalotten, Salz und Pfeffer „und dann noch zwei Kleinigkeiten, die ich nicht verrate“. Ich verstehe. Küchengeheimnis. Schmecken tun sie jedenfalls vorzüglich. Ein halbes Dutzend Escargots de Molring versöhnen mich wieder mit den vielen Achatschnecken, die in den letzten Jahren den Markt überfluten und mir den Genuss zuletzt verdorben hatten. „Ach, das sind doch gar keine richtigen Schnecken! Das sind Meerestiere, wussten Sie das nicht? Wir machen auch keine Tiefkühlkost. Wir liefern nur frisch. Und auch nicht an Supermärkte. Nur an Restaurants und Privatkunden.“ Aber lange wird M. Giraud das nicht mehr machen. Er ist über 60 und denkt an Ruhestand. 94 Das Häuschen an der Bucht von Arcachon... Die Farm in Molring will er seiner Tochter und seinem Schwiegersohn vermachen. Der wird übrigens kein Self-Made-Man mehr sein. Claude besucht die Landwirtschaftsschule in Besançon. Auch dort hat man die Marktlücke erkannt und einen Abschluss in Schneckenzucht eingeführt. Héliciculteur diplômé. In Frankreich ist die Schnecke eben Staatssache. Natalie Weber Kontakt Industriekultur Hélicicole de Molring, Herr Jean-Michel Giraud 13, rue Pricipale, F-57670 Molring Tel: 00 33 - 3 87 01 51 60 kindersite.chez.tiscali.fr/HELICICULTURE/TARIF01.htm Öffnungszeiten Wochentags: 9 - 17 Uhr, samstags 9 - 12 Uhr, ansonsten am Wochenende nur nach vorheriger Anmeldung (wg. Messen & Märkten) Eintrittspreise Kinder: 2,50 €, Erwachsene: 3 €. Besichtigung mit einfacher Verköstigung & Wein: 4,40 €, mit 1/2 Dutzend Schnecken und Wein: 5,80 € Anfahrtsweg ab Goldener Bremm: Autobahn A 320 / A 4 Richtung Straßburg, Ausfahrt Farébersviller, rechts auf die D 29 Richtung Henriville, in Cappel erst rechts auf die Hauptstraße (N 56), hundert Meter weiter wieder links auf die D 29 Richtung Valette/Leyviller. In Héllimer rechts auf die N 74 Richtung Morhange, nach 3 km links auf die D 22 Richtung Dieuze. Nach ca. 10 km links auf die D 88 Richtung Vahl-lès-Bénestroff. Im Ort rechts nach Nébing, in Nébing noch einmal rechts, dann geradeaus über die Hauptstraße nach Molring (Vorsicht, nicht ausgeschildert, der Abzweig sieht eher wie die Zufahrt zu einem Gehöft aus. Notfalls fragen.) In Molring (ganze 4 Häuser!) rechts. 95 ch hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Dabei hatte es so schön angefangen. Ich hatte mir einen Alfa Romeo besorgt – nur Cabrio-Fahren hätte noch schöner sein können. Bis Straßburg war der Himmel noch milchig und trübe; auch in Sélestat, etwa eine Viertel Stunde weiter südlich, war er noch eher weiß als blau. Doch als ich in Ribeauvillé ausstieg, um nach dem Weg zur M.I.E., der Stoffdruckmanufaktur zu fragen, fühlte sich alles nach einem strahlend schönen Frühlingstag I an. Ich musste mich beeilen; Jean-Michel Borin wartete. Monsier le Président persönlich wollte mich durch die Manufacture d'Impression sur Etoffes führen. „Wir haben eine Stunde zehn Minuten.“ Na gut. „Haben Sie die deutsche Fahne gesehen?“ Ich hatte gedacht, die würde immer hier hängen. Monsieur Borin klärt mich auf, dass er das immer so halte; morgens sei der belgische „Agent“ angekommen, da habe man die belgische gehisst, dann schnell wieder eingezogen, um den Be- Tischtücher für die Queen 27 Die Stoffdruckmanufaktur von Ribeauvillé 96 such aus Deutschland zu begrüßen. (Ich lege keinen Wert auf die Bekanntschaft des Händlers aus Belgien. Er ist der Grund, dass Monsieur Borin mich nicht zum Mittagessen einladen kann.) Monsieur Borin hat den bankrotten Betrieb 1980 gemeinsam mit seinem inzwischen verstorbenen Vater für wenig Geld gekauft und saniert. Früher hieß das Unternehmen nach seinem Gründer Charles Steiner. Als wir an Steiners ehemaliger Villa mit einem höchst seltenen Tulpenbaum aus Virginia vorbeieilen, erzählt mir M. Borin, dass der Firmengründer mit der Erfindung des „Türkisch Rot“ berühmt wurde; einer Stofffarbe, die sich durch die besondere Verbindung eines Pigments aus den Vogesen mit dem Wasser des Strengbachs ergibt, der so eilig an uns vorüberplätschert wie wir an ihm. Das „Türkisch Rot“ ist die beherrschende Farbe in einem Stoffbild namens Panneau Japonnais, vor dem wir später – natürlich nur kurz – verweilen, damit ich erfahren kann, dass es bei der Weltausstellung in Paris 1900 einen ersten Preis erhielt und 43 Farben enthält, die mit 1500 Schablonen und einer Geschwindigkeit von fünf Zentimetern pro Tag gedruckt wurden. Eines der 5 erhaltenen Exemplare befinde sich beim japanischen Kronprinzen. 