Hilfreiche Interventionen im Beratungsprozeß
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Hilfreiche Interventionen im Beratungsprozeß
– Hilfreiche Interventionen im Beratungsprozeß Berufsverband Dipl. Ehe-, Familien- und LebensberaterInnen Österreichs Jahrestagung 2002 7. – 9. Juni in Salzburg, St. Virgil RITUALE – HILFREICHE INTERVENTIONEN IM BERATUNGSPROZESS Vorwort Die heurige Jahrestagung hatte vom Schwerpunkt her und in ihrer Umsetzung experimentellen Charakter. Experimentell insofern, da der Samstag ganz im Zeichen eines simulierten Scheidungs- und Trennungsritual stand. Die Darstellung erfolgte in einer Großgruppe von ca. 120 Teilnehmern, das Ritual exemplarisch in diesem Setting durchzuführen, war für Fr. Jutta Lack-Strecker keine leichte Aufgabe, und doch gelang es ihr, uns eine Vision mitzugeben, in welche Richtung die Arbeit mit Menschen in Trennung und Scheidung gehen kann. Trennungen von Familien sind schon fast alltäglich, was nichts daran ändert, dass sie einen massiven Einbruch, oft auch eine Krise in der Biographie aller Beteiligten mit sich bringen. Es gibt kaum ritue lle Formen, wodurch diese tiefgehenden Veränderungen sozusagen einen heilsamen Rahmen bekommen. Der schöne Rahmen des Hauses und die aufwendige organisatorische Vorbereitung haben dazu beigetragen, dass die Tagung ein Raum für Begegnung – und auch für ein herzliches Miteinander (besonders am Samstag Abend mit den Linzer Schnitten) wurde. Das ist auch der adäquate atmosphärische Rahmen für Beratung, Mediation und vor allem für Rituale, welche Trennung und Abschied thematisieren. Auf die Frage hin, ob einem die Arbeit mit Menschen in belasteten Trennungssituation nicht auch persönlich sehr berührt bzw. nahe geht, gab Fr. Lack-Strecker sinngemäß zur Antwort: Von der Berührung zur genauen Wahrnehmung – das ist eine entsprechende beraterische Haltung – gerade, wenn man immer wieder und jahrelang mit diesem Thema zu tun hat. Gerald Koller hat mit seinem Vortrag die Tagung eröffnet und durch ein unkonventionelles aber auch sehr praktisches Ritualeverständnis uns das Ankommen gut ermöglicht und gleichsam den Boden für die weitere Auseinandersetzung aufbereitet. Der Sonntag (es sind eigentlich nur mehr drei Stunden am Vormittag) lebt immer in der Spannung, noch einen interessanten Impuls zu bringen, jedoch nicht mehr ganz Neues. Eine Zeit des Abschieds soll sich auc h noch ausgehen. Diesmal haben wir drei Themen zur Auswahl angeboten, mit dem Vorteil, dass tatsächlich ein zusätzlicher Aspekt zum Thema möglich war, mit dem Nachteil, dass die Schwerpunkte in ihrer Komplexität nicht ganz zufriedenstellend umgesetzt werden konnten –dies auch gar nicht möglich war. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen der vorliegenden Artikel und ich hoffe, Sie erinnern sich dadurch noch einmal gerne an die Tagung zurück, sodass Sie Lust darauf bekommen, an der Verbandstagung 2003, 13. – 15. Juni in Salzburg teilzunehmen. Ebenso hoffe ich, dass Sie durch die Tagung und durch die vorliegenden Texte die eine oder andere Anregung für Ihre Praxis bekommen. Josef Hölzl Vorsitzender 2 Berufsverband Diplomierter Ehe-, Familien- und LebensberaterInnen Österreichs www.ehe-familien-lebensberatung.at Jahrestagung 2002 Rituale - Hilfreiche Interventionen im Beratungsprozess Freitag, 7. Juni 2002 17.30 18.00 18.45 19.15 19.30 21.00 21.30 Eintreffen Abendessen Registrierung Eröffnung und Begrüßung Leuchtfeuer - Rituale als Brücken zwischen Ordnung und Chaos Gerald Koller, Steyr Plenum: Anfragen, Austausch und Diskussion Ende Samstag, 8. Juni 2002 7.30 8.45 9.00 12.30 14.00 14.15 15.30 16.00 16.30 17.00 - 18.30 19.15 20.30 Frühstück Einstimmung Scheidungszeremonien Jutta Lack -Strecker, Berlin Mittagessen Beginn im Plenum Vertiefende Arbeitskreise Pause Abschluss im Plenum Pause Jahreshauptversammlung 2002 Abendbuffet Linzer Schnitten, Improvisationstheater Sonntag, 9. Juni 2002 7.30 8.00 8.45 9.00 Gottesdienst Frühstück Einstimmung Themenschwerpunkte zur Arbeit mit Ritualen: Gruppe 1: Ablösungskonflikte in Zeiten der Pubertät und Adoleszenz Ablösung in der Familie - Hilfestellung für Eltern (und für Jugendliche) im Beratungskontext 11.00 11.30 12.00 Mag. Dr. Eduard Waidhofer, Linz, Gruppe 2: Heilung durch Rituale Die spirituelle Dimension im Beratungsprozess Sigrid Winter, Wien Gruppe 3: Versöhnungsgesten für Paare in der Beratung Liebe - Krise - Versöhnung Christine Dvorak , Wien Pause Abschlussritual Sigrid Winter, Wien Mittagessen – Tagungsende 3 Gerald Koller LEUCHTFEUER – RITUALE ALS BRÜCKEN ZWISCHEN ORDNUNG UND CHAOS Chaos und Ordnung: Wie aus Gegensätzen Beziehung wächst Mit der Integration des Chaotischen, Regressiven, Schwachen in unser Leben tun wir uns als Mitglieder einer Hochkultur schwer. Wie wichtig jedoch die Beziehungsaufnahme zu beiden – den geordneten Strukturen in unseren Leben und dem Chaotisch-Unerwarteten – ist, davon soll hier genauso zu lesen sein wie von den Möglichkeiten, die Menschen gefunden haben, Balance und Beziehung zwischen diesen beiden Polen herzustellen. Denn Beziehungen sind nicht steuerbar wie maschinelle Abläufe – in Beziehungen brauchen wir eine ganze Menge Flexibilität und die Fähigkeit, Brücken zu bauen... Die Gegensätze: So sehr wir uns auch bemühen, unser Leben in Ordnung zu bringen: Ordnung ist, wie der Volksmund sagt: „das halbe Leben“ – eben wirklich nur die Hälfte. Die andere Hälfte ist das Chaos, das Unerwartete und das Ungestaltbare. Die Krise, der Konflikt und das Unwetter, die Katastrophe, der offene und ungeplante Prozess – Leben entsteht immer wieder aufs Neue: durch die Begegnung, das Ineina ndergreifen, die Beziehung zwischen Ordnung und Chaos. Wir schaffen Strukturen und Ordnungen, die uns das Leben erleichtern und das Überleben sichern, - bis zu jenem Moment, da ein chaotischer Umbruch die bisherige Ordnung aufhebt. Somit sind wir gezwungen, uns neu zu orientieren, neue Ordnungen zu schaffen – und uns damit weiterzuentwickeln. Die Beziehung zwischen Chaos und Ordnung fördert unsere Balance zwischen Flexibilität und Beharrung, zwischen Abenteuer und Heimat. Zwischen diesen Polen spannt sich unser Leben auf, und wird auch nur lebendig bleiben, wenn wir einen Rhythmus finden, der das Alte bewahrt – und doch auch offen für das Neue ist. Dauerhafte Unausgewogenheit stört diesen Rhythmus und führt zu Krankheit, zum Tod. A propos Rhythmus: im Gege nsatz zum Takt, der eine von außen vorgegebene, starre Ordnung ist, ist Rhythmus das Grundmuster unseres Lebens. Und was am Rhythmus auffällt, ist seine Integration von Ordnung und Chaos, Stabilität und Veränderung: kein Herzschlag 4 und keine Tageslänge ist den Vorgängern gleich. In steter Wiederholung passiert doch Veränderung. Rhythmen in unserem Leben zu finden – zwischen Anspannung und Entspannung, Genießen und Verzichten, Geben und Nehmen, nach außen und nach innen Gehen, - heißt Beziehung zwischen den Polen des Lebens aufbauen, um damit gesund und lebendig zu bleiben. Natürlich ist das Chaos nicht beliebt. Auch wenn wir heute aus den verschiedensten Forschungsgebieten wissen, dass Leben nur im Ineinander von Chaos und Ordnung passiert, und reine Ordnung ebenso zum Tod führt wie reines Chaos: Das Aufbrechen von Veränderung und Offenheit macht zuerst einmal Angst. Aber wie auch immer wir damit umgehen, wir können uns der Kraft des Chaotischen nicht entziehen: unser Immunsystem bleibt nur aktiv, indem wir dauernd chaotische Angriffe von tausenden Viren und Bakterien abwehren müssen, in deinem Bett warten 2 Millionen Bettmilben auf dich (du bist nie alleine); ein Wald, in dem kein Sturm mehr Bäume umwirft, stirbt an Humusmangel – und die wesentlichsten Momente in deinem Leben (wie deine Geburt) waren wohl kaum welche, die nach Ordnungsmaßstäben, geplant und strukturiert, vor sich gegangen sind. Die Spaltung ... Hochkulturen sind bestrebt, mittels Ordnungsstrategien das Erreichte an materiellem und geistigen Besitz vor Verlust zu sichern. Konflikt, Krise, Rausch, Jugend, Alter, Behinderung, Krankheit und Tod – sie machen uns auf die Vergeblichkeit dieses Bemühens aufmerksam und müssen daher an den Rand der Dörfer, Städte, Gesellschaften gedrängt werden. Schau dir den Plan des Ortes an, in dem du lebst, und du wirst sehen, dass alle Ordnungsstrukturen sich architektonisch in der Mitte scharen, alles Chaotische aber am Rand untergebracht wird. Naturnahe Kulturen gehen mit diesem Phänomen integrativer um: das Erschütternde wird in die Mitte geholt und ihm somit die Bedrohung genommen. Den unerbittlichsten Umgang mit dem Chaotischen pflegen Diktaturen – es ist paradox und folgerichtig zugleich, dass sie es sind, die oft das größte Chaos auf die Welt bringen. Am Beispiel des Niedergangs der DDR wiederum ist feststellbar, was passiert, wenn ein Volkskörper seine Immunkraft verliert. Über 40 Jahre wurde das Chaos der Kommunikation durch ein perfektes Überwachungssystem unterbunden. Kaum jedoch fanden sich einige 5 Wenige, die miteinander ins Gespräch kamen, zeigte sich, dass der Staat gegen die folgende „bakterielle“ Wirkung des Aufstands vollkommen hilflos war: binnen 3 Monaten war seine Macht gebrochen. Aber auch wir, die in Demokratien leben (manche sprechen listigerweise von „Demokraturen“ oder „Mediokratien“), können immer wieder miterleben, wie schwer es uns fällt, mit der Krise, die uns das Chaotische beschert, umzugehen. ... und die Brücke: Welche Strategien haben nun Menschen gefunden, um mit dem Vakuum, das das Chaos hinterlässt, konstruktiv – und nicht destruktiv oder verdrängend – umzugehen? Schließlich gilt die Zeit der Krise als die der großen Gefahr für Kränkung und Krankheit. Das christliche Symbol des Osterfestes zeigt uns, wie elend und doch notwendig diese Zeit ist: Auf den schmerzensreichen Abschied des Karfreitags folgt nicht der triumphale Ostersonntag auf den Fuß; - nein, da ist der Karsamstag, „ein Tag wie Blei, ein Tag ohne Hoffnung“, wie die Autorin