Anleitung zur Risikointelligenz

Transcription

Anleitung zur Risikointelligenz
BÜ C H ER U ND MEH R
Angeben natürlicher Häufigkeiten und

Gerd Gigerenzer
dem Präsentieren von Faktenboxen, könne
Risiko
man für deutlich mehr Klarheit sorgen, als
Wie man die richtigen Entscheidungen trifft
wenn man die Beteiligten mit relativen
Aus dem Englischen von Hainer Kober
[Bertelsmann, München 2013, 396 S., € 19,99]
Häufigkeiten und Fünf-Jahres-Überlebensraten verwirre, wie bislang oft der Fall.
Auch das Finanzwesen knöpft der Autor sich vor. Er erklärt, warum Banken mit
ihren prognostizierten Wechsel- und Akti-
Anleitung zur Risikointelligenz
enkursen regelmäßig danebenliegen. Die
Wie wir Gefahren besser einschätzen können
Fachleute, schreibt Gigerenzer, machten
immer wieder denselben Fehler: Sie wen-
W
enn wir Risiken bewerten, liegen wir
Und was bedeutet es, wenn eine Frau
deten komplexe mathematische Modelle,
oft daneben. Denn wir lassen uns
beim Mammografie-Screening einen po-
die für eine Welt bekannter Risiken gelten,
von Statistiken täuschen, vertrauen Exper-
sitiven Befund erhält? Diese Frage stellte
auf ungewisse Szenarien an. Heraus kä-
ten blind und hören zu wenig auf unser
Gigerenzer 160 Gynäkologen. Das erschre­
men nutzlose Vorhersagen, deren Treff­
Bauchgefühl, so Gerd Gigerenzer, Direktor
ckende Ergebnis: Die Mehrheit glaubte,
sicherheit teils unter Zufallsniveau läge.
am Max-Planck-Institut für Bildungs­
der Befund zeige an, dass die Betroffene
In einer Welt der Ungewissheit genügt
forschung in Berlin. Der Psychologe gibt
beinahe gewiss Brustkrebs habe. Eine fa-
es nicht, auf Experten zu zählen und sich
Tipps, wie wir es besser machen können.
tale Fehleinschätzung. Von 1000
Vor allem im Gesundheitssystem, klagt
Frauen, die zehn Jahre am Scree-
er, würden die Menschen verwirrt. Ein Bei-
ning teilnehmen, werden rund
spiel sei das Mammografie-Screening,
100 positiv getestet. Nur etwa
eine Reihenuntersuchung zur Früherken-
zehn davon sind wirklich er-
nung von Brustkrebs. In zahlreichen Bro-
krankt, wie der Autor darlegt.
tipp
des
monats
in der trügerischen Sicherheit aufwändiger Risikoberechnungen zu
wiegen, so das Fazit. Vielmehr
sollten wir uns auch auf Faustregeln und Intuition verlassen und
stets nachfragen, wenn wir etwas nicht
schüren liest man, das Screening ver­
Gigerenzer beleuchtet, warum Ärzte oft
verstanden haben. Viele dieser Punkte hat
hindere 20 Prozent der Todesfälle durch
verblüffend schlecht über Risiken Bescheid
Gigerenzer schon in früheren Werken he-
Brustkrebs. Eine beeindruckende Zahl,
wissen und weshalb sie ihren Patienten
rausgearbeitet, etwa in »Bauchentschei-
aber leider nur die halbe Wahrheit und zu-
häufig überflüssige Behandlungen ange-
dungen« (2007). Sein neues Buch ist aber
dem irreführend. Tatsächlich sterben von
deihen lassen. Nicht nur Unkenntnis, auch
durch einen wesentlich stärkeren Fokus
1000 Frauen, die am Screening teilneh-
Interessenkonflikte und defensives Ent-
auf medizinische Probleme gekennzeich-
men, binnen zehn Jahren rund vier
scheiden spielten dabei eine Rolle. Deshalb
net. Ein erhellendes Werk, das zu gesun-
an Brustkrebs. Von 1000 Frauen, die nicht
sei es im Gesundheitssystem überaus
der Skepsis ermuntert.
an der Untersuchung teilnehmen, sterben
wichtig, Risiken verständlich zu kommuni-
im gleichen Zeitraum etwa fünf daran.
