Erasmusbericht
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Erasmusbericht
Erasmusbericht “Do not be guilty of possessing a library of learned books while lacking learning yourself.” Desiderius Erasmus von Rotterdam “I am opposed to the laying down of rules or conditions to be observed in the construction of bridges lest the progress of improvement tomorrow might be embarrassed or shackled by recording or registering as law the prejudices or errors of today.” Isambard K. Brunel Nach acht Monaten in Bristol ist es nun Zeit für den obligatorischen Erasmusbericht, und dank der gefühlt zehntausend Essays, die ich in der Zwischenzeit geschrieben habe, dachte ich, ein paar schlaue Zitate zu Anfang wären doch der perfekte Einstieg! Und wer würde sich besser eignen als Erasmus von Rotterdam höchstpersönlich, der Namensgeber dieses Austauschprogramms, ebenso wie Isambard Brunel, der nicht nur die Clifton Suspension Bridge, sondern auch die SS Great Britain und Temple Meads Station gebaut hat, um die man nicht herumkommt, wenn man hierherkommt! Um es kurz zu machen, es lohnt sich für ein Jahr nach Bristol zu kommen – aber es lohnt sich sicher auch, Erasmus in irgendeiner anderen Stadt zu absolvieren, weil man neben obengenannten „learned books“ eben noch viel mehr lernt – wie man so schön sagt „fürs Leben“! Bristol ist eine schöne Stadt mit vielen Gesichtern, - manche mehr, manche weniger schön - unglaublich vielen Hügeln, engen Straßen, einem Hafen, vielen Pubs, Cafés, Studenten und teuren Wohnpreisen. Größer als Heidelberg mit (laut Wikipedia) 433.100 Einwohnern ist es die 6.größte Stadt England. Im Südwesten Englands gelegen, ist es nur ein Katzensprung nach Wales und auch nicht weit vom Meer entfernt, das allerdings je nach Wetterlage gegebenenfalls bis zum Sommer warten muss. Wer mehr über die Geschichte Bristols erfahren will, kann das im M-Shed, einem kostenlosen, interaktiven Museum am Hafen tun. Alternativ dazu gibt es diverse Walking Tours gerade zu Beginn des Semesters. Historisch interessant ist u.a. der rege Sklavenhandel, der über Bristol abgewickelt wurde und dem die Stadt einen großen Teil ihres Reichtums zu verdanken hat. Anreise Flugzeug, Bahn, Bus – oder eine Kombination von allem: alle Wege und Transportmittel führen nach Bristol, sind aber unterschiedlich teuer/billig und die Entscheidung ist auch abhängig Davon, wie viel Gepäck man mitnehmen will. Busse gibt es von Heidelberg direkt nach Bristol von eurolines.com. Flugzeuge direkt nach Bristol sind meistens ziemlich teuer und außer von Berlin aus meist mit Umsteigen verbunden, allerdings kann es sein, dass es bald eine Direktverbindung von Frankfurt aus gibt. Nach London gibt es dagegen alle Preisklassen von Ryan Air bis Lufthansa. Ich selbst bin beim ersten Mal mit dem Zug gefahren, um das ganze Gepäck besser mitnehmen zu können. Bis London gibt es von der Deutschen Bahn das London Spezial Ticket ab 49 Euro. Von London nach Bristol kann man entweder mit National Express (ab 5 Pfund, je nachdem wann man bucht), Megabus oder der Bahn fahren. Busse sind in England meistens erheblich billiger als Bahnfahren. Allerdings gibt es manche Verbindungen, z.B. Bristol - Cambridge, wo für mich Bahnfahren günstiger war. Außerdem kann man sich für 28 Pfund eine Railcard für ein Jahr kaufen und kriegt dann auf alle Bahnpreise 1/3 Rabatt, was sich schnell rechnet. Wohnsituation Bevor ich Mitte September nach Bristol kam, hatte ich keine Wohnung und habe so die ersten Tage erstmal in einer Jugendherberge verbracht. Wenn ihr schon im Sommer (Juli, August) mal nach Bristol kommen könnt, würde mir die Zeit nehmen, um in Ruhe nach einer Wohnung zu suchen. Der Studienbeginn ist einfach schöner, wenn man schon weiß, dass man einen eigenen Platz zum Schlafen hat. Die englischen Studenten wohnen in ihrem First Year in Studentenwohnheimen und ziehen dann im Second Year meist in Gruppen in eigene Häuser, wobei gewöhnlich schon im Frühjahr alles vereinbart wird, weshalb es für unsereins schwierig sein kann (aber keinesfalls unmöglich ist) englische Mitbewohner zu