das palais bourbon - Assemblée nationale

Transcription

das palais bourbon - Assemblée nationale
ein Palais für die Demokratie
Assemblée nationale
DA S PA L A I S B O U R B O N
DA S PA L A I S B O U R B O N
ein Palais für die Demokratie
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Palais Bourbon
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Palais Bourbon
Palais Bourbon
I NHALT
Das Palais Bourbon, ein Palais für die Demokratie
1. TEIL
Seite 9
VOR DER REPUBLIK
Eine Landresidenz am Rande von Paris
2. TEIL
Seite 17
REVOLUTION UND EMPIRE
Vom Prinzenpalais zum Gesetzestempel
3. TEIL
Seite 25
VON DER RESTAURATION ZUR DRITTEN REPUBLIK
Das Palais wird Sitz der Abgeordnetenkammer
4. TEIL
DAS PALAIS BOURBON HEUTE
Eine Stadt in der Stadt
Seite 37
7
8
Palais Bourbon
VOR DER REPUBLIK
VOR DER REPUBLIK
Palais Bourbon
1. TEIL
VOR DER REPUBLIK
Eine Landresidenz
am Rande von Paris
Bevor das Palais Bourbon unter der Revolution zum nationalen
Gut erklärt wurde, war es eine der angesehensten aristokratischen Residenzen in der Hauptstadt. Das Palais, das zwischen
1722 und 1728 für die Herzogin von Bourbon erbaut und danach
vom Prinzen von Condé gekauft wurde, trägt auch heute noch
zahlreiche Spuren dieses Jahrhunderts.
1720 erwarb die Herzogin von Bourbon, eine legitimierte Tochter Ludwigs XIV. und
der Madame de Montespan, mehrere Parzellen Land am Seine-Ufer, am so
genannten “Froschtümpel”, wo heute das Palais
Bourbon steht. Nach der Überlieferung soll sie sich
auf Anraten ihres engen Vertrauten – des Marquis von
Lassay – zu diesem Kauf entschlossen und 1722 dem
Bau zweier benachbarter Gebäude zugestimmt haben:
eines westlich gelegenen Gebäudes für den Marquis
und eines rund zehn Meter davon entfernten östlich
gelegenen Gebäudes für sich selbst.
> Die Herzogin
von Bourbon
9
10 Palais Bourbon
VOR DER REPUBLIK
> Die Fassade des Palais Bourbon zur Zeit der Herzogin von Bourbon
Für die Herzogin und den Marquis ging es darum, Zeugnis
später als Faubourg Saint-Germain bezeichneten, eine
ihres Ranges abzulegen und zu demonstrieren, dass sie zu
Abfolge von Hotels, Palais und Gärten, die ein elegantes und
einer erlauchten Elite gehören, die sich an die Mode und
grünes Antichambre der Großstadt bildeten.
die künstlerischen Strömungen ihrer Zeit hält. Alles andere
als zufällig war deshalb die Wahl des Ortes; denn seit der
Mit den Plänen ihres künftigen Palais beauftragte die
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lockte der ländliche
H e r zo g i n vo n B o u r b o n e i n i g e d e r a n g e s e h e n s t e n
Vo r o r t P r é - a u x - C l e r c s a m l i n k e n S e i n e - U f e r d i e
Architekten der Regentschaft. Wie es hieß, wurde der
elegantesten Aristokraten der Hauptstadt an, die sich hier
Italiener Giardini auf Anraten des Marquis von Lassay
gerne eine von weitläufigen Grünanlagen umgebene
gebeten, die Gesamtpläne für das Palais zu entwerfen.
Residenz bauen ließen. Zwischen 1650 und 1740 entstand
Nach seinem Tode im Jahre 1722 wurden Jacques V. Gabriel
somit in der Gegend zwischen der Rue des Saints-Pères und
und Jean Aubert beauftragt, die Bauarbeiten zu vollenden.
dem Hôpital des Invalides, die die mondänen Chronisten
VOR DER REPUBLIK
Palais Bourbon 11
MIT SEINER LINIENFÜHRUNG UND SEINEN PROPORTIONEN ÄHNELTE
“ERSTE” PALAIS BOURBON WEITGEHEND DEM GRAND TRIANON.
DAS
Nach Fertigstellung des Palais im Jahre 1728 beschrieben die
große Fenster zum Vier-Säulen-Garten überdauerten die
Chronisten ausführlich die frappierende Ähnlichkeit mit dem
ständigen Veränderungen, die seit dieser Zeit an diesem Gebäude
Grand Trianon von Versailles. Manche sahen in dieser
vorgenommen wurden. Die Besucher der Nationalversammlung,
Ähnlichkeit das Bestreben der Herzogin, an ihre Abstammung
die hinter diesen Mauern nach Spuren des ursprünglichen
von Ludwig XV. zu erinnern, obwohl dies bereits hinlänglich
Baustils suchen, müssen sich mit dem Hôtel de Lassay begnügen,
bekannt war. Erklären lässt sich diese Ähnlichkeit aber mit noch
dessen Regenschaftstil im Laufe der Jahrhunderte wesentlich
größerer Sicherheit durch den dominierenden Einfluss von Jean
besser erhalten blieb als derjenige seines vornehmen
Aubert, einem Schüler und Bewunderer von Jules Hardouin
Nachbargebäudes.
Mansard, der den Grand Trianon entworfen hatte; entscheidend
war aber auch die besondere Vorliebe, die die Herzogin seit
jeher für dieses Versailler Palais empfunden hatte.
Mehr als das Äußere sorgten die Innenausstattung des Palais
Bourbon und dessen Luxus für Aufsehen unter der
Regentschaft. Auf den Stichen der damaligen Zeit ist ein Dekor
im Rokoko-Stil ("Rocaille-Stil") von außerordentlichem
Reichtum zu sehen, wo Vergoldungen, Medaillons und Alkoven
im Überfluss vorhanden sind. Dieser Luxus schloss aber
keineswegs mutige Innovationen aus, denn die Herzogin
wünschte sich Privatgemächer von der gleichen Größe wie die
Prunksäle, was in der damaligen Zeit ungewöhnlich war.
Was ist heute von diesem "ersten" Palais Bourbon übriggeblieben?
Materiell nur sehr wenig: lediglich eine Mauerseite und einige
> Die Herzogin von Bourbon
in Hofkleidung
12 Palais Bourbon
VOR DER REPUBLIK
Allerdings wäre es übertrieben zu behaupten, das heutige
Zeichen seiner Anerkennung trat deshalb der König das Palais
Palais Bourbon habe mit dem ursprünglichen Gebäude
Bourbon für den symbolischen Preis "des Grundstücks und der
lediglich noch ein paar Steine und Fenster gemein. Denn von
Glasscheiben" an ihn ab.
seinem Vorgänger übernahm das Palais seinen Namen, der trotz
seines ausgeprägten königlichen Klangs alle späteren
Der Prinz von Condé, der nunmehr der neue Eigentümer war,
Umwälzungen überlebte. Dem ursprünglichen Gebäude
fand sich in diesem von seiner Vorfahrin geerbten Palais nicht
verdankt es zudem seine rechteckige Anordnung um einen Hof
sehr wohl, dessen erlesener und intimer Stil zum martialischen
und einen Vorhof, der zur Place du Palais Bourbon hin offen ist;
Charakter des jungen Prinzen, der dem Kriegshandwerk
1764 BEGANN DER PRINZ VON CONDÉ, DER ENKEL DER HERZOGIN VON BOURBON,
MIT DER ERRICHTUNG DES GEBÄUDEKOMPLEXES BOURBON.
von den Architekten, die in der Folgezeit das Gebäude
nachging, kaum passte. Vor allem aber waren die Mauern viel zu
umzugestalten hat ten, wurde diese Anordnung strik t
eng für jemanden, der einer der ersten Würdenträger des
eingehalten. Neben diesen architektonischen Elementen
Königreichs war und dessen imposanter Lebensstil ein Palais
verdankt es ihm schließlich noch ein genauso wesentliches wie
erforderte, das wesentlich größer war als die nette und
undefinierbares Element, nämlich eine gewisse Atmosphäre,
liebliche Vergnügungsresidenz, die er geerbt hatte.
e i n e M i sc h u n g a u s Ko m fo r t u n d P r u n k , d i e t ro t z d e r
verstrichenen Jahrhunderte das Gebäude nach wie vor
kennzeichnen und an seine erste Bewohnerin – die Herzogin
von Bourbon - erinnern.