97 „Wir sind die letzten in Europa, die noch so drucken.“ Die letzten einer ansonsten ausgestorbenen Art. Früher lebten 24.000 Elsässer zwischen deutscher und schweizerischer Grenze vom Stoffdruck. Weber, Färber, Spinner, Drucker. Über 150 Unternehmen. Drei oder vier seien übrig, aber die M.I.E. sei einzigartig. „Bonjour, ca va?“ Monsieur Borin begrüßt jeden der Arbeiter, die wir kurz, aber erkennbar stören, mit Handschlag. Er zahlt gut, belohnt gute Qualität, nicht Masse. Seine Mitarbeiter sind treu. Es gibt keine Vorgaben, wie schnell eine Tischdecke bedruckt werden muss, wie viele Servietten pro Stunde eine Näherin zu säumen hat. „Klein, aber fein, nur Top-Qualität, keine Fehler.“ Fehler, sagt Monsieur Borin zwischen zwei Produktionsstätten, Fehler kann man sich nicht erlauben, wenn man teuer ist. Und teuer ist seine Ware. Teuer ist bereits das Rohmaterial, Baumwolle aus Ägypten und Seide aus Thailand; nur die beste. Teuer sind die Weber in der Schweiz, Deutschland und Frankreich, aber nun mal die besten. Teuer ist es, seine Drucker etwa ein Jahr lang selbst auszubilden – „ein Jahr, kein Zentimeter“. Teuer ist es, keinen Arbeitsschritt auszulagern, obwohl manche Maschinen nur etwa drei Stunden am Tag laufen. Top-Qualität könne man nur kontrollieren und garantieren, wenn man alles selber mache. Ein flüchtiger Blick auf einige Tischdecken und Servietten auf ihrem Weg durch die Fertigung. Bis zu 20 Farben können hier auf einen Stoff gedruckt werden – „Das“, sagt Monsieur Borin, „ist einzigartig in Europa“. Einzigartig auch das Siebdruckverfahren per Hand, „Flachdruck“. 300 Meter Stoff laufen über eine Rolle zu einem Tisch. Zwei Drucker stehen sich gegenüber, legen eine Schablone auf den Stoff. Darauf schwimmt eine Farbe. Im Hintergrund das Rauschen einer Maschine. Mit größter 98 Sorgfalt bewegen die Drucker ihre Hände am Rand des Tischs hin und her – das soll der Druckvorgang sein? „Da ist ein Elektromagnet unter dem Teppich“, ruft Monsieur Borin gegen das Geräusch an. Soll ich mir das jetzt erklären lassen? Ich weiß nicht genau, wie viel unserer Zeit bereits verstrichen ist und lasse es bleiben. Der Stoff bewegt sich weiter; wie durch ein Wunder ist nicht zu sehen, wo die Schablone aufgesetzt hat. Der Stoff sieht aus, als wäre er an einem Stück bedruckt worden. Eine Farbe, eine Schablone. Wenn die zweite Farbe gedruckt wird, ist die erste schon fast trocken. Das, sagt Monsieur Borin, mache niemand sonst in Europa, wer nehme sich heute schon die Zeit, zu warten. Zur Hälfte ist M.I.E. eine reine Lohndruckerei, Lieferant erlesener Stoffe für die größten Firmen in Frankreich. Viele Muster sind historisch; M.I.E. ist darauf spezialisiert, alte „Dokumente“, wie die historischen Dessins genannt werden, wieder zu entdecken und zu drucken. Das wissen auch Kuratoren großer Schlösser in Deutschland: Benrath, Charlottenburg, Sanssouci, Heidelberg, Schwetzingen. Alle lassen ihre Stoffe in Ribeauvillé restaurieren. Bei diesen Aufträgen erscheint der Name der Druckerei jedoch nicht; nur der des Auftraggebers. „Ruhm“, sagt Monsieur Borin eilig, „Ruhm wollen wir nicht.“ Eine eigene Marke, „Beauvillé“, produziert M.I.E. aber auch. Zwei Kollektionen pro Jahr entwerfen die Designer. Eine Stunde fünf Minuten sind um. Wir sind einmal über das Gelände gelaufen und durch sämtliche Produktionsräume gehastet. Ich habe Stoff gesehen, der gewaschen, gefärbt, gebleicht, fixiert, bedruckt, getrocknet, bei über 100 Grad auf seine Kochfestigkeit überprüft wurde. Wie, frage ich Monsieur Borin, kann sich der normale Besucher zur Führung anmelden. Monsieur Le Président winkt lässig ab. Das gehe natürlich nicht, denn da würde die Produktion doch gestört. Sicher, es kämen immer wieder Prominente, die dieses Relikt der Stoffdruckkunst selbst sehen wollten; Queen Elizabeth von England oder Königin Silvia von Schweden habe er schon geführt (ich frage nicht, in welchem Tempo); auch Cathérine Deneuve habe er den Wunsch nicht verwehrt. Aber sonst ... Ich hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Warum sollte ich unsere Hörer in diese Oase handwerklicher Tradition schicken, die nicht zu besichtigen ist? Eine Stunde zehn Minuten sind abgelaufen. Über dem Eingang wehen nur noch die Flaggen von Frankreich und M.I.E. Alles geht in die Mittagspause – die wichtigste Zeit des Tages, sagt Monsieur Borin. „Wollen Sie gut und teuer essen oder gut und billig?