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RICHTIG ANZIEHEN IM WINTER
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TOUR 1 | 2009
Schichtwechsel
Frieren oder schwitzen? Am besten, man vermeidet beim
winterlichen Radeln beides und schafft sich draußen sein
individuelles, innerliches Wohlfühl-Klima. TOUR gibt Tipps
ǺǫǾǺ Kristian Bauer ǬǵǺǵǹ Daniel Kraus
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in großes Problem im Winter ist die Hitze, und
wahrscheinlich hat es jeder Radsportler schon erlebt. Zum Start der Trainingsrunde trippelt man
mit kalten Zehen fröstelnd aus dem Haus und steht eine
halbe Stunde später im eigenen Saft: zu warm angezogen.
Unter den molligen Schichten staut sich die Hitze, und je
mehr Feuchtigkeit sich ansammelt, desto unangenehmer
wird das Tragegefühl. Hinzu kommt, dass nasse Klamotten nicht mehr richtig isolieren, und aus zu warm wird
schnell zu kalt. Wie aber sieht der richtige Winterschutz
fürs persönliche Wohlfühl-Klima aus?
Wer Rad fährt und nicht Rad rollt, bringt Leistung;
der Körper produziert Wärme, und die kann er nicht
anders loswerden als durch Schwitzen. Unter der Kleidung eine komplett trockene Haut zu behalten, ist also
unmöglich. Wichtig ist deshalb der optimale Feuchtigkeitstransport. Grundvoraussetzung dafür ist ein Unterhemd, das möglichst viel Schweiß möglichst schnell vom
Körper wegleitet – was es nur kann, wenn es eng am
Körper anliegt. Was als nächste Schicht folgt, hängt von
den Anforderungen ab. Schließlich gilt es, je nach äußeren
Bedingungen den optimalen Kompromiss aus Atmungsaktivität und Isolation zu finden. Wer stark schwitzt,
braucht nicht so sehr wärmende Klamotten als vielmehr
solche, die auch bei großer Kälte gut isolieren. Dann
reichen vielleicht schon ein Wintertrikot oder ein winddichtes Unterhemd mit Langarmtrikot. Umgekehrt benötigt jemand, der leicht friert und wenig schwitzt, eine
oder mehrere wärmende Bekleidungsschichten. Mehr
Windschutz und Isolation bieten schon Windweste oder
Windjacke, was darauf hindeutet, dass man sich schon
mit cleverer Kombination der Standardklamotten fürs
winterliche Radeln rüsten kann, ohne viel Geld ausgeben
zu müssen. Doch in der Praxis lauern einige Tücken: Im
Sommer ist ein körpernaher, enger Schnitt bei Radweste
und Windjacke ideal. Sollen im Winter noch mehrere
Schichten unter den Windschutz, wird es schnell zu eng.
Auch zwei Trikots übereinander bieten bei sehr engem
Schnitt schlechten Komfort und funktionieren nicht befriedigend: Nur wenn die verschiedenen Schichten locker
aufgebaut sind, ist auch genügend Platz für Luft – und
diese ist letzlich das wärmende Medium. Auch das Material muss stimmen: Ein BaumwollShirt stört das ganze System ebenso
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wie zu dicht gewebte oder schlecht
durchlässige Trikots.
Die sinnvolle Kombination von KleidungsDer Gegenentwurf zum Über- schichten ist die Aufgabe im Winter.
einander mehrerer Schichten ist Für ein erfolgreiches Feuchtigkeitseine winddichte Winterjacke. Im management ist die Basis-Schicht am wichpassenden Temperaturbereich – tigsten. Bei den folgenden Schichten muss
der individuell sehr unterschied- ein Kompromiss aus Atmungsaktivität,
lich wahrgenommen wird – bietet Isolation und Wetterschutz gefunden wersie den höchsten Tragekomfort. den. Ziel ist, ein ans Wetter angepasstes
Wer auch im Winter intensiv Klima-Gleichgewicht zu schaffen, bei dem
trainiert, sollte darauf achten, dass man nicht zu stark ins Schwitzen gerät.
eine solche Jacke möglichst viele
Lüftungsreißverschlüsse besitzt,
beispielsweise unter den Armen. Diese mechanische
Regulation ist effektiver als jede noch so gute Membran.
Wenn man allerdings nur den Frontreißverschluss öffnen kann und der kalte Fahrtwind auf das feuchte
Unterhemd trifft, ist das keine sinnvolle Option.
Also: Das eine Kleidungsstück, mit dem man im
Winter für alle Situationen gerüstet ist, gibt es nicht –
ebenso wenig kann man Bekleidungsempfehlungen an
konkreten Temperaturen festmachen, denn das Kälteempfinden des Menschen ist viel zu individuell. Wichtig
ist, vor allem für gelegentliche Winterradler, ein Gespür
für die passende Kleidung zum erwarteten Wetter zu
entwickeln. Egal ob man eine Winterjacke wählt oder
verschiedene Kleidungsschichten kombiniert – Ziel ist
ein möglichst ausgeglichenes Körperklima. Als Faustregel
gilt: Was beim Losfahren knapp zu kalt erscheint, wird
nach einer Aufwärmphase meistens passend.