Nach dem Tode der Herzogin von Bourbon war das Schicksal
des Palais bis zum Jahre 1756 ungewiss, dem Jahr, in dem Ludwig
XV. es kaufte, um dieses schöne Anwesen gegenüber der Place
de la Concorde, die er zu seinem eigenen Ruhme anlegen ließ,
instand zu halten. In königlichem Besitz blieb das Palais aber
nur kurze Zeit. Denn 1764 kehrte der Prinz von Condé, ein Enkel
der Herzogin von Bourbon, vom Siebenjährigen Krieg heim, bei
dem er sich herausragende Verdienste erworben hatte. Als
> Der Prinz von
Condé, Enkel
der Herzogin
von Bourbon
VOR DER REPUBLIK
Palais Bourbon 13
> Die von Le Carpentier entworfene Kolonnade
Ein Vierteljahrhundert lang versuchte deshalb der Prinz, das Palais zu modernisieren und es vor allem zu vergrößern, indem er zum
Zentralbau Nebengebäude und Diensträume hinzufügen ließ. Anstatt einer schlichten Landresidenz entstand so zwischen 1765 und 1789
eine echter kleiner Gebäudekomplex – das Anwesen Bourbon, so wie wir es heute kennen.
Unter der Leitung der Architekten Barreau de Chefdeville und Le
Carpentier wurden die Flügel des Palais ausgebaut und durch Mauern hin
zur Place du Palais de Bourbon verlängert, sodass der Hof geschlossen
wurde. An ihrem Ende wurden zwei massive Pavillons zu beiden Seiten des
Eingangsportals in Form eines Triumphbogens errichtet. Dem Wunsch des
Prinzen entsprechend wurde dieses Portal in eine imposante Kolonnade
eingefügt, durch die die Passanten den Hof des Palais von außen sehen
konnten.
Westlich vom Ehrenhof wurde eine Reihe neuer Gebäude errichtet, die
durch drei Höfe – die heute Sully-, Montesquieu- und d’Aguesseau-Hof
genannt werden – voneinander getrennt sind und der Unterbringung der
Bediensteten des Prinzen dienten. Gemeinsam mit den zwei kleinen
Nebengebäuden des Hôtel de Lassay säumen sie eine Allee, deren ruhige
Eleganz einen Gegenpol zum imposanten Hof des Palais Bourbon darstellt.
14 Palais Bourbon
VOR DER REPUBLIK
> Die Fassade hofseitig zur Zeit des Prinzen von Condé
Im Laufe der Jahre entfaltete der Prinz eine Baulust, die sich sogar außerhalb des Palais manifestierte. Um dessen Renovierung
finanzieren zu können, erwarb er 1769 die südlich angrenzenden Grundstücke und leitete ein umfassendes Immobilienprogramm ein,
das ab 1787 zur Entstehung der Place du Palais Bourbon führte.
1789 FLOH DER PRINZ VON CONDÉ VOR FERTIGSTELLUNG
SEINES PALAIS AUS FRANKREICH.
Was seinen Immobilienbesitz anbelangte, so war diese Baustelle sein letztes ehrgeiziges
Projekt. Als er – beunruhigt über die Erstürmung der Bastille – am 18. Juli 1789 aus
Frankreich floh, waren die von ihm geplanten Arbeiten am Palais Bourbon trotz 25-jähriger
Bauzeit und Ausgaben in Höhe 25 Millionen Pfund immer noch nicht abgeschlossen. Und
mit den Arbeiten zur Anlage der Place du Palais Bourbon war gerade begonnen worden.
Erst 1814 nach seiner Rückkehr aus dem Exil konnte er sein endlich fertiggestelltes
Bauvorhaben bewundern.
Obwohl ihm nach seiner Rückkehr alle seine Besitztümer zurückgegeben wurden, konnte er hiervon aber nicht so richtig profitieren.
Denn in den Jahren seines Exils hatten zunächst die Republik und danach das Empire "sein" Palais Bourbon grundlegend umgebaut, um
daraus für alle Zeit den Sitz der nationalen Volksvertretung zu machen.
VOR DER REPUBLIK
Palais Bourbon 15
DAS H ÔTEL DE L ASSAY,
DER “ KLEINE B RUDER ” DES PALAIS B OURBON
Das Hôtel de Lassay – die heutige Residenz des Präsidenten der Nationalversammlung
- wurde in der gleichen Zeit und von denselben Architekten erbaut. Denn die Herzogin
von Bourbon hatte gewünscht, dass ihr Freund und Vertrauter, der Marquis von Lassay
in ihrer unmittelbaren Nähe und in einem fast identischen Palais wohnte, wenn es auch
wesentlich kleiner war. Im Gegensatz zu seinem "großen Bruder", dem Palais Bourbon,
wurde das Hôtel de Lassay seit seiner Errichtung nicht grundlegend verändert. Wer das
Erdgeschoss des Hôtel de Lassay (die erste Etage wurde unter der Julimonarchie hinzugefügt) besucht, kann sich somit ein ungefähres
Bild von der Atmosphäre machen, die im Palais Bourbon im Zeitalter der Aufklärung und vor seinen "Renovierungen" im 19. und 20.
Jahrhundert herrschte.
16 Palais Bourbon
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
Palais Bourbon 17
2. TEIL
REVOLUTION UND EMPIRE
Vom Prinzenpalais zum
Gesetzestempel
Am 21. Januar 1798 hielt der Rat der Fünfhundert seine erste Sitzung
im Palais Bourbon ab. Durch den Bau eines Halbrunds in diesem
immer noch aristokratischen Palais wurde die Harmonie des
Gebäudes jedoch nachhaltig gestört. Erst unter dem Empire
erlangte es eine gewisse architektonische Ausgewogenheit und
das Aussehen eines wirklich offiziellen Gebäudes.
Das Palais Bourbon, das der Prinz von Condé im Juli 1789 verlassen
hatte, blieb einige Zeit lang ungenutzt, bis es 1791 zum
nationalen Gut erklärt wurde. Danach diente es sukzessive als
Gefängnis, als Abstellplatz für Kriegsgeräte und als Unterkunft
für die Kommission für öffentliche Bauvorhaben. Im Zuge dieser
Unterbringung beherbergte das benachbarte Hôtel de Lassay
einige Monate lang die Schule für öffentliche Bauvorhaben, die
sich ab diesem Zeitpunkt "École Polytechnique" nannte.
> Abgeordneter des Rates der Fünfhundert
18 Palais Bourbon
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
So prestigeträchtig das Polytechnikum auch war, viele störten
Sitzungssaals. Da die Zeit drängte, erfüllten die beiden ihren
sich damals daran, dass ein so großer und zudem noch neuer
A u f t ra g i n we n i ge r a l s zwe i J a h re n , wa s e i n e r wa h re n
Komplex nicht für einen wichtigeren Zweck genutzt wurde. Als
Glanzleistung gleichkam.
im Herbst 1795 der Konvent bei Abschluss seiner Arbeiten ein
Gebäude suchte, in dem der Rat der Fünfhundert – die
Am Tage nach der Einweihung – am 17. November 1797 –
Versammlung, die an seine Stelle treten sollte – tagen konnte,
feierten die Gazetten einmütig nicht nur die technische
fiel seine Wahl – wie es schien – unweigerlich auf das Palais
M e i s t e r l e i s t u n g , s o n d e r n a u c h d e n u n b e s t re i t b a re n
Bourbon. Für den Thermidor-Konvent, der die Einrichtung neuer
architektonischen Erfolg dieses ersten Sitzungssaals. In einem
Institutionen vorbereitete, war die Wahl des Palais Bourbon
Dekor aus weißem Marmor und dunkelgrünem Tuch ließen
Ausdruck der angestrebten Bescheidenheit. Denn das Gebäude
Gisors und Lecomte sechs Statuen antiker Gesetzgeber – Solon,
wies mehrere Vorteile auf. Erstens lag es in angemessener
Lykurg, Cato... – errichten, die dem Ganzen eine Feierlichkeit
Entfernung vom Palais du Luxembourg, wo die Direktoren
und zugleich eine Schlichtheit verliehen, die dem Auftrag der
EIN ERSTES HALBRUND WURDE 1797 FERTIGGESTELLT. ES WURDE ZWAR ALS ÄSTHETISCHE
MEISTERLEISTUNG GEWÜRDIGT, ERWIES SICH ABER TECHNISCH VON SEHR MITTELMÄßIGER QUALITÄT.
zusammenkamen. So konnte die Teilung der Exekutive und der
Abgeordneten bestens angepasst waren. Wie die Chronisten
Legislative besser als unter dem Konvent funktionieren, wo die
betonten, wurde durch die Anordnung der Abgeordnetensitze in
Abgeordneten, die Ausschüsse und die Minister unterschiedslos
einem Halbrund gleich einem antiken Theater auch die
in den Sälen des Louvre untergebracht waren. Zweitens war der
architektonische Ausgewogenheit verstärkt, was mit den
Komplex, den das Palais mit dem Hôtel de Lassay bildete, auf
allen vier Seiten von großen Avenuen umgeben, sodass er im
Falle eines Aufruhrs leichter von der Nationalgarde geschützt
werden konnte. Und drittens hatte das Gebäude schließlich den
immensen Vorteil, dass es im Herzen des ruhigen Viertels SaintGermain lag, in angemessener Entfernung vom Pariser Osten
und seinen unvorhersehbaren revolutionären Umtrieben.