zieren. Mit einfachen Mitteln, etwa dem
Frank Schubert ist Redakteur bei GuG.
en Ausspruch im Buch­
D
wieder Gewissensbisse, weil
die beiden mit dem Chaos in
titel bekommt Janine
sie ihr Kind »in die Klapse
Lenas Kopf umzugehen
Berg-Peer von ihrer schizo-
abschob«. Ihr Buch schildert,
lernten. Intim und selbstkri-
phreniekranken Tochter Lena
worüber die wenigsten etwas
tisch berichtet sie, was sie
zu hören – und stimmt zu.
wissen: den Alltag mit einer
nach der Diagnose fühlte, wie

Lena war 17 Jahre alt, als das
schweren psychischen Erkran-
sie das Verhalten der Ärzte
Janine Berg-Peer
Leiden über sie und ihre
kung. Immer wieder kollidie-
empfand und welche Verän-
Schizophrenie ist scheiße,
Mama!
Angehörigen hereinbrach. Für
ren die Maßstäbe der Mutter
derungen sie an Lena und an
Berg-Peer bedeutete das
mit dem Verhalten der Toch-
sich selbst erlebte. Und gibt so
schlaflose Nächte, einen
ter. Im Tagebuchstil be-
dem Leser ein Stück Lebens-
schwierigen Spagat zwischen
schreibt Berg-Peer die Ereig-
philosophie mit auf den Weg.
Beruf und Familie und immer
nisse aus 16 Jahren, in denen
Vom Leben mit meiner psychisch
erkrankten Tochter
[S. Fischer, Frankfurt am Main 2013,
265 S. € 9,99]
80
Kerstin Pasemann
GuG 10_2013




exzellent
solide
durchwachsen
mangelhaft

Manfred Spitzer
Das (un)soziale Gehirn
Wie wir imitieren, kommunizieren und korrumpieren
[Schattauer, Stuttgart 2013, 288 S., € 19,95]

Karl Kruszelnicki
Warum Enten Dialekt
sprechen
Kein Einblick in die
soziale Neurowissenschaft
Aus dem Englischen von
Friedrich Giese
[Piper, München 2013, 238 S.,
€ 9,99]
Der Psychiater Manfred Spitzer verrennt sich in
pauschale Medienschelte
I
n seinem neuen Buch »Das (un)soziale Gehirn«
Jugendliche, die bei Facebook viele Freunde um
widmet sich der Psychiater Manfred Spitzer
sich
neuen Erkenntnissen aus der Psychologie und
»echte« Freunde und seien insgesamt weniger
Hirnforschung. Wie schon bei seinen Vorgänger-
glücklich.
scharen,
hätten
zunehmend
weniger
H
aben Goldfische
ein Gedächtnis?
Sind Tampons gefährlich? Und war Albert
werken »Ketchup und das kollektive Unbewuss-
An dieser Stelle beginnt Spitzer einen – so
te« oder »Nichtstun, Flirten, Küssen« erschienen
scheint es – persönlichen Feldzug gegen die digi-
Schulversager? Fragen
die einzelnen Beiträge ursprünglich in der Zeit-
talen Medien, der fast das halbe Buch bean-
rund um die Wissen-
schrift »Nervenheilkunde«, deren psychiatri­
sprucht. Der Autor erklärt, warum das Internet zu
schaft, auf die Karl
schen Teil Spitzer herausgibt. Sie richten sich da-
mehr Dummheit und Kriminalität führe, Fernse-
Kruszelnicki vergnüg-
her eher an ein Fachpublikum, sind aber weit ge-
hen schlecht für Kinder sei, »Killerspiele« unsere
liche Antworten findet,
Einstein wirklich ein
hend auch für interessierte Laien
Kultur verdürben und E-Books und
wobei er hartnäckige
verständlich.
PCs in Schulen unnötig seien. Das
Mythen geschickt ent-
Ganze gipfelt in einem Beitrag, der
larvt. Der Autor ist
sich um das mediale Echo auf Spit-
eingefleischter Wissen­
zers Buch »Digitale Demenz« (2012)
schafts­comedian und
dreht und in dem der Autor klagt, er
Professor für Physik in
sei etwa in Fernsehsendungen ab-
Sydney. Diese Kombina-
sichtlich in ein schlechtes Licht ge-
tion macht sein Buch
rückt worden.
erst richtig lesenswert.