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RICHTIG ANZIEHEN IM WINTER
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Langarmtrikot
+ Windstopper-Unterhemd
ǖ+ guter Windschutz, trotzdem hohe
Atmungsaktivität
ǖƹ geringe Isolation; kein Wetterschutz
Variante: ähnlichen Schutz bietet ein Wintertrikot
mit Windschutz
Einsatzbereich: Trockene Herbst- und milde
Wintertage. Wer schnell schwitzt, kommt mit dieser
Kombination selbst im einstelligen Temperaturbereich noch gut zurecht.
Unser Beispiel*: Langarmtrikot: Jeantex „Benevento
JS Pro“, 79,95 Euro; Windstopper-Unterhemd: Craft
„Pro Zero Windstopper“, 59,95 Euro
Radweste + Langarmtrikot
+ Kurzarmtrikot
+ Langarmunterhemd
Windjacke + Langarmtrikot
+ Kurzarmtrikot
+ Langarmunterhemd
Variante: Zwei Langarmtrikots übereinander
verhindern, dass man an den Armen friert
Einsatzbereich: Für trockene Herbst- und Wintertage, selbst im einstelligen Temperaturbereich noch
möglich. Ideal bei wechselnder Belastungsintensität
(z.B. an Anstiegen), da die Radweste eine gute
Regulierung ermöglicht.
Unser Beispiel*: Weste: Gore Bike Wear „Ozon“,
99,90 Euro; Langarmtrikot: Jeantex „Benevento
JS Pro“, 79,95 Euro; Kurzarmtrikot: Ferrara „JS Pro“,
65,95 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero
Xtreme“, 39,95 Euro
Variante: bei großer Kälte ein zusätzliches
Langarmtrikot oder ein dünnes Fleeceshirt
Einsatzbereich: unter null Grad und bei wechselnden Bedingungen. An Anstiegen kann man die Jacke
ausziehen. Die Kombi bietet maximalen Schutz vor
Kälte und Wind. Ein Jacke mit Funktionsmembran
(z.B. Gore Windstopper) schützt bei leichtem Regen.
Unser Beispiel*: Jacke: Sugoi „Zap Bike Jacket“,
89,90 Euro; Langarmtrikot: Jeantex „Benevento
JS Pro“, 79,95 Euro; Kurzarmtrikot: Ferrara „JS Pro“,
65,95 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero
Xtreme“, 39,95 Euro
ǖ+ hoher Windschutz; sehr flexibel; gute Belüftung ǖ+ guter Wetterschutz; gute Wärmeisolierung
ǖƹ geringe Isolation, besonders an den Armen
ǖƹ Dampfdurchlässigkeit eingeschränkt
FUNKTIONSUNTERHEMDEN
Hightech im Hemd
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TOUR 1 | 2009
Fachleute sprechen von zweiflächiger Maschenware. Während manche Hersteller auf
einen Materialmix setzen, bei
dem die zweite Schicht den
Schweiß speichert, nutzen andere ein physikalisches Prinzip:
Wasser sucht sich immer die
größere Oberfläche. Man trägt
also auf einen Stoff eine zweite
Schicht auf, die außen sitzt und
eine größere Oberfläche besitzt
(z.B. durch unterschiedlich dicke Garne des
gleichen Materials). Dieses sogenannte
Kapillargefälle ermöglicht nun, dass sich
das Wasser zur äußeren Schicht bewegt.
Üblicherweise werden Strickstoffe aus
Synthetikfasern wie Polypropylen,
Polyester oder Polyamid (siehe Lexikon
rechts) verwendet. Letztere sind für den
Feuchtigkeitsmanagement
übernimmt das Unterhemd
SIMON
Die Hersteller von Funktionsunterhemden verfolgen
viele unterschiedliche Konzepte, in einem Punkt
aber herrscht Einigkeit: Das perfekte Ganzjahresunterhemd kann es nicht geben. Allein schon die im
Winter gewünschten langen Ärmel unterstreichen
diese These. Während im Sommer, beziehungsweise
bei sehr intensiven Belastungen, ein Netzunterhemd
ideal ist, kann es im Winter schnell zu kalt werden.
Das Netzunterhemd ist der klassische Vertreter
eines Einschicht-Unterhemds. Beim ZweischichtUnterhemd leitet die unterste Schicht die Feuchtigkeit an die darüberliegende, zweite Schicht weiter.
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Mehrschicht-Winterjacke
+ Langarmunterhemd
Winterjacke
+ Langarmunterhemd
Variante: mit zusätzlichem Langarmtrikot
noch wärmer
Einsatzbereich: für milde und kalte Wintertage.
Die heraustrennbare Isolierschicht variiert den
Einsatzbereich der Jacke. Ohne Innenjacke auch
bei milden Temperaturen geeignet.