Gleich nach der Wahl des Palais Bourbon beauftragte der
Konvent die Architekten Gisors und Lecomte mit dem Bau eines
> Der Schreibtisch des Präsidenten, der auch Lucien
Bonaparte als Schreibtisch diente.
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
Palais Bourbon 19
unkomfortablen rechteckigen oder elliptischen Sälen, in denen die revolutionären
Volksversammlungen bisher tagten, nur noch wenig gemein hatte. Dieser ästhetische Erfolg
hatte aber auch eine Kehrseite. Da das Halbrund in aller Eile entworfen und erbaut worden
war, erwies es sich rasch als wenig funktional und vor allem außerordentlich brüchig. Hinter
dem Marmor und der Schönheit der Linien traten sehr bald Risse auf, sodass Wasser
> Das Halbrund von Gisors und Lecomte
eindrang. Außerdem war die Lüftung defekt und die Akustik nur mittelmäßig.
Wie das ursprüngliche Palais Bourbon kennen wir diesen ersten Sitzungssaal, der unter der Restauration zerstört wurde, nur von den
damaligen Stichen und Schilderungen. Neben den Statuen der antiken Gesetzgeber, die heute in der Salle des Quatre Colonnes stehen,
hat nur ein einziges wichtiges Element die Jahrhunderte überdauert, nämlich das von Lemot entworfene Ensemble von Rednerpult und
Schreibtisch des Präsidenten.
DER SCHREIBTISCH DES PRÄSIDENTEN UND DAS REDNERPULT PREISEN BIS INS LETZTE
DETAIL EIN HEHRES DEMOKRATISCHES IDEAL.
Dieses Ensemble besticht zunächst durch sein erstes Element, den Schreibtisch des Präsidenten, bei dem jedes Detail ein starkes
demokratisches Ideal ausdrückt. Seine Mahagonistruktur wurde absichtlich klein gehalten (1,63 Meter Breite bei nur 94 Zentimetern
Höhe), um das Rednerpult nicht zu erdrücken. Verziert ist der Schreibtisch mit vier völlig identischen Frauenköpfen aus Bronze, die nach
einem von Durand und Thibault entworfenen Projekt für einen Tempel der Gleichheit reproduziert wurden. Um die Autorität des
Präsidenten während der Debatten zu unterstreichen, wurde der Schreibtisch erhöht, aber mit Bedacht so positioniert, dass er die Höhe
der letzten Sitzreihe des Halbrunds nicht überragt; dies soll verdeutlichen, dass der Präsident "primus inter pares" ist, das heißt, eher
Ordner und Organisator als Direktor der nationalen Volksvertretung.
> Der vordere Teil des Schreibtisches des Präsidenten mit vier identischen Figuren nach einem Projekt von Durand und Thibault, die die republikanische
Gleichheit symbolisieren.
20 Palais Bourbon
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
Unterhalb des Schreibtisches steht das Rednerpult, das ebenfalls mit republikanischen
Symbolen versehen ist. Auf dem Pult aus sauerkirschfarbenem und weißem Marmor ist
in der Mitte das berühmte Relief von Lemot mit zwei Allegorien zu sehen: links “Die
Geschichte schreibt das Wort Republik” (ein Wort, das unter dem Empire entfernt
wurde) und rechts “Die Ruhmesgöttin Renomée verkündet mit ihrer Trompete die großen
Ereignisse der Revolution”. Zwischen diesen Figuren befindet sich ein Postament, das mit einem Januskopf (der den Respekt vor der
Vergangenheit und das Vertrauen in die Zukunft symbolisiert) verziert ist. Auf dem Postament steht eine Büste der Republik, die von
Abbildungen des gallischen Hahns als Symbol der Wachsamkeit umgeben ist.
1806 WURDE DIE "KOLONNADE VON POYET" ZUR EHREN NAPOLEONS ERBAUT UND
IST SEITDEM SYMBOL DER NATIONALVERSAMMLUNG.
Als das Konsulat und danach das Empire das Direktorium ablösten, war das Palais Bourbon genau wie das Land grundlegend verändert,
allerdings auf Kosten seiner Gesamtkohärenz. Denn um den für den Bau des Halbrunds notwendigen Platz zu erhalten, gestalteten
Gisors und Lecomte die Fassade des ursprünglichen Gebäudes von Grund auf um, indem sie deren Öffnungen schlossen und eine
imposante Attika hinzufügten. Das Ergebnis war eine Kolonnade mit Blindfenstern, die mit einem seltsamen Dach in Form eines
Zuckerhuts versehen war. Zu dem napoleonischen Stil von Ordnung und Strenge passte dies umso weniger, als um das Palais eine
eindrucksvolle städtische Landschaft entstand.
Die Place de Bourbon, die der Prinz von Condé geplant und mit deren Arbeiten er 1787 begonnen hatte, war 1804 fertiggestellt. Vor
seiner Flucht hatte der Prinz erreicht, dass die Rue de Bourgogne so ausgerichtet wurde, dass sie genau in der Achse des Palais lag. An
der Seine wurde mit Steinen der Bastille der Pont de la Concorde fertiggestellt, um eine Verbindung zwischen dem Palais Bourbon und
der früheren Place Louis XV. herzustellen. Hinter der Rue Royale wurde der 1764 begonnene Bau der Madeleine-Kirche wiederaufgenommen, um daraus einen "Tempel des Ruhms" zu Ehren der großen Siege des Kaisers zu machen.
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
Palais Bourbon 21
> Die unter der Revolution erbaute Fassade (links) ist architektonisch unausgewogen. Sie
wurde 1806 zerstört und durch die Kolonnade des Architekten Poyet ersetzt.
Um das Gebäude diesem außergewöhnlichen städtebaulichen
Macht des Gesetzes und des Staates: unter dem Blick
Gefüge besser anzupassen und den durch die Fass ade
von Pallas und Themis sitzen vier bedeutende Beamte
geschaffenen unharmonischen Eindruck zu korrigieren,
des monarchischen Staates, auf dessen Erbe sich das
beauftragte der Gesetzgebende Körper 1806 den Architekten
Empire berief. Jeder verkörpert eine politische Tugend:
Bernard Poyet, einen Freund von Lucien Bonaparte, damit, das
Sully als Reformer, L’Hospital als Schlichter, d’Aguesseau
Palais Bourbon zur Seine hin vollständig neu zu gestalten.
als Vereinheitlicher des Rechts und Colbert als
Wirtschaftslenker. Weiter oben sah man auf dem
Bernard Poyet entschied sich für eine klassische Kolonnade. In
Frontispiz ein schwülstiges Motiv, das nach der
künstlerischer Hinsicht keine Überraschung. Da das kaiserliche
Rückkehr der Bourbonen mit dem Hammer entfernt
Rom damals die zwingende Referenz darstellte, wurde für die
wurde: “Seine Majestät der Kaiser, der von Austerlitz
zwölf Säulen der korinthische Stil gewählt. Auch die Statue, die
zurückkehrt und vom Präsidenten des Gesetzgebenden
die Freitreppe schmückt, ist eine klassische Glorifizierung der
Körpers und von der Volksvertretung empfangen wird”.
22 Palais Bourbon
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
> Ursprünglich war das Frontispiz des Palais Bourbon mit einem Motiv zum Ruhme Napoleons versehen
(oben). Unter der Julimonarchie wurde es entfernt und durch eine Allegorie zur Huldigung des nationalen
Genies Frankreichs ersetzt (links).
DIE KOLONNADE IST IM VERHÄLTNIS ZUM SITZUNGSSAAL VERSETZT UND HÖHER ALS DAS PALAIS,
DAS SIE VERKLEIDET; IN WIRKLICHKEIT IST SIE NUR EIN "TROMPE-L'OEIL".
