Rizinus-Öl - Gesundheit

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Rizinus-Öl - Gesundheit
Rizinus-Öl,
ein altes und umstrittenes Hebammenmittel
Bachelor Thesis
Janine Studer
Patricia Arnold
Berner Fachhochschule
Fachbereich Gesundheit
Studiengang BSc Hebamme
Bern, 09. August 2010
Rizinusöl
INHALTSVERZEICHNIS
1
Abstract ........................................................................................................... 4
2
EINLEITUNG .................................................................................................... 5
3
4
5
6
7
8
2.1
Das alte Hebammenrezept ................................................................... 5
2.2
Rizinusöl in den Lehrbüchern............................................................... 6
Zielsetzung, Fragestellung Und Eingrenzung............................................... 7
3.1
Zielsetzung .............................................................................................. 7
3.2
Fragestellungen: ..................................................................................... 7
3.3
Eingrenzung ............................................................................................ 7
Grundlagen ..................................................................................................... 8
4.1
Wissenschaftliche Literatur zum Rizinus-Cocktail ............................ 8
4.3
Geburtsauslösung und Wehenbeginn .............................................. 10
4.4
Das Rizinusöl – ein Phytotherapeutikum ........................................ 11
4.5
Der Wehen-Cocktail und die Einnahme ........................................... 12
4.6
Der Alkohol im Cocktail ....................................................................... 13
4.7
Wirkt er denn – der Rizinus-Cocktail? .............................................. 13
4.9
Kompetenzen der Hebammen ........................................................... 16
4.10
Darf die Hebamme Rizinusöl verordnen oder empfehlen? ......... 17
METHODE.......................................................................................................19
5.1
Arbeitsfeld der freipraktizierenden Hebamme ................................. 19
5.2
Methode der Datenerhebung ............................................................. 20
5.3
Methode der Datenauswertung.......................................................... 22
5.4
Methode der Implementierung ........................................................... 22
ERGEBNISSE .................................................................................................23
6.1
Arbeitssetting der freipraktizierenden Hebammen ......................... 23
6.2
Evaluation und Rücklaufquote der Fragbogen ................................ 25
6.3
Beschreibung der Befragten ............................................................... 26
6.4
Kategorisierung der Ergebnisse der offenen Fragen ..................... 26
Diskussion .....................................................................................................44
7.1
Diskussion der empirischen Erhebung und der Literatur............... 44
7.2
Diskussion der Implementierung und Projektplanung .................... 49
Schlussfolgerung ..........................................................................................52
8.1
9
Empfehlungen für die Praxis .............................................................. 52
Literaturverzeichnis .......................................................................................54
2
Rizinusöl
10
Abbildungsverzeichnis..................................................................................59
11
Abkürzungsverzeichnis.................................................................................60
12
ANHANG .........................................................................................................61
12.1
Praxisinstrument Merkblatt ................................................................ 61
3
1
ABSTRACT
Einleitung: Die Gabe von Rizinusöl hat eine lange Tradition. Mit zunehmender
Technisierung der Geburt ist die Anwendung in Vergessenheit und in Verruf geraten,
aber heute wird der Rizinus-Cocktail wieder vermehrt thematisiert. Meist wird das Öl im
ausserklinischen Bereich angewendet, darum stellen sich die Fragen: Wann empfehlen
die freipraktizierenden Hebammen den Rizinus-Cocktail und welche Erfahrungen
machen sie? Welche Evidenzen können aus der Literatur herausgearbeitet werden?
Welche Handlungsempfehlungen können für die Praxis gemacht werden? Das Ziel
dieses Praxisprojektes ist, die Ergebnisse in Form eines Algorithmus darzustellen,
welcher in die Praxis implementiert werden kann.
Methode: Das Design war eine Survey. Es wurden Fragebogen an 135
deutschsprechende freipraktizierende Hebammen in der Schweiz, welche Haus-,
Beleg-, oder Geburtshausgeburten begleiten und dem Berufsverband angehören,
verschickt. Diese wurden in Balkendiagrammen ausgewertet. Die Implementierung
erfolgt in einer bestehenden Intervisionsgruppe von freipraktizierenden Hebammen.
Ergebnisse: 78 Fragebogen konnten ausgewertet werden. 60 Befragte wenden den
Rizinus-Cocktail an, im Gegensatz zu 18 Befragten, die den Cocktail nicht anwenden.
Die meistgenannte Indikation ist die Terminüberschreitung. Keine der Hebammen hat
eine Uterusruptur oder eine vorzeitige Plazentalösung erlebt. Eine höhere Anzahl von
mekoniumhaltigem Fruchtwasser wurde beschrieben, wobei hier nicht mit Sicherheit
gesagt werden kann ob dies aufgrund des Rizinusöls aufgetreten ist.
Schlussfolgerung: Die Wirkung des Rizinusöls wurde mit Studien von Knauss et al
(2007), Schilcher (2007) und Azahri et al (2006) nachgewiesen. Auch die Ergebnisse
der Befragung zeigen dass, wenn eine Indikation besteht, Kontraindikationen
ausgeschlossen wurden, der Bishop- Score über 6 ist, die Frau informiert entscheiden
kann, das Rezept mit Aprikosensaft und Alkohol gemischt wird und die Einnahme zu
Parasympathikus-Zeiten erfolgt, die Geburtsauslösung mit Rizinus-Cocktail eine
adäquate alternative Methode zur Geburtsauslösung sein kann.
Es wurde ein Algorithmus entwickelt welcher die Praxis unterstützen soll die genannten
Kriterien zu beachten und einzuhalten, dieser kann in die Praxis implementiert werden.
Schlüsselwörter: Rizinus-Cocktail, Anwendung Rizinus-Cocktail, freipraktizierende
Hebammen, Wehenauslösung
Rizinusöl
2
EINLEITUNG
2.1
Das alte Hebammenrezept
Tinkturen, Öle und Salben sind die ältesten und treuesten Begleiter der Hebammen.
Die meisten Hebammen trugen einen Beutel (Rösslin, 1513) mit Kräutern bei sich. Die
Kenntnisse über deren Wirkung war immer ein Teil der Hebammentradition. Dies kann
auch mit der Berufsbezeichnung in Verbindung gebracht werden. Laut Strack (2006)
unterstreicht der Name „Hebamme“ eine kulturelle und spirituelle Bedeutung. Die
Übersetzung „Hebamme“ in der holländischen, englischen und französischen Sprache
ist sinnhaft für „weise Frau“, in Norwegen bedeutet „Hebamme“ so viel wie
Erdenmutter. Die Geschichte zeigt also die Verbundenheit mit Naturheilmitteln der
Hebammen. Auch Tew (2007) beschreibt die Geburt als Frauensache. Ebenfalls
erwähnt sie dass viele Hebammen sehr kräuterkundig waren. Dieses Wissen wurde
von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Die Hebammen sahen sich
gezwungen, die Kräuter heimlich zu verabreichen, denn es sollte nicht der Verdacht
entstehen, als Kräuterhexe zu arbeiten. Die Wirkungsweise der Kräuter wurde kaum
dokumentiert. Zu gross war die Angst vor der
vom Katholizismus geprägten
Hexenverfolgung (I. Stadelmann, persönliche Mitteilung, 25. Mai 2010). Die Wandlung
des Hebammenberufes vollzog sich im 20. Jahrhundert und wird von Tew (2007) und
Strack (2006) als paradox beschrieben. Die Ausbildung wurde nun von männlichen
Geburtshelfern übernommen. Rockstaub (zitiert in Strack, 2006) äusserte, dass durch
diese Entwicklung die Hebammenkunst zum Entbindungshandwerk verkam. Es
entwickelte sich eine Geburtsmedizin und so gebären heute in der Schweiz rund 97%
der Frauen im Spital. Wagner (2001) beschreibt, dass es bis zum jetzigen Zeitpunkt
nicht gelungen ist, die Vorteile der medikalisierten und technischen Geburt zu nutzen,
ohne dass es zu geburtshilflichen Exzessen führt. Information und Bildung wird als
erste mögliche Lösungsstrategie erwähnt (Wagner, 2001), was auch die Statistik des
Hebammenverbandes Schweiz stützt. Im Jahr 2008 gab es in der Schweiz 3347
Geburten (von gesamt 76„691 Geburten), welche von Hebammen im Spitalexternen
oder im Belegsystem begleitet wurden. Die Bildung der ausserklinisch betreuten
Frauen liegt im Niveau Fachausweis bis höhere Fachausbildung. Der Trend in der
Geburtshilfe geht langsam wieder Richtung natürliche Gesundheit, Work-Life-Balance
und Eigenverantwortung (I. Stadelmann, persönliche Mitteilung, 25. Mai 2010).
Immerhin 33% von 31„000 befragten Menschen in Deutschland („statistica“, n.d.)
achten bei einer Medikamenteneinnahme wieder vermehrt auf natürliche Alternativen.
Stadelmann (2007) und Schilcher, Kamerer & Wegener (2007) bestätigen, dass in der
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Rizinusöl
heutigen Gesellschaft das Interesse an Naturheilmitteln wieder steigt. Mit dieser
steigenden Beliebtheit von Naturheilmitteln wird die Hebamme wieder vermehrt mit der
Frage nach dem Wehen-Cocktail mit Rizinusöl konfrontiert. Trotz dieser positiven
Entwicklung zurück zu einer alten Hebammentradtion, der Kräuterheilkunde, scheidet
das alte Rezept „Wehen-Cocktail“ die Geister der Berufsfrauen. Viele verschiedenste
Rezepturen zum Rizinus-Cocktail sind vorhanden, und ebenso viele unterschiedliche,
gerade kontroverse Meinungen darüber gibt es. Während die einen Hebammen von
diesem Wehen-Wundermittel schwärmen, haben andere Kolleginnen mit dem RizinusCocktail Wehenstürme, Uterusrupturen und Sturzgeburten erlebt. In der Diskussion mit
freipraktizierenden Hebammen zeigte sich, dass bezüglich Anwendungen und
Empfehlungen sehr unterschiedliche Meinungen vorhanden sind.
2.2
Rizinusöl in den Lehrbüchern
In der Fachliteratur ist sehr wenig über die Einsatzmethode, die Wirkungsweise oder
Anwendungen von Rizinusöl beschrieben. Auffallend ist ebenfalls, dass spezifische
Hebammenliteratur im Allgemeinen nicht von der Anwendung des Rizinus-Cocktails
abrät. Im Gegensatz dazu die ärztliche Fachliteratur, in der die alternativen Methoden
zur Wehenförderung mit einem Satz abgehandelt werden. „Den historischen
Massnahmen
zur
Geburtseinleitung,
wie
z.B.
Fasten,
Durchführung
von
Scheidenspülungen und heissen Bädern, Einlagen von Laminarstiften etc., kommt
heute keine Bedeutung mehr zu“ (Schneider, Husslein & Schneider, 2006, S. 673).
Schwangere wünschen und bevorzugen oftmals eine natürliche Methode zur
Wehenförderung (Mändle & Opitz-Kreuter, 2007), wobei auch der Rizinuscocktail als
gute Möglichkeit dargestellt wird. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass noch zu
wenige Evidenzen dazu existieren, welche die positiven Rückmeldungen der
Hebammen und Schwangeren untermauern (Mändle & Opitz-Kreuter, 2007). Zum
selben Ergebnis kommt der Bund deutscher Hebammen (2005). Und trotzdem wird
auch hier wieder auf die Erfahrungen der Hebammen hingewiesen, die von diesem
Mittel überzeugt sind und dieses auch regelmässig anwenden.
Stadelmann (2005) und Gruber & Gruber (2006) empfehlen, den Rizinuscocktail erst
dann einzunehmen wenn es zu einer Terminüberschreitung kommt. Denn dieser wirkt
meist nur, wenn der Geburtsbeginn kurz bevor steht und das Kind bereit ist, auf die
Welt zu kommen.
6
Rizinusöl
3
ZIELSETZUNG, FRAGESTELLUNG UND EINGRENZUNG
3.1
Zielsetzung
Das Ziel der empirischen Befragung ist es, die erfahrene Wirkung des Rizinusöls bei
der
Anwendung
und
die
darauffolgende
Wirkung
bezüglich
Geburtsverlauf,
Komplikationen und Outcome zu erfassen.
Aus der wissenschaftlichen Literatur sollen Evidenzen zur Einnahme des RizinusCocktails erarbeitet werden.
Für das Praxisprojekt ist eine evidenzbasierte Handlungsanweisung für die Anwendung
von Rizinusöl das Ziel. Dies soll den Anwendungszeitpunkt, die Mischung, sowie
mögliche Kontraindikationen enthalten. Es soll den freipraktizierenden Hebammen im
Berufsalltag eine evidenzbasierte Entscheidung ermöglichen.
Aufgrund der Zielsetzung, der Literatur, den Aussagen der Hebammen und um eine
optimale Betreuung der Frau zu ermöglichen, wurden folgende Fragen gestellt.
3.2
Fragestellungen:
Wann empfehlen die freipraktizierenden Hebammen den Rizinus-Cocktail und
welche Erfahrung bezüglich der Wirkung machen sie?
Welche Evidenzen zur Einnahme können aus der wissenschaftlichen Literatur
herausgearbeitet werden?
Welche Handlungsempfehlungen können für die Praxis gemacht werden?
3.3
Eingrenzung
Der Rizinus-Cocktail gehört zu den alternativen Methoden der Wehenförderung.
Weitere Möglichkeiten für eine Wehenförderung sind nicht Bestandteil dieser Arbeit.
Auch wird auf die medikamentöse Einleitung nicht eingegangen. Die Wehenförderung
mit dem Rizinus-Cocktail betrifft eine Schwangerschaft zwischen der 37. und 42.
Woche. Auf die Mischung und das Anwendungsrezept des Cocktails wird im
theoretischen Bezugsrahmen näher eingegangen. Eine weitere Eingrenzung betrifft
das Setting. Der Schwerpunkt wird auf die freiberuflichen Hebammen in der Schweiz
gelegt, welche zum jetzigen Zeitpunkt anerkannt in der Geburtshilfe arbeiten und
Mitglied im Schweizerischen Hebammenverband (SHV) sind.
7
Rizinusöl
4
GRUNDLAGEN
4.1
Wissenschaftliche Literatur zum Rizinus-Cocktail
Um die wissenschaftliche Literatur zu bearbeiten und Evidenzen zum Rizinus-Cocktail
zu finden, wurde folgendes Vorgehen durchgeführt.
Im Zeitraum von März bis April 2010 wurde in den Datenbanken von Pubmed,
Cochrane Collaboration, Medline, Cinahl Studien und Reviews zum Rizinus-Cocktail,
zur Wehenauslösung und dem Tätigkeitsfeld der Anwendung gesucht. Es wurden
folgende Keywords benutzt: „castor oil“ und „induction of labour“. Fünf passende
Studien, ein Review und ein Case Report wurden gefunden. Die Studien wurden nach
dem Analyseraster der Berner Fachhochschule für Gesundheit (Loos, 2010) bearbeitet
und
anschliessend
mittels
dem
Bewertungssystem
der
Hierarchie
der
wissenschaftlichen Evidenzen (Stahl, 2008) eingeteilt.
4.2
Terminüberschreitung und deren Bedeutung
Wenn das Thema Rizinus-Cocktail in der Praxis angesprochen wird, liegt meistens das
Problem einer Terminüberschreitung zu Grunde. In der Praxis trifft die Hebamme sehr
häufig auf schwangere Frauen über dem errechneten Entbindungstermin. Die Literatur
(Stahl, 2007) zeigt ebenfalls, dass nur ungefähr vier Prozent der Kinder am
errechneten Entbindungstermin zur Welt kommen. Was eine Terminüberschreitung,
sowie der Begriff Übertragung bedeutet, wird nun genauer erläutert.
Übertragung bezeichnet die Überschreitung des errechneten Geburtstermins um 14
Tage und mehr. Die Schwangerschaft dauert also länger als 42 vollendete Wochen
beziehungsweise 295 Tage post menstruationem an. Bei einer Schwangerschaft, die
im Zeitraum vom 282. bis zum 294. Tag post menstruationem beendet wird, spricht
man von verlängerter Tragzeit (Mändle & Opitz-Kreuter, 2007). Bei den Begriffen
Terminüberschreitung und Übertragung gibt es immer wieder Probleme mit der
Definition, da sie als Synonyme verwendet werden. Enkin et al. (2006) weist darauf hin,
dass es zu Verwirrungen führt, wenn klinisch der Begriff Terminüberschreitung mit dem
Übertragungssyndrom (Dysmaturität) assoziiert wird, jedoch eine simple Aussage
bezüglich eines zeitlichen Abstandes in der Schwangerschaft bedeutet. Auch nach
Schneider et al. (2003) spricht man erst bei ≥42 Schwangerschaftswochen (SSW) von
einer Abweichung der Norm. Laut Enkin et al. (2006) kommt eine Übertragung von
8
Rizinusöl
mehr als 42 vollendeten SSW, je nach Literatur und untersuchter Population, in 4 bis
14 % der Fälle vor.
Der Berechnung des voraussichtlichen Entbindungstermins kommt eine wichtige
Bedeutung zu. Denn damit lassen sich unnötige Interventionen bei einer Schwangeren
ohne Übertragung verhindern. Nach den Guidelines der schweizerischen Gesellschaft
für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) (Hohlfeld, Drack, Primavesi, Schneider &
Vogel, 1999) gibt es von der 39 0/7 bis zur 40 6/7 Schwangerschaftswoche keinen
Anlass zur expliziten Überwachung oder Geburtseinleitung, wenn keine Risiken
vorliegen. Ab der 41 0/7 SSW wird eine Überwachung empfohlen und das
weitergehende Management mit dem Paar besprochen. Die Bedeutung der
Terminüberschreitung für die Frau muss durch die Hebamme herauskristallisiert
werden. Das weitere Management bei der Terminüberschreitung hängt von den
persönlichen Ressourcen der Frau und ihrer Familie, sowie der klinischen
Untersuchung ab.
