Anleitung zur Risikointelligenz
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Anleitung zur Risikointelligenz
BÜ C H ER U ND MEH R Angeben natürlicher Häufigkeiten und Gerd Gigerenzer dem Präsentieren von Faktenboxen, könne Risiko man für deutlich mehr Klarheit sorgen, als Wie man die richtigen Entscheidungen trifft wenn man die Beteiligten mit relativen Aus dem Englischen von Hainer Kober [Bertelsmann, München 2013, 396 S., € 19,99] Häufigkeiten und Fünf-Jahres-Überlebensraten verwirre, wie bislang oft der Fall. Auch das Finanzwesen knöpft der Autor sich vor. Er erklärt, warum Banken mit ihren prognostizierten Wechsel- und Akti- Anleitung zur Risikointelligenz enkursen regelmäßig danebenliegen. Die Wie wir Gefahren besser einschätzen können Fachleute, schreibt Gigerenzer, machten immer wieder denselben Fehler: Sie wen- W enn wir Risiken bewerten, liegen wir Und was bedeutet es, wenn eine Frau deten komplexe mathematische Modelle, oft daneben. Denn wir lassen uns beim Mammografie-Screening einen po- die für eine Welt bekannter Risiken gelten, von Statistiken täuschen, vertrauen Exper- sitiven Befund erhält? Diese Frage stellte auf ungewisse Szenarien an. Heraus kä- ten blind und hören zu wenig auf unser Gigerenzer 160 Gynäkologen. Das erschre men nutzlose Vorhersagen, deren Treff Bauchgefühl, so Gerd Gigerenzer, Direktor ckende Ergebnis: Die Mehrheit glaubte, sicherheit teils unter Zufallsniveau läge. am Max-Planck-Institut für Bildungs der Befund zeige an, dass die Betroffene In einer Welt der Ungewissheit genügt forschung in Berlin. Der Psychologe gibt beinahe gewiss Brustkrebs habe. Eine fa- es nicht, auf Experten zu zählen und sich Tipps, wie wir es besser machen können. tale Fehleinschätzung. Von 1000 Vor allem im Gesundheitssystem, klagt Frauen, die zehn Jahre am Scree- er, würden die Menschen verwirrt. Ein Bei- ning teilnehmen, werden rund spiel sei das Mammografie-Screening, 100 positiv getestet. Nur etwa eine Reihenuntersuchung zur Früherken- zehn davon sind wirklich er- nung von Brustkrebs. In zahlreichen Bro- krankt, wie der Autor darlegt. tipp des monats in der trügerischen Sicherheit aufwändiger Risikoberechnungen zu wiegen, so das Fazit. Vielmehr sollten wir uns auch auf Faustregeln und Intuition verlassen und stets nachfragen, wenn wir etwas nicht schüren liest man, das Screening ver Gigerenzer beleuchtet, warum Ärzte oft verstanden haben. Viele dieser Punkte hat hindere 20 Prozent der Todesfälle durch verblüffend schlecht über Risiken Bescheid Gigerenzer schon in früheren Werken he- Brustkrebs. Eine beeindruckende Zahl, wissen und weshalb sie ihren Patienten rausgearbeitet, etwa in »Bauchentschei- aber leider nur die halbe Wahrheit und zu- häufig überflüssige Behandlungen ange- dungen« (2007). Sein neues Buch ist aber dem irreführend. Tatsächlich sterben von deihen lassen. Nicht nur Unkenntnis, auch durch einen wesentlich stärkeren Fokus 1000 Frauen, die am Screening teilneh- Interessenkonflikte und defensives Ent- auf medizinische Probleme gekennzeich- men, binnen zehn Jahren rund vier scheiden spielten dabei eine Rolle. Deshalb net. Ein erhellendes Werk, das zu gesun- an Brustkrebs. Von 1000 Frauen, die nicht sei es im Gesundheitssystem überaus der Skepsis ermuntert. an der Untersuchung teilnehmen, sterben wichtig, Risiken verständlich zu kommuni- im gleichen Zeitraum etwa fünf