»Das (un)soziale Gehirn« soll
Einblicke in die Wissenschaft hinter unserem täglichen Miteinander liefern. Schon im Vorwort weist
der Autor jedoch darauf hin, dass
sich das Buch mit »Vermischtem
und Versprengtem, aber immer In-
Der Autor führt
einen – so scheint
es – persönlichen Feldzug
gegen die digitalen Medien
Spitzers Kritik an Internet, Com-
teressantem« beschäftige. Tatsäch-
In jedem der 52 Kapitel
lich liest sich Spitzers Werk eher als ein Allerlei
puterspielen & Co. mag im Rahmen einzelner
präsentiert Kruszelnicki
aus Psychologie und Hirnforschung denn als »So-
Zeitschriftenartikel gut funktionieren. In dem
einschlägige Forschungs-
ziale Neurowissenschaft für Einsteiger«, wie auf
Buch wirkt sie allerdings wegen der schieren Zahl
ergebnisse und ergänzt
dem Buchrücken angepriesen.
der Beiträge redundant und darüber hinaus ein-
das Ganze mit vielen
seitig. Zudem führt sie den Leser immer weiter
Quellenangaben, so dass
weg vom eigentlichen Thema.
man sich beim Lesen
Die ersten Kapitel drehen sich noch um das
menschliche Sozialverhalten. Spitzer erklärt dort
anhand aktueller Studien, wie sich politische
Zwar erfährt man in »Das (un)soziale Gehirn«
Einstellungen in unserem Gehirn widerspiegeln
viel Wissenswertes in kurzweiliger Form. Doch
sondern auch weiterbil-
und dass jeder Mensch zu Korruption neigt. Zu-
auf dem ausufernden Nebenschauplatz der digi-
det. Besonders eignet
dem beleuchtet er, was in unseren Köpfen pas-
talen Medien verliert sich der rote Faden. Hätte
sich das Werk für Men-
siert, wenn wir mit anderen reden und ihnen zu-
der Autor darauf verzichtet, hätte es ein richtig
schen, die im Freundes-
hören, und welchen Stellenwert Imitation und
gutes Buch werden können.
kreis gern mal mit
Kreativität für unser soziales Miteinander haben.
»unnützem Wissen« auf-
Auch soziale Netzwerke im Internet nimmt er ins
Daniela Zeibig ist Wissenschaftsjournalistin und
Visier und kommt zu dem Schluss: Kinder und
GuG-Redakteurin.
www.gehirn-und-geist.de
nicht nur amüsiert,
trumpfen.
Miriam Berger
81
Das Gug - Gewi n n s p i el
Kopfnuss

Jennifer Taitz
Hätten Sie’s gewusst?
1. US-Forschern berichten: Ekel erre-
Die Antworten auf die folgenden Fragen
gen­de Bilder betrachten Konservative
finden Sie in der aktuellen Ausgabe von
im Vergleich zu Liberalen ...
»Gehirn und Geist«. Wenn Sie an unse­
a) kürzer
rem Gewinnspiel teilnehmen möchten,
b) länger
schicken Sie die Lösungen bitte mit dem
c) gleich lang
Wenn Essen
nicht satt macht
Emotionales Essverhalten
erkennen und überwinden
Aus dem Englischen
von Dorothee HantjesHolländer
[Balance, Köln 2013, 320 S.,
€ 19,95]
Betreff »Oktober« per E-Mail an:
[email protected]
2. Wie bezeichnen Psychologen jene
Fähigkeiten, die das eigenständige,
Unter allen richtigen Einsendungen
selbst organisierte Lernen erfordert?
verlosen wir drei Exemplare von:
a) metakognitiv
b) intuitiv
c) heuristisch
3. Was zählt zu den frühkindlichen
Regulationsstörungen?
a) Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivi­
täts-Störung (ADHS)
Achtsamkeit statt
Schokolade
Was man gegen Frustessen
tun kann
G
reifen Sie bei Ärger und Stress gern
mal zu Kartoffelchips und anderen
Knabbereien? Leider fühlt man sich da-
b) Autismus
nach meist noch schlechter als zuvor –
c) exzessives Klammern und Trotzen
körperlich wie seelisch. Jennifer Taitz beleuchtet die Ur­sachen und Folgen dieses
Gerd Gigerenzer
4. Synchrone Gamma-Oszillationen
ungesunden Verhaltens: Es hindere Be-
Risiko
basieren auf der Aktivität von ...
