6 - dreske.de
Transcription
6 - dreske.de
http://www.nomos-shop.de/10849 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen I. Einführung Der Rechtsanwalt im Verkehrszivilrecht ist häufig zu den sich aus dem RVG ergeben- 1 den Gebührentatbeständen tätig und rechnet demgemäß ab. Der Abschluss von Vergütungsvereinbarungen ist sicherlich noch nicht üblich. Allerdings ist schon hier darauf hinzuweisen, dass die Bearbeitung umfangreicher, insbesondere personenschadensrechtlicher Mandate kaum (gebühren-)effizient bearbeitet werden kann, wenn hier keine Abrede mit dem Mandanten getroffen wird. Im Rahmen dieser Ausführungen soll weniger die gerichtliche Tätigkeit im Vorder- 2 grund stehen, als vielmehr die Struktur des RVG dargestellt und insbesondere in die Ermessensausübung nach Paragraph 14 RVG praxisnah eingeführt werden. Daneben wird ein kleiner Bereich sich der Frage des Gegenstandswertes zuwenden. Denn üblicherweise ist für den zivilrechtlich tätigen Rechtsanwalt die Abrechnung der gerichtlichen Tätigkeiten durch die klaren gesetzlichen Vorgaben des RVG nicht allzu schwer. Es ist zu beobachten, dass auch das RVG bereits umfassende Möglichkeiten eröffnet – 3 so sie denn angewendet werden –, um die tatsächliche Arbeit des Rechtsanwaltes auch angemessen vergütet zu erhalten, siehe hierzu das Stichwort Vergütungsvereinbarung. II. Allgemeine Grundlagen In Deutschland erfolgt die Abrechnung der anwaltlichen Vergütung entweder nach dem 4 Gesetz (nach dem 1.7.2004 RVG = Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der jeweils gültigen Fassung)1 oder aufgrund von Vergütungsvereinbarungen, die grundsätzlich immer zwischen den Beteiligten geschlossen werden können. Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz selbst besteht aus dem Gesetzestext und dem Ver- 5 gütungsverzeichnis, das teilweise tabellenartig aufgegliedert ist. Im Gesetzestext sind die allgemeinen gebührenrechtlichen Vorschriften enthalten, im nachfolgenden Vergütungsverzeichnis sind die einzelnen Gebührentatbestände aufgelistet. In der Anlage 2 findet sich die Tabelle bzgl des Gegenstandswertes. Das RVG stellt mehrere Gebührenarten vor. 1 Der aktuelle Stand ist jeweils auf www.brak.de abrufbar. Reisert 97 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen Festgebühren: Hier sind die Beiträge festgesetzt (Pflichtverteidigung) Rahmengebühren: Hier besteht bei der Bestimmung der Gebühren ein Spielraum Satzrahmengebühren, die sich nach dem Gegenstandswert richten Betragsrahmengebühren, die einen Mindest- oder Höchstbetrag angeben 6 Entweder sind Fest- oder Rahmengebühren festgelegt. Die Rahmengebühren sind entweder gegenstandswertabhängig, sogenannte Satzrahmengebühren, oder es werden ein Mindest- und ein Höchstbetrag vorgegeben, sogenannte Betragsrahmengebühren. Außerdem ist die Rede von der Mittelgebühr, die bei den Betragsrahmengebühren ermittelt wird. 7 Die Mittelgebühr berechnet sich aus der Addition von Mindest- und Höchstgebühr 2 Beispiel: 20–260 EUR Rahmen = 280 EUR : 2 = 140 EUR Mittelgebühr 8 Abschließend hat der Gesetzgeber die jeweiligen Rechtszweige in verschiedene Teile aufgegliedert, die das jeweilige Rechtsgebiet spiegeln. Beispielsweise sind die Teile 4 (Strafrecht), 5 (Bußgeldverfahren) und 7 (Auslagen) jeweils gesondert behandelt. Das Verkehrsrecht ist allerdings dasjenige Rechtsgebiet, das in allen Teilen des RVG vorkommen kann, da die rechtlichen Probleme im Zivilrecht wie auch im Sozialrecht oder Verwaltungsrecht liegen können. III. Erstellung von Kostennoten 9 Grundsätzlich ist der Auftraggeber der Adressat der anwaltlichen Gebührennote.2 Dies kann auch ein Dritter sein, der nicht identisch mit dem zu vertretenden Mandanten ist. Beim rechtsschutzversicherten Mandanten bleibt die Abrechnungskonstellation dieselbe; allerdings hat der Mandant einen Anspruch gegenüber seiner Rechtsschutzversicherung im Hinblick auf die entstandenen Rechtsanwaltskosten, soweit sie im Versicherungsumfang enthalten sind3 (siehe auch unter dem § 7 Rechtsschutzversicherung Rn 1).4 Hinweis: Bereits bei Annahme des Mandats im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hat der Hinweis auf die Gebühren seitens des Rechtsanwalts an den Mandanten zu erfolgen. Zu beachten ist auch bei zivilrechtlichen Mandaten, die häufig in Verbindung mit 2 Schneider, Fälle und Lösungen zum RVG, § 1 Rn 1. 3 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 119, 123. 4 Samimi, Anwaltformulare Rechtsschutzversicherung, § 2 Rn 5 ff hinsichtlich eines Prüfungsschemas für eine Deckungszusage des Versicherers. 98 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 IV. § 14 RVG – Einleitung 6 strafrechtlicher Vertretung oder der Vertretung in Ordnungswidrigkeiten parallel verlaufen, dass auch diesem Mandanten mitgeteilt werden muss, dass die Gebühren sich nach dem Wert des Gegenstandes für seine Tätigkeit richten. Fehlt eine solche Aufklärung schuldhaft, besteht ein Schadensersatzanspruch des Mandanten5 gegenüber dem Rechtsanwalt. 10 § 10 RVG Berechnung (1) Der Rechtsanwalt kann die Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Der Lauf der Verjährungsfrist ist von der Mitteilung der Berechnung nicht abhängig. (2) In der Berechnung sind die Beträge der einzelnen Gebühren und Auslagen, Vorschüsse, eine kurze Bezeichnung des jeweiligen Gebührentatbestands, die Bezeichnung der Auslagen sowie die angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses und bei Gebühren, die nach dem Gegenstandswert berechnet sind, auch dieser anzugeben. Bei Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen genügt die Angabe des Gesamtbetrags. (3) Hat der Auftraggeber die Vergütung gezahlt, ohne die Berechnung erhalten zu haben, kann er die Mitteilung der Berechnung noch fordern, solange der Rechtsanwalt zur Aufbewahrung der Handakten verpflichtet ist. Notwendig für die Fälligkeit der Vergütungsforderung ist eine ordnungsgemäße Kos- 11 tennote (siehe Stichwort Kostennote). Denn auch ein dem Rechtsanwalt zustehendes Zurückbehaltungsrecht kann erst ausgeübt werden, sofern die Kostennote erstellt, also fällig ist. Voraussetzung die die nachvollziehbare und prüfbare Abrechnung der anwaltlichen Leistung. Es ist jedenfalls dann eine Checkliste zu verwenden,6 wenn eine Vergütungsvereinbarung geschlossen wird – also in allen außergerichtlichen Angelegenheiten!7 IV. § 14 RVG – Einleitung 12 Zentrale Vorschrift aller Gebührenbestimmungen ist § 14 RVG. Dieser lautet: § 14 RVG Rahmengebühren (1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. (2) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495 a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten. 5 BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 89/06. 6 Siehe Stichwort Kostennoten Rn 2. 7 OLG Köln gibt eine solche gewissermaßen vor für Zeitvergütungsvereinbarungen in der durch den BGH nicht bestätigten – Entscheidung OLG Köln vom 18.2.2010 – I-24 U 183/05 nach Zurückverweisung durch den BGH vom 19.5.2009 – IX ZR 174/06; Schneider, Fälle und Lösungen zum RVG, § 1 Rn 14 ff. Reisert 99 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen 1. Gebührenermessen durch den Rechtsanwalt 13 Zuerst ist bei der Vorschrift zu beachten, dass der Rechtsanwalt, nicht also die Rechtsschutzversicherung oder aber das Gericht,8 die einzelfallbezogene Gebührenbestimmung vornimmt.9 Auch stellt die Vorschrift verschiedene Bemessungskriterien vor, die für die Ermessensanwendung herangezogen werden sollen. Sämtliche Gebührenforderungen, die im Strafrecht oder bei Ordnungswidrigkeiten abzurechnen sind, fallen hierunter, sollte es sich nicht um eine Pflichtverteidigung handeln. Dementsprechend hat jede Abrechnung ein (Gebühren-)Ermessen zur Folge, das angewendet werden muss. Im wohlverstandenen Interesse ist dieses Ermessen immer auszuüben.10 Umfang Schwierigkeit Haftung Bedeutung Einkommensverhältnisse des Mdt. weitere Kriterien Individuelle, fallbezogene Ermessensausübung begründet in der Gebührennote bzw. dem entsprechenden Anschreiben die gewählte Gebühr! 2. Ermittlung des „Rahmens“ – Bemessungskriterien 14 § 14 RVG hat zwar aufgelistete Kriterien, die jedoch nicht abschließend sind, da sie nur eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände ermöglichen sollen. Daher sind im Einzelfall auch noch weitere, nicht aufgeführte Kriterien,11 die individuell das Mandat beschreiben können, nicht nur zulässig, sondern gerade gewollt. Im Einzelnen geht man zweistufig vor, indem zunächst die Bemessungskriterien ermittelt, und diese dann in einem zweiten Schritt für die Bestimmung der angemessenen Gebühr abzuwägen sind.12 8 LG Potsdam vom 16.12.2008 – 24 Qs 113/08, AGS 2009, 590. 9 So auch BGH vom 21.10.2010 – IX 37/10 mit Anmerkung Lührig in AnwBl 2011, 148; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 78. 10 Burhoff, Rechtsprechungsübersicht zu § 14 RVG in Straf- und Bußgeldsachen, RVGreport 2010, 204 ff. 11 Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 20. 12 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 80 ff. 100 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 V. Die Bemessungskriterien des § 14 RVG in der Anwendung Ermittlung und Gewichtung der Bemessungskriterien von RA 6 Bestimmung der angemessenen Gebühren aus dem gesetzlich vorgegebenen Gebührenrahmen V. Die Bemessungskriterien des § 14 RVG in der Anwendung 1. Umfang der anwaltlichen Tätigkeit Grundsätzlich wird vertreten, dass ein durchschnittlicher Umfang13 in zeitlicher Hin- 15 sicht vorliegt, wenn die Mandatsbearbeitung drei Stunden nicht überschreitet.14 Infolgedessen kann eine Zeitermittlung des tatsächlichen Aufwandes mit einer Zeiterfassung wie sie beispielsweise von Anwaltsprogrammen vorgenommen werden, hier bei der Bestimmung der jeweiligen Kriterien nur anzuraten sein. Dieser würde dann mit entsprechenden „Timesheets“ im Zweifelsfalle belegen, welcher tatsächliche Aufwand betrieben werden musste. Zwar hat das OLG Köln15 eine Entscheidung im Bereich der Vergütungsvereinbarung 16 getroffen, die fünfzehnminütige Zeittaktklauseln für einen Verstoß nach § 307 BGB gehalten hat, so dass jedenfalls eine (minuten-)genaue Zeiterfassung sicherheitshalber vorgenommen werden sollte. Es geht sogar soweit, dass das Gericht selbst den „angemessenen Stundensatz“ bestimmte. Hieraus folgt, dass bei der Aufwanderfassung mehr Sorgfalt erforderlich ist als bislang. Allerdings hat der BGH bei der der Vergütungsvereinbarung zugrunde liegenden vereinbarten Zeittaktklausel im Gegensatz zum OLG nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Unwirksamkeit angenommen. Auch die letzte hierzu maßgebliche Entscheidung des BGH lässt die Zulässigkeit der Zeittaktklausel von 15 Minuten unangetastet.16 Das OLG hatte noch angenommen, der vereinbarte fünfzehnminütige Zeittakt führe zu einer evidenten Benachteiligung des Mandanten. Die Klausel entfalte strukturell zulasten des Mandanten in erheblicher Weise sich kumulierende Rundungseffekte. Infolge der Unwirksamkeit der Zeittaktklausel könnten die vom Kläger abgerechneten 23 Zeitintervalle, was einem Aufwand von 322 Minuten (5,37 Stunden) entspreche, keine Berücksichtigung finden. Die gegenteiligen 13 AnwK-RVG/Rick, 4. Aufl., § 14 Rn 29 ff mit ausführlicher Aufzählung. 