finden. Ich selbst habe auch keine WG in dem Sinne gefunden. Die meisten (erschwinglichen) Anzeigen, die es noch gab, waren ein oder mehrere Zimmer zur Untermiete bei Familien oder Einzelpersonen. Anzeigen gibt es sowohl online von der Universität aus als auch auf gumtree.com oder anderen Websites wie Accommodation for Students, etc. Auch wenn ich es zuerst nicht optimal fand, allein bei einem etwa 50jährigen Ehepaar zur Untermiete zu wohnen, bin ich im Nachhinein sehr froh darüber, da in meinem Mietpreis alle Kosten inklusive sind (320 Pfund im Monat, deutlich das untere Ende der Preisklasse hier!) und ich nicht jeden Monat Angst vor der Stromrechnung haben muss. Gerade Engländer können offenbar sehr rigoros sein, was Sparen beim Heizen angeht bzw. andere (internationale Studenten) können sehr/zu großzügig sein, was das Heizen in ihrem eigenen Zimmer angeht und dann wiederum die Stromrechnung explodieren lässt. Viele Häuser sind leider nicht gut isoliert und noch nicht mal mit double glazing ausgestattet. Es ist meiner Meinung nach aber angesichts der kaltfeuchten Winter wichtig, das bei Wohnungsbesichtigungen unbedingt zu beachten, wenn man nicht frieren will. Was Suberkeit und in Schuss gehaltene Wohnungen angeht, muss man im Allgemeinen im Vergleich zu Deutschland meist schon einige Abstriche machen. Trotz einiger Panik am Anfang, habe ich bisher noch von niemandem gehört, der keine Wohnung gefunden hätte. Am begehrtesten ist Clifton, aber auch mit am teuersten. Redland, Cotham sind meiner Meinung nach aber ebenso gut, City Centre und Hotwells bieten sich an, wenn man gerne abends weggeht und ich bin in St. Andrews nahe bei Cotham mit 30 Minuten Fußweg zur Uni auch sehr zufrieden. Öffentliche Transportmittel sind für unsere Begriffe eher schlecht, allerdings fahre ich kaum Bus und kann es deshalb nur bedingt beurteilen. Es gibt Semestertickets, die sich anbieten, wenn man etwas weiter außerhalb wohnt und es eine zeitlich günstige Verbindung zur Uni gibt. Wenn man zum Bahnhof will und an einer kleinen "S-Bahn"Strecke (Severn Beach Line) wohnt, kostet das ganze nur 1,50 Pfund, was billiger und schneller ist als die Busse und besonders günstig, wenn man mit viel Gepäck verreist. Unileben Das Studium ist viel stressfreier als in Deutschland. So habe ich es zum Beispiel ohne Probleme geschafft ein ganzes Jahr kein einziges Referat halten zu müssen. Dafür schreibt man viel mehr Essays, insgesamt 10 Stück bei mir (im Rahmen von 1000 - 4000 Wörter). Ich schreibe jetzt im zweiten Semester zum ersten und einzigen Mal eine Klausur. Meistens kann man nicht mehr als drei Kurse belegen, da die Essays (1-2 pro Kurs) aber alle im Semester fällig sind, braucht man auch nicht mehr um gut beschäftigt zu sein. Ich hatte das Glück am English Department zu sein und so auch Second Year Courses dort belegen zu können. Bis auf zwei Kurse würde ich auch alle Kurse weiterempfehlen, die ich hier belegt habe. Teaching Block 1: Approaches to Poetry, Early Modern Prose Fiction und History of the United States Before 1865 , Teaching Block 2: Approaches to Shakespeare, Political System of Modern Europe und New England's Dreaming: From Emerson to James. Leider haben mir persönlich die beiden Amerikaseminare weniger Spaß gemacht. Dafür war ich von Poetry und Shakespeare sehr positiv überrascht. Es sind beides First Year Kurse, die allen offen stehen, und aus drei einstündigen Vorlesungen (ohne Anwesenheitspflicht) bestehen. Dazu kommt ein einstündiges Tutorium, mit circa acht Leuten, auf das man sich gut vorbereiten muss. Auch Early Modern Prose Fiction war für mich überraschenderweise sehr interessant und bestand aus zwei Stunden angeregter Diskussion wiederum in einem kleinen Kurs von acht Personen. Wenn man Lust hat, kann man auch einen Sprachkurs (als einen der drei Kurse machen) und in der Einführungswoche gibt es eine „Open Units Fair“, wo man sich für Veranstaltungen von anderen Departments anmelden kann, die allen offen stehen (lange Schlange und First Come First Served, sehr altmodische Art, aber es lohnt sich!). Auch wenn man nur 