troffene daran, ihre Gefühle wahrzu­neh­
Wie man die richtigen Entscheidungen trifft
a) extrapyramidalmotorischen Bahnen
men und sich damit auseinanderzu­
[Bertelsmann, München 2013, 336 S., € 19,99]
b) inhibitorischen Interneuronen
setzen. Denn das Vollstopfen mit Kalo-
c) Betzschen Riesenzellen
rien ändere nichts daran, dass die Seele
hungert.
Einsendeschluss ist der 10. Oktober 2013.
5. Der Betablocker Propranolol senkt
Die Auflösung finden Sie in GuG 12/2013.
Studien zufolge nicht nur den Blutdruck,
therapeutin arbeitet, vermittelt viele
Zusätzlich nimmt jede richtige Einsen­
sondern auch ...
Kenntnisse, die dabei helfen, die eigenen
dung an der Weihnachtsverlosung eines
a) die Bereitschaft, anderen zu schaden
Emotionen rund ums Essen besser zu ver-
Jahresabonnements für 2014 teil.
b) die Lust auf einen Seitensprung
stehen und konstruktiver mit ihnen um-
c) das Ausmaß unbewusster Vorurteile
Taitz, die als Psychologin und Psycho-
zugehen. Von anderen Ratgebern hebt
Ihre persönlichen Daten werden allein
sich das Buch durch einen therapeutisch
zur Gewinnbenachrichtigung verwen­
fundier­ten und verständlich geschrie-
det und nicht an Dritte weitergegeben.
benen Theorieteil ab. Zahlreiche Übungen
Name und Wohnort der Gewinner
und Fall­beispiele aus dem beruflichen All-
werden an dieser Stelle veröffentlicht.
tag der Autorin vertiefen das Verständnis
Eine Barauszahlung der Preise ist
und sorgen für Anschaulichkeit.
nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausge­
schlossen.
Heraus kommt ein empfehlenswertes
Buch für alle, die sich häufig mit Schokolade, Eis und anderen Leckereien trös­ten
Auflösung der Kopfnuss 7-8/2013: 1a, 2c, 3b, 4b, 5c
und entschlossen sind, etwas dagegen zu
unternehmen.
Je ein Exemplar von Frank Schirrmachers »Ego« geht an:
Gabriela Westphal (Espenau), Sabine Stöhr (Rapperswil)
Maria Schmidt ist Biologin und Wissenschafts-
und Achim Völker (Hamburg)
journalistin in Leipzig.
82
GuG 10_2013
Essays aus Medizin, Psychologie,
Naturwissenschaft und Naturphilosophie über die
Mysterien des Alltags
Herausgegeben von Wulf Bertram
Unterhaltsam und anspruchsvoll!
Hans Biedermann
Die Drillinge
des Doktor Freud
Cartoons über die
Psychoanalyse?
Ich bin ich –
und nur darum geht es
Das Buch versorgt nicht nur mit nützlichen
Informationen über die Psychoanalyse, es
trägt hoffentlich auch zur Erheiterung seiner
Leserinnen und Leser bei!
Thomas Bergner räumt mit vielen Vorstellungen und Vorurteilen auf und ermöglicht einen
klaren Blick auf die Welt, in der wir sind. Eine
Welt voller Vorgaben, aber auch eine voller
Chancen.
2013. 164 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2937-7
2013. 328 S., kart. | € 24,99 (D) / € 25,70 (A) | ISBN 978-3-7945-2864-6
Thomas Bergner
Hommage an 2 menschliche
Grundqualitäten
Endlich ausgebrannt!
Die etwas andere Burnout-Prophylaxe
Gib Burnout eine Chance!?
Befolgen Sie Bergners (nicht ganz ernst
gemeinte) Anleitung zum eigenen Burnout.
In amüsant-ironischer Weise nimmt er die
typischen Verhaltensweisen und Einstellungen
aufs Korn, welche entscheidend zu Burnout
beitragen.