Unser Beispiel*: Winterjacke: Castelli „Insolito
Radiation Jacket“, 349,95 Euro; Langarmunterhemd:
Craft „Pro Zero Xtreme“, 39,95 Euro
niedrige Temperaturen geeignet; relativ teuer
Variante: mit zusätzlichem Langarmtrikot
noch wärmer
Einsatzbereich: besonders für kalte Wintertage
geeignet. Die winddichte Jacke bietet auch optimalen Schutz gegen Feuchtigkeit. Nichts für milde
Tage und Sportler, die leicht schwitzen.
Unser Beispiel*: Winterjacke: Assos „FuguJack“,
379 Euro; Langarmunterhemd: Craft „Pro Zero
Xtreme“, 39,95 Euro
ǖ+ deckt breiten Temperaturbereich ab; hoher Wet- ǖ+ hoher Tragekomfort durch rennradgerechten
terschutz; warm
Schnitt; sehr gute Isolation
ǖƹ eingeschränkte Atmungsaktivität; relativ teuer ǖƹ eingeschränkte Atmungsaktivität; nur für
*Infos/Bezug : www.assos.com, www.castelli-cycling.com, www.craft.se, www.gorebikewear.com, www.jeantex.com, www.sugoi.com
Winter am wenigsten geeignet, da die Fasern mehr
Feuchtigkeit aufnehmen als Polyester und Polypropylen. Ansonsten lassen sich generelle Aussagen
zu den Fasern nur schwer treffen, da die Funktion
sehr von der Verarbeitung abhängt. Zur wichtigsten
Funktion der ersten Bekleidungsschicht gehört auch
im Winter der Feuchtigkeitstransport. Damit das
gut funktioniert, muss das Unterhemd möglichst
eng am Körper anliegen, was durch die Einbindung
von Elastanfäden erreicht wird.
Damit Unterhemden möglichst wenig müffeln,
werden die Textilien häufig antibakteriell geschützt,
beispielsweise durch Silberionen. Mittels NanoTechnologie können heute auf einen Kilometer
synthetisches Garn 0,5 Gramm Silber aufgetragen
werden. Die Qualität und Struktur der Strickstoffe
können wohl die wenigsten Hobby-Radfahrer
beurteilen. Auf den ersten Blick erkennt man
hingegen wichtige Details – etwa ein möglichst
hoher Halsbund. Zunächst scheint ein hoher
Halsabschluss unter der dicken Winterjacke zwar
nicht notwendig, doch wenn man den Reißverschluss zum Lüften ein Stückchen öffnen möchte,
ist man für den Wärmeschutz am Hals sehr dankbar.
Beschichtung | Man kann
Oberstoffe durch mikroporöse
oder hydrophile Beschichtungen
absolut wasserdicht machen. Gute
Beschichtungen können ebenso
gut Wasserdampf durchlassen wie
Membrane. Im Handel erhältliche
Beschichtungen sind zum Beispiel
Texapore oder Micropor.
Elastan | Eine Kunstfaser, die sich
auf das Mehrfache ihrer ursprünglichen Länge ausdehnen lässt.
Verbessert Passform und Formbeständigkeit. Handelsnamen sind
zum Beispiel Lycra, Spandex.
Laminat | Verklebung einer Membran (z.B. Gore Tex) mit einem
Oberstoff (Zweilagenlaminat) und
eventuell einem Futterstoff (Dreilagenlaminat). Da die Membran nur
aus einer dünnen, empfindlichen
Folie besteht, muss sie immer mit
einem Stoff verbunden werden.
Merinowolle | Wolle ist temperaturausgleichend und geruchsneutral. Sie wird zunehmend in
Verbindung mit Kunstfasern eingesetzt. Merinowolle eignet sich aber
nicht für starkes Schwitzen, da sie
nicht genug Feuchtigkeit puffern
kann und nur langsam trocknet.
Modal | Modalfasern werden
aus natürlichem Zellstoff (Holz)
hergestellt.
Polyamid ̌PA̍ | Gute Reiß- und
Scheuerfestigkeit, allerdings
nehmen sie mehr Feuchtigkeit auf
als PES und PP. Handelsnamen sind
u.a. Nylon und Perlon.
Polyester ̌PES̍ | Polyester ist der
am häufigsten verwendete Kunststoff in der Textilfaserproduktion.
Die Synthetikfaser nimmt wenig
Feuchtigkeit auf, sie ist UV- und
farbstabil, aber weniger reißund abriebfest als Polyamid.
Handelsnamen: Fleece, Polarguard,
Thermolite.
Polypropylen (PP) | Leichteste
Funktionsfaser, die praktisch keine
Feuchtigkeit aufnimmt. PP ist
UV-empfindlich, unverrottbar und
geruchsanfällig.
Softshell | Der Begriff Softshell ist
nicht fest definiert. Gemeint ist ein
weiches Material, das mehr Wetterschutz als Fleece bietet, aber sich
noch von einem Hardshell, z.B.
einer Regenjacke, unterscheidet.
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