Mögliche Auswirkungen auf den Fetus in Folge einer Schwangerschaftsverlängerung
sind vielfältig und werden meist durch die Funktion der Plazenta bestimmt (Schneider
et al., 2003). Eine Verminderung der Fruchtwassermenge ist ein früher Hinweis auf
eine beginnende Plazentainsuffizienz. Als Folge eines Oligohydramnion wird
möglicherweise eine Kompression der Nabelschnur verursacht, was zu einer schweren
intrauterinen Asphyxie bis hin zum intrauterinen Fruchttod führen kann. Geburtsstress
und Mekoniumaspiration sind für den Fetus grosse Bedrohungen, welche mit einer
hohen Mortalität und Langzeitmorbidität verbunden sind (Schneider et al., 2003). Laut
Enkin et al. (2006) und der SGGG (2002) ist eine routinemässige Einleitung vor der 41
0/7 Schwangerschaftsdauer jedoch nicht gerechtfertigt. Ab der vollendeten 41.
Schwangerschaftswoche soll den Frauen, welche sich für eine Einleitung entscheiden,
die bestmögliche verfügbare Form der Einleitung angeboten werden (Enkin et al.,
2006).
Somit kann davon ausgegangen werden, dass eine Terminüberschreitung bis zur 42.
Schwangerschaftswoche eine Normvariante darstellt. Ein regelmässiger Kontakt soll
zwischen der Hebamme und der Schwangeren bestehen um Ängste, Unsicherheiten
und Wünsche anzusprechen. Weiter soll die Hebamme adäquat, wachsam und
evidenzbasiert ihre Befunde erheben, je nach Situation eine Zusammenarbeit mit
einem Facharzt suchen, sowie die Frau und ihren Partner bezüglich der
Terminüberschreitung aufklären und informieren.
9
Rizinusöl
4.3
Geburtsauslösung und Wehenbeginn
Das Praxisproblem der Terminüberschreitung führt zu weiterem Erklärungsbedarf.
Denn die Terminüberschreitung steht in direktem Zusammenhang mit einer fehlenden
Geburtsauslösung. Was dazu führt, dass eine Geburt in Gang kommt oder eben nicht
und welche Faktoren das gesamte Geschehen beeinflussen, wird nachfolgend
beschrieben.
Die Auslösung der Geburt wurde wissenschaftlich noch nicht restlos aufgeklärt.
Verschiedene Faktoren wie mechanische, nervale, fetale Impulse, der fetomaternale
Grenzbereich und der Elektrolythaushalt beeinflussen den Geburtsbeginn. Es gibt
verschiedene
Definitionen
zervixwirksamen
und
wann
die
regelmässigen
Geburt
Wehen
beginnt.
haben
Das
jedoch
Einsetzen
alle
von
Definitionen
gemeinsam. Zum Ende der Schwangerschaft spielen sich einige Veränderungen im
Körper ab. Die Ansprechbarkeit der Uterusmuskulatur auf Oxytocin steigt und auch die
Menge an Oxytocin im Körper nimmt zu (Mändle & Opitz-Kreuter, 2007). Es gibt eine
Veränderung
in
der
fetalen
Hypophysen-Nebennieren-Achse,
welche
eine
unterstützende Funktion für die Geburtseinleitung hat (Coad & Dunstall, 2007). Der
fetomaternale Grenzbereich, welcher aus Dezidua, Plazenta, Chorioamnion und Zervix
besteht, reguliert die Erhaltung und Geburtsauslösung der Schwangerschaft mittels
verschiedener Mediatoren.
Regelmässige Wehen, welche ein Zeichen für den Geburtsbeginn sind, werden als
wiederkehrende Kontraktionen der Uterusmuskulatur definiert (Mändle & Opitz-Kreuter,
2007). Das Myometrium besteht aus glatter Muskulatur und beinhaltet Muskelfasern
mit verschiedenen Verläufen (Coad & Dunstall, 2007). Die Wehendauer, die Anzahl der
Wehen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, die Wehenpausen und das Verhalten
der Frau sind zentrale Aspekte bei der Beobachtung und Beurteilung von Wehen
(Mändle & Opitz-Kreuter, 2007).
Der Uterus besteht aus einem aktiven oberen Teil, bestehend aus Fundus und Corpus
uteri und einem passiven unteren Teil, unteres Uterinsegment und muskelarme Zervix.
Bei der Wehentätigkeit kommt es zur Kontraktion des Uterus, daraus folgt eine
intrauterine Druckerhöhung. Das Kind weicht in Richtung des geringsten Widerstandes
aus, zur Zervix. Die Muskelfasern des Corpus uteri kehren nach einer Kontraktion nicht
mehr in ihre ursprüngliche Länge zurück. Somit wird Zug, Distraktion genannt, am
unteren Uterinsegment ausgeführt. Dies führt zur Dilatation des Muttermundes (Mändle
10
Rizinusöl
& Opitz-Kreuter, 2007). Diese Reifung kann mittels Erhebung des Bishop-Scores
beobachtet werden. Erfasst werden Portiolänge (grösser als 2 cm, 1 cm, verstrichen),
Konsistenz (derb, mittel, weich), Lage (sakral, mediosakral, zentriert), Muttermund
(geschlossen, 1 cm, 2 cm, 3 cm) und Höhenstand (über interspinal, interspinal, unter
interspinal) nach Mändle & Opitz-Kreuter (2007). Dieses gesamte komplexe
Geschehen setzt nach Schneider et al. (2003) einen Vorbereitungsprozess voraus,
welcher in seinem Ablauf genetisch programmiert ist. Ursachen für eine fehlende
Geburtsauslösung lassen sich in verschiedenste Kategorien unterteilen von genetisch
determiniert über morphologisch-anatomisch, sowie biochemische Defekte in den
Achsen
Hypothalamus-Nebennierenrinde-Plazenta,
Eihäute-Zervix,
Myometrium-
Dezidua, aber auch durch exogene Einflüsse, wie Umweltgifte (Schneider et al., 2003).
In das komplexe Geschehen kann jedoch eingegriffen werden. Nach Hösli, Lapaire und
Voekt (2009) gibt es über 20 verschiedene Methoden einer Geburtseinleitung und
Wehenauslösung. Ein grosser Anteil davon sind medikamentöse Methoden, welche
nicht weiter in dieser Arbeit behandelt werden. Daneben gibt es mechanische, sowie
pflanzliche Massnahmen, zu welcher das Rizinusöl gehört.
4.4
Das Rizinusöl – ein Phytotherapeutikum
Seit vielen Jahren kennen Hebammen Pflanzen und Mittel, welche sie in der
Geburtshilfe anwenden. Insbesondere das Rizinusöl wird zur Geburtsauslösung immer
wieder erwähnt. Um Rizinusöl anzuwenden, braucht es Wissen bezüglich der Wirkung.
Das Rizinusöl gehört in die Gruppe der Phytotherapeutika. Die Begriffsdefinition der
Phytotherapie (Schilcher et al., 2007) ist folgende: Heilung, Linderung und Vorbeugung
von Krankheiten bis hin zu Befindungsstörung durch Arzneipflanzen. Moderne
Phytotherapie ist keine „Alternative-Medizin“, sondern ein Teil der heutigen
naturwissenschaftlich orientierten Schulmedizin.
Das Rizinusöl (Ricini oleum) wird aus dem Samen der Pflanze Ricinus communis
(Wunderbaum) gewonnen. Die gereinigten und geschälten Samen werden bei ca. 40
Grad Celsius kalt gepresst, entschleimt, entsäuert und wasserdampfbehandelt. Es
wirkt laxierend, hemmt den Einstrom von Flüssigkeit und Elektrolyten und fördert die
Wasserausscheidung. In Gegenwart von Gallenflüssigkeit wird durch Lipasen
Rizinolsäure aus dem Glyzerid freigesetzt, die dann über die Freisetzung von
Prostaglandin E2, eine Verstärkung der Aktivität der Stickstoffmonoxid-Synthetase und
Hemmung der Adeninukleotid-Transferase die Darmmotorik anregt. Prostaglandine der
11
Rizinusöl
E-Reihe hemmen die Resorption und steigern die Sekretion von Wasser und
Elektrolyten im Darm von Menschen (Schilcher et al., 2007). Bereits im Mittelalter
wurde Rizinusöl bei Uterusleiden angewandt. Im Lehrbuch der biologischen Heilmittel
von Madaus (1938) wird die wehenfördernde Wirkung des Öls beschrieben (Madaus
zitiert in Stadelmann, 2007). Dass die resorbierte Ricinolsäure über eine Anregung der
Prostaglandin-Biosynthese im Pfortaderbereich zu einer Kontraktion des schwangeren
Uterus führt, sowie eine Wirkung zwischen zwei bis vier Stunden eintritt, wird ebenfalls
beschrieben (Blascheck et al., 2008).
Das Rizinusöl wird als Massnahme für eine Geburtsauslösung nicht pur eingenommen.
Rizinusöl ist eines der wenigen Öle, das vor allem durch Ethanol sehr gut emulgiert
wird. Was dies für eine Einnahme bedeutet und was der bekannte Rizinus-Cocktail
beinhaltet, wird anschliessend beleuchtet.
4.5
Der Wehen-Cocktail und die Einnahme
Wird der Begriff „Wehen-Cocktail“ in Google eingegeben, werden ungefähr 20„000
Ergebnisse angezeigt. In der heutigen Zeit holen sich viele Schwangere und ihre
Partner Informationen aus dem Internet. In Foren, auf Schwangerschafts-Webseiten
und in persönlichen Blogs ist der Begriff Wehen-Cocktail allgegenwärtig. Dazu natürlich
die verschiedensten und vielfältigsten Rezepte. Diese reichen von der Mischung mit
Tee, Sirup, Saft, bis zur Zugabe von Eisenkraut oder homöopathischen Mitteln.
Der Alkohol im Cocktail ist wichtig, damit Saft und Öl emulgieren können. Der am
häufigsten genannte Rizinus-Cocktail enthält zwei Esslöffel Rizinusöl, 250 ml
Fruchtsaft und Alkohol. Die Empfehlung einen kaliumhaltigen Saft (beispielsweise
Aprikosensaft) beizumischen, hilft, den Kaliumverlust durch die abführende Wirkung zu
verringern und ist laut Stadelmann sehr wichtig (I. Stadelmann, persönliche Mitteilung,
25. Mai 2010).
Auch der Einnahmezeitpunkt wird vielfältig beschrieben. Stadelmann (2007) empfiehlt
die Einnahme zur Parasympathikus-Zeit, also gegen den Abend. Denn zum
parasympathischen Anteil gehören die inneren Funktionen wie Kreislauf, Verdauung,
Atmung, Stoffwechsel und Uterus. Ein verstärkter Blutfluss Richtung Darm und Haut,
die Stimulation von Drüsensekretion und Peristaltik sowie die Senkung der
Herzfrequenz gehören zu den Wirkungen, die durch das parasympathische System
ausgelöst werden (Coad & Dunstall, 2005). Das parasympathische System ist in den
12
Rizinusöl
Abend- und Nachtstunden dominant. Dann werden die aktiven Anteile des Menschen
gedrosselt, der Körper verdaut, reguliert und erholt sich.
Die Wichtigkeit von Ethanol im Cocktail wurde bereits im vorigen Abschnitt erwähnt.
Einerseits ist der Alkohol hilfreich für die Emulgation, andererseits existiert auch die
Annahme, dass durch den Alkoholanteil die bekannte abführende Wirkung des
Rizinusöls eingedämmt werden kann.
4.6
Der Alkohol im Cocktail
Es besteht die Annahme, dass die Kombination von Alkohol und Rizinusöl die
Durchblutung verbessert. Damit soll eine bessere Resorption und Wehenanregung
ermöglicht, und die abführende Wirkung durch geringere Darmreizung vermieden
werden (Stadelmann, 2007). Sekt enthält 8 bis 14 % Alkoholgehalt und Cognac
(Weinbrand) hat bis zu 38 Volumenprozent. Dies sind die beiden meistgenannten
Alkoholsorten in den Rezepten. Alkohol führt im Körper zu einer Vasodilatation der
peripheren Blutgefässe. Dies führt zu einer schnelleren Darmpassage und vermindert
so Diarrhö. Durch Zucker (Fruchtsaft) und Kohlenstoffdioxid (zum Beispiel im Sekt)
wird die Durchblutung zusätzlich gesteigert, was ein begünstigender Faktor für die
Alkoholaufnahme ist (I. Stadelmann, persönliche Mitteilung, 25. Mai 2010). Studien
oder Artikel zur Bestätigung dieser Annahme wurden nicht gefunden. Diese einmalige
Alkoholeinnahme hat auf das Kind keine schädliche Wirkung (I. Stadelmann,
persönliche Mitteilung, 25. Mai 2010).
Laut den Lehrbüchern der Chemie, den Begründungen für die Mischung und den
Einnahmezeitpunkt, sowie dem Bekanntheitsgrad spricht alles für den Rizinus-Cocktail.
Aber welche Erfahrungen bezüglich der Wirkung für eine Geburtsauslösung gemacht
und beschrieben wurden, wird im nächsten Abschnitt thematisiert.
4.7
Wirkt er denn – der Rizinus-Cocktail?
Kommt es also zu einer Terminüberschreitung einer gesunden Schwangeren, besteht
nach Einverständnis der Frau die Möglichkeit, die Geburt mit dem Rizinus-Cocktail
auszulösen.
Allerdings wird die Wirkung des Rizinus-Cocktails in den Studien sehr unterschiedlich
beschrieben. Der Review von Kelly, Kavanagh & Thomas (2001) beschäftigt sich mit
alternativen Methoden zur Geburtseinleitung, wie mit der Rizinus-Cocktail-Methode, mit
13
Rizinusöl
Einläufen oder heissen Bädern. Da nur eine Studie verwendet werden konnte, waren
die Resultate nicht eindeutig zu bewerten. Die Methode wurde beschrieben, die
Qualität der Studie ebenfalls. Als einziger signifikanter Unterschied wurde nach der
Einnahme von Rizinusöl vermehrt Nausea festgestellt. Der Review wurde im
Evidenzlevel Drei eingeteilt, die Studie wurde mit einer kleinen Stichprobe
durchgeführt, die Qualität der Methode war nicht valide.
Auch Azhari, Pirdadeh, Lotfalizadeh & Shakeri (2006) prüften kontrolliert und
randomisiert die Wirkung vom Rizinus-Cocktail bei schwangeren Frauen am Termin
(Analyse Anhang 13.5.1). Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied bezüglich des
Bishop-Score, welcher in der Rizinus-Cocktail-Gruppe innerhalb 24 Stunden höher
war, als in der Kontrollgruppe ohne Intervention. Die Studie wurde sorgfältig und
randomisiert durchgeführt, ein signifikanter Unterschied konnte festgestellt werden. Die
Studie erhält trotz kleiner Teilnehmerzahl Evidenzlevel Eins.
Auch Knauss, Strunz, Wöckel & Reister (2009) untersuchten in einer prospektiven,
randomisierten Untersuchung (Evidenzlevel Eins) die Wirkung des Rizinus-Cocktails im
Vergleich zu Prostaglandinen (Analyse Anhang 13.5.2). Der Indikationsgrund war eine
Terminüberschreitung. Die Resultate zeigten, dass der Cocktail bei Mehrgebärenden
als
Alternative
zu
Prostaglandine
angesehen
werden
kann,
allerdings
bei
Erstgebärenden keinen signifikanten Einfluss auf den Geburtsbeginn hat.
Mit unerwünschter Wirkung beschäftigt sich vor allem der Case Report von Sicuranza
& Figueroa (2002), welcher sich mit einem Fall einer Uterusruptur nach Einnahme von
5 ml Rizinusöl befasst. Es wurde festgestellt, dass in den meisten Studien über
Rizinusöl, Frauen mit Status nach Sectio nicht einbezogen wurden. Somit kann
abschliessend
gesagt
werden,
dass
aufgrund
dieses
Expertenberichtes,
im
Evidenzlevel Vier, weitere Studien nötig sind. Insbesondere bei Frauen nach
vorgegangener Sectio.
Ebenso befasst sich die Studie von Vonau, Motzet & Stenzel (2004) retrospektiv mit
der unerwünschten Wirkung des Rizinus-Cocktails. In dieser Studie wurde auch die
Wirkung der zusätzlichen Gabe von zwei Tropfen Eisenkrautöl erforscht. Der Eintrag
erfolgte in ein sogenanntes „Cocktailbuch“. Retrospektiv wurden die dokumentierten
Geburtsverläufe ausgewertet. Es wurde erfasst, dass der Fünf-Minuten-Apgar in der
Gruppe ohne Eisenkrautöl über dem Mittelwert lag. Ebenso wurde eine schwache
Signifikanz registriert, die bei der Gruppe Rizinusöl mit Eisenkraut eine leicht erhöhte
14
Rizinusöl
Anzahl protrahierte Austreibungsphasen, sowie erhöhte Anzahl Periduralanästhesien
verzeichnete. Diese Studie zeigte jedoch auch, dass im Vergleich zwischen den
Rizinus-Cocktail-Geburten und den eingeleiteten Geburten mit Prostaglandinen die
Rizinus-Gruppe weniger Analgetika brauchte. Die retrospektive Vergleichs-Studie
wurde in den Evidenzlevel Drei eingeteilt.