Der Psychotherapeut Michael Metzner zeigt
auf pragmatische und humorvolle Weise,
wie Achtsamkeit und Humor als Ressourcen
den Alltag bereichern können.
2013. 182 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2936-0
2013. 208 S., kart. | € 16,99 (D) / € 17,50 (A) | ISBN 978-3-7945-2932-2
Manfred Spitzer
Alles dreht sich um unser
Gehirn
Das (un)soziale Gehirn
Wie wir imitieren,
kommunizieren und korrumpieren
Soziale Neurowissenschaft
für Einsteiger
Eine geistvolle Fundgrube für alle Gehirne,
die mehr über sich selbst erfahren wollen.
Ein Konzert aktueller, unterhaltsamer und
anregender Beiträge.
Was läuft in unserem Gehirn ab, wenn wir
mit anderen kommunizieren? Was macht die
Gemeinschaft mit unseren Erinnerungen?
Warum finden Babys es toll, wenn man sie
imitiert? Kann man das Improvisieren üben?
2013. 578 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2930-8
2013. 284 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2918-6
www.schattauer.de/wissenundleben.html

Stuart Firestein
Schaufenster – weitere Neuerscheinungen
Ignoranz
Die Triebfeder der Wissenschaft
Hirnforschung und Philosophie
Aus dem Amerikanischen
von Jürgen Neubauer
[Huber, Bern 2013, 164 S.,
€ 21,95]
> Beck, H.: Biologie des Geistesblitzes Speed up your Mind!
[Springer, Berlin 2013, 243 S., € 14,99]
> Lieury, A.: Die Geheimnisse unseres Gehirns [Springer, Berlin 2013, 378 S.,
€ 19,99]
> Rösler, A., Sterzer, P., Pannen, K.: 29 Fenster zum Gehirn Genial einfach
erklärt, was in unserem Kopf passiert [Arena, Würzburg 2013, 219 S.,
€ 12,99]
> Strehl, U. (Hg.): Neurofeedback Theoretische Grundlagen, praktisches
Vorgehen, wissenschaftliche Evidenz [Kohlhammer, Stuttgart 2013, 268 S.,
€ 49,90]
Wider das Faktum
Warum Fragen, nicht Antworten die Wissenschaft antreiben
W
er glaubt, überprüfbare Fakten
und feste Wahrheiten machten
den wissenschaftlichen Fortschritt aus,
Psychologie und Gesellschaft
der irrt, so Stuart Firestein. Der Neuro­
> Moser, T.: Lektüren eines Psychoanalytikers Romane als Kranken­-
wissenschaftler forscht und lehrt an der
ge­schichten [Psychosozial, Gießen 2013, 133 S., € 14,90]
>S
chuster, U., Schuster, N.: Vielfalt leben Inklusion von Menschen mit
Columbia University in New York und
­organisiert eine ungewöhnliche Vorle-
Autismus-Spektrum-Störungen [Kohlhammer, Stuttgart 2013, 204 S.,
sungsreihe: Er lädt Wissenschaftler ver-
€ 24,90]
schiedener Disziplinen ein, über die offenen Fragen ihres Fachs zu berichten.
Medizin und Psychotherapie
>B
ierbach, E.: Naturheilpraxis heute Lehrbuch und Atlas
[Urban & Fischer, München 2013, 1404 S., € 89,99]
Firestein will den Blick auf die »Ignoranz« lenken, in der er die eigentliche
Triebfeder der Wissenschaft sieht. Denn
>D
eneke, F.-W.: Psychodynamik und Neurobiologie Dynamische Persön­
hinter der öffentlich verbreiteten Fixie-
lichkeitstheorie und psychische Krankheit [Schattauer, Stuttgart 2013,
rung auf Tatsachen stehe ein grundle-
476 S., € 49,99]
gendes Missverständnis. Nur wer akzep-
>S
prakties, G.: Sinnorientierte Altenseelsorge Die seelsorgliche Begleitung
tiere, dass die Fragen der Wissenschaftler
alter Menschen bei Demenz, Depression und im Sterbeprozess
bedeutsamer seien als ihre Antworten,
[Neukirchener Theologie, Neukirchen-Vluyn 2013, 196 S., € 19,99]
komme dem Kern der Sache nahe.
