PDF 35 - Deutsche Sprachwelt
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AUSGABE 35 Frühling 2009 10. Jahrgang – 1 ISSN1439-8834 (Ausgabe für Deutschland) Besuchen Sie uns auf der Laßt euch nicht auffressen! 12.–15. März 2009 Stand A 103 in Halle 5 Wir freuen uns auf Sie! Orthographische Konferenz Rudolf Wachter erklärt die Arbeit der Schweizer Fensterputzer der deutschen Rechtschreibung. Seite 3 Siemens-Deutsch Geert Teunis verteidigte die deutsche Sprache auf der diesjährigen Siemens-Hauptversammlung in München. Seite 6 Eurofon Klaus Däßler stellt seine Erfindung eines persönlichen Sprachübersetzers vor, der die Rettung der Sprachenvielfalt bedeuten könnte. Seite 7 Sprachwahrer des Jahres Die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT haben die „Sprachwahrer des Jahres 2008“ gewählt. Seite 10 Sie spenden für: • Zusendung der DEUTSCHEN SPRACHWELT • Aktionen für die deutsche Sprache Dringende Bitte: Geben Sie bitte auf dem Überweisungsvordruck Ihre Anschrift an, zumindest Postleitzahl und Wohnort. So können wir die Spende Ihrem Namen zuordnen und sicherstellen, daß wir Sie nicht versehentlich aus der Bezieherliste streichen. Vielen Dank! Ihr Verein für Sprachpflege Besuchen Sie www.Sprachpflege.info 2009 stimmen wir auch über die Zukunft der deutschen Sprache ab Von Thomas Paulwitz B erichte entsetzter Leser über einen Fehlgriff bildungspolitischer Öffentlichkeitsarbeit in Sachsen erreichten Anfang dieses Jahres die Redaktion der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Im gesamten Stadtgebiet der sächsischen Landeshauptstadt Dresden prangten auffällige Großflächenplakate. Zu sehen war ein gelbes Ungeheuer, das die durchgestrichenen Symbole Sachsens, Deutschlands und der Europäischen Union (EU) frißt. Darunter war zu lesen: „Level 2009“ und „Get ready 4 vote!“ (siehe Bild). Als Verantwortliche für die Plakate tritt die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung auf. Was wollte uns die Landeszentrale damit sagen? Daß Sachsen, Deutschland und die EU kurz davor stehen, verspeist zu werden? Und von wem? Soll das gelbe Ungeheuer etwa die Amerikanisierung verkörpern, die Sächsisch, die deutsche Sprache, ja die Sprachenvielfalt Europas auffrißt? Wir gingen der Sache nach. Dabei kam dies heraus: Die Landeszentrale für politische Bildung hatte Studenten der Technischen Universität Dresden in einem Seminar des Instituts für Kommunikationswissenschaft die Aufgabe gestellt, ein Plakat für einen Wahlaufruf zu entwerfen. Zielgruppe sollten besonders Jugendliche sein. Der Titel des Seminars lautete: „Outof-Home-Medien“. Auf deutsch heißt das schlicht und einfach „Außenwerbung“. Anbieter des Kurses war die „Ströer Out-of-Home Media AG“, die mit einem Anteil von fünfzig Prozent und mit rund 230.000 Werbeflächen in Deutschland Marktführer für Außenwerbung ist. Ströer rühmt die „gute Visibility“ (Sichtbarkeit) der „Out-ofHome-Medien“. Mit Hilfe des US-Investors „Oaktree Capital Management“ (OCM), der über 55 Milliarden USDollar verwaltet, will Ströer sich nun auch international weiter ausbreiten. OCM zählt zu den „Hedgefonds“, die im Volksmund auch als „Heuschrecken“ bekannt sind. Bild: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Unter den Entwürfen der Dresdner Studenten siegte derjenige, auf dem das gelbe Ungeheuer zu sehen ist, das auch als gefräßiger „Pac-Man“ in Videospielen sein Unwesen treibt. Die Plakatentwürfe mit deutschen Texten fielen durch. Ströer plakatierte das Siegerplakat auf eigene Kosten in ganz Dresden. englischsprachiger Werbung erfolgreich sein werden. In der Brüsseler EUBürokratie, in der die deutsche Sprache kaum Fürsprecher hat, lacht man sich unterdessen gewiß schief. Solche Aktionen durchkreuzen die Bemühungen deutscher Politiker, Deutsch als Arbeitssprache in der EU zu stärken. Frißt also Englisch alles auf? Nein, wie wir sehen, sind wir es selbst, die die deutsche Sprache opfern. Die Landeszentrale für politische Bildung ist dem sächsischen Kultusministerium zugeordnet. Kaum zu glauben, daß eine mit Steuergeldern finanzierte Einrichtung die Verdrängung und Verhunzung unserer Sprache derart fördert. Mit ihrer Auswahl signalisiert die Landeszentrale den angehenden Werbeleuten in verheerender Weise, daß sie bei einer deutschsprachigen Kundschaft nur mit Die Wahlen in diesem Jahr, besonders zum Europaparlament und zum Deutschen Bundestag, bieten uns Wählern die Möglichkeit, solche Volksvertreter in die Parlamente zu schicken, die sich für die deutsche Sprache einsetzen, statt sie dem Zeitgeist zum Fraß vorzuwerfen. Jeder kann seiner Wahlentscheidung auch Prüfsteine zur deutschen Sprache zugrundelegen. Jeder kann den Bewerbern um politische Ämter Fragen stellen. Jeder kann in der Presse verfolgen, wie sich Parteien und Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT Sprachpflege 2.0: Welttag der Muttersprache: Am 13. Januar schaltete XING, das führende Personenverzeichnis für Geschäftskontakte, die Gruppe DEUTSCHE SPRACHWELT frei. Dort können sich Sprachfreunde aus allen Berufsgruppen über die deutsche Sprache austauschen. Über 250 Personen nutzen bereits dieses neue Angebot, und es werden immer mehr. www.xing.com/net/dsw Am 18. Februar berief die traditionsreiche Nürnberger Sprachgesellschaft „Pegnesischer Blumenorden“ (gegründet 1644) den Schriftleiter der DEUTSCHEN SPRACHWELT, Thomas Paulwitz, zum Ordensrat für Sprachpflege und Leiter des Sprachausschusses. Auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse im Sprachausschuß verbreitete die DEUTSCHE SPRACHWELT zum Welttag der Muttersprache am 21. Februar die Forderung nach einer verständlichen Finanzsprache. Siehe Seite 6. Netzforum eröffnet Finanzsprache angeprangert Verbraucherschutz: Anti-SALE-Aktion begonnen Zum Winterschlußverkauf begann die DEUTSCHE SPRACHWELT eine neue Verbraucherschutzaktion. Unter dem Leitspruch „Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache“ fordert sie eine kundenfreundliche Sprache und verbreitet Flugblätter und kostenlose Aufkleber. Siehe Seite 4. Politiker zur deutschen Sprache äußern und verhalten. Einen Hinweis darauf, ob sich Politiker ihrer besonderen Verantwortung für die deutsche Sprache bewußt sind, gibt als erstes der Lackmustest: Achtet der Kandidat in seinen Reden und Texten auf eine verständliche und bürgernahe Sprache? Vermeidet er mißverständliche und irreführende Ausdrücke? Setzt er sich für den Gebrauch und das Ansehen der deutschen Sprache ein? Als nächstes folgt der Herz-und-Nieren-Test zur Sache. Wahlprüfsteine sind zum Beispiel, ob der Kandidat bereit ist, sich in seiner zukünftigen Parlamentsarbeit dafür einzusetzen, die Flut von Amerikanismen einzudämmen; ob er entsprechende fraktionsübergreifende Initiativen zum Schutz der Verbrauchersprache unterstützen würde; ob er für die Verankerung der deutschen Sprache in der Verfassung stimmen würde; ob er für die Stärkung des Deutschunterrichts in der Schule eintritt; ob er für die Stellung der deutschen Sprache in der Wissenschaft und in der Europäischen Union zu kämpfen bereit ist. Als Krönung kommt schließlich die Nagelprobe. Mit welchen handfesten Maßnahmen wollen der Bewerber und seine Partei die Stellung der deutschen Sprache verbessern, ihr Ansehen mehren, das Sprachbewußtsein fördern? Falls sie darauf keine Antwort finden, können sie sich gerne bei der DEUTSCHEN SPRACHWELT einen Beratungsgutschein abholen. Politiker ohne Bodenhaftung, die der Verdrängung der deutschen Sprache tatenlos zusehen, statt mit Leib und Seele für sie zu kämpfen, müssen auf die Stimmen der Sprachfreunde allerdings verzichten. Leserbriefe Seite 2 Deutsch ins Grundgesetz I Zum Beitrag „Kommt Deutsch ins Grundgesetz?“ von Thomas Paulwitz in DSW 34, Seite 10 ereits in einer vor zwei Jahren vom ben Es geht schlicht und ergreifend um SPIEGEL in Auftrag gegebenen Diskriminierung, Deklassierung und Meinungsumfrage von Infratest (SPIE- Erniedrigung. Ob Migrant oder UreinGEL Nr. 40 / 2006 – Titel: „Deutsch wohner, hierzulande werden einem tagfor sale“) sprachen sich, man lese und täglich Wörter aus einer Sprache um die staune, 78 Prozent der Befragten für Ohren gehauen, die oft weder die einen Deutsch als Staatssprache im Grundge- noch die anderen verstehen. Und bei setz aus. Jüngste Umfragen haben diese technischen Geräten kann man, angesatte Dreiviertel-Mehrheit bestätigt. Ne- sichts der auf englisch gekennzeichneten benbei bemerkt: Die ersten Anregungen, Bedienungsknöpfe und Schalthebel, als die deutsche Sprache im Grundgesetz Verbraucher noch heilfroh sein, wenn zu verankern, kam nicht, wie im letzten nichts verschmort oder verbrennt, man Artikel dieser Zeitung vermerkt, 2004 keinen elektrischen Schlag kriegt oder von einem Düsseldorfer Romanisten, einem bei der Handhabung nicht noch sondern von unserer Kölner Region zusätzlich die Einzelteile um die Ohim „Verein Deutsche Sprache“. Denn ren fliegen. Also liebe Bedenkenträger, schon einige Jahre zuvor hatte ich dieses nur darum geht es. Und deshalb gehört drängende Thema bereits angesprochen Deutsch ins Grundgesetz Denn nicht die und in Briefen an unseren Dortmun- Sprachgemeinschaft bestimmt derzeit, der Hauptvorstand dazu geraten, dafür wie bei uns gesprochen wird, sondern die bundesweit zu werben. Die Auseinan- SALE-‚ easyCRASH- und „MONEY to dersetzung zum Thema „Deutsch ins