“ Gut und billig erscheint mir angemessener, schließlich wartet noch der firmeneigene Laden auf mich. „Au Cheval Noir“ verputze ich einen mit Munster aus der Region überbackenen Flammkuchen und fahre dann zurück an den Strengbach, um im Laden die Stoffe genauer anzuschauen und anzufassen. Der Parkplatz ist überfüllt, Autos aus ganz Deutschland und aus Frankreich. Ich bleibe etwa eine Stunde, zwanzig Minuten. Auf meinem Arm stapeln sich bald Tischdecken, Fehldrucke, Küchentücher und Servietten, manche erste, manche zweite Wahl. An der Kasse hilft nur die Kreditkarte; der Betrag auf dem Bon entspricht in etwa dem, was ich mit dem Schreiben dieses Beitrags verdienen werde. Ich hätte diesen Auftrag nicht annehmen sollen. Öffnungszeiten und Eintrittspreise Die Manufaktur selbst ist leider nicht zu besichtigen. Der Laden „Beauvillé“ (das ist der Name der Marke) ist Mo-Fr von 9-12 und von 14-18 h geöffnet. Man kann dort nicht nur die modernen Dessins kaufen, sondern auch Stoffe am laufenden Meter, die den historischen nachempfunden sind! Beauvillé ist alles andere als billig; die Preise in Ribeauvillé sind allerdings nur gut halb so hoch wie im normalen Handel. Anfahrtsweg Ca. 160 km, knapp 2h (beliebig verlängerbar, wenn man nicht die Autobahn herunterrast). Am schnellsten über Saargemünd auf die A 4 Richtung Straßburg, später A 35. In Straßburg Richtung Colmar/Mulhouse. Kurz hinter Séléstat, rund 14 km vor Colmar, nimmt man die Ausfahrt Ribeauvillé und fährt Richtung Vogesen. Im Ort im Kreisverkehr unmittelbar vor dem historischen Zentrum links halten, über eine Brücke fahren, dann rechts Richtung Ste.Marie aux Mines. Nach etwa einem km liegt M.I.E. auf der linken Seite, kurz vor dem Ortsausgang. Beschilderung (sehr klein): Beauvillé oder M.I.E. Sabine Janowitz Kontakt Eigentlich keiner! 19, route de Sainte-Marie-aux-Mines 68150 Ribeauvillé , Tel: 0 03 33 - 89 73 74 74 [email protected], www.beauville.com 99 benfahrt per Computer rundet das Angebot in diesem Teil des Museums ab. Wie aber wohnten die Bergmannsbauern in der Pfalz? Wie im Saarland – oder doch anders? Vergleichen kann man das mittels der Rekonstruktion eines typischen Bergmannsbauernhauses. Dazu sind zu sehen: Öfen und Ofenplatten, Uhren und Regulatoren (Wanduhren), sogar Militaria aus den Kriegen zwischen 1870 und 1945. Ganz besonderen Wert hat man auf die Reli- Als die Glankuh noch ein treuer Begleiter war 28 Das Bergmannsbauernmuseum in Breitenbach / Pfalz ergmannsbauer, das ist im Saarland ein Begriff. Hierzulande, im Hochwald etwa, gab es sie zuhauf. Die Woche über wurde auf den Saargruben geschuftet, am Wochenende rief die Landwirtschaft, die unter der Woche von Frau und Kindern betrieben worden war. Aber auch in der angrenzenden Westpfalz, im Raum Waldmohr, gab es dieses Phänomen. Und den dortigen Bergmannsbauern ist seit 1980 ein eigenes Museum gewidmet. In Breitenbach, heute Ortsteil der Gemeinde Waldmohr. Untergebracht ist es in der ehemaligen Schule, Platz ist also genug. Wie an den Wandtafeln im Eingangsbereich deutlich wird, die Blütezeit des Bergbaus in der Gegend liegt schon lange zurück. Sie war im 18./19. Jahrhundert. Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier nach Kohlen gegraben. Doch das lohnte sich bald nicht mehr. Betriebstätten wie Labach wurden bald geschlossen. Wie dort gearbeitet wurde, zeigt das Breitenbacher Museum anhand eines nachgebauten Stollens. Und wer es dann noch genauer wissen will, der kann sich einen Film dazu ansehen. Selbst ganz moderne Medien haben Einzug gehalten. Eine virtuelle Gru- B 100 giosität der Bergleute gelegt. Ein eigenes „Kirchenzimmer“ ist diesem Thema gewidmet. Nicht fehlen dürfen natürlich auch die Küche, das Schlafzimmer, die Wohnstube. Ein Musikzimmer dokumentiert eher bürgerliches Leben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ein Archiv mit Dokumenten zur örtlichen und regionalen Historie macht das Bergbauernmuseum in Breitenbach darüber hinaus zu einer richtigen kleinen Forschungseinrichtung für Heimatgeschichte. Bis das Museum in seiner heutigen Form stand und pfalzweite Bedeutung erringen konnte, war ein langer Atem notwendig. Schon seit den frühen 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden Gegenstände aus den längst vergangenen Zeiten der Bergbautradition gesammelt und, da oft in marodem Zustand, gereinigt und restauriert. 1974 begann man mit einer noch sehr bescheidenen Ausstellung in der alten Lehrerwohnung. Jetzt verfügt das Museum über rund 650 qm in 14 Ausstellungsräumen. Gearbeitet haben die Bergleute aus der Pfalz eher im heutigen Saarland, auf Grube Frankenholz zum Beispiel. Diese Gruben lagen wohnortnah, man konnte also nach der Schicht nach Hause. Meist zu Fuß, dann später mit der Bahn, noch später konnte man sich sogar ein Fahrrad leisten. So bewirtschaftete der Bergmannsbauer dann sein ererbtes Land, meist 3 – 4 ha, hielt zwei oder drei Ziegen, Hühner, Hasen, vielleicht ein Schwein und eine Kuh, genauer eine Glankuh. Das war eine besondere Rasse, genügsam und robust, mit guter Milchleistung und hervorragend als Zug und Pflugtier zu gebrauchen. Genau ein solches Mehrnutzungstier brauchten die Bergmannsbauern. Reich wurden die Bergmannsbauern in der Gegend um Waldmohr nicht, aber sie verarmten auch nicht. Einerseits hatten sie das Geldeinkommen aus der Grubenarbeit, andererseits garantierte die Landwirtschaft die Ernährungsgrundlage für die gesamte Familie übers Jahr. 1953 wurde Grube Labach endgültig geschlossen, die Saargruben waren einfach leistungsfähiger und letztendlich auch billiger. Damit war auch endgültig Schluß mit dem Bergmannsbauerntum. Das lebt jetzt halt im Museum weiter. Kontakt Günter Schneider Tel: 0 63 86 - 12 37 Öffnungszeiten Michael Lentes Mittwoch von 19.00 bis 22.00 Uhr, immer am ersten Sonntag im Monat Eintrittspreise Erwachsene: 1,50 €, Gruppen: 1,00 €, Familien: 2,50 € (unabhängig von der Kinderzahl) Anfahrtsweg Autobahn A 6 Saarbrücken-Mannheim, Abfahrt Waldmohr. Von dort Landstraße Richtung Breitenbach. Von Sankt Wendel über Werschweiler nach Breitenbach 101 ange Jahre hatte das Keramikmuseum Mettlach seine Residenz in Schloss Ziegelberg. Das war ein schönes Zuhause und die Decken waren stuckverziert, aber die Räume waren schon lange viel zu klein. Und außerdem lenkte die Schönheit des Gebäudes von der der Exponate ab. Und so entschloss sich die „Familie“ dann, das Keramikmuseum direkt im Herzen der Firma aufzunehmen. Seit vergangenem Herbst ist das Museum im Barockbau der Alten Abtei untergebracht. In L seum. Und damit die so richtig zur Geltung kommen, wurde eigens für sie ein Vitrinensystem entwickelt, das die rechte Hälfte des großen Ausstellungsraums einnimmt. Darin spielt das Licht eine große Rolle und die Beleuchtung ist so organisiert, dass Einzelstücke oder Produktgruppen jeweils am besten wirken. Die meisten Ausstellungsstücke sind Produktionsbeispiele der „Familie“, von etwa 1810 bis heute, natürlich nur in Schwerpunkten, sonst wäre das Museum völlig überfrach- Zeitreise durch den Geschirrschrank.... 29 Das Keramikmuseum Mettlach dieser modern gestalteten ehemaligen Industriehalle ist der Rahmen nüchtern und sachlich, nichts lenkt mehr ab vom Glanz der Exponate. Das Museum bietet einen Überblick über die Produktionsgeschichte und lädt ein zu einem Rundgang durch die Entwicklung der Keramik von 1748 bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das Museum ist Teil der Erlebniswelt. Mit Ihrer Eintrittskarte können Sie auch alle anderen Teile besuchen und am besten beginnen Sie Ihren Rundgang in der Keravision. Dort bekommen Sie nämlich auf unterhaltsame Weise einen Überblick über 250 Jahre Villeroy & Boch. Sir Peter Ustinov informiert Sie dabei über die Entwicklung der Produktion und des Designs in 5 Etappen. Und