> Weyland, P.: Psychoonkologie Das Erstgespräch und die weitere
Begleitung [Schattauer, Stuttgart 2013, 144 S., € 29,99]
Der Autor illustriert seine These an
­Beispielen aus der Physik, Mathematik,
Verhaltensforschung und Neurobiologie.
Kinder und Familie
Dabei macht er deutlich, wie reich an Irr-
> Cleveland, K. P.: Jungen unterrichten Der 6-Punkte-Plan gegen
tümern die Forschungsgeschichte ist. Bei-
Schulversagen [Beltz, Weinheim 2013, 267 S., € 19,95]
> J esper, J., Krüger, K.: Die kompetente Familie Neue Wege in der Erziehung.
Das familylab-Buch [Beltz, Weinheim 2013, 174 S., € 9,95]
spiele hierfür sind etwa die Lehre der
Phrenologen, die an der Schädelform von
Menschen deren Charaktereigenarten zu
erkennen glaubten, oder die Mär von den
Ratgeber und Lebensberatung
> Betschart, J.: Das schenk’ ich mir 7 Schritte in ein selbstbestimmtes Leben
[Beltz, Weinheim 2013, 199 S., € 12,95]
> Bürgel, I., Grillparzer, M. (Hg.): Jetzt denk ich wirklich nur an mich
[Südwest, München 2013, 204 S., € 14,99]
»Geschmackszonen« auf der Zunge.
Im Plauderstil führt uns der Autor
durch den Wissenschaftsbetrieb, präsentiert bedeutende Persönlichkeiten und
ihr wichtigstes Handwerkszeug: das kreative Fragenstellen. Überwiegend bezieht
er sich auf verstorbene Genies wie Albert
Einstein, Kurt Gödel oder Charles Darwin.
84
GuG 10_2013
Erst im letzten Kapitel geht er auf aktive

auszuhandeln, was als gut und als böse zu
Forscher ein, etwa auf die Kognitions­
Michael J. Sandel
gelten habe. Daher findet der Autor jene
psychologin Diana Reiss, die Bewusstsein
Gerechtigkeit
Entwicklung bedenklich, die besonders in
bei Tieren untersucht. Warum dieser Ab-
Wie wir das Richtige tun
den USA zur »Erosion des öffentlichen
schnitt mit des Autors eigenem Werde-
Aus dem Amerikanischen
von Helmut Reuther
[Ullstein, Berlin 2013, 416 S.,
€ 21,99]
Raums« führe. Die Reichen schotten sich
gang endet, erschließt sich nicht.
Leider erscheint Firesteins Plädoyer
häufig klischeehaft. So stellt er den »idealen« Wissenschaftler als einen von reiner
Neugier Getriebenen dar, der von früh bis
spät im Labor arbeitet, immer auf der Suche nach neuen, unbekannten Ufern. Nur
Beschäftigungsverhältnisse, Veröffentlichungsdruck, methodische Mängel bis
leben in gesicherten Siedlungen, besuchen Eliteschulen und -universitäten; die
Wegweiser zur Moral
Eine kleine Philosophie des
guten Lebens
ganz am Rand erwähnt er die teils ernüchternden Rahmenbedingungen: prekäre
vom Rest der Gesellschaft zunehmend ab,
Mittelschicht als Bindeglied der Gesellschaft dünnt aus. So fehle es immer mehr
an der Begegnung mit anderen, aus der
Gemeinsinn und Verantwortung erwach­
se. Das Hauptproblem der modernen Ge-
W
as ist gerecht? Für Michael Sandel,
sellschaft – nämlich verbindliche, kon-
Professor für politische Philoso-
sensfähige Regeln zu finden und zu pfle-
phie an der Harvard University, kann man
gen – verschärfe sich dadurch.
aus drei Perspektiven darüber nachden-
Sandel wechselt gekonnt zwischen
Grundlagenforschung zeichne sich
ken – je nachdem, welchem Leitprinzip
grundsätzlichen Erörterungen und dem
durch Unvorhersehbarkeit aus, betont
man folgt: Gemeinwohl, Freiheit oder Tu-
tagespolitischen Weltgeschehen. »In de-
Firestein. Darauf das Augenmerk zu len-
gendhaftigkeit.
mokratischen Gesellschaften«, schreibt er,
hin zur Datenmanipulation.