daran. zieren. Mit einfachen Mitteln, etwa dem Frank Schubert ist Redakteur bei GuG. en Ausspruch im Buch D wieder Gewissensbisse, weil die beiden mit dem Chaos in titel bekommt Janine sie ihr Kind »in die Klapse Lenas Kopf umzugehen Berg-Peer von ihrer schizo- abschob«. Ihr Buch schildert, lernten. Intim und selbstkri- phreniekranken Tochter Lena worüber die wenigsten etwas tisch berichtet sie, was sie zu hören – und stimmt zu. wissen: den Alltag mit einer nach der Diagnose fühlte, wie Lena war 17 Jahre alt, als das schweren psychischen Erkran- sie das Verhalten der Ärzte Janine Berg-Peer Leiden über sie und ihre kung. Immer wieder kollidie- empfand und welche Verän- Schizophrenie ist scheiße, Mama! Angehörigen hereinbrach. Für ren die Maßstäbe der Mutter derungen sie an Lena und an Berg-Peer bedeutete das mit dem Verhalten der Toch- sich selbst erlebte. Und gibt so schlaflose Nächte, einen ter. Im Tagebuchstil be- dem Leser ein Stück Lebens- schwierigen Spagat zwischen schreibt Berg-Peer die Ereig- philosophie mit auf den Weg. Beruf und Familie und immer nisse aus 16 Jahren, in denen Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter [S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, 265 S. € 9,99] 80 Kerstin Pasemann GuG 10_2013 exzellent solide durchwachsen mangelhaft Manfred Spitzer Das (un)soziale Gehirn Wie wir imitieren, kommunizieren und korrumpieren [Schattauer, Stuttgart 2013, 288 S., € 19,95] Karl Kruszelnicki Warum Enten Dialekt sprechen Kein Einblick in die soziale Neurowissenschaft Aus dem Englischen von Friedrich Giese [Piper, München 2013, 238 S., € 9,99] Der Psychiater Manfred Spitzer verrennt sich in pauschale Medienschelte I n seinem neuen Buch »Das (un)soziale Gehirn« Jugendliche, die bei Facebook viele Freunde um widmet sich der Psychiater Manfred Spitzer sich neuen Erkenntnissen aus der Psychologie und »echte« Freunde und seien insgesamt weniger Hirnforschung. Wie schon bei seinen Vorgänger- glücklich. scharen, hätten zunehmend weniger H aben Goldfische ein Gedächtnis? Sind Tampons gefährlich? Und war Albert werken »Ketchup und das kollektive Unbewuss- An dieser Stelle beginnt Spitzer einen – so te« oder »Nichtstun, Flirten, Küssen« erschienen scheint es – persönlichen Feldzug gegen die digi- Schulversager? Fragen die einzelnen Beiträge ursprünglich in der Zeit- talen Medien, der fast das halbe Buch bean- rund um die Wissen- schrift »Nervenheilkunde«, deren psychiatri sprucht. Der Autor erklärt, warum das Internet zu schaft, auf die Karl schen Teil Spitzer herausgibt. Sie richten sich da- mehr Dummheit und Kriminalität führe, Fernse- Kruszelnicki vergnüg- her eher an ein Fachpublikum, sind aber weit ge- hen schlecht für Kinder sei, »Killerspiele« unsere liche Antworten findet, Einstein wirklich ein hend auch für interessierte Laien Kultur verdürben und E-Books und wobei er hartnäckige verständlich. PCs in Schulen unnötig seien. Das Mythen geschickt ent- Ganze gipfelt in einem Beitrag, der larvt. Der Autor ist sich um das mediale Echo auf Spit- eingefleischter Wissen zers Buch »Digitale Demenz« (2012) schaftscomedian und dreht und in dem der Autor klagt, er Professor für Physik in sei etwa in Fernsehsendungen ab- Sydney. Diese Kombina- sichtlich in ein schlechtes Licht ge- tion macht sein Buch rückt worden. erst richtig lesenswert. »Das (un)soziale Gehirn« soll Einblicke in die Wissenschaft hinter unserem täglichen Miteinander liefern. Schon im Vorwort weist der Autor jedoch darauf hin, dass sich das Buch mit »Vermischtem und Versprengtem, aber immer In- Der Autor führt einen – so scheint es – persönlichen Feldzug gegen die digitalen Medien Spitzers Kritik an Internet, Com- teressantem« beschäftige. Tatsäch- In jedem der 52 Kapitel lich liest sich Spitzers Werk eher als ein Allerlei puterspielen & Co. mag im Rahmen einzelner präsentiert Kruszelnicki aus Psychologie und Hirnforschung denn als »So- Zeitschriftenartikel gut funktionieren. In dem einschlägige Forschungs- ziale Neurowissenschaft für Einsteiger«, wie auf Buch wirkt sie allerdings wegen der schieren Zahl ergebnisse und ergänzt dem Buchrücken angepriesen. der Beiträge redundant und darüber hinaus ein- das Ganze mit vielen seitig. Zudem führt sie den Leser immer weiter Quellenangaben, so dass weg vom eigentlichen Thema. man sich beim Lesen Die ersten Kapitel drehen sich noch um das menschliche Sozialverhalten. Spitzer erklärt dort anhand aktueller Studien, wie sich politische Zwar erfährt man in »Das (un)soziale Gehirn« Einstellungen in unserem Gehirn widerspiegeln viel Wissenswertes in kurzweiliger Form. Doch sondern auch weiterbil- und dass jeder Mensch zu Korruption neigt. Zu- auf dem ausufernden Nebenschauplatz der digi- det. Besonders eignet dem beleuchtet er, was in unseren Köpfen pas- talen Medien verliert sich der rote Faden. Hätte sich das Werk für Men- siert, wenn wir mit anderen reden und ihnen zu- der Autor darauf verzichtet, hätte es ein richtig schen, die im Freundes- hören, und welchen Stellenwert Imitation und gutes Buch werden können. kreis gern mal mit Kreativität für unser soziales Miteinander haben. »unnützem Wissen« auf- Auch soziale Netzwerke im Internet nimmt er ins Daniela Zeibig ist Wissenschaftsjournalistin und Visier und kommt zu dem Schluss: Kinder und GuG-Redakteurin. www.gehirn-und-geist.de nicht nur amüsiert, trumpfen. Miriam Berger 81 Das Gug - Gewi n n s p i el Kopfnuss Jennifer Taitz Hätten Sie’s gewusst? 1. US-Forschern berichten: Ekel erre- Die Antworten auf die folgenden Fragen gende Bilder betrachten Konservative finden Sie in der aktuellen Ausgabe von im Vergleich zu Liberalen ... »Gehirn und Geist«. Wenn Sie an unse a) kürzer rem Gewinnspiel teilnehmen möchten, b) länger schicken Sie die Lösungen bitte mit dem c) gleich lang Wenn Essen nicht satt macht Emotionales Essverhalten erkennen und überwinden Aus dem Englischen von Dorothee HantjesHolländer [Balance, Köln 2013, 320 S., € 19,95] Betreff »Oktober« per E-Mail an: [email protected] 2. Wie bezeichnen Psychologen jene Fähigkeiten, die das eigenständige, Unter allen richtigen Einsendungen selbst organisierte Lernen erfordert? verlosen wir drei Exemplare von: a) metakognitiv b) intuitiv c) heuristisch 3. Was zählt zu den frühkindlichen Regulationsstörungen? a) Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivi täts-Störung (ADHS) Achtsamkeit statt Schokolade Was man gegen Frustessen tun kann G reifen Sie bei Ärger und Stress gern mal zu Kartoffelchips und anderen Knabbereien? Leider fühlt man sich da- b) Autismus nach meist noch schlechter als zuvor – c) exzessives Klammern und Trotzen körperlich wie seelisch. Jennifer Taitz beleuchtet die Ursachen und Folgen dieses Gerd Gigerenzer 4. Synchrone Gamma-Oszillationen ungesunden Verhaltens: Es hindere Be- Risiko basieren auf der Aktivität von ... troffene daran, ihre Gefühle wahrzuneh Wie man die richtigen Entscheidungen trifft a) extrapyramidalmotorischen Bahnen men und sich damit auseinanderzu [Bertelsmann, München 2013, 336 S., € 19,99] b) inhibitorischen Interneuronen setzen. Denn das Vollstopfen mit Kalo- c) Betzschen Riesenzellen rien ändere nichts daran, dass die Seele hungert. Einsendeschluss ist der 10. Oktober 2013. 5. Der Betablocker Propranolol senkt Die Auflösung finden Sie in GuG 12/2013. Studien zufolge nicht nur den Blutdruck, therapeutin arbeitet, vermittelt viele Zusätzlich nimmt jede richtige Einsen sondern auch ... Kenntnisse, die dabei helfen, die eigenen dung an der Weihnachtsverlosung eines a) die Bereitschaft, anderen zu schaden Emotionen rund ums Essen besser zu ver- Jahresabonnements für 2014 teil. b) die Lust auf einen Seitensprung stehen und konstruktiver mit ihnen um- c) das Ausmaß unbewusster Vorurteile Taitz, die als Psychologin und Psycho- zugehen. Von anderen Ratgebern hebt Ihre persönlichen Daten werden allein sich das Buch durch einen therapeutisch zur Gewinnbenachrichtigung verwen fundierten und verständlich geschrie- det und nicht an Dritte weitergegeben. benen Theorieteil ab. Zahlreiche Übungen Name und Wohnort der Gewinner und Fallbeispiele aus dem beruflichen All- werden an dieser Stelle veröffentlicht. tag der Autorin vertiefen das Verständnis Eine Barauszahlung der Preise ist und sorgen für Anschaulichkeit. nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausge schlossen. Heraus kommt ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich häufig mit Schokolade, Eis und anderen Leckereien trösten Auflösung der Kopfnuss 7-8/2013: 1a, 2c, 3b, 4b, 5c und entschlossen sind, etwas dagegen zu unternehmen. Je ein Exemplar von Frank Schirrmachers »Ego« geht an: Gabriela Westphal (Espenau), Sabine Stöhr (Rapperswil) Maria Schmidt ist Biologin und Wissenschafts- und Achim Völker (Hamburg) journalistin in Leipzig. 82 GuG 10_2013 Essays aus Medizin, Psychologie, Naturwissenschaft und Naturphilosophie über die Mysterien des Alltags Herausgegeben von Wulf Bertram Unterhaltsam und anspruchsvoll! Hans Biedermann Die Drillinge des Doktor Freud Cartoons über die Psychoanalyse? Ich bin ich – und nur darum geht es Das Buch versorgt nicht nur mit nützlichen Informationen über die Psychoanalyse, es trägt hoffentlich auch zur Erheiterung seiner Leserinnen und Leser bei! Thomas Bergner räumt mit vielen Vorstellungen und Vorurteilen auf und ermöglicht einen klaren Blick auf die Welt, in der wir sind. Eine Welt voller Vorgaben, aber auch eine voller Chancen. 2013. 164 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2937-7 2013. 328 S., kart. | € 24,99 (D) / € 25,70 (A) | ISBN 978-3-7945-2864-6 Thomas Bergner Hommage an 2 menschliche Grundqualitäten Endlich ausgebrannt! Die etwas andere Burnout-Prophylaxe Gib Burnout eine Chance!? Befolgen Sie Bergners (nicht ganz ernst gemeinte) Anleitung zum eigenen Burnout. In amüsant-ironischer Weise nimmt er die typischen Verhaltensweisen und Einstellungen aufs Korn, welche entscheidend zu Burnout beitragen. Der Psychotherapeut Michael Metzner zeigt auf pragmatische und humorvolle Weise, wie Achtsamkeit und Humor als Ressourcen den Alltag bereichern können. 2013. 182 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2936-0 2013. 208 S., kart. | € 16,99 (D) / € 17,50 (A) | ISBN 978-3-7945-2932-2 Manfred Spitzer Alles dreht sich um unser Gehirn Das (un)soziale Gehirn Wie wir imitieren, kommunizieren und korrumpieren Soziale Neurowissenschaft für Einsteiger Eine geistvolle Fundgrube für alle Gehirne, die mehr über sich selbst erfahren wollen. Ein Konzert aktueller, unterhaltsamer und anregender Beiträge. Was läuft in unserem Gehirn ab, wenn wir mit anderen kommunizieren? Was macht die Gemeinschaft mit unseren Erinnerungen? Warum finden Babys es toll, wenn man sie imitiert? Kann man das Improvisieren üben? 2013. 578 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2930-8 2013. 284 S., kart. | € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-2918-6 www.schattauer.de/wissenundleben.html Stuart Firestein Schaufenster – weitere Neuerscheinungen Ignoranz Die Triebfeder der Wissenschaft Hirnforschung und Philosophie Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer [Huber, Bern 2013, 164 S., € 21,95] > Beck, H.: Biologie des Geistesblitzes Speed up your Mind! [Springer, Berlin 2013, 243 S., € 14,99] > Lieury, A.: Die Geheimnisse unseres Gehirns [Springer, Berlin 2013, 378 S., € 19,99] > Rösler, A., Sterzer, P., Pannen, K.: 29 Fenster zum Gehirn Genial einfach erklärt, was in unserem Kopf passiert [Arena, Würzburg 2013, 219 S., € 12,99] > Strehl, U. (Hg.): Neurofeedback Theoretische Grundlagen, praktisches Vorgehen, wissenschaftliche Evidenz [Kohlhammer, Stuttgart 2013, 268 S., € 49,90] Wider das Faktum Warum Fragen, nicht Antworten die Wissenschaft antreiben W er glaubt, überprüfbare Fakten und feste Wahrheiten machten den wissenschaftlichen Fortschritt aus, Psychologie und Gesellschaft der irrt, so Stuart Firestein. Der Neuro > Moser, T.: Lektüren eines Psychoanalytikers Romane als Kranken- wissenschaftler forscht und lehrt an der geschichten [Psychosozial, Gießen 2013, 133 S., € 14,90] >S chuster, U., Schuster, N.: Vielfalt leben Inklusion von Menschen mit Columbia University in New York und organisiert eine ungewöhnliche Vorle- Autismus-Spektrum-Störungen [Kohlhammer, Stuttgart 2013, 204 S., sungsreihe: Er lädt Wissenschaftler ver- € 24,90] schiedener Disziplinen ein, über die offenen Fragen ihres Fachs zu berichten. Medizin und Psychotherapie >B ierbach, E.: Naturheilpraxis heute Lehrbuch und Atlas [Urban & Fischer, München 2013, 1404 S., € 89,99] Firestein will den Blick auf die »Ignoranz« lenken, in der er die eigentliche Triebfeder der Wissenschaft sieht. Denn >D eneke, F.-W.: Psychodynamik und Neurobiologie Dynamische Persön hinter der öffentlich verbreiteten Fixie- lichkeitstheorie und psychische Krankheit [Schattauer, Stuttgart 2013, rung auf Tatsachen stehe ein grundle- 476 S., € 49,99] gendes Missverständnis. Nur wer akzep- >S prakties, G.: Sinnorientierte Altenseelsorge Die seelsorgliche Begleitung tiere, dass die Fragen der Wissenschaftler alter Menschen bei Demenz, Depression und im Sterbeprozess bedeutsamer seien als ihre Antworten, [Neukirchener Theologie, Neukirchen-Vluyn 2013, 196 S., € 19,99] komme dem Kern der Sache nahe. > Weyland, P.: Psychoonkologie Das Erstgespräch und die weitere Begleitung [Schattauer, Stuttgart 2013, 144 S., € 29,99] Der Autor illustriert seine These an Beispielen aus der Physik, Mathematik, Verhaltensforschung und Neurobiologie. Kinder und Familie Dabei macht er deutlich, wie reich an Irr- > Cleveland, K. P.: Jungen unterrichten Der 6-Punkte-Plan gegen tümern die Forschungsgeschichte ist. Bei- Schulversagen [Beltz, Weinheim 2013, 267 S., € 19,95] > J esper, J., Krüger, K.: Die kompetente Familie Neue Wege in der Erziehung. Das familylab-Buch [Beltz, Weinheim 2013, 174 S., € 9,95] spiele hierfür sind etwa die Lehre der Phrenologen, die an der Schädelform von Menschen deren Charaktereigenarten zu erkennen glaubten, oder die Mär von den Ratgeber und Lebensberatung > Betschart, J.: Das schenk’ ich mir 7 Schritte in ein selbstbestimmtes Leben [Beltz, Weinheim 2013, 199 S., € 12,95] > Bürgel, I., Grillparzer, M. (Hg.): Jetzt denk ich wirklich nur an mich [Südwest, München 2013, 204 S., € 14,99] »Geschmackszonen« auf der Zunge. Im Plauderstil führt uns der Autor durch den Wissenschaftsbetrieb, präsentiert bedeutende Persönlichkeiten und ihr wichtigstes Handwerkszeug: das kreative Fragenstellen. Überwiegend bezieht er sich auf verstorbene Genies wie Albert Einstein, Kurt Gödel oder Charles Darwin. 84 GuG 10_2013 Erst im letzten Kapitel geht er auf aktive auszuhandeln, was als gut und als böse zu Forscher ein, etwa auf die Kognitions Michael J. Sandel gelten habe. Daher findet der Autor jene psychologin Diana Reiss, die Bewusstsein Gerechtigkeit Entwicklung bedenklich, die besonders in bei Tieren untersucht. Warum dieser Ab- Wie wir das Richtige tun den USA zur »Erosion des öffentlichen schnitt mit des Autors eigenem Werde- Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuther [Ullstein, Berlin 2013, 416 S., € 21,99] Raums« führe. Die Reichen schotten sich gang endet, erschließt sich nicht. Leider erscheint Firesteins Plädoyer häufig klischeehaft. So stellt er den »idealen« Wissenschaftler als einen von reiner Neugier Getriebenen dar, der von früh bis spät im Labor arbeitet, immer auf der Suche nach neuen, unbekannten Ufern. Nur Beschäftigungsverhältnisse, Veröffentlichungsdruck, methodische Mängel bis leben in gesicherten Siedlungen, besuchen Eliteschulen und -universitäten; die Wegweiser zur Moral Eine kleine Philosophie des guten Lebens ganz am Rand erwähnt er die teils ernüchternden Rahmenbedingungen: prekäre vom Rest der Gesellschaft zunehmend ab, Mittelschicht als Bindeglied der Gesellschaft dünnt aus. So fehle es immer mehr an der Begegnung mit anderen, aus der Gemeinsinn und Verantwortung erwach se. Das Hauptproblem der modernen Ge- W as ist gerecht? Für Michael Sandel, sellschaft – nämlich verbindliche, kon- Professor für politische Philoso- sensfähige Regeln zu finden und zu pfle- phie an der Harvard University, kann man gen – verschärfe sich dadurch. aus drei Perspektiven darüber nachden- Sandel wechselt gekonnt zwischen Grundlagenforschung zeichne sich ken – je nachdem, welchem Leitprinzip grundsätzlichen Erörterungen und dem durch Unvorhersehbarkeit aus, betont man folgt: Gemeinwohl, Freiheit oder Tu- tagespolitischen Weltgeschehen. »In de- Firestein. Darauf das Augenmerk zu len- gendhaftigkeit. mokratischen Gesellschaften«, schreibt er, hin zur Datenmanipulation. ken, ist löblich in Zeiten, in denen die Wis- Dem Gemeinwohl fühlen sich die so ge- »wird täglich darüber gestritten, was rich- senschaft mehr denn je unter dem Primat nannten Utilitaristen verpflichtet: Sie hal- tig und was falsch, was gerecht und was der (ökonomischen) Verwertbarkeit steht. ten solche Handlungen für richtig, die das ungerecht ist. (...) Debatten über Banken- Doch wenn er den Wunsch äußert, Laien Wohlergehen der meisten Menschen för- rettung und Preiswucher, ungleiche Ein- mögen sich an der Wissenschaft erfreuen dern. Die Freiheit wiederum favorisieren kommen und Quotenregelungen, Militär- wie an Sportveranstaltungen, beschlei- die Liberalisten, für die alles Gute aus der dienst und gleichgeschlechtliche Ehen chen einen Zweifel. Ein Elfmeterschießen Entfaltung des Individuums erwächst. Für sind der Stoff der politischen Philoso- im WM-Finale weckt bei den meisten Sandel führen beide Wege in die Sackgas- phie.« So macht er nicht nur die Brisanz Menschen zweifellos mehr Emotionen als se. »Um zu einer gerechten Gesellschaft zu des Themas deutlich, sondern nimmt den das Ergebnis einer Massenspektrometrie. gelangen, müssen wir gemeinsam darü- Leser mit auf eine lehrreiche Reise durch ber nachdenken, was es heißt, ein gutes Le- die Geistesgeschichte, die jeden dazu ein- ben zu führen.« lädt, selbst zu denken. Türkan Ayan ist Psychologin und Professorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Eine lebendige Diskussionskultur sei dringend geboten, um gesellschaftlich Mannheim. Felix Kulpa ist freier Journalist in Wien. lauben Sie an Gedanken- G schaft kratzen sie an der starke Schwankung im weißen künstler, die telepathisch Oberfläche von Quantenphilo- Rauschen von weltweit verteil- eine geheime Telefonnummer sophie, Esoterik und – wohl- ten Dioden, die einige Stun- nach Russland senden kön- wollend formuliert – unge- den vor den Terroranschlägen nen? Oder daran, dass gekoch- wöhnlichen Experimenten. am 11. September 2001 auf- ter Reis schneller verdirbt, Unter anderem gehen sie auf trat – angeblich ein Indiz für wenn man ihn hänselt? Die das »Global Consciousness die wechselnde Gemütslage Wolfgang Scherz, Werner Huemer Filmemacher Wolfgang Scherz Project« ein, einen langfristig vieler Menschen. Von kriti- Die Macht der Gedanken und Werner Huemer stellen angelegten Versuch, der die scher Beurteilung keine Spur. solche Phänomene vor – und Existenz eines »globalen Kurz: Ein Film, der kein pseu- meinen es ernst! Auf einer Bewusstseins« belegen soll. Er dowissenschaftliches Klischee Kaffeefahrt in die Parawissen- ergab unter anderem eine auslässt. Eine faszinierende Reise in die Innenwelt [Komplett Media, Grünwald 2013, DVD, 102 Minuten, € 19,95] www.gehirn-und-geist.de Kerstin Pasemann 85 Pirahã einigermaßen auskennt. Seine Be- Daniel Everett hauptungen lassen sich deshalb schwer Die größte Erfindung der Menschheit prüfen. Das wirft den Verdacht auf, der Was mich meine Jahre am Amazonas über das Wesen der Sprache gelehrt haben Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler [DVA, München 2013, 463 S., € 24,99] Linguist stelle die Pirahã-Sprache weitaus bizarrer dar, als sie tatsächlich ist. Everett betont, die menschliche Sprache werde erst dann als kulturelles Werkzeug begreifbar, wenn es gelinge, die Er- Als Einziger erleuchtet kenntnisse der modernen Sprachwissen- Ein Sprachforscher argumentiert mit Wissen, das nur er hat schaft mit denen der Neurobiologie, der Anthropologie, Ethnologie, Psychologie ie meisten Linguisten neigen heute D Indianer stehe in direktem Zusammen- und Soziologie zu verknüpfen. Ihm selbst der Auffassung zu, dass sämtlichen hang mit deren Lebensverhältnissen. So gelingt das in seinem Buch leider nicht. Je- menschlichen Sprachen derselbe univer- müssten die Pirahã im Alltag nichts zäh- doch muss man ihm das Verdienst zuer- sale Bauplan zu Grunde liegt. Einer, der len; außerdem sei das Verallgemeinern kennen, präzise herauszuarbeiten, woran das radikal in Frage stellt, ist der amerika- über die Gegenwart hinaus bei ihnen nicht es den Theorien von einer universalen nische Sprachforscher und Anthropologe üblich. Beides führe dazu, dass ihr Wort- Grammatik mangelt. Ein anregendes, aber Daniel Everett. In seinen Augen gibt es kei- schatz keine Zahlwörter enthalte. auch anfechtbares Buch. ne Universalgrammatik. Die menschliche So interessant diese Befunde klingen, Sprache, schreibt er in seinem neuen sie haben einen großen Haken: Everett ist Frank Ufen arbeitet als freier Wissenschafts Buch, sei nichts als ein kulturelles Werk- der Einzige, der sich mit der Sprache der journalist in Marne. zeug, um das Verarbeiten und Speichern von Informationen, das Kommunizieren und Kooperieren zu erleichtern. Jede ihrer Formen sei in hohem Maß durch die spe- GuG-Bestsellerliste zifische soziokulturelle Lebenswelt geprägt, in der sie sich herausgebildet habe. Seit Sprachen existierten, gebe es auch die babylonische Sprachverwirrung. Doch gerade von dieser Vielfalt könnten wir ungeheuer profitieren. Everett hat sieben Jahre bei den Pirahã gelebt, einem indianischen Volk im Amazonas-Tiefland, dem nur einige hundert Menschen angehören. Seinen Untersuchungen zufolge fällt die Sprache dieser Jäger und Sammler völlig aus dem Rahmen. Die Anzahl ihrer Lautklassen (Phoneme) sei verschwindend gering, sie kennten keine Untergliederung in Haupt- und Nebensätze, unterschieden nicht zwischen 1. Johnson, S.: Wo gute Ideen herkommen Eine kurze Geschichte der Innova tion [Scoventa, Bad Vilbel 2013, 327 S., € 19,99] 2. Haller, R.: Die Narzissmusfalle Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis [Ecowin, Salzburg 2013, 208 S., € 21,90] 3. Precht, R D.: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise [Goldmann, München 2012, 397 S., € 8,99] 4. Dutton, K.: Psychopathen Was man von Heiligen, Anwälten und Serien mördern lernen kann [dtv, München 2013, 320 S., € 14,90] 5. Ritzer, U., Przybilla, O.: Die Affäre Mollath Der Mann, der zu viel wusste [Droemer, München 2013, 238 S., € 19,99] 6. Stern, E., Neubauer, A.: Intelligenz Große Unterschiede und ihre Folgen [DVA, München 2013, 302 S., € 19,99] 7. Bauer, J.: Arbeit Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht [Blessing, München 2013, 269 S., € 19,99] 8. Knapp, N.: Kompass neues Denken Wie wir uns in einer unübersichtlichen Singular und Plural, verfügten weder über Welt neu orientieren können [Rowohlt, Hamburg 2013, 332 S., € 9,99] das Imperfekt noch über andere Vergan- 9. Precht, R. D.: Anna, die Schule und der liebe Gott Der Verrat des Bildungs genheitsformen. Zudem enthielte die Pi- systems an unseren Kindern [Goldmann, München 2013, 351 S., € 19,99] rahã-Sprache keine Zahlwörter und auch 10. Fuhljahn, H.: Kalt erwischt Wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft keine eigenständigen Bezeichnungen für [Diana, München 2013, 317 S., € 16,99] die elementaren Farben. All dies spreche laut Everett klar gegen Nach Verkaufszahlen des Buchgroßhändlers KNV in Stuttgart gelistet. eine Universalgrammatik. Die Sprache der 86 GuG 10_2013