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RICHTIG ANZIEHEN IM WINTER 32 TOUR 1 | 2009 Schichtwechsel Frieren oder schwitzen? Am besten, man vermeidet beim winterlichen Radeln beides und schafft sich draußen sein individuelles, innerliches Wohlfühl-Klima. TOUR gibt Tipps ǺǫǾǺ Kristian Bauer ǬǵǺǵǹ Daniel Kraus E in großes Problem im Winter ist die Hitze, und wahrscheinlich hat es jeder Radsportler schon erlebt. Zum Start der Trainingsrunde trippelt man mit kalten Zehen fröstelnd aus dem Haus und steht eine halbe Stunde später im eigenen Saft: zu warm angezogen. Unter den molligen Schichten staut sich die Hitze, und je mehr Feuchtigkeit sich ansammelt, desto unangenehmer wird das Tragegefühl. Hinzu kommt, dass nasse Klamotten nicht mehr richtig isolieren, und aus zu warm wird schnell zu kalt. Wie aber sieht der richtige Winterschutz fürs persönliche Wohlfühl-Klima aus? Wer Rad fährt und nicht Rad rollt, bringt Leistung; der Körper produziert Wärme, und die kann er nicht anders loswerden als durch Schwitzen. Unter der Kleidung eine komplett trockene Haut zu behalten, ist also unmöglich. Wichtig ist deshalb der optimale Feuchtigkeitstransport. Grundvoraussetzung dafür ist ein Unterhemd, das möglichst viel Schweiß möglichst schnell vom Körper wegleitet – was es nur kann, wenn es eng am Körper anliegt. Was als nächste Schicht folgt, hängt von den Anforderungen ab. Schließlich gilt es, je nach äußeren Bedingungen den optimalen Kompromiss aus Atmungsaktivität und Isolation zu finden. Wer stark schwitzt, braucht nicht so sehr wärmende Klamotten als vielmehr solche, die auch bei großer Kälte gut isolieren. Dann reichen vielleicht schon ein Wintertrikot oder ein winddichtes Unterhemd mit Langarmtrikot. Umgekehrt benötigt jemand, der leicht friert und wenig schwitzt, eine oder mehrere wärmende Bekleidungsschichten. Mehr Windschutz und Isolation bieten schon Windweste oder Windjacke, was darauf hindeutet, dass man sich schon mit cleverer Kombination der Standardklamotten fürs winterliche Radeln rüsten kann, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Doch in der Praxis lauern einige Tücken: Im Sommer ist ein körpernaher, enger Schnitt bei Radweste und Windjacke ideal. Sollen im Winter noch mehrere Schichten unter den Windschutz, wird es schnell zu eng. Auch zwei Trikots übereinander bieten bei sehr engem Schnitt schlechten Komfort und funktionieren nicht befriedigend: Nur wenn die verschiedenen Schichten locker aufgebaut sind, ist auch genügend Platz für Luft – und diese ist letzlich das wärmende Medium. Auch das Material muss stimmen: Ein BaumwollShirt stört das ganze System ebenso DZǻǸȀ ǥ DZǴǧǶǶ wie zu dicht gewebte oder schlecht durchlässige Trikots. Die sinnvolle Kombination von KleidungsDer Gegenentwurf zum Über- schichten ist die Aufgabe im Winter. einander mehrerer Schichten ist Für ein erfolgreiches Feuchtigkeitseine winddichte Winterjacke. Im management ist die Basis-Schicht am wichpassenden Temperaturbereich – tigsten. Bei den folgenden Schichten muss der individuell sehr unterschied- ein Kompromiss aus Atmungsaktivität, lich wahrgenommen wird – bietet Isolation und Wetterschutz gefunden wersie den höchsten Tragekomfort. den. Ziel ist, ein ans Wetter angepasstes Wer auch im Winter intensiv Klima-Gleichgewicht zu schaffen, bei dem trainiert, sollte darauf achten, dass man nicht zu stark ins Schwitzen gerät. eine solche Jacke möglichst viele Lüftungsreißverschlüsse besitzt, beispielsweise unter den Armen. Diese mechanische Regulation ist effektiver als jede noch so gute Membran. Wenn man allerdings nur den Frontreißverschluss öffnen kann und der kalte Fahrtwind auf das feuchte Unterhemd trifft, ist das keine sinnvolle Option. Also: Das eine Kleidungsstück, mit dem man im Winter für alle Situationen gerüstet ist, gibt es nicht – ebenso wenig kann man Bekleidungsempfehlungen an konkreten Temperaturen festmachen, denn das Kälteempfinden des Menschen ist viel zu individuell. Wichtig ist, vor allem für gelegentliche Winterradler, ein Gespür für die passende Kleidung zum erwarteten Wetter zu entwickeln. Egal ob man eine Winterjacke wählt oder verschiedene Kleidungsschichten kombiniert – Ziel ist ein möglichst ausgeglichenes Körperklima. Als Faustregel gilt: Was beim Losfahren knapp zu kalt erscheint, wird nach einer Aufwärmphase meistens passend. 