Die Studie von Boel, Lee, Rijken & Paw (2009) beschäftigt sich mittels einer
historischen Kohortenstudie (Evidenzlevel Drei) ebenfalls mit der Sicherheit und
Effektivität betreffend der Abgabe des Rizinus-Cocktails. Die Resultate zeigten keinen
Einfluss auf die Geburtszeit und auch keine negativen Outcomes für Mutter und Kind.
Bezüglich der Vorlieben und der Zufriedenheit der Wehenförderung der Frauen macht
Knauss et al. (2009) folgende Aussage. Mittels eines Fragebogens erhob Knauss et al
(2009) die Zufriedenheit der randomisierten Frauen bezüglich der Intervention.
Auffallend war, dass die Akzeptanz, unabhängig vom Resultat, der Methode Rizinusöl
gegenüber pharmakologischen Mitteln um einiges grösser war.
Um ein Gesamtbild der Evidenzen aufzuzeigen, wurden ebenfalls Leitlinien gesucht.
Das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) hat Evidenzen zum
Rizinus-Cocktail in der Guideline Induction of Labour zusammengefasst. Die NICEGuideline (2008) empfiehlt Rizinusöl zur Wehenauslösung nicht, es fehlen weitere
Studien für eine evidenzbasierte Empfehlung. Die Guidline wurde im Jahr 2008 erstellt,
die Studie von Knauss et al (2009) wurde nicht integriert. Die Leitlinie erhält das
Evidenzniveau Eins b, nach dem deutschen Leitlinien Bewertungsinstrument (DELBI)
(„Versorgungsleitlinien“ n.d.) eine ausdrückliche Empfehlung der Leitlinie.
Die Settings der aufgeführten Studien betreffen insbesonders den stationären Bereich.
Häufig wird der Rizinus-Cocktail in der häuslichen Geburtshilfe als Möglichkeit der
Wehenauslösung
empfohlen.
Deshalb
wurde
eine
Studie
über
das
Anwendungsumfeld miteinbezogen.
4.8
Wo wird der Rizinus-Cocktail angewendet?
Bezüglich Anwendung von Rizinus-Cocktail im Arbeitsfeld gibt die Studie von McFarlin,
Gibson, O‟Rear & Harman (1999) Anhaltspunkte, welche die amerikanischen
Hebammen befragt, ob sie natürliche Substanzen für die Wehenstimulation benutzen.
500 amerikanische Hebammen vom Verband American College of Nurse-Midwives
15
Rizinusöl
(ACNM) haben an dem Survey teilgenommen. Jede 50. Hebamme der Liste wurde
dafür ausgewählt. Daraus resultierte dass, die meisten freipraktizierenden, sowie ein
grosser Anteil der Spitalhebammen Rizinusöl benutzen. Hebammen welche pflanzliche
Mittel anwenden sind im Schnitt jünger (43 bis 45 Jahre) und arbeiten signifikant mehr
in spitalexternen Settings. Die Gründe der Anwendung sind vielfältig. Folgende Gründe
wurden oft angegeben: weniger invasiv, Möglichkeit für spitalexternes Setting, billiger,
Tradition. Die deskriptive Studie wurde in das Evidenzlevel Drei eingeteilt.
Von McFarlin et al. (1999) wird beschrieben, dass in Amerika der Rizinus-Cocktail
gehäuft im spitalexternen Bereich genutzt wird. Hauptsächlich auch um eine Einleitung
im Spital zu umgehen. Aber liegt die Betreuung einer Schwangerschaft über dem
Termin noch in Hebammenhände? Und wie sieht das Kompetenzprofil diesbezüglich
aus? Darauf wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen.
4.9
Kompetenzen der Hebammen
Im Jahr 1972 und 1973 wurde vom internationalen Hebammenverband und der
internationalen Vereinigung von Geburtshilfe und Gynäkologie (FIGO) zum ersten Mal
„Hebamme“ formal definiert. In den 90er Jahren wurde die Berufsbeschreibung vom
internationalen Hebammenverband (ICM), der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
und
FIGO
anerkannt.
Diese
wurde
2005
übersetzt,
vom
schweizerischen
Hebammenverband (SHV) angenommen und 2007 von der Berufskonferenz der
Hebamme angepasst. Das Profil umschreibt die Berufsdefinition der Hebamme, das
Geburtshilfeverständnis und die Kompetenzen in zehn zentralen Punkten. Enkin et al.
(2006), Mändle & Opitz-Kreuter (2007) und Schneider et al. (2003) sind sich einig, dass
eine Schwangerschaft bis zur 42 0/7 Schwangerschaftswoche als verlängerte Tragzeit
gilt und in den meisten Fällen eine Normvariante darstellt. Die Situation gehört also in
das Kompetenzprofil der Hebamme. Die Hebamme beobachtet wachsam und
gewissenhaft, erhebt Befunde adäquat und begründet eine Zusammenarbeit mit
Fachpersonen.
In Sachen der Arzneimittelabgabe ist das Kompetenzprofil der Hebamme sehr
allgemein. Die konkreten Kompetenzen hinsichtlich der Verordnung oder Empfehlung
von pflanzlichen und chemischen Substanzen, auf welche die Hebamme im
Berufsalltag immer wieder trifft, sind im Gesundheitsgesetz verankert.
16
Rizinusöl
4.10
Darf
die
Hebamme
Rizinusöl
verordnen
oder
empfehlen?
Auch Phytotherapeutika müssen den Grundanforderung der Arzneimittelgesetze im
Hinblick auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit genügen. Obwohl das
Rizinusöl nicht verschreibungspflichtig ist, ist es trotzdem ein Arzneimittel und darf in
seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Rizinusöl ist auf der Liste der
homöopathischen
und
anthroposophischen
Heilmittel
von
Swissmedic
(2010)
aufgeführt. Es darf nur oral eingenommen werden und gehört zur Abgabekategorie „D“,
was gemäss Swissmedic und dem Bundesamt für Gesundheit eine Abgabe nach einer
Fachberatung bedeutet. Im Artikel 27 der Arzneimittelverordnung des Bundesrats steht
folgendes: Als für die Anwendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Rahmen
ihrer Berufsausübung genügend ausgebildet gelten:
a. diplomierte Hebammen,… Diese Personen bedürfen für die Anwendung
verschreibungspflichtiger Arzneimittel einer Bewilligung des Kantons, in dem sie den
Beruf ausüben. Der Kanton bestimmt die Arzneimittel, welche die Personen nach
Absatz 1 anwenden dürfen. Er sorgt für eine regelmässige Aufsicht durch eine
geeignete Medizinalperson“ (Arzneimittelverordnung, 2001, S. 13).
In den meisten Kantonen existiert eine Arzneimittelliste für die freipraktizierende
Hebamme. Die Liste wird durch den Kantonsapotheker erstellt und überprüft und muss
durch den Gesundheitsdirektor bewilligt werden. Folgende Beispiele lassen die
grossen kantonalen Unterschiede der freiberuflichen Hebammen erkennen. Im Kanton
Luzern ist das Rizinusöl in der Arzneimittel-Liste aufgeführt („Kantonsapotheker“,
2001). Der Kanton St. Gallen führt es auf seiner Arzneimittelverordnung nicht auf und
im Kanton Aargau ist die Abgabe von Arzneimitteln durch Hebammen nicht erlaubt.
Nach Artikel 27 ist es allerdings legitim, dass Hebammen das Rizinusöl nach einer
Beratung empfehlen oder mit Zustimmung der Frau verabreichen dürfen. Vor einer
Selbstmedikation der Frau sei hier aber ausdrücklich gewarnt.
Viele Voraussetzungen für eine Empfehlung des Rizinus-Cocktails sind in den letzten
Abschnitten beschrieben worden. In der Hebammentätigkeit stehen aber auch die
Wünsche und Ansichten der Frau im Mittelpunkt. Um eine Empfehlung für eine
Einnahme des Rizinus-Cocktails zu machen, ist eine vollständige Anamnese und eine
ganzheitliche Information der Frau von Bedeutung.
17
Rizinusöl
4.11
Hebammendiagnosen und informierte Entscheidung
Um die Situation der Frau ganzheitlich zu erfassen, erscheint der Problemlöseprozess
sinnvoll. Nach dem Prozess der Hebammenarbeit von Georg & Cignacco (2006), führt
die Hebamme zuerst ein Assessment durch. Sie fragt im Gespräch nach Ressourcen
der Frau und ihrer Familie. Befunde werden erhoben, die Hebamme beobachtet
gewissenhaft und gibt der Frau und ihrem Partner Raum für Fragen und plant Zeit für
Gespräche
ein.
So
wird
die
physische,
psychische
und
soziale
Situation
aufgenommen. Es wird dann durch die Hebamme eine Diagnose gestellt, welche kurz,
prägnant und fachlich fundiert ist und die relevanten Probleme und Ressourcen der
aktuellen Situation mit einbezieht. Dann formuliert die Hebamme das Ziel und bespricht
mit der Frau Massnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Massnahmen werden
durchgeführt und dokumentiert. Nach der Durchführung erfolgt die Evaluation, ob das
Ziel erreicht werden konnte und wie die Frau die Massnahmen empfunden hat.
Dieses Modell professionalisiert und hebt die Qualität der Hebammenarbeit. Ebenso
sorgt es für Transparenz gegenüber dem Verband und den Kostenträgern.
Insbesondere mit der Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG) im Jahr 2012
wird es zunehmend von Bedeutung sein, die Hebammenarbeit ganzheitlich zu
dokumentieren und die Kunst des Begleitens von Frauen und ihren Familien beweisen
zu können.
Im Prozess der Hebammenarbeit ist die informierte Entscheidung ein wichtiger
Bestandteil. Die Hebamme darf der Frau nicht Massnahmen und Interventionen
aufdrängen. Im Gesundheitsgesetz der verschiedenen Kantone wird auf die
Aufklärungspflicht des behandelnden Personals hingewiesen.
Der internationale Ethik-Kodex für Hebammen (Schweizerischer Hebammenverband,
„n.d.“) beschreibt unter dem ersten Punkt, dass die Hebamme das Recht der Frau,
informiert zu sein, respektiert und unterstützt. Die Hebamme fördert die Bereitschaft
der Frau die Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen.
Bei der Entscheidungsfindung der Frau und ihrem Partner für die Einnahme des
Rizinus-Cocktails, ist eine informierte Entscheidung sehr wichtig. Hierbei sind
verschiedene Punkte zu beachten, zum einen die wissenschaftliche Evidenz. Dem
Paar müssen mit einfachen Worten die Erkenntnisse aus der Wissenschaft
beschrieben werden. Diesbezüglich ist es auch wichtig, transparent in Bezug auf die
18
Rizinusöl
Ergebnisse zu sein. Zum anderen ist es von Bedeutung, dass die Fachperson das
nötige Wissen hat, um Studien zu verstehen und kritisch zu würdigen. Nur so kann sie
die Evidenz weitervermitteln. Weiter muss bei der entscheidenden Person nachgefragt
werden, ob das Gesagte verstanden wurde. Ebenfalls muss die Entscheidungsfreiheit
klar der Frau und ihrem Partner überlassen werden (Gaissmaier, 2009). Die Frau soll
also über die Vor- und Nachteile des Rizinus-Cocktails informiert werden, um so eine
eigene Entscheidung bezüglich der Einnahme treffen zu können. Die Akzeptanz der
Frau ist so in den meisten Fällen gewährleistet und unterstützt damit einen positiven
Bezug zum Geburtsbeginn. Nach Brailey (2008) beinhaltet das Konzept „informed
choice“ die zwei folgenden wichtigen Punkte, Frauen haben das Recht auf Information
und das Wissen, was mit ihrem Körper passiert. Die Frau entscheidet darüber, was mit
ihr geschieht. Nach Brailey (2008) gibt es Techniken, wie Frauen über Risiken
aufgeklärt werden können zum einen das visualisieren von Risiken, dies bedeutet nicht
von hohen oder niedrigen Risiken sprechen und das Finden eines gemeinsamen
Nenners, der das Risiko in positiver und negativer Auswirkung beschreibt.
Die informierte Entscheidung ist ein wichtiger Bestandteil des Hebammenhandwerks.
Ohne Information hat die Frau keine Entscheidungsmöglichkeit. Es ist von ethischer
Bedeutung und im schweizerischen Gesundheitsgesetz verankert, dass jede Frau das
Recht auf Information und auf eine eigene Entscheidung über sich und ihren Körper
hat.
5
METHODE
Im vorliegenende Praxisprojekt wurde, wie in der Fragestellung beschrieben, der
Schwerpunkt der Implementierung einer Anwendungsempfehlung Rizinus-Cocktail bei
den freiberuflichen Hebammen gelegt. In diesem Setting gibt es unterschiedliche
Möglichkeiten von Arbeitsformen und Angeboten.
5.1
Arbeitsfeld der freipraktizierenden Hebamme
Die Erhebung des Arbeitssettings der freipraktizierenden Hebamme (fpH) wurde bei
einer Intervisionssitzung von sechs freipraktizierenden Hebammen erörtert. Die
Themen der Gesundheitspolitik, der Berufszufriedenheit und der Qualität wurden direkt
mit den Hebammen diskutiert. Weitere Informationen, auch bezüglich der Organisation
des
Verbandes,
konnten
auf
der
Homepage
des
SHV
(„Schweizerischer
19
Rizinusöl
Hebammenverband“, n.d.) recherchiert werden. Die Verfasserinnen begleiteten in der
Freizeit und der unterrichtsfreien Studienzeit freipraktizierenden Hebammen und sind
so mit dem Arbeitsalltag etwas vertraut.
5.2
Methode der Datenerhebung
Für die Erhebung bezüglich den Erfahrungen des Rizinus-Cocktails fiel der Entscheid
für eine Survey. Laut Cluett & Bluff (2003) sind die Surveys sehr strukturiert und führen
deshalb zu einer objektiven Analyse. Der Nachteil ist die Abhängigkeit, Motivation,
sowie Fähigkeiten der Teilnehmer. Der Fragebogen (siehe Anhang 12.1) wurde nach
Cluett & Bluff (2003) konzipiert. Er besteht aus einer Zusammenstellung von
standardisierten und halboffenen Fragen bezüglich den gemachten Erfahrungen mit
Rizinusöl. Der finanzielle Aufwand setzt sich aus dem Brief-Porto zum Verschicken der
Fragebogen, sowie den frankierten Rückantwort-Couverts zusammen. Der Umfang des
Fragebogens wurde so konstruiert, dass er in ungefähr 15 bis 20 Minuten auszufüllen
ist. Gemäss Treecs, (1986) zitiert in Cluett & Bluff (2003), liegt dies im Bereich einer
guten Akzeptanz der Teilnehmer. Im Begleitbrief wurden Ziel und Zweck der
Datenaufnahme, sowie Informationen über die Durchführenden und die Fragestellung
mitgeteilt. Ebenso wurden die Hebammen gebeten, den Fragebogen möglichst
innerhalb von sieben Tagen zurückzusenden. Aufgrund des vorgegeben Zeitplans,
wurde das Problem „Abwesenheit einer Hebamme“ in Kauf genommen. Ebenso konnte
nicht überprüft werden, ob alle Fragebogen angekommen sind. Im Brief wurde den
Hebammen für die Mitarbeit gedankt, sowie die Möglichkeit geboten, auf Wunsch über
die Resultate informiert zu werden.
Der Fragebogen wurde nach den ethischen Prinzipien (gemäss Schweizerischem
Berufsverband der Krankenpflege SBK , 1998) nochmals evaluiert. Im Begleitbrief
wurde umfassend über das Ziel, sowie die Datenerhebung und -analyse informiert.
Somit wird das Prinzip Würde, welches umfassende Information beinhaltet, erfüllt.
Fragebogen und Brief wurden neutral geschrieben, um die Befragten nicht zu
beeinflussen. Die Autonomie, sowie Gutes tun, wurde erfüllt, weil die Befragten
freiwillig und unabhängig von Zeitpunkt und Zeitbudget den Fragebogen ausfüllen
konnten oder eben nicht. Die Daten wurden anonym erhoben. Wer weitere Ergebnisse
wünschte, konnte eine E-Mail-Adresse angeben, was auch unter einem Pseudonym
möglich ist. Eine Limitation bezüglich Gerechtigkeit ist aufgrund der Sprache erfolgt.
Die Fragebogen wurden vor allem deutschsprechenden Hebammen zugeschickt. In die
Westschweiz gingen zwei Fragebogen, in die Südschweiz gar keiner.
20
Rizinusöl
Die Fragebogen wurden an 135 deutschsprechende Hebammen, welche dem
Schweizerischen Hebammenverband angehören, verschickt. Somit konnte eine
möglichst grosse Stichprobe erreicht werden. Die Bedingung an die 135 Hebammen
war, dass sie Begleitung von Hausgeburten, Beleggeburten oder Geburtshausgeburten
im Angebot haben. Die Datenerhebung wurde innerhalb von zwei Wochen
durchgeführt.
Um die grundlegende Frage, ob die Hebammen den Rizinus-Cocktail empfehlen
würden und welche Erfahrungen sie diesbezüglich gemacht haben, wurde
der
Fragebogen so aufgebaut, dass die erste Frage wegweisend für das nachfolgende
Vorgehen war. Es wurde gefragt, ob die befragte Hebamme den Rizinus-Cocktail bei
schwangeren Frauen anwendet. Sie konnte dies mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten und
wurde dann in die entsprechende Spalte geleitet.
In
der
Spalte
für
die
Antwort
„Ja“
wurde
weiter
erörtert,
ab
welcher
Schwangerschaftswoche, bei welchen Indikationen, bei welchen geburtshilflichen
Kriterien sie den Rizinus-Cocktail empfehlen. Diese Antworten, sowie die weiteren
offenen Fragen nach Kontraindikationen, der Grund der Anwendung, den Erfahrungen
und Rezepten konnten angekreuzt werden.