Die von Poyet entworfene Kolonnade überraschte zwar in ästhetischer Hinsicht nicht, war aber technisch gesehen reich an mutigen
Innovationen. Die erste Innovation bestand in der Positionierung des Gebäudes. Denn es galt, das Palais einem bereits bestehenden
städtebaulichen Gefüge anzupassen, weshalb Poyet die Fassade des Gebäudes nicht nach dessen Achse, sondern nach den Achsen der
äußeren Elemente ausrichtete: der Concorde-Brücke und der Madeleine-Fassade. Dadurch ergab sich zwischen dem Sitzungssaal und der
Fassade ein Achsenunterschied von 17 Grad. Als zweiten
Illusionseffekt wählte Poyet eine "Freitreppe mit Tribüne" mit
zweiunddreißig Stufen zur Stützung des Gebäudes, die einzig
und allein die Kolonnade erhöhen sollte, damit sie vom anderen
Seine-Ufer aus trotz der Wölbung der Concorde-Brücke besser
zu sehen war.
VOM PRINZENPALAIS ZUM GESETZESTEMPEL
Palais Bourbon 23
Die Legende besagt, dass die Kolonnade von Poyet trotz ihrer genialen Ausgestaltung Napoleon, zu dessen Ruhme sie erbaut worden
war, nicht gefiel. In einem Bericht, den der Abgeordnete und künftige Staatssekretär für schöne Künste Antonin Proust 1891 über die
Abgeordnetenkammer als Kulturgut erstellte, stand folgende berühmt gewordene Anekdote: “Kaiser Napoleon fand [die Kolonnade]
derart hässlich, dass er eines Tages öffentlich bedauerte, kein Artillerieoffizier mehr zu sein, denn sonst hätte er seine Kanonen auf diese
lächerliche Fassade gerichtet”.
D IE R EPUBLIKANISCHE G ARDE ,
T RADITION UND S ICHERHEIT
Mit ihrer Uniform und ihrem Prestige trägt die Republikanische
Garde zur Tradition des Palais Bourbon bei. Dem Präsidenten
der Nationalversammlung steht gewöhnlich eine von einem
General kommandierte Einheit zur Verfügung. Zu Beginn einer
jeder Sitzung erweist sie ihm in ihrer "Felduniform" die Ehre.
Die Paradeuniform ist seit Louis-Philippe, der dieses Elitekorps
unter dem Namen Nationalgarde
gründete, praktisch unverändert
geblieben und wird dagegen nur beim
Empfang ausländischer Persönlichkeiten
angelegt. Neben diesen repräsentativen
Aufgaben hat die Republikanische Garde
für die tägliche Sicherheit der
Nationalversammlung zu sorgen, indem
sie insbesondere die Eingänge überwacht
und sich am Empfang der Besucher aktiv
beteiligt.
24 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 25
3. TEIL
VON DER RESTAURATION
ZUR DRITTEN REPUBLIK
Das Palais wird Sitz der Abgeordnetenkammer
Bei
ihrer Rückkehr an die Macht im Jahre 1814 konnten die
Bourbonen das Parlament, das im Laufe der Jahre seine Macht
ausgeweitet hatte, nicht wieder abschaffen. Diese Stärkung des
Parlamentarismus kam auch dem Palais Bourbon zugute, das
zunächst die gleichen Strukturen behielt. Ab 1828 wurde der
zentrale Teil des Palais umfassend
renoviert. An diesem Bauvorhaben, das
unter der Julimonarchie fortgesetzt
wurde und dem Palais Bourbon sein
heutigen Aussehen verlieh, beteiligten sich
die namhaftesten Künstler Frankreichs,
insbesondere Eugène Delacroix.
26 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
1827 ERWARB DER STAAT DAS PALAIS BOURBON UND BEAUFTRAGTE DEN ARCHITEKTEN JULES
DE JOLY, ES IN EINEN WÜRDIGEN SITZ FÜR DIE NATIONALE VOLKSVERTRETUNG UMZUGESTALTEN.
Nach seiner Rückkehr aus dem Exil nahm der Prinz von Condé
Dennoch war der Verbleib des Gesetzgebenden Körpers im
den Komplex des Palais Bourbon wieder in Besitz. Er plante nun
Palais Bourbon alles andere als gesichert. Denn aufgrund der
neue Arbeiten, um die Spuren der Revolution zu verwischen.
Weigerung der Familie Condé selbst nach dem Tode des
Da er aber erkannte, dass ein solches Vorhaben, das die
Prinzen, den Mietvertrag zu verlängern, und wegen des
Zerstörung der Kolonnade und des Sitzungssaals voraussetzte,
sc h l e c h te n Z u s t a n d s d e s S i t z u n gss a a l s e r wo ge n d i e
unmöglich sei, ließ er sich im Hôtel de Lassay nieder. Nur
Verantwortlichen des Gesetzgebenden Körpers ab 1820
widerwillig schloss er 1816 mit der nationalen Volksvertretung
ernsthaft einen Umzug der Abgeordnetenkammer.
einen Mietvertrag "für das große Palais und die beiden Flügel
des Hofes" ab. Genüge geleistet wurde damit dem Willen von
Während zunächst die Räumlichkeiten des Instituts de France
König Ludwig XVIII., der kurz nach seiner Thronbesteigung zwei
am Quai Conti und danach diejenigen des Staatsrates am Quai
Anordnungen erließ, um einerseits das Palais dem Prinzen von
d'Orsay als etwaige Alternativen in Betracht gezogen wurden,
Condé zurückzugeben und andererseits im Palais die
entschloss sich Louis-Henri-Joseph von Bourbon, der Erbe des
Abgeordnetenkammer unterzubringen.
P r i n z e n v o n C o n d é , s c h l i e ß l i c h 1 8 2 7, d e n a n d e n
> Die städtebauliche Erschließung des Bourbon-Komplexes
endete nach dem Ersten Empire mit der Errichtung des
Quai d’Orsay in den einstigen Gärten des Hôtel de Lassay.
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 27
Nebengebäude. Jules de Joly gestaltete seinerseits das
Herzstück des Komplexes, das heißt das Palais Bourbon, völlig
um und machte aus ihm ein Gebäude, das von der Größe und
der Ausstattung her dem Rang seiner Bewohner – der
nationalen Volksvertretung – gerechtwurde.
Der alarmierende Zustand des von der Revolution geerbten
Halbrunds war zwar der Hauptgrund dafür, dass die Regierung
die Notwendigkeit einer Renovierung des Palais einsah; doch
> Die Salle des Quatre Colonnes ist einer der wenigen Salons, die vom
ursprünglichen Palais Bourbon geblieben sind. Heute ist sie eine der
wichtigsten Begegnungsstätten für Parlamentarier und Medien.
die Pläne, die Joly ab April 1828 erstellte, beschränkten sich
keineswegs auf den Sitzungssaal. Denn im Gegensatz zu 1795
sollte nun nicht in aller Eile ein Halbrund inmitten des Palais
errichtet werden, sondern nach einer entgegengesetzten
Gesetzgebenden Körper vermieteten Teil des Palais zu
Logik um das renovierte Halbrund ein wirkliches
verkaufen. Dadurch wurde die Unsicherheit hinsichtlich des
gesetzgebendes Palais mit Prunkräumen, Begegnungsstätten
Verbleibs der Abgeordnetenkammer im Palais Bourbon
und Tagungsorten sowie selbstverständlich einer Bibliothek
ausgeräumt, sodass die Regierung ihre letzten Zweifel über die
entstehen.
Notwendigkeit einer grundlegenden Renovierung des
Gebäudes aufgab.
Im April 1828 begannen unter der Leitung des Architekten
Jules de Joly umfassende Bauarbeiten, die sich über zwanzig
Jahre erstreckten und für die die Regierung der Restauration
und danach der Julimonarchie riesige Summen ausgab und
die namhaftesten französischen Architekten, Bildhauer und
Maler der damaligen Zeit mobilisierte.
Dieses zweite große Bauvorhaben, das sich von seinem Umfang
her mit den Arbeiten des Prinzen von Condé in den Jahren
1760-80 vergleichen lässt, diente einem Ziel, das sich bei
rückblickender Betrachtung als überaus komplementär erwies.
Denn der Prinz "erschloss" den Gebäudekomplex städtebaulich
u n d e rg ä n z te i h n d u rc h z a h l re i c h e W i r t sc h a f t s - u n d
> “Der Befreier Frankreichs”, ein Gemälde von Jules-Arsène Garnier zu Ehren von
Adolphe Thiers, dominiert den Dekor des Konferenzsaals.