6-8 SWS hat, muss man sehr, sehr viel lesen (mind. 1 Buch pro Kurs, wenn nicht mehr pro Woche + Sekundärliteratur dazu) und daneben noch die Essays schreiben. Die Beziehung zwischen Dozenten und Studenten ist gewöhnlich viel informeller als in Deutschland, meistens redet man sich mit Vornamen an und die Dozenten sind im Allgemeinen sehr hilfsbereit, was Essays und sonstige Fragen angeht. Trotz aller Arbeit und langer Literaturliste, bleibt auch noch genügend Zeit um das Erasmusjahr in vollen Zügen zu genießen. Leben in Bristol und UK Bristol ist eine sehr große und kulturell unglaublich vielfältige Stadt. Man könnte vermutlich das ganze Jahr damit zubringen, jeden Tag ein anderes Pub, Café, Restaurant auszuprobieren und würde trotzdem nicht fertig werden. Um Park Street und das City Centre herum sind die meisten Clubs, Stokes Croft ist eher alternativ. Cabot Circus ist ein riesiges Shoppingcentre mit großem Kino. Im Hippodrome gibt es immer wieder tolle Musicalaufführungen, in meinem Jahr z.B. The Lion King und The Rocky Horror Picture Show. Außerdem gibt es jede Menge Theateraufführungen sowohl professionell, z.B. Shakespeare in The Tobacco Factory, aber auch ganz viel von studentischen Societies, u.a. Drama Society (The Tempest), Opera Society (A Midsummer Night's Dream), etc. Ich selbst singe in TUBBS einem Acappella-Chor (auch eine Society von der Uni), der jedes Trimester ein Konzert veranstaltet und in einem kleinen Gospelchor. Überhaupt sind die Societies an der Uni wirklich eine tolle Gelegenheit um andere Leute kennenzulernen und seine Freizeit zu gestalten. Von Cheese, Chocolate Society über alle möglichen Sportarten, Adventure Society, Fächersocieties, Ländersocieties, oben genannte künstlerische, musikalische Societies, ... es gibt insgesamt über 190 Societies, die sich alle während der Fresher's Week (Woche vor Unistart) an zwei Tagen in der Students' Union vorstellen. Mitgliedschaft beträgt meistens 3 - 5 Pfund pro Jahr. Meist empfiehlt es sich allerdings sich erstmal auf Mailinglisten setzen zu lassen und ein bisschen zu warten, bevor man alle Mitgliedsbeiträge bezahlt, weil man evtl. nach zwei Wochen feststellt, dass man sowieso nur zu ein paar wenigen hingehen kann. Anfang des ersten Semesters gibt es auch eine Volunteer Fair, wo man Informationen erhält über alle möglichen Arten sich ehrenamtlich zu engagieren. Dabei gibt es Angebote um mit Kindern, Jugendlichen, Schülern, älteren Menschen, Behinderten, usw. zu arbeiten, allerdings braucht man dafür fast immer einen CRB-Check, d.h. dass man ein polizeiliches Führungszeugnis aus Deutschland mitbringen muss (kann man nur vor Ort beantragen auf der Behörde, wo man gemeldet ist, kostete 13 Euro letztes Jahr). Da ich eine englische Schule von innen kennenlernen wollte, habe ich das über die Weihnachtsferien zu Hause beantragt und bin mittlerweile als Volunteer für Deutsch an der Cotham School in der Nähe der Universität tätig, wobei ich immer wieder über die Tücken der deutschen Sprache staune und sehr viele Grammatikregeln lerne … BISC und International Office Gerade die ersten Woche bzw. die Zeit bevor die Universität überhaupt richtig losgeht, können etwas lange werden, wenn man noch nicht so viele Leute kennt. Daher gibt es vom International Office der Students' Union Hilfestellungen (bzgl. Bankkonto eröffnen, Wohnung finden, etc.) und teilweise Angebote wie Campusführung, Picknick, etc. Außerdem gibt es das Bristol International Students Centre (BISC), wo es die zwei Wochen vor Unibeginn unter der Woche jeden Abend Abendessen gibt (das erste Mal umsonst, danach nur 2 Pfund), bei dem man in gemütlicher Atmosphäre nicht nur etwas Leckeres isst, sondern auch andere Studenten kennenlernen kann. Das BISC ist auf dem Unicampus und bietet auch unter dem Semester montags, mittwochs und freitags „All you can eat“-Essen (Cream Tea, Suppen, etc.) sehr günstig an und organisiert genauso wie das International Office, immer wieder Tagesausflüge in die Umgebung. Soweit von mir, falls es noch irgendwelche Fragen gibt, schreibt mir einfach: [email protected].