In der Spalte für die Antwort „Nein“ wurde gefragt, warum der Rizinus-Cocktail nicht
angewendet wird und was sich ändern müsste, damit der Cocktail angewendet wird
und welche Erfahrungen die Befragten damit gemacht haben. Auch hier konnten im
ersten Teil die Antworten angekreuzt werden und die Erfahrungen und die
gewünschten Änderungen mussten durch die Befragten beschrieben werden.
Am Schluss des Fragebogens wurde nach den Jahren an Berufserfahrung und die
Berufserfahrung als freiberufliche Hebamme sowie das Tätigkeitsfeld (Hausgeburten,
Beleggeburten, Geburtshausgeburten) gefragt. Auch die jährliche Geburtenzahl der
einzelnen Hebamme war Bestandteil der Befragung.
An einer Intervisionssitzung wurde der Fragebogen durch die freipraktizierenden
Hebammen (FPH) als Testlauf ausgefüllt. Die Fragen wurden von allen Beteiligen
verstanden. Laut den Hebammen ist die Struktur übersichtlich. Der Zeitaufwand für das
Ausfüllen wurde auf 15 bis 20 Minuten geschätzt. Einzig die Frage nach
Kontraindikation führte zu Diskussionen. Beim Fragebogen des Testlaufs wurden unter
der Kategorie Kontraindikationen Möglichkeiten zum Ankreuzen gegeben. Als erstes
wurde besprochen, ob ein pathologisches Cardiotokogramm nicht auch zu den
21
Rizinusöl
Kontraindikationen
gehöre.
Dies
führte
zu
Argumentationen
über
weitere
Anwendungseinschränkungen. Aufgrund dessen wurde entschieden, diese Frage offen
zu gestalten. So musste sich jede Befragte selber überlegen, ob es für sie
Kontraindikationen gibt. Die Hebammen waren der Meinung, dass alle Aspekte
angesprochen seien und haben es nicht abgelehnt bestimmte Fragen zu beantworten
(Checkliste nach Cluett & Bluff, 2003).
5.3
Methode der Datenauswertung
Die Datenauswertung erfolgt mittels deskriptiver Statistik. Nach Polit, Tatano Beck &
Hungler (2004) sind dies insbesondere Häufigkeitswerte. Nach Schnyder (D. Schnyder,
persönliche Mitteilung 02. Juni 2010) sind die erhobenen Daten qualitativer Art, da sie
Häufigkeiten von Antworten darstellen. Um die Daten der angekreuzten Antworten
besser zu organisieren, wurden sie mit Prozentzahlen in Balkendiagramme eingefügt,
dadurch werden die Häufigkeiten der Antworten sichtbar gemacht. Die Antworten der
Kontraindikation
Analysestil
und
gemachten
durchgeführt
(Polit
et
Erfahrungen
al.,
2004).
wurden
Die
mittels
Autorin
redaktionellem
entwickelte
ein
Kategorienschema, um die Daten zu sortieren und zu organisieren. Nach Mayring
(2003) wird dieses Kategorienschema Klassifizierung genannt. Diese Klassifizierung ist
ein zentraler Punkt und muss nachvollziehbar sein. Ebenso müssen die Ergebnisse
gemäss den Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität eingeschätzt werden
können. Das Kategorienschema soll von einer weiteren Person analysiert und die
Ergebnisse verglichen werden (Mayring, 2003).
Die Analyse der Daten erfolgt nach Mayring (2003) durch folgende drei Punkte:
Zusammenfassung, Explikation (Verständniserweiterung durch einzelne Zitate) und
Strukturierung.
5.4
Methode der Implementierung
Cluett & Bluff (2003) zeigen bedeutsame Kriterien auf, um Ergebnisse in der Praxis zu
implementieren. Die Autonomie beschreibt Cluett & Bluff (2003) als zentrale
Voraussetzung um evidenzbasiertes Wissen in der Praxis einzuführen. Weiter benötigt
es für die Umsetzung eine Reflektion der Thematik, sowie das persönliche Wissen und
die Erfahrungen diesbezüglich. Um eine optimale Implementierung zu ermöglichen,
braucht es Zeit. Denn die traditionelle Praxis wird nicht von heute auf Morgen
verändert. Nach Cluett & Bluff (2003) müssen zur Einführung von evidenzbasiertem
Wissen Aus-, Fort- und Weiterbildungen organisiert werden.
22
Rizinusöl
Die
Durchführung
wird
ähnlich
dem
Projektmanagement
gemäss
Leitfaden
Projektmanagement des Kantons Bern und nach Rycroft-Malone (2002) gestaltet:
Projektimpuls oder Reflexion der Hebammenarbeit, die Vorbereitungsphase entspricht
der Datensammlung bezüglich der Evidenz der Thematik. Anschliessend folgt die
Planung der Implementierung mit den Inhalten: Ergebnis, Qualität sowie Zeit und
Aufwand/Kosten. Die Realisierungsphase zeichnet sich durch Anwendung der
evidenzbasierten
Ergebnisse
in
der
Praxis
aus.
Anschliessend
folgt
die
Evaluationsphase. Die Evaluation beruht auf den Fragen der Wirkung, des Prozess
und der Struktur. Nach Behrens & Langer (2006) sind die meisten Implementierungen
mit einem Kreislauf gleichzusetzen.
Gemäss Cluett & Bluff (2003) und Behrens & Langer (2006) gibt es in der Praxis
Chancen und Risiken für eine erfolgreiche Implementierung. Hindernisse wie in eine
fehlende transparente Kommunikation, das Festhalten an der traditionellen Praxis oder
ausbildungs- und umfeldbedingt müssen berücksichtig werden (Cluett & Bluff, 2003).
Nach Kitson et al. (zitiert in Behrens & Langer 2006) hängt eine erfolgreiche
Implementierung an den folgenden drei Faktoren, Güte der Evidenz, Strukturen der
Organisation und der Facilitatoren ab.
6
ERGEBNISSE
Um die Ergebnisse der Befragung besser in den gesamten Kontext zu stellen, wird
zuerst auf das Berufsfeld der freipraktizierenden Hebamme eingegangen.
6.1
Arbeitssetting der freipraktizierenden Hebammen
Der schweizerische Hebammenverband beschreibt die Tätigkeitsfelder in den
Empfehlungen für die Freiberuflichkeit wie folgt, von Beratung zur Familienplanung,
Schwangerschaftskontrollen,
auch
von
Risikoschwangerschaften
über
Geburtsvorbereitung, natürliche Geburtsbegleitung und Betreuung im Wochenbett. Es
gibt verschiedene Arbeitsmodelle und –formen für die Hebamme. Sie kann nur
selbständig tätig sein oder auch zu einem Teil selbständig und zum anderen Teil
angestellt. Die Hebamme kann sich einer Hebammenzentrale angliedern, im
Belegsystem arbeiten, Hausgeburten oder Geburtshausgeburten durchführen. Die
gesetzlichen Grundlagen zur Freiberuflichkeit sind im Krankenversicherungsgesetz
festgehalten. Jeder Kanton führt dazu eigene Gesundheitsgesetze. Weiter braucht die
23
Rizinusöl
Hebamme für die Berufsausübung eine Berufsausübungsbewilligung, sowie eine
Zahlstellenregisternummer vom Dachverband der Krankenkassen (Santesuisse). Für
die Versicherung, sowie die berufliche Vorsorge und Sozialleistungen ist die Hebamme
selber verantwortlich.
Die meisten freipraktizierenden Hebammen sind Mitglied im schweizerischen
Hebammenverband. Der Verband wurde 1894 gegründet, zählt knapp 2500 Mitglieder
und besteht aus den Organen Zentralvorstand, 13 Sektionen, Präsidentinnenkonferenz
und Revisionsstelle („Schweizerischer Hebammenverband“, n.d.). Der Verband agiert
nach innen und aussen, national, kantonal und regional. Er setzt sich für einen
modernen und attraktiven Hebammenberuf mit hoher Qualität ein. Die Sektionen
arbeiten
sehr
autonom.
Sie
führen
eigene
Mitgliederversammlungen
durch,
organisieren sich regional und sorgen für den Austausch untereinander und mit dem
Verband. Weiter führen sie Qualitätszirkel. In diesen Zirkeln bearbeiten Hebammen
(jeweils 4 bis 15 Mitglieder) vom Verband genehmigte Themen. Somit werden neue
Evidenzen und Leitlinien geschaffen, die die Qualität und den Austausch unter den
Hebammen verbessern soll.
Da die Hebamme eine Leistungserbringerin im Gesundheitswesen ist, ist die fpH stark
von der Gesundheitspolitik und den daraus folgenden Beschlüssen abhängig. Trotz
des Spardruckes des Bundes mit direkten Folgen auf die Bedingungen der Hebammen
in
der
Freiberuflichkeit,
zeigt
doch
der
Bericht
des
schweizerischen
Gesundheitsobservatoriums, dass an den Hebammen nicht gespart werden soll – im
Gegenteil, Hebammen in der freiberuflichen Tätigkeit arbeiten kosteneffizient mit einer
qualitativ optimalen Leistung. Die Kundinnenzufriedenheit ist hoch und medizinische
Eingriffe sind seltener (Schweizerisches Gesundheitsobservatorium Obsan , 2007).
Trotz dieser erwiesenen Qualität geraten die Hebammen zunehmend unter Druck. Der
Vertrag zwischen dem schweizerischen Hebammenverband und dem Konkordat der
schweizerischen Krankenversicherer ist seit dem Jahr 1995 unverändert. Die
Tarifleistungen erfuhren in den letzten Jahren keinen Teuerungsausgleich. Die
steigende Berufserfahrung wird nicht entschädigt. Die Auszahlung von Wartgeld wird
von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich gehandhabt und liegt in der Hand der
Gesundheitsdirektoren. Auch kann die gesamte Präsenzzeit von 24 Stunden und
sieben Tagen in der Woche nicht abgerechnet werden. Mit der Einführung der
Diagnosis Related Group (DRG) wird es nochmals Veränderungen in der
Hebammenlandschaft der Schweiz geben. Und wie sich diese auf die fpH auswirken,
ist unklar.
24
Rizinusöl
Da die freipraktizierende Hebamme meist alleine unterwegs ist, wurde ein bestehendes
Gefäss für die Implementierung des Praxisprojektes gesucht. In der Zentralschweiz
treffen sich alle vier bis sechs Wochen sechs freipraktizierende Hebammen zu einer
Intervision.
Die Intervisionsgruppe hat einen genauen Ablauf für ihre kollegiale Beratung. Für die
Beratung wird zweieinhalb Stunden eingeplant. Die Rollen werden an der vorherigen
Sitzung geklärt. Die Beratungsführung übernimmt die Moderation. Eine weitere Rolle
ist die Fallgeberin. Die Fallgeberin bereitet einen Fall vor und erläutert diesen an der
Intervisionssitzung. Die Beraterinnen hören zu und äussern dann ihre Ideen, welche
Fragen sich ihnen stellen oder welche Handlungen sie in dieser Situation ausführen
würden. In einer Diskussion wird der Fall reflektiert und mögliche andere Schritte und
Handlungen werden formuliert. Zum Abschluss wird von allen ein Feedback zum
gesamten Ablauf gegeben.
Im persönlichen Gespräch mit den Hebammen wurde die Wichtigkeit für eine hohe
qualitative und evidenzbasierte Arbeit der einzelnen freipraktizierenden Hebamme
deutlich.
Die
befragten
sechs Hebammen
der
Intervisionsgruppe
arbeiten
nach
den
Qualitätsstandards des schweizerischen Hebammenverbandes. Durch den Austausch
der Intervisionsgruppe decken sie einen Teil der vom Verband vorgeschriebenen Ausund Weiterbildung ab. Die Verpflichtung zum Ausfüllen der Statistik ist ein weiteres
Instrument der Qualitätssicherung. Zwei Hebammen der Gruppe haben ihr
persönliches Leitbild notiert. Eine Hebamme führt zusammen mit vier anderen
Hebammen ein Geburtshaus. Dort sind ebenfalls Leitlinien und Standards formuliert.
Allen Berufsfrauen ist eine optimale Betreuung der Frau ein grosses Anliegen. Die
Reflektion von Fallsituationen ist ihnen deshalb sehr wichtig. Die Hebammen der
Intervisionsgruppe sind sehr interessiert an der wissenschaftlichen Arbeit und neuer
Evidenz.
Sie
sind
selber
aktiv
im
Internet
auf
der
Suche
nach
neuen
Forschungsresultaten.
6.2
Evaluation und Rücklaufquote der Fragbogen
Innerhalb von vierzehn Tagen wurden 84 Fragebogen von 135 zurückgeschickt. Bei
sechs Fragebogen wurden beide Teile, also Ja und Nein, angekreuzt. Da früher der
Rizinus-Cocktail benutzt wurde, aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr, oder der
25
Rizinusöl
Rizinus-Cocktail wurde nur ein- oder zweimal angewendet während zehn Jahren.
Diese Fragebogen wurden nicht in die Auswertung mit einbezogen, da keine
eindeutige Richtung zu erkennen war. Die Antworten unterscheiden sich aber nicht
von denen, die in die Auswertung einbezogen wurden. Die gesamte Anzahl der
ausgewerteten Fragebogen beträgt 78 (n=78).
Die Ergebnisse der offenen Fragen wurden von den zwei Autorinnen kategorisiert und
in
die
folgenden
Kategorien
eingeteilt:
Anwendungszeitpunkt/Kontrolle/Hebammenbetreuung,
Wirkung,
Nebenwirkung,
Einnahmezeitpunkt,
sowie
Zusatzanwendungen.
60 befragte Hebammen wenden den Rizinus-Cocktail an. Im Gegensatz zu 18
Befragten, die den Rizinus-Cocktail nie oder nicht mehr anwenden.
6.3
Beschreibung der Befragten
Die Hebammen, die befragt wurden, haben im Schnitt 18 Jahre Berufserfahrung,
davon 12.4 Jahre freiberuflich. Die durchschnittliche jährliche Geburtenzahl beläuft sich
auf 27 Geburten. 24 der befragten Hebammen begleiten nur Hausgeburten, 12
betreuen nur Beleggeburten, zwei Hebammen arbeiten nicht mehr freiberuflich,
sondern im Spital. 26 Hebammen begleiten Haus- und Beleggeburten. Fünf
Hebammen bieten Hausgeburten an und arbeiten gleichzeitig in einem Teilzeitpensum
im Spital. Neun Hebammen arbeiten im Geburtshaus.
6.4
Kategorisierung der Ergebnisse der offenen Fragen
Die Ergebnisse wurden mittels der im Kapitel 5.3 beschriebenen Methoden
ausgewertet. Die Ergebnisse der offenen Antwortfragen wurden von den 2 Autorinnen
kategorisiert. Die Ergebnisse wurden von beiden Autorinnen nach Wirkung,
Nebenwirkung,
Anwendungszeitpunkt/Kontrolle,
Zusatzanwendungen
sortiert.
Eine
Autorin
führte
Einnahmezeitpunkt
zusätzlich
die
und
Kategorie
Hebammenbetreuung auf. Für die andere Autorin gehörten diese Antworten in die
Kategorie Anwendung/Kontrolle. Nach einer Diskussion
wurde die Kategorie
Anwendung/Kontrolle mit dem Begriff Hebammenbetreuung ergänzt. Die Validität und
Reliabilität der Kategorien wurden überprüft. Aufgrund der Konstruktion des
Fragebogens waren die weiteren Kategorien wie Schwangerschaftswoche, Indikation,
Kontraindikation und Gründe und Kriterien zur Abgabe klar vorgegeben.
26
Rizinusöl
6.5
Empfehlung des Rizinus-Cocktails in der Praxis
Die Befragten, die den Rizinus-Cocktail anwenden, verabreichen ihn zwischen der 37.
und der 42. Schwangerschaftswoche. Eine Hebamme hat angegeben, dass sie den
Cocktail ab der 37. Woche empfiehlt. Elf Befragte empfehlen ihn ab dem errechneten
Geburtstermin,
22
geben
den
Rizinus-Cocktail
ab
der
vollendeten
41.
Schwangerschaftswoche, für 12 Hebammen ist der richtige Zeitpunkt ab zehn Tagen
über dem errechneten Termin (ET), eine Hebamme gibt 12 Tage über dem ET an und
12 empfehlen den Cocktail ab der 42. Schwangerschaftswoche (Abb. 1).
Die Indikationen für eine Verabreichung des Rizinus-Cocktails sind vordergründig die
Terminüberschreitung, welche alle Befragten angegeben haben, und ein vorzeitiger
Blasensprung ohne Wehen (27 Personen). Auch der Wunsch der Frau ist für die
Befragten eine wichtige Indikation. 24 geben an, den Rizinus-Cocktail auf Wunsch der
Gebärenden abzugeben. Drei der Hebammen geben an den Cocktail in der
Latenzphase oder bei einer Wehenschwäche zu verabreichen. Drei Personen geben
den Rizinus-Cocktail ab, wenn ein Hausgeburtswunsch besteht und eine Einleitung im
Spital droht (Abb. 2).
Bei den geburtshilflichen Kriterien zur Abgabe des Rizinus-Cocktails wurde von allen
Befragten die Terminüberschreitung angegeben. 30 Personen geben als wichtiges
Kriterium die Zervixreife an. Auch die Parität wird als wichtig erachtet, wobei 45
Hebammen angeben, den Rizinus- Cocktail an Primi- und Multiparas abzugeben. Fünf
Hebammen geben den Cocktail
an Mehrgebärende ab, während niemand den
Rizinus-Cocktail ausschliesslich an Erstgebärende abgibt (Abb. 3).