Luise Rinser schreibt. Wer weiß, wie lange der Karsamstag der Pubertät, der Midlife-Crisis, der Arbeitslosigkeit, der Krankheit dauert? Und dennoch brauchen wir diese Zeit, um – weichgekocht von der Krise – so offen zu werden, dass uns etwas einfällt (was in den Zeiten der Stärke wieder abprallen würde) und wir neu werden können. Jene Helfer, die Menschen in diesen Zeiten der Verunsicherung als Leitlinien und Haltegriffe entwickelt haben, sind Rituale. Rituale geben Halt und Orientierung, schaffen Klarheit in stürmischen Zeiten des Umbruchs, geben Heimat im Gefühl der Fremde, entwickeln Ordnung in chaotischen Zeiten. Und gerade dadurch helfen sie, uns wieder aufzumachen, das Chaos nicht abzuwehren, sondern zu akzeptieren und zu integrieren und uns damit weiterzuentwickeln. Sie fördern unsere Neugier auf das Leben. Beim Wort Rituale werden wohl gleich verschiedene Bilder bei dir aufsteigen: Vom täglichen Zähneputzen als Alltagsritual über Feste mit FreundInnen und deiner Familie zu Vollmondtänzen, über Staatsfeierlichkeiten, den Fronleichnamsumzug durchs Dorf bis zur Begräbniszeremonie für einen lieben Menschen. In folgender Graphik habe ich versucht, die verschieden Ritualstufen nach ihrer Nähe zu den Polen Ordnung und Chaos darzustellen. Als Symbol – natürlich – wieder die Spirale: 6 Zeremonien Feierlichkeiten Beziehungen Muster CHAOS Feste Höhepunkte Alltag persönl. Tagesstruktur Traditionen Übergang ORDNUNG Das Leben als Ganzes Spiel Spontane Brücke Trance Übergang ins Außeralltägliche Alltagsrituale strukturieren als Gewohnheiten, derer wir uns meist nicht bewusst sind, unseren Tag – schließlich bestehen 70% unseres Tagesablaufes aus solchen Gewohnheiten. Feierlichkeiten dienen zumeist auch der Demonstration und dem Erhalt von Macht. (Gerade hier ist auch anzumerken, dass Rituale sorgfältiger und kritischer Reflexion bedürfen. Denn sie können wie kaum eine andere Maßnahme Menschen in psychische oder politische Abhängigkeit führen. Und selbstverständlich ist auch der Krieg ein Ritual – wer wollte leugnen, dass die terroristischen Angriffe auf Kraftplätze des Westens ritueller Natur waren.) Feste hingegen sind offene Begegnungsräume, die der gemeinsamen Gestaltung bedürfen. Feste (im Gegensatz zu Events) kennen keine TeilnehmerInnen, sondern nur TeilgeberInnen – erst dann können sie Beginn, Höhepunkt oder Abschluss einer Entwicklung sein. Eine besondere Fähigkeit, Beziehung zwischen Ordnung und Chaos herzustellen, beweist das Spiel – deswegen ist es wohl für uns so wichtig. Das Ritual des Spielens lebt wie kaum ein anderes Tun von Ordnung und Chaos, denn es braucht Spielregeln, also Ordnung – und lebt dennoch vom Unerwarteten: niemand würde spielen oder einem Spiel beiwohnen, wenn das Ergebnis schon am Anfang feststünde. Der Reiz und die Spannung des Spiels liegt ja gerade darin, dass dies nicht der Fall ist. Einlassen auf das Unbekannte ist die Devise, und jede(r), jedes Team versucht, den SpielpartnerInnen möglichst viele solcher überraschenden Momente 7 zuzufügen. Stell dir eine geordnete und vorstrukturierte Skiabfahrt oder ein Fußballspiel vor, in dem alle Spielzüge vorher vereinbart wären: Fadesse pur. Spielen macht uns lebendig, schafft Konzentration, Mitte und Beziehung. Wenn du mit deiner Familie oder mit deinen FreundInnen ein ganz banales Spiel, das die Begegnung von Chaos und Ordnung spürbar macht, spielen willst, schlage ich dir folgendes vor: setzt oder stellt euch in einen Kreis und zählt von 1 bis 10. Die Reihenfolge, wer also die nächste Zahl sagt, ist jedoch nicht vorgegeben. Sprechen zwei zur selben Zeit eine Zahl aus, so geht’s von vorne los. Du wirst erleben, wie viel Spaß und Lebendigkeit, aber auch Intuition und Kommunikation selbst solche (anscheinend) banalen Spiele bringen... Die höchste, intensivste und bewussteste Form des Rituals ist der Initiationsritus : die Einweihung in neue Lebensphasen brauchen wir deshalb so dringend, weil am Anfang und Ende solcher Zeiten Verunsicherung herrscht. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“ schreibt Hermann Hesse (Deutsch-Schweizer Schriftsteller am Beginn des 20.Jahrhunderts) in seinem Gedicht „Stufen“ – dazu ist es aber notwendig, diesen Anfang bewusst zu machen. Ebenso heißt es darin: „Es wird auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen ewig jung entgegensenden. Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde“. Nun ist es so, dass ein Ritual als außeralltägliches Ereignis seine Entsprechung, ja Grundlage im Alltag haben muss: Rituale zwischen Menschen geben nur dann Kraft, wenn es auch ein soziales Netz des Alltags gibt, das hält. Einen Mangel an Verbindungen und Verbindlichkeiten im Alltag, das fehlende gute Wort zwischendurch, die nicht eingehaltenen Vereinbarungen kann auch das schönste Fest nicht wettmachen. Kränkung passiert im Alltag. Heilung auch. Wenn wir dem heute vielstrapazierten Wort des Netzwerks und der Vernetzung auf den Grund gehen, so wird uns ein wesentlicher Aspekt von Beziehung bewusst. Nehmen wir das Bild des Sprungtuchs, das Menschen auffangen kann, gerade auch dann, wenn sie fallen: Ein Sprungtuch gewinnt seine rettende Kraft nicht dadurch, dass wir alle beisammenstehen und möglichst einer Meinung sind – zwischen uns würde es schlaff zu Boden hängen. Auch wenn wir (was politische Vereinfacherer gerne vorschlagen) alle im Gleichschritt in eine Richtung gehen, entsteht keine Spannung. Ein Rettungstuch entfaltet sich nur dann, wenn wir alle uns des gemeinsamen Ganzen bewusst werden und dann ein(e) jede/r in unsere je eigene Richtung 8 gehen – sternförmig auseinander. Wir nehmen damit also Beziehung zur gemeinsamen Mitte auf und ziehen dann in verschiedene Richtungen. Fazit: Beziehung entwickelt sich nicht aus Gleichheit, sondern aus Verschiedenheit und Vielfalt. Bereichernd können unsere Partnerschaften, Familien, Teams, das Völkergemisch, das Panoptikum der Kulturen auf diesem Planeten sein, wenn wir Beziehung so definieren: Miteinander, Ineinander, Gegeneinander, dem eine gemeinsame Mitte innewohnt! Insbesondere was Rituale in Übergangssituationen betrifft, haben wir großen Nachholbedarf. Zu oft werden Menschen mit ihren Anfangs- und Endsituationen alleine gelassen. Zu selten wird die heilende Kraft des Rituals benützt und damit Kränkung vermieden. Wie gehen wir – um bei einem Lebensbereich, dem 4-jährigen „Karsamstag“ der Pubertät zu bleiben – mit dieser Übergangszeit um? Feiern wir die erste Menstruation des Mädchens im Kreis der Frauen, weil eine vom Kind zur Frau wird? Und werden junge Männer im Stimmbruch von den Alten mit ihren Erfahrungen beschenkt und aufgenommen? Ist der erste Schultag einer der Beheimatung? Wir dürfen uns nicht wundern, dass Jugendliche angesichts des Mangels an rituellen Formen zu Ersatzritualen greifen, die oft große Macht haben: der Eintritt in eine Jugendsekte oder extreme politische Gruppierung, die Heimat vermittelt, wie wir sie nicht geben können; das gemeinsame Saufritual am Bierfest, der rituelle Drogenkonsum im Geheimen, das alles schafft Heimat (schließlich kommen beide Worte, „Geheimnis“ und „Heimat“, aus dem selben Wortstamm). Aber auch in der Öffentlichkeit müssen oftmals Wirtschaftsprodukte wie die Jugendkarte der Banken das Gefühl vermitteln, dabeizusein, wenn es die Beziehungsarbeit nicht tut... 9 Möglichkeiten zu Ritualen liegen oft ungenützt auf der Straße der Entwicklung. Wenn wir jedoch die Augen öffnen, bieten sich täglich Zeichen und Begegnungen an, die Ordnung ins Chaos bringen, Stabilität in die Verunsicherung, die gut tun und heilen. Wie klar habe ich noch den Nachmittag vor Augen, als unser Jüngster keuchend und mit leuchtenden Augen die Treppe hochgelaufen kam und im Gang schon rief: „Papa, Papa, heute hab ich das erste Mal einen Hund gestreichelt!“, hatte er doch jahrelang große Angst vor Hunden gehabt und gerade jetzt ein ihm unverdächtiges Tier sich kurz zu berühren getraut. Ein besonderer Anlass, den ich als alltäglich abtun, zynisch entwerten – oder ihm mit einem kleinen Fest Bedeutung verleihen kann. Ich kniete nieder und freute mich 2 Minuten mit ihm; und es war ganz klar: Heute hatte etwas ganz Neues begonnen, in ihm Platz genommen, heute war aus Angst Mut geworden und Entwicklung passiert. Wenn du dich erinnerst: Welche Momente in deinem Leben waren es, die dir Halt gegeben haben, Halt geben bis heute, die dein Leben tragen? Waren es die großen, rauschenden Feierlichkeiten – oder doch die kleinen Momente, in denen ein Mensch zur rechten Zeit deine Hand ergriffen hat? 10 Jutta Lack-Strecker SCHEIDUNGSZEREMONIEN Der Ritus setzt die Ehrlichkeit des Gefühls voraus. (Sammlung von Louen-Yu) Die Einwirkung des Ritus auf die Bildung des Menschen ist von geheimer Art. Sie kommt dem Bösen zuvor, ehe es noch auftritt; sie rückt ihn dem Guten näher und dem Bösen ferner, ohne daß er es merkt. Li-Ki (Memoires sur les rites) 1. Übergang und Entlastung Übergangsriten haben mit Überquerungen von Grenzen, mit Status- und Zustandswechseln zu tun. In unterschiedlichen Kulturen diente das Ritual der Bindung tiefer menschlicher Ängste und der Vermeidung gesellschaftlicher Katastrophen. Rituale in diesem Verständnis sind in unseren westlichen Gesellschaften weitgehend verloren gegangen. Geblieben sind rituelle Zeremonien - z.T. erstarrte - die jedes größere Lebensereignis begleiten: glücklich vorwärtsweisende Ereignisse wie Geburt, Taufe, Geburtstage, Kommunion, Konfirmation, Heirat, Jubiläen, aber auch vor allem Tod. Rituale machen auch deutlich, daß eine Schwelle überquert wird, die in eine neue Welt führt. In verschiedendsten Kulturen wird z.B. die Türschwelle Brennpunkt ritueller Handlungen. Sie wird mit Blut oder reinigendem Wasser besprengt, sie wird rituell gefegt, mit Weihrauch oder Parfümen beräuchert; magische oder heilige Objekte werden an die Tür gehängt oder Türen und ihre Umgebung werden selbst architektonisch ritualisiert, indem sie zum Portal werden. Reste