Mitgefühlserschöpfung und Bewältigungsstrategien
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Mitgefühlserschöpfung und Bewältigungsstrategien
Mitgefühlserschöpfung und Bewältigungsstrategien Gernot Brauchle Wissen schützt 28. Jahrestagung der Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Neurochirurgische Krankenpflege 1 Einleitung Belastungen von Pflegekräften § Schichtarbeit und körperliche Beanspruchung § Zeit- und Leistungsdruck resultierend aus dem Kostendruck § Mangelnde Unterstützung von Vorgesetzten § Belastungen durch Patientenverhalten § Ethisch-moralische Konflikte bei Therapieentscheidungen bei Schwerverletzten oder Sterbenden § Eigene Fehler in der Arbeit § das Erleben von Hilflosigkeit beim Beobachten von leidenden Patienten 2 Mitgefühlserschöpfung Compassion fatigue Sekundäre Traumatisierung 3 Definition: Mitgefühlerschöpfung Mitgefühlserschöpfung bzw. sekundäre Traumatisierung § entsteht aus tiefer Sympathie und Sorge für einen leidenden Menschen § bei Personen, die in empathischem Kontakt zu traumatisierten Menschen stehen. Figley, Ch. R. (Ed.) (1995). Compassion fatigue: Coping with secondary traumatic stress disorder in those who treat the traumatized. Philadelphia, PA, US: Brunner/Mazel. 4 Mitgefühlserschöpfung :: Burnout Mitgefühlserschöpfung § kann plötzlich und ohne Vorwarnung auftreten § Gefühle von Hilflosigkeit und Verwirrung § den auftretenden Symptomen liegen häufig keine realen Ursachen zugrunde § Rückzug und Aufgabe empathischer Pflegetätigkeit Burnout § ist ein schleichender Prozess § Symptomen von körperlicher, mentaler und emotionaler Erschöpfung § Gefühl von beruflichem Misserfolg und Wirkungslosigkeit § Frustration und schwindende Arbeitsmoral § Rückzug und die Aufgabe idealistischer Ziele Figley, Ch. R. (2002). Treating Compassion Fatigue. New York: Brunner-Routledge. 5 Wesentliche Faktoren die zu einer Mitgefühlserschöpfung führen können: § Kontakt mit traumatisierten Personen § empathische Besorgnis § Entwicklung von Mitgefühlsstress und Hilflosigkeit § verringerte Fähigkeit, sich vom Leiden der Klienten zu distanzieren § eigene belastende Lebensereignisse Yoder E.A. (2010). Compassion fatigue in nurses. Applied Nursing Research 23, 191–197. Hooper, C. et al. (2010). Compassion Satisfaction, Burnout, and Compassion Fatigue Among Emergency Nurses Compared With Nurses in Other Selected Inpatient Specialties. Journal of Emergency Nursing. 36 (5), 420-427. 6 DSM-V - traumatische Ereignisse (ABS / PTBS) (A) Ein traumatisches Ereignis ist definiert durch das Ausgesetzt sein von § tatsächlichem Tod oder der Angst vor dem Tod, § schwerer Verletzung § sexueller Gewalt in folgender Form: A 1: direktes Erleben des traumatischen Ereignisses A 2: persönliches Beobachten eines traumatischen Ereignisses A 3: erfahren, dass ein traumatisches Ereignis (zufällig oder gewaltsam) einem nahen Familienmitglied oder nahen Freund zugestoßen ist A 4: direktes oder wiederholtes Ausgesetzt-sein aversiver Details traumatischer Ereignisse 7 Theorie der Mitgefühlserschöpfung 8 Selbstentwicklungstheorie Menschen konstruieren ihre eigene Realität, indem sie komplexe Schemata hervorbringen, um Ereignisse zu interpretieren. Diese Schemata beinhalten Grundannahmen, Glaubenssätze und Erwartungen über das Selbst und die Welt. Die Auseinandersetzung mit Traumatisierten kann § die individuellen Schemata überfordern § diese nachhaltig verändern und § zu Beeinträchtigungen führen. Brandtstädter, J. (2007). Das flexible Selbst. Selbstentwicklung zwischen Zielbindung und Ablösung. Heidelberg: Elsevier/Spektrum Akademischer Verlag. 