28 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
So ehrgeizig das Projekt von Joly auch war, wann immer
möglich bewahrte er mit Bedacht die positiven Aspekte des
bestehenden Gebäudes. So behielt er die Kolonnade von
Poyet und die angrenzenden Empire-Säle unverändert bei:
Salon de l'Empereur und Salle des Gardes. Der Architekt
h at t e d e ra r t i g e S k r u p e l , a l l z u v i e l e Ve r ä n d e r u n g e n
vo r z u n e h m e n , d a s s e r i n s e i n e P l ä n e f ü r d e n n e u e n
Sitzungssaal sogar die Grundrisse übernahm, die Gisors und
Lecomte dreiunddreißig Jahre zuvor entworfen hatten:
Halbrund, Marmor-Kolonnade, rotes Tuch und Leder...
Wie beim Hôtel de Lassay, das er 1843 ohne Veränderung des
Erdgeschosses durch eine zusätzliche Etage erhöhte, wollte Jules
de Joly, anstatt zu zerstören und zu ersetzen, neue Elemente
hinzufügen, Elemente überlagern und ergänzen, wobei er
insbesondere das Palais Bourbon durch den Bau etlicher Säle im
Ehrenhof vergrößerte.
DAS PALAIS BOURBON,
AUF DEN SPUREN VON JULES DE JOLY.
> Ehrenhof: Antreten der Republikanischen Garde vor dem
von Jules de Joly konzipierten Eingangsportal.
Persönlichkeiten, die die politische Mäßigung verkörpern
(General Foy, Mirabeau, Bailly, Périer), symbolisiert dieser Saal
durch die Schlichtheit seines Dekors und die Harmonie seiner
Proportionen den ausgleichenden, rationalen und einsichtigen
Die erste Neuerung von Jules de Joly bestand in der Errichtung
Charakter des Regimes von Louis-Philippe. 1889 wurde unter
eines Portals mit vier korinthischen Säulen zum Hof hin als
der Dritten Republik anlässlich der Einhundertjahrfeier der
inneres Gegenstück zur Kolonnade von Poyet und zu deren
Revolution an der hinteren Wand ein Flachrelief angebracht,
optischen Verkleinerung. Dadurch wurde dem Eingang zum
das an die Sitzung der Generalstände vom 23. Juni 1789 und an
Palais eine gewisse Würde verliehen und die Verglasung, die
die Antwort Mirabeaus an den Marquis von Dreux-Brézé (“Wir
der Erhellung des Sitzungssaals diente, von außen verdeckt.
sind hier durch den Willen des Volkes und wir weichen nur der
Nach Durchquerung des Portals gelangte der Besucher somit in
Gewalt der Bajonette!”) erinnert.
den Salon Casimir Périer. Seine feierliche Ausgestaltung wurde
seinem ursprünglichen Zweck gerecht; denn er sollte als
Für diese Tradition steht der erste der drei rechts gelegenen
E m p f a n g s ra u m f ü r d e n K ö n i g b e i d e r E r ö f f n u n g d e r
Säle, der Salon Abel de Pujol, der seinen Namen dem Maler
Sitzungsperiode dienen. Umgeben von vier Statuen mit
verdankt, der ihn dekorierte. Die vier Kassetten, die seine
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 29
> Das Flachrelief erinnert an die Sitzung
der Generalstände vom 23. Juni 1789
Decke schmücken, sind mit Allegorien verziert, die in einem
neo-mittelalterlichen Stil die Jahrhunderte alte Allianz
zwischen Monarchie und Recht preisen. Implizit sollte hier
Zeugnis davon abgelegt werden, dass der Rechtsstaat ein
Begriff ist, der in eine Zeit lange vor der Revolution und der
republikanischen Idee zurückreicht. Das Salische Gesetz der
Franken, die Kapitularien Karls des Großen und die Edikte
Ludwigs des Heiligen nutzte Pujol für die Ausgestaltung des
vierten und letzten Motivs "Die verfassungsgebende Charte
von 1830", das zweifelsohne das wirklich zentrale Thema des
Salons darstellt.
> Das Palais Bourbon von Jules de
Joly verdeutlicht die Vorliebe des
romantischen 19. Jahrhunderts für
die "historische" Architektur,
insbesondere der Salon Casimir
Périer im antiken Stil (oben) und
der im neo-mittelalterlichen Stil
gehaltene Konferenzsaal (oben).
Einige Meter weiter bieten die Gemälde von François-Joseph
Heim, die den Konferenzs aal schmücken, ein noch
markanteres Beispiel für den neogotischen Stil. Diese
30 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Gemälde huldigen einem idealisierten Mittelalter, in dem die Monarchie und die Dynamik des Handel
treibenden Bürgertums sich ergänzten und eine zugleich friedfertige und wohlhabende Gesellschaft
bildeten. Die Darstellungen "Ludwig VI. der Dicke schenkt den Kommunen die Freiheit" oder "Ludwig XII.
organisiert die Chambre de comptes" wechseln so an der Decke mit diversen Medaillons ab, die "Die
Umsicht", "Die Justitia", "Die Mäßigung" usw. symbolisieren. Zwischen zwei Türen steht eine Statue Heinrichs
IV., die eine ähnliche thematische Ausrichtung hat und eine volkstümliche und gutmütige, sich um das
Wohlergehen ihrer Untertanen sorgende Monarchie verkörpert. Das einzige Moderne an diesem für die
französische Romantik typischen "Troubadour-Dekor" ist eine Büste von Marianne als Verkörperung der
französischen Republik und ein Gemälde zu Ehren des großen Politikers Gambetta, die beide unter der
> Die Statue Heinrichs IV.
im Konferenzsaal
Dritten Republik hinzugefügt wurden. Die von Eugène Delacroix bemalte Bibliothek, die diese Reihe von
Sälen abschließt, erinnert wie ihre Nachbarräume an vielfältige historische Ereignisse. Dem Besucher fällt
aber vor allem der abrupte Stilwechsel auf. Hier herrscht weder Besonnenheit noch Schlichtheit vor,
sondern im Gegenteil ein erstaunlicher Reichtum an Motiven, Farben und Perspektiven.
DIE ZWEIUNDVIERZIG METER LANGE BIBLIOTHEK DES PALAIS BOURBON MIT AN IHREN
WÄNDEN EINEM DER GRÖßTEN MEISTERWERKE DER FRANZÖSISCHEN
MALEREI IST IN MEHRFACHER HINSICHT
AUßERGEWÖHNLICH.
Dieser Eindruck von Weite ergibt sich selbstverständlich aus
den Dimensionen des Saals. Denn den Raum von über
zweiundvierzig Metern Länge überragt ein imposantes, fünf
antike Kuppeln umfassendes Gewölbe.
Zurückzuführen ist der monumentale Charakter des Raums
nicht nur auf seine Strukturen, sondern selbstverständlich
auch auf die Gestaltungskraft von Delacroix. Schon die
gewählten Themen machen den Kontrast zu den beiden
vorausgegangenen Sälen deutlich: der große Maler der
Romantik wählte zwar mit seinem Gemälde "Der Marsch der
Menschheit zu Wissen und Kenntnis" ein historisches Thema
wie auch seine Kollegen Heim und Pujol; dieses ist jedoch
anspruchsvoller als deren bescheidene mittelalterliche
E vo k at i o n e n , d a e s n u r M o t i ve a u s d e r A n t i ke , d e r
Mythologie oder dem biblischen Universum beinhaltet. Um
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 31
> Eugène Delacroix: “Attila tritt Italien und die Künste mit Füßen”
E r h a b e n h e i t u n d A u ss a g e k ra f t d e s G a n z e n n i c h t z u
grundlegenden Zweige des Wissens (Theologie, Gesetzgebung,
beeinträchtigen, verzichtete Delacroix – auch indirekt –
Wissenschaften, Poesie, Geschichte) gewidmet und ist
vollständig auf moderne Elemente, die er als zu trivial
bildhafter und traumhafter Ausdruck des Wissens, das einige
erachtete, und beschränkte sich auf religiöse oder griechisch-
Meter weiter unten in den Tausenden von Büchern, die in den
lateinische Themen.
Regalen der Bibliothek stehen, enthalten ist.