danach haben Sie dann den richtigen Durchblick für Ihre Zeitreise durchs Keramikmuseum. Die startet an der Schatzwand. Und die ist genauso verheißungsvoll wie ihr Name. Sie bietet einen groben Produktionsüberblick bis in die Neuzeit und soll Ihre Neugier wecken. Und sie enthält etwas, das Sie garantiert noch nie gesehen haben, aber dazu später mehr ...... Rund 17.000 Exponate gibt es in diesem Mu102 tet. Hinzu kommen einige Schenkungen, vorwiegend von Erben ehemaliger V&Bler und Exponate einzelner Kunden. Diese Zeitreise durch die Geschichte der Keramik ist zugleich auch eine Zeitreise durch die Geschichte des Geschmacks, der Lebensart, des Lifestyle, wie es heute neudeutsch heißt. Und das ist schon sehr beeindruckend. Es beginnt mit barockem Prunk an Terrinen und Kaffeekannen, geht über klassizistische Vasen und Teller, gründerzeitlichen Luxus in Form von Amphoren bis hin zum ColaniDesign und damit zur Lifestyle-Ära von Villeroy & Boch. Alt-Luxemburg das vielleicht erfolgreichste V&B-Geschirrdekor eröffnet den Rundgang durch die Geschichte der Keramik, die untrennbar mit der Geschichte des Unternehmens verbunden ist. Tafelgeschirr spielt überhaupt eine große Rolle in dieser rechten Hälfte der Ausstellung. Und so mancher wird sich wundern, was die früher alles schon kannten. Die Ursprünge liegen im 18. Jahrhundert. Das Geschirr wurde nach Vorlagen von Gold- und Silberschmieden gefertigt und meist war es für große Familien gedacht, denn damals wurde zuhause gefeiert und ge- © J.Krimmel 103 © J.Krimmel speist. Das konnten sich freilich nur betuchte Familien leisten, aber die taten das dann auch gründlich. Mit Extras, für die es heute Ohs und Ahs gibt, wie zum Beispiel ziselierte Spargelschalen, Mokkakännchen oder eigens für den Tischgebrauch angefertigte Waschgarnituren. Viel Adel und Königtum ist auch zu sehen bei dieser Zeitreise im Keramikmuseum Mettlach. Aber auch Geschirr für die einfachen Leute. Und auch das hat seine Geschichte. Wie zum Beispiel die Hochzeitsteller. Die enthalten den Namen der Eheleute und hatten vor allem im Raum Luxemburg Tradition. Nach dem unbestätigten Bericht eines luxemburger Pfarrers sollten die an jedem Hochzeitstag die Ehepaare daran gemahnen, die Suppe, die sich sich gemeinsam eingebrockt hatten, auch gemeinsam auszulöffeln. Vermutlich aber waren diese Hochzeitsteller vor allem für einfache Leute 104 das feinste Geschirr, das sie je besaßen. Keine Frage, dass das nur an Festtagen auf den Tisch kam. Das gilt sicherlich auch für die letzte Etappe der Produktionsgeschichte. Für das Geschirr im Colani-Design zum Beispiel oder andere Extravaganzen. „was, das ist auch von V&B?“, fragt sich da mancher Besucher überrascht. In der linken Hälfte folgen dann die ThemenPavillons. Das sind einzelne Boxen, die mit Ausstellungsstücken und Dokumenten, teils auch mit Film- und Tonmaterial eine spezielle Geschichte erzählen und zum Verweilen einladen. Da geht es zum Beispiel um die Produktion der sogenannten Mettlacher Platten, also um jenes berühmte und unverwüstliche farbige Steinzeug. Oder da wird gezeigt, wie sich die Firma auf den Weltausstellungen in Europa und in Übersee präsentiert hat - V&B war nämlich keineswegs erst bei der Expo 2000 in Hannover mit von der Partie. In ei105 nem Pavillon lernen Sie Matthias Hein kennen. Er war einer der ersten Industrie-Designer, die für Villeroy & Boch gearbeitet haben. Etliche seiner Entwürfe gingen in Produktion und einige davon können wir uns heute noch anschauen. Und in einem dieser Pavillons können Sie auch viel erfahren über die Bedeutung der „Firma“ für die Region. Dokumente aus dem umfangreichen V&BArchiv geben einen Eindruck in das soziale Leben jener Zeit, das Vereinsleben im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit Sport- und Musikvereinen und der werkseigenen Feuerwehr zum Beispiel. Und sie belegen die Verbundenheit vieler Mitarbeiter mit der Firma, die früher zumindest für viele auch die Familie war. Und so kommt denn auch vieles, was auf dieser Zeitreise durch die Geschichte der Keramik zu sehen ist, von ehemaligen V&BMitarbeitern. Und eines Tages könnte es vielleicht sogar eine Ausstellung nur