9 Schemata und Grundannahmen Grundannahmen sind ein fundamentales konzeptuelles System über uns selbst, die Anderen und die Welt. Diese Grundannahmen unterliegen optimistischen Illusionen…. § § GA über die Welt und die Anderen: 1. Wohlwollen, 2. Sinnhaftigkeit und Gerechtigkeit 3. Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit GA über uns selbst: 1. persönliche Invulnerabilität 2. optimistische Wertschätzung der eigenen Person § Fundamentaler Attributionsfehler und Self-serving Bias 10 Beeinträchtigungen der Selbstachtung und Selbstfürsorge § der Fähigkeit, ein grundsätzlich positives Gefühl zum eigenen Selbst aufrechtzuerhalten. § der Fähigkeit, konstruktiv mit starken Affekten umzugehen. § der Fähigkeit ein Gefühl der Verbundenheit mit Anderen. der Selbstprüfung, Willenskraft, Humor, Empathie, der Fähigkeit Grenzen zu setzen und der Intelligenz. Pearlman, L. A.; Saakvitne, K. W. (1995). Trauma and the Therapist: Countertransference and Vicarious Traumatization in Psychotherapy with Incest Survivors, W. W. Norton & Company: New York and London. 11 Bewältigungsstrategien Selbstfürsorge 12 ABC der Selbstfürsorge drei primäre Strategien, um sich vor Mitgefühlserschöpfung zu schützen: A: Achtsamkeit (awareness - mindfulness), B: Balance (balance) und C: Verbindung (connection) Pearlman, L. A. (2002). Selbstfürsorge für Traumatherapeuten. Linderung der Auswirkungen einer indirekten Traumatisierung. In: Hudnall Stamm, B. (Hrsg.). Sekundäre Traumastörungen. Wie Kliniker, Forscher und Erzieher sich vor traumatischen Auswirkungen ihrer Arbeit schützen können. Junfermann Verlag: Paderborn, 77-86. 13 Achtsamkeit (mindfulness) Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment, Vermeidung von kategorialem Denken („SW-Denken“), einsichtsvolles Verstehen und eine grundsätzlich freundliche Haltung gegenüber der Erfahrung (vs. „Katastrophieren“). Beispielitems des Freiburger Achtsamkeitsfragebogen (FFA) § Ich bin offen für die Erfahrung des Augenblicks. § Ich bin mir selbst gegenüber freundlich, wenn Dinge schieflaufen. § In schwierigen Situationen kann ich innehalten. § Ich kann darüber lächeln, wenn ich sehe, wie ich mir manchmal das Leben schwer mache. Walach, H. et al. (2009). Empirische Erfassung der Achtsamkeit – Die Konstruktion des Freiburger Fragebogens zur Achtsamkeit (FFA) und weitere Validierungsstudien. In: Heidenreich, T. & Michalak, J. (Hrsg.). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie. Ein Handbuch. Tübingen: dgvt-Verlag. 14 Balance und Verbindung Balance § zwischen Arbeit, Freizeit und Ruhephasen sowie zwischen der Vielfalt von Aktivitäten im Berufs- und im Privatleben. in Verbindung bleiben: § den Zugang zu sich Selbst stärken und § mit anderen Menschen im Austausch bleiben, Udolf, M. (2008). Sekundäre Traumatisierung bei pädagogischen Fachkräften in der Kinder und Jugendhilfe, Spielräume. Nr. 40/41. http://www.traumapaedagogikbremen.de/pdf/m_udolf2007.pdf 15 Adaptive Bewältigungsstrategien Positive Empfindungen 16 Gesundheit Was hält uns gesund – trotz schwieriger Lebensbedingungen? § Nonnenstudie: Vergleich von Lebensalter und Noviziatsaufsätzen • aus der Gruppe mit den meisten positiven Empfindungen im Aufsatz waren 90% der 85jährigen am Leben. • aus der Gruppe mit den wenigsten positiven Empfindungen im Aufsatz waren nur mehr 34% der 85jährigen am Leben! • aus der ersten Gruppen erreichten 54% das Alter von 94 Jahren. • aus der zweiten Gruppe erreichten nur 11% dieses Alter. Danner, D.; Snowdon, D. & Friesen, W. (2001). Positive emotions in early life and longevity. Findings from the nun study. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 804 – 813. 17 Alter und positive Empfindungen Der entscheidende Faktor war weder das Maß des Unglücks, das beschrieben wurde, noch der positive Blick in die Zukunft sondern: die Summe der positiven Empfindungen im Text! § nicht Fröhlichkeit! § sondern Interesse, Liebe, Hoffnung, Zufriedenheit, Unterstützung, Vergnügen, Glück, Stolz auf Leistungen… Gegenteil: Alter und pessimistischer Erklärungsstil: Peterson, C.; Seligman, M.E.P.; & Vaillant, G.E. (1988). Pessimistic explanatory style is a risk factor for physical illness: A thirty-five year longitudinal study. Journal of Personality and Social Psychology, 55, 23 – 27. 18 Positive Empfindungen „herstellen“ 19 …bei negativen Erfahrungen? Koloskopie-Experiment Es ist entscheidend darauf zu achten, wie bestimmte (negative) Lebensereignisse enden bzw. wie diese erinnert werden. Diese Erinnerung § beeinflusst das gesamte Geschehen, § bestimmt ihr Handeln in der Zukunft und § beeinflusst ihre Gesundheit. Kahneman, D. et al. (1993). When more pain is preferred to less: Adding a better end. Psychological Science 4: 401–405. 20 Dankbarkeit Gratitude-Programm: „Heute bin ich dankbar für …“ § wirkt der hedonistischen Adaptation entgegen („Gewöhnung an das Besondere im Leben“) § verringert Gefühle von Hilflosigkeit (und andere negative Emotionen) § erhöht das Gefühl von Unterstützung und Verbundenheit mit bedeutsamen Anderen § steigert positive Gefühle Lyubomirsky, S. et al. (2011). Becoming happier takes both a will and a proper way: An experimental longitudinal intervention to boost well-being. Emotion, 11(2), 391-402. Sheldon, K. M. & Lyubomirsky, S. (2006). How to increase and sustain positive emotion: The effects of expressing gratitude and visualizing best possible selves. Journal of Positive Psychology. Special Issue: Positive Emotions, 1(2), 73-82. 21 Persönliche Zielvorstellungen Das Wunsch-Ich-Programm (Best Possible Selves, BPS) : § „Versetzen Sie sich in Ihre Zukunft. Stellen Sie sich intensiv vor, wie Sie sein werden und wie Ihr Leben sein wird, nachdem alles gut gelaufen ist. § Alles was Sie sich erhofft haben ist eingetreten und alles was Sie sich vorgenommen haben, ist erfolgreich verlaufen. § Schauen Sie genau hin auf das, was sie alles erreicht haben, wie Sie dies alles erreichen konnten, was Sie selbst dazu beigetragen haben und schreiben Sie alles auf.“ § Aufbau von Glücksaktivitäten, Wohlbefindensziele und Genusstraining § Stärkung eines positiven Selbstbildes und der Selbstwirksamkeit („eigene Stärken“) § Steigerung des Gedächtnisses und der Positivität King, L. A. (2001). The health benefits of writing about life goals. Personality and Social Psychology Bulletin, 27, 798–807. 22 Persönliche Zielvorstellungen Häufigkeit von Arztbesuchen nach 5 Monaten King, L. A. (2001). The health benefits of writing about life goals. Personality and Social Psychology Bulletin, 27, 798–807. 23 Anschrift: Ao. Univ.-Prof. Dr. Gernot Brauchle ---------Institut für Angewandte Psychologie UMIT – Private Universität, Hall in Tirol Tel.: +43 664 100 5990 Email: [email protected] 24