Abbildung 1:
(relative Häufigkeit %)
Ab welcher SSW kann der Rizinus-Cocktail empfohlen werden
Ab der 37. SSW
Ab Termin
Ab der 41. SSW
Ab Termin + 10 Tage
Ab Termin + 12 Tage
Ab der 42. SSW
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
27
Rizinusöl
Abbildung 2:
(relative Häufigkeit %)
Indikation für eine Empfehlung zur Rizinus-Cocktail-Einnahme
Wehenschwäche
Terminüberschreitung
Wunsch der Frau
Latenzphase
Blasensprung ohne Wehen
bestehender Einleitungstermin
0%
20%
40%
60%
Abbildung 3:
80%
100%
120%
(relative Häufigkeit %)
Kriterien für eine Empfehlung zur Einnahme des Rizinus-Cocktails
Terminüberschreitung
Zervixreife
Primipara
Multipara
Primi- und Multipara
0%
20%
40%
60%
80%
100%
120%
28
Rizinusöl
Für 56 der Befragten gibt es Kontraindikationen gegen die Verabreichung des RizinusCocktails. Nur vier Personen haben angegeben, dass für sie keine Kontraindikationen
bestehen. 23 Hebammen geben an, dass ein vorangegangener Kaiserschnitt oder eine
frühere Operation an der Gebärmutter gegen eine Gabe von Rizinusöl spricht. Bei
einem unreifen Vaginalbefund geben 16 Befragte an, den Rizinus-Cocktail nicht zu
verabreichen, da dies zu keinem guten Ergebnis führe. Auch ein regelabweichender
oder
regelwidriger
Schwangerschaftsverlauf
wird
von
10
Hebammen
als
Kontraindikation angesehen. Darunter sind verschiedene Krankheitsbilder und
Risikofaktoren wie Gestationsdiabetes, Beckenendlagen, Zwillingsschwangerschaft,
Fehleinstellungen, Oligohydramnion oder schwangerschaftsinduzierte Hypertonie zu
verstehen. Acht Befragte geben an, dass bei einem auffälligen Herztonmuster des
Kindes ebenfalls auf eine Gabe von Rizinusöl verzichtet werden soll. Auch eine
schnelle vorangegangene Geburt wird als Kontraindikation von vier Hebammen
angegeben. Für sechs Personen ist die Abneigung der Frau gegen Rizinusöl ein
wichtiges Kriterium. Zehn Hebammen geben an, auf die Grösse
des Kindes
zu
schauen. Folglich wird bei klein wie auch gross geschätzten Kindern der RizinusCocktail
nicht
verabreicht.
Bereits
Kontraindikation angegeben. Ebenfalls
bestehende
Kontraktionen
werden
als
wird auf die Energiereserven der Frau
geachtet. Wenn die Frau stark erschöpft ist, wird der Rizinus-Cocktail nicht empfohlen
(Abb. 4).
Die Rezepte, die verwendet werden, sind sehr unterschiedlich. Es wurden insgesamt
25 verschiedene Rezepte beschrieben. Auch hier bestehen Gemeinsamkeiten. 40 der
Befragten nehmen Rizinusöl, Alkohol (Cognac, klarer Schnaps oder Sekt) und
Fruchtsaft (Aprikosen- oder Orangensaft) und mischen diesen zu einem Cocktail.
Einzig die Dosierung der verschiedenen Zutaten ist verschieden. Sie unterscheidet sich
von zwei Esslöffeln bis 150 ml Rizinusöl. Die Alkoholmenge ist fast immer mit der
gleichen Menge wie das Rizinusöl bemessen. Mit dem Fruchtsaft wird das Glas
aufgefüllt, so dass ungefähr 3 dl des Gemisches entstehen. Zwei Personen verwenden
das oben beschriebene Rezept, empfehlen aber anschliessend einen heissen Kaffee
zu trinken, da die Wärme die Wirkung des Cocktails unterstütze. Weiter geben fünf
Hebammen eine Verveine-Essenz zum Cocktail hinzu. Diese soll zusätzlich
wehenauslösend wirken. Auch Mandelpüree wird von drei Befragten hinzugemischt.
Dieses dient der besseren Emulgation der Zutaten. Eine Hebamme hat angegeben nur
Rizinusöl ohne Zusätze zu verwenden. Zwei Befragte mischen zwei Esslöffel Rizinusöl
mit 2 dl Aprikosensaft, geben dies der Frau zu trinken und wiederholen den Vorgang
nach einer halben Stunde, sowie nach einer Stunde. Eine Hebamme hat beschrieben,
29
Rizinusöl
dass sie die besten Erfahrungen gemacht hat, indem sie das Rizinusöl als
Bauchmassage verwende. Eine andere Hebamme mischt einen Teelöffel Rizinusöl in
ein Müesli, welches die Frau dann morgens zu sich nimmt (Abb. 5).
Die Erfahrungen bezüglich der Wirkung welche die Hebammen mit dem Rizinusöl
machen, sind ebenfalls sehr unterschiedlich. 22 der Befragten beschreiben, dass wenn
die „Zeit reif ist“ der Rizinus-Cocktail eine sehr effektive Methode ist, um die Geburt in
Gang zu bringen. Auch bei einem reifen vaginalen Befund machen 16 Personen
positive Erfahrungen mit der Anwendung des Cocktails. Im Gegensatz dazu
beschreiben drei Befragte, dass es bei einem unreifen Vaginalbefund meist zu keinen
portiowirksamen Wehen kommt und die Frau für die spätere Geburt zu erschöpft ist.
Sechs Hebammen machen die Erfahrung, dass bei Mehrgebärenden der RizinusCocktail wirksamer ist als bei Erstgebärenden. Es wird als sehr wichtig erachtet, dass
eine Indikation gegeben ist. Beispielsweise wird eine geplante Spitaleinleitung bei
Hausgeburtswunsch von 45 Hebammen als wichtige Indikation angegeben. Von keiner
Reaktion bis zu einer schnellen Geburt ist ebenfalls eine Beschreibung die zehn
Befragte angegeben haben. Heftige Wehen sind ebenfalls von sechs Hebammen
beschrieben worden. Eine Hebamme hat die Erfahrung gemacht, dass der RizinusCocktail bei schlanken Frauen oft sehr schnell wirke. Nach einem spontanen
Blasensprung ohne Wehen wird von vier Hebammen angegeben, dass sie sehr gute
Erfahrungen gemacht haben (Abb. 6).
Auch wurde erhoben, warum die befragten Hebammen das Rizinusöl verwenden. Zehn
Hebammen haben nur gute Erfahrungen gemacht. Fünf Hebammen versuchen mit
dem Rizinus-Cocktail einen „Anstupf“ für die Geburt zu geben. Weitere fünf Hebammen
möchten mit dem Rizinus-Cocktail und der Anwendung im häuslichen Bereich die
Eigenverantwortung der Frau stärken und miteinbeziehen. 45 der befragten
Hebammen hoffen mit der Gabe des Rizinus-Cocktails eine Einleitung im Spital zu
verhindern. (Abb. 7)
30
Rizinusöl
Abbildung 4:
(relative Häufigkeit %)
Kontraindikation für eine Einnahme des Rizinus-Cocktails
schnelle frühere Geburt
Status nach Sectio
keine physiologische Schwangerschaft
unreifer Befund
suspektes CTG/HT
Abneigung der Frau
andere
0%
10%
20%
Abbildung 5:
30%
40%
50%
(relative Häufigkeit %)
Rezepte für den Rizinus-Cocktail
Rizinusöl, Alkohol, Fruchtsaft
Rizinusöl, Aprikosensaft, Wiederholung nach 30
Min. + 1Std.
reines Rizinusöl
Rizinusöl, Alkohol, Fruchtsaft, dann 1 Tasse
heisser Kaffee
Rizinusöl, Alkohol, Fruchtsaft, Verveine-Essenz
Rizinusöl, Alkohol, Fruchtsaft, Mandelpüree
Rizinusöl für Bauchmassage
Rizinusöl mit Müesli
0.0%
20.0%
40.0%
60.0%
80.0%
31
Rizinusöl
Abbildung 6:
(relative Häufigkeit %)
Erlebte Wirkungen nach der Einnahme des Rizinus-Cocktails
keine zervixwirksame Wehen bei unreifem
Befund
bessere Wirkung bei Mehrparas
schlechtere Wirkung bei Primiparas
heftige Wehen
Wehen erhalten eine gute Dynamik
bei reifem Vaginalbefund gute Erfahrung
Wirkung 4-6 Std. nach der Einnahme
Geburtsbeginn
von keine Reaktion bis schnelle Geburt
Geburtsbeginn wenn Uterus wehenbereit
0.0% 5.0% 10.0% 15.0% 20.0% 25.0% 30.0% 35.0% 40.0%
Abbildung 7:
(relative Häufigkeit %)
Warum wird der Rizinus-Cocktail empfohlen?
Spitaleinleitung verhindern
Eigenverantwortung fördern
Anstupf für die Geburt
gute Erfahrungen
0.0%
10.0% 20.0% 30.0% 40.0% 50.0% 60.0% 70.0% 80.0%
Auch Nebenwirkungen werden mehrfach beschrieben. So wird von zwei Hebammen
angegeben, dass der Rizinus-Cocktail zu Dauerdurchfall führen kann. Auch vermehrtes
mekoniumhaltiges Fruchtwasser wird angegeben. Allerdings wird hier erklärt, dass die
Hebammen nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Ursache für das grüne
Fruchtwasser der Rizinus-Cocktail ist. Eine wichtige Nebenwirkung, die angegeben
32
Rizinusöl
wird, ist der Abfall der Herztöne. Zwei Personen haben dies erlebt. So ist es auch für
zehn der Befragten wichtig, regelmässig die Herztöne des Ungeborenen zu
kontrollieren. Eine unerwünschte Wirkung ist auch der Wehensturm der von zwei
Personen beschrieben wird. Bezüglich Übelkeit und Erbrechen wird von zwei
Hebammen angegeben, dass dies nur bei der Gabe von purem Rizinusöl der Fall ist,
aber beim Cocktail nie erlebt wurde (Abb. 8).
Der Zeitpunkt der Abgabe des Rizinus-Cocktails ist ebenfalls so unterschiedlich wie die
Rezepte. Einzig die Zeit, bis die Wirkung eintritt, wird sehr einheitlich mit 4 bis 6
Stunden beschrieben. Zwei Hebammen beschreiben, dass sie den Rizinus-Cocktail nie
nachts empfehlen, sondern immer morgens nach dem Aufstehen. Dies mit der
Begründung, dass die Frauen eine ruhige, erholsame Nacht haben und ausgeruht sein
sollen für die bevorstehenden Wehen. Im Gegensatz dazu empfehlen zwei andere
Hebammen den Cocktail spätabends vor dem Schlafengehen einzunehmen. Somit
kann der Parasympathikus seine Wirkung dazutun und die Wehen können gegen den
Morgen
beginnen.
Wiederum
beschreiben
zwei
Hebammen
den
idealen
Einnahmezeitpunkt um 5 Uhr morgens, da zu dieser Zeit die Darmtätigkeit effektiver zu
arbeiten beginnt. Auch die Latenzphase wird als guter Zeitpunkt angegeben, damit die
Wehen eine bessere Dynamik erhalten und so die Geburtswehen effektiv werden (Abb.
9).
Als Zusatz zur Gabe des Rizinus-Cocktails wird Wärme und Bewegung als
unterstützendes Faktoren beschrieben. So geben vier Hebammen an, dass sie nach
Einnahme des Rizinus-Cocktails ein warmes Bad oder eine Wärmeflasche fürs Bett
empfehlen. Zwei Hebammen empfehlen vor und nach der Einnahme einen
Spaziergang zu machen um die Darmtätigkeit anzuregen.
Fast alle Befragten erachten es als sehr wichtigen Punkt, die Frau eingehend über die
Einnahme und die Wirkung des Cocktails zu informieren und sie nach der Einnahme
auch zu begleiten. Es wird angegeben, dass so die Eigenverantwortung der Frau
gefördert werden kann und sie somit dem Mittel
auch eine höhere Akzeptanz
entgegenbringt. Auf keinen Fall sollte die Frau ohne Beratung und Betreuung den
Rizinus-Cocktail einnehmen. Dies wird von 20 Hebammen so angegeben (Abb. 10).
33
Rizinusöl
Abbildung 8:
(relative Häufigkeit %)
Erlebte Nebenwirkungen nach Rizinus-Cocktail
Diarrhoe
Nausea durch Rizinusöl
Herztonabfall
Mekoniumhaltiges Fruchtwasser
Wehensturm
0.0%
1.0%
2.0%
3.0%
Abbildung 9:
4.0%
5.0%
6.0%
7.0%
(relative Häufigkeit %)
Empfehlung des Einnahmezeitpunktes des Rizinus-Cocktails
nicht in der Nacht
Abend
Spätabends
Morgens
Latenzphase
0.0%
0.5%
Abbildung 10:
1.0%
1.5%
2.0%
2.5%
3.0%
3.5%
(relative Häufigkeit %)
Anwendungszeitpunkt, Kontrolle und Hebammenbetreuung nach der Einnahme
wenn Spitaleintritt bevorsteht
Indikation muss bestehen
nach spontanem Blasensprung
Latenzphase
nicht ohne Beratung
regelmässige Herztonkontrolle
0.0% 5.0% 10.0% 15.0% 20.0% 25.0% 30.0% 35.0% 40.0% 45.0%
34
Rizinusöl
6.6
Keine Empfehlung des Rizinus-Cocktail in der Praxis
18 Hebammen haben angegeben, dass sie den Rizinuscocktail nicht oder nicht mehr
verwenden. 12 Befragte haben schlechte Erfahrungen gemacht und drei Personen
haben keine Erfahrung mit der Anwendung des Rizinusöls. Eine Abneigung haben 12
Hebammen, wobei drei beschreiben, dass sie den Rizinus-Cocktail als eine zu massive
Massnahme empfinden. Drei Personen haben negative Artikel gelesen, für vier
Befragte ist die Wirkung zu wenig steuerbar und weitere vier haben eine grundsätzliche
Abneigung gegen eine Einleitung. Für fünf Personen ist die Anwendung nicht
evidenzbasiert und sie benutzen den Cocktail aus diesem Grund nicht (Abb. 11).
Für zehn Hebammen wären Evidenzen zur Anwendung des Rizinus-Cocktails sehr
wichtig, damit sie sich für eine Anwendung entschliessen würden. Auch klare Kriterien
zur Anwendung wären für eine Befragte zentral. Zwei Hebammen hätten gerne mehr
Erfahrungswerte, die die positive Wirkung des Rizinus-Cocktails bestätigen würden.
Für fünf Hebammen ist klar, dass sie den Rizinus-Cocktail nie anwenden würden und
zwei Befragte würden es begrüssen, wenn grundsätzlich keine Einleitungen mehr
durchgeführt werden müssten (Abb. 12).
Die Erfahrungen der Hebammen sind auch hier ganz unterschiedlich. Drei Personen
haben erlebt, dass die Frauen Dauerdurchfall bekommen haben. Ineffektive Wehen
werden von vier Personen angegeben. Auch erlebt wurde von fünf Befragten, dass
überhaupt keine Reaktion eintrat. Eine lange Eröffnungsperiode ist ebenfalls eine
Erfahrung, die drei Hebammen gemacht haben. Drei Personen haben erlebt, dass es
zu einer Sturzgeburt gekommen ist. Ebenfalls wurde von zwei Befragten beschrieben,
dass sie einen Herztonabfall des Kindes bei der Geburt erlebt haben. Auch Übelkeit
wird von zwei Personen als Nebenwirkung angegeben. Zwei Hebammen erlebten
einen Wehensturm, wie auch mekoniumhaltiges Fruchtwasser. Eine Befragte hat
gelesen, dass der Rizinus-Cocktail vermehrte Blutungen hervorrufen kann. Drei der
Befragten haben keine Erfahrungen im Umgang mit dem Rizinus-Cocktail (Abb. 13).
35
Rizinusöl
Abbildung 11:
(relative Häufigkeit %)
Warum wird der Rizinus-Cocktail nicht empfohlen?
schlechte Erfahrung
keine Erfahrung
Abneigung
nicht evidenzbasiert
0.0%
20.0%
40.0%
60.0%
Abbildung 12:
80.0%
(relative Häufigkeit %)
Was müsste sich ändern, damit der Rizinus-Cocktail angewendet würde?
Evidenzen
keine Antwort
Erfahrungswerte
keine Einleitung
Kriterien
0%
10%
20%
30%
40%
Abbildung 13:
50%
60%
(relative Häufigkeit %)
Erfahrene Nebenwirkungen nach Anwendung des Rizinus-Cocktails
Dauerdiarrhoe
ineffektive Wehen
keine Reaktion
lange Eröffnungsperiode
keine Erfahrungen
Sturzgeburt
Abfall der Herztöne
Nausea
Wehensturm
vermehrte Blutung
Mekoniumhaltiges Fruchtwasser
0.0%
5.0%
10.0%
15.0%
20.0%
25.0%
30.0%
36
Rizinusöl
6.7
Vergleich zwischen SOLL- und IST-Zustand
Anhand der empirischen Befragung wurde ersichtlich, dass ein grosser Teil (77%) der
freiberuflichen befragten Hebammen den Rizinus-Cocktail als mögliche Alternative
verwenden und empfehlen. Für 18 der befragten Hebammen ist es kein Mittel der
Wahl, weil sie schlechte Erfahrungen oder eine persönliche Abneigung gegen den
Rizinus-Cocktail haben.
Die meisten Hebammen (36.7%) empfehlen den Rizinus-Cocktail ab der 41.