ken, ist löblich in Zeiten, in denen die Wis-
Dem Gemeinwohl fühlen sich die so ge-
»wird täglich darüber gestritten, was rich-
senschaft mehr denn je unter dem Primat
nannten Utilitaristen verpflichtet: Sie hal-
tig und was falsch, was gerecht und was
der (ökonomischen) Verwertbarkeit steht.
ten solche Handlungen für richtig, die das
ungerecht ist. (...) Debatten über Banken-
Doch wenn er den Wunsch äußert, Laien
Wohlergehen der meisten Menschen för-
rettung und Preiswucher, ungleiche Ein-
mögen sich an der Wissenschaft erfreuen
dern. Die Freiheit wiederum favorisieren
kommen und Quotenregelungen, Militär-
wie an Sportveranstaltungen, beschlei-
die Liberalisten, für die alles Gute aus der
dienst und gleichgeschlechtliche Ehen
chen einen Zweifel. Ein Elfmeterschießen
Entfaltung des Individuums erwächst. Für
sind der Stoff der politischen Philoso-
im WM-Finale weckt bei den meisten
Sandel führen beide Wege in die Sackgas-
phie.« So macht er nicht nur die Brisanz
Menschen zweifellos mehr Emotionen als
se. »Um zu einer gerechten Gesellschaft zu
des Themas deutlich, sondern nimmt den
das Ergebnis einer Massenspektrometrie.
gelangen, müssen wir gemeinsam darü-
Leser mit auf eine lehrreiche Reise durch
ber nachdenken, was es heißt, ein gutes Le-
die Geistesgeschichte, die jeden dazu ein-
ben zu führen.«
lädt, selbst zu denken.
Türkan Ayan ist Psychologin und Professorin an
der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in
Eine lebendige Diskussionskultur sei
dringend geboten, um gesellschaftlich
Mannheim.
Felix Kulpa ist freier Journalist in Wien.
lauben Sie an Gedanken-
G
schaft kratzen sie an der
starke Schwankung im weißen
künstler, die telepathisch
Oberfläche von Quantenphilo-
Rauschen von weltweit ver­teil-
eine geheime Telefonnummer
sophie, Esoterik und – wohl-
ten Dioden, die einige Stun-
nach Russland senden kön-
wollend formuliert – unge-
den vor den Terroranschlägen
nen? Oder daran, dass gekoch-
wöhnlichen Experimenten.
am 11. September 2001 auf-
ter Reis schneller verdirbt,
Unter anderem gehen sie auf
trat – angeblich ein Indiz für
wenn man ihn hänselt? Die
das »Global Consciousness
die wechselnde Gemütslage
Wolfgang Scherz, Werner Huemer
Filmemacher Wolfgang Scherz
Project« ein, einen langfristig
vieler Menschen. Von kriti-
Die Macht der Gedanken
und Werner Huemer stellen
angelegten Versuch, der die
scher Beurteilung keine Spur.
solche Phänomene vor – und
Existenz eines »globalen
Kurz: Ein Film, der kein pseu-
meinen es ernst! Auf einer
Bewusstseins« belegen soll. Er
dowissenschaftliches Klischee
Kaffeefahrt in die Parawissen-
ergab unter anderem eine
auslässt. 
Eine faszinierende Reise in die
Innenwelt
[Komplett Media, Grünwald 2013,
DVD, 102 Minuten, € 19,95]
www.gehirn-und-geist.de
Kerstin Pasemann
85
Pirahã einigermaßen auskennt. Seine Be-

Daniel Everett
hauptungen lassen sich deshalb schwer
Die größte Erfindung der Menschheit
prüfen. Das wirft den Verdacht auf, der
Was mich meine Jahre am Amazonas über das Wesen
der Sprache gelehrt haben
Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler
[DVA, München 2013, 463 S., € 24,99]
Linguist stelle die Pirahã-Sprache weitaus
bizarrer dar, als sie tatsächlich ist.