mit solchen Sammelobjekten geben .... Der Rundgang durch das Keramikmuseum Mettlach endet logischerweise dort, wo er begonnen hat: an der Schatzwand. Und die sollten Sie sich zum Schluss noch einmal genau anschauen. Vor allem das Geschirr, das da im linken Teil zu sehen ist. Das ist nämlich ganz was Besonderes. Seit Generationen produziert V&B auch Geschirr für den Papst. Und das wird nach Möglichkeit persönlich übergeben. So war es auch mit dem Mettlacher Produkt für Johannes Paul II. Das übergab Wendelin von Boch vor vielen Jahren bei einer Audienz zusammen mit seiner damals hochschwangeren Frau und seinem ältesten Sohn. Und der Kleine, so ist zu hören, war sich weder der Würde, noch gar der Schwere des Augenblicks bewusst. Er hatte, wie alle kleinen Kinder, nur Augen für das Besondere, die Kopfbedeckung zum Beispiel oder den großen Ring des ehrwürdigen 106 Mannes. Der soll sich als ausgesprochen kinderfreundlich erwiesen und richtig mitgespielt haben. Auch das ist ein Erlebnis auf der Zeitreise durch die Geschichte der Keramik im Museum in der Alten Abtei in Mettlach. Ulli Wagner Kontakt Keramikmuseum Mettlach Alte Abtei, Saaruferstraße 66693 Mettlach Tel: 06864 81 12 94 oder 06864 81 10 20 [email protected] www.keramikmuseum-mettlach.de Denkma(h)lzeiten Öffnungszeiten Mo-Fr: 9 -18 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertage: 9.30 - 16 Uhr Eintrittspreise Für das gesamte V&B-Erlebniszentrum mit Keravision, Erlebniswelt Tischkultur und Keramikmuseum: 4 €, ermäßigt 3 € (Gruppen und Studenten), Schüler frei Anfahrtsweg Über die A 620 / A 8 bis Merzig, oder gleich ganz über die B 51, von Merzig aus dann über Besseringen nach Mettlach, die Alte Abtei ist direkt am Saar Ufer – falls die Saaruferstraße noch Baustelle ist, der Umleitung Richtung Bahnhof folgen, von der sind V&B und die Keravision ausgeschildert 107 ie Decken marode, das Dach undicht, die Fassade mit einer hässlichen grünen Plane verhängt, so sah das Haus Angel am Sankt Wendeler Fruchtmark direkt gegenüber dem Wendalinus-Dom noch vor wenigen Jahren aus. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, wann das Doppelhaus einfach in sich zusammenbrechen würde. Dabei ist und war das Gebäude denkmalgeschützt. Und genau da lag der Hase im Pfeffer. Jahrelang, ja eigentlich jahrzentelang gab es Knies zwischen den Be- D Vom Zankapfel zum Schmuckkästlein 30 Das Hotel Angel in Sankt Wendel sitzern, der Familie Angel, und dem Landeskonservator. Vor allem Konservator Johann Peter Lüth wehrte sich ebenso lange wie vehement und letztendlich erfolglos gegen die Pläne der Angels aus ihrem Stammhaus ein sogenanntes Romantik-Hotel zumachen. Die heute seltenen Treppentürme an der Rückfront - Renaissance - unbedingt zu erhalten. Die morschen Deckenbalken genauso. Die Fassade sowieso. Aber um die gab es die wenigsten Auseinandersetzungen. Lang und schlecht, die Angels mussten alles in allem rund 20 Jahre auf die Baugenehmigung warten. Wann die genau dann kam, will Hotelbetreiberin Manuela Angel gar nicht mehr wissen. Sie ist froh, dass ihr Hotel nun endlich fertig ist. Und sogar Ex-Landeskonservator 108 Kontakt Lüth muss mittlerweile eingestehen: Was die Angels da gemacht haben, hat Hand und Fuß, besteht auch unter den gestrengen Augen der Denkmalpflege. Erhalten wurde soviel wie möglich. Einer der beiden Treppentürme blieb was er war, beim anderen musste man sich aus statischen Gründen etwas einfallen lassen. Stockwerk für Stockwerk wurden die Hotelzimmer integriert. Die Idee: Machen wir doch das Bett der Suiten hinein. Das ist jetzt halt rund und sehr geräumig. Gerade diese Zimmer, so Hotelchefin Manuela Angel, sind bei Jungvermählten sehr beliebt. Die Deckenbalken, auf die der Landeskonservator so großen Wert gelegt hat. Sie sind noch da. Allerdings ihrer ursprünglichen Funktion entkleidet. Und entkleidet kann man ruhig wörtlich nehmen. Sie wurden freigelegt und zieren nun den Restaurantbereich. Und auch sonst überall Spuren der langen Geschichte dieses Hauses. Zum Beispiel Bruchsteinmauerreste im Aufgang zur Bar (riesige Cocktail-Karte!!). Selbstverständlich bietet das Hotel auch alle Annehmlichkeiten heutiger