Schwangerschaftswoche, was auch gleichzeitig die meistgenannte Indikation darstellt
(Terminüberschreitung). Dabei achten 91% der Befragten auf Kontraindikationen,
Status nach Sectio wurde von den Hebammen 23 Mal angegeben. In Bezug auf die
Rezeptur, den Cocktail mit Alkohol und Fruchtsaft zu mischen, decken sich die
Antworten zum grossen Teil (66.6%) mit der Literaturempfehlung nach Stadelmann
(2007). Bezüglich des Fruchtsafts wird nochmals auf den Kaliumgehalt aufmerksam
gemacht. Aprikosensaft enthält fast dreimal so viel Kalium, wie der häufig genannte
Orangensaft bei der Cocktailmischung. 36.6 % der Befragten äussern, dass wenn der
Uterus „wehenbereit“ ist, es zu einem Geburtsbeginn kommt. Knauss et al. (2009)
bestätigt ebenfalls, dass mit reifer Zervix der Rizinus-Cocktail als adäquate, alternative
Methode zur konventionellen Einleitungsmethode betrachtet werden darf. Dies
spiegelte sich auch in den meisten Fragebogen wieder, denn die Hebammen
verwenden den Rizinus-Cocktail häufig, um eine Einleitung im Spital zu verhindern. In
der Review von Kelly et al. (2001) wird als häufigste Nebenwirkung Nausea
angegeben. Gemäss empirischem Teil beobachteten zwei Hebammen, welche
Rizinusöl empfehlen, nach Einnahme von purem Rizinusöl Nausea. Der Review von
Kelly et al. (2001) macht keine Angaben, wie das Rizinusöl eingenommen wurde. Zwei
Berufsfrauen begründen, mit der Nebenwirkung Übelkeit, ihre Abneigung gegenüber
dem Rizinus- Cocktail. Diesbezüglich ist unklar, mit welcher Rezeptur sie die Nausea
erlebt haben. Bezüglich der weiteren Nebenwirkungen wurde mekoniumhaltiges
Fruchtwasser mit 6.6% am meisten genannt. Unklar ist, ob dies auf den RizinusCocktail zurückzuführen ist. Der Einnahmezeitpunkt wird sehr unterschiedlich genannt,
ebenso die Zusatzanwendungen. Ausser bei Stadelmann (2007) findet sich in der
Literatur keine exakte Empfehlung bezüglich des Einnahmezeitpunktes.
Die Erfahrungen mit dem Rizinus-Cocktail sind vielfältig. Interessant war, dass 55.5%
der Befragten, welche den Rizinus-Cocktail nicht empfehlen, mit eindeutigen
37
Rizinusöl
Evidenzen bereit wären, den Rizinus-Cocktail in ihrer Praxis zu empfehlen oder
anzuwenden.
6.8
Konsequenzen und Veränderungsbedarf
Der empirische Teil dieser Arbeit hat gezeigt, dass in der Praxis der Umgang mit dem
Rizinus-Cocktail in vielen Teilen mit der gesammelten Evidenz übereinstimmt und
ähnliche Erfahrungen gemacht werden. Einige grundlegende Details werden jedoch
nicht einheitlich angewendet. So beispielsweise die reife Zervix, das Rezept und der
Einnahmezeitpunkt. Diese Punkte können für den Erfolg des Rizinus-Cocktails und
somit für ein positives Geburtserlebnis für die Frau von Bedeutung sein.
Der Veränderungsbedarf wird vor allem in den Rezepturen, dem Einnahmezeitpunkt
und der Wichtigkeit der reifen Zervix gesehen. Die ganzheitliche Beratung der
Hebammen ist ein weiterer zentraler Punkt. Die Einnahme des Rizinus-Cocktails vor
dem Termin und auf Wunsch der Frau soll nicht empfohlen werden.
6.9
Massnahmen zur Veränderung
Im Prozess dieser Arbeit wurde aufgezeigt, wie viel Bedeutung der informierten
Entscheidung zukommt. Um dieser Bedeutsamkeit Rechnung zu tragen und in die
Praxis zu integrieren, wurde im Verlauf der Bearbeitung dieser Thesis beschlossen, ein
Merkblatt (siehe Anhang 12.2) für die Frau zu erarbeiten. Die Frau muss über die Vorund Nachteile, sowie die Evidenzen des Rizinus-Cocktails aufgeklärt werden. Die
Gestaltung eines Merkblattes für die Frau würde die Aufklärung für die Hebammen
erleichtern und auch die Eigenverantwortung der Frau fördern. Gleichzeitig hat die
Frau ein Instrument, in Ruhe über diese Möglichkeit nachzudenken und sich zu
entscheiden. Allgemeine Informationen über das Rizinusöl und die Herstellung sind in
diesem Merkblatt enthalten. Weiter sind die Wirkung des Öls und eine Ausführung der
Vor-, aber auch den möglichen Nachteilen aufgelistet. Folgende Studien wurden zur
Untermauerung der Evidenz zitiert: Knauss et al. (2009) welcher das Rizinusöl als
adäquate, alternative Methode bei Mehrpara beschreibt, wie auch Azhari et al. (2006),
Boel et al. (2009), welche keine signifikante ungünstige Outcomes erwiesen haben.
Des Weiteren wurde die Einnahme bezüglich Mischung des Cocktails und der
Einnahmezeitpunkt erklärt und begründet, sowie weshalb die Zugabe von Eisenkrautöl
nicht zu empfehlen ist.
Für die Hebammen wurde ein Algorithmus erstellt, welcher folgende Wege aufzeigt:
38
Rizinusöl
Abbildung 14: Algorithmus
Anamnese
durchführen
Kontraindikationen:
- Frühgeburt
- HELLP
- Mehrlinge
- Diabetes gravidarum,
Typ I und Typ II
- chronische
Darmerkrankungen
- Status nach
Operationen am
Uterus
- Verdacht auf fetale
Kompromitierung
(IWUR)
- Alkoholabusus
- intrauteriner
Fruchttod
- schnelle frühere
Geburt
- Lageanomalien
Keine Kontraindikationen
≥ 40. SSW
<40.SSW
Durchführung Bishop-Score
Befund
0 Punkte
1 Punkt
2 Punkte
3 Punkte
Portio
>2cm
1cm
verstrichen
-
Konsistenz
derb
mittel
weich
-
Lage
sakral
mediosakral
zentriert
-
Muttermund
geschlossen
1 cm
2 cm
3 cm
Höhenstand
über ISP
ISP
unter ISP
-
Bishop Score ≥6
Bishop Score <6
Herztonkontrolle
Suspekte, pathologische
Herztöne
Physiologische Herztöne
Keine Empfehlung des Rizinus-Cocktails
Rizinus-Cocktail kann empfohlen
werden
Besprechung von Alternativen,
Kontaktaufnahme im interdisziplinären Team
Merkblatt mit der Frau besprechen
und abgegeben
39
Rizinusöl
Während der Implementierungsphase füllt die Hebamme zusätzlich ein Instrument
(siehe Anhang 12.3.1) aus, um die Erfahrungen mit dem neuen Merkblatt und dem
Algorithmus zu dokumentieren und zu evaluieren. Einerseits werden die Fakten, wie
Gravität und Parität, Termin gesammelt, anschliessend wird der Bishop-Score
erhoben.
Dann
werden
die
Wirkungen
und
Nebenwirkungen
dokumentiert.
Anschliessend wird die Dauer der Latenzphase, die Dauer der Eröffnungsphase,
Austreibungsphase und Nachgeburtsphase aufgeschrieben. Nach der Geburt werden
folgende Parameter ebenfalls mit dem Instrument dokumentiert: Apgar, Blutverlust,
Komplikationen (Herztonabfall, mekoniumhaltiges Fruchtwasser).
Im Nachgespräch soll erhoben (siehe Anhang 12.3.2) werden, ob die Frau genügend
über die Anwendung und die Wirkung des Rizinus-Cocktails informiert war und ob die
Verantwortung für die Entscheidung mithilfe des Merkblattes gut gefällt werden konnte.
Ebenfalls werden Bemerkungen der Frau bezüglich zusätzlicher Informationen,
Wünsche und Erlebtem mit der Einnahme des Rizinus-Cocktails erfasst.
6.10
Beschreibung des Projektplans
Folgende Ziele muss der Projektplan zur erfolgreichen Implementierung in der Praxis
erfüllen:
Der Rizinus-Cocktail soll in der Praxis einheitlich und evidenzbasiert empfohlen
werden.
Gegenüber kontroversen Aussagen kann sachlich und mit fachlich fundierten
Argumenten diskutiert werden.
Die Frau soll in den Prozess einbezogen werden und informiert entscheiden
können.
Die interne Evidenz (Bedürfnisse, Erwartungen, Assessment) und die externe
Evidenz (erwartete Wirkung aus wissenschaftlichen Studien) soll miteinander
verknüpft werden (Behrens & Langer, 2006).
Das Konzept der Implementierung erfolgt nach Rycroft-Malone et al. (2002), sowie
dem Berner Leitfaden für Projektplanung (Röthlisberger & Picciati, 2008). Beide
Autoren erachten die Vorbereitungsphase als wichtig für den gesamten Verlauf.
Werden die Berufsfrauen in die Themensuche integriert und das Thema in der Praxis
als wichtig erachtet, steigt das Interesse einer Implementierung neuer Evidenz. Ebenso
spielt nach Rycroft-Malone et al. (2002) die Qualität der Evidenz eine Rolle. Die
Qualität wird nicht nur aus Studien belegt, sondern auch durch Experten- und
40
Rizinusöl
Expertinnenwissen. Wie Cluett & Bluff (2003) und Rycroft-Malone et al. (2002)
erwähnen, ist der Kontext für die Implementierung von Bedeutung. Die Autonomie ist
bestimmend für eine Einführung neuer Massnahmen (Cluett & Bluff, 2003). Es kann
somit davon ausgegangen werden, dass fpH in ihrem autonomen Arbeitsfeld offen und
bereit sind, qualitative Evidenz anzuwenden.
Die Rollen der Projektteilnehmer müssen in der Einstiegsphase geklärt werden. Das
Organigramm im Implementierungsgefäss der Intervisionsgruppe verläuft flach. In
einem ersten Schritt erheben die Autorinnen den IST-Zustand im Umgang mit dem
Rizinus-Cocktail im freiberuflichen Tätigkeitsfeld.
Nach
der
Reflexion
folgen
in
einem
zweiten
Schritt
die
Erarbeitung
von
Forschungsresultaten und das Einholen von Expertenberichten. Es wird nach Studien
und Evidenzen aus verschiedenen Datenbanken im Internet gesucht. Ebenso wird in
der Bibliothek recherchiert und mit Experten und verschiedenen Fachgremien
gesprochen. Eine Präsentation für den Austausch mit der Intervisionsgruppe wird
vorbereitet.
Die Präsentation wird in einer Intervisionssitzung vorgestellt. Es werden drei weitere
Hebammen aus dem freiberuflichen Tätigkeitsfeld, im Sinne eines Begleitgremiums,
welches kritisch hinterfragt und diskutiert, eingeladen. Gemeinsam werden nun
Möglichkeiten für Praxisinstrumente besprochen und bearbeitet.
In einem dritten Schritt werden die Praxis- und Evaluationsinstrumente in einer
Intervisionssitzung vorgestellt. Nun werden anhand der drei Dimensionen nach Kitson
et al. (1998) zitiert in Behrens & Langer (2006) die erarbeiteten Inhalte (Güte der
Evidenz), der Organisationskontext und die Facilitatoren nochmals geprüft.
Ein gemeinsamer Besuch bei einer kräuterkundigen Hebamme mit Garten soll die
Wertschätzung verdeutlichen und einen weiteren Wissenszuwachs ermöglichen. Nach
diesem gemeinsamen Tag steht der Startpunkt für die Anwendung der Instrumente in
der Praxis.
Um den Austausch unter den Hebammen und mit den Autorinnen zu erleichtern, was
nach Röthlisberger & Picciati (2008) zu einem grösseren Erfolg der Implementierung
führt, wird von den Autorinnen ein einfaches Internetforum erstellt. Es bietet
Unterstützung und Begleitung und klärt fortlaufende Fragen.
41
Rizinusöl
Auch der Faktor Evaluation ist sehr wichtig. Die Ergebnisse der Evaluation sind
bedeutsam für die Praxis, sowie für die anwendenden Hebammen. Da so eine
Wertschätzung gegenüber den gemachten Erfahrungen in der Praxis gezeigt wird.
(Rycroft-Malone et al., 2002). Es wird mit den folgenden vier Stufen evaluiert:
Wirkung, Erfassung der Situation bei und nach der Anwendungsempfehlung
(Instrument für Praxis siehe Anhang 12.3.1)
Prozess, Veränderung in der Beratung und der informierten Entscheidung
durch die Handlungsempfehlung (Instrument siehe Anhang 12.3.2)
Struktur, Veränderungen im freiberuflichen Tätigkeitsfeld der Hebamme durch
die Projektimplementierung (Instrument siehe Anhang 12.3.3)
Kosten-Nutzen (Instrument siehe Anhang 12.3.3)
Das Ausfüllen des Evaluationsbogens bezüglich der Wirkung bei und nach der
Anwendung und die Prozessfragen über das Merkblatt erfolgt nach jeder Empfehlung
für den Rizinus-Cocktail in der Praxis. Nach sechs Monaten füllt die Hebamme die
eigene Reflexion zu den Struktur-, Prozess- und Kosten-Nutzen-Fragen aus.
Unabhängig von der Anzahl der Anwendungen in der Praxis werden die Resultate an
der Intervisionssitzung diskutiert und allfällige Veränderungen vorgenommen. Die
Resultate der Evaluation müssen nach der Auswertung wieder in die Praxis integriert
werden.
Eine Veröffentlichung des gesamten Projektes in einer hebammenspezifischen
Fachzeitschrift wäre eine Möglichkeit, die erarbeiteten Inhalte weiteren Hebammen
zugänglich zu machen.
42
Rizinusöl
6.11
Projektplan
Abbildung 15: Projektplan
Mt:
Woche 1
Woche 2
Woche 3
Woche 4
Projektimpuls
Hintergrundwissen
aktivieren
Studien und Reviews
lesen durch die Autorinnen
Intervisionssitzung
Fallbesprechungen im
Zusammenhang mit der
Einnahme des RizinusCocktails,
Intervisionsgruppe und
Autorinnen
Gemeinsamer Entscheid
für das Projekt:
Erhebung IST-Zustand
bezüglich des RizinusCocktails im
freiberuflichen
Tätigkeitsfeld durch
Autorinnen
Einbezug von
verschiedenen anderen
Fachgremien,
ApothekerIn,
PhytotherapeutikerIn,
ChemikerIn, Ärzteschaft
durch die Autorinnen,
Kontakte der
berufserfahrenen
Hebammen nutzen
Erarbeitung der
wissenschaftlichen
Literatur
Erarbeitung der
wissenschaftlichen
Literatur
Erarbeitung der
wissenschaftlichen
Literatur
Präsentation der
wissenschaftlichen
Evidenz in der
Intervisionsgruppe
Erarbeitung
Dokumentations- und
Evaluations-Instrumente in
gemischten
Arbeitsgruppen,
Hebammen und
Autorinnen
Erarbeitung
Dokumentations- und
Evaluations-Instrumente
in gemischten
Arbeitsgruppen,
Hebammen und
Autorinnen
Gemeinsamer Besuch bei
kräuterkundigen
Hebamme, weiter Inputs
zu Phytotherapeutika für
Intervisionsgruppe und
Autorinnen,
Wertschätzung und
Wissenszuwachs
Anwendung des
Instrumentes in der Praxis
1
Reflexion Thema
„Rizinus-Cocktail“ in
der Intervisionsgruppe
2
3
Drei Hebammen aus der
Freiberuflichkeit werden
eingeladen
4
5
6
612
Vorstellung der
Praxisinstrumente,
Evaluationsinstrument
und Internetforum in
der Intervisionssitzung
Einrichtung eines Forums
zum Austausch von
Erfahrungen
durch Autorinnen
Handlungsanweisung
Rizinus-Cocktail in der
Praxis
Reflexion mittels
PraxisevaluationsInstrumente
Anwendung der Instrumente in der Praxis durch freipraktizierende Hebammen, Austausch über Internetforum
Anwendung der Instrumente in der Praxis durch freipraktizierende Hebammen, Austausch über Internetforum
Evaluation des
Prozesses durch die
Autorinnen,
Erkenntnisse werden
im Forum
ausgetauscht.
Intervisionssitzung
bezüglich Erfahrungen,
Wertschätzung spüren
lassen, Erfahrungen und
Erkenntnisse ernst
nehmen.
Evaluation und
Dokumentation der
Ergebnisse der
Evaluations-Instrumente
durch Autorinnen
Evaluation und
Dokumentation der
Ergebnisse der
Evaluations-Instrumente
durch Autorinnen,
Besprechung der
Resultate an der
Intervisionssitzung
Anwendung des
Algorithmus in der
Praxis durch die
freipraktizierenden
Hebammen
Veröffentlichung durch
Autorinnen, damit
möglichst viel
freipraktizierende
Hebammen davon
profitieren können
Anwendung des
Algorithmus in der Praxis
Anwendung und damit
eine
Veränderung der
traditionellen
Hebammenpraxis
Ab
12
43
Rizinusöl
7
DISKUSSION
7.1
Diskussion der empirischen Erhebung und der Literatur
Geschichtlich gesehen, hat die Gabe von Rizinusöl eine lange Tradition. Mit
zunehmender Technisierung der Geburt ist die Anwendung teilweise in Vergessenheit
und in Verruf geraten. Da heute der Trend langsam wieder zurück zur ganzheitlichen
und naturnahen Medizin geht, wird die Frage nach dem Rizinus-Cocktail wieder
vermehrt
gestellt.
Gleichzeitig
steigt
die
Liste
der
Indikationen
für
eine
Geburtseinleitung, welche auch immer öfters praktiziert wird (Hösli, Lapaire & Voekt,
2009).
Mit 77 % der Befragten, welche im empirischen Teil dieser Arbeit den Rizinus-Cocktail
in der Praxis anwenden, wird die Aussage von Stadelmann (2007) bestärkt. Die Frauen
wenden sich also wieder vermehrt Naturheilmitteln zu und suchen gemeinsam mit den
Hebammen Möglichkeiten, eine Einleitung im Spital zu umgehen (gemäss über 40%
der befragten Hebammen im empirischen Teil dieser Arbeit).
Es gibt mehr als 20 verschiedene Einleitungsmethoden. Aber keine kann die
Erwartungen seitens der Schwangeren sowie dem geburtshilflichen Team ganzheitlich
erfüllen. Eine optimale Methode wäre, eine Geburt innerhalb einer bestimmten Zeit,
eine geringe Rate an Komplikationen, mütterliche Zufriedenheit und Wirtschaftlichkeit
(Hösli et al., 2009). Von den oben genannten Kriterien sprechen folgende Punkte für
den Rizinus-Cocktail.
Bezüglich der Wirkung konnte nach Knauss et al. (2009) nachgewiesen werden, dass
der Rizinus-Cocktail als alternative Einleitungsmethode angesehen werden kann.
Schilcher et al. (2007) bestätigt ebenfalls, dass eine Wirkung des Rizinusöls nach zwei
bis vier Stunden im Körper zu beobachten sei. Die Ricinolsäure setzt Prostaglandine
der Gruppe E frei, welche auf die glatte Muskulatur wirken. Dies löst insbesondere im
Uterus und Darm Kontraktionen aus. Die geburtsauslösende Wirkung wird von Knauss
et al. (2009) in einer sorgfältig, randomisierten Studie vor allem bei reifer Zervix
nachgewiesen. Allerdings beobachtete Azahri et al. (2006), mit kleiner Probandenzahl,
dass bei der Rizinusöl-Gabe eine schnellere Reifung der Zervix innerhalb von 24
Stunden sichtbar war. Obwohl die Wirksamkeit vom Rizinus-Cocktail immer wieder
diskutiert wird, kann rein chemisch im Körper eine Ausschüttung von Prostaglandinen
44
Rizinusöl
bestätigt werden. Wenn nun der Uterus bereit ist für eine Geburtsauslösung, kann eine
Geburt mit dem Rizinus-Cocktail durchaus in Gang gebracht werden.
In der Befragung sind verschiedene Nebenwirkungen erwähnt worden, die Hebammen
nach
Anwendung
des
Rizinus-Cocktails
erlebt
haben.
So
beispielsweise
mekoniumhaltiges Fruchtwasser oder Herztonabfälle (siehe Abbildung 8).
Knauss et al. (2009) beschreibt, dass in ihrer Studie bezüglich mütterlichem Outcome,
CTG-Auffälligkeiten, mekoniumhaltigem Fruchtwasser, fetales Outcome und Verlegung
in eine Kinderklinik kein Unterschied erfasst wurde, ob mit dem Rizinus-Cocktail oder
mit konventionellen Prostaglandinen eingeleitet wurde.
In der Studie von Azhari et al. (2006) wird sogar beschrieben, dass in der
Kontrollgruppe die Inzidenz von mekoniumhaltigem Fruchtwasser dreimal höher war,
als in der Gruppe die Rizinusöl eingenommen hatte. Dies wird auch in unserer
Befragung deutlich. In den Ergebnissen der Befragung konnten die Hebammen, die
vermehrt mekoniumhaltiges Fruchtwasser erlebt haben, nicht mit Sicherheit sagen,
dass dies aufgrund des eingenommenen Rizinus-Cocktails der Fall war.
In der Gruppe, die den Rizinus-Cocktail nicht oder nicht mehr anwendet, wurde als
Nebenwirkung auch Nausea erwähnt. Azhari et al. (2006) beschreibt, dass es in Bezug
auf Übelkeit und Erbrechen während der Geburt keinen signifikanten Unterschied
zwischen der Gruppe, die Rizinusöl eingenommen hat und der Kontrollgruppe, gibt.
Der Review von Kelly et al. (2001) widerlegt diese Aussage allerdings. Der empirische
Teil dieser Arbeit zeichnet ein ähnliches Bild. Eine Möglichkeit diese widersprüchlichen
Aussagen zu erklären, könnte beim Erörtern der Ursache liegen. Während die einen
Hebammen die Nausea klar als Nebenwirkung des Rizinus-Cocktails definieren, sehen
andere Hebammen den Prozess der Geburt an sich als Ursache für die Übelkeit.
Husslein und Egarter (Schneider et al., 2006) beschreiben, dass es bei einer Einleitung
mit Prostaglandin oder Oxytocin zu einer Hyperstimulation des Uterus oder auch zu
Herztonabfällen kommen kann. Man kann also sagen, dass gewisse Nebenwirkungen,
unabhängig von den angewendeten Mitteln, unter Umständen in jedem Fall bei einer
Einleitung entstehen können. Dies zeigt auf, dass der Rizinus-Cocktail auf keinen Fall
mehr Nebenwirkungen oder Komplikationen verursacht als Medikamente, die im Spital
gebräuchlich sind. Dies zeigt aber auch die Wichtigkeit auf, dass bei einer Anwendung
45
Rizinusöl
des Rizinus-Cocktails eine Hebamme die Schwangere betreuen und überwachen
muss.
Der Case Report von Sciuranza & Figueroa (2002) beschreibt eine Uterusruptur nach
Einnahme von fünf Millilitern Rizinusöl. Der empirische Teil zeigte, dass von keiner
befragten Hebamme, welche den Rizinus-Cocktail verwendet, eine Uterusruptur oder
eine vorzeitige Plazentalösung erlebt wurde. Hebammen welche den Rizinus-Cocktail
nicht anwenden, verweisen auf Artikel oder gehörte Geschichten, in welchen eine
Uterusruptur nach Gabe von Rizinusöl erfolgte. Wenn die Kriterien für eine Gabe oder
Empfehlung
des
Rizinus-Cocktails
eingehalten
wurden,
konnten
in
der
wissenschaftlichen Literatur keine ungünstigen Outcomes erwiesen werden. Der Case
Report von Sciuranza & Figueroa (2002) beschäftigt sich mit einem Fall, wo Rizinusöl
nach vorgegangener Sectio eingenommen wurde. Insbesondere über die Wirkung bei
Status nach Operationen am Uterus fehlen weitere Studien und Evidenzen. Denn dies
war in den meisten Studien ein Ausschlusskriterium. Husslein und Egarter (Schneider
et al., 2006) schreiben, dass eine Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio keine
absolute Kontraindikation darstellt, das Risiko einer Uterusruptur aber eindeutig erhöht
ist, und je nach Verlauf der Naht sogar als absolute Kontraindikation angesehen
werden muss. Da meist nicht nachvollzogen werden kann wie die Naht am Uterus
selbst verläuft, sollte man grundsätzlich bei einer Frau, die bei einer vorgängigen
Geburt einen Kaiserschnitt hatte, keine Gabe des Rizinus-Cocktails in Betracht ziehen.
Wenn keine Risikofaktoren bestehen, ist die Uterusruptur an sich sehr selten bei einer
Geburtseinleitung zu beobachten. In den Niederlanden trat nach eingeleiteter Geburt in
1.1 bis 1.5 % der Fälle eine Uterusruptur ein (Stark, 2009). Laut Husslein (Schneider et
al., 2006) entstehen Uterusrupturen meistens bei nicht gerechtfertigter Anwendung.
Was wiederum darauf hinweist, dass die Indikationsstellung bei der Gabe von
wehenfördernden Mitteln ein sehr zentraler Punkt ist und die Verabreichung des
Rizinus-Cocktails nur nach gründlicher Abklärung aller Kontraindikationen und
geburtshilflich relevanten Aspekten, wie den Bishop-Score, welcher gleich oder mehr
als sechs Punkte erreichen muss, erfolgen soll.
Auch die vorzeitige Plazentalösung wurde in der Befragung der Hebammen als
Nebenwirkung genannt. Hebammen welche kein Rizinusöl verwenden, begründeten
dies mit der Gefahr einer vorzeitigen Plazentalösung. Die meisten geben an, davon
gehört oder gelesen zu haben. In der Literatur wird angegeben, dass meistens keine
eindeutige Ursache für eine vorzeitige Plazentalösung gefunden werden kann. Auch
bei den prädisponierenden Faktoren wird die medikamentöse Geburtsauslösung nicht
46
Rizinusöl
genannt (Schneider et al., 2006, Mändle & Opitz-Kreuter, 2007). In den bearbeiteten
Studien wurden keine Angaben gefunden, die eine höhere Rate von vorzeitigen
Plazentalösungen nach Gabe von Rizinusöl, bestätigen würden.
Das Rizinusöl gehört unbestritten zu den wirtschaftlichsten Einleitungsmethoden. 50 ml
werden in der Apotheke für vier Franken verkauft. Da das Rizinusöl eigentlich als
Rohstoff gehandelt wird, ist die Herstellung einfach und günstig. Es steckt keine grosse
Pharmaindustrie hinter dem Produkt Rizinusöl.
Es gibt jedoch noch andere wirtschaftliche Überlegungen im direkten Bezug zur
Hebammenarbeit. Die Hebamme führt die Beratung, die Information, sowie die
Empfehlung
für
einen
Rizinus-Cocktail
im
Rahmen
einer
normalen
Schwangerschaftskontrolle durch. Sie hat keine Möglichkeit, wie die Berufsgruppe der
Ärzte und Ärztinnen, ein Rezept auszustellen, um das Öl allenfalls zu verkaufen und
zusätzlich noch Taxpunkte in Rechnung zu stellen. Daher stellt sich die Frage, ob es
denn für die Hebamme wirtschaftlich ist, den Rizinus-Cocktail überhaupt zu empfehlen.
Nach dem Motto „nützt es nichts – schadet es nicht“ könnte die Hebamme jeder Frau
den pflanzlichen Rizinus-Cocktail empfehlen, ohne umfassende Informationen, ohne
Beratung und nachfolgende Betreuung. Das Berufsethos der Hebammen verbietet ein
solches Vorgehen. Jede Hebamme hat den Anspruch einer Frau eine umfassende und
ganzheitliche Betreuung zukommen zu lassen. Doch Politiker und Krankenkassen
fokussieren sich hauptsächlich auf Zahlen und ökonomische Ergebnisse. Dabei kann
mit dem richtigen Wissen bezüglich der Anwendung und mit Zeit für ein Gespräch und
eine Beratung einen positiven und physiologischen Geburtsverlauf erwirkt werden.
Dies wiederum würde einen Spitaleintritt und die kostspielige Einnahme von
Medikamenten
verhindern.
Der
Obsanbericht
(2007)
bestätig
nämlich,
dass
Hebammen kostengünstig, mit hoher Qualität und zur vollen Zufriedenheit ihrer
Klientinnen arbeiten. Es wäre für die Krankenkassen also von Vorteil, wenn sie die
Hebammenarbeit fördern würden. Als Vision bestände eine Möglichkeit, dass die
Hebammen genaue Posten abrechnen könnten. Somit müsste altes und neues
evidentes Hebammenwissen, Beratungen, Tipps und Tricks nicht mehr unter dem
allgegenwärtigen Begriff „Kontrolluntersuchung Schwangerschaft“ für 51 Taxpunkte
abgerechnet werden. Die Taxpunkte werden vom Kanton festgelegt und bewegen sich
um einen Franken (Plus/Minus fünf bis zehn Rappen) pro Taxpunkt. Die Hebammen
sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeit in detaillierten Posten abrechnen zu
können. Was wiederum einen Beleg für die erfolgte Leistung wäre.
47
Rizinusöl
Bezüglich der Zufriedenheit mit der Einleitungsmethode ist gemäss Knauss et al.
(2009), die mütterliche Zufriedenheit bei der Anwendung des Rizinus-Cocktails höher
als bei konventionellen Einleitungsmethoden, und dies interessanterweise unabhängig
von der Wirkung des Rizinus-Cocktails. Dies wird auch in der Praxis so erlebt. Die
Frauen assoziieren den Cocktail nicht mit einem medizinischen Eingriff. Die
Schwangere kann den Rizinus-Cocktail in ihrer Küche mit ihr bekannten Zutaten und
Materialen mixen. Dies steigert die Akzeptanz der Schwangeren gegenüber dem
Rizinus-Cocktail. Was wiederum eine höhere Gefahr für eine Selbstmedikation birgt.
Dieses Vorgehen setzt natürlich eine informierte Entscheidung voraus. Dadurch ist die
Frau aufgeklärt und die Akzeptanz und Entscheidungsfreiheit haben einen positiven
Einfluss auf das Vorgehen, sowie das Geburtserlebnis. Gleichzeitig wird das
Kohärenzgefühl gestärkt. Eine adäquate und ganzheitliche Hebammenbegleitung wird
als sehr wichtig erachtet. Die Möglichkeit der Geburtsauslösung nach dem Termin
kann im gemeinsamen Gespräch und in der Beratung diskutiert werden. Die Frau
nimmt ihre Eigenverantwortung, unterstützt durch die Hebamme,
wahr und kann
somit, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, selber über den Einnahmetag des
Rizinus-Cocktails entscheiden. Nach Green, Coupland & Kitzinger (1990) wurde
erwiesen, dass die Zufriedenheit der Frauen höher ist, wenn sie in den Prozess der
Entscheidung und des weiteren Vorgehens miteinbezogen werden.
Betreffend der Rezeptur erwies Vonau et al. (2004) eindeutig, dass eine Beimischung
von Eisenkrautöl ein schlechteres Resultat für das Kind darstellt. Auch Stadelmann
(2007) weist explizit darauf hin. Stadelmann (persönliche Mitteilung, 25. Mai 2010)
begründet ihr Rezept folgendermassen: Der Alkohol sorgt für eine schnellere
Darmpassage, aufgrund der vom Alkohol ausgelösten Vasodilatation, wird vom Darm
mehr Flüssigkeit resorbiert und dadurch wird ein massives Abführen verhindert. Zum
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist allgemein zu sagen, dass mögliche
Fehlbildungen durch Alkohol entscheidend vom Zeitpunkt des Einwirkens abhängen.
Es gibt sehr kontroverse Diskussionen zum Thema Alkohol in der Schwangerschaft
und dem entsprechend verschiedene Empfehlungen. Das UK Royal College of
Obstetricians (zitiert in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA),
2002) sagt, dass bei einem Konsum von weniger als 120 g Alkohol pro Woche für das
Kind keine negativen Auswirkungen zu erwarten sind. 120 g Alkohol entsprechen
ungefähr 170 ml hochprozentigem Alkohol. Stadelmann empfiehlt 20 bis 30 ml
Schnaps in den Cocktail beizumischen. Es gibt keine Untersuchungen, welche sich von
gewissen Alkoholsorten Vorteile versprechen. Folglich kann man davon ausgehen,
48
Rizinusöl
dass bei einem Rezept mit 20- 30ml Rizinusöl, 20- 30ml Schnaps und dies aufgefüllt
mir 2- 3dl Aprikosensaft, keine Gefahr für das Kind besteht.
Der Aprikosensaft im Cocktail soll einen möglichen Kaliumverlust, der durch Durchfall
verursacht
wird,
verhindern.
Kaliummangel
kann
zu
einer
Störung
der
neuromuskulären Erregungsleitung führen. Dadurch kann es zu einer Muskelschwäche
im Körper kommen (Schäffler & Menche, 1999). Die Muskelaktion des Uterus würde
auf diese Art ebenfalls beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig,
Aprikosensaft bei der Mischung des Cocktails zu gebrauchen und nicht wie oftmals
üblich Orangensaft. Orangensaft enthält drei Mal weniger Kalium als Aprikosensaft.
Die Konstitution der Frau ist diesbezüglich nicht ausser Acht zu lassen. Da es keine
einheitliche und genaue Programmierung der Wirkung des Rizinusöls im Körper gibt,
kann die Gabe durchaus mit Diarrhö und Nausea korrelieren und kräfteraubend sein,
was den weiteren Geburtsverlauf und den Geburtsmodus stark beeinflusst.
7.2
Diskussion der Implementierung und Projektplanung
Die Implementierung von wissenschaftlicher Literatur in der Hebammenpraxis wird von
Dörpinghaus & Schröter (2005) mit einem jungen Zweig an einem alten Baum
verglichen. Der alte Hebammenbaum ist durch vielfältige Erfahrungen, reiche Tradition
und einer langen Geschichte gekennzeichnet. Dörpinghaus & Schröter (2005) erachten
es als bedeutsam, dass der Transfer zwischen den neuen Evidenzen und dem alten
Hebammenwissen gelingt.
Insbesondere deshalb ist es wichtig, dass Implementierungsprozesse sorgfältig
geplant, die Anliegen und Themen der Praxis aufgenommen und die Evidenz in einem
gemeinsamen Weg erarbeitet und eingeführt werden. Die Implementierung in einem
Gefäss durchzuführen, macht in diesem Arbeitsfeld Sinn. Der Austausch und Kontakt
der
Hebammen
untereinander
ist
wesentlich
für
den
folgenden
Prozess.
Im Mittelpunkt jeder Entscheidung steht die Frau, welche informiert entscheiden darf.
Es ist nicht zu vergessen, dass auch die Frau für die Implementierung eine Rolle spielt.
Und deshalb ist nach Stahl (Bund deutscher Hebammen, 2005) auch die beste
verfügbare Evidenz unter Umständen bei einer bestimmten Frau nicht umsetzbar oder
sogar ungeeignet. Das heisst, dass die beste wissenschaftliche Evidenz nicht allein für
evidenzbasiertes Arbeiten ausreicht. Es braucht weiterhin die Erfahrung der Hebamme,
sowie die Präferenzen der Frau.