Zwischen den an beiden Enden befindlichen "Halbkuppeln",
Die Abfolge von Salons, die vom Salon Casimir Périer
die den ewigen Kampf zwischen der Barbarei ("Attila tritt
ausgehen und das Halbrund auf der linken Seite umgeben,
Italien und die Künste mit Füßen") und der Zivilisation
bietet einen Perspektivwechsel. Der Dekor ist zwar auch hier
("Orpheus zivilisiert die Griechen und lehrt ihnen die Künste
generell klassisch, insbesondere derjenige der Salle des
und den Frieden") veranschaulichen, folgen aufeinander
Q u at re Co l o n n e s m i t i h re r se h r n ü c h te r n e n a n t i ke n
zwanzig biblische Motive ("Adam und Eva", "Die babylonische
Ausgestaltung; doch sind hier der Fortschritt, die Modernität
Gefangenschaft") oder antike Motive ("Alexander und die
und die Welt der Industrie eindeutig die vorherrschenden
G e d i c h t e H o m e r s ", " D e m o s t h e n e s s p r i c h t z u d e n
Themen. So preist der Salon Delacroix, der ursprünglich der
Meeresfluten"), die durch ihre Inspiration wie auch durch ihre
Thronsaal war, die dynamischen Kräfte, auf die sich die
Didaktik unweigerlich an die Freskomaler der Renaissance
Julimonarchie einst stützte: Justiz und Verteidigung, aber vor
erinnern. Jede der fünf Kuppeln ist einer der fünf
allem auch Landwirtschaft und sogar Industrie.
32 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
1833-1848: D ELACROIX IM PALAIS B OURBON
"Und einen Maler, der sich seines Werkes so wenig sicher ist, hat man für die Ausgestaltung eines ganzen
Saals im Palais der Abgeordnetenkammer gewählt, und an so einen Maler vergibt man einen der
bedeutendsten Aufträge unserer Zeit!” (Zeitung "Le Constitutionnel" vom 11. April 1834). Die Beauftragung
von Eugène Delacroix mit der Ausgestaltung des Thronsaals im Jahre 1833 stieß in der Presse auf
Überraschung, Unverständnis und Ablehnung. Denn als Delacroix auf Betreiben von Adolphe Thiers, dem
Minister für öffentliche Bauvorhaben und einstigen Kunstkritiker, diesen
Auftrag erhielt, war er im Gegensatz zu seinen Konkurrenten Heim oder Vernet weder Mitglied des
Institut de France noch Anhänger des vom Institut propagierten Akademismus.
Doch recht rasch begrüßte die Kritik den Mut der vom Maler gewählten Motive. Auch wenn das
vorgegebene Thema – "Die dynamischen Kräfte, auf die sich die Nation stützt: Justiz, Industrie,
Krieg, Landwirtschaft" – eine realistische Huldigung darstellt, lehnte Delacroix allzu direkte
Evokationen des Fortschrittes ab, um seine Inspirationen – wie später für die Bibliothek –
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 33
ausschließlich aus der antiken Ikonographie zu schöpfen. Nach dem Beispiel der großen Freskomaler der Renaissance passte er vor allem
unentwegt seine Malerei an die Architektur der Räumlichkeiten an, indem er die Pfeiler in grauen Farben bemalte, um einen Übergang zum
Stein der Mauern herzustellen, und indem er an anderer Stelle ein Höchstmaß an Farbintensität wählte, um die ungenügende Beleuchtung
des Saals zu kompensieren. Im Oktober 1836 konnte Théophile Gautier nicht umhin, den schöpferischen Reichtum und die Erhabenheit des
Ergebnisses zu würdigen: “Der Stil ist so elegant und geschmeidig, dass man sich in einem von Künstlern aus Florenz bemalten Saal der
Renaissance glauben könnte”.
Aufgrund dieses Erfolgs bewarb sich Delacroix
1838 um die Ausgestaltung des gesamten
Palais , bek am letztendlich aber nur den
Auftrag für die Bibliothek. Der Einfluss von
Thiers , der kurz zuvor aus der Regierung
ausgeschieden war, vermochte dieses Mal
nic ht , de n anh alte n de n W ider s tan d der
offiziellen Kreise zu brechen, von denen drei
Mitglieder sich den Rest des Programms teilten:
Horace Vernet bekam den Zuschlag für die
Salle des Pas Perdus, Abel de Pujol für die Salle
des Distributions und François-Joseph Heim für
den Konferenzsaal.
34 Palais Bourbon
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Das von Horace Vernet gemalte Gewölbe einige Meter von
hier in der Salle des Pas Perdus scheint dem Ausspruch von
Guizot “Bereichert Euch!” noch unmittelbarer Ausdruck zu
verleihen. Hinter den sich über die Balkone neigenden
Personen erblickt man die Landschaft des Paris des 19.
Jahrhunder ts mit seinen belebten Boulevards und im
Hintergrund seinen Fabrikschornsteinen. Doch dieser
Realismus schließt eine gewisse Poesie nicht aus; denn ein
Teil des Dekors wird von einem "Genie des Dampfes" – eine
Inkarnation des Fortschrittes – dominiert, das neben einer
unter Dampf stehenden Lokomotive auftaucht...
> Die berühmte von Horace Vernet bemalte Decke der “Salle des Pas Perdus”
SEIT SEINER EINWEIHUNG SORGT DAS HALBRUND, DAS FÜR DIE EINEN
ZU FEIERLICH UND FÜR DIE ANDEREN ZU "BELANGLOS" IST, FÜR DISKUSSIONEN.
Inmitten dieses Netzes von Sälen liegt das Halbrund mit seinem
gemalten imposanten Fries gesäumt wird. Zwischen den
roten und goldfarbenen Dekor. Seit seiner Fertigstellung im
Medaillons befinden sich die Figuren von fünf Gesetzgebern:
Jahre 1832 beklagen viele seinen allzu heterogenen Dekor,
Justinian, Solon, Lykurg, Numa, Karl der Große.
insbesondere bestimmte Elemente wie das rote Tuch oder die
ionischen Säulen, deren Ähnlichkeit mit einem Theatersaal nicht
von der Hand zu weisen ist. Andere kritisieren die Dimensionen
des Saals, der mit seinen 545 m2 (3 % der Gesamtfläche der
Nationalversammlung) von Anbeginn für seine herausragende
Funktion zu klein gewesen sei.
Doch dieser Eindruck eines allzu intimen, beengten und
behaglichen Halbrunds verschwindet, wenn man den Blick von
den Bänken abwendet und auf den ganzen Saal richtet. Oben
dominiert eine große Verglasung die Decke, die mit über hundert
Kassetten verziert ist und von einem von Evariste Fragonard
DAS PALAIS WIRD SITZ DER ABGEORDNETENKAMMER
Palais Bourbon 35
Auf der gegenüberlie-
Meter weiter oben wurde unter der Dritten Republik ein echter
genden Seite hinter dem
Gobelin nach einem Motiv von Raffael hinzugefügt, der die
Rednerpult schmückt ein
Athener Schule darstellt und an den griechischen Ursprung der
echter Triumphbogen die
Demokratie erinnert. Beiderseits dieser
Saalwand, in deren
zentralen Motive verleiht eine eindrucksvolle
N i sc h e n ve r sc h i e d e n e
Skulptur mit sechs Elementen dem Ganzen
Statuen stehen. Über dem
die notwendige Würde. Rechts wird die
Schreibtisch
des
Macht des Staates mit der von Pradier
Präsidenten befindet sich
g e m e i ß e l t e n " Ö f f e n t l i c h e n O rd n u n g "
ein Flachrelief von Roman
gepriesen, die von der "Justitia" und der
mit dem Motiv "Frankreich
"Stärke" überragt wird. Links symbolisiert die
nimmt Einfluss auf die
ebenfalls von Pradier stammende "Freiheit",
Wissenschaften, die Künste,
über der sich die "Beredsamkeit" und die
den Handel und die
"Umsicht" erheben, das unzertrennliche Band
Landwirtschaft". Einige
von Parlamentarismus und Rechtsstaat.
D IE S CHÄTZE DER B IBLIOTHEK
DER N ATIONALVERSAMMLUNG
Die Bibliothek der Nationalversammlung beherbergt über 800 000 Bücher und ist
somit die viertgrößte französische Bibliothek. Zu den erlesensten Werken gehören
das Manuskript der "Bekenntnisse" von Jean-Jacques Rousseau oder die
Originalmitschrift von Jeanne d'Arcs Prozess in Rouen (neben stehend), in der die
Antworten der "Jungfrau von Orléans" auf die Fragen des von Bischof
Cauchon geleiteten Gerichts aufgezeichnet sind.