Spitzenhäuser. Die Zimmer wurden im historischen Maßstab erhalten und in der Möblierung vergangenen Zeiten angepasst. Nichts aber wirkt verstaubt. Klare Linien ohne pseudo-historischen Schnick-Schnack herrschen vor. Im Keller - der musste eigens gebaut werden, weil das Haus nie unterkellert war - der Wellness-Bereich mit Sauna, römischem Tepidarium, einer Infrarot-Dusche und einem Kosmetikstudio. Fürs Verwöhngefühl werden zahlreiche Arragements angeboten, die eines aber nie außer acht lassen: Das gute Essen im Restaurant „Luise“. „Angels Hotel“ Sankt Wendel am Fruchtmarkt Tel: 0 68 51 - 99 90 00 [email protected] www.angels-dashotel.de Anfahrtsweg Die A 6 bis Autobahnkreuz Neunkirchen, A 8 bis zur B 41, von dort über Ottweiler nach St. Wendel Besonders bemerkenswert: Im Angel Hotel kann man bis 18.00 Uhr frühstücken, wenn es abends in der Bar „May-Club“ etwas länger war zum Beispiel. Und man braucht auch nicht um 11.00 Uhr sein Zimmer zu räumen. Auschecken ist in Sankt Wendel auch bis 20.00 Uhr möglich. Fahrradfahrer sind natürlich auch willkommen. Für die gibt es auch eigene Angebote. Ein Vierstern-Haus der etwas anderen Art. Gar nicht steif, schön locker und entspannt und auch die Preise sind eher zivil. Michael Lentes 109 „Ich habe mich 1974 in das „La maison des Baillis“ verliebt, „das kleine Schloss der Markgrafen von Baden“ wie es in der Dorfchronik genannt wird Das „Kleine Schloss" wurde um 1560 von Christoph II. von Baden-Rodemachern errichtet. Das Gebäude besitzt noch stilvolle Empfangsräume aus dem 18. Jahrhundert Das schöne Herrenhaus war zum Teil verfallen. Während des zweiten Weltkrieges waren hier russische Gefangene untergebracht. Einige haben uns inzwischen Chez Gracieuse 31 Das „kleine Schloß“ von Rodemack eißer Sommertag in Rodemack, einem Dorf mit mittelalterlichem Flair im Dreiländereck. Im Innenhof eines Herrenhauses sitze ich im Schatten an einem kleinen weißen schmiedeeisernen Gartentisch. Gegenüber auf dem Eingangstor ein Schild: „Restaurant: La maison des Baillis“. Wie die anderen Gäste warte ich auf meine Bestellung. Die Patronne, Madame Gracieuse del Vecchio – habe ich jemals einen so wohlklingenden Namen gehört? - geht sorgsam von Blumenstock zu Blumenstock und gießt. Ich denke an das, was sie mir eben über ihre Küche, über ihre Vorstellung der Gastfreundschaft und über das Dorf Rodemack erzählt hat. H 110 besucht. Das war sehr ergreifend. Wir haben umfangreiche Restaurierungsarbeiten angefangen, um das stilvolle Haus bewohnbar zu gestalten und es in eine Kunstgalerie zu verwandeln. Mein Mann und ich sind Innenarchitekten von Beruf. In den drei Salons haben wir mühsam die Holztäfelungen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts von mehreren Schichten Lack befreit, die Wänden neu tapeziert. Ich wollte aus dem „kleinen Schloss“ ein Haus der Begegnungen machen, wo viele Gäste kommen, feiern, und jeder sich wie zu Hause fühlt. Eines Tages habe ich mich selbst an den Herd gestellt. Seit 11 Jahren betreiben wir. Georges und ich, ein Restaurant“ Durch das offene Tor sehe ich von meinem Tisch aus kleine alte Häuser, Dächer am Hang und ganz oben das „große Schloss“ von Rodemack. Die Schlossbewohner müssen eine herrliche Sicht auf das Tal haben – und möglichcherweise auch auf die nahen Kühltürme von Cattenom. Das quadratisch angelegte Schlossgebäude überragt das Dorf und ist von ihm durch eine hohe Mauer getrennt. Herr Del Vecchio deckt die im Innenhof aufgestellten langen Biergartentische mit einfachen Papierdecken. Alles geht hier sehr familiär zu. Die jungen Damen des „Office du tourisme“ gegenüber schließen. Mittagspause. Um diese Zeit und bei der Hitze wirkt das Dorf wie verlassen. In den Prospekten, die im Verkehrsamt verteilt werden, ist von einem der schönsten Dörfer Frankreichs die Rede. Rodemack wird als „Das kleine Carcassonne“ gepriesen! Ich habe Schwierigkeiten in dieser Schilderung des Prospektes das charmante unprätentiöse Bild wiederzuerkennen, das ich vor Augen habe. Dort liesst sich die gedruckte Geschichte des Dorfes wie eine endlose Aufzählung von Kriegstaten, Belagerungen und gewaltsamen Befreiungen. „Haben denn die Dorfbewohner