1 | 2009 TOUR 33 RICHTIG ANZIEHEN IM WINTER DZǵdzǨǯǴǧǺǯǵǴǫǴ ǬɑǸ ǪǫǴ ǽǯǴǺǫǸ Langarmtrikot + Windstopper-Unterhemd ǖ+ guter Windschutz, trotzdem hohe Atmungsaktivität ǖƹ geringe Isolation; kein Wetterschutz Variante: ähnlichen Schutz bietet ein Wintertrikot mit Windschutz Einsatzbereich: Trockene Herbst- und milde Wintertage. Wer schnell schwitzt, kommt mit dieser Kombination selbst im einstelligen Temperaturbereich noch gut zurecht. Unser Beispiel*: Langarmtrikot: Jeantex „Benevento JS Pro“, 79,95 Euro; Windstopper-Unterhemd: Craft „Pro Zero Windstopper“, 59,95 Euro Radweste + Langarmtrikot + Kurzarmtrikot + Langarmunterhemd Windjacke + Langarmtrikot + Kurzarmtrikot + Langarmunterhemd Variante: Zwei Langarmtrikots übereinander verhindern, dass man an den Armen friert Einsatzbereich: Für trockene Herbst- und Wintertage, selbst im einstelligen Temperaturbereich noch möglich. Ideal bei wechselnder Belastungsintensität (z.B. an Anstiegen), da die Radweste eine gute Regulierung ermöglicht. Unser Beispiel*: Weste: Gore Bike Wear „Ozon“, 99,90 Euro; Langarmtrikot: Jeantex „Benevento JS Pro“, 79,95 Euro; Kurzarmtrikot: Ferrara „JS Pro“, 65,95 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero Xtreme“, 39,95 Euro Variante: bei großer Kälte ein zusätzliches Langarmtrikot oder ein dünnes Fleeceshirt Einsatzbereich: unter null Grad und bei wechselnden Bedingungen. An Anstiegen kann man die Jacke ausziehen. Die Kombi bietet maximalen Schutz vor Kälte und Wind. Ein Jacke mit Funktionsmembran (z.B. Gore Windstopper) schützt bei leichtem Regen. Unser Beispiel*: Jacke: Sugoi „Zap Bike Jacket“, 89,90 Euro; Langarmtrikot: Jeantex „Benevento JS Pro“, 79,95 Euro; Kurzarmtrikot: Ferrara „JS Pro“, 65,95 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero Xtreme“, 39,95 Euro ǖ+ hoher Windschutz; sehr flexibel; gute Belüftung ǖ+ guter Wetterschutz; gute Wärmeisolierung ǖƹ geringe Isolation, besonders an den Armen ǖƹ Dampfdurchlässigkeit eingeschränkt FUNKTIONSUNTERHEMDEN Hightech im Hemd 34 TOUR 1 | 2009 Fachleute sprechen von zweiflächiger Maschenware. Während manche Hersteller auf einen Materialmix setzen, bei dem die zweite Schicht den Schweiß speichert, nutzen andere ein physikalisches Prinzip: Wasser sucht sich immer die größere Oberfläche. Man trägt also auf einen Stoff eine zweite Schicht auf, die außen sitzt und eine größere Oberfläche besitzt (z.B. durch unterschiedlich dicke Garne des gleichen Materials). Dieses sogenannte Kapillargefälle ermöglicht nun, dass sich das Wasser zur äußeren Schicht bewegt. Üblicherweise werden Strickstoffe aus Synthetikfasern wie Polypropylen, Polyester oder Polyamid (siehe Lexikon rechts) verwendet. Letztere sind für den Feuchtigkeitsmanagement übernimmt das Unterhemd SIMON Die Hersteller von Funktionsunterhemden verfolgen viele unterschiedliche Konzepte, in einem Punkt aber herrscht Einigkeit: Das perfekte Ganzjahresunterhemd kann es nicht geben. Allein schon die im Winter gewünschten langen Ärmel unterstreichen diese These. Während im Sommer, beziehungsweise bei sehr intensiven Belastungen, ein Netzunterhemd ideal ist, kann es im Winter schnell zu kalt werden. Das Netzunterhemd ist der klassische Vertreter eines Einschicht-Unterhemds. Beim ZweischichtUnterhemd leitet die unterste Schicht die Feuchtigkeit an die darüberliegende, zweite Schicht weiter. DzǫǾǯDZǵǴ Mehrschicht-Winterjacke + Langarmunterhemd Winterjacke + Langarmunterhemd Variante: mit zusätzlichem Langarmtrikot noch wärmer Einsatzbereich: für milde und kalte Wintertage. Die heraustrennbare Isolierschicht variiert den