14 AnwK-RVG/Rick, 4. Aufl., § 14 Rn 28; Burhoff, Rechtsprechungsübersicht zu § 14 RVG in Straf- und Bußgeldsachen, RVGreport 2010, 204 ff. 15 OLG Köln vom 18.2.2010 – I-24 U 183/05 nach Zurückverweisung durch den BGH vom 19.5.2009 – IX ZR 174/06. 16 BGH Urteil vom 21.10.2010 – IX 37/10. Reisert 101 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen Ausführungen in dem vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer erstellten Gutachten stünden dieser Beurteilung nicht entgegen, weil sich dieses nur gänzlich unzureichend mit den fallbezogenen Umständen befasst habe. Auch der in Rechnung gestellte sonstige Zeitaufwand erweise sich als unangemessen. Die abgerechneten 77,8 Stunden seien nur im Umfang von 51,87 Stunden erforderlich gewesen. 17 Der BGH sagt hierzu: „Die Frage der Unangemessenheit nach § 3 Abs. 3 BRAGO beurteilt sich […] unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des § 242 BGB, also danach, ob sich das Festhalten an der getroffenen Vereinbarung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls als unzumutbar und als ein unerträgliches Ergebnis darstellt. Nach dem der Vorschrift des § 3 Abs. 3 BRAGO in Einklang mit § 242 BGB innewohnenden Rechtsgedanken kommt die Abänderung einer getroffenen Vereinbarung nur dann in Betracht, wenn es gilt, Auswüchse zu beschneiden. Der Richter ist jedoch nach § 3 Abs. 3 BRAGO nicht befugt, die vertraglich ausbedungene Leistung durch die billige oder angemessene zu ersetzen.“17 18 Dementsprechend ist nicht darauf abzustellen, welches Honorar im konkreten Fall als angemessen zu erachten ist, sondern ob die zwischen den Parteien getroffene Vergütungsvereinbarung im vorliegenden Fall als unangemessen hoch einzustufen ist.18 19 Eine Herabsetzung ist ausschließlich möglich, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit den Grundsätzen des § 242 BGB unvereinbar wäre, den Mandanten an seinem Honorarversprechen festzuhalten.19 Es muss demnach ein krasses, evidentes Missverhältnis zwischen der anwaltlichen Leistung und ihrer Vergütung gegeben sein.20 Diese Grundsätze lassen sich auch auf die Ausübung des Ermessens nach § 14 RVG anwenden. Der danach anzuwendende Prüfungsmaßstab der Unangemessenheit ist verfehlt, wenn von einem offensichtlich entgegen der Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf durchschnittlichen Stundensatz von 180 EUR für Rechtsanwälte ausgegangen wird. 20 Vielmehr ist als Ausgangspunkt nicht auf einen allgemeinen Durchschnittsatz für Rechtsanwälte abzustellen, sondern auf die Art und den Umfang des Mandats einzugehen und entsprechend zu gewichten.21 Damit kann festgehalten werden, dass eine formularmäßig vereinbarte Zeittaktklausel für die anwaltliche Zeit dann unschädlich ist, wenn er den tatsächlich angefallenen Zeitaufwand erfasst und entsprechend nachvollziehbar und prüfbar für den Auftraggeber abrechnet.22 21 Die Wartezeiten werden hierbei grundsätzlich mitberücksichtigt, da sie ja auch angefallen sind. 17 BGH, Urteil vom 4.2.2010 – IX ZR 18/09 Rn 87; vgl auch Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 77 f. 18 BGH, Urteil vom 4.2.2010 – IX ZR 18/09 Rn 87; OLG München NJW 1967, 1571, 1572; OLG Köln NJW 1998, 1960, 1962; OLG Hamm AGS 2007, 550, 552; Bischof, RVG 3. Aufl. § 3 a – 9 – Rn 37. 19 BGH, Urteil vom 4.2.2010 – IX ZR 18/09 Rn 87; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO 8. Aufl., § 3 Rn 37; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO 15. Aufl., § 3 Rn 20. 20 BGH, Urteil vom 4.2.2010 – IX ZR 18/09 Rn 87; Hartung/Römermann/Schons/Römermann, RVG 2. Aufl., § 4 Rn 107. 21 BGH, Urteil vom 4.2.2010 – IX ZR 18/09 Rn 93. 22 Ebenso Lührig Anm. zum Urteil des BGH vom 21.10.2010 – IX ZR 37/10, AnwBl 2011, 148 s. auch Anm. von Schons in AGS 2011, Heft 2. 102 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 V. Die Bemessungskriterien des § 14 RVG in der Anwendung 6 Allein der Umstand, dass dieses Kriterium an erster Stelle in § 14 RVG genannt wird, 22 zeigt auch seine Wertigkeit für die Gebührenbemessung.23 So meint auch das Kammergericht, dass das entscheidende Kriterium für den „Umfang der anwaltlichen Tätigkeit“ vor allem der zeitliche Aufwand sei, den der Verteidiger auf die Führung des Mandats verwendet hat, was vor allem bei der Terminsgebühr von Bedeutung ist.24 Checkliste25 zum Umfang der anwaltlichen Tätigkeit 23 Zugrunde gelegt werden hierbei: n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n Aktenstudium, Anzahl der Zeugen, Anzahl und Umfang von Beweisanträgen, Anzahl der Gerichtstermine, Anzahl von Anträgen, Ausführungen (schriftlich oder mündlich) des Rechtsanwalts, Auswertung von Sachverständigengutachten, Beratung über Rechtsmittel, besonderer Aufwand, um Kostenentscheidung zu erlangen, Besprechungen/Telefonate, Besuche beim Mandanten, Beweisaufnahmen, Dienstaufsichtsbeschwerden/Sachstandsanfragen, Einarbeitungszeiten, Gespräche mit Familienangehörigen, ggf Verfahren auf Zulassung von Rechtsmitteln, Inaugenscheinnahmen vor Ort, Länge der schriftlichen Ausführungen etc., Literaturrecherche, Reise- und Wartezeiten, umfangreiche Auswertung von Beiakten/Gutachten, Vorbereitung von Gerichtsterminen, zeitlicher Aufwand durch bspw eigene Zeugeneinvernahmen/Recherchen In der Kostennote muss dann auch der zeitliche Aufwand dargestellt werden, wenn nicht über eine Zeiterfassung, dann zumindest überschlägig. 24 Formulierungsbeispiel Zeitaufwand: Während des außergerichtlichen Verfahrens haben drei Besprechungen von jeweils 45 Minuten Dauer mit dem Mandanten, zwei jeweils 10-minütige Telefonate mit dem zuständigen Gutachter stattgefunden. Ein Unfallrekonstruktionsgutachten wurde entsprechend geprüft und der Gutachter um eine erweiterte Stellungnahme gebeten. Daneben wurden zwei umfangreiche Anspruchschreiben neben dem Akteneinsichtsgesuch mit einem Zeitaufwand von insgesamt knapp 5 1/4 Stunden erstellt, so dass es sich um einen überdurchschnittlich hohen Arbeitsaufwand handelt. 23 So auch Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 16 ff mwN. 24 KG StV 2006, 198 = AGS 2006, 278 = RVGreport 2007, 180; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 85. 25 Reisert, Anwaltsgebühren,§ 1 Rn 86; Burhoff/Burhoff, § 14 Rn 17. Reisert 103 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen 2. Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit 25 Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist ebenfalls ein Bemessungskriterium,26 das das Gesetz aufführt. Sobald über dem Durchschnitt liegende Tätigkeiten des Anwalts erforderlich sind, ist die Schwierigkeit als überdurchschnittlich zu bejahen.27 Gemeint ist der Einsatz der anwaltlichen Leistung,28 wobei der Maßstab der „Allgemeinanwalt“ (so es diesen überhaupt noch gibt) ist. Dieses Kriterium ist für jeden Verfahrensabschnitt und jede Instanz gesondert festzustellen und in die Ermessensausübung aufzunehmen. 26 Die Schwierigkeiten können rechtlicher oder tatsächlicher – beim Mandanten wegen psychischer Auffälligkeiten bzw dessen Persönlichkeitsstruktur oder mangelnder Deutschkenntnisse, medizinischer Gutachten, Analphabetismus etc. – Hinsicht sein. Fremdsprachenkenntnisse (nicht aber zweite Muttersprache!) erhöhen ebenso die Schwierigkeit.29 Auch das Verhalten des Gegners kann zu einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit führen, wenn beispielsweise Uneinsichtigkeit und Sturheit die Bearbeitung erschweren.30 27 Checkliste zur Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit n n n n n n n n n n n n n n n Aktenstudium umfangreich und komplex, komplizierte Rechtsfragen komplizierte Beweisfragen uneinheitliche Rechtsprechung der Obergerichte europarechtliche Relevanz schwierige Fragen aus dem Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention Anzahl der Zeugen, Anzahl und Umfang von Beweisanträgen, Anzahl von Anträgen, Sachverständigengutachten Ortsbesichtigungen Zeugenbefragungen Verständigungsschwierigkeiten (intellektueller wie auch tatsächlicher Natur) „schwieriger Mandant“ Verhaltensweise der Gegenseite (Stalking des Rechtsanwalts) Grundsätzlich wird in den Rechtsgebieten, in denen der Gesetzgeber Fachanwaltschaften eingerichtet hat, eine Indizwirkung hierfür angenommen.31 28 Dass beispielsweise der bearbeitende Rechtsanwalt Fachanwaltschaftsqualifikation auf dem jeweiligen Fachgebiet hat, ggf sogar über zwei oder sogar drei Titel verfügt, unterstreicht die Schwierigkeit der Tätigkeit auch dann, wenn die Wahl des Mandanten für diesen Rechtsanwalt gerade deshalb erfolgt ist. Somit sollte auch dokumentiert werden, weshalb gerade dieser Mandant zu dem entsprechenden Rechtsanwalt gekom26 27 28 29 30 31 104 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 89 ff. Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 16. AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 36. Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 16. Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 16. Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 20 f. Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 V. Die Bemessungskriterien des § 14 RVG in der Anwendung 6 men ist. Dass ein Fachanwalt für die Bearbeitung bestimmter komplexer Rechtsfragen weniger Zeit benötigt, weil er darauf spezialisiert ist, steht der Schwierigkeit der Tätigkeit damit natürlich nicht entgegen! Der Rechtsanwalt sollte auch hier die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung dokumentieren, damit sie späterhin bei der Ausübung des Ermessens eingestellt werden können. 29 Formulierungsbeispiel für überdurchschnittliche Schwierigkeit: Im vorliegenden Fall liegt die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit erheblich über dem Durchschnitt, weil ein Unfallrekonstruktionsgutachten zur Rekonstruktion des Unfallherganges abgefordert und geprüft werden musste, sowie die Verständigung auf englisch erfolgte, da eine Kommunikation mit dem indischen Mandanten auf diese Weise ohne Dolmetscher vonstatten gehen konnte. 3. Bedeutung der Angelegenheit Die Bedeutung der Angelegenheit ist ein weiteres Kriterium des § 14 RVG.32 Hier ist 30 zuerst aus der Sicht des Mandanten zu bestimmen, welche Bedeutung die Sache für ihn hat. Dies will sagen, dass die Führung der Angelegenheit berufliche, familiäre Konsequenzen oder beträchtliche Medienaufmerksamkeit zeitigen kann. Allerdings ist die allein subjektive Bestimmung der Bedeutung der Angelegenheit dem Gesetzestext nicht zu entnehmen, womit auch eine objektive Komponente bei der Ermessensausübung eine Rolle spielt: Schon bei der Mandatsannahme sollte der Mandant befragt werden, welche Rolle das Mandat für ihn hat. 31 Checkliste besondere Bedeutung Es kommt eine besondere n n n n n n n n n n n n n n n n n Bedeutung33 in Frage, bei drohenden beruflichen Nachteilen Beendigung der beruflichen Stellung drohendem Fahrerlaubnisentzug/Fahrverbot familiäre Konsequenzen Gefährdung gesellschaftlicher Stellung des Mandanten Drohung hohen Strafmaßes Indizienprozess34 Drohung Inhaftierung öffentlichem Interesse Präjudiz für familienrechtliche Entscheidungen Präjudiz für Rückzahlungsansprüche seitens des Jobcenters Präjudiz für zivilrechtliche Haftung Renommee des Mandanten Renten gekürzt oder ausgeschlossen sind (Beamte!) Vorstrafeneintragung (da über 90 Tagessätze oder Zweiteintragung) drohendem Widerruf einer Bewährung wirtschaftlich negativen Folgen 32 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 93. 33 Weitere Beispiele bei Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 17, 28. 34 Burhoff/Burhoff, § 14 Rn 22. Reisert 105 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen 32 Formulierungsbeispiel für eine hohe Bedeutung der Angelegenheit: Es handelt sich vorliegend um einen überdurchschnittlich hohen Grad der Bedeutung für die Geschädigte. Sie wurde Opfer eines sogenannten Rasers und wurde, ebenso wie ihre Familie, von ihm im Nachgang zu der ersten Geltendmachung der Ansprüche verhöhnt und über einen langen Zeitraum massiv belästigt und bedroht. Sie ist bis heute noch nicht wieder angstfrei, so dass ihr die Verantwortlichmachung des Schädigers sehr wichtig war/ist. Der Vorfall hat für die Geschädigte Folgen für ihre Existenz und familiäre Folgen. Zudem hat sie ihren Geruchs- und Geschmackssinn verloren, erfährt also durch den Vorfall eine ganz erhebliche Beeinträchtigung in ihrem Alltagsleben. 4. Einkommensverhältnisse/Vermögensverhältnisse des Auftraggebers 33 Ein zusätzliches in § 14 RVG aufgelistetes Kriterium stellen die Einkommensverhältnisse bzw die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (nicht notwendig des Mandanten!) für die Bemessung der Gebühren dar. Ausgangspunkt ist der monatliche Einkommensdurchschnitt. Dieser liegt in den alten Ländern bei etwa 2.300,00 EUR brutto, in den neuen bei ca. 2.000,00 EUR brutto. Allerdings wird dies bereinigt durch Hartz IV Empfänger, womit sich ein Durchschnittsbetrag von etwa 1.500,00 EUR brutto ergeben sollte.35 34 Gleichsam wird nach den Vermögensverhältnissen des Auftraggebers bewertet. Hierbei werden wiederum die durchschnittlichen Vermögensverhältnisse aller in der Bundesrepublik lebenden Bürger zugrunde gelegt, die neben dem üblichen Hausrat auch ein kleines Sparvermögen umfassen sollen.36 Allerdings sollte hier vom tatsächlichen Lebenszuschnitt ausgegangen werden und nicht der (oftmals niedriger ausfallende) Steuerbescheid zugrunde gelegt werden.37 35 Auch ist der rechtsschutzversicherte Mandant sicherlich insoweit bessergestellt als er durch seine Prämienzahlungen einen weiteren Vermögenswert erreicht hat.38 Liegt eine Rechtsschutzversicherung vor, ist daher grundsätzlich von mindestens durchschnittlichen bzw überdurchschnittlichen Verhältnissen auszugehen. 36 Bei der Vertretung von Jugendlichen und Heranwachsenden kann wohl nicht auf die Vermögensverhältnisse der Eltern abgestellt werden.39 Richtig ist vielmehr, dass diese sich nach den durchschnittlichen Vermögens- bzw Einkommensverhältnissen der Jugendlichen im Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland ausrichtet. Damit dürfte dann das „Einkommen“ eines Schülers im Schnitt mit dem monatlichen Taschengeld den Durchschnitt bilden. 37 Schließlich ist noch streitig, welcher Zeitpunkt für die Bemessung maßgeblich ist.40 Hier sollen dem Rechtsanwalt die Verbesserungen der Vermögensverhältnisse ebenfalls bei der Bestimmung zugerechnet werden.41 Daher ist das während des Mandatsverlaufes höchste Einkommen zugrunde zu legen.42 35 36 37 38 39 40 41 42 106 Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 26; AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 44 ff. AnwKRVG/Onderka, § 14 Rn 44 ff; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 100 ff. Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 18. AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 44 ff. Burhoff/Burhoff, § 14 Rn 28; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 102. Hk/Winkler, § 14 Rn 27 f; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 105 ff. Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 18; Hk-RVG/Winkler, § 14 Rn 27 f. Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 103 f. Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 V. Die Bemessungskriterien des § 14 RVG in der Anwendung 6 Hinweis Gebührengutachten: In den Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammern 38 werden die Einkommensverhältnisse mitunter geschätzt, wenn keine Angaben in der Klage gemacht werden; allerdings geht diese Schätzung im Zweifel zulasten des klagenden Rechtsanwaltes. Daher sind die Einkommensverhältnisse wenigstens zu Beginn des Mandats zu erheben und gesondert zu notieren43 – auch oder gerade bei rechtsschutzversicherten Mandanten! 5. Haftungsrisiko Hier ist ein neues Kriterium im Vergleich zur BRAGO hinzugekommen: Dieses gilt 39 jedenfalls dann, wenn im Einzelfall ein besonderes Haftungsrisiko hinzutritt, das also über den eigentlichen oder üblichen Gegenstand hinausgeht. Dies kann bspw der Fall sein, wenn das Mandat kurz vor Verjährungsbeginn übernommen wird. Weiterhin sind in Straf- und Bußgeldsachen die wirtschaftlichen Folgen zu berücksichtigen, sofern sich hier ein qualifiziertes Haftungsrisiko ergibt.44 Nicht nur der Gegenstandswert bestimmt die Höhe der Haftung. So kann über Kappungsgrenzen der Streitwertbestimmung durch das GKG die Haftung tatsächlich deutlich über dem Wert liegen.45 Eine erhöhte, risikobehaftete Tätigkeit soll hier bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden. Deshalb wird auf das besondere Haftungsrisiko abgestellt, wie es üblicherweise bei Abfindungsvergleichen im Bereich der Körperschäden der Fall ist.46 40 Formulierungsbeispiel für besonderes Haftungsrisiko: Weiterhin ist bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden, dass im Rahmen des Strafverfahrens mit der Geschädigtenseite ein Vergleich über den Körperschaden dem Grunde nach geschlossen worden ist, die Schmerzensgeldzahlung einen Betrag von 15.000,00 EUR umfasste und schließlich eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen wurde. Das Haftungsrisiko geht jedoch über den vorgenannten Betrag hinaus, weil die Geltendmachung weiterer Schmerzensgeldbeträge wahrscheinlich ist, da die Behandlung des Geschädigten nicht abgeschlossen ist. Daher ist das besondere Haftungsrisiko zu bejahen, weil zudem auch der Krankenversicherer mit den Behandlungskosten an den Schädiger und unseren Mandanten herantreten wird. 6. Unbenannte Kriterien Darüber hinaus fallen weitere, nicht in § 14 RVG aufgelistete Kriterien47 – sogenannte 41 unbenannte Kriterien – bei der Ermessensausübung in die Bestimmung der angemessenen Gebühren hinein. Denn die Ausübung des Ermessens umfasst alle persönlichen Befindlichkeiten und sachlichen Umstände des jeweiligen Mandates.48 Dabei sind die Umstände einzustellen, die die Arbeit erheblich komplizieren, erschweren oder anderweitig zeitlich verlängern bzw umgekehrt. Mayer49 schlägt bspw vor, die ungewöhnlichen Arbeitszeiten mit einem Faktor zu versehen, damit sie den Mehraufwand auffangen: 43 44 45 46 47 48 49 Gleiches schlägt auch Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 14 vor. AnwK-RVG/Rick, 4. Aufl., § 14 Rn 46, 51. Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 19; AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 46 ff. Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 19; AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 46 ff. Otto, NJW 2006, 1472, 1477. AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 56; Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 20. So jedenfalls Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 20. Reisert 107 http://www.nomos-shop.de/10849 6 § 6 Abrechnung nach dem RVG in Verkehrszivilsachen 42 So sollen für wenigstens n Samstage = Faktor 0,3 n Sonntage = Faktor 0,4 n Feiertage = Faktor 0,5 richtigerweise in Anwendung gebracht werden.50 Im Dienstleistungssektor erhöhte Stundensätze zu fordern, wenn dies kundenseits gefordert wird, ist üblich. Immer dann, wenn außergewöhnliche Arbeitszeiten vom Mandanten angefordert werden, sollte dies zumindest bei der Gebührenbestimmung eingestellt werden.51 43 Ein zusätzliches Kriterium ist der Erwerb von Fachanwaltschaftstiteln. Nicht nur der beträchtliche Arbeits- und Zeitaufwand hat sich im Vorfeld neben den Kosten für den Erwerb selbst niedergeschlagen und damit Eingang in die Kostenstruktur der Kanzlei gefunden. Damit hat die Spezialisierung mit der obligatorischen Pflichtfortbildung einen festen Posten in den Kanzleiausgaben. Diese Kostenstruktur, die auch die Anschaffung von Spezialliteratur, Onlinedatenbanken etc. erforderlich macht, wird gebührenerhöhend berücksichtigt, weil sie sich auch in der Qualität und Schnelligkeit der Bearbeitung niederschlagen.52 Checkliste53 zu unbenannten Kriterien von § 14 RVG 44 Zusammengefasst, aber nicht abschließend aufgezählt, sind diese weiteren Ermessenskriterien: erfolgreiche Tätigkeit des Rechtsanwalts hohe Reputation des Rechtsanwalts Vorliegen von Fachanwaltschaften Arbeit an Wochenenden und Feiertagen und anderen unüblichen Zeiten besonderer Zeitdruck durch späte Mandatsübertragung öffentliche Aufmerksamkeit Bedrohung durch die Gegenseite oder andere Dritte wegen der Bearbeitung des Mandates n Besonderheiten der Kostenstruktur der Kanzlei n n n n n n n VI. Konkrete Anwendung im Verkehrszivilrecht 1. Vornahme der Abwägung im Verkehrszivilrecht a) Einleitung 45 Das Thema der Abrechnungen (mit Versicherern) haben auch die Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern anlässlich ihrer 49. Tagung am 30.10.2004 in Nürnberg diskutiert.54 46 Am Beispiel der Geschäftsgebühr lässt sich Folgendes festhalten: Der Gebührenrahmen liegt zwischen 0,5 bis 2,5. Allerdings heißt es in Nr. 2300 VV RVG, dass eine Gebühr 50 AnwK-RVG/Onderka, § 14 Rn 57; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 108. 51 Davon unberührt bleibt natürlich eine Vergütungsvereinbarung, die die vorgenannten Faktoren entsprechend berücksichtigt. 52 Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 Rn 20; Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 109. 53 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 110. 54 Siehe auch § 1 Rn 47. 108 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 VI. Konkrete Anwendung im Verkehrszivilrecht 6 von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die höhere Vergütung kann daher gefordert werden, wenn die Tätigkeit hinsichtlich des Umfangs oder des Schwierigkeitsgrades überdurchschnittlich war.55 Umgekehrt bedeutet die gesetzliche Regelung aber auch, dass bei unterdurchschnittlichen Fällen die Festsetzung einer Geschäftsgebühr von 1,3 unbillig sein kann und in derartigen Fällen auch mit 1,0 zu bewerten ist.56 Der BGH geht in seiner Entscheidung vom 31.10.200657 mit folgendem Leitsatz voran: 47 Es ist nicht unbillig, wenn ein Rechtsanwalt für seine Tätigkeit bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall eine Geschäftsgebühr von 1,3 bestimmt. Eine Gebühr über 1,3 kann allerdings wegen des Nachsatzes in Nr. 2400 VV gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin überdurchschnittlich gewesen ist.58 Wann welche Geschäftsgebühr bei der Bearbeitung eines „durchschnittlichen“ bzw 48 „normalen“ Verkehrsunfalls gerechtfertigt ist, ist umstritten. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, eine angemessene Gebühr hierfür sei bei einem Gebührenrahmen zwischen 0,5 und 1,3 zwischen 0,8 und 1,0 anzusiedeln,59 ein anderer Teil erachtet eine 1,3 Geschäftsgebühr für gerechtfertigt.60 Der BGH führt hierzu im Anschluss an die Auffassung der 1,3 Geschäftsgebühr dann aus: „Die Anwendung der 1,3 Geschäftsgebühr entspricht der Vorstellung des Gesetzgebers, dass in durchschnittlichen Fällen die Schwellengebühr von 1,3 eine Regelgebühr darstellt und ähnliche Funktionen erfüllt wie die 7,5/10 Gebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und steht in Einklang mit der Bestimmung, dass bei überdurchschnittlichen, weil umfangreichen oder schwierigen Tätigkeiten des Rechtsanwalts eine Geschäftsgebühr über 1,3 gerechtfertigt ist.“61 Leider fehlinterpretiert, wenngleich auf den ersten Eindruck für die Abrechnung des 49 Rechtsanwaltes gefällig klingend, ist die Entscheidung des BGH,62 die als unangreifbar eine 1,5 Geschäftsgebühr verheißt, weil ein Ermessensspielraum von 20 % zuerkannt wird. Es wird festgestellt, dass die in durchschnittlichen Rechtssachen als Regelgebühr anfallende 1,3 Gebühr beansprucht werden kann. Die Angelegenheit ist als wenigstens durchschnittlich anzusehen, wenn im Einzelfall eine Bestimmung unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers vorgenommen wird. Wörtlich heißt es dann in der Entscheidung weiter: „Die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr ist einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spiel55 BGH vom 31.10.2006 – VI ZR 261/05, NZV 2007, 181, 182 = Schaden-Praxis 2007, 85; Madert ZfS 2004, 301 ff; Schneider ZfS 2004, 396; Madert ZfS 2005, 305 ff mit umfassender Rechtsprechungsübersicht. 56 BGH NZV 2007, 181, 182 = Schaden-Praxis 2007, 85. 57 BGH vom 31.10.2006 – VI ZR 261/05. 58 Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, Nr. 2300, 2301 VV, Rn 28; Otto NJW 2004, 1420, 1421; Riedmeyer DAR 2004, 262; Sonderkamp NJW 2006, 1477, 1479. 59 Sonderkamp, NJW 2006, 1477, 1478 Fn 3. 60 OLG München und OLG Düsseldorf, VA 2006, 189; sowie die Nachweise bei Sonderkamp, NJW 2006, 1477, Fn 2. 61 BGH vom 31.10.2006 – VI ZR 261/05. 62 BGH vom 13.1.2011 – IX ZR 110/10. Reisert 109 http://www.nomos-shop.de/10849 8 47. Haftungsquote 47. Haftungsquote 1 Für die praktische Unfallregulierung stellt die Bildung der Haftungsquote den wesentlichen Moment dar. Einschlägige Norm ist insoweit § 17 Abs. 1 und 2 StVG. Dabei betrifft § 17 Abs. 1 StVG den seltenen Fall, dass mehrere Kfz gleichzeitig einen Dritten (Fußgänger, Radfahrer etc.) geschädigt haben. Wesentlich praxisrelevanter ist § 17 Abs. 2 StVG, welcher die Haftungsabwägung nach einem Unfall zwischen mehreren Kfz regelt, aber auf § 17 Abs. 1 StVG Bezug nimmt. Entscheidend für die Bildung der Haftungsquote ist nach diesen Normen die Beantwortung der Frage, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Da das StVG lediglich die verschuldensunabhängige Haftung von Haltern und Fahrzeugführern kennt (§§ 7, 18 StVG), ist, anders als bei einer Mitverschuldensabwägung nach § 254 BGB, nicht nach dem Grad des wechselseitigen Verschuldens zu fragen, sondern danach, in welchem Ausmaß die einfache Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge erhöht oder nicht erhöht worden war. Dabei bedeutet jeder Verstoß gegen eine Bestimmung des Straßenverkehrsrechts eine Erhöhung der Betriebsgefahr, wie zB eine Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 3 StVO), ein Vorfahrt- (§ 8 StVO) oder ein Rotlichtverstoß (§ 37 StVO). Für die Haftungsquotenbildung zählen insoweit nur nachgewiesene Verkehrsverstöße, weshalb diejenige Seite, welche der Gegenseite ein gefahrerhöhendes Fehlverhalten vorwirft, insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist. 2 Lässt sich bei einer Kollision zwischen gleichartigen Kfz, zB Pkws, bei keinem der Fahrzeuge ein gefahrerhöhendes Moment feststellen, ist die – einfache – Betriebsgefahr beider Kfz damit gleich hoch. Die Haftungsquote ist in diesem Grundfall nach § 17 Abs. 2 StVG mit 50:50 festzusetzen, dh jeder Halter hat 50 % des Schadens der Gegenseite auszugleichen.1 Hiervon ausgehend ist prinzipiell jede Haftungsquote möglich. Dabei geht die Spruchpraxis vieler Gerichte dahin, bei nicht nur marginalen Verkehrsverstößen einer Seite und verkehrsgerechtem Verhalten der anderen Seite die Haftung im Verhältnis 100:0 zu quoteln, also die einfache Betriebsgefahr des einen Kfz im Verhältnis zu der erhöhten des anderen in der Haftungsabwägung ganz entfallen zu lassen.2 3 Für die diversen, denkbaren Fallkonstellationen hat sich eine detaillierte Einzelfallrechtsprechung gebildet, welche hier nicht in allen Verästelungen dargestellt werden kann. Insoweit wird auf die einschlägige Literatur verwiesen.3 Als Beispiele sollen einige aktuelle Entscheidungen aus den Jahren 2009/2010 referiert werden: n Auffahrunfall auf der Autobahn BGH NZV 2011, 177: Kollision zwischen Pkw, welcher kurz vor einer Autobahnausfahrt ein vor ihm fahrendes Fahrzeug überholt und dann die Autobahn an der Ausfahrt verlässt (50 %), mit dem überholten, ebenfalls ausfahrenden Pkw, welcher auf den Überholer auffährt (50 %); hier kein Anscheinsbeweis. 1 ZB OLG Karlsruhe OLGR 2002, 61 für den „klassischen“ Fall, dass sich an einer Ampelkreuzung nicht mehr nachweisen lässt, wer bei „rot“ und wer bei „grün“ eingefahren ist; aus jüngster Zeit zB OLG Köln SVR 2011, 141; OLG Hamm Schaden-Praxis 2010, 388. 2 Auch der Verfasser VRLG Dr. Quarch hat als Verkehrszivilrichter regelmäßig in diesem Sinn entschieden. 3 ZB Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen; Ferner/Bachmeier, § 15 Rn 107ff 216 Quarch http://www.nomos-shop.de/10849 47. Haftungsquote n Auffahrunfall (Bus/Pkw) KG SVR 2011, 220: Kollision zwischen Bus mit lediglich allgemeiner Betriebsgefahr (25 %) und in der Busspur quer zur Fahrbahn stehendem Pkw (75 %). n Auffahrunfall (Pkw/Pkw) KG SVR 2011, 226: Auffahren von Pkw 2 (50 %) auf Pkw 1, nachdem dieser wegen eines nicht mit der gebotenen Sorgfalt bei rotem Ampellicht mit Martinshorn und Blaulicht in eine Kreuzung einfahrenden Polizeifahrzeugs (50 %) abbremsen musste. n Kreisverkehr (Pkw/Lkw) LG Köln v. 29.9.2009 – 27 O 77/08 – juris; (Zusammenfassung in SVR 1/2010, III): Kollision bei ungeklärtem Unfallhergang im Kreisverkehr zwischen Pkw (40 %) und Lkw (60 % wegen höherer einfacher Betriebsgefahr des Lkws). n Provozierter Unfall KG SVR 2011, 222: Bei einer von einem Fahrzeugführer absichtlich herbeigeführten Kollision tritt die Betriebsgefahr des anderen ganz zurück. n Rechtsabbieger/Rechtsabbieger LG Wiesbaden v. 27.11.2009 – 9 S 26/09 – juris (Zusammenfassung in SVR 3/2010, IV): Kollision zwischen Rechtsabbieger (25 %) und einen weiteren Kfz, das von der benachbarten Geradeausspur mit nach rechts gesetztem Blinker ebenfalls rechts abbiegt (75 %). n Seitenabstand BGH NZV 2010, 24 = SVR 2010, 55: Unfall zwischen Kfz, dessen Tür entgegen § 14 StVO unsorgfältig geöffnet wird (50 %), und Kfz, welches mit zu geringem Seitenabstand passiert (50 %). KG SVR 2011, 147: Unfall zwischen Pkw, dessen Tür entgegen § 14 StVO unsorgfältig geöffnet wird (75 %), und Radfahrer, welcher mit zu geringem Seitenabstand von nur 0,45 m passiert (25 %), n Spurwechsel auf der Autobahn/Richtgeschwindigkeit OLG Stuttgart NZV 2010, 346: Unfall auf der Autobahn zwischen Kfz, welches sorgfaltswidrig (§ 7 Abs. 5 StVO) die Spur wechselt (80 %), und Kfz, welches die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h deutlich überschreitet (20 %). OLG Nürnberg NJW 2011, 1155: Unfall auf der Autobahn zwischen Kfz, welches kurz nach dem Einfädeln die Spur wechselt (75 %), und Kfz, welches die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h um mindestens 30 km/h überschreitet (25 %). n Überholer/Linksabbieger OLG Naumburg SVR 2010, 263: Unfall zwischen Linksabbieger, der seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO beachtet (0 %), und Überholer trotz Überholverbots nach § 5 Abs. 1 StVO (100 %). OLG Rostock SVR 2010, 299: Unfall zwischen Linksabbieger, der seine doppelte Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 5 StVO verletzt (60%), und Überholer trotz unklarer Verkehrslage iSv § 5 Abs. 2 StVO (40 %). n Überholer/Rechtsabbieger OLG München v. 12.2.2010 – 10 U 4497/09 – juris (Zusammenfassung in SVR 4/2010, IV): Unfall zwischen wartepflichtigem Kfz, das korrekt blinkend nach Quarch 217 8 http://www.nomos-shop.de/10849 8 49. Handakte rechts abbiegt (40 %), und Kfz, das auf der Vorfahrtstraße trotz fehlender Übersicht einen parkenden Lkw auf der Gegenfahrbahn überholt (60 %). n Wenden KG NZV 2010, 513: Unfall zwischen Kfz, das geradeaus den linken Fahrstreifen einer mehrspurigen Straße befährt (50 %), und Kfz, das im Mittelstreifendurchbruch zum Wenden angehalten hatte (50 %), bei im Übrigen ungeklärtem Unfallhergang. 48. Halter 1 Die Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG greift nur zu Lasten des Halters ein. Als Halter ist derjenige anzusehen, welcher ein Kfz (1) im eigenen Namen (2) nicht nur ganz vorübergehend (3) auf eigene Rechnung im Gebrauch hat und (4) die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug ausübt.1 Damit kommt es für die Feststellung der Haltereigenschaft nicht primär darauf an, (a) wer Fahrzeugeigentümer, (b) Versicherungsnehmer der Kfz-Versicherung oder (c) auf wen das Fahrzeug zugelassen ist; dieses können allenfalls Hilfskriterien zur Ermittlung des Halters sein.2 Entscheidend ist vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Zu fragen ist, wer tatsächlich und wirtschaftlich der eigentlich Verantwortliche für den Einsatz des Kfz im Verkehr ist.3 Bei Leasingverträgen wird daher im Regelfall der Leasingnehmer zum Halter des von ihm geleasten Kfz.4 Der Vermieter eines Kfz bleibt hingegen regelmäßig auch während der Vermietungszeit dessen Halter.5 Ist das Kfz allerdings während der Mietzeit jeglichem Einfluss des Vermieters entzogen, zB wegen einer Nutzung im Ausland, können Vermieter und Mieter nebeneinander Halter des Fahrzeuges sein.6 Beim Fahrzeugverkauf wird der Käufer regelmäßig mit der Übergabe des Kfz an ihn zum Halter.7 Auch der Fahrzeugdieb kann zum Halter des gestohlenen Kfz werden, wenn er es ungestört in eigene Benutzung nimmt.8 49. Handakte1 1 Legen Sie die Akten gesondert an. Die Abrechnung ist dann leichter. Bei einfachen Verkehrsunfällen ist dies noch keine Hürde in den meisten Büros. Wenn aber schwere Körperschäden und mehrere Beteiligte zu beraten oder zu vertreten sind, ein Strafverfahren und ein sich daran anschließendes Bußgeldverfahren im Verlaufe der Zeit hinzukommen, ist es besonders schwierig, sich stets daran zu erinnern, dass unterschiedliche Akten angelegt werden. Nehmen Sie auch auf, weshalb der Mandant gerade Sie beauftragt. Hilfreich ist es ebenfalls, die Einkommensverhältnisse des Mandanten zu 1 2 3 4 5 6 7 8 1 ZB BGH NJW 1992, 900. OLG Hamm NZV 1990, 363. BGH NZV 2007, 610 = SVR 2008, 17. BGH NZV 2007, 610 = SVR 2008, 17. ZB BGH NJW 1992, 900. OLG Hamm zfs 1990, 165. OLG Köln RuS 1996, 17. KG NZV 1989, 273. Siehe auch Stichwort Arbeitsablauf. 218 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 49. Handakte 8 erfassen. Hierzu bietet sich ein Mandanten-Fragebogen an. Bei der späteren Gebührenbemessung sind die vorgenannten Kriterien mit einzustellen (Einkommensverhältnisse, Fachanwaltstitel, Renommee etc.). 2 Mandantenerfassungsbogen Sehr geehrte Mandantin, sehr geehrter Mandant, um alle Angaben vollständig in unserer Akte zu haben, bitten wir Sie, den Bogen auszufüllen. Wir benötigen auch Ihre Kontoverbindung, damit wir beim Eingang von Geldern diese an Sie weiterleiten können.2 Dies gilt selbst für den Fall, dass Sie nicht in einer zivilrechtlichen Angelegenheit gekommen sein sollten. Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an unsere Mitarbeiterinnen, die Ihnen gerne weiterhelfen. Bitte schreiben Sie nach Möglichkeit in Druckbuchstaben. Bitte teilen Sie etwaige Veränderungen unverzüglich mit, damit die Bearbeitung der Fälle unproblematisch erfolgen kann. Wir machen darauf aufmerksam, dass alle Angaben von Ihnen datentechnisch erfasst werden. Wir möchten Ihnen informationshalber mitteilen, dass wir telefonisch montags bis donnerstags von 9–12 und 14–17 Uhr, freitags von 9–12 Uhr erreichbar sind. Bitte helfen Sie uns, notwendige Arbeitsgänge zu vereinfachen! Name (bei Firmen bitte vollständige Firmenbezeichnung mit Vertretungsberechtigung) ... Vorname Geburtstag/-ort … Anschrift … (Straße, PLZ, Ort) zzt. ausgeübter Beruf ... Arbeitgeber Familienstand/Kinder O ledig O verheiratet O geschieden O getrennt lebend O eingetragene Partnerschaft Kinder (Alter) ... Telefax: Fax-Nr.: ... E-Mail: E-Mail: ...@... Abschriften ggf per Fax/E-Mail? O ja O nein Telefon privat/dienstlich) … … Mobiltelefon … Am besten zu erreichen? … Ansprechpartner Name ... Tel.-Nr.: ... Die o.g. Rechtsanwälte entbinde ich insoweit von der Schweigepflicht bis auf Widerruf 2 Dies ist zur Vermeidung von berufsrechtlichen Verstößen hilfreich, siehe Stichwort Berufsrechtliche Pflichten. Reisert 219 http://www.nomos-shop.de/10849 8 49. Handakte Rechtsschutzversicherung; O ja O nein Vers.-nehmer Vers.: ... RS besteht seit wann? Selbstbeteiligung in Höhe von … EUR Vers.-Nr.: ... Falls nicht identisch: ... Besteht seit ... Beratungshilfe, Prozesskostenhilfeanspruch O ja O Weißer Ring O nein mtl. Nettoeinkommen in Euro ... Art des Einkommens: ... Bank- und Kontoverbindung Kto-Nr. ... BLZ: ... Institution ... 3 Nur wenn die Akten separat geführt werden, behalten der Anwalt und die Versicherung den Überblick. In jeder Akte sollte zur eigenen Übersicht eine Vorschussnote erstellt werden. Dies hat auch psychologische Gründe: Die Motivation ist höher, wenn man weiß, dass für die Arbeit auch tatsächlich gezahlt wird, zumal für die Vergabe von zinslosen Krediten kein Raum sein dürfte. 4 Schließlich sollte unverzüglich mit der Zeiterfassung begonnen werden, damit der gesamte Aufwand an der Bearbeitung erfasst werden kann. Hierzu ist beispielsweise das Muster Tätigkeitserfassung unter Rn 8 hilfreich.3 Hier müssen in den sog. TimeSheets nicht nur die Tätigkeiten nachvollziehbar erfasst, sondern der Zeitumfang, das Datum und ggf auch die Personen aufgenommen werden, mit denen korrespondiert wird. Es reicht also nicht aus, festzuhalten, dass ein Telefonat mit dem Sachbearbeiter geführt wurde, sondern der Inhalt muss stichwortartig nachvollziehbar sein, will das Gericht im Streit veranlasst werden, die Zeiterfassung überprüfen zu können. Dokumentieren Sie mit Zeitübersichten die geleistete Tätigkeit in Stunden über eine Zeiterfassung/Tätigkeitsbeschreibung. Differenzieren Sie bei den Verfahrensabschnitten oder Rechtszügen Machen Sie die Ausübung des Ermessens auch sprachlich in den Gebührennoten deutlich, indem Sie Ihre Bemessung nachvollziehbar darstellen und Ihr Ermessen in Anwendung gebracht zeigen. 3 Siehe auch Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 118 für das Strafverfahren bzw. Bußgeldsachen. 220 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 49. Handakte 8 Denn mit der Beauftragung in der Angelegenheit ist die Geschäftsgebühr (bzw die Verfahrensgebühr nach Abschnitt 4 bzw 5 RVG) verdient. Bei der Erstellung ist zu verdeutlichen, dass die endgültige Ausübung des in § 14 RVG zugrunde zu legenden Ermessens erst mit Abschluss der außergerichtlichen Tätigkeit erfolgen kann, aber bei Auftragserteilung ein angemessener Kostenvorschuss zu entrichten (§ 9 RVG) ist. Für den Mandanten ist ersichtlich, dass die Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes nicht unentgeltlich sind. Denn nach Laienauffassung ist nur etwas wert, was kostet! Über die Führung von Handakten bestehen unterschiedliche Schulen. Es gibt die klas- 5 sische „Buchheftung“, wenn diese chronologisch geordnet jedes Dokument in die Akte verfügt, so dass eine historische Heftung erfolgt. Das aktuellste Dokument ist somit auf der letzten Seite. Die kaufmännische Heftung übernimmt dieses Prinzip, hat jedoch das aktuellste Dokument auf der ersten Seite der Akte. Sinnvoll kann es sein, den gerichtlichen vom außergerichtlichen Teil in der Handakte zu trennen. So kann der außergerichtliche Teil mit historischer Heftung im hinteren Teil der Akte verbleiben, der gerichtliche Teil mit kaufmännischer Heftung im vorderen Teil. Besonders wichtige Dokumente können in einer Klappe der Heftung entzogen werden und so den schnellen Zugriff des Sachbearbeiters ermöglichen. Dies hat den Vorteil, dass ein Vertreter nicht die gesamte Handakte zu lesen hat, son- 6 dern lediglich den gerichtlichen Teil, wenn er den Sachbearbeiter im Gerichtstermin vertreten muss. Überdies hat man sodann im vorderen (kaufmännisch gehefteten) Teil den Vorteil, gewissermaßen eine Gerichtsaktenrekonstruktion zu ermöglichen. Dies setzt allerdings voraus, dass etwaige Anlagen genau gekennzeichnet und den jeweiligen Schriftsätzen beigefügt werden und so ebenfalls im kaufmännisch gehefteten Teil Eingang finden. Wird in dieser Form geheftet, sollte schnell auffindbar die Vollmacht des Mandanten sowie ein Arbeitserfassungsbogen sein. Es bietet sich an, diesen in der Mitte der Akte abzuheften, dort wo die Pfalz mit den jeweiligen Aktenspießen geheftet wird. Dieses System verschafft schnellen Zugang, hat jedoch den Nachteil, dass Mitarbeiter intensiv geschult werden müssen, um die Heftung jeweils zu befolgen. Ist dies jedoch erfolgreich abgeschlossen worden, bietet die vorgestellte Heftung unendliche Vorteile. Darüber hinaus wird inzwischen jedes mittlere Büro über ein Computerprogramm ver- 7 fügen, indem die Zeiterfassung für das jeweilige Mandat möglich ist. Diverse Anbieter von Rechtsanwaltsprogrammen sind bemüht, dieser Notwendigkeit Rechnung zu tragen, so dass die Zeiterfassung minutengenau ermöglicht wird. Sollte dies nicht vorliegen, ist auf einem gesonderten, leicht zugänglichen Blatt die genaue Zeiterfassung vonnöten, um im Rahmen der Ermessensausübung nach § 14 RVG dieses wichtige Kriterium berücksichtigen und gewichten zu können. Reisert 221 http://www.nomos-shop.de/10849 8 49. Handakte 8 Muster Abrechnungshilfe4 Tätigkeitserfassung: Datum von bis Gespräch mit Schriftsatz an Dauer Aktenstudium/ Literaturrecherche BERATUNG Bedeutung der Angelegenheit Tage- und Abwesenheitsgeld ... EUR Folgen für den Beruf km-Pauschale ... km Folgen für Existenz Akteneinsicht geholt/gesandt/kopiert, Anzahl gesamt: … Familiäre Folge Mandantengespräch/e … Präjudiz des für andere Verfahren bei Mandant … Besichtigungstermin am … Vorgespräch/e Sachverständiger am … Mitwirkung an Vergleich Besonderes am … Post/Tel. Vorgespräch/e mit Gericht/StA am … Post/Tel. Öffentlichkeit Folgen für andere Verfahren … Umfang der Tätigkeit Dauer/Zahl Mandantengespräche … Dauer/Zahl Gespräche mit Dritten … Zeit des Aktenstudiums … Zeit der Auswertung der Informationen … …Instanz Dauer/Zahl der Gerichtstermine inkl. Wartezeit … Gerichtstermin am … Teilnahme an anderen als HVT-Terminen … … Fortsetzungstermine Gutachtenlektüre … Besonderes: … Auswertung Rspr/Literatur … Beweisanträge etc. Dauer/Zahl Besuche bei Mandant … Prozesskostenhilfe Schreiben/Schriftsatz … Kläger Eigene Ermittlungen … Beklagter Nachbereitung/Vorbereitung GT … Post/Tel. Beschwerden/Anträge … E-Mails/Dateien etc. Besetzungsprüfung … Obsiegen bei Prozesskostenhilfe … Rechtsschutz Dauer insgesamt … Vergütungsvereinbarung Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit Vergütungsvereinbarung vom Kommunikation mit Mdt. schwierig, da (...) Stundensatz ... EUR Tatsächlichen Gründe wie komplexes Gutachten, Fremdsprache, technische Kenntnisse oder pauschal ... EUR Adhäsionsverfahren abzüglich geleisteter Vorschuss: … Rechtliche Gründe wie neues Gesetz, komplexe Rechtsfragen, entlegenes Rechtsgebiet 4 Reisert, Anwaltsgebühren, § 1 Rn 118: ähnlich für das Strafverfahren. 222 Reisert http://www.nomos-shop.de/10849 50. Haushaltsführungsschaden 8 … Vermögensverhältnisse des Mdt. … Haftungsrisiko … weitere Kriterien … erfolgreiche Arbeit Unzeiten 50. Haushaltsführungsschaden I. Einleitung Wird durch ein Unfallereignis eine Person (egal ob Hausfrau oder Hausmann) verletzt, 1 besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der teilweisen oder völligen Behinderung in der Haushaltsführung.1 Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erstattung des Haushaltsführungsschadens 2 im Verletzungsfall sind: n Eine unfallkausale Verletzung des Körpers bzw eine Beeinträchtigung der Gesundheit, n ein bestehender Bedarf an Tätigkeiten im Haushalt ( Haushaltstätigkeit), n die durch die Verletzungen geminderte oder aufgehobene Fähigkeit, konkrete Haushaltstätigkeit auszuüben, ein hierdurch entstandener Schaden des Verletzten (etwa in Form erhöhter Aufwendungen), wobei aber ein normativer Schaden genügt.2 II. Anspruchsgrundlage und Anspruchsberechtigte Der Ersatzanspruch der körperlich verletzten Person ( Anspruchsberechtigte eines 3 Haushaltsführungsschadens) wegen deren Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts bestimmt sich, anders als der Ersatzanspruch aus § 844 Abs. 2 BGB, nicht nach der von ihr gesetzlich geschuldeten, sondern nach der von ihr tatsächlich ohne die Verletzung erbrachten Arbeitsleistung.3 4 Der BGH4 führt zum Haushaltsführungsschaden aus: „Für den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts kommt es auf den konkreten Erfolg des Einsatzes ihrer Arbeitskraft an, (..). Für diese konkrete Schadensbestimmung, die auf § 249 BGB beruht, ist es ohne Belang, zu welchem Ausmaß von Haushaltstätigkeit die Klägerin familienrechtlich verpflichtet gewesen wäre; entscheidend ist allein, welche Tätigkeit sie ohne den Unfall auch künftig geleistet haben würde. Eine Mitarbeitspflicht von Familien1 Ausführlich Balke SVR 2006, 321 f, 361 f; Janeczek in: Roth (Hrsg.), Verkehrsrecht, § 3, Rn 130 ff und § 2 Rn 63 sowie § 3 Rn 158, 196 (jeweils Musterklage.). 2 Euler in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, Kap. 11 Rn 1 (S. 636). 3 BGH VersR 1974, 1016; BGH NJW-RR 1986, 217; KG Schaden-Praxis 2004, 299; OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; OLG Köln Schaden-Praxis 2000, 306 f und VersR 1992, 112; OLG Karlsruhe ZfS 1990, 261; OLG München DAR 1999, 407; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491 und NJW-RR 1989, 1429. 4 BGH VersR 1996, 1565. Balke 223 http://www.nomos-shop.de/10849 8 50. Haushaltsführungsschaden angehörigen oder eine tatsächliche Mitarbeit im Haushalt, die ihr Ehemann und ihr Sohn ohne den Unfall nicht leisten würden, vermag sich daher schon aus Rechtsgründen auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens nicht auszuwirken.“ 5 Sich verändernden Umständen, wie zB einem Wechsel in eine kleinere Wohnung, ist Rechnung zu tragen.5 6 Der verletzungsbedingte dauernde oder zeitweise Verlust der Fähigkeit, weiterhin vollständig oder teilweise Hausarbeiten zu verrichten, ist ein ersatzfähiger Schaden.6 Der Schaden ist messbar an der Entlohnung, die für die verletzungsbedingt in eigener Person nicht mehr ausführbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft gezahlt wird oder gezahlt werden müsste.7 7 Der Haushaltsführungsschaden setzt sich zusammen aus: n dem Wegfall der Fremdbedarfsdeckung (Erwerbsschaden) und n dem Wegfall der Eigenbedarfsdeckung (vermehrte Bedürfnisse) 8 Soweit die Haushaltstätigkeit (einschließlich der Versorgung und Erziehung von Kindern) ein Beitrag zum Familienunterhalt ist, stellt sich der Schaden als Erwerbsschaden im Sinne von § 843 Abs. 1 1. Alt. BGB dar.8 Soweit die Haushaltstätigkeit aber der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dient, gehört der teilweise oder völlige Ausfall dieser Tätigkeit zur Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse im Sinne von § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB.9 9 Die Unterscheidung, ob die Kosten der Haushaltsführung in die Schadengruppe der „vermehrte Bedürfnisse“ oder in die Gruppe des „Erwerbsschaden“ gehören, ist bedeutsam für die Frage, ob und gegebenenfalls auf welchen Sozialversicherungsträger eventuell wegen sogenannter sachlicher Kongruenz ein Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X stattgefunden hat.10 Die Aufteilung des Schadens in einen nicht übergangsfähigen Mehrbedarf und einen übergangsfähigen Erwerbsschaden kann idR nach Kopfteilen der dem Haushalt angehörenden Personen erfolgen.11 III. Schadenberechnung 1. Konkrete Schadenberechnung 10 Bei der Einstellung einer Ersatzkraft bilden die tatsächlich entstandenen Kosten den wesentlichen Ausgangspunkt für die Bestimmung des nach § 249 S. 2 BGB zur Schadensbeseitigung objektiv erforderlichen Geldbetrages. Zu erstatten ist der Bruttolohn. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit der Ersatzkraft richtet sich nach dem Umfang der 5 OLG Hamm NZV 2005, 151; siehe auch Pardey, 4. Aufl. 2010, Rn 2493. 6 BGH VersR 1998, 1387; VersR 1996, 1565; VersR 1989, 1273; VersR 1985, 356; OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; OLG Hamm HV-Info 1993, 346. 7 BGH VersR 1989, 1273; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491. 8 BGH VersR 2002, 188; OLG Koblenz VRS 81, 337; OLG Köln VersR 1994, 1321; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491 und NJW-RR 1989, 1429; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06. 9 BGH VersR 1974, 162; OLG Koblenz VRS 81, 337; OLG Rostock ZfS 2003, 233; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 35, Rn 1 mwN. 10 BGH DAR 1997, 66; Wessels ZfS 2010, 183. 11 BGH VersR 1985, 356; LG Frankfurt/Oder DAR 2008, 29; Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 3. Aufl. 2009, Kap. 7 Rn 5 f mit Beispielen zur Verteilung. 224 Balke http://www.nomos-shop.de/10849 50. Haushaltsführungsschaden 8 Tätigkeit der verletzten Person vor dem Unfall. Es kommt darauf an, welche Arbeitsleistung die Hausfrau/Hausmann ohne den Unfall tatsächlich erbracht hätte.12 Insoweit besteht also ein Gegensatz zu § 844 Abs. 2 BGB, wo es auf den rechtlich geschuldeten Unterhalt ankommt. Um den genauen Umfang zu ermitteln, ist daher ausführlich die haushaltsspezifische Rollenverteilung innerhalb der Familie zu klären und der auf die einzelnen Familienmitglieder entfallende Umfang der Haushaltsarbeit festzustellen.13 Die Mithilfepflicht von Familienangehörigen kann daher nur insofern berücksichtigt werden, als diese Hilfe tatsächlich vor dem Unfall erbracht wurde.14 Zur Arbeit im Haushalt gehören auch Reparatur- und Unterhaltungsarbeiten am Haus, Wohnung und Hausrat sowie Gartenarbeit.15 Kein Anspruch auf Einstellung einer Ersatzkraft besteht beispielsweise, wenn der Verletzte keine oder nur geringfügige Leistungen (Fahrten, Hausaufgabenüberwachung der Kinder) erbracht hat,16 etwa wenn verletzungsunabhängige Putzhilfen oder Kinderbetreuer eingesetzt wurden.17 Leistet die Ersatzkraft mehr als die verletzte Person oder war sie sogar überqualifiziert, sind die Kosten der Ersatzkraft nur anteilig zu ersetzen. Ist die Ersatzkraft in einem geringeren Umfang als der Verletzte tätig, können die Kosten der Ersatzkraft auf Bruttolohnbasis und der nicht durch die Ersatzkraft ausgeglichene Ausfall fiktiv auf Nettolohnbasis abgerechnet werden. War die eingestellte Ersatzkraft weniger qualifiziert und somit auch geringer entlohnt, kann sich ein fiktiver Anspruch auf Haushaltsführungsschaden dann ergeben, wenn ein vermehrter Einsatz der Restfamilie erforderlich geworden ist.18 2. Fiktive Schadenberechnung Wird der Ausfall oder die Behinderung des Verletzten durch Mehrarbeit der Familien- 11 mitglieder, unentgeltliche Hilfeleistungen Dritter oder überobligatorische Anstrengungen des Verletzten selbst aufgefangen und somit keine Ersatzkraft eingestellt, können die Kosten für die Fortführung des Haushalts normativ berechnet werden. Dies obwohl ein Schaden nicht entstanden ist. Gleichwohl wird nach dem Prinzip des normativen Schadenbegriffs eine fiktive Entschädigung zuerkannt. Erstattungsfähig ist allerdings lediglich der Nettolohn.19 12 BGH VersR 1974, 1016; OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491; OLG Frankfurt/M. VersR 1982, 981 und DAR 1988, 24; OLG Stuttgart VersR 1977, 1038. 13 OLG Brandenburg Schaden-Praxis 2008, 46. 14 BGH VersR 1974, 1016. 15 BGH VersR 1989, 857; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06. 16 OLG Hamm, Urteil vom 20.1.2006 – 9 U 169/04; vgl auch LG Essen, Urteil vom 5.5.2004 – 11 O 10/02: „Die Zeugin B hat bekundet, der Kläger habe lediglich teilweise den Haushalt geführt, den anderen Teil habe die Großmutter erledigt. Der Kläger sei manchmal einkaufen gegangen, habe allerdings im Wesentlichen Fernsehen geguckt. Er habe den ganzen Tag zuhause gesessen oder gelegen. Im Haushalt habe der Kläger „eigentlich nichts“ gemacht. Insgesamt sei der Kläger im Haushalt etwa 1 Stunde tätig gewesen.“ 17 BGH NZV 1990, 21; Pardey, Berechnung von Personenschäden, Rn 1064, 1066. 18 Vgl Schulz-Borck/Pardey, Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 7. Aufl. 2009, S. 63 f. 19 BGH VersR 1992, 618; BGH NJW-RR 1990, 34; OLG Brandenburg Schaden-Praxis 2008, 46; OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; OLG Schleswig ZfS 1995, 10; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491; LG Saarbrücken ZfS 1997, 412; Pardey DAR 2006, 671, 674. Balke 225 http://www.nomos-shop.de/10849 8 50. Haushaltsführungsschaden 12 Die Höhe des Schadens kann nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls geschätzt werden.20 Hilfe bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens gibt das sog. Münchener Modell.21 Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die in dem Werk von Schulz-Borck/Pardey22 enthaltene Tabelle 1, in der der Arbeitszeitbedarf in Haushalten bis sechs Personen in Stunden/Woche in vier Anspruchsstufen dargestellt wird, sowie die Tabelle 8, in der der Arbeitszeitaufwand im Haushalt in Stunden/Woche insgesamt und seine Verteilung auf die Haushaltspersonen absolut und in vH wiedergegeben werden.23 13 Weitere Methoden zur Ermittlung des Haushaltsführungsschadens sind das sog. „Hohenheimer Verfahren“24 sowie die analytische Arbeitsbewertungsmethode nach REFA25 (Verband für Arbeitsstudien und Betriebsorganisation). 14 Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens erfolgt in folgender Reihenfolge:26 a) Ermittlung des tatsächlichen Arbeitszeitaufwandes des Verletzten vor dem Schadensereignis b) Ermittlung des Ausmaßes der Behinderung für die Haushaltstätigkeit c) Ermittlung des Vergütungsbetrages a) Ermittlung des tatsächlichen Arbeitszeitaufwandes 15 Zunächst ist die Zeit zu ermitteln, die objektiv für eine Fortsetzung der Haushaltsführung im bisherigen Umfang erforderlich ist. Dabei wird der Arbeitsumfang vor dem Unfall maßgeblich durch die Anzahl der Familienmitglieder, deren Alter, der Größe und Ausstattung der Wohnung und dem allgemeinen Lebenszuschnitt bestimmt. Zur Darlegung und zum Beweis des Umfangs kann sich die verletzte Person auf die Beweiserleichterung des § 287 ZPO berufen.27 Vielfach angebotene Aussagen von Verwandten, Nachbarn oder Hausärzten helfen in der Regel für die Bewertung nicht weiter. 16 Um den zeitlichen Umfang des Ausfalls im Haushalt festlegen zu können, ist bei teilweiser Beeinträchtigung eigentlich ein entsprechendes ärztliches oder arbeitsmedizinisches Gutachten erforderlich.28 17 Die Einzelfallprüfung, das haushaltsanalytische Gutachten, gibt aber nur sehr vordergründig den konkret eingetretenen Haushaltsführungsschaden wieder. Es kann in aller Regel nicht realistisch konstruieren, wie der Haushalt vor dem Unfall organisiert war. Das haushaltsanalytische Gutachten „lebt“ von den subjektiven Angaben des betrof20 BGH DAR 2009, 263 f; OLG Schleswig ZfS 2009, 259, 262 f; OLG Celle Schaden-Praxis 2008, 7 f; OLG Brandenburg Schaden-Praxis 2008, 46; OLG Düsseldorf VersR 2000, 63; LG Braunschweig VersR 2007, 1584. 21 Siehe Ludwig „Schadenersatz bei verletzungsbedingtem Ausfall der Hausfrau“, DAR 1991, 401, welches sich auch bei Schulz-Borck/Pardey, Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 7. Aufl. 2009, S. 63 f, wiederfindet; Ludolph „Schadensersatz der verletzten Hausfrau/ des verletzten Hausmannes“, Schaden-Praxis 2004, 404 ff. 22 Bis zur 6. Aufl. Schulz-Borck/Hofmann. 23 Zur Abgrenzung von Tabelle 1 zu Tabelle 8 siehe Küppersbusch, 10. Aufl. 2010, Rn 193 mit Fn 458. 24 Siehe dazu Landau in 27. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1989, S. 207 bis 224; Landau/Imhof-Gildein DAR 1989, 166 f; Landau/Imhof-Gildein, Das Hohenheimer-ADAC-Verfahren zur arbeitswissenschaftlichen Bewertung der Haushaltsarbeit, 1988; Kuhn in FS für C. Eggert, S. 301, 314 ff. 25 Siehe dazu Warlimont ZfS 2007, 431 f. 26 Vgl OLG Oldenburg Schaden-Praxis 2001, 196. 27 BGH VersR 1992, 618; OLG Brandenburg Schaden-Praxis 2008, 46; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491. 28 Siehe auch Delank, Deutsches Ärzteblatt 1998, 91. 226 Balke http://www.nomos-shop.de/10849 50. Haushaltsführungsschaden 8 fenen Geschädigten.29 Auch die Aussagen sonstiger Zeugen (zB Nachbarn, Freunde) sind mit besonderer Vorsicht zu bewerten. Zur Ermittlung des zeitlichen Arbeitsaufwandes sollte daher im Regelfall auf die Ta- 18 belle 1 bei Schulz-Borck/Pardey zurückgegriffen werden.30 Lassen sich die in der Tabelle enthaltenen Zeitangaben nicht auf den konkret betroffenen Haushalt übertragen, ist eine Ermittlung im Einzelfall durchzuführen, wobei die typische zeitliche Mitarbeit von Familienmitgliedern zu berücksichtigen ist. b) Ermittlung der konkreten haushaltsspezifischen Beeinträchtigung Bei teilweisem Ausfall im Haushalt muss der Umfang des Schadens konkret unter Be- 19 rücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden.31 Es ist insoweit die konkrete Beeinträchtigung in der Haushaltsführung ( haushaltsspezifische Beeinträchtigung) zu ermitteln. c) Ermittlung des Vergütungsbetrages Für die Bezahlung der Ersatzkräfte bieten die ortsüblichen Stundenlöhne und Gehälter 20 der Tarifverträge Anhaltspunkte.32 Vielfach wird auch auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD; früher BAT) zurückgegriffen oder der Stundenlohn gemäß § 287 ZPO geschätzt ( Stundenlohn beim Haushaltsführungsschaden). d) Dauernder oder zeitweiser Ausfall in der Haushaltsführung Zu einem dauernden und völligen Ausfall des Haushaltsführenden wird es nur in den 21 seltensten Fällen kommen. Zu denken wäre insoweit lediglich an die Fälle schwerer Hirnverletzungen oder Querschnittlähmungen ab dem Halswirbel. In allen anderen Fällen eines zeitweiligen Ausfalls ist zu beachten, dass sich im Verlauf 22 der Genesung des Geschädigten unterschiedliche Beeinträchtigungen ergeben können. Es ist daher eine Differenzierung nach unterschiedlichen Zeitabschnitten erforderlich. 3. Schadenminderungspflicht Bei der Ermittlung eines Haushaltsführungsschadens ist die dem Geschädigten oblie- 23 gende Schadenminderungspflicht zu berücksichtigen ( Schadenminderungspflicht). 29 Dr. med. Ludolph, Haushaltsführungsschaden in der Haftpflichtversicherung – rechtliche Grundlagen – Anhaltspunkte für die Bewertung aus ärztlicher Sicht, MedSach 100 (2004), 148 f. 30 Küppersbusch, 10. Aufl. 2010, Rn 193; beachte auch dort Fn 458 zur Abgrenzung von Tabelle 1 zu Tabelle 8 bei Schulz-Borck/Pardey; pro Tabelle 1: KG, Urteil vom 26.7.2010 – 12 U 77/09 mit Bespr. von Balke SVR 2011, 100 f; OLG Celle, Urteil vom 6.10.2010 – 14 U 55/10 mit Bespr. von Balke SVR 2011, 149; OLG Celle SP 2008, 7; OLG München, Beschluss vom 21.7.2006 – 10 U 2638/06; pro Tabelle 8: OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; OLG Rostock ZfS 2003, 233; OLG Köln SP 2000, 306; KG, Urteil vom 5.6.2008, 12 U 188/04. 31 OLG Celle Schaden-Praxis 2008, 7 f; OLG Rostock ZfS 2003, 233. 32 Ausführlich mit Tabellen Nickel/Schwab SVR 2010, 11 f; SVR 2009, 286 f und SVR 2007, 17 f; OLG Dresden Schaden-Praxis 2008, 292; OLG Schleswig, Urteil vom 7.9.2007 – 4 U 105/06 und OLG Schleswig, Urteil vom 28.9.2007 – 4 U 34/06; OLG Frankfurt/Main OLGR 2009, 131 f mit Bespr. von Balke in SVR 2009, 223 f; Bachmeier, Das Mandat in Verkehrszivilsachen, Rn 242, 244; Böhme/Biela, Kraftverkehrs-HaftpflichtSchäden, D III, D193; Pardey, 4. Aufl. 2010, Rn 2640 f; Geigel, 25. Aufl. 2008, Kap. 4, Rn 147; Himmelreich/ Halm, Handbuch der Kfz-Schadenregulierung, Teil II, O III. Rn 101 (S. 861); Roth, Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2009, D § 3 Rn 153.f; unklar Greger, § 28 Rn 134; ablehnend Schah Sedi ZfS 209, 610, 611.f, 613. Balke 227 http://www.nomos-shop.de/10849 8 51. Haushaltsspezifische Beeinträchtigung 4. Mitverschulden 24 Trifft den Haushaltsführenden bei der Schadenentstehung ein Mitverschulden, so ist dieses zu berücksichtigen. Bei der errechneten Endsumme des Haushaltsführungsschadens ist ein dem Mithaftungsanteil entsprechender anteilsmäßiger Abzug vorzunehmen.33 5. Dauer des Erstattungsanspruchs 25 In erster Linie richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Erstattung des Haushaltsführungsschadens nach der Dauer der festgestellten haushaltsspezifischen Beeinträchtigung ( Dauerbeeinträchtigung der Haushaltsführung). 6. Vorteilsausgleich 26 Im Rahmen des Vorteilsausgleichs sind Krankengeldzahlungen, eine Erwerbsminderungsrente, Verletztengeld bzw eine Verletztenrente sowie Pflegeleistungen auf den Anspruch auf Erstattung eines Haushaltsführungsschadens anzurechnen ( Vorteilsausgleich – Eigenersparnis). 51. Haushaltsspezifische Beeinträchtigung 1 Bei teilweisem Ausfall im Haushalt muss der Umfang des Schadens konkret unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden.1 Keinesfalls kann einfach aus dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wie er in Arztberichten und Gutachten angegeben wird, auch auf den Grad der Beeinträchtigung bei der Haushaltsführung geschlossen werden. Die abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), ein Wert aus dem Sozialversicherungsrecht, hat keine Aussagekraft für den Umfang des Schadenersatzes.2 So kann die Beeinträchtigung im Haushalt durchaus geringer sein als die Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Andererseits ist es aber auch genauso denkbar, dass im Einzelfall ein geringerer Grad der Erwerbsminderung vorliegt und der Verletzte dennoch gänzlich außerstande ist, den Haushalt und sich selbst zu versorgen. Es spielen insoweit die Einzelheiten der erlittenen Verletzungen und die daraus resultierenden Behinderungen gerade im Haushalt (haushaltsspezifische Beeinträchtigung) die entscheidende Rolle. 2 Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens genügt es materiell nicht, abstrakt auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hinzuweisen. Insbesondere ist die konkrete Lebenssituation darzustellen, um gemäß § 287 ZPO ermitteln zu können, nach welchen 33 Fleischmann/Hillmann, Das verkehrsrechtliche Mandat, Rn 327. 1 OLG Celle Schaden-Praxis 2008, 7 f; OLG Rostock ZfS 2003, 233. 