nie gelebt, geliebt? Sollen sie immer getrauert und gekämpft haben? wundert sich Gracieuse. Warum müssen immer nur die Gräueltaten in die Geschichte eingehen? Es ist immer wohl so, auch bei mir selbst: Wenn mich jemand fragt, ob es mir gut geht und ich antworte mit ja, dann bin ich für ihn nicht mehr interessant. Wenn ich sage, mir tut es hier und da weh, dann werde ich weitergefragt. Die Menschen haben nur für das Elend, das Schmerzliche Interesse, nicht für das Glück. Diese Reduzierung der Geschichte auf blutigen Ereignisse ist schade… und dieser Vergleich mit Carcassonne! Grotesk! Rodemack ist ein Dorf. Ruhig, ohne großen Ansprüche, liebenswürdig, bescheiden. Es hat mit der südfranzösischen prächtigen hochtouristischen mittelalterlichen Festung nichts gemeinsam. Gott sei Dank ! In Rodemack wird keine wertvolle Zeit an der Kasse von Souvenirläden vergeudet, in den Gassen werden keine Schlüsselanhänger mit Ministadtmauern aus Plastik verkauft. Nach Hause nimmt der Besucher nur die persönlichen Eindrücke, die er entlang der Gassen oder in dem winzigen Garten mit mittelalterlichen Kräutern gesammelt hat. Rodemack ist ein bescheidener Ort mit einem gewissen Charme und soll es auch in Zukunft bleiben. In Rodemack sind eben die Spuren aus dem Mittelalter nicht so spektakulär wie in Carcassonne oder Rothenburg“ „Vorsicht, die „tarte“ ist sehr heiß !“ Georges Del Vecchio bringt die Vorspeise. Am Nachbartisch haben vier Kunden verschiedene Sorten „tarte“ auf dem Teller. Jeder Gast erhält 111 eine andere Füllung, damit alle an einem Tisch mehrere Varianten probieren können. Das ist ein Prinzip des Hauses sagt Herr del Vecchio seinen Gästen. Er und Gracieuse freuen sich, wenn sie sehen, dass Teller über den Tisch weitergereicht werden. Ich sitze allein am Tisch und komme leider nicht in den Genuss der vielen Varianten. Und ich wage es nicht, den Patron nach Probehäppchen aus der Küche zu fragen. Die Vorspeise war in der Tat sehr heiß. Im Schatten des hohen Ahorns ist mir plötzlich sehr warm. Ich knöpfe mein Hemd auf. „Ich finde es herrlich, wenn die Gäste bei mir in Jeans erscheinen oder in Shorts, mit Reitstiefeln oder in Fahrradausrüstung. Jeder soll kommen, wie er sich wohl fühlt. Ich habe als Kind früher vornehme Restaurants gehasst. Einige Kunden kommen auch sehr chic gekleidet. Warum nicht? Das Haus ist es auch wert.“ Im „maison des Baillis“ wird der rohe Schinken mit frittiertem Gemüse serviert. Eine äußerst leckere Spezialität von Gracieuse. Das Gemüse kommt aus dem Garten, wo gerade die Kinder von einem der Nachbartische spielen. Sie haben dort eine Rutsche entdeckt, auf einem Rasen zwischen Blumenbeeten und dem großen Kirschbaum. „ Ich mag es, wenn neugierige Dorfbesucher sich in meinen Garten wagen. Selbst wenn sie keinen Tisch bei mir reservieren. Ich beobachte, wie sie die Feigen betasten, an den Blumen riechen, wie sie sich kurz unter einen Baum in den Schatten setzen. Ich empfinde mich nicht als alleinige Besitzerin dieses Hauses. Es gehört mehr oder weniger jedem, der sich ihm nähert.“ Zu jeder Jahreszeit kommen viele Stammgäste und Neugierige in das „kleine Schloss“ von Gracieuse und Georges. Über die Hälfte der Gäste kommt aus dem nahen Luxemburg und aus dem Saarland. Die Küche ist gutbürger112 lich, unprätentiös. Die Köchin bereitet zu, was in ihrem Garten wächst. Das ist „gute Omaküche“ im besten Sinne. Und das Dorf Rodemack mit seinem mittelalterlichen Flair ist eine Reise wert, selbst wenn es in der Tat mit Carcassonne wenig gemeinsam hat. Philippe Fouché Kontakt La Maison des Baillis Place des Baillis 57570 Rodemack Tel: 0 03 33 - 82 51 24 25 www.les-baillis.com Öffnungszeiten „La maison des Baillis“ ist täglich mittags und abends geöffnet, außer Montag und Dienstag. Menüs kosten zwischen 16 und 30 , Führungen durch das Dorf und im Schloss auf Wunsch in deutscher Sprache: Zu erfragen beim „Office du tourisme“ Place des Baillis 57570 Rodemack Tel: 0 03 33 - 82 51 25 50 www.rodemack.com Anfahrtsweg Von Perl kommend über Schengen und Mondorf. In Mondorf Grenzübergang Richtung Thionville (d1). Nach einem Kilometer rechte Hand die d 57 über Puttelange nach Rodemack fahren.