Einsatzbereich der Jacke. Ohne Innenjacke auch bei milden Temperaturen geeignet. Unser Beispiel*: Winterjacke: Castelli „Insolito Radiation Jacket“, 349,95 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero Xtreme“, 39,95 Euro niedrige Temperaturen geeignet; relativ teuer Variante: mit zusätzlichem Langarmtrikot noch wärmer Einsatzbereich: besonders für kalte Wintertage geeignet. Die winddichte Jacke bietet auch optimalen Schutz gegen Feuchtigkeit. Nichts für milde Tage und Sportler, die leicht schwitzen. Unser Beispiel*: Winterjacke: Assos „FuguJack“, 379 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero Xtreme“, 39,95 Euro ǖ+ deckt breiten Temperaturbereich ab; hoher Wet- ǖ+ hoher Tragekomfort durch rennradgerechten terschutz; warm Schnitt; sehr gute Isolation ǖƹ eingeschränkte Atmungsaktivität; relativ teuer ǖƹ eingeschränkte Atmungsaktivität; nur für *Infos/Bezug : www.assos.com, www.castelli-cycling.com, www.craft.se, www.gorebikewear.com, www.jeantex.com, www.sugoi.com Winter am wenigsten geeignet, da die Fasern mehr Feuchtigkeit aufnehmen als Polyester und Polypropylen. Ansonsten lassen sich generelle Aussagen zu den Fasern nur schwer treffen, da die Funktion sehr von der Verarbeitung abhängt. Zur wichtigsten Funktion der ersten Bekleidungsschicht gehört auch im Winter der Feuchtigkeitstransport. Damit das gut funktioniert, muss das Unterhemd möglichst eng am Körper anliegen, was durch die Einbindung von Elastanfäden erreicht wird. Damit Unterhemden möglichst wenig müffeln, werden die Textilien häufig antibakteriell geschützt, beispielsweise durch Silberionen. Mittels NanoTechnologie können heute auf einen Kilometer synthetisches Garn 0,5 Gramm Silber aufgetragen werden. Die Qualität und Struktur der Strickstoffe können wohl die wenigsten Hobby-Radfahrer beurteilen. Auf den ersten Blick erkennt man hingegen wichtige Details – etwa ein möglichst hoher Halsbund. Zunächst scheint ein hoher Halsabschluss unter der dicken Winterjacke zwar nicht notwendig, doch wenn man den Reißverschluss zum Lüften ein Stückchen öffnen möchte, ist man für den Wärmeschutz am Hals sehr dankbar. Beschichtung | Man kann Oberstoffe durch mikroporöse oder hydrophile Beschichtungen absolut wasserdicht machen. Gute Beschichtungen können ebenso gut Wasserdampf durchlassen wie Membrane. Im Handel erhältliche Beschichtungen sind zum Beispiel Texapore oder Micropor. Elastan | Eine Kunstfaser, die sich auf das Mehrfache ihrer ursprünglichen Länge ausdehnen lässt. Verbessert Passform und Formbeständigkeit. Handelsnamen sind zum Beispiel Lycra, Spandex. Laminat | Verklebung einer Membran (z.B. Gore Tex) mit einem Oberstoff (Zweilagenlaminat) und eventuell einem Futterstoff (Dreilagenlaminat). Da die Membran nur aus einer dünnen, empfindlichen Folie besteht, muss sie immer mit einem Stoff verbunden werden. Merinowolle | Wolle ist temperaturausgleichend und geruchsneutral. Sie wird zunehmend in Verbindung mit Kunstfasern eingesetzt. Merinowolle eignet sich aber nicht für starkes Schwitzen, da sie nicht genug Feuchtigkeit puffern kann und nur langsam trocknet. Modal | Modalfasern werden aus natürlichem Zellstoff (Holz) hergestellt. Polyamid ̌PA̍ | Gute Reiß- und Scheuerfestigkeit, allerdings nehmen sie mehr Feuchtigkeit auf als PES und PP. Handelsnamen sind u.a. Nylon und Perlon. Polyester ̌PES̍ | Polyester ist der am häufigsten verwendete Kunststoff in der Textilfaserproduktion. Die Synthetikfaser nimmt wenig Feuchtigkeit auf, sie ist UV- und farbstabil, aber weniger reißund abriebfest als Polyamid. Handelsnamen: Fleece, Polarguard, Thermolite. Polypropylen (PP) | Leichteste Funktionsfaser, die praktisch keine Feuchtigkeit aufnimmt. PP ist UV-empfindlich, unverrottbar und geruchsanfällig. Softshell | Der Begriff Softshell ist nicht fest definiert. Gemeint ist ein weiches Material, das mehr Wetterschutz als Fleece bietet, aber sich noch von einem Hardshell, z.B. einer Regenjacke, unterscheidet. 1 | 2009 TOUR 35