davon haben sich in dem Brauch erhalten, die Braut oder die Geliebte über die Schwelle zu tragen. Die Schwelle, dieses Außerhalb von Innen und Außen, außerhalb eines vertrauten Zustands (z.B. Ehe) und noch nicht in einer neuen Form (z.B. der Familie) ist dialektisch, denn es erlaubt einen dritten Standpunkt, von dem das Innen und Außen, das Vergangene 11 und das Zukünftige in seiner Beziehungshaftigkeit erst richtig gesehen werden kann. In diesem Sinne ist die neutrale Zone, "das Niemandsland", der rituelle Raum überhaupt nicht neutral, sondern aktivierend und zwingt zur Reflexion und zur Stellungnahme. Im Zuge der allmählichen gesellschaftlichen Akzeptanz von Trennung und Scheidung wächst - bisher besonders in bestimmten Teilen der USA - Interesse und Bedürfnis auch für diesen einschneidenden und schmerzvollen Übergang, Riten zu entwickeln, die sowohl Abschied ermöglichen und erleichtern als auch Chancen eines Neubeginns unterstützen. Viele sich trennende Paare erleben moralische Sanktionierung ihrer unterschiedlichen Umwelten und entbehren oft hilfreiche und ermutigende Unterstützung für das Gesamtsystem Familie, obwohl einzelne Familienmitglieder durchaus kompetente professionelle Hilfe, sei es in einem Mediationsprozess, sei es von seiten ihrer Anwälte/Anwältinnen, sei es in Trennungsberatung oder sorgfältiger Anhörung der Kinder und Jugendlichen bzw. in einem Mediationsprozess, erfahren haben mögen. Tilman Moser weist in seinem Artikel "Familienkrieg und Friedenskonferenz" (FAZ, 2. Oktober 1993) auf den eklatanten Mangel einer Ethik der Trennung und Scheidung hin. Einen neuen ethischen und normativen Rahmen um Trennungs- und Scheidungsgeschehen zu setzen, ist das Bemühen von Trennungsritualen, und zwar angefangen vom Entwurf eines angemessenen und möglichen Rituals bis zu seiner Durchführung. Dazwischen können - und sollten - Monate liegen; der Entwurf oder die Idee einer möglichen Trennungszeremonie jedoch zeigt sich als Leitfaden, als stabiler Rahmen dieser instabilen Zeit, als "ethisches Geländer" während der Trennungsvereinbarungen schon als hilfreich, selbst wenn es dann zu keinem abschließenden Ritual oder zu einer Zeremonie kommen sollte. Eine Scheidungszeremonie, an der neben der Kernfamilie, Freunde, weitere Familien- oder Gemeindemitglieder teilnehmen, kann auch deshalb so wirkungsvoll sein, weil die Trennung dadurch aus der bisherigen Tabu- und Schamebene der unmittelbar Betroffenen herausge nommen und in Schutz einer Gemeinschaft anders erfahren wird. Ein Ritual setzt die sorgfältige vorherige Begleitung des Paares durch die unterschiedlichen Phasen des Trennungsprozesses voraus. Es setzt auch voraus, daß die diesen Prozeß begleitenden Leiter, Berater etc. überzeugt sind, daß die in diesen Phasen oft vehement 12 erlebten Gefühle von Verleugnung, Zorn, Rache, Wut, Trauer eine in sich selbst heilende Wirkung haben und der Akzeptanz des Unabänderlichen bis zur Versöhnung mit dem Schicksal vorausgehen, ja vorausgehen müssen. Um ein Trennungsritual zu entwerfen und zu planen, sollten sich Vereinbarungen bewährt haben und beide ein eigenes Ja zur Trennung gefunden haben, auch der- oder diejenige PartnerIn, welche/r die Trennung und Scheidung ursprünglich nicht gewollt hatte. Nach meiner Erfahrung sollten mindestens 4 Monate bis ein halbes Jahr zwischen der rechtlichen Scheidung und dem abschließenden Ritual liegen. In der Zeremonie selbst geht es dann - unterstützt durch die Leiter - um die gelungenen guten Aspekte der gemeinsamen Zeit, um die Würdigungen der positiven Anstrengungen, um den Erhalt der Familie, des Lebensplanes, der dann doch nicht gelang. Es geht auch darum, herauszuarbeiten, was der eine Partner im anderen angeregt, was er/sie positiv im anderen verändert, „herausgeliebt' hat, was beide behalten und mitnehmen werden, was sie bereichert hat, was sie nur durch die Zeit mit der Partnerin/dem Partner erfahren konnten, und wofür es zu danken gilt. Das, was hier erfahren wird, im Schutze, aber auch in der Herausforderung von „Halböffentlichkeit“, wird häufig erstmalig erfaßt, erstmalig erlebt, erstmalig ausgedrückt und führt zu tiefer Ergriffenheit des Paares, der Familie, der Teilnehmer und der Anwesenden. Fallbeispiel 1 Als Veronika und Gerd 1989 in meine Mediationpraxis kamen, stand die Gestaltung ihrer räumlichen Trennung an, welche beide als eng verknüpft mit der Umgangsregelung für ihren damals 7-jährigen, gerade eingeschulten Sohn Jan sahen. Finanzielle Belange wie Unterhalt, Versicherungen, Kinderreisen etc. hatten sie bereits geregelt oder konnten sie in den ersten 2 Mediationssitzungen zügig klären. Beide waren in ihren akademischen Berufen professionell engagiert und mit 34 und 36 Jahren sehr erfolgreich. Die anstehende Teilung des in mehreren Jahren gemeinsam erworbenen Hausrates schien kein Problem. Ihnen war klar, daß sie auf gegenseitigen Unterhalt verzichten wollten. Im Falle von Not jedoch wollten sie sich helfen, ohne besonderen Vertrag. 13 Beide hatten eine gute Tradition aufgebaut, sich gegenseitig den Rücken freizuhalten, ohne daß Jan darunter litt. In vielen Erziehungsfragen waren sich Veronika und Gerd einig, besonders auch darin, daß Jan als Einzelkind Freunde brauchte, die ihn wie früher in seinem Elternhaus - zukünftig in seinen Elternhäusern - besuchen können und die auch weiterhin zu kleinen und größeren Reisen eingeladen werden sollten. Es wurde bald deutlich, daß die räumliche Gestaltungsfrage deshalb stagnierte, weil Gerd sich äußerst irritiert zeigte, daß Veronika – nach der gemeinsamen Entscheidung zur Trennung eine neue Beziehung eingegangen war. Ursprünglich waren sie sich einig, daß Veronika mit Jan in der ehelichen Wohnung bleiben sollte, und Gerd im Kietz, in der gewohnten Umgebung von Jan und seinen Freunden, eine für seine und Jans Bedürfnisse angemessene Wohnung suchen wollte. Veronika zeigte zunächst wenig Zugang zu Gerd's starker Betroffenheit, wertete diese eher als Eifersucht ab, die sie doch beide intellektuell nicht akzeptierten, - und konnte nicht nach- vollziehen, warum Gerd zögerte, im Kietz eine Wohnung zu finden. Gerd: "Ich fürchte, meine Fassung zu verlieren, sollte ich meiner Frau mit ihrer neuen Liebe begegnen." Alle bisherigen Vereinbarungen, die ja primär dem Wohle von Jan untergeordnet waren, kippten. Wut, Trotz, Aggression und Enttäuschung flammten für Veronika und Gerd in nie gekanntem Ausmaß auf. Jan entwickelte starke Ängste, die oft nur mit Zwangshandlungen zu dämpfen waren. Er musste kleine Alltagsziele wie zur Schule, zum Hort, nach Hause, ins Bett, aufwendig „umgehen“. Er mußte sie häufig symbolisch unsichtbar machen oder verstecken. Wir mußten mit der Mediation neu beginnen. Die Umgangsregelung sollte nunmehr pedantisch gerechter und nicht nur zum Wohle Jans neu geregelt werden etc. Eine konsequente "Mediationsarbeit" führte nach und nach zu verläßlichen, angemessenen und flexiblen Vereinbarungen. Veronika lernte, neben der Eifersucht auch Gerds Angst vor der Verletzung durch eine Begegnung mit dem jungen Glück zu sehen. Gerd lernte das Recht auf eigene Gestaltung einer Partnerschaft respektieren. Sie fanden Lösungen, die sowohl Jans als auch ihren persönlichen Bedürfnissen gerecht wurden. Sie arbeiteten mit Zwischenvereinbarungen, welche kooperativ ausprobiert wurden. Sie waren über die 14 Möglichkeit und den Sinn von Abschlußritualen informiert und hatten sich interessiert und offen gezeigt. Erst ein Jahr später, wenige Wochen vor den Sommerferien, meldeten sie sich, um den Rahmen für die Unterzeichnung ihrer Abschlußvereinbarungen, die sich bewährt hatten, zu besprechen. Beide wünschten sich ein kleines Ritual, in dem Elemente des Sich- Dankens enthalten sein sollten und auch die wichtigsten Verein- barungen für die Zukunft ihres nunmehr 9-jährigen Sohnes verlesen und besprochen werden sollten. Neben Jans Anwesenheit wollten beide eine beste Freundin dabei haben. Veronika schlug dann vor, daß auch ihr neuer Partner, Heinrich, teilnehmen sollte. Bevor ich anmerken konnte, daß ich die Teilnahme neuer Partner nicht empfehle - das gehört eher in eine "Anfangszeremonie zur Kooperation von Stieffamilien" - stimmte Gerd vehement zu. Die beiden Männer hatten sich inzwischen mehrmals getroffen, und es mußten sich gute Erfahrungen ergeben haben. Der Termin wurde für den ersten Sommerferientag vormittags vereinbart. Die geplante kleine Zermonie war auf max. 50 Minuten festgelegt. Saft, Wasser und ein Schokoladengebäck – "Zigarren", die in der Familie eine positive Bedeutung hatten, sollten bereit stehen. „Sekt?“ – „Nein - soviel gib's ja nun auch nicht zu feiern!' Ein strahlender Sommertag – vor Sommerferienbeginn – trug zur Festlichkeit bei. Die Sitzung begann analog dem oben genannten Ablauf. Im nächsten Schritt wandte sich der Vater dem Sohn zu, die relevanten Vereinbarungen wurden verständlich gemacht. Unerwartet ergänzte Gerd: „Jan, Du weißt ja, ich konnte es nach Mamas und meiner Trennung längere Zeit nicht gut aushalten, als ich merkte, Du magst den Heinrich mehr und mehr. Ich war so traurig und verletzt und zornig. Heute möchte ich Dir sagen: Hab Spaß und tolle Ferien mit ihm und der Mama. Das wünsche ich Dir, und es ist o.k. für mich.“ Es war still, als Vater und Sohn sich verstehend anschauten. Alle Beteiligten empfanden wohl, daß diesen beiden Sätzen für heute nichts mehr folgen müßte. Nach der Erlaubnis des Vaters, zum neuen Partner der Mutter eine eigene Beziehung entwickeln zu dürfen, ohne ihm gegenüber illoyal zu werden, zeigte Jan ein so stilles, aber deutliches Aufatmen, das alle berührte. 15 Ohne Aufwand und ohne Worte fand die Sitzung ihren Abschluss. Einige Sätze noch - nichts Gewichtiges, die Unterzeichnung der Vereinbarungen, ein Schluck Orangensaft, eine "Zigarre", gute Wünsche. Nach 25 Minuten war die Abschiedsgesellschaft wieder draußen im Sommer. Rückmeldung nach einem Jahr: Es gehe allen recht gut - Jans Zwangshandlungen hätten sich schon vor Monaten gelegt. Vereinbarungen würden verbindlich und flexibel gehandhabt. (Zufällige) Rückmeldung nach 10 Jahren: Mediation und Ritual seien in eindrücklicher und positiver Erinnerung. 2. Struktur einer Trennungszeremonie Die Grundzüge der hier vorgestellten Struktur einer Scheidungszeremonie wurden nach einem Internationalen Symposion zum Thema "Kinder und Jugendliche im Scheidungsprozeß ihrer Eltern" im Mai 1993 in Berlin von Florence Kaslow (A life cycle perspective,N.Y., 1987) übernommen und in den letzten Jahren in der Zusammenarbeit mit Harro Naumann, Berlin, immer wieder ergänzt und weiterentwickelt. Die im Folgenden geschilderte Vorgehensweise entspricht dem, wie sie unter anderem in einer Lehreinheit im Rahmen der Mediationsausbildung an den BAFM-Instituten Berlin und Heidelberg, Frankfurt/Main, Universität Oldenburg und FHSS Erfurt vorgestellt und in Form eines "simulierten Zeremoniells“ durchgeführt wird. (Andere BAFM-Institute wie z.B. Hamburg und München – bieten dieses Thema in besonderen Fortbildungsseminaren an.) Erfahrungen und Rückmeldungen von TeilnehmerInnen gerade dieser "simulierten Zeremonien" haben sich für deren Weiterentwicklungen als äußerst hilfreich erwiesen Ein "simuliertes Ritual" wird von uns als Rollenübung für Fachkolleginnen und Fachkollegen in Workshops und Seminaren durchgeführt, um den TeilnehmerInnen die Entscheidung zu erleichtern, wer in Zukunft Scheidungszeremonien in die Beratungsarbeit integrieren möchte. Die Grundstruktur ist für die "wirkliche" und die simulierte Trennungszeremonie gleich. Ein simuliertes Ritual ist jedoch mehr als eine Rollenübung, wenn die Personen selbst Trennungs-/Scheidungserfahrungen in Lebensphasen haben, die den Rollen in etwa 16 entsprechen. Die eigenen damit verbundenen Erinnerungen und Gefühle werden während des Rituals aktiviert, und im Schutze der Gruppe und der Leiter kann eine Überarbeitung der jeweiligen Erfahrungen möglich werden. Ein Ritual also auf unterschiedlichen Erfahrungsund Lernebenen. Angenommene Ausgangssituation: Das Paar/die Familie befand sich im Vorlauf bei den MediatorInnen, die das Ritual anleiten, in einer Trennungsberatung oder Mediation, so daß belastende ambivalente und "negative" Gefühle bearbeitet werden konnten, und schon die Wahrnehmung der Trennung als eine Phase des Überganges etabliert ist. Während der Mediation wurde die Struktur des Rituals gemeinsam entwickelt (z.B. Wer nimmt teil? In welchem Rahmen? ...) Begrüßung, räumliche Struktur, Eröffnungen: Das Ritual beginnt mit der Begrüßung aller Teilnehmer. Unsere Erfahrung zeigt, daß es wichtig ist, sich dabei Ruhe und Zeit zu nehmen. Besondere Aufmerksamkeit ist den Kindern zu schenken, mitgebrachtes Spielzeug, Übergangsobjekte etc. können stützend wirken. - Den Personen wird ein stimmiger Platz zugewiesen. Das Paar steht sich z.B. auf gleicher Ebene gegenüber. Freunde, Familienangehörige, Kollegen seitlich, eine Kreisform bildend, jedem Partner zugeordnet. Die Kinder, den Kreis schließend, den Eltern gegenüber. Auch hierbei ist es gut, den Kindern eine geschützte Situation zu schaffen, z.B. durch "haltende Figuren". Hierdurch kann es ihnen erleichtert werden, das Geschehen aus beobachtendem Abstand zu erleben. Diese Position is t für die Kinder in bezug auf beide sich trennenden Eltern stimmig, bedeutet jedoch gleichzeitig eine tiefe Konfrontation mit ihren schmerzhaften Gefühlen und Impulsen - sie können in dieser Abstandsposition nicht den Ausweg kreieren, zwischen den Eltern "vermitteln" oder in vielleicht gewohnten Verhaltensweisen das "System" vor dem Ausdrücken tiefer Gefühle retten. Kinder - je nach Altersstufe - werden dies zunächst oft nicht als erleichternd sehen, sondern als "gemein" und verunsichernd, da es sie aus einer pseudo-mächtigen Position entläßt. Im Prozeß des Rituals, gegebenenfalls auch viel später, werden sich dann aber "heilende und Sicherheit gebende Kräfte und auf die Zukunft gerichtete Informationen für sie eröffnen." 17 - Nach dieser Eröffnung und Struktursetzung werden die Teilnehmer gebeten, während der Zeremonie innerlich aufmerksam zu sein und auf das zu achten, was sie sehen, hören, fühlen, erleben. Bei "simulierten Ritualen " im Rahmen der Weiterbildung findet nach der Zeremonie eine ausführliche Rückkoppelung statt. - Die Leiter der Zeremonie geben in einer Einführung Informationen über den Vorlauf, der zu der Entscheidung, eine Zeremonie durchzuführen, führte. Diese sorgfältige Vorbereitung dient dazu, einen sicheren Rahmen zu etablieren, der dafür bürgt, daß, wenn in sehr konzentrierter, dichter Form noch einmal tiefe Emotionen erlebt werden, niemand überwältigt wird. Strukturierung des Ablaufs durch einfach „Regieanweisungen“ zB. an das Paar: "Herzlich willkommen. Mit Ihrer heutigen Zusammenkunft dokumentieren Sie, daß Sie in der Auseinandersetzung mit dem Prozeß Ihrer Trennung und Scheidung in eine neue Phase treten, in der die Kooperation der Eltern zum Wohle der Kinder - und aus Liebe zu ihnen - im Mittelpunkt stehen soll." Die Funktion des Übergangs wird auf mehreren Ebenen in der Ritualform immer wieder explizit und implizit verdeutlicht. was Sie von Ihrem Sohn/Ihrer Tochter und Ihrem Schwiegersohn/Ihrer Schwiegertochter brauchen, um die Beziehung zu den Enkeln pflegen zu können.“ Wir haben zunehmend gelernt, welche Bedeutung die Trennung ihrer Kinder für Eltern/Großeltern bedeutet. Das Bild von Familie, welches sie an ihre Kinder weitergeben wollten, zerbricht, die Idee von der Unverbrüchlichkeit der Liebe stirbt. Ein jüngerer Kollege übernahm z.B. in einer simulierten Zeremonie auf einem DAF Jahreskongreß in Freiburg, Herbst 1994, die Rolle des Großvaters. Er zeigte sich überrascht und bestürzt über die heftigen Gefühle, die er in dieser Rolle erlebte. Sein zusammenfassender Kommentar., "Ich lebe selber in Scheidung. Bisher habe ich es nicht verstanden oder nachvollziehen können, warum mein Vater - bei aller Vorsicht sich derart emotional beteiligt über meine bevorstehende Scheidung zeigt. Jetzt habe ich es begriffen." 18 - zur Freundin/Freund der jeweiligen Partner: "Können Sie für sich selbst und als Repräsentantin des Freundeskreises Ihrer Freundin/Ihrem Freund sagen, was Ihnen die Freundschaft bedeutet und was Sie ihr/ihm (Vorname) gerne an Unterstützung anbieten wollen. - Mögen Sie den Kindern auch etwas sagen?" An dieser Stelle der Zeremonie wird deutlich, daß mit der Trennung der Partner und der Veränderung in der Familie noch sehr viel mehr Trennungen im näheren und weiteren Umfeld verbunden sind! Auch Freunde und Verwandte brauchen während des Rituals oft gute Stütze und Halt durch die Therapeuten oder Gruppenmitglieder. - zum Kind: "Bitte, sag Deiner Mutter (Deinem Vater - jeweils einzeln), wie es Dir jetzt geht und was Du in der Zukunft von ihr/ihm brauchst." -zur Mutter (zum Vater): "Können Sie den Kindern sagen, was sie Ihnen bedeuten und was Sie ihnen in Zukunft als Mutter/Vater geben wollen." "Wir schlagen vor, daß Sie sich nun mit Worten und Gesten von der alten Zeit verabschieden, wie es für Sie stimmig ist. Sagen Sie sich, daß Sie jetzt eine neue Form der Beziehung beginnen werden, besser als in den letzten belasteten Jahren.“ 3. Ritual als Versöhnungsarbeit Während des Trennungsrituals achten die LeiterInnen darauf, daß alle Teilnehmer gehört, gesehen und verstanden werden. Ausgelöste Emotionen und Reaktionen werden begleitet, zum Teil erklärt, zusammengefaßt und wieder in die Struktur zurückgeführt, die durch den Ritualprozeß auch immer wieder leicht modifiziert wird. Ziel ist Erhalt von Fairness trotz der Heftigkeit der Gefühle. Insofern ist das Trennungsritual auch ein Teil der "Versöhnungsarbeit". 19 Das Auseinandergehen, der Abschied, wird räumlich inszeniert. Die Teilnehmer gehen nacheinander und werden bei dem Übertreten der "Schwelle" von den Leitern der Zeremonie begleitet. Als letztes geht die neue "Kernfamilie, z.B. Kind/Kinder und der Elternteil, bei dem die "Hauptresidenz" in der nächsten Zukunft sein wird. Bei diesem Teil der Familie verbleiben auch die familiären "Übergangsobjekte“, z.B. Fotoalben oder Gegens tände, die eine besondere Bedeutung haben. Aus unserer Arbeit - wie auch aus mündlichen Rückmeldungen „simulierter Scheidungszeremonien“ - lernen wir mehr und mehr über die besondere heikle Situation der Kinder während eines Scheidungsrituals. Diese Erfa hrungen fließen immer wieder neu in jedes Angebot eines Trennungsrituals ein. Bei dem Entwurf und bei der Planung eines Trennungsrituals ist äußerst sorgfältig darauf zu achten, ob Eltern und gegebenenfalls Großeltern in der Lage sind, die beteiligten Kinder angemessen zu beschützen und zu unterstützen, das heißt, zunächst die Bedürfnisse und Gefühle der Kinder zu erfassen und in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Hier gilt ein Gedanke Helmuth Figdors.- "Nie brauchen Eltern autonomere, unabhängige re, stabilere, selbstbewußtere, unkompliziertere Kinder als in dieser Phase ihres eigenen heftigen Schmerzes und ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Trennung ... ... und nie brauchen Kinder liebevollere, geduldigere, auf- merksamere, einfühlsamere Eltern als in dieser Trennungszeit ... vielleicht in den ersten neun Lebensmonaten. Daß dieses weder Kinder noch Eltern möglich ist, ist niemandes Schuld, es ist das Dilemma." (Figdor, H. „Zwischen Trauma und Hoffnung“, 1991) Um sicher zu sein, daß die Erwachsenen mit der Bewältigung ihres Dilemmas den beteiligten Kindern ausreichend Schutz und Unterstützung zuteil werden lassen, sollte ein Ritual - wenn es dann paßt und gewünscht wird - erst einige Monate nach der erfolgten Scheidung durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Beteiligten ausreichend neuen festen Boden unter ihren Füßen haben, wächst mit jedem Monat nach erfolgter Trennung/Scheidung. 20 4. Zeremonie und Mediation: welches Ende wann für wen? Wie kann das Ergebnis einer Mediation gewürdigt und der Prozeß abschlossen werden? Erfahrungen zeigen, daß der Entwurf eines Abschlusses zu den Menschen, ihren jeweiligen Lebensgewohnheiten, ihrem persönlichen Lebensstil, ihren religiösen und/oder spirituellen Bedürfnissen passen muß, stimmig sein muß. Umfang und Aufwand eines Rituals stellen keine Qualität an sich dar, aber kleine Rituale zum Abschluß der Mediation können durchaus eine große Wirkung haben. Dabei bleibt zu bedenken, daß Zeremonien nicht für jede Trennungsfamilie empfohlen werden können. Manche Menschen würden es als sehr beschämend erleben, wenn sie in - wie auch immer geschützer Umgebung ihrer tiefen Verletzlichkeit, Gefühlen tiefer Dankbarkeit, Gefühlen von Bedauern und Trauer Ausdruck verleihen müßten. Manchmal erleben wir schon eine deutliche Veränderung des emotionalen Klimas während der Mediationsarbeit, wenn über die Möglichkeit und Bedeutung eines Trennungsrituals informiert wird, selbst wenn dieses Angebot dann später nicht aufgegriffen wird. Fallbeispiel 2 Hans und Julia studierten noch, als Luisa und 2 Jahre später Marvin geboren wurden. Ihre Fähigkeit, sich heiter bei allen anfallenden Familien- und Studienarbeiten zu unterstützen, trug ihnen bald die Bewunderung von Kommilitonen und später von Kollegen ein. Noch größere Bewunderung erhielten sie 6 Jahre später, nachdem sie sich getrennt hatten: sie behielten das Interesse aneinander als Menschen, als Kollegen, die Kooperation als Eltern, das Engagement für berufliche Ziele (beide Pädagogen) und galten bald als "ideales Trennungspaar". Zusammen mit ihren Kindern und Freunden verbrachten sie Ferien, erlebten Reisen, welche die Unverbrüchlichkeit ihrer ganz besonderen Beziehung bezeugten. Als sie Jahre später, Luise ist 17, Marvin 15 Jahre, zur Mediation kommen, scheint diese Idylle zerbrochen. Voller Mißtrauen und Argwohn, voller Zorn und gegenseitigem Vorwürfen, voller Zweifel beginnt eine mühsame Mediationsarbeit. Als sie sich in der 4. 21 Sitzung völlig blockiert zeigen, gebe ich ihnen zu verstehen, daß es für sie ja auch besonders schwer sein müsse, weil sie nicht nur noch einmal mit ihrer Trennung konfrontiert seien, sondern daß sie sich ja auch von der Zeit und der Idee des "Traumtrennungspaares" verabschieden müßten. Ich informiere sie von der Möglichkeit eines späteren Trennungsrituals, in dem sie sich für die gelungenen Aspekte dieser ganz besonderen nachehelichen Beziehung bedanken konnten. Meine Anerkennung, daß es hier um einen besonderen Abschied gehen würde, veränderte ihre konfrontative Haltung. Sie konnten diese Anerkennung sowie die Idee eines Rituals im oben genannten Sinne, an dem gegebenenfalls ihre Kinder und ausgewählte Freunde teilnehmen würden, aufgreifen. Damit war implizit eine grundsätzliche gegenseitige Anerkennung ihrer Bemühungen und Leistungen schon erfolgt - beide wurden nachdenklich, zugewandt und zeigten sich dies gegenseitig durch Bewegtheit und Tränen. Es folgten sechs weitere, nicht immer leichte Mediationssitzungen. Nach der Unterzeichnung der Abschlußvereinbarungen fragte ich sie, was ihne n geholfen habe, diese oft auch schwierige Verhandlung durchzuhalten? Fast gleichzeitig meinten sie, die Liebe zu unseren Kindern und die Idee, daß wir dieses Ritual verabreden können. Die vorbereitende Sitzung für das Ritual wurde für vier Monate später festgelegt. Beide kamen; die Mediationsvereinbarungen hatten sich bewährt. Zögernd eröffnete Hans, daß es für ihn doch nicht stimmig sei, so eine "intime Zusammenkunft" mit Kindern und Freunden unter Ausschluss seiner neuen Frau - durchzuführen. Erstaunlicherweise reagierte Julia verständnisvoll und gelassen. Für sie sei das Wichtigste ja schon passiert: nicht nur, daß sie kooperative und faire Vereinbarungen getroffen hatten, sondern daß Hans durch die grundsätzliche Bereitschaft zu einem Ritual gezeigt habe, daß er ihre schöne Zeit der jungen Liebe wie auch die Zeit als gelassenes und heiteres Trennungspaar wirklich wertgeschätzt und gemocht habe, und daß er sich nicht von dieser Zeit distanziere, was sie zunächst befürchtet hatte. Nachdem Hans ihr dies noch einmal bestätigte, sagte Julia zu ihm: „Ich versichere Dir auch, daß ich die besondere Zeit mit Dir in Ehren halten werde - auch für unsere Kinder.“ Vielleicht geht es in manchen dieser Trennungsritualen nicht nur um Anerkennung und Dank, sondern implizit auch um eine besondere Art von "Treueversprechen", der Würdigung der gemeinsamen Zeit, der vergangenen Liebe. 22 „Wie kann ich schwören, dich immer zu lieben und immer nur dich? Wer kann auf seine Gefühle schwören? Und wozu die Fiktion aufrechterhalten, wenn keine Liebe mehr da ist, samt allen Lasten und Verpflichtungen? Aber das ist kein Grund, das Gewesene zu verleugnen oder schlechtzumachen. Wieso müssen wir immer den Vergangenen untreu werden, um das Gegenwärtige zu lieben? Ich schwöre dir nicht, daß ich dich immer lieben werde, aber ich schwöre, daß ich dieser Liebe, die wir erleben, immer treu bleiben werde. Untreue ist nicht freie Liebe, sondern vergessene, verleugnende Liebe, eine Liebe, die das, was sie geliebt hat, vergißt und haßt, und die sich dadurch selbst vergißt und haßt. Aber ist das noch Liebe?" (aus,. "Die Treue" von Andrea Comte-Sponville, Kleines Brevier der Tugenden und Werte) „Die Entwicklung des Ritus auf die Bildung des Menschen ist von geheimer Art...“ Ganz offensichtlich bewirkt schon die Beschäftigung mit der Idee eines Ritus oder einer Trennungszeremonie Veränderung. 5. Zur Leitung von Zeremonien Das Größte wahrscheinlich ist, mittels Seele die Seele zu erfahren; sicherlich hatte die Weisung Apollos eben dieses im Sinn, als er mahnte, es suche vor allem jeder sich selbst zu erkennen. (Cicero) Die Mediatorlnnen/TherapeutInnen sind als LeiterInnen von Abschlußritualen am rituellen Geschehen unmittelbar beteiligt. Ihre Rolle beschränkt sich nicht nur darauf, diesem Prozeß wie oben beschrieben - Struktur zu verleihen, als auch den Ablauf transparent werden zu lassen, den Prozeß der teilnehmenden Gruppe kognitiv und intuitiv nachzuvollziehen, Unterstützung zu geben, positiv zu konotieren und gegebenenfalls zu "refraimen". Vielmehr ist er/sie mit aktuellen Gefühlen und Emotionen beteiligt und setzt diese auch in der Arbeit mit Ritualen um. Dem Entwicklungsprozeß der Person des Therapeuten, dem Umgang mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen muß deshalb besondere Beachtung geschenkt werden. 23 LeiterInnen sollten die Wirksamkeit und die Macht von Ritualen selber erfahren haben; sie sollen in ihrem Inneren erlebt haben, was Vorsicht und Schutz durch begleitende Mediatorlnnen/Therapeutinnen bedeutet, ebenso, was es heißt, Respekt vor der eigenen Begrenztheit und Besonderheit zu erleben. LeiterInnen müssen selber die Bedeutung und Wirksamkeit von Wertschätzung kennen. Eigene Erfahrungen von Mangel an Schutz oder von Respektlosigkeit können nur dann eine gute Voraussetzung zur Durchführung von Ritualen sein, wenn sie therapeutisch durchgearbeitet sind, das heißt, ein stabiles Selbstwertgefühl gewachsen ist. LeiterInnen brauchen die Erfahrung, wie unterschiedlich die Dimension Zeit ist, die Menschen für Veränderungen benötigen. Sie sollten nicht vergessen haben, wie zögernd und skeptisch sie selbst oft inneren Veränderungsprozessen - oder Anregungen dazu gegenüberstanden und auch immer wieder stehen. Sie sollten wissen, wie zerbrechlich und fragil die Würde eines Menschen, einer Situation sein kann. Sie gehen darum ausgesprochen sorgfältig mit der Frage um, wann der angemessene Zeitpunkt für einen rituellen Abschluß einer Mediation sein könnte. LeiterInnen kennen die Erfahrung, daß Rituale nur dann wirksam werden, wenn die Teilnehmenden keine Zuschauer sind. Sie arbeiten daher daraufhin, daß alle am Ritual Beteiligten Akteure dieses Prozesses werden. Sie sollten sich informieren, um die religiösen, kulturellen und familiären Traditionen eines jeden Teilnehmenden würdigen zu können. Sie sorgen dafür, daß der Ablauf des Rituals auch im Detail transparent ist, verstanden wird und von den Klienten so gewollt wird. LeiterInnen von Ritualen sollen selber die Erfahrung gemacht haben, wie unerläßlich es für Trennungen ist, daß das Gute, das zu Bewahrende, was zwischen zwei Menschen in der Vergangenheit entstanden ist, bewußt angenommen, bewußt benannt wird, indem sich die scheidenden Partner beieinander bedanken. Auch eigene Entwicklungsmöglichkeiten, die sich in dieser besonderen Beziehung herausbildeten, gehören dazu. Jellouschek betont: "Wenn Paare sich nicht trennen können, obwohl keine Fortsetzung der Beziehung mehr möglich scheint, liegt es oft daran, daß sie das Gute, das zwischen ihnen war, nicht 24 anerkennen und voneina nder nehmen können. Dieses Nicht-Nehmen ist häufig die unerledigte Angelegenheit zwischen ihnen, die sie voneinander nicht loskommen läßt." Fallbeispiel 3 In der Lehre von Ritualen stelle ich, wenn es angemessen ist, und wenn es hilft, das oben genannte Prinzip und die Bedeutsamkeit des Dankens zu erläutern, durchaus eigene, zurückliegende biographische Erfahrungen zur Verfügung. Ein Beispiel, das ich manchmal benutzt habe und ich gerne zur Verfügung stelle, ist der Abschied, den meine Tochter von ihrer Kindheit wählte: Nach den verschiedenen Feiern nach dem Abitur, hatte Lucie den Wunsch, mit ihrer Mutter, mit der sie einige Jahre allein zusammengelebt hatte, einen besonderen Abschluss der Schulzeit zu zelebrieren. Sie schlug ein kleines Mittagessen vor. Sie bereitete es selbst, durchaus einfach, der Tisch aber war festlich gedeckt, mit weißem Tuch, Kerzen und den schönsten Gläsern. Nach kurzem Plaudern und der Anerkennung der Suppe und des Salates durch mich, begann sie konzentriert und klar: "Mama, ic h möchte Dir danken – dafür, was Du mir ermöglicht und wie Du mich erzogen hast, daß viele Freundinnen und Freunde in diesem Haus willkommen waren, daß ich Instrumente ausprobieren und spielen lernen konnte, daß ich unterschiedliche Schul- und Sportarten wählen konnte, daß ich tanzen durfte, daß ich reisen durfte, daß ich selber entscheiden konnte, mich konfirmieren zu lassen, nachdem Du entschieden hattest, daß ich den Konfirmationsunterricht besuche; daß Du mich gezwungen hast, manche Dinge durchzuhalten oder nicht zu schnell aufzugeben, ..." Mein Mutterherz weitete sich. Bevor ich vor Rührung dahinschmelzen konnte, spürte ich, diese junge Tochter gibt Dir, ohne daß es wohl so beabsichtigt war, noch eine andere wichtige Botschaft. Kurz gefaßt war diese für mich - Mutter, ich danke Dir für die gute Erziehung, aber diese hat jetzt auch ein Ende. Ein Übergang war markiert. Punkt. Klar. Unwiderruflich. Diese Grenzziehung durch ihren Dank war nachhaltig wirksam. Nie wieder habe ich den Versuch gemacht, sie zu "erziehen". Wir haben neue Formen der Beratung und der Auseinandersetzung für ihre weitere Ausbildungs- und Lebensplanung gefunden. 25 5 GRUNDTHEMEN IN RITUALEN 1. Mitgliedschaft 2. Heilung 3. Identität 4. Meinungsäußerung und Diskussion konträrer Meinungen 5. Zelebration / Feiern Jedes Ritual kann eines oder mehrere dieser Themen umfassen. 1. Mitgliedschaft Übergänge im Leben einer Familie, die durch normative Rituale markiert werden: Taufe, Kommunion, Konfirmation, Jugendweihe, Hochzeit, Bar-Mizwa-Feier. Sie bestätigen die Mitgliedschaft und Zugehörigkeit in Familien, erweiterten Familien wie auch in den Gemeinden und anderen größeren Systemen. Examensfeiern: Solche Feiern markieren Veränderungen, die schon eingesetzt haben. Sie können aber auch auf kommende Veränderungen hinweisen oder notwendige Veränderungen in Beziehungen erleichtern. Für viele besonderen Familienformen bzw. Situationen fehlen normative Rituale: z.B. Adoptiv- und Stieffamilien, Homosexuelle Paare, Abschiedsrituale von behinderten Kindern. Besonderes Problem von Stieffamilien: Sie beginnen mit einem Hochzeitsritual, das irrigerweise suggeriert, sie seien mit einer neuen Familie identisch. 2. Heilung Heilung von Personen oder Beziehungen Bei Verlust: Rituale sollen ihn markie ren, den Ausdruck von Trauer erleichtern und darauf verweisen, daß das Leben weitergeht. (Gemeinsame Mahlzeiten) 26 Die Bestätigung eines Verlustes vom sozialen Umfeld erleichtert Heilung. Das Fehlen der sozialen Anerkennung eines Verlustes (unverheiratete Paare) erschwert sie – Verlust wird nicht ernstgenommen (z.B. von Freunden und Verwandten). Verluste von Körperteilen, von Rollen, Lebenserwartungen und Träumen. Verluste aufgrund von Migration, - (Knüpfen von kulturübergreifenden Bändern) Vergebungs- und Versöhnungsrituale 3. Definitionalneudefinition von Identität Identitäten von Einzelnen, Familien und Systemen können sich bereichernd breit und flexibel oder auch eng und einschränkend gestalten. Normative Rituale erleichtern es, Identitäten nicht nur zu erfahren, sondern stellen auch Chancen dar, diese zu verändern. Geburtstage, Einschulung, Kommunion, Konfirmation, Jugendweihe, Bar-Mizwa, Hochzeit definieren Identitäten um und markieren Übergänge und neue Rollenerwartungen. Für andere bedeutsam Veränderungen in Familien fehlen angemessene normative Rituale: Adoption, Stieffamilien-Gründung, Lebensverbindungen homosexueller Paare etc. Unter den Bedingungen der Globalisierung kann es eine Frage von großer Bedeutung für die Zukunft von Demokratie und Gesellschaft werden, wie kulturelle Identität zu bewahren ist, Orientierung und Bindung nicht verlorengeht und dennoch kulturelle Vielfalt begrüßt wird und mehr und mehr - ohne Identitätsverlust zu befürchten - Offenheit und Akzeptanz entsteht. 4. Rituale zur Meinungsäußerung und zur Diskussion konträrer Meinungen Roundtable, Speakers Corner in London, ADR ... Mediation selbst kann als ein solches Ritual gesehen werden. Ein bekanntes therapeutisches Ritual stellte die Mailänder Gruppe 1979 vor: das Ritual der "geraden und ungeraden Tage". (Selvini, Palazzoli et. al., 1979) 27 In Familien, in denen Eltern ihre Autorität gegenseitig unterminieren, "bestimmt" jeweils ein Elternteil an geraden, der andere an ungeraden Tagen. Die Akzeptanz dieser Aufteilung schließt eine implizite Anerkennung der unterschiedlichen Erziehungshaltungen der Eltern ein, weil jedem die gleiche Anzahl von Tagen eingeräumt wird, während der andere nur beobachten soll. 5. Zelebration/ Feiern Feier: ein Thema aller Rituale, die Übergänge begleiten oder religiöse und kulturelle Feiertage würdigen. Ethnische Bräuche gehören dazu, spezielle Speisen, Getränke, Musik oder Geschenke, Kleidung, die nur diesen besonderen Ereignissen vorbehalten sind. Familien-Rituale haben geschlossene, genau festgelegte Teile, aber auch offene Abschnitte zum Improvisieren und zur individuellen Gestaltung. Die Vorbereitung, die gemeinsame Entwicklung des Ablaufes und gegebenenfalls die Vereinbarung von symbolischen Handlungen ist ein wesentlicher Bestandteil eines Trennungsrituals. Abschied genommen wird hier nur von einem bisherigen gemeinsamen Bild der Familie (mit den Eltern als Paar), nicht aber von den einzelnen Menschen. Jeder kann dazu beitragen, ein neues Bild mit Unterschiedlichkeit und Beweglichkeit zu gestalten. Klare Strukturen und ein von allen akzeptierter würdiger Rahmen ermöglicht das Konzentrieren auf Wesentliches und kann in der Erinnerung jederzeit und schnell faßbar werden. Das "Festliche" trägt ebenfalls zur Erinnerung bei. Durch ein Ritual kann ein gemeinsames Erlebnis geschaffen werden, welches Trennung und Neudefinition weniger als etwas Gegensätzliches, vielmehr als etwas Sich-Ergänzendes begreift. 28 Literatur: "Rituale", Evan Imber-Black/Janine Roberts/Richard A. Whiting Rituale in Familien und Famimilientherapie Carl Auer-Systeme, Verl. und Verl.-Buchh., 1993, ISBN 3.927809-13-6 29 THEMENSCHWERPUNKTE ZUR ARBEIT MIT RITUALEN Mag. Dr. Eduard Waidhofer Gruppe 1: ABLÖS UNGSKONFLIKTE IN ZEITEN DER PUBERTÄT UND ADOLESZENZ Ablösung in der Familie - Hilfestellung für Eltern und Jugendliche im Beratungskontext Das Thema Ablösung begleitet den ganzen Familienlebenszyklus. Die Ablösung eines Jugendlichen von seiner Familie und sein Streben nach Autonomie lösen bei Eltern häufig ambivalente Gefühle aus. Übergangsrituale können hier zum Gelingen der Ablösung und des Loslassens beitragen. Wozu Rituale? Erwachsen wird man nicht durch die erste Zigarette, durch Alkoholkonsum, durch das erste Moped oder Auto, durch Mutproben, durch den Gesellenbrief oder die Matura, auch nicht automatisch mit dem 18. Geburtstag. Erwachsen werden ist eine schwierige Aufgabe und große Herausforderung. Sie erfordert sowohl von Kindern als auch von Eltern, Bisheriges loszulassen, sich zu verabschieden und Neues zu ergreifen. Übergangskrisen können zu enormen Entwicklungschancen werden, wenn sie von Ritualen begleitet werden. Übergangsrituale helfen dem Einzelnen, die Angst vor dem Neuen, vor dem Ungewissen zu bewältigen. Sie helfen auch dabei, gestärkt durch die Gemeinschaft in einen neuen Lebensabschnitt einzusteigen. Sie unterstützen den Rollenwechsel und sie stärken die Fähigkeit, Widersprüche nebene inander stehen zu lassen. Rituale sind besonders hilfreich, wenn die sozialen Konflikte festgefahren sind oder Entwicklungen blockiert sind. Rituale markieren die Übergänge von einem Status zum anderen. In den modernen Gesellschaften sind diese Übergangsrituale weitgehend verschwunden. Initiationsäquivalente finden sich unter anderem bei der Firmung oder Konfirmation, beim internationalen Schüleraustausch, im Bereich der Abenteuerpädagogik und des 30 Pfadfindertums. In der Übergangszeit der Pubertät braucht der Jugendliche nicht nur Gleichaltrige, sondern auch ältere Freunde und "Mentoren". Initiationsriten Die Anthropologen Arnold van Gennep und Victor Turner haben bei Initiations- und Übergangsriten in archaischen Gesellschaften drei Phasen gefunden: Trennungsphase, Übergangs- oder Schwellenphase und Wiedereingliederungsphase. In der ersten Phase wird der Jugendliche vom Elternhaus und von der größeren Gruppe der Gemeinschaft getrennt und an einem besonderen Ort untergebracht. Die physische Trennung kennzeichnet die Entfernung aus dem alten Status. In der zweiten Phase des Übergangs hat der Jugendliche keinen Status, weder den alten noch den neuen, er ist weder Junge noch Mann, weder Mädchen noch Frau. Es kommt zu einer Desorganistation und einem Ausnahmezustand. In der Phase der Reintegration und Einfügung in die Gemeinschaft bekommt der Jugendliche einen neuen Namen, eine neue Kleidung, und die Aufnahme in die Erwachsenenwelt wird mit einem Fest in der Gemeinde gefeiert. Das Kind ist "gestorben" und wurde als Erwachsener "wiedergeboren". Auch bei uns gab es vor einigen Jahrhunderten in der traditionellen Dorfgesellschaft noch verbindliche Pubertätsriten. Viele überlieferte Rituale haben in der heutigen Gesellschaft jedoch ihre Bedeutung verloren. Ein Großteil der Eltern heute will ihre Kinder bewußt mit wenig Druck erziehen und will selbst dynamisch und jugendlich bleiben. Die Grenzen zwischen den Generationen werden immer mehr verwischt. Selbst Tätowierungen, Piercing, auffallende Kleidung, Haartracht, Schmuck und eine eigene Sprache, womit Jugendliche ihre Distanz gegenüber den Erwachsenen ausdrücken wollen, werden von vielen Erwachsenen nachgeahmt. Dies macht es den Jugendlichen nicht unbedingt leichter, sich von den Erwachsenen abzugrenzen, um dann später den Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenleben zu schaffen. Die Pubertät des ersten Kindes bringt die Familie in der Regel in ein Ungleichgewicht. Die alten Muster funktionieren nicht mehr, die Grenzen zwischen den Generationen müssen neu 31 definiert werden. Autonomie und Zusammenhalt müssen neu ausbalanciert werden. Parallel mit den Reifungsschritten des Jugendlichen sind auch Reifungsschritte der Eltern notwendig. Ein Beispiel für ein generationsübergreifendes Ritual der Veränderung und gleichzeitig der Kontinuität ist das jüdische Ritual "Bar-Mizwa" (Sohn des Gottesgebotes). Mit dem 13. Geburtstag soll das männliche Kind in der Lage sein, die ihrem Alter und ihren Fähigkeiten angemessenen Gebote zu erfüllen. Der Junge ist für sein Verhalten nun selbst verantwortlich und kann auch vor Gericht als Zeuge aussagen. In einer feierlichen Zeremonie spricht der Vater einen speziellen Segensspruch, und der Junge trägt den Prophetenabschnitt der Woche vor und hält eine Rede, bei der er den Text auslegt und seiner Familie und den Gästen dankt. Anschließend wird ein Fest gefeiert. Vorbereitung und Planung dauern Monate und die Entwicklungsarbeit wird auch nach der Zeremonie fortgesetzt. Während die Distanz des Jungen zu seinen Eltern und seiner Familie größer wird, wird gleichzeitig das Gefühl der Verbundenheit mit dem größeren System verstärkt. Parallel zu dieser Entwicklung kommen die Eltern einander wieder näher. Rituale in Beratung und Therapie Während "Aufgaben" oder "Verschreibungen" auf die Verhaltensebene focussieren, arbeitet man bei Ritualen mit vielfältigen Bedeutungen von Symbolen und symbolischen Handlungen. Wesentlicher Bestandteil des Rituals ist die gemeinsame Entwicklung und Vorbereitung. In der Beratung kann zum Beispiel ein Familienritual erarbeitet werden, das in einem Abschiedsessen besteht, bei dem das Kind noch einmal erzählt, was ihm in dieser Familie wichtig war. Anschließend können die Eltern und Geschwister erzählen, was sie mit dem Jugendlichen verbindet und woran sie sich gern erinnern, was ihnen schwerfiel im Umgang mit ihm und was sie jetzt loslassen möchten, damit Neues entstehen kann. Schließlich übertragen ihm die Eltern die Verantwortung für den neuen Lebensabschnitt. Das Loslassen alter Rollen und Gewohnheiten kann auch durch das bewußte Weggeben von Spielzeug, Puppen und Stofftieren zB an ein Kinderheim symbolisiert werden. Eine mehrtägige Wanderung mit Rucksack oder eine Reise per Interrail könnte zum Zeichen für das freiwillige Aufgeben von Bequemlichkeit und Sicherheit werden. Rucksackreisen haben den Vorteil, dass der Jugendliche selbst seine Last tragen muß, über längere Zeit mit 32 dem Geld auskommen muß und damit lernt, mit der Verantwortung für sein eigenes Leben umzugehen. Das Pflanzen eines Apfelbaumes, der mit dem Mädchen mitwächst, könnte zum Sinnbild für Reifung werden. Anläßlich der ersten Monatsblutung des Mädchens könnte auch ein Pubertätsfest gefeiert werden. Nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Eltern haben auf ihrem Lebensweg neue Schritte zu mache n, wenn ein Kind das Haus verläßt. Auch sie müssen "erwachsen" werden und brauchen Rituale. Hilfreich kann hier das Führen eines Tagebuches sein, in dem die ambivalenten Gefühle niedergeschrieben werden und die Trauer ihren Platz bekommt. Ein weiteres Ritual des Loslassens wäre zB ein Luftballonritual. Die Eltern schreiben auf einen Luftballon, was sie dem Kind für den neuen Lebensabschnitt wünschen und auf zwei andere Luftballons, was sich jeder von der Ehe in Zukunft erwartet. Zuerst wird dem Ballon des Kindes symbolisch die Freiheit geschenkt, dann werden die zusammengebundenen Ballons der Eltern losgelassen. Nach einer symbolhaften Reinigung feiern die Eltern in ihrem Lieblingslokal und anschließend mit ihren Freunden. In der Folge könnten sie gemeinsam auch eine Reise unternehmen. Hilfreich sind für Eltern eines Pubertierenden auch gemeinsame Meditationen, bei denen sie positive Bilder von Selbständigkeit und Selbstversorgung des Jugendlichen visualisieren und sich ein Zielbild von sich selbst ausmalen. Eltern sind oft irritiert, wenn die Jugendlichen beginnen, Verantwortung zu übernehmen, und laden diese unbewußt zur alten Abhängigkeit ein. Ablösung heißt jedoch nicht, dass die Eltern-Kind-Beziehung sich auflöst, sondern sie wird nur umgestaltet. So kann eine neue Verbundenheit entstehen. Viele Mütter haben Probleme, ihre pubertierenden Söhne und Töchter loszulassen, weil sie an der Mutterrolle festhalten - vor allem, wenn sie nicht berufstätig sind. Väter setzen sich mit der Ablösung ihrer Kinder meist später auseinander als Mütter und versuchen dann noch schnell Versäumtes nachzuholen und tun sich aus diesem Grund schwer mit dem Loslassen. Je stabiler und lebendiger die Partnerschaft der Eltern ist, um so leichter gelingt den Eltern das Loslassen der Kinder, und um so leichter fällt den Kindern der Ablösungsprozess. 33 Beratung und Therapie als Ritual Wie die Trennungsphase im Übergangsritual findet auch die Beratung an einem besonderen Ort, zu einer bestimmten Zeit und fern vom Alltag statt. Sie ist etwas Herausgehobenes, nichts Gewöhnliches, ein Ausnahmezustand. Die Übergangsphase ist gekennzeichnet durch ein Experimentieren mit neuen Identitäten und das Verarbeiten neuer Fragen und Informationen, die Veränderungen bewirken. Am Ende der Beratung, wenn das Rollenrepertoire und die Verhaltensmöglichkeiten erweitert wurden, entsteht ein neuer Alltag der Familie mit erwachsenen Kindern. Arnold Retzer (Passagen, Klett-Cotta Verlag 2002) beschreibt die Systemische Therapie als Übergangsritual, in dem Transformation geschieht. Das Ablösungsritual (Erzeugung von Unterschieden) führt von der Struktur 1 (nicht therapeutische Beziehung) mit dem Schwellenritual (Balancierung der Unterschiede durch die Haltung der Neutralität) zur Schwellenphase und durch das Eingliederungsritual (Unterlassung von bisher Vollzogenem oder Vollzug des bisher Unterlassenen) zur neuen Struktur 2. In der Beratung soll nicht das alte Muster wiederholt werden, sondern etwas Neues geschehen. Das Neue kann sein, dass die Erwartungen des Klienten vom Therapeuten "enttäuscht" werden, indem er den Einladungen zur Übernahme einer bestimmten Funktion (Strukturierer, Entscheider, Helfer, Retter) nicht Folge leistet. Weiters kann er, je nach Erfordernis, die Komplexität im Beratungsprozess reduzie ren oder erweitern. Ein relevanter Unterschied kann auch in der Einführung einer Außenperspektive oder Neubewertung des Problems oder der Lösung bestehen. Das Problem kann auch eine Lösung sein, und die Lösung kann andererseits zum Problem werden. Aus konstruktivistischer Sicht sind Probleme und Lösungen nicht unabhängige Tatsachen, sondern Bewertungen, die vom Beobachter vorgenommen werden. Das lösungsorientierte Modell geht davon aus, dass die Lösung nicht unbedingt mit dem Problem etwas zu tun haben muss, sodass man also das Problem nicht genau kennen muss, um es lösen zu können. Nach Steve de Shazer genügt es zu wissen, was die Lösung ist, wie sie aussieht und wie sie hergestellt werden kann (z.B. „Woran werden Sie merken, dass die Ablösung gelungen ist?“ Oder:„Angenommen, es passiert ein Wunder und der/die Jugendliche ist selbständig, woran würden Sie das als erstes bemerken?“) 34 Als Schwellenritual bezeichnet Retzer die Methode der Neutralität des Therapeuten, mit der er "Anwalt der Ambivalenz" bleibt und die Unterschiede ausbalanciert. Er unterscheidet 3 Bereiche: - Soziale Neutralität oder Beziehungsneutralität: Sie zeigt sich in der Ablehnung von Einladungen der Klienten zur Parteinahme oder Koalitionsbildung mit einem Familienmitglied. - Konstruktneutralität oder Wirklichkeitsneutralität: Der Therapeut nimmt nicht Stellung zu den Lebensentwürfen und Weltbildern des Klienten (es gibt keine objektive Wirklichkeit) - Veränderungsneutralität oder Problem-/Lösungsneutralität: Der Klient bleibt verantwortlich für die Problemlösung; der Therapeut zeigt sich neutral in Bezug auf die Bewertung, ob sich die Dinge ändern sollen oder so bleiben sollen wie sie sind. Die neutrale Haltung des Beraters scheint besonders bei Gesprächen mit Familien Pubertierender wichtig zu sein, um der Falle einer Koalitionsbildung – sei es mit den Eltern, sei es mit dem Jugendllichen – zu entgehen. Durch das Wiedereingliederungsritual ist die neue Struktur erreicht, die Entwicklung geht weiter, der Vollzug des Neuen wird dem Klienten überlassen: Etwas, was nicht funktioniert, soll nicht wiederholt werden im Sinne von "mehr desselben" ("Lösung erster Ordnung" nach P. Watzlawick). Es soll etwas Neues ausprobiert werden ("Lösung zweiter Ordnung"). In Analogie zur "doppelten Externalisierung" (Retzer) von Problem und Lösung könnte "Kind-sein“ und „Erwachsener-sein“ imaginär personalisiert werden. Im Sinne der NLPTechnik der "3 Positionen" könnte man den Jugendlichen mit Hilfe von Bodenmarkierungen die einzelnen Positionen einnehmen und ausprobieren lassen, um die Ambivalenz, die mit dem Erwachsen-werden verbunden ist, herauszuarbeiten. Es ist auch sinnvoll, in einer Aufstellungsarbeit "die Pubertät" aufzustellen. Die Einbeziehung von Ressourcen, die in der Vergangenheit erworben wurden, könnte an Hand der hypnotherapeutischen Techniken der Timeline-Arbeit mit Seilen (nach Peter Nemetschek) bzw. für die Zielerarbeitung (zB Unabhängigkeit, Selbständigkeit) genutzt werden. Der Kreativität in der Anwendung von verschiedenen (Gestalt-)Methoden sind hier keine Grenzen gesetzt. Da in der heutigen Gesellschaft Übergangsrituale weitgehend verloren gegangen sind, sind alle Eltern herausgefordert, neue für sie passende Rituale zu (er)finden und zu entwickeln. 