2 KG NZV 2007, 43 LS und NZV 2005, 92 f; OLG Koblenz VersR 2004, 1011; OLG Hamm VersR 2002, 1430 und NJW-RR 1995, 599; OLG Köln Schaden-Praxis 2000, 306 und 336; OLG Frankfurt/M. VersR 1982, 981; OLG München, Urteil vom 1.7.2005 – 10 U 2544/05 mit Bespr. von Quarch in SVR 2006, 180 f; LG Dortmund Schaden-Praxis 2010, 290; LG Berlin Schaden-Praxis 1996, 170; LG Kleve Schaden-Praxis 2004, 230; AG Krefeld Schaden-Praxis 1996, 44; LG Saarbrücken ZfS 2006, 500 f; Pardey DAR 2006, 671 f; ders. DRiZ 2004, 48, 51; Hillmann III ZfS 1999, 229 f. 228 Balke http://www.nomos-shop.de/10849 51. Haushaltsspezifische Beeinträchtigung 8 wesentlichen Auswirkungen auf die Hausarbeit und nach welchem Haushaltstyp3 sich der Haushaltsführungsschaden berechnen lässt.4 Insoweit ist die Meinung des OLG Düsseldorf5 abzulehnen, das mangels konkreter Angaben des Klägers einen Mindestbetrag gemäß § 287 ZPO geschätzt hat. Um den Umfang der körperlichen Beeinträchtigung festzustellen, muss der Geschädigte vortragen und gegebenenfalls beweisen, welche konkreten Beeinträchtigungen ihn daran hindern, bestimmte Haushaltstätigkeiten auszuüben und im welchem Umfang die Arbeiten zuvor von ihm erledigt wurden.6 Es genügt nicht, wenn pauschal auf einen „Durchschnittstabellenwert“ verwiesen und die sich danach ergebende Stundenzahl nachträglich mit einzelnen Tätigkeiten aufgefüllt wird.7 Eine Hilfe zur Berechnung der konkreten Behinderung bieten die von Reichenbach und 3 Vogel entworfenen Tabellen, die als Tabellen 6 und 7.1 bzw 7.2 bei Schulz-Borck/ Pardey eingearbeitet sind.8 Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens anhand des Tabellenwerks von Schulz-Borck/Pardey ist in der Rechtsprechung anerkannt.9 Die Tabellen sind jedoch kritisch unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls zu 4 betrachten. Denn bei den Tabellenwerten handelt es sich um Erfahrungswerte, die die Schadenschätzung vereinfachen sollen. Die Tabellen stellen auf den Endzustand einer Verletzung ab, also auf den Dauerschaden. Sie berücksichtigen nicht den dynamischen Prozess im Rahmen eines Heilverlaufs. Sind den Tabellen die im konkreten Fall eingetretenen Verletzungsfolgen nicht zu ent- 5 nehmen, dies gilt insbesondere für die häufig im Zusammenhang mit Verkehrunfällen gestellte Diagnose des „HWS-Schleudertrauma“, „HWS-Syndrom“ bzw der „HWSDistorsion“, sind vergleichbare Beeinträchtigungen heranzuziehen. Bei einem leichten „HWS-Syndrom“ kann jedoch zweifelhaft sein, ob überhaupt ein 6 Haushaltsführungsschaden eingetreten ist.10 Denn Voraussetzung für einen Haushalts3 LG Bochum, Urteil vom 11.2.2010 – I-3 O 454/07 „Nach Ansicht der Kammer müssen von der Kl. zumindest die Umstände vorgetragen werden, die einer Einordnung in die unterschiedlichen Haushaltstypen der sog. Tabellen überhaupt erst möglich machen (Größe des Haushalts? Wohnung oder Haus? Garten? Zahl und Alter der Kinder?).“ 4 OLG Koblenz Schaden-Praxis 2006, 6 f und VersR 2004, 1011; OLG München, Urteil vom 1.7.2005 – 10 U 2544/05 mit Besprechung von Quarch in SVR 2006, 181; OLG Brandenburg, Urteil vom 8.3.2007 – 12 U 154/06; KG NZV 2007, 43 LS; OLG Celle Schaden-Praxis 2007, 428 f mit Besprechung von Schröder in SVR 2007, 147 f; LG Saarbrücken ZfS 2006, 500 f; LG Baden-Baden, Urteil vom 29.2.2008 – 2 O 257/06; LG Köln DAR 2008, 388; AG Hamburg Schaden-Praxis 2009, 325. 5 OLG Düsseldorf VersR 2004, 120; aA OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06. 6 LG Kleve Schaden-Praxis 2004, 230; so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06; LG Köln DAR 2008, 388. 7 OLG Celle, Urteil vom 20.1.2010 – 14 U 126/09. 8 OLG Köln Schaden-Praxis 2000, 306 f. 9 BGH DAR 2009, 263 mit Bespr. von Lang in SVR 2009, 222 f; Brandenburgisches OLG VersR 2010, 1046 f; OLG Rostock ZfS 2003, 233; OLG Oldenburg Schaden-Praxis 2001, 196; BGH NJW 1988, 1783; OLG Düsseldorf DAR 1988, 24; OLG Frankfurt/M. VersR 1982, 981. 10 Vgl AG Köln Schaden-Praxis 1996, 171; LG Hamburg Schaden-Praxis 2001, 164; AG Hamburg SchadenPraxis 2009, 324; AG Düren Schaden-Praxis 2007, 209 f.; siehe auch AG Aachen, Urteil vom 22.10.2003 – 14 C 290/02: „Nicht als bewiesen angesehen werden kann unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch die Behauptung der Klägerin, sie sei aufgrund bei dem Verkehrsunfall erlittener Verletzungen (Anm.: HWS- und LWS-Distorsion) außerstande gewesen, ihren Haushalt zu führen. Auch der Zeuge M hat bei seiner Vernehmung lediglich davon berichtet, dass die Klägerin in den beiden Wochen nach dem Unfall erhebliche Probleme gehabt habe, ihre alltäglichen Dinge zu erledigen. Dies lässt im Umkehrschluss zu, dass es der Klägerin letztlich durchaus möglich war, ihre Aufgaben in Haushalt und Garten im üblichen Umfang wahrzunehmen. Balke 229 http://www.nomos-shop.de/10849 8 51. Haushaltsspezifische Beeinträchtigung führungsschaden ist eine konkrete, spürbare und nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung der Haushaltsführung, die in der Qualität einem Erwerbsschaden gleichkommt.11 Dies dürfte bei einer lediglich eingetretenen Zahnverletzung12 oder einer einfachen „HWS-Distorsion“, die in aller Regel lediglich zu geringen und kurzzeitigen Beeinträchtigungen im Schulter/Nacken-Bereich führt, zumindest zweifelhaft sein. Auch bei einer unfallbedingten psychischen Erkrankung, die zu einer Antriebsschwäche des Geschädigten führt, ist in der Regel kein Haushaltsführungsschaden gegeben.13 7 Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Schadenminderungspflicht der Geschädigte verpflichtet ist, durch vernünftige und zumutbare Arbeitseinteilung und Organisation des Arbeitsablaufs den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört auch, dass geringfügige und zumutbare Unterstützung des nicht den Haushalt führenden Partners in Anspruch genommen wird. Solche kleinen Hilfeleistungen haben noch nicht den Charakter einer echten, überobligatorischen Mehrarbeit der Familienangehörigen, die dem Schädiger nach ständiger Rechtsprechung nicht zugute kommen soll.14 Gleiches gilt für die im üblichen Rahmen bleibenden familiären oder freundschaftlichen Hilfeleistungen von Angehörigen oder Freunden, die nicht einem objektivierbaren Marktwert entsprechen.15 8 Allgemein kann man davon ausgehen, dass die prozentuale Beschränkung in der Haushaltsführung in der Regel immer unterhalb der prozentualen Minderung der Erwerbsfähigkeit liegen wird.16 9 Nach verbreiteter Ansicht in der Rechtsprechung17 ist bis zu einer abstrakten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % von keiner haushaltsspezifischen Behinderung auszugehen. Dies beruht darauf, dass die Arbeit im Haushalt besser als die Arbeit in der Berufstätigkeit auf eine Verletzung bzw auf verletzungsbedingte Folgen eingestellt und angepasst werden kann, so dass lediglich die Arbeiten, die man auf keinen Fall verrichten kann, von anderen oder von Hilfskräften wahrgenommen werden müssen.18 Einschränkungen beim Tragen schwerer Lasten und bei Überkopfarbeiten sind kompensierbar, wenn diese Tätigkeiten schon vor dem Unfall überwiegend vom Ehepartner übernommen wurden.19 11 12 13 14 15 16 LG Baden-Baden, Urteil vom 29.2.2008 – 2 O 257/06. OLG Naumburg Schaden-Praxis 2007, 354 f. OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.10.2008 – 4 U 454/07 mit Bespr. von Balke in SVR 2009, 307 f. AG Göttingen Schaden-Praxis 2001, 236. OLG Brandenburg, Urteil vom 8.3.2007 – 12 U 154/06. Siehe Ludwig DAR 1991, 401 f; Himmelreich/Halm, Handbuch der KfZ-Schadenregulierung, Teil II, O III. Rn 97 (S. 859). 17 KG VersR 2006, 661 und VersR 2005, 237; OLG Hamm Schaden-Praxis 2001, 376; OLG Köln SchadenPraxis 2000, 336; OLG Nürnberg ZfS 1983, 165; OLG München VersR 1971, 1069; LG Aachen NZV 2003, 137 mit Bespr. Balke PVR 2003, 28 f; LG Mannheim Schaden-Praxis 2008, 143 f; LG Itzehoe Schaden-Praxis 1997, 248; LG Kaiserslautern VersR 1979, 633; LG Saarbrücken, Urteil vom 5.8.1999 – 4 O 93/97; nach LG Hanau, Urteil vom 23.7.2009 – 4 O 820/06 ist sogar eine haushaltsspezifische MdE von nicht mehr als 20 % in der Regel unbeachtlich und begründet keinen ersatzfähigen Haushaltsführungsschaden. 18 LG Itzehoe Schaden-Praxis 1997, 248; OLG Köln, Urteil vom 28.4.1997 – 5 U 210/96: „Für die vierte Woche gibt es keinen Schadenersatz, weil die Klägerin mit einer geschätzten 15%igen Einschränkung praktisch kaum noch beeinträchtigt war und durch entsprechende Organisierung ihres Haushaltes für entsprechende Entlastung hätte sorgen können“. 19 LG Bochum r + s 2010, 481 f. 230 Balke http://www.nomos-shop.de/10849 52. Haushaltstätigkeiten 8 Eine andere Meinung20 siedelt diese Geringfügigkeitsgrenze erst bei 10 % an.21 Erst 10 dann ist die Beeinträchtigung so gering, dass der Geschädigte sie durch angemessene, unschwer mögliche und die Lebensführung kaum beeinträchtigende Dispositionen auffangen kann. Die Geringfügigkeit ist bei jeder Haushaltstätigkeit gesondert zu prüfen. Bei einem Mehrbedarf von 10 % kann die Beeinträchtigung außer Ansatz bleiben.22 Das OLG Celle23 hält den Erfahrungssatz, dass eine Erwerbsminderung von 20 % und 11 weniger keine praktischen Auswirkungen auf die Haushaltsführung hätte, für widerlegbar. 52. Haushaltstätigkeiten Unter Haushaltsführung ist die gesamte unentgeltliche Arbeit im Haushalt zu verstehen. 1 Unter hauswirtschaftliche Aufgaben im engeren Sinne fallen insbesondere folgende Tätigkeiten:1 n Planen und Organisieren des Haushalts n Einkaufen von Lebensmitteln und Beschaffen der für den Haushalt notwendigen Güter des täglichen Lebens n Zubereitung der Mahlzeiten n Spülen und Säubern des Geschirrs n Reinigung der Wohnung n Aufräumen der Wohnung n Wechseln und Waschen der Wäsche und der Kleidung n Instandhaltung der Wäsche und Kleidung n Betreuung anderer Familien- oder Haushaltsmitglieder (zB Kinder, Eltern, Großeltern)2 n Tierhaltung n Sonstige kleinere häusliche Tätigkeiten Daneben kommen aber auch noch Haushaltstätigkeiten im weiteren Sinne in Be- 2 tracht.3 Dazu zählen zB: n Gartenarbeit (Rasen mähen, Hecken schneiden, Fällen von Bäumen, Umgraben von Beeten usw.)4 n Reparaturen (anstelle der Vergabe der Arbeiten an Handwerker)5 20 OLG Rostock ZfS 2003, 233; OLG München ZfS 1994, 48; OLG Oldenburg VersR 1993, 1491; LG Mühlhausen, Urteil vom 31.5.2000 – 3 O 574/99; OLG Karlsruhe OLGR 1998, 213 f: „Bei einem Behinderungsgrad von unter 10 % ist regelmäßig von einer derartigen Kompensationsmöglichkeit auszugehen“. 21 Muster für Klagevortrag siehe bei Janeczek in: Roth, Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2009, D § 3 Rn 158. 22 LG Landshut Schaden-Praxis 2010, 430; LG Braunschweig VersR 2007, 1584 f. mit Bespr. von Lang in SVR 2007, 99 f; LG Kaiserslautern, Urteil vom 19.5.2006 – 2 O 333/01. 23 OLG Celle ZfS 2005, 434. Angesichts des erheblichen Missverhältnisses zwischen den geschilderten Beeinträchtigungen in der Haushaltsführung und der MdE von lediglich 15 % sind jedoch Zweifel an der Plausibilität des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens angebracht; OLG Celle Schaden-Praxis 2007, 428 f und Schaden-Praxis 2008, 7 f (ebenfalls jeweils haushaltsspezifische MdE von 15 %). 1 Vgl Pardey, Berechnung von Personenschäden, 4. Aufl. 2010, Rn 2474, 2475; Pardey DAR 2006, 671 f; BGH VersR 1988, 490 f; Pardey/Schulz-Borck DAR 2002, 289 f. 2 OLG Köln Schaden-Praxis 2010, 180 f: „Pflege der schwerbehinderten Ehefrau“. 3 BGH VersR 1988, 490 f; Pardey, 4. Aufl. 2010 Rn 2478. 4 BGH NZV 1989, 387; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2007 – I-1 U 206/06. 5 BGH 1989, 857; OLG München ZfS 1994, 48; LG Saarbrücken ZfS 2006, 500 f. Balke 231