Everett betont, die menschliche Sprache werde erst dann als kulturelles Werkzeug begreifbar, wenn es gelinge, die Er-
Als Einziger erleuchtet
kenntnisse der modernen Sprachwissen-
Ein Sprachforscher argumentiert mit Wissen, das nur er hat
schaft mit denen der Neurobiologie, der
Anthropologie, Ethnologie, Psychologie
ie meisten Linguisten neigen heute
D
Indianer stehe in direktem Zusammen-
und Soziologie zu verknüpfen. Ihm selbst
der Auffassung zu, dass sämtlichen
hang mit deren Lebensverhältnissen. So
gelingt das in seinem Buch leider nicht. Je-
menschlichen Sprachen derselbe univer-
müssten die Pirahã im Alltag nichts zäh-
doch muss man ihm das Verdienst zuer-
sale Bauplan zu Grunde liegt. Einer, der
len; außerdem sei das Verallgemeinern
kennen, präzise herauszuarbeiten, woran
das radikal in Frage stellt, ist der amerika-
über die Gegenwart hinaus bei ihnen nicht
es den Theorien von einer universalen
nische Sprachforscher und Anthropologe
üblich. Beides führe dazu, dass ihr Wort-
Grammatik mangelt. Ein anregendes, aber
Daniel Everett. In seinen Augen gibt es kei-
schatz keine Zahlwörter enthalte.
auch anfechtbares Buch.
ne Universalgrammatik. Die menschliche
So interessant diese Befunde klingen,
Sprache, schreibt er in seinem neuen
sie haben einen großen Haken: Everett ist
Frank Ufen arbeitet als freier Wissenschafts­
Buch, sei nichts als ein kulturelles Werk-
der Einzige, der sich mit der Sprache der
journalist in Marne.
zeug, um das Verarbeiten und Speichern
von Informationen, das Kommunizieren
und Kooperieren zu erleichtern. Jede ihrer
Formen sei in hohem Maß durch die spe-
GuG-Bestsellerliste
zifische soziokulturelle Lebenswelt geprägt, in der sie sich herausgebildet habe.
Seit Sprachen existierten, gebe es auch die
babylonische Sprachverwirrung. Doch gerade von dieser Vielfalt könnten wir ungeheuer profitieren.
Everett hat sieben Jahre bei den Pirahã
gelebt, einem indianischen Volk im Amazonas-Tiefland, dem nur einige hundert
Menschen angehören. Seinen Untersuchungen zufolge fällt die Sprache dieser
Jäger und Sammler völlig aus dem Rahmen. Die Anzahl ihrer Lautklassen (Phoneme) sei verschwindend gering, sie kennten
keine Untergliederung in Haupt- und Nebensätze, unterschieden nicht zwischen
1. Johnson, S.: Wo gute Ideen herkommen Eine kurze Geschichte der Innova­
tion [Scoventa, Bad Vilbel 2013, 327 S., € 19,99]
2. Haller, R.: Die Narzissmusfalle Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis
[Ecowin, Salzburg 2013, 208 S., € 21,90]
3. Precht, R D.: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise
[Goldmann, München 2012, 397 S., € 8,99]
4. Dutton, K.: Psychopathen Was man von Heiligen, Anwälten und Serien­
mördern lernen kann [dtv, München 2013, 320 S., € 14,90]
5. Ritzer, U., Przybilla, O.: Die Affäre Mollath Der Mann, der zu viel wusste
[Droemer, München 2013, 238 S., € 19,99]
6. Stern, E., Neubauer, A.: Intelligenz Große Unterschiede und ihre Folgen
[DVA, München 2013, 302 S., € 19,99]
7. Bauer, J.: Arbeit Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank
macht [Blessing, München 2013, 269 S., € 19,99]
8. Knapp, N.: Kompass neues Denken Wie wir uns in einer unübersichtlichen
Singular und Plural, verfügten weder über
Welt neu orientieren können [Rowohlt, Hamburg 2013, 332 S., € 9,99]
das Imperfekt noch über andere Vergan-
9. Precht, R. D.: Anna, die Schule und der liebe Gott Der Verrat des Bildungs­
genheitsformen. Zudem enthielte die Pi-
systems an unseren Kindern [Goldmann, München 2013, 351 S., € 19,99]
rahã-Sprache keine Zahlwörter und auch
10. Fuhljahn, H.: Kalt erwischt Wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
keine eigenständigen Bezeichnungen für
[Diana, München 2013, 317 S., € 16,99]
die elementaren Farben.
All dies spreche laut Everett klar gegen
Nach Verkaufszahlen des Buchgroß­händlers KNV in Stutt­gart gelistet.
eine Universalgrammatik. Die Sprache der
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GuG 10_2013