35 Sigrid Winter Gruppe 2: HEILUNG DURCH RITUALE Die spirituelle Dimension im Beratungsprozeß. „Vor jedem Menschen steht ein Bild des´ was er werden soll, solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll“ Angelus Silesius Ein Ritual hat einen Handlungablauf, einen definierten Zweck und eine ganz bestimmte Botschaft. Es soll über die rechte Hirnhälfte die ganzheitliche Erlebnis-weise fördern und kann so einen tiefergehenden Heilungsprozeß einleiten. Heilung im menschlichen Leben kann die Beendigung eines schmerzhaften und belastenden Zustandes bedeuten, und heißt, sich wieder ganz zu fühlen, sich wieder handlungsfähig zu fühlen und wieder neu auf eine Zukunft zu hoffen. Heilung kann auch bedeuten dass sich Wunden schließen, verheilen und dadurch wieder kräftiges neues Gewebe entsteht. Daß wieder neue Beziehungen eingegangen werden können, und das Positive aus dem vergangenen Erleben wahrgenommen werden kann und in die Zukunft mitgenommen wird. Negatives, Belastendes zurückgelassen wird und auch Themen abgeschlossen werden können. Heilung kann auch Einsicht in missglückte oder schuldhaft abgelaufene Vorgänge bedeuten und erfordert Verzeihungs- oder Versöhnungsarbeit. Heilung im spirituellen Sinn kann bedeuten, wieder Zugang zu den innersten Quellen zu suchen und daraus Orientierung, Sicherheit, Kraft und Eigenständigkeit zu schöpfen. Sich auf die Suche nach einem eigenen Sinn in diesem Leben zu machen und seinen Platz in dieser Welt einzunehmen. Bewußt JA zum Leben sagen, kann ein Heilungsergebnis sein und in die Eigenverantwortung führen. Nach meiner Erfahrung sind Klienten auf dem Weg zur Heilung, wenn sie die Verantwortung für ihr Tun und Handeln und auch für die Lebensgestaltung übernehmen. 36 Heilungsvorgänge im seelisch-geistigen Sinn lassen sich gut in Metaphern und Symbolen ausdrücken, beschreiben und auch festigen. Beispiel: Ich fühle mich reingewaschen, wie neugeboren, aus meiner innersten Quelle schöpfend. Solche Metaphern und Symbole kommen daher in den Handlungen der Rituale sozusagen verdeutlicht und übersetzt vor. Ein Ritual soll sich daraus ergeben und darf nicht isoliert hergeholt und aufgesetzt werden. Spiritualität bedeutet im weitesten Sinn geistiges Erleben, das über die menschlichen Grenzen hinausweist, und eine Grundfähigkeit des Menschen ist. Deshalb suchen wir bewusst oder unbewusst diese Dimension, und auch in der Beratung findet diese Suche oft statt. Sie zeigt sich in einer Sehnsucht nach Eingebunden-sein in ein großes Ganzes, wie immer dieses benannt werden kann. Nach meiner Erfahrung kommt es bei tiefergreifenden Lebensfragen immer zu einer spirituellen Auseinandersetzung und einer Begegnung mit den für die Klienten höchsten Werten, in denen sie die Verbindung mit diesem Ganzen oft unbewußt spüren. Sie zu thematisieren und in ihrer Lebbarkeit zu besprechen, ist Teil der Beratung. Sehr häufig sind Werte Konfliktthemen – für Werte werden sogar Kriege ausgetragen. Oft ergibt sich in der Beratung bei der Konfliktbearbeitung durch die Bewusstmachung der Werte eine überraschende Wende, oft wird sogar Übereinstimmung bei den höchsten Werten festgestellt. Die unterschiedlichen konflikthaften Zugänge werden verständlich und dadurch bearbeitbar. Rituale rühren an diese Werteebene und stellen das Gleichgewicht wieder her, führen an die tief empfundenen spirituellen Gefühle, wenn sie entsprechend eingesetzt werden. Rituale lassen sich speziell dann einsetzen, wenn irrreversible Situationen eingetreten sind, wie Trennung, Abtreibung, Trauer, Verluste. Dannn kann das Ritual helfen, solche Situationen leichter zu bewältigen oder loszulassen. Deshalb sollte ein Ritual auf die Situation bezogen, einfach und schlicht sein und sorgfältig mit den Personen oder für sie entwickelt werden. Bei freudigen Anlässen kann das Ritual helfen, zu feiern und die Situation zu festigen. 37 Merkmale von Ritualen: • Symbolhaftigkeit • Bedeutungsvielfalt • Emotionale Beteiligung • Handlungsablauf Welche Rituale gibt es: • Beziehungsrituale: Begrüßung – Abschied, Liebe, Feiern, Sex • Konflikt– und Lösungsrituale, Versöhnung, Neubeginn • Übergangsrituale: Hochzeit, Geburt, Erwachsensein, Pubertätsrituale, Mann/Frausein, Trauer, Abschied, Abschluß, Neubeginn, Anfang, Entscheidungen • Kirchliche Rituale: Gestaltung der Sakramente wie Taufe, Ehe .. Beziehung zu Gott • Therapeutische Rituale, heilende Rituale • Gemeinschaftsrituale • Spirituelle Rituale, die spirituelles Erleben hervorrufen Heilend kann alles werden, was dem Menschen in seinen seelisch-geistigen, sozialen und körperlichen Dimensionen hilft, sein Leben zu leben. 38 Christine Dvorak Gruppe 3: VERSÖHNUNGSGESTEN FÜR PAARE IN DER BERATUNG Liebe – Krise - Versöhnung Gesten Wink Zeichen Gebärde Bewegung Wenn Paare in die Beratung kommen, sind fast immer Schwierigkeiten und Beziehungsprobleme die Ursache. Um einen Einblick und Verständnis für das Paar zu bekommen, kann es für die Arbeit wichtig sein, schon beim ersten Gespräch auf Gesten des Paares, aber auch auf eigene Gesten zu achten. Gesten des Klientenpaares Es gilt, Gesten als Bewegung des Paares zu verstehen. Zugewandt oder abgewandt zu sitzen und zu sprechen, sagt viel über die Befindlichkeit des Paares aus. Für die/den Berater/in ist es gut, diese Zeichen, die in jeder Sitzung sichtbar werden wahrzunehmen, Gesten aufzugreifen und in der Arbeit zu hinterfragen. Beispiel: „Sie haben bei dieser Aussage Ihres Partners die Sitzhaltung verändert. – Warum?“). Gesten des/der Berater/in Es gilt auch, die Gesten der/des Berater/in als Reaktion auf das Paar wahrzunehmen u. zu hinterfragen. Das Wahrnehmen von Gesten ist eine gute Hilfestellung zur Standortbestimmung beim therapeutischen Prozess. 39 Rituale Brauch Zeremonie Ordnung Formen der Rituale Alltägliche Rituale Alltägliche Rituale bestimmen vielfach unser Leben. Auch als Paar entwickeln wir alltägliche Rituale (z.B. Begrüßungskuss ...). Wenn ein gemeinsamer Konsens des Paares besteht, ist das Ritual eine Festigung, Stuktur, Sicherheit, bzw. auch ein Teil der Ordnung des Paares. Konfliktpotential besteht bei fehlendem Konsens. In der Beratung ist es zielführend, hier den gemeinsamen oder fehlenden Konsens anzusprechen. Nicht alltägliche Rituale Der Beratungsprozess ist ein nicht alltägliches Ritual für das Paar. Für die/den Berater/innen sollte die Beziehung zum Klientenpaar auch ein nicht alltägliches Ritual sein, und darüber sollte Konsens herrschen, um die Beratung gelingen zu lassen. Rituale des Paares zu hinterfragen zeigt Standorte auf, die im Beratungsprozess weiterhelfen . Werte, Zieldefinitionen, Einbindungen und Umwelten können sichtbar und besprechbar werden. Nicht alltägliche Rituale von Paaren geben Auskunft über Integration oder Desintegration der Paarbeziehung und den Beziehungen zur Umwelt. Rituale der/des Berater/in Ein wichtiger Punkt für die/den Berater/in ist die Reflektion der eigene Rituale und deren Konsequenzen im Beratungsprozess. Diese Reflektion kann individuelle Zugangsmöglichkeiten und Prozessbegleitung ermöglichen. 40 Inhalte von Rituale Materiell Ein Ritual sollte in der materiellen Welt ein Zeichen sein-etwas ausdrücken was im geistig emotionalen Bereich angesiedelt ist. "Inneres aussen sichtbar und erlebbar machen". Emotional Um uns Menschen zu erreichen, muss uns ein Ritual auf der Gefühlsebene berühren. Geistig Ein Ritual ohne „zündenden Funken“, geistige Botschaft ist eine leere Hülse und nicht zielführend. Zeit Ein Ritual bindet uns an die Vergangenheit (Ahnen) und an die Zukunft. Es hebt Zeit auf und bindet uns damit an eine größere Ordnung. Einsatz von Ritualen 1.) Welche Bedeutung hat das Ritual für den Klienten und für sie? 2.) Welche Formen und Elemente drücken die Absicht und das Erleben aus? 3.) Welcher Hintergrund (kulturell, sozial, religiös, persönlich) ist tragfähig? 4.) Was soll das Ritual bewirken? 41 Ziel von Ritualen Verbinden von verschiedenen Ebenen. Entwicklung ermöglichen. Lösen von Ritualen Alte Rituale die nicht mehr passend sind, engen ein und verhindern Entwiklung. ( bei überholten Ritualen sind nicht mehr alle 4 Inhaltsebenen abgedeckt ) Diese alten Rituale bewußt machen und so zu verändern, daß Entwicklung geschehen kann, ist Aufgabe der Beratung. Durch die aufgezeigte Vielschichtigkeit von Ritualen, ist für mich der Einsatz von nicht alltäglichen Ritualen im Beratungsprozess sehr achtsam und nicht inflationär einzusetzen. Dort wo ein nicht alltägliches Ritual, und sei es noch so unscheinbar, eingeführt wird sollte es lebendiger Ausdruck von Körper, Seele, Geist und der Fülle des Lebens sein. 42 Referentenliste zur Jahrestagung 2002 Gerald Koller Entwicklungsphilosoph und Pädagoge, Leitung des Österreichischen Bildungsforums, des Büros VITAL und verschiedener Projekte, Brückenbereich von Kommunikation und Gesundheit Büro VITAL, Gleinkergasse 8, 4400 Steyr Telefon und Fax: 07252/86780 E-Mail: [email protected] Website: www.youthpromotion.at Jutta Lack-Strecker Dipl.-Psycholo gin, Praxis für Beratung und Psychotherapie, Familien-, Paar- und Einzeltherapie, Supervision, Institutionsberatung, Mediation, Sozialplanung, Lehrtherapeutin, Gründung und Mitglied des Ausbildungsteams des von der BAFM anerkannten Ausbildungsinstituts „Zusammenwirken im Familienkonflikt“ Sybelstraße 6, D-10629 Berlin Telefon: 004930/3240487 Fax: 004930/3238897 Mag. Dr. Eduard Waidhofer Klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut (Systemische Familientherapie, Klientenzentrierte Psychotherapie), NLP-Master, Traumatherapie (EMDR), Leiter des Familientherapie-Zentrums und der Männerberatung des Landes OÖ 43 Tegetthoffstraße 13, 4020 Linz Telefon: 0732/666412 E-Mail: [email protected] Christine Dvorak Kurzbiografie: geboren 1948, verheiratet, Mutter, Großmutter Beruflicher Werdegang: Fotografin, Erwachsenenbildung, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Psychotherapeutin, Supervisorin und derzeit stellt sich die Lebensaufgabe, Spiritualität in alle Lebens bereiche zu integrie ren Ottakringerstraße 190-192/2, 1160 Wien Telefon: 01/4894204 Sigrid Winter Psychotherapeutin, Systemische Familientherapie, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Sozialpädagogin, NLP- Lehrtrainerin, Supervisorin, Eb-Master, 20 Jahre Erwachsene nbildung im Bereich Familienarbeit, seit 1989 im eigenen Ausbildungsinstitut „team winter KOMPETENZTRAINING“, seit 1993 Ausbildungsleitung für Supervision und Coaching im AWS Baden, seit 1999 Lehrauftrag für Methodik in der Schule für EheFamilien- und Lebensberatung in 1030 Wien, Ungargasse 3 Rasumofskygasse 16a, 1030 Wien Telefon: 01/7145159 Fax: 01/7145810 E-Mail: [email protected] Website: www.winter.at www.ehe -familien-lebensberatung.at 44