36 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
EINE STADT IN DER STADT
Palais Bourbon 37
4. TEIL
DAS PALAIS BOURBON
HEUTE
Eine Stadt in der Stadt
Bei Wiedereinführung der Republik im Jahre 1875 wurde
bedauert, dass die Abgeordnetenkammer nicht über ein eigens
für sie konzipiertes Gebäude verfügt. Bis Anfang der 1960er
Jahre wurden deshalb unaufhörlich Bau- und Umzugsprojekte
geschmiedet, die allesamt aber nie verwirklicht wurden und
somit die effektive Modernisierung des Palais Bourbon
verzögerten. Heute ist diese Modernisierung, die mit der
F ü n f te n R e p u b l i k i n d i e We ge ge l e i te t w u rd e , u m so
beeindruckender: Bau neuer Räume, Öffnung gegenüber der
zeitgenössischen Kunst und systematische Informatisierung
machen heute das Palais Bourbon zu einer Stadt in der Stadt
und stellen eine spektakuläre Verknüpfung von Technologie
und Kulturerbe dar.
38 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
HALBRUND UND KOLONNADE MÜSSEN VERSCHWINDEN!
Zu behaglich oder nicht ausreichend funktional, zu prunkvoll
somit spektakuläre Fassadenprojekte unterbreitet, um die
oder nicht würdevoll genug...: in zwei Jahrhunder ten
schmucklose Kolonnade von Poyet durch Bauten zu ersetzen,
Parlamentarismus wurde mit Kritik am Palais Bourbon nicht
die der nationalen Volksvertretung würdiger waren. Diese
gespart, insbesondere seitens der
Projekte, die in den meisten Fällen im Stile der industriellen
Volksvertreter. Diese Unzufriedenheit,
Architektur nach dem Vorbild des Orsay-Bahnhofs und des
d i e b i s i n d i e 1 9 6 0 e r J a h re e i n e
Grand Palais konzipiert waren, wurden zur Erleichterung vieler
Konstante des parlamentarischen
kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufgegeben.
Lebens war, fiel in den ersten Jahren
der Dritten Republik besonders heftig
aus, als die 578 Abgeordneten nach
DIE NATIONALVERSAMMLUNG ERWIRBT
GEBÄUDE AUSSERHALB DES PALAIS BOURBON
ihrer Rückkehr aus Versailles sich an
das für 440 Personen konzipierte Halbrund gewöhnen mussten.
I m L a u fe d e r Z e i t w u rd e n d i e K r i t i ke n g e z i e l t e r u n d
Seinen Niederschlag fand dieser Verdruss in einem vom
konzentrierten sich auf das Wesentliche: nicht so sehr das
Abgeordneten Margaine 1887 erstellten parlamentarischen
Halbrund an sich beeinträchtige die Qualität der
Bericht, in dem er auf die Besorgnis erregende Zunahme der
Parlamentsarbeit, sondern vielmehr der allgemeine Mangel an
Sterblichkeit unter den Abgeordneten hinwies und zu dem
Räumlichkeiten, die seit dem 18. Jahrhundert freilich keine
Schluss gelangte, der gesundheitsschädliche Zustand des alten
größeren baulichen Veränderungen zwecks Aufnahme einer
Palais Bourbon sei hierfür zweifellos verantwortlich.
modernen Verwaltung erfahren hatten. Mit der Zunahme der
Parlamentsarbeit hielt deshalb die Abgeordnetenkammer nach
Die Hauptkritik galt – wie konnte es auch anders sein – den
dem Ersten Weltkrieg Ausschau nach neuen Räumen, um den
Symbolen, das heißt dem Sitzungssaal und insbesondere
Ausschüssen und Dienststellen eine angemessene Unterkunft
seiner napoleonischen Fassade, die – wie es in einem anderen
zu bieten. 1932 wurde die Errichtung eines Gebäudes für die
parlamentarischen Bericht aus dieser Zeit hieß – “aus der
Quästoren in der Allée de la Présidence beschlossen.
Abgeordnetenkammer einen Tempel der Dunkelheit und der
Gleichzeitig wurde ein Halbrund mit 200 Plätzen – die
Finsternis zu machen scheint”. In den Jahren vor dem Ersten
derzeitige Salle Colbert – für die Sitzungen der größten
Weltkrieg wurden dem Präsidium der Nationalversammlung
Fraktion errichtet.
EINE STADT IN DER STADT
Palais Bourbon 39
> Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es etliche Projekte für eine neue Fassade, die aber nie verwirklicht wurden.
Trotz dieser ersten Anstrengungen fehlte es weiterhin an
Platz, und die Nationalversammlung musste sich
entschließen, den Grundsatz der "Einheit des Ortes"
aufzugeben, dem zufolge die Parlamentsarbeit bislang
innerhalb des aus dem Palais Bourbon und dem Hôtel de la
Présidence bestehenden Komplexes erfolgte. 1974 wurde
das Gebäude in der 101, Rue de l’Université gegenüber dem
Hôtel de Lassay eingeweiht. In diesem Gebäude, das heute
"Immeuble Jacques Chaban-Delmas" heißt, verfügt
nunmehr jeder Abgeordnete über ein eigenes Büro. Das am
233, Boulevard Saint-Germain im Jahre 1983 gekaufte
Gebäude und das 2002 eingeweihte Gebäude in der 3, Rue
Aristide Briand bieten nunmehr ausreichend Raum für alle
Männer und Frauen sowie Organe, die den täglichen
Betrieb der Nationalversammlung gewährleisten:
Volksvertreter, Fraktionen und Verwaltungsdienste.
> Die Salle Colbert, das andere
Halbrund im Palais Bourbon
40 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
INTERNET-SITE, NETZE MIT HOHER DATENRATE, FERNSEHKANAL:
DAS PALAIS BOURBON IST HEUTE EIN WAHRES KOMMUNIKATIONSZENTRUM.
Die Nationalversammlung, die sich zunächst auf das Halbrund beschränkte, ist so im Laufe der
Jahrzehnte geographisch und atmosphärisch zu einer kleinen Stadt in der Stadt geworden. Besucher,
die gerne nach Pittoreskem Ausschau halten, werden über die paar "Läden" erstaunt sein, die den
Abgeordneten zur Verfügung stehen und den Eindruck von Autonomie verstärken: ein Ausschank im
"Jugendstil", der 1904 hinter dem Sitzungssaal errichtet wurde, ein Frisiersalon und eine Post neben
der Bibliothek, ein Kiosk für den Kauf von Zeitungen und Tabakwaren unweit der Rotunde usw. Diese
vornehmlich unter der Dritten Republik geschaffenen Räumlichkeiten fügen gemeinsam mit den in
der gleichen Zeit eingebauten imposanten Fahrstühlen dem romantischen Dekor des Palais Bourbon
einen Hauch von "Jugendstil" oder "Art déco" hinzu.
> Der Kiosk für Zeitungen und Tabakwaren
Die Nationalversammlung kann diese Symbole von Komfort umso mehr für sich in Anspruch
nehmen, als sie seit vierzig Jahren unentwegt ihre Infrastruktur grundlegend modernisiert. Bei
rückblickender Betrachtung kann die Gründung der Fünften Republik im Jahre 1958 als
Wendepunkt erscheinen; denn eine unmittelbare Folge der neuen Verfassung war die drastische
Reduzierung der Anzahl ständiger Ausschüsse, was eine umfassende Umstrukturierung der
Räumlichkeiten nach sich zog. Symbolischer Abschluss der dreißigjährigen Bemühungen, im
Untergeschoss des Palais ein ganzes Netz von Sitzungsräumen, die den Erfordernissen der heutigen
Debatten gerecht werden, einzurichten, bildete die Eröffnung der Salle Lamartine. Als notwendige
Ergänzung dieser neuen
> Die Uhr
des Ausschanks
Lebensräume im Untergeschoss
wurde Ende der 1970er Jahre
ein dreistöckiges Parkhaus unter dem Ehrenhof gebaut, der zu
diesem Zweck völlig aufgegraben werden musste und danach
wieder bis ins kleinste Detail in seinen ursprünglichen Zustand
versetzt wurde.
> Die Salle Lamartine
EINE STADT IN DER STADT
Palais Bourbon 41
> Der Saal des
Verteidigungsausschusses
Ohne das Jahrhunderte alte Erbe zu entstellen, hielten überdies
überträgt. Unter dem Marmor und den Goldverzierungen
die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
verlaufen so nunmehr in ungeahnter Dichte die unsichtbaren
umfassend Einzug im Palais Bourbon. Seit 1999 sind mithin alle
Kabel der Moderne... Um dem Gebäude noch nachhaltiger den
zur Nationalversammlung gehörenden Gebäude mit einem
Stempel der Zeit aufzudrücken, beschloss die Präsidentschaft
Kommunikationsnetz hoher Geschwindigkeit ausgestattet,
der Nationalversammlung Ende der 1980er Jahre, die Pforten
sodass die gewählten Volksvertreter und ihre Mitarbeiter einen
des Palais Bourbon verstärkt der zeitgenössischen Kunst zu
direkten und sofortigen
Zugang zu den modernen
Informationsquellen
haben. Das Palais
ALS SYMBOL FÜR DIE MODERNISIERUNG DES PALAIS BOURBON HAT DIE
NATIONALVERSAMMLUNG AN IHRE TRADITION DES MÄZENATENTUMS
ANGEKNÜPFT UND DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST IHRE PFORTEN GEÖFFNET.
Bourbon hat eine jährlich
von zwei Millionen Internauten besuchte Internet-Site
öffnen. Auf diese Weise knüpfte sie an die im 19. Jahrhundert
(assemblee-nationale.fr) eingerichtet und besitzt seit März
begründete Tradition des künstlerischen Mäzenatentums an, in
2000 ihren eigenen Fernsehkanal, La Chaîne Parlementaire-
dessen Rahmen die namhaftesten französischen Vertreter der
Assemblée nationale
bildenden Künste zur Ausgestaltung der Räume beitrugen.
(LCP-AN), der von der
Diesen ständigen Bemühungen ist es zu verdanken, dass
Nationalversammlung aus
die Nationalversammlung heute zu den herausragendsten
Parlamentsdebatten,
öffentlichen Einrichtungen gehört, die sich der
Nachrichtensendungen und
zeitgenössischen Kunst geöffnet haben.
politische Diskussionen
42 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
> Die Kugel der
Menschenrechte
Erster Höhepunkt dieser
Das zweite Werk, das die Nationalversammlung anlässlich
neuen Politik war die
dieser Zweihunder tjahr feier in Auftrag gab, ist in der
Zweihundertjahrfeier
Metrostation, die aus diesem Anlass in "Assemblée nationale"
der Revolution von 1789, bei der die Nationalversammlung
umgetauft wurde, zu sehen.
zwei bedeutende Werke in Auftrag gab. Mit dem ersten
Auftrag sollte das Palais Bourbon ein Werk erhalten, das an
Das gewählte Projekt besticht durch seine Originalität und den
den universellen und zeitlosen Charakter der von der
Willen, den Bürgern für ihr tägliches Leben eine
konstituierenden Nationalvers ammlung im Jahre 1789
staatsbürgerliche Mitteilung mit auf den Weg zu geben. Indem
p ro k l a m i e r te n M e n sc h e n re c h te e r i n n e r t . N a c h e i n e r
der Künstler Jean-Charles Blais auf großflächigen und in
internationalen Ausschreibung, an der einige der berühmtesten
l e u c h te n d e n Fa r b e n ge h a l te n e n We r b e p l a k ate n e i n e
Vertreter der bildenden Künste teilnahmen, erhielt das Projekt
S i l h o u e t t e , d i e d i e A n we s e n h e i t d e r A b g e o rd n e t e n
von Walter de Maria den Zuschlag. Als Symbol für die
symbolisiert, malte, schuf er ein evolutives Werk, das der
Universalität dieser Rechte entwarf der Bildhauer eine
einstigen Metrostation "Chambres des députés" ein modernes
monolithische Kugel aus schwarzem Granit, die auf einem
Aussehen verleiht.
Parallepiped aus weißem Marmor steht, das von einem
Halbrund umgeben ist, auf dem die siebzehn
Artikel der Erklärung der Menschenrechte
und ihre Präambel eingraviert sind. Die Kugel,
die im Ehrenhof, wo sie die Besucher heute
bewundern können, aufgestellt ist, enthält
ein für das Auge unsichtbares Herz aus
vergoldeter Bronze, das die menschliche,
affektive und emotionale Dimension der
Menschenrechte verkörpert.
> Die Metrostation
“Assemblée nationale”.
EINE STADT IN DER STADT
Palais Bourbon 43
Der Wille der Nationalversammlung, innerhalb ihrer Mauern ein lebendiges und
innovatives Kulturerbe zu pflegen, kommt aber zweifelsohne durch die zeitgenössischen
Kunstwerke im Inneren des Palais, die die Besucher zwischen klassischen Gemälden und
Statuen im Stil der Antike überraschen, am deutlichsten zum Ausdruck. Das Gemälde von
Hervé di Rosa in der Galerie, durch die die Besucher zu den Zuschauertribünen gelangen,
ist das bunteste Beispiel hierfür; denn dieser originelle Fries in einem comicähnlichen Stil
bietet eine erquickende Vision von der Staatsbürgerschaft. Etwas weiter in der Rotunde,
die nunmehr seinen Namen trägt, hat der Maler Alechinsky inmitten des Marmors und
des Stucks einen Hauch pflanzlicher Poesie eingebracht und die Mauern des kleinen
Raums mit Blumen, Blättern und Zweigen geschmückt, über denen der reimlose Vers des
Dichters Jean Tardieu steht: “Die Menschen suchen das Licht in einem zerbrechlichen
Garten, wo die Farben sich hin und her wiegen”.
> “Die Rotunde von Alechinsky
> Olivier Debré : “gestreiftes Ocker der Linden”
(Ölgemälde)
> Richard Texier: “Die Fortsetzung der Menschenrechte”
(Wandteppich, Detailbild)
44 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
EIN "K IOSK", UM ÜBER ALLES BESCHEID ZU WISSEN!
Ständig richtet die Nationalversammlung neue Räume ein, um den Empfang der Öffentlichkeit
u n d i h r Z u g a n g z u I n fo r m a t i o n e n z u e r l e i c h te r n . B e s te s B e i s p i e l : d e r " K i o s k d e r
Nationalversammlung", der in der Rue Aristide-Briand unweit der Gärten des Ausschanks
eingerichtet wurde. An diesem für alle zugänglichen Kiosk können die Besucher sämtliche
Publikationen zum parlamentarischen Leben konsultieren und kaufen:
Berichte, Gesetzestexte, ausgewählte politische und historische Werke.
Der Kiosk umfasst überdies einen Raum zur interaktiven Konsultation,
in dem jeder Besucher neben anderen
Informationsquel len die Internet-Site der
Nationalversammlung sowie zahlreiche von ihr
herausgegebene CD-ROMs konsultieren kann. Ferner
gibt es dort ein Geschäft, in dem die Besucher Souvenirs
und Geschenke im Zusammenhang mit der Nationalversammlung kaufen können.
EINE STADT IN DER STADT
Palais Bourbon 45
SEINE
Publikumseintritt : 33, quai d’Orsay
PON
T
CON DE LA
COR
DE
Z UGANG ZUM
PALAIS B OURBON
KIOSK
4, rue Aristide Briand
quai d'Orsay
quai
RER
M
GARE DES
INVALIDES
d'Ors
ay
ASSEMBLÉE
NATIONALE
Bd
rue de l'Université
rue de l'
M
INVALIDES
126, rue de l’Université
P HOTOKREDIT :
ASSEMBLÉE NATIONALE, RÉUNION DES MUSÉES NATIONAUX COUVERTURE ET P11,
ILLUSTRATIONS © ASSEMBLÉE NATIONALE/PIRÈS-TRIGO : COUVERTURE, P13 ET P26, MARC CAMUS/ETC P36
Univers
ité
St
Ge
r
m
ain
46 Palais Bourbon
EINE STADT IN DER STADT
1 - Halbrund
2 - Salle des Pas Perdus
3 - Salle des Quatre colonnes
4 - Salon Delacroix
5 - Salon Casimir Périer
6 - Salon Pujol
7 - Konferenzsaal
8 - Bibliothek
9 - Ehrenhof
10 - Galerie der Wandteppiche
11 - Rotunde von Alechinsky
12 - Galerie für festliche Veranstaltungen
13 - Rotunde
14 - Salle Colbert
15 - Kiosk
EINE STADT IN DER STADT
12
11
13
Palais Bourbon 47
1
10
15
2
7
4
5
3
9
14
6
8
Generalsekretariat der Nationalversammlung
Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Multimediainformation
126, rue de l’Université - 75007 Paris
Tel: 33 (0)1 40 63 69 81 - fax: 33 (0)1 40 63 55 60
www.assemblee-nationale.fr