49
Rizinusöl
Ein Internetforum einzurichten, wäre ein weiterer Schritt in die Zukunft der Vernetzung
der Hebammen. Es ist bereits möglich, dass schwangere Frauen diverse Daten über
die Entwicklung des Ungeborenen über verschiedene Mobiltelefon-Programme abrufen
können. Visionen und Ideen zur weiteren Vernetzung der Hebammen untereinander
und mit den Frauen sind gefragt.
Bei einer optimalen Implementierung werden die genauen und evidenzbasierten
Kriterien für eine Gabe vom Rizinus-Cocktail in der Praxis eingehalten. Nach Knauss et
al. (2009) ist der Rizinus-Cocktail zur Wehenauslösung eine adäquate alternative
Methode. Als Folge einer evidenzbasierten Gabe des Rizinus-Cocktails könnten
Spitaleinweisungen nach erfolglosen Versuchen der Wehenauslösung zu Hause mit
Rizinusöl gesenkt werden. Im weiteren Kontext könnte dies sogar eine Möglichkeit
sein, weitere Kosten im Gesundheitswesen einzusparen. Dies setzt voraus, dass das
evidenzbasierte
Vorgehen
der
Einnahme
des
Rizinus-Cocktails
unter
Hebammenbetreuung weiteren Frauen als Möglichkeit angeboten wird.
7.3
Limitationen
Die Ergebnisse sprechen nun sehr für die Einnahme des Rizinus-Cocktails. Doch trifft
man immer auch Frauen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Frauen, die mit
massiver Diarrhö und Nausea zu kämpfen hatten und deren anschliessender
Geburtsmodus durch die Einnahme beeinflusst wurde. Interessant wäre diesbezüglich
eine
weitere
Datenerhebung.
Insbesondere
im
Kontext
der
Einnahme
wie
beispielsweise mit welchen Zutaten, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem BishopScore die Frauen den Rizinus-Cocktail eingenommen haben.
Über die nachgewiesene Wirkung und die empfohlene Kontrolle der Herztöne, sowie
über die Nebenwirkungen Nausea und Diarrhö, kann diskutiert werden, ob eine
Wehenförderung mit Rizinusöl zu Hause wirklich eine adäquate Methode ist.
Insbesondere auch die Frage, wie die Weiterbetreuung aussieht und welche
Möglichkeiten die Hebamme hat, wenn die Schwangere Nebenwirkungen wie Nausea
und Diarrhö erlebt.
Durch die informierte Entscheidung wird die Schwangere bereits im Vorfeld über die
Nebenwirkungen aufgeklärt, was die Frau auf Möglichkeiten vorbereitet, jedoch keine
Garantie ist, dass keine Nebenwirkungen auftreten. Die Hebamme muss im Voraus
mögliche Verläufe mit der Frau thematisieren und Therapiemöglichkeiten aufzeigen.
50
Rizinusöl
Falls der „worst case“ (massiver Durchfall mit Elektrolytenverlust, Nausea, Erschöpfung
der Frau) eintrifft, wird eine Spitaleinweisung unumgänglich. Bei einem weniger
heftigen Durchfall oder Nausea, bestehen auch für die Hebamme im freiberuflichen
Tätigkeitsfeld Möglichkeiten zur Linderung. Wie zum Beispiel durch Bouilloneinnahme,
Aprikosensaft, oralem Flüssigkeitsersatz zur Verhinderung einer Elektrolytentgleisung,
sowie mit Aromen, Akupunktur oder Wickeln.
Bei einer sorgfältigen Hebammenbegleitung, einer adäquaten Anamnese und dem
Ausschliessen von Kontraindikationen, sowie durch eine reife Zervix, kann eine
Wehenförderung mit dem Rizinus-Cocktail im häuslichen Bereich nicht als untragbares
Risiko betrachtet werden.
Mit der Statistik des Hebammenverbandes konnte aufgezeigt werden, dass sich vor
allem Frauen mit einem höheren Bildungsniveau für eine Betreuung bei der
freipraktizierenden Hebamme entscheiden. Da die Erhebung hauptsächlich bei fpH
durchgeführt wurde, können die Ergebnisse nicht auf die gesamte Population
übertragen werden. Somit ist unklar, wie hoch die Akzeptanz von Frauen aus anderen
Kulturkreisen gegenüber dem Naturheilmittel Rizinusöl ist. Ob fremdsprachige den
Inhalt des Merkblattes verstehen, wie eine Kommunikation für eine informierte
Entscheidung möglich ist, sowie die persönlichen und kulturellen Werte und Haltungen
gegenüber der Schul- und Komplementärmedizin wurde nicht erfasst.
Aufgrund des Designs gibt es weitere Limitationen. Da nur deutschsprechende
Hebammen, die mehrheitlich in der Deutschschweiz praktizieren, befragt wurden,
konnte die Situation in der Romandie und dem Tessin nicht erfasst werden. Es kann
nicht abschliessend gesagt werden, wie Hebammen aus der Westschweiz und der
Südschweiz den Rizinus-Cocktail in der Praxis nutzen.
In einer weiteren Untersuchung müsste die Erhebung verfeinert werden und
insbesondere
die
genauen
Erfahrungen
von
verschiedenen
Fällen
und
Geburtsverläufen erhoben werden.
Durch die Implementierung in der Intervisionsgruppe, wird nur ein kleiner Teil der
freipraktizierenden
Hebammen
erreicht.
Eine
Möglichkeit
mehr
Berufsfrauen
anzusprechen wäre, die Resultate zu publizieren. Einerseits könnten dadurch mehr
Hebammen erreicht werden, andererseits jedoch würden der Kontakt und der
Austausch, was wichtig ist, um die traditionelle Praxis wirklich zu verändern, fehlen.
51
Rizinusöl
8
SCHLUSSFOLGERUNG
Aufgrund der Stichprobe und der Rücklaufquote sowie der Tatsache, dass fast alle
deutschsprechenden
fpH,
welche
Geburten
durchführen
in
die
Befragung
eingeschlossen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass 77 % der Hebammen
den Rizinus-Cocktail empfehlen.
Es ist den Hebammen allerdings wichtig, den Rizinus-Cocktail nur nach Abklärung von
Indikation und Kontraindikation zu empfehlen. Ebenso erachten sie die Begleitung und
Kontrolle durch die Hebamme als wichtigen Bestandteil. Dies umfasst insbesondere
auch die Herztonkontrolle des Ungeborenen. Keine der freipraktizierenden Hebammen,
welche den Rizinus-Cocktail empfiehlt, erlebte eine Uterusruptur oder eine vorzeitige
Plazentalösung.
Aus der wissenschaftlichen Literatur konnten einige Punkte herausgearbeitet werden.
Es ist von Bedeutung das Rizinusöl mit Alkohol und einem kaliumhaltigen Saft
(Aprikosensaft) zu mischen. Ebenso wird nach Knauss et al (2009) die Methode den
Rizinus-Cocktail bei Mehrgebärenden als alternative Massnahme zur Wehenauslösung
anzuwenden, bestätigt. Bezüglich unerwünschten Outcomes konnte keine Studie ein
abschliessendes Fazit aufzeigen.
Eine erfolgreiche Implementierung bedarf genügend Zeit, guter Planung und genügend
Ressourcen. Wenn die Aufgaben klar verteilt sind, die Kommunikation wertschätzend
gestaltet
wird
und
die
Teammitglieder
miteinbezogen
werden,
können
Forschungsresultate in die Praxis umgesetzt werden.
8.1
In
Empfehlungen für die Praxis
der
Anamnese
müssen
Kontraindikationen
(Frühgeburt,
HELLP-Syndrom,
Mehrlinge, Diabetes, chronische Darmerkrankungen, Operationen am Uterus,
Alkoholabusus,
Verdacht
auf
fetale
Kompromitierung,
intrauteriner
Fruchttod,
Lageanomalien, schnelle frühere Geburt) genau erfasst und dokumentiert werden. Für
die Empfehlung des Rizinus-Cocktails muss eine Indikation vorliegen.
Die Frau muss mittels informierter Entscheidung über das Vorgehen, sowie über Vorund Nachteile aufgeklärt werden.
52
Rizinusöl
Der Bishop-Score muss erhoben werden. Für eine Empfehlung des Rizinus-Cocktails
muss die Punktzahl gleich oder mehr als sechs Punkte betragen. Die Herztöne sollen
ein physiologisches Muster aufweisen.
In der Praxis soll das Grundrezept mit Rizinusöl und dem Beifügen von Alkohol und
Aprikosensaft angewandt werden.
Die Frau soll den Rizinus-Cocktail nicht als Selbstmedikation einnehmen. Das
Rizinusöl darf in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden, nur weil es in die Gruppe
der Phytotherapeutika gehört.
Weitere Forschungen bezüglich der Einnahme nach Uterusoperationen und der
Einnahme und Wirkung, wenn möglich mittels randomisierten Designs sind nötig.
Somit kann gesagt werden:
Wenn
eine
Indikation
zur
Geburtsauslösung
besteht,
Kontraindikationen
ausgeschlossen wurden, die Reife der Zervix vorhanden ist, die Frau informiert
entscheiden kann, das Rezept mit Aprikosensaft und Alkohol gemischt wird und die
Einnahme zu Parasympathikus-Zeiten erfolgt, ist die Geburtsauslösung mit dem
Rizinus-Cocktail eine adäquate alternative Methode.
Denn altes Hebammenwissen ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt und der
zusammen mit neuen Evidenzen die Berufspraxis bereichert.
53
Rizinusöl
9
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Tew, M. (2007). Sichere Geburt?. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag.
Vonau, M., Motzet, K., Stenzel, S. (2004).Wehencocktail mit Rizinusöl – eine schnelle
und sichere Alternative? (Electronic version). Die Hebamme: 17:220-224.
Wagner, M. (2001). Fish cant‟t see water: the need to humanize birth (Elctronic
Version). International Journal of Gynecology and Obstetrics: 75(1)25-37.
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Rizinusöl
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb 1: Ab welcher SSW kann der Rizinus-Cocktail empfohlen werden ............. 28
Abb 2: Indikation für eine Empfehlung zur Rizinus-Cocktail-Einnahme ............. 29
Abb 3: Kriterien für eine Empfehlung zur Einnahme des Rizinus-Cocktails ........ 29
Abb 4: Kontraindikation für eine Einnahme des Rizinus-Cocktails .................... 32
Abb 5: Rezepte für den Rizinus-Cocktail ........................................................... 32
Abb 6: Erlebte Wirkungen nach der Einnahme des Rizinus-Cocktails ................ 33
Abb 7: Warum wird der Rizinus-Cocktail empfohlen?......................................... 33
Abb 8: Erlebte Nebenwirkungen nach Rizinus-Cocktail...................................... 35
Abb 9: Empfehlung des Einnahmezeitpunktes des Rizinus-Cocktails ................ 35
Abb 10: Anwendungszeitpunkt, Kontrolle und Hebammenbetreuung
nach der Einnahme ................................................................................ 35
Abb 11: Warum wird der Rizinus-Cocktail nicht empfohlen? ................................ 37
Abb 12: Was müsste sich ändern, damit der Rizinus-Cocktail
angewendet würde? ............................................................................... 37
Abb 13: Erfahrene Nebenwirkungen nach Anwendung des Rizinus-Cocktails ..... 37
Abb 14: Algorithmus ............................................................................................ 40
Abb 15: Projektplan ............................................................................................. 41
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Rizinusöl
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ACNM
American College of Nurse- Midwives
AP
Austreibungsphase
DELBI
Deutsches Leitlinien Bewertungsinstrument
DRG
Diagnosis Related Group
EP
Eröffnungsperiode
ET
Errechneter Termin
FG
Frühgeburt
FIGO
Fédération Internationale de Gynécologie et d'Obstétrique
fpH
freipraktizierende Hebamme
HELLP
Haemolysis, Elevated Liver enzyme, Low Platelet
IUFT
intrauteriner Fruchttod
IMC
International Confederation of Midwives
IUWR
intrauterine Wachstumsretardierung
LP
Latenzphase
NICE
National Institute for Health and Clinical Excellence
PP
Plazentarperiode
SBK
Schweizerischer Berufsverband der Pflegefachfrauen und –männer
SGGG
Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
SHV
Schweizerischer Hebammenverband
SSW
Schwangerschaftswoche
VBS
vorzeitiger Blasensprung
WHO
World Health Organisation
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Rizinusöl
12
ANHANG
12.1
Praxisinstrument Merkblatt
Merkblatt für die Schwangere zur Einnahme des Rizinus-Cocktails
Das Rizinusöl (Ricini oleum) wird aus dem Samen der Pflanze Ricinus communis
(Wunderbaum) gewonnen. Es wirkt auf die glatte Muskulatur im Körper, welche unter
anderem im Magendarm-Trakt und im Uterus vorkommt. Durch verschiedene
Vorgänge im Körper, die von der Einnahme des Rizinusöls hervorgerufen werden, wird
Prostaglandine ausgeschüttet. Dies ist ein Hormon, welches als wehenauslösend gilt.
Dadurch wird der Uterus stimuliert, sich zusammenzuziehen und es werden Wehen
ausgelöst.
Da das Rizinusöl wie oben schon erwähnt auf die glatte Muskulatur wirkt, kann es zu
starkem Durchfall kommen. Aus diesem Grund wird das Rizinusöl mit Alkohol und
Aprikosensaft vermischt. Durch den Alkohol emulgieren das Öl und der Aprikosensaft
miteinander und zusätzlich soll damit die abführende Wirkung durch geringere
Darmreizung vermieden werden, so dass es zu weniger starkem Durchfall führt. Der
Aprikosensaft hat einen sehr hohen Kalium-Gehalt und ist darum ein Mittel der Wahl
für die Cocktailmischung, denn bei Durchfall verliert der Körper mehr Kalium als sonst
und dieses muss ersetzt werden.
Wichtig bei der Einnahme des Rizinus-Cocktails ist, dass Sie von einer Hebamme
betreut werden und den Rizinus-Cocktail nicht auf eigenen Wunsch einnehmen (Vonau
et al 2004). Denn es müssen auch verschiedene Risikofaktoren einbezogen werden.
Zum Beispiel, ob schon einmal eine Operation an der Gebärmutter vorgenommen
wurde (Kaiserschnitt, Curettage, Myomentfernung) oder ob bei Ihnen sonstige
Risikofaktoren bestehen, wie zum Beispiel ein erhöhter Blutdruck. Da in den meisten
Studien Frauen die vorgängig einen Kaiserschnitt hatten oder andere Risikofaktoren
aufzeigten, aus den Studien ausgeschlossen wurden, hat man zu diesen Punkten
keine eindeutigen Ergebnisse, um sagen zu können, dass der Rizinus- Cocktail ohne
Risiko verabreicht werden kann (Vonau et al 2004, Boel et al 2009, Azhari et al 2006).
Ebenfalls sollte nach der Einnahme des Cocktails, eine Hebamme Ihre Betreuung
übernehmen und regelmässig die Herzaktivität des Kindes überprüfen. In seltenen
Fällen kann es zu einem Abfall der Herztöne kommen, obwohl nicht eindeutig
bewiesen werden kann, dass dies aufgrund des Rizinus-Cocktails geschehen ist.
61
Rizinusöl
Der Zeitpunkt der Einnahme ist auch ein Punkt, der beachtet werden muss.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Cocktail nicht vor dem errechneten Geburtstermin
eingenommen werden sollte, da Studien (Knauss et al 2009) zeigen, dass die Wirkung
bei einer nicht geburtsbereiten Gebärmutter eher schlecht ist. Auch hier ist es zentral,
dass eine Hebamme vor der Verabreichung des Rizinus-Cocktails eine vaginale
Untersuchung durchführt, um zu sehen, ob der Gebärmutterhals schon „reif“ ist und auf
die Einnahme des Cocktails ansprechen würde.
Der Cocktail sollte am späten Abend oder vor dem Schlafengehen eingenommen
werden. In der Nacht arbeitet der Darm vermehrt und so kann eine optimale Resorption
(Aufnahme) des Cocktails stattfinden kann. Die Wirkung setzt erfahrungsgemäss
ungefähr vier bis sechs Stunden nach der Einnahme ein, so verspürt man die ersten
Symptome meist am frühen Morgen.
Auf das Kind hat die Einnahme des Rizinus-Cocktails, laut der Studie von Boel et al
(2009) keine negativen Auswirkungen. Es wird beschrieben, dass teilweise vermehrt
grünes Fruchtwasser aufgetreten ist, allerdings kann auch hier nicht mit Gewissheit
gesagt werden, dass dies aufgrund des Rizinus- Cocktails geschehen ist oder schon
zu einem früheren Zeitpunkt.
Bei Fragen oder Anliegen wenden Sie sich an Ihre betreuende Hebamme.
Literaturangaben:
Azhari, S., Pirdadeh, S., Lotfalizadeh, M., Shakeri, MT. (2006). Evaluation of the effect of castor oil on initiating
labor in term pregnancy. (Electronic version). Journal Saudi Med, 27(7):1011-4.
Boel, ME., Lee, SJ., Rijken, MJ., Paw, MK., Pimanpanarak, M., Tan, SO., Singhasivanon P., Nosten F., McGready R.
(2009). Castor oil for induction of labour: not harmful, not helpful. (Electronic version). Aust N Z J Obstet Gynaecol,
49(5):499-50
Knauss, A., Strunz, K., Wöckel, A., Reister, F. (2009). Geburtseinleitung mit Rizinusöl- Ergebnisse der Ulmer
Rizinus- Studie. (Electronic version). Die Hebamme, 22: 216- 218
Vonau, M., Motzet, K., Stenzel, S.(2004). Wehencocktail mit Rizinusöl – eine schnelle und sichere Alternative?
(Electronic version) Die Hebamme: 17:220-22
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