go“-Global-Player, -Heuschrecken und Grundgesetz“ hat inzwischen aber leider -Pleitegeier Deren Hochstapler-Globaeinen völlig falschen Drall bekommen. lesisch ist eine Gewalt, die nicht vom Die Befürworter bewegt in Wirklichkeit Volke ausgeht. Deshalb gehört Deutsch doch nichts anderes als die skandalöse schleunigst ins Grundgesetz. Also nichts sprachliche Ausgrenzung von Millionen wie rein damit! Menschen, die hier in diesem Lande le- Dietmar Kinder, Köln B E Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir besser machen können? Worauf sollten wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns, wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch wenn wir nicht jeden Brief beantworten und veröffentlichen können, so werten wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus. Bei einer Veröffentlichung behält sich die Redaktion das Recht vor, sinnwahrend zu kürzen. Auf diese Weise wollen wir möglichst viele Leser zu Wort kommen lassen. Schreiben Sie bitte an: DEUTSCHE SPRACHWELT Leserbriefe Postfach 1449, D-91004 Erlangen [email protected] Seltsame Krankheit Über eine neue Sprachkrankheit mehr sicher ist, begriff ich erst, als ich kurz vor dem Jahreswechsel im Hausflur folgenden Anschlag am Schwarzen Brett las: „Die Hausverwaltung macht darauf aufmerksam, daß das Abschießen von Raketen in der Wohnanlage polizeilich verboten ist. Dem Hausbesorger wurde angewiesen, jedes Vergehen gegen dieses Verbot zur Anzeige zu bringen.“ Ob dem Hausbesorger dafür, daß er tat, was er (!) zu tun angewiesen worden war, eine besondere Prämie auf sein Konto angewiesen wurde, ist mir allerdings nicht bekannt. Peter Moser, Salzburg Deutsch ins Grundgesetz II Zum Beitrag „Kommt Deutsch ins Grundgesetz?“ von Thomas Paulwitz in DSW 34, Seite 10 ollte die Mehrheit der Delegierten Die historisch geprägte Ausdruckskraft des CDU- Bundesparteitags mit ih- europäischer Sprachkunst wird weltweit rem Eintreten für die Aufnahme der deut- geschätzt. Hätte ein Goethe oder ein schen Sprache in das Grundgesetz mehr Schiller denglisch gedichtet, so wären bewirken wollen, als einen Blickfang für uns diese Koryphäen bis heute unbekannt das Superwahljahr 2009 abzuliefern? geblieben. Gleiches gilt auch für William Dann könnte dies ein erster sichtbarer Shakespeare, Molière oder Miguel de Schritt für einen besseren Schutz, der Cervantes. Frankreich hat dies rechtleider zur Beliebigkeit verkommenen, zeitig erkannt und gilt heute in Sachen identitätsstiftenden und zur Vermittlung Sprachschutz als vorbildlich, während komplexer geistesgeschichtlicher Zu- bei uns die undefinierbare Kombination sammenhänge notwendigen Kommuni- von Deutsch, Denglisch und Englisch kationsart Sprache werden. Die Wahr- in zunehmendem Maße Platz greift. Da scheinlichkeit, daß der ungewöhnliche Sprache mit vielen anderen Faktoren in öffentlichkeitswirksame Vorstoß bald Wechselwirkung tritt, kann sie aus einer aufs Abstellgleis gerät, ist allerdings sehr erfolgreichen Zukunftsgestaltung nicht hoch. Dabei sollte uns der Blick in die ausgeklammert werden. Vergangenheit eines Besseren belehren. Roland Grassl, Bühl S Eigenartig wirkt die Krankheit, Nicht schlau Die der VolksMund Dummheit nennt. Unter der nur andre leiden, Währenddessen der Patient Keinerlei Beschwerden kennt. Dumm und faul Dativitis ine neue Sprachkrankheit geht um: die Dativitis. Daß der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, wissen wir spätestens seit Bastian Sicks geistreichen Büchern. Daß der Dativ auch dem Akkusativ sein Tod sein kann, kennen wir zumindest aus einigen Mundarten, wie dem Berlinerischen („Ick hab dir lieb“) oder dem Wienerischen (,‚Nach der Verletzung wird eahm der Trainer no net spielen lassen“; so etwa der Fußballexperte des österreichischen Fernsehens, Herbert Prohaska). Aber daß auch der Nominativ vor dem ausufernden Dativ nicht Liebe Leser! Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Zum Beitrag „Ins Netz gehen!“ in DSW 34, Seite 5 S ie sorgten bei mir kurzfristig für einen erhöhten Blutdruck. Sie schreiben „Lexikon: Machen Sie sich schlau und …“ Vielleicht ist meine Ansicht nicht richtig. Wenn ich diese neue Redewendung „Machen Sie sich schlau“ höre, dann denke ich, man kann sich nicht schlau machen. Wer klug ist, pfeift auf „MegaChips“, Auf „SoftWare“ und Maschinen, Denn diese haben keinen Grips Keine alten Weiber Und lassen sich bedienen! Zum Beitrag „‚Altweibersommer‘ frauenfeindlich?“ in DSW 34, Seite 12 Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld D Aus: Günter B. Merkel: Große Sprüche vom gnadenlosen Dichter, SWP-Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128 Seiten, fester Einband, 9,50 Euro. Bestellung unter Telefon 06220/6310 urch den Begriff „Altweibersommer“ brauchen sich betagte Frauen nicht beleidigt zu fühlen. Er kommt nämlich von „weiben“, dem althochdeutschen Wort für das Weben, besonders für das Knüpfen von Spinnennetzen. Ins heutige Deutsch übersetzt bedeutet „Altweibersommer“ nichts anderes als „alter Spinnwebensommer“. Anton Karl Mally, Mödling bei Wien Zum Beitrag „Eine Leitkultur zerfällt“ von Thomas Paulwitz in DSW 33, Seite 1 D Krankheit hat. Mit der Dudenmeinung im Rücken wird der Beitrag zum Verschandeln der deutschen Sprache nicht bemerkt. Gottfried Fischer, der seinerzeitige Schriftleiter der „Wiener Sprachblätter“, hat mir im Jahr 2001 zum Thema „-fähig“ eine Liste mit über 120 Affixoiden (adjektivistisches Suffixoid) geschickt, das Ergebnis aus zehn Jahren Sammeln. Sie dürfte bis heute erheblich erweitert worden sein. Theoretisch gibt es so viele „Fähigkeiten“, wie es Gegenstände gibt. Das regelmäßige Lesen und Hören von neuen, meistens unsinnigen Sprachschöpfungen und Unwörtern, nicht nur im Umgangsdeutsch, gleicht einer allgemeinen Einladung, den riesigen Sprachmüllkorb zu füllen. Prominente und Sprachkundige geben ein schlechtes und wirksames Beispiel, statt sprachliches Vorbild zu sein. Die meisten Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT werden das Wort „zukunftsfähig“ nicht als kritikwürdig empfinden, lesen und hören sie doch ständig mit „fähig“ „suffix“ierte Gegenstände und Begriffe. Außerdem, es steht ja schließlich in der DEUTSCHEN SPRACHWELT an auffälliger Stelle. Das Wort wird so oft benutzt, daß sich kaum mehr jemand fragt, was es bedeutet. Es hat wohl etwas mit „Zukunft“ und „Verhalten/Handeln“ zu tun. Das reicht schon allen, die dem allgemeinen Trend entsprechend nur mit halber Aufmerksamkeit lesen oder hören und schon zufrieden sind, wenn sie das Mitgeteilte ungefähr verstehen. Wer jedoch aufmerksam zuhört (liest), mitdenkt und sich mit dem Sinn des Mitgeteilten fortlaufend auseinandersetzt, hält schon bei der „Zukunft“ inne und fragt, ist das jetzige Verhalten/Handeln im Hinblick auf die Zukunft (= die noch bevorstehende Zeit) oder das Verhalten/Handeln in der Zukunft gemeint? Und, mit Einbezug des Kulturbegriffs, sollen wir die aktuelle Kultur, also die „Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Errungenschaften einer Gesellschaft“ (durch unser Verhalten/Handeln) so verändern, oder wie Alois Glück sagte, „entwickeln“, daß sie eine Zukunft hat? Die Zukunft beginnt immer bereits in den nächsten Sekunden und umfaßt alles Denkbare. Das Suffix „-fähig“ löst weitere Fragen aus. Fähig zu tun, zu gestalten, zu verändern, zu beeinflussen, zu fördern? Und in passivischer Hinsicht im Sinne von geeignet, tauglich, würdig, trächtig, reich? Wie es im Artikel heißt, gehöre zu einer zukunftsfähigen Kultur „aber auch eine ausdrucksstarke, ehrliche und verständliche Sprache, laufend weiterentwickelt von ihren Sprechern.“ Hier bin ich voll auf der Seite des Autors. Allerdings sehe ich in dem Schwammwort „zukunftsfähig“ keinen ausdrucksstarken und verständlichen, höchstens einen dudenfähigen Ausdruck, der nicht des- Gegründet im Jahr 2000 Erscheint viermal im Jahr Auflage: 28.000 Die jährliche Bezugsgebühr beträgt 10 Euro. Für Nicht- und Geringverdiener ist der Bezug kostenfrei. Zusätzliche Spenden sind sehr willkommen. Bundesrepublik Deutschland Verein für Sprachpflege e. V. Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Bankleitzahl 763 500 00 Kontonummer 400 1957 BIC: BYLADEM1ERH IBAN: DE63763500000004001957 Republik Österreich Verein für Sprachpflege e. V. Volksbank Salzburg Bankleitzahl 45010 Kontonummer 000 150 623 Nicht „zukunftsfähig“ er im Leitartikel zur Leitkultur dargelegten Meinung zur kritiklosen Übernahme von Anglizismen stimme ich grundsätzlich zu. Allerdings sollten wir bei der Abwehr des Denglischen nicht das deutsche Deutsch aus den Augen verlieren. Schon in der Unterzeile der Überschrift steht ein markantes Beispiel für schlechtes (deutschunfähiges) Deutsch. Dem dudenfähigen Wort „zukunftsfähig“ (Duden – Die deutsche Rechtschreibung 2006) möchte ich als Werber für klares Deutsch keine Zukunftsfähigkeit wünschen. Schon vor vielen Jahren kritisierte ich den Duden auf meinen Netzseiten, weil er das Suffix „fähig“ für den passivischen Gebrauch freigegeben hat. Das Ergebnis können wir täglich schriftlich wie mündlich in Form aller möglichen (Pseudo-)Fähigkeiten beobachten, von „abgasfähig“ bis „zugfähig“. Der Vorrat an Gegenständen und Begriffen, die be-„fähigt“ werden, ist unerschöpflich und wird auch weitgehend genutzt, um „dudenmäßig“ mit der Zeit zu gehen. Dabei werden oft die Suffixe „-bar“ und „-fähig“ verwechselt. Kaum mehr steigerbar (steigerungsfähig) ist die dudenfähige Verwandlung einer streichbaren Butter in eine „streichfähige“ und ein lenkbares Auto in ein „lenkfähiges“. Neueste Sprachblüte: „ein wartezimmerfähiger Patient“, womit jemand gemeint ist, der nicht übel riecht und keine ansteckende Schlauheit ist eine Charaktereigenschaft. Man ist oder man ist nicht schlau. Richtig wäre aus meiner Sicht „Informieren Sie sich“. Ich wollte darüber schon immer einen Leserbrief schreiben, jetzt haben Sie mir die Gelegenheit dazu geboten – danke. Harald Baureiß, Mariapfarr halb im Duden steht, also dudenfähig ist, weil er Ausdruck von gutem und richtigem Deutsch ist, sondern weil er zum „Umgangsdeutsch“ gehört, nicht zuletzt mit Dudenförderung. Wörterbücher bieten mehrere Ausdrücke an, die das mißverständliche „-fähig“ vermeiden. So sind sogar im Rechtschreibduden von 2006 noch die Wörter zukunftsgerichtet, -orientiert, -reich, -voll und -weisend angeführt. Im Wahrig stehen zur Auswahl: zukunftsorientiert, -sicher, -tauglich und -weisend. Ich biete weitere an: zukunftsgeeignet, -gestaltend, -beständig, -würdig, -erhaltend, -fest und -fördernd und sogar -zerstörend. Sicher lassen sich weitere Adjektive finden, die dem Sachverhalt näher kommen als das „dudenmäßige“ stereotypische und universell verwendete „-fähig“. Die Angelegenheit erinnert mich an die Floskel „davon ausgehen“, die Wissen vortäuscht, wo Unwissen herrscht. Ohne sie kommt niemand mehr aus, wenn er etwas annimmt, glaubt, vermutet und so weiter. Das kann man nicht mehr als Unsitte bezeichnen, sondern als allgemein übliches Verbreiten von Falschinformationen. Der Duden hat diese Wendung früher korrekt erläutert. Er ist bereits eingeknickt und hat das Schwammdeutsch der Straße übernommen. Ihr DSW-fähiger Leser Ulrich Werner, München www.sprache-werner.info Bitte bei der Überweisung vollständige Anschrift mit Postleitzahl angeben! ISSN 1439-8834 (Ausgabe für Deutschland) ISSN 1606-0008 (Ausgabe für Österreich) Herausgeber Verein für Sprachpflege e. V. Sammelanschrift Deutsche Sprachwelt Postfach 1449, D-91004 Erlangen Fernruf 0049-(0)91 31-48 06 61 Ferndruck (Fax) 0049-(0)91 31-48 06 62 [email protected] [email protected] Schriftleitung Thomas Paulwitz [email protected] Gestaltung und Satz moritz.marten.komm. Claudia Moritz-Marten [email protected] Anzeigen moritz.marten.komm. Hans-Paul Marten Fernruf 0049-(0)22 71-6 66 64 Ferndruck (Fax) 0049-(0)22 71-6 66 63 [email protected] Sprachwelt-Mitarbeiter Ursula Bomba, Rominte van Thiel, Dagmar Schmauks, Wolfgang Hildebrandt, Diethold Tietz, Jürgen Langhans, Ulrich Werner, Klemens Weilandt Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Wiener Straße 80, A-3580 Horn Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Das gilt besonders für Leserbriefe. Die 36. Ausgabe erscheint im Sommer 2009. Redaktions- und Anzeigenschluß sind am 18. Mai 2009. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Hintergrund Seite 3 Wo bleibt die Deutsche Orthographische Konferenz? Von Rudolf Wachter Empfehlungen aus der Schweiz für eine einheitliche und sprachrichtige Rechtschreibung D as Chaos, das die sogenannte Rechtschreibreform und ihre schritt- und teilweise erfolgte Rücknahme angerichtet haben, hat uns Schweizer besonders hart getroffen. Erstens sind unsere Gepflogenheiten in den Standardwerken zu wenig berücksichtigt. Zweitens ist die deutsche Hochsprache von unserer eigentlichen Muttersprache, dem Schweizerdeutschen, bedeutend weiter entfernt als sie es für Sie in Deutschland ist. Hochdeutsch ist unsere erste Fremdsprache, und wir finden diese schon schwierig genug. Daß man sie nun auch noch in älteren und neueren Büchern und mannigfaltigen anderen Druckerzeugnissen ganz verschieden geschrieben findet und bald schon selber nicht mehr weiß, wie man schreiben soll, macht sie für uns zum noch größeren Problem. Wie Sie wissen, trifft man heute „des weiteren“ sehr oft in einem Wort geschrieben an, etwas häufiger noch kommt es in zwei Wörtern vor, und zwar mit großem oder mit kleinem „w“ geschrieben; „ohne weiteres“ aber findet man praktisch nur getrennt, jedoch ebenfalls mit großem oder kleinem „w“. – Ja, was soll denn nun gelten? Zwei Tendenzen: klein und zusammen Lassen Sie mich anhand dieses Beispiels die beiden schwersten Verfehlungen, die sich die Reform hat zuschulden kommen lassen, erläutern. Es gibt in der deutschen Rechtschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert zwei Tendenzen, die nach der Reform von 1901 konsequent umgesetzt und in der Folge vielen der kleinen Anpassungen im Laufe des 20. Jahrhunderts Pate gestanden haben: erstens die Zusammenschreibung fester Ausdrücke, die mehr und mehr als ein einziges Wort, linguistisch ausgedrückt als „univerbiert“, empfunden werden; zweitens die weitgehende Kleinschreibung in dem Sinne, daß nur noch wirkliche, echte Substantive groß geschrieben werden (und natürlich die Eigennamen und Satzanfänge, wie in allen europäischen Sprachen). Ein Ausdruck wie „des weiteren“ war nun, was den zweiten Punkt betrifft, schon seit Jahrzehnten als fester adverbieller Ausdruck in Gebrauch gewesen. „Das Weitere“ ist in der Verbindung „des weiteren“ für den Sprachbenutzer längst kein echtes Substantiv mehr, denn echte Substantive im Genitiv sind im Satzzusammenhang meist Attribute zu einem anderen Substantiv (zum Beispiel „des Knaben Wunderhorn“), sonst allenfalls noch Objekte („laß dich meins Leids erbarmen“) oder partitive Ergänzungen („der Blümlein es viel brechen wollt“). Das alles liegt hier nicht vor, sondern der feste Ausdruck hat die klare Funktion eines Adverbs, wie „zudem“, „überdies“, „abgesehen davon“ und dergleichen, und die schreibt man alle klein. Was den ersten Punkt, die Tendenz zur Zusammenschreibung, betrifft, so verbucht zwar der Duden von 1991 im vorliegenden Fall nur die Getrenntschreibung, aber in der Praxis war die Zusammenschreibung „desweiteren“ schon damals so häufig, daß sie in einer der nächsten Auflagen unweigerlich aufgenommen worden wäre, entsprechend etwa „desgleichen“. Und in diesen Status quo einer langfristigen Entwicklung hinein platzten nun die Reformer, behaupteten, man erwarte nach „des“ ein Substantiv, und forderten dessen Großschreibung und demzufolge auch die Getrenntschreibung. Damit nicht genug, nach dem gültigen Regelwerk 2006 müssen wir „des Weiteren“ und „im Weiteren“ groß schreiben, „ohne weiteres“ aber nicht, weil dieses keinen Artikel enthalte, also offenbar weniger stark nach einem Substantiv schmecke. Dem Normalverbraucher ist das Vorhandensein oder Fehlen des Artikels völlig egal; was für ihn zählt, ist die Gemeinsamkeit einer festen adverbiellen Fügung mit „weiteres“, und die will er beidemal gleich schreiben dürfen. Und er will sie klein schreiben, besonders mit Blick auf Ausdrücke wie „im voraus“, „im nachhinein“, bei denen jedem klar ist, daß keine wirklichen Substantive vorliegen, und schließlich in Analogie zu „vor allem“, „unter anderem“ und so weiter, die seit 2006 wieder klein geschrieben werden müssen, und „zum einen“, „zum anderen“ (mit Artikel!), die sogar zwischen 1996 und 2006 nicht groß geschrieben werden durften. Die Exzesse, zu denen die Großschreib- und Trennungswut der Reformer geführt hat, sind Ihnen bekannt. Alltägliche Wörter wie „jedesmal“, „Handvoll“, „sogenannt“ sollte es fortan nicht mehr geben, ausdrucksstarke und für die deutsche Sprache und ihre Wortbildung so typische zusammengesetzte Adjektive wie „aufsehen-“ und „grauenerregend“, „fleischfressend“, „notleidend“, „ratsuchend“ waren mit dem Sündenfall des Dudens 1996 (und des Wahrigs bei Bertelsmann) auf einen Schlag aus dem deutschen Wortschatz getilgt. Andererseits mußten die Reformer „angsterfüllt“, „bahnbrechend“, „freudestrahlend“, „haarsträubend“, „herzerquickend“, „zähneknirschend“ weiterschleppen, weil diese Adjektive mehrgliedrigen Ausdrücken entsprechen und nicht einfach aufgelöst werden konnten. Das leuchtete ebenfalls niemandem ein, zumal die Steigerung derart zerschnittener Adjektive wahrhaft groteske Resultate ergäbe, zum Beispiel „Dies war viel Aufsehen erregender, und am Aufsehen erregendsten war …“ Reparaturarbeiten Die riesigen Proteste bewogen die Kultusminister der beteiligten Staaten, eine Zwischenstaatliche Kommission einzusetzen, in der freilich bis auf wenige Ausnahmen dieselben Leute saßen, die die Sündenfall-Wörterbücher von 1996 vorbereitet hatten. Sie ließ volle acht Jahre tatenlos verstreichen. Dann brachte sie ein neues Regelwerk heraus, das von den Kultusministern handstreichartig in Kraft gesetzt wurde. Es stützte sich weitgehend auf die Reform und ließ nur bei den gröbsten Ungeschicklichkeiten die herkömmliche Schreibung wieder zu, aber meist ohne die Reformschreibung wieder abzuschaffen. Auch dieses Regelwerk sorgte wiederum für große Proteste. Die Kultusminister setzten daraufhin die Zwischenstaatliche Kommission ab und ersetzten sie durch den noch heute bestehenden Rat für Rechtschreibung. Darin sitzen zwar einige neue Köpfe, aber die alten sind auch noch da, was zur Folge hatte, daß im nächsten Regelwerk, das der Rat schon zwei Jahre später herausbrachte, eben dem heute gültigen Regelwerk 2006, zwar zahllose herkömmliche Schreibungen wieder gestattet, aber fast keine Re- formschreibungen zurückgenommen sind. Das neue Regelwerk enthält zudem viele Inkonsequenzen und Fehler, zum Beispiel hat man offenbar schlicht vergessen, das Wort „jedesmal“ zu rehabilitieren; und mit gewissen Themen durfte sich der Rat auf Geheiß der Kultusminister überhaupt nicht befassen, besonders mit der Groß- und Kleinschreibung. Der Punkt, an dem wir als Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) eingehakt haben, ist die riesige Zahl von Varianten, die nun plötzlich erlaubt sein sollten. Die Tatsache, daß die herkömmlichen Schreibungen nach wie vor sehr häufig sind, brachte uns auf die Idee, unseren Empfehlungen Bild: Stockxpert den Grundsatz „Bei Varianten die herkömmliche“ zugrunde zu legen. Wo die herkömmliche Schreibung wieder gestattet ist, empfehlen wir also diese, und wohlverstanden nicht etwa aus Nostalgie, sondern schlicht und einfach, weil sie nach wie vor die beliebtere und fast immer auch die bessere ist. Wir bauen bewußt auf dem amtlichen Regelwerk 2006 auf, andererseits aber ignorieren wir fast vollständig die Empfehlungen von Duden und Wahrig. Die beiden Wörterbücher weichen bekanntlich sehr oft voneinander ab und sind generell noch viel zu reformhörig. Daß die deutschen Nachrichtenagenturen den Konsens dieser beiden Wörterbücher zu ihrem ersten Kriterium gemacht haben, war ein diplomatischer Schnitt ins eigene Fleisch. Denn jetzt müssen sie zahllose gleichartige Fälle je unterschiedlich schreiben, nämlich zum Beispiel „wach liegen“, aber „stillsitzen“, „flach klopfen“, aber „schieftreten“, „krumm biegen“, aber „geraderichten“, „naß schwitzen“, aber „trockenreiben“ – oder auch „Mammografie“, aber „Choreographie“. Das ist natürlich völlig untauglich. Die Fensterputzer der Rechtschreibung Wir von der SOK haben unseren Vorschlag ganz bewußt als Empfehlung deklariert. Mit der Rechtschreibung soll unseres Erachtens niemand reich werden. Eine gute Orthographie ist unsichtbar. Sie gleicht einer sauber geputzten Fensterscheibe eines Gipfel- restaurants in den Alpen, die den ungehinderten Blick hinaus in die wunderbare sonnige und weiß verschneite Bergwelt erlaubt: Wenn ich lese, möchte ich von der Orthographie möglichst nichts merken, sondern mich ganz auf den Textinhalt konzentrieren können – egal ob ich ihn dann genieße oder mich über ihn ärgere. Die deutsche Rechtschreibung aber ist 1996 mutwillig und völlig unnötig aus dem Zustand einer praktisch einhellig als gut empfundenen, ganz unauffälligen Rechtschreibung zu einer gemacht worden, die uns dauernd anspringt, die auffällt und uns vom Inhalt ablenkt. Erste Erfolge unserer Bemühungen sind nicht ausgeblieben. Am enthusiastischsten begrüßt werden unsere Empfehlungen von den Druckmedien. So hat Mitte des vergangenen Jahres in unserem Land zuerst die Konferenz der Chefredaktoren und im Frühherbst dann auch der Verband Schweizer Presse beschlossen, die Empfehlungen der SOK zu unterstützen und deren Umsetzung ihren Redaktionen ans Herz zu legen. Auch unsere nationale Nachrichtenagentur, die Schweizerische Depeschenagentur (SDA), hält sich seit längerem an unsere Empfehlungen, ferner verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften. Besonders wichtig ist für uns, daß die Neue Zürcher Zeitung, die sich schon von Anfang an deutlich von der Reform distanziert hatte, eine Rechtschreibung pflegt, die in den meisten Punkten mit unseren Empfehlungen übereinstimmt und uns bei der Arbeit in vielem Vorbild war. Wir sind uns aber durchaus im klaren, daß der Wettstreit noch lange nicht gewonnen ist. Es ist besonders der offizielle Sektor, der uns Kopfzerbrechen macht. Die Politik und Administration wird schließlich – wenn die Verlage und seriösen Druckmedien zu einer einheitlichen Rechtschreibung zurückgekehrt sind – ganz von selbst einlenken. Wahrscheinlich werden sie das Schlußlicht bilden. Aber die mutigeren unter den Politikern werden bestimmt schon etwas früher reagieren, zum Beispiel indem sie den Lehrkräften die unsinnigen Reformschreibungen nicht weiter stur vorschreiben. Und die Schule, die hauptleidtragende Institution, dürstet nach einem pragmatischen Weg! Hier gibt es ein kluges Votum von Anton Strittmatter aus der Geschäftsleitung des Schweizer Lehrerverbands: „Die Lehrer dürften sich an der Schreibweise der seriösen Leitmedien orientieren. Die können sich weder eine Rechtschreibverluderung noch einen dünkelhaft-germanistischen Volksbelehrungsstil leisten. Sonst werden sie einfach nicht mehr gekauft.“ Ich rechne damit, daß in spätestens fünf Jahren die ungeschicktesten Reformschreibungen aus den Regelwerken und Wörterbüchern wieder herauszufallen beginnen und daß in zehn Jahren wieder eine einigermaßen einheitliche Rechtschreibung herrschen wird. So homogen, wie sie bis 1996 war, wird sie zwar noch lange nicht wieder sein. Aber wenn die beiden langfristigen Tendenzen, Zusammenschreibung und Kleinschreibung von Nicht-Substantiven, wieder in Ruhe wirken dürfen und wenn wieder zur altbewährten langfristigen Strategie der Beobachtung und der Stärkung des Beliebtesten und Besten übergegangen wird, werden wir dem Ziel ziemlich bald wieder recht nahekommen. Empfehlungen Zum Schluß möchte ich Ihnen nun noch ganz kurz die wichtigsten Empfehlungen der SOK vorstellen. Am wichtigsten ist der Grundsatz, bei Varianten die herkömmliche Schreibung zu benutzen, sofern sie das Regelwerk 2006 gestattet. Dieser Grundsatz führt schon sehr weitgehend zu einer guten Rechtschreibung, und er wird mit kleineren Abweichungen von wichtigen Medien angewandt, in der Schweiz zum Beispiel von der NZZ, in Deutschland von der FAZ, der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel. Wo dieser Grundsatz aber nicht zum Ziel führt, ist guter Rat etwas teurer, und da gibt die SOK nun detaillierte Empfehlungen: Erstens empfiehlt sie in einigen Fällen, der Regelung 2006 nicht zu folgen. Dies betrifft die willkürlichen ä-Schreibungen vom Typ „Gämse“, die falschen Herleitungen vom Typ „nummerieren“, die meisten Fälle des Bereichs Groß- und Kleinschreibung, den der Rat für Rechtschreibung, wie erwähnt, für das Regelwerk 2006 noch nicht wieder überdenken durfte, sodann die unsinnige Regelung, daß nach Ziffern in gewissen Fällen (35mal, 23-jährig) neu ein Bindestrich gesetzt werden müsse, in anderen aber nicht (04er, 20stel) oder nicht unbedingt (16fach/16-fach), und schließlich den Bereich Fremdwörter und ein paar kleinere Dinge. Zweitens gibt die SOK Empfehlungen in Fällen ab, in denen der Grundsatz deshalb zu keiner eindeutigen Entscheidung führt, weil keine oder umgekehrt mehrere herkömmliche Schreibungen nach der Regelung 2006 richtig sind. Hier finden sich zum Beispiel die Fälle „aufseiten“, „aufgrund“, „anstelle“, für die wir – der erwähnten langfristigen Tendenz gemäß – Zusammenschreibung empfehlen. Das ist eigentlich schon alles! Der Rest ist Detailinformation. Ich lade Sie nun herzlich ein, www.sok.ch zu besuchen, mitzudenken und uns fleißig Ihre Eindrücke und Kritiken zukommen zu lassen. Ferner würden wir uns, wie mein Kollege Urs Breitenstein letzten Sommer schon der Forschungsgruppe Deutsche Sprache ans Herz gelegt hat, riesig freuen, wenn die SOK bald Geschwister, vielleicht mit dem Namen DOK und ÖOK, bekommen sollte. Wir würden mit diesen liebend gern zusammenarbeiten. Und vor allem: Wir haben nun mehr als zwölf Jahre geschimpft und uns geärgert. Die Reform ist inzwischen entlarvt und hat auch längst ihren Nimbus der Fortschrittlichkeit eingebüßt. Laßt uns deshalb lieber frohgemut und pragmatisch – und ohne uns über jede Schreibung, die uns nicht paßt, aufzuregen – auf das einzig sinnvolle gemeinsame Ziel hinarbeiten: in etwa zehn Jahren wieder eine einigermaßen einheitliche und möglichst sprachrichtige deutsche Rechtschreibung zu haben! Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag, den Prof. Dr. Rudolf Wachter (Basel/ Lausanne) am 17. Januar 2009, dem 2. Jahrestag der Gründung der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft, im Spiegelsaal des Schlosses Köthen/Anhalt hielt. www.sok.ch Anstöße Seite 4 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 SALE? Nicht mit uns! Eine neue Aktion der DEUTSCHEN SPRACHWELT Von Thomas Paulwitz S chluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache!“ Unter dieser Überschrift begann die DEUTSCHE SPRACHWELT (DSW) im Januar die Anti-SALE-Aktion. In einer Aussendung zum Winterschlußverkauf forderte sie die Geschäftsleute dazu auf, eine kundenfreundliche Sprache zu verwenden und auf Werbeanglizismen wie „SALE“ zu verzichten. Für eine begleitende Protestaktion ließ die DSW 6 000 Aufkleber drucken (siehe Abbildung) und verbreitet ein Flugblatt (links unten). geben. Darum bieten wir im Rahmen der Anti-SALE-Aktion kostenlos ein vorgefertigtes Protestschreiben und einen Protestaufkleber an. Das Schreiben kann jeder aus dem Netz herunterladen oder von dieser Seite kopieren und dafür verwenden, sich in SALE-Läden zu beschweren. Den Aufkleber können Geschäftsleute, die ohne SALE auskommen, Der Sprachrettungsklub Bautzen/Oberlausitz schloß an ihren Schaufenstern anbrinsich der Anti-SALE-Aktion der DEUTSCHEN SPRACHWELT an. Der Vorsitzende Diethold Tietz (rechts) über- gen. Außerdem kann ihn jeder gab im Geschäft Schmautz der Verkäuferin Manuela für ein Bekenntnis zur deutHoyer (links) ein Dankschreiben für den Verzicht auf schen Sprache nutzen. Er zeigt Bild: Serbske Nowiny/M. Bulank ein durchgestrichenes „SALE“ englischsprachige Werbung. und enthält den Leitspruch der verschenken haben, sondern daß sie Aktion „Schluß mit dem Ausverkauf Offenbar gilt in zahllosen Geschäften den Preis für bestimmte Waren redu- der deutschen Sprache“. Den Aufkle„Alles muß raus – auch die deutsche ziert haben. Warum schreiben sie das ber können Sie, solange der Vorrat reicht, kostenlos unter bestellung@ Sprache“. Am auffälligsten ist dabei dann nicht hin? Gute Frage … deutsche-sprachwelt.de oder über den die Überflutung der Innenstädte mit dem Wort „SALE“, nicht nur zur Zeit CDU-Bundesvorstandsmitglied Bestellschein auf Seite 5 anfordern. des Winter- oder Sommerschluß- Erika Steinbach von der Initiative verkaufs. Das ganze Jahr heißt es: „Sprachlicher Verbraucherschutz“ Ziel der Aktion ist es nicht nur, die SALE, SALE, SALE. Auf deutsch hatte bereits in DSW 24 auf Seite 4 Innenstädte von der SALE-Seuche zu bedeutet dieses Wort nichts ande- geschrieben: „Wer erlebt hat, wie ein befreien, sondern auch ein Umdenken res als „Verkauf“, wenn es aus dem betagtes Frauchen ratlos vor einem in der Geschäftswelt zu bewirken. Es Englischen kommt. Es ist aber auch Kaufhaus steht, auf dessen Schaufen- muß wieder selbstverständlich werden, das italienische Wort für „Salz“ und stern in großen Buchstaben ‚SALE‘ die Kunden in ihrer Sprache anzuspredas französische für „schmuddelig“. zu lesen ist, und das leise irritierte chen. Ausdrücke wie „Kaffee to go“ Wird in den SALE-Läden Salz ange- Murmeln ‚Ist Sale nicht ein Fluß?‘ ziehen Spott auf sich. Wann verstehen boten? Nein. Bieten sie schmuddeli- mitbekommt, dem wird schlagartig die Werbestrategen das endlich? ge Ware feil? Auch nicht. Verkaufen klar: Hier stimmt etwas nicht mehr sie etwas? Ja: welch ein Wunder! Mit im Lande.“ Der Sprachrettungsklub Bautzen/ dem Hinweis auf „Verkauf“ (engl. Oberlausitz (SRK) unter der Füh„sale“) wollen die Ladenbesitzer je- Wir sind der Meinung: Auf die deut- rung von Diethold Tietz griff die doch nicht betonen, daß sie nichts zu sche Sprache darf es keinen Rabatt Anti-SALE-Aktion der DEUT- 60% 30% 70% SALE 50% 20% 40% [sale (italienisch): „Salz“] – [sale (französisch): „schmuddelig“] Liebe Verkäuferin, lieber Verkäufer! Wäre es nicht schön, wenn alle Bürger die Beschriftungen im eigenen Land verstehen könnten? Leider machen Sie es mir schwer, in Ihrem Geschäft einzukaufen. Überall bei Ihnen lese ich das unverständliche und unnütze Wort „SALE“. Warum bemühen Sie sich denn nicht, die Kunden in ihrer Sprache anzusprechen? Wir alle müssen darauf achten, daß unsere Kinder ihre Muttersprache richtig und unverfälscht lernen. Geben Sie 100 Prozent für unsere Sprache! Unterstützen auch Sie die Aktion „Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache“. Die Kunden werden es Ihnen danken. Leiten Sie diese Botschaft bitte an den Geschäftsführer weiter. Danke! Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache! Diese Aktion wurde von der Zeitschrift „Deutsche Sprachwelt“ ausgerufen. Chefredakteur: Thomas Paulwitz (V.i.S.d.P.), Deutsche Sprachwelt, Postfach 1449, D-91004 Erlangen. www.deutsche-sprachwelt.de – [email protected] Bestellen Sie den Aufkleber auf Seite 5 oder über eine Nachricht an [email protected]! SCHEN SPRACHWELT sogleich auf. Der SRK besuchte 27 Geschäfte in Bautzen. Von diesen warben lediglich 13 auf deutsch. Diese erhielten ein Dankschreiben der Sprachretter. Die „schwarzen Schafe“ erhielten das Anti-SALE-Flugblatt der DSW. Dabei stellte sich heraus, daß die Verkäufer mit den Sprachrettern oft einer Meinung waren. Sie sagten in der Regel zu, das Protestschreiben an die Geschäftsführung weiterzureichen, und betonten, daß man es vernünftiger fände, wenn „die dort oben“ verständlich würben. Vorbildlich verhielt sich auch der Sprachschützer Wolfgang Strempel, der als gebürtiger Köthener auch den Anstoß für die Wiedergründung der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft gegeben hatte: Er reimte ein Gedicht (siehe Kasten), mit dessen Hilfe er in Bremerhavener Geschäf- ten protestierte, die SALE-Anzeigen geschaltet hatten. Binnen zehn Tagen verzichteten zwei der Geschäfte in ihren Anzeigen auf den Zusatz „SALE“. Statt dessen hieß es wieder „Winterschlußverkauf“. Die Saale ist ein deutscher Fluß Bekannt im ganzen Land. Die SALE mit nur einem „a“ Ist doch recht hirnverbrannt. Die Santa Sale – was ist das? Und Summer Sale auch? Hört mit dem Blödsinn endlich auf, Und dann verstehen wir Euch auch. Wolfgang Strempel, Bremerhaven Verwenden Sie die Vorlage links unten auf dieser Seite oder laden Sie das SALE-Protestschreiben herunter: www.deutsche-sprachwelt.de/ archiv/SALE-Protestschreiben.pdf Die DSW in der Presse Die „Nürnberger Nachrichten“ schrieben am 5. Februar 2009: „Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache“ omentan fordern die Denglisch-Gegner selbstredend „Schluß mit M dem Ausverkauf der deutschen Sprache“ durch die allgegenwärtigen „Sale“-Werbetafeln in den Kaufhäusern. Eine kundenfreundliche Sprache würde einfach von Winterschlußverkauf reden und auf Werbe-Anglizismen verzichten, meint die Erlanger Sprachzeitung „Deutsche Sprachwelt“. Auf die deutsche Sprache dürfe es keinen Rabatt geben; offenbar gelte in vielen Geschäften: „Alles muß raus – auch die deutsche Sprache.“ Die Geschäftswelt müsse umdenken. Deshalb bietet die „Sprachwelt“ Protestschreiben und -aufkleber für Mitstreiter an. Gesucht: Die besten deutschen Werbesprüche U m die deutsche Sprache in der Werbung zu fördern, unterstützt die DEUTSCHE SPRACHWELT gemeinsam mit „Centaur“, dem Kundenmagazin der Drogeriekette Rossmann, den Wettbewerb „Die besten deutschsprachigen Werbesprüche“. Die Aktion Deutsche Sprache (ADS) sucht die besten deutschen Werbesprüche in Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungsgewerbe, die vom 1. April bis zum 31. Juli 2009 verbreitet worden sind. Die ADS möchte damit nachweisen, daß auch in deutscher Sprache ideenreich, treffsicher und witzig einprägsam und werbewirksam um Kunden geworben werden kann. Der Wettbewerb findet in vier Kategorien statt: Industriewerbung (zum Beispiel Philips, Bosch, DaimlerBenz), Handelswerbung (zum Beispiel EDEKA, REWE, Mediamärkte), Werbung im Handwerk (zum Beispiel Installateure, Bäckereien, Dachdeckereien) und Werbung für Dienstleistungen (zum Beispiel Banken, Versicherungen, Telekom). Bewertet werden Ideenreichtum, Treffsicherheit und Humor. Jeder Teilnehmer kann je Kategorie bis zu drei Werbesprüche einsenden. Anzeigen und Prospekte sind im Original, Werbesprüche auf Plakaten und Fahrzeugen sind fotografisch (analog im Format 13 x 18 cm oder digital im jpg-Format in der Auflösung von 300 dpi) einzureichen. Jedes Werbemittel oder Foto ist mit den folgenden Angaben zu versehen: Vor- und Nachname, Anschrift und Telefonnummer des Einsenders. Ferner ist anzugeben, wann und wo der Werbespruch veröffentlicht worden ist. Das Preisgericht besteht aus der Aktion Deutsche Sprache, dem Sprachrettungsklub Bautzen, der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt, dem Kundenmagazin „Centaur“ der Dirk Rossmann GmbH und der DEUTSCHEN SPRACHWELT (DSW). Die Namen der Preisträger werden sowohl im Kundenmagazin „Centaur“ als auch in der DSW veröffentlicht. In allen vier Kategorien ist ein 1., ein 2. und ein 3. Sachpreis ausgesetzt. Sie werden am 28. August dieses Jahres übergeben oder versandt. Einsendungen an: Aktion Deutsche Sprache e. V., Stichwort: Werbesprüche, Lothringer Straße 33 B, 30559 Hannover oder [email protected]. Einsendeschluß ist der 31. Juli 2009. Leserdienst Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Farbe bekennen! 32 Sommer 2008 Faltblatt Lieferbare Ausgaben 35 Frühling 2009 34 Winter 2008/09 U nser neues Faltblatt „Rettet die deutsche Sprache“ findet weiterhin reißenden Absatz. 9 000 Stück sind bereits gezielt verteilt worden: die meisten durch unsere Leser. Bestellen und verbreiten auch Sie das Faltblatt und klären Sie über die Sprachpflege und die DEUTSCHE SPRACHWELT auf! Den Bestellschein finden Sie auf dieser Seite. Unsere Arbeit ist abhängig von Ihrer Spende! Verein für Sprachpflege e.V. Bundesrepublik Deutschland Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Bankleitzahl 763 500 00 Kontonummer 400 1957 BIC: BYLADEM1ERH IBAN: DE63763500000004001957 Republik Österreich Volksbank Salzburg Bankleitzahl 45010 Kontonummer 000 150 623 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Kein Europa ohne Deutsch / Wolfgang Reinhart: Stärkt Deutsch in Europa! / Karin Pfeiffer: Wie Kinder heute das Schreiben lernen müssen / Thomas Paulwitz: Zum gegenwärtigen Stand der Rechtschreibreform / Hermann H. Dieter: Was Sprachbilder vermögen (Teil 2) / Gespräch mit Richard G. Kerschhofer, dem Verfasser eines angeblichen Tucholsky-Gedichts / Buchbesprechungen / Beiträge der Schülerinnen Diana V. Behr, Undine Schenke und Anna-Maria Weigelt aus dem Schreibwettbewerb „Schöne deutsche Sprache“ 2008 / Sprachsünder-Ecke: Deutsche Welle / Thomas Paulwitz: Kommt Deutsch ins Grundgesetz? / Ausstellungen zur deutschen Sprache / Angelika Davey: Über den Abbau des Fremdsprachenunterrichts in England / Klemens Weilandt: Ein genialer Ski / Altweibersommer frauenfeindlich? / Wolfgang Hildebrandt: Swinging Christmas auf der Wartburg (Anglizismenmuffel) 33 Herbst 2008 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Eine Leitkultur zerfällt / Josef Kraus: Wider die Selbstvergessenheit einer Sprachnation (Rede zur deutschen Sprache) / Hermann H. Dieter: Was Sprachbilder vermögen (Teil 1) / Ferdinand Urbanek: Sportler-Deutsch: Das gesprochene Wort (Teil 2) / Thomas Paulwitz: Sinkt Sicks Stern? / Wolfgang Hildebrandt: Einspruch, Herr Sick! / Heinz Böhme: Happy oder Aua? / Albrecht Balzer: Rettet die Fälle, bevor sie uns davonschwimmen / Hartmut Koschyk: Deutsch gehört ins Grundgesetz! / Georg Ochsner: Wird es bald Netzanschriften mit „ß“ geben? / Sprachsünder-Ecke: „Hall of Fame des deutschen Sports“ / Astrid Vockert: Freude an der Muttersprache wecken / Dieter Althaus: Verteidigen wir die deutsche Sprache! / Petra Wust: Bitterfeld-Wolfen kämpft gegen englische Straßennamen / Klemens Weilandt: Der Nachruf – eine üble Nachrede? / HeinzPeter Haustein: Deutsch nicht in die Mottenkiste / Wolfgang Hildebrandt: Sprachbankrott (Anglizismenmuffel) Unter anderem: Thomas Paulwitz: Ein Haus für die deutsche Sprache / Jürgen Trabant: Globalesisch ist ein Sprachenkiller / Rominte van Thiel: Die große Büchervernichtung / Dagmar Rosenstock: Zur Geschichte des Wortes „deutsch“ (Teil 3) / Hartmut Heuermann: Zehn Thesen zu Sprachkultur und Sprachverfall / Ferdinand Urbanek: Sportler-Deutsch: Das geschriebene Wort (Teil 1) / Thomas Paulwitz: Gebt der deutschen Sprache eine Zukunft! Stellungnahmen im „Lesesaal“ der F.A.Z. / Oliver Höher bespricht Jutta Limbachs „Hat Deutsch eine Zukunft?“ / Rominte van Thiel bespricht Eike Christian Hirschs „Deutsch kommt gut“ / Heinz Böhme: Immer noch mit der gleichen Frau verheiratet? / Hellmut Seiler: Sprachschmuddelei / Sprachsünder BASF antwortet auf Kritik / Sprachsünder-Ecke: Peterstaler Mineralquellen („Black forest“) / Diethold Tietz: Zehn Jahre Sprachrettungsklub Bautzen/ Oberlausitz e. V. / Urkundenübergabe an Initiative „Sprachlicher Verbraucherschutz“ / Wolfgang Hildebrandt: Waterboarding (Anglizismenmuffel) 31 Frühling 2008 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Ammenmärchen auf englisch – Irrwege der Bildungspolitik: Frühenglisch und Immersionsunterricht / Wolfgang Hildebrandt: Ein boshaftes Blendwerk – das Buch „Ausgewanderte Wörter“ / Thomas Paulwitz: Nichts als heiße Luft: Fünf Jahre Deutscher Sprachrat / Wörter mit Migränehintergrund? / Mit Rechnerlinguistik Muttersprachen retten – Gespräch mit Klaus Däßler / Dagmar Rosenstock: Zur Geschichte des Wortes „deutsch“ (Teil 2) / Diethold Tietz: Im Lustgarten der Wortspiele – Gespräch mit Reinhard Risch / Thomas Paulwitz: Fremde Melodien für Millionen: Nord-rhein-Westfalens Bürger sollen sich mit Englisch identifizieren / Rominte van Thiel: Langenscheidts „Übelsetzungen“ / Gespräch mit Reiner Kunze über eine neugegründete Stiftung / Sprachwahrer des Jahres 2007 / Sprachsünder-Ecke: BASF / Niedersachsens Politiker wollen Anglizismenflut bekämpfen / NFG feiert einjähriges Bestehen / Klemens Weilandt: „Sorge um’s Image der FAZ“ / Gegenhalten statt Einknicken: Kommentar von Thomas Paulwitz zur FAZ / Wolfgang Hildebrandt: Loveletters für Zumwinkel (Anglizismenmuffel) Lieferbar sind auch noch alle früheren Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse sämtlicher Ausgaben finden Sie unter www.deutsche-sprachwelt.de/ archiv/papier/index.shtml. Seite 5 Geben Sie der schweigenden Mehrheit eine Stimme Z ur Sprache gehört auch das Schweigen. In der Stille können die besten Gedanken reifen. Doch manchmal ist Schweigen nicht Gold, sondern Blech, nämlich dann, wenn die Mehrheit ihr Stimmrecht an eine Minderheit verliert. Im Grunde vertreten die Sprachfreunde ein Anliegen der Mehrheit – denn wer sollte kein Interesse an verständlicher Sprache haben? Wenn die Mehrheit jedoch schweigt, kann sie von einer Minderheit beherrscht werden. Nutzen Sie Ihre Stimme. Sie wissen, daß Sie nicht allein sind. Das können Sie tun: n Versammlungen: Schweigen Sie nicht, wenn ein paar vom Zeitgeist besoffene Mitbürger eine Versammlung auf Linie in Richtung Verdrängung und Verschandelung unserer Sprache bringen wollen. Denken Sie daran, daß die schweigende Mehrheit hinter Ihnen steht. Sie wird aufhören zu schweigen, wenn Sie sie mit Ihrem Mut anstecken. Und unterstützen Sie Mitbürger, die diesen Mut bereits aufgebracht haben, nicht nur durch Schulterklopfen. n Faltblätter: Führen Sie unser Faltblatt „Rettet die deutsche Sprache“ in Ihrer Jacken- oder Handtasche mit. Bei passender Gelegenheit können Sie es herausholen, um Ihre Haltung zu verstärken und zu verdeutlichen. n Aufkleber: Kleben Sie den Sprachverderbern eine und bekennen Sie Farbe mit unserem neuen Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache!“ n Briefe: Schreiben Sie an die Verantwortlichen; seien es Leserbriefe oder Briefe an Politiker, Geschäftsführer und so weiter. Steter Tropfen höhlt den Stein! n Ansprache: Melden Sie sich zu Wort. Sprechen Sie aus, was Sie stört. Nur so spüren die Verantwortlichen, daß es Widerstand gibt. Betonen Sie den Wert einer verständlichen Sprache. Sprechen Sie die Lehrer Ihrer Kinder an, Ihren Wahlkreisabgeordneten, Ihren Bürgermeister, den Redakteur Ihrer Heimatzeitung, den Verkäufer in dem Geschäft, in dem Sie immer einkaufen. Wenn Ihr Nachbar oder Arbeitskollege ohne nachzudenken dem Zeitgeist das Wort redet, kann Ihr freundlich vorgetragener Einspruch zu einer durchdachteren Sichtweise beitragen. Durchbrechen Sie mit uns die Schweigespirale. Ihre DEUTSCHE SPRACHWELT [email protected] Die zehn sprachpolitischen Forderungen 1. Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein. 2. Die Unterrichtssprache in Schulen und Hochschulen ist Deutsch. Deutsch muß nationale Wissenschaftssprache sein. 3. Die deutsche Rechtschreibung muß einheitlich geregelt sein. 4. Deutsch muß in der Europäischen Union Arbeits- und Veröffentlichungssprache sein. 5. Die deutschen Mundarten und die deutsche Schrift sind besonders zu schützen. 6. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Voraussetzung für Einbürgerung und langfristigen Aufenthalt. 7. Bildung und Familie müssen gefördert werden, um die deutsche Sprache zu stärken. 8. Die deutsche Sprache muß auch im Ausland gefördert werden. 9. Die deutsche Sprache ist vor politischem Mißbrauch zu schützen. 10. Ein neuer Deutscher Sprachrat betreut die Erfüllung dieser Forderungen. Mehr auf unserer Netzseite www.deutsche-sprachwelt.de/forderungen.shtml Bitte deutlich schreiben! Unterstützen Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT. Sie haben drei Möglichkeiten: 1. Die Spende 2. Die Bestellung 3. Die Empfehlung Bitte nutzen Sie den beigelegten Zahlschein für Ihre Spende. Mit einer Einzugsermächtigung ersparen Sie sich den Gang zur Bank. Über die Einrichtung von Daueraufträgen freuen wir uns sehr. Wir bitten um eine Spende zur Deckung unserer Kosten auf das Konto des Vereins für Sprachpflege e.V. Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an: Einzugsermächtigung Zur Erhaltung der DEUTSCHEN SPRACHWELT möchte ich den Verein für Sprachpflege e. V. regelmäßig unterstützen. Darum ermächtige ich diesen Verein, einmalig - vierteljährlich - halbjährlich - jährlich [Nichtzutreffendes bitte durchstreichen] einen Betrag von EURO von meinem Konto abzubuchen. Diese Einzugsermächtigung kann ich jederzeit widerrufen. Bank Bankleitzahl Kontonummer Datum und Unterschrift Meine Anschrift regelmäßiger Bezug Bitte senden Sie mir regelmäßig kostenlos und unverbindlich die DEUTSCHE SPRACHWELT. Bei Gefallen werde ich sie mit einer Spende unterstützen. Ich verpflichte mich aber zu nichts. Mehrfachbezug Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken Sie mir von jeder neuen Ausgabe ______ Stück. Nachbestellung Bitte liefern Sie mir: ______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______ (kostenlos) NEU! ______ Faltblätter „Rettet die deutsche Sprache!“ (kostenlos) ______ Stück der Broschüre „Gebt der deutschen Sprache eine Zukunft! Antworten im ‚Lesesaal‘ der F.A.Z.“ von Thomas Paulwitz. Für das Büchlein habe ich 5 Euro als Spende überwiesen. NEU! ______ Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf der deutschen Sprache!“ (kostenlos!; 9,5 x 14,5 cm; farbig; witterungsbeständig) Schicken Sie den ausgefüllten Bestellschein bitte an: DEUTSCHE SPRACHWELT, Postfach 1449, D-91004 Erlangen 1 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 2 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 3 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 4 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 5 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 6 Name, Vorname Geburtsdatum Straße Postleitzahl und Ort Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort Wirtschaft Seite 6 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Siemens spricht nur von „Compliance“ Vortrag vor der Hauptversammlung der Siemens AG am 27. Januar 2009 Erfahrungsbericht von Geert Teunis D fällt auf, daß sowohl Cromme und Löscher als auch die übrigen Redner das Wort „Compliance“ ständig benutzen (auch in Verbindungen wie „Compliance Monitor“, „Compliance Headman“, „Chief Compliance Officer“, „Compliance-Problem“, „ComplianceProgramm“). ie Besucher strömen ab 8 Uhr in die Olympiahalle München. Ich bin um 9 Uhr am Wortmeldetisch, fülle meinen Wortmeldezettel aus und trage das Thema „Denglisch bei Siemens“ ein. Es gibt keine Information darüber, ob ich überhaupt zum Zuge komme oder wann ich aufgerufen werde. Der Ablauf und damit auch die Reihenfolge werden allein vom Versammlungsleiter, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates Gerhard Cromme, festgelegt. Die Versammlung beginnt um 10 Uhr. 9.500 Besucher in der Olympiahalle hören die Berichte des Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Gerhard Cromme, und des Vorsitzenden des Vorstands, Peter Löscher. Beide Sprecher sagen, daß Siemens trotz der „Compliance“Verstöße in Verbindung mit der Korruptionsaffäre der vergangenen Jahre in der momentanen Wirtschaftskrise bestens auf das kommende Geschäftsjahr vorbereitet ist. Löscher legt gute Zahlen vor. Im „Sector Healthcare“ ist Siemens weltweit an die Spitze gerückt. Es fällt auf, daß Bezeichnungen für Vorstandsbereiche durchweg englisch sind, zum Beispiel „Sector Industry“, früher Bereich Industrie, „Sector Siemens-Hauptversammlung 2009 Healthcare“, früher Bereich Medizin, „Corporate Finance and Controlling“, früher Finanzen, „Supply Chain Management“, früher Einkauf. Um 12 Uhr wird die Generaldebatte eröffnet. Für Redner stehen zwei Sprechpulte zur Verfügung. Die in den Hinweisen für Redner angegebene Re- Bild: Siemens-Pressebild dezeit von maximal 15 Minuten wird aufgrund der insgesamt 42 Wortmeldungen auf zehn Minuten festgelegt. Damit liege ich mit meinem Manuskript im Zeitrahmen. Zuerst sprechen – wie auf Hauptversammlungen üblich – die Vertreter der Banken und Aktionärsvereinigungen. Die SiemensFührung wird überwiegend gelobt. Es „Sie sind dabei, die deutsche Sprache abzuschaffen!“ Geert Teunis auf der Siemens-Hauptversammlung am 27. Januar 2009 in München H err Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin mit dem Zug angereist und mußte feststellen, daß man bei der Deutschen Bahn fundierte Englischkenntnisse benötigt: Ticket, Service Point, McClean, Touchpoint, Touch and Travel, Surf and Rail – all das muß man voll drauf haben. Aber auch sonst geht es im Alltag nicht mehr ohne Sale, Back-Factory, Flatrate, Facility Manager, Flyer, Entertainment. Ohne skypen, simsen, voipen oder downloaden ist man nicht mehr up to date. Überall ist Denglisch, dieses Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch, auf dem Vormarsch. Und bei Siemens? Ich hatte im Zug Gelegenheit, den wiederum ausgezeichnet gestalteten Geschäftsbericht 2008 zu studieren. Es wimmelt von Begriffen wie Industry, Energy, Healthcare, Cross-Sector Businesses, Equity Investments, Performance, People Excellence, Corporate Responsibility. Supply Chain Management, Capital Market Days, Non-FinancialInhalte, Energiespar-Contractings, IT-Outsourcing-Anbieter und so weiter und so weiter. Selbst wenn man englische Grundkenntnisse hat oder meint, der englischen Sprache einigermaßen mächtig zu sein, versteht man meist nur Bahnhof. Es ist weder begründbar noch nachvollziehbar, daß Sie, Herr Löscher, uns in der deutschen Fassung des Geschäftsberichts solchen Mischmasch aus Deutsch und Englisch zumuten. Im internationalen Geschäftsverkehr ist die englische Sprache zweifellos ein Muß für Siemens, aber deutsche Aktionäre und Kunden wollen in ihrer Muttersprache angesprochen werden, und diese Sprache ist in Deutschland nun mal Deutsch und nicht ein deutschenglisches Kauderwelsch. Die Problematik bekommt einen ernsteren wirtschaftlichen Stellenwert, wenn potentielle Kunden SiemensProdukte bestellen wollen. Dies möchte ich an einem Beispiel aus dem Hausgerätebereich erläutern. „Die Zukunft zieht ein“ heißt es auf den Internetseiten der Siemens-Hausgeräte. So weit so gut. Aber „Big is beautiful“ heißt es dann für die Siemens-Küche bei den Siemens-Produktlinien Extra-Klasse, siemens-modul-line, myStart und aCool. Die a-Cool-Kältegeräte liefern kaltes Trinkwasser und crushed ice mit noFrost-Technologie, Multi-AirflowSystem und einem AirFresh-Filter. Die neuen Waschvollautomaten verfügen über einen aquaStop-Schlauch und sind mit touchControl-Tasten ausgestattet. Es gibt Kochherde mit activeClean, touchSlider und powerInduktion für eine coole Hitze. Geradezu lächerlich wird es, wenn Siemens als deutsches Unternehmen in Frankreich französisch, in Spanien spanisch, – aber in Deutschland englisch wirbt. So lesen beispielsweise Passagiere auf dem Flughafen Madrid den Spruch „Siemens – la fuerza de la innovacion“, während dieselbe Firma auf dem Frankfurter Flughafen mit „Siemens – the force of innovation“ wirbt. Herr Löscher, Sie und Ihre Führungskräfte sind auf dem besten Weg, die deutsche Sprache abzuschaffen und einen Zustand heraufzubeschwören, in dem die Deutschen weder richtiges Deutsch noch korrektes Englisch sprechen. [...] Warum erkennen Sie nicht, was Ihr Volkswagen-Kollege Professor Winterkorn erkannt hat, als er mir sagte, daß „die zu intensive Verwendung englischer Begriffe in der deutschen Sprache einen Kulturverlust bedeutet“? Die Siemens-Werte Verantwortungsvoll, Exzellent und Innovativ bilden die Basis des Unternehmensprogramms „Fit 4 2010“. Das sind hohe Ansprüche. Diese gelten bisher aber nicht für eine verantwortungsvolle, exzellente und innovative Kommunikation mit der Kundschaft. Deshalb muß sich bei Siemens in puncto Denglisch möglichst bald etwas ändern. Herr Löscher, Sie, Ihre Fachleute und wir Aktionäre sollten das Thema Denglisch auf die Tagesordnung setzen. Mehr als drei Redner beanstanden das Englische bei Siemens („Dafür gibt es doch sicher auch ein deutsches Wort“, „Schon wieder was Englisches“, „Viele Besucher hier haben viel Geld, können aber kein Englisch“). Um 15 Uhr wird die Redezeit auf fünf Minuten verkürzt, da noch 34 Wortmeldungen vorliegen. Ich kürze daraufhin meinen Text um die Hälfte! – Um 17 Uhr werde ich im vierten Rede/Antwort-Block als Redner aufgerufen. Löscher hört aufmerksam zu und sogar einmal zustimmend, obwohl ich ihn persönlich angreife: „Sie und Ihre Führungskräfte sind auf dem besten Weg, die deutsche Sprache abzuschaffen.“ Der nachfolgende Redner hat aufgrund meiner Ausführungen von seinen drei Punkten den Punkt Denglisch nicht vorgetragen. Er macht lediglich noch den Vorschlag, „Compliance“ möge durch „Unternehmenskultur“ ersetzt werden. Herr Löscher antwortet um 19 Uhr auf meinen Redebeitrag. Er zeigt sich aufgeschlossen und sagt: „Ich finde es sehr ehrenwert, daß Sie als Verfechter der deutschen Sprache das Thema hier aufgreifen. Das ist eine Aufgabe der Kommunikationsabteilung.“ Daraufhin gibt es von den Aktionären Beifall, was sonst nicht üblich ist. Die Presse berichtete ausgiebig über die Hauptversammlung. Dabei fiel auf, daß zum Beispiel Financial Times Deutschland, Süddeutsche Zeitung und Berliner Zeitung (BZ) die in der Hauptversammlung verwendeten englischen Wörter – abgesehen von Zitaten – nicht wiedergaben, sondern übersetzten. Geert Teunis nutzt die Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, um für die deutsche Sprache einzutreten. Vergleiche DSW 26, Seite 3 („VW gesteht Kulturverlust ein“) und Seite 4 („Vom Kundendienst zum After Sales Service. Geert Teunis auf der Hauptversammlung der Volkswagen-AG“). Die DSW in der Presse Zum Internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar 2009 verbreitete die DEUTSCHE SPRACHWELT die folgende Pressemitteilung:: Tag der Muttersprache: für verständliche Finanzsprache rlangen, 20. Februar 2009 – Wird die „Hypo Real Estate“ zur „Pfandbriefbank“? Nach Auffassung von Sprachfreunden bietet der morgige Internationale Tag der Muttersprache den Anlaß, sich im Finanzwesen auf eine verständlichere Sprache ohne entbehrliche Fremdwörter zu besinnen. Am Mittwochabend (18. Februar) hat der Sprachausschuß der 1644 gegründeten Nürnberger Sprach- und Literaturgesellschaft „Pegnesischer Blumenorden“ über Fremdwortersetzungen beraten. Dabei schlug er unter anderem „Pfandbriefbank“ für die zu rettende „Hypo Real Estate“ und für „Bad Bank“ die deutsche Entsprechung „Auffangbank“ vor. Das berichtete heute der neue Leiter des Sprachausschusses, der Chefredakteur der DEUTSCHEN SPRACHWELT, Thomas Paulwitz. Unternehmen, Politiker und Medien ständen in der Verantwortung, für Verständlichkeit und Durchsichtigkeit zu sorgen. So schrieb „Spiegel online“ mißverständlich von „Bad-Banks, die Giftassets übernehmen sollen“. Auf englisch bedeutet „gift“ Geschenk, gemeint waren jedoch „Giftanleihen“. Deutsche Zeitschriften mit englischen Titeln wie „Young“ und „Tomorrow“ seien offenbar veraltet und von gestern und werden eingestellt, ironischerweise im Zuge eines „Change Programmes“ von Burda mit dem Titel „Concentrate, Integrate, Innovate“. Paulwitz rief dazu auf, auch die deutsche Sprache in den Mittelpunkt eines Erneuerungsprozesses zu stellen. Eine im Januar veröffentlichte Untersuchung von „Marketagent“ fand heraus, daß die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Banken oft unverständlich sind. Fachleute schätzen den wirtschaftlichen Schaden, den unverständliche Texte verursachen, auf mindestens eine Milliarde Euro jährlich. Immer mehr Unternehmen entdecken daher wieder die Vorzüge einer verständlichen deutschen Sprache, gerade Banken und Versicherungen. Besonders vorbildlich hätten sich in jüngster Zeit die „ING-DiBa Austria“ und die NÜRNBERGER Versicherung hervorgetan, so Paulwitz. Die ING-DiBa hat ihre AGB nach den Kriterien der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit vollständig umgeschrieben. Die NÜRNBERGER stellt Mitarbeiter an, die „Versicherungsdeutsch in eine allgemein verständliche und überzeugende Sprache“ übersetzen. Die DEUTSCHE SPRACHWELT ruft Banken und Versicherungen dazu auf, diesen Beispielen zu folgen. Pegnesischer Blumenorden: www.blumenorden.de Anzeigen TTIXMX GVMIR# 7 I R w \ EYJ *VEOXYVOSQQXER Delbanço√Frakturscriften !GKGNQMq0NXE@B &DQMQTE &DQMAHKC '2Q[FGNDCPkQHTCMVWTUETKHVGP"VQPNKPGFG 9GNVPGYYYHTCMVWTkQO Delbanço√Frakturxri#en "*#,%& '% DS +% %" PC "*#, # %&'%( %", #) %" " % ( 0QNEDRRHNMDKKD&Q@JSTQWQHDM EkQ2%TMC/#%FHASDADH %OOH7FULHQDXI%& " & "%" $%# %! ! *RUGHUQ7LH PHLQ7FULPX\HUKH NR\HQIUHLDQ Wollen auch Sie erfolgreich werben? Dann veröffentlichen Sie Ihre Anzeige in der DEUTSCHEN SPRACHWELT! Ihr Ansprechpartner: Hans-Paul Marten Fernruf 00 49(0) 22 71-6 66 64, Ferndruck 6 66 63 E-Post: werbeanfragen @deutsche-sprachwelt.de Lateinische Regeln Das große Einmaleins der Sprache in 2 Bänden überarbeitete Auflage! Band 1 Ein Leitfaden durch die lateinischen Regeln wurde komplett überarbeitet (34 Seiten, 6,50 Euro, ISBN 3-00-008859-8) Das Beherrschen der lateinischen Sprache und ihrer Denkweise kann unbezahlbare Vorteile bringen. Deshalb hat Gerhard Bach ein Nachhilfegerüst geschrieben, das auf eigenen Erfahrungen beruht. Zu beziehen sind beide Bände über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT oder direkt beim Verfasser: Gerhard Bach M.A. Wingerstraße 1 1/2 D-97422 Schweinfurt Telefon 0 97 21/2 69 27 neu! Band 2 Ein Leitfaden durch die lateinische Grammatik ist neu erschienen (ca. 96 Seiten, 10,- Euro, ISBN 3-00-017080-4) Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Einzigartiges Eurofon In Berlin ist der Prototyp eines persönlichen digitalen Sprachübersetzers zu sehen S eit über fünfzig Jahren versucht die Informatik, den jahrhundertealten Traum eines automatischen Sprachübersetzers zur Verständigung von Menschen verschiedener Sprache zu verwirklichen. Bislang wurden trotz großen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interesses keine befriedigenden Ergebnisse erzielt. Zwar gibt es gut funktionierende Übersetzungsprogramme für umfangreiche Fachtexte mit spezialisiertem, genau festgelegtem Vokabular, deren Ergebnisse sich kaum von handübersetzten Texten unterscheiden. Das spontane Gespräch jedoch bereitet schier unüberwindliche Hindernisse. Deshalb sind beim Gespräch zweier Staats- oder Wirtschaftsführer im allgemeinen persönliche Dolmetscher dabei, die die Gedanken und Absichten ihrer Kunden in beiden Sprachen genau artikulieren können. Der Hauptgrund bisheriger Mißerfolge der Rechnerlinguistik ist deren (falsche) Annahme, daß sich alle Sprecher auf einen gemeinsamen, festen Begriffskontext beziehen, wie man ihn bei Wikipedia, in Lexika oder gar in der Bibel vorfindet, die in Hunderte von Muttersprachen übersetzt wurde. Das modernste, militärisch geförderte, US-amerikanische Übersetzerprojekt „TransTac“ beweist erneut, daß man von diesem Prinzip nicht abgehen will, ebenso das soeben beendete EU-Projekt „TC-Star“. Aus den Erfordernissen wachsender Weltkommunikation heraus favorisiert man nun die einfache WeltVerständigungssprache Global-Englisch, die immer mehr Menschen in Industrie- und Entwicklungsländern beherrschen und erlernen sollen. Ein Problem dieses einheitlichen Ansatzes ist die massive Beeinträchtigung der individuellen gedanklichen Vielfalt – der positiven Triebkraft des kulturellen Fortschritts dieser Welt. Besitzt die globalisierte Gesellschaft die Kraft, in echter Mehrsprachigkeit ihre kulturelle Vielfalt zu erhalten, aber gleichzeitig frei und zwanglos globale Kommunikation zu pflegen? Eurofon beschreitet als derzeit weltweit offenbar einziges Projekt einen personenbezogenen Ansatz, für den die einheitliche, in Lexika festgeschriebene Bedeutung aktuell verwendeter Begriffe nur noch eine Grundlage ist – dies ist ein typisches Merkmal eines echten Dialogs. Diesen Ansatz nennt man polykontextural. Eine wichtige Voraussetzung hierbei ist, daß jede Person ihren eigenen kleinen Sprachpartner besitzt. Der Sprecher spricht über eine Mikrofongarnitur in sein Eurofon. Dieses überträgt seine Lautfolge – derzeit – mittels eines akustischen Erkenners in einen sogenannten Fließtext. Dieser Text wird auf der Basis eines statisch-semantischen und eines semiotischen Lexikons (das ist ein dynamisches Lexikon der persönlichen, wandelbaren Begriffe des Sprechers) in ein semiotisches Netz umgewandelt, einen flüchtigen Graphen der aktuellen Äußerung des Sprechers, der mittels sogenannter Basiskategorien aufgespannt wird. Basiskategorien sind nichtsprachliche geistige Gebilde, die allen Menschen aufgrund ihrer Reflexion derselben Welt gemeinsam sind. Einige davon wurden schon durch den deutschen Philosophen Immanuel Kant entdeckt, andere wurden durch den KünstlicheIntelligenz-Forscher Hermann Helbig zusammengetragen. Der Graph wird, unkenntlich für die Umwelt, auf das Eurofon des Gesprächspartners übertragen, das ihn in einen Fließtext und diesen in die dem Rezipienten vertraute Lautsprache umsetzt. Ausgangspunkt unserer Entwicklung ist die deutsche Sprache. Der vorliegende Prototyp wird für das Sprachpaar Deutsch/Englisch entwickelt. Er enthält, auch aus Schutzgründen, noch keine semiotischen Komponenten. Weitere Sprachpaare sollen folgen. Aus: Die Sprache Deutsch. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin, herausgegeben von Heidemarie Anderlick und Katja Kaiser, Sandstein-Verlag, Dresden 2008, 384 Seiten mit 300 farbigen Abbildungen, 25,00 Euro (Museumsausgabe), mit hartem Einband 48,00 Euro (Buchhandel), Seite 244f. Das Eurofon wird im Deutschen Historischen Museum Berlin im Rahmen der Ausstellung „die Sprache Deutsch“ vom 15. Januar bis 3. Mai 2009 gezeigt. www.dhm.de Wissenschaft Seite 7 Sprachenvielfalt vor der Rettung? Fragen an Klaus Däßler, den Erfinder des Eurofons Wann wird denn das Eurofon am Markt erscheinen? DEUTSCHE SPRACHWELT: Herr Däßler, in der empfehlenswerten Ausstellung „Die Sprache Deutsch“ im Deutschen Historischen Museum Berlin wird Ihr Übersetzungsapparat „Eurofon“ als einziges Ausstellungsstück der modernen deutschen Computerlinguistik gezeigt. Ist denn Ihre Arbeit in Deutschland führend? Klaus Däßler: Das anzunehmen wäre wohl vermessen. Es ist eher so, daß wir mit Eurofon und unserem Verständnis von Sprache eine ganz andere Zielstellung verfolgen als die herrschende Computerlinguistik, nämlich einen muttersprachlichpolykontexturalen Ansatz. Es gibt tatsächlich weit über 1 000 deutsche Computerlinguisten, an einer großen Zahl von Lehrstühlen, in staatlichen Projekten und in Forschungszentren, sowie in den USA. Alle haben gemeinsam, daß für sie der Übergang zu einer einheitlichen Weltsprache, Global-Englisch, auch in Deutschland, praktisch vollzogen ist – das ist ja die wissenschaftliche Realität, die sie erleben, und vereinfacht ihre Aufgabe. So kommt es, daß es weltweit meines Wissens keinen dem Eurofon vergleichbaren Ansatz gibt, und das mag die Schöpfer der Ausstellung inspiriert haben. Klaus Däßler gegenüber etwas sehr Genaues. Wo er sich ungenau ausdrückt, spricht auch dort eine wichtige Information. Und die Begriffe und Befindlichkeiten der Gesprächspartner bedeuten eben mehrere Kontexte, die wir berücksichtigen müssen. DHM_DtSprachwelt_109x254 HALT 25.11.2008 13:35 Uhr Seite 1 Sie sprachen vom „muttersprachlichpolykontexturalen Ansatz“, Ihrem Alleinstellungsmerkmal gegenüber der internationalen Computerlinguistik. Was ist denn der Unterschied zwischen Sprache und Muttersprache? Muttersprache ist tief an nichtsprachliche Denkstrukturen des Menschen gebunden; wir nennen sie Basiskategorien und bauen darauf auf. „Sprache“ in der Interpretation der Computerlinguistik wird als ein Gebilde aus Wörtern, ihren festen, geordneten Bedeutungen, ihrer Wortlehre, ihrer Satzlehre, Häufigkeit und ihrer gegenseitigen Zuordnung, etwa in einem Fremdsprachwörterbuch betrachtet – praktisch ein starres, formales System. Man wundert sich, warum es mit der Sprachübersetzung einfach nicht glücken will; man schiebt es auf die Ungenauigkeit des Menschen und versucht es durch massive Mehrdeutigkeitsanalyse zu beheben. Das muß schiefgehen. Nach unserer Interpretation ist die Äußerung eines Menschen einem anderen die DEUTSCH Eine Ausstellung des DEUTSCHEN HISTORISCHEN MUSEUMS 15. Januar bis 3. Mai 2009 täglich 10-18 Uhr Von Werner Pfannhauser anz so abwegig ist diese Frage deutsch reden darf. Allerdings kommt nicht! Die Zahl der Vorlesun- es vor, daß dem Professor selbst der gen, die nur mehr in englischer Spra- deutsche Fachbegriff nicht einfällt. che abgehalten werden, nimmt rapi- Ja, es gibt so etwas wie „Inländerdisde zu. Die Kommunikation zwischen kriminierung“ durch den AusschließStudenten erfolgt „mit Rücksicht“ lichkeitsanspruch der englischen auf die Gaststudenten (ERASMUS) Sprache an den Universitäten. zumeist auf englisch. Statt Ein typisches Erleb– wie früher üblich und nis: Ein ERASMUSauch gut angenommen – Student aus Litauen auch die Sprache des Gastkommt ans Institut. landes zu erlernen, kann Er spricht ganz ausgeder Gaststudent heute geDENGLISCH zeichnet deutsch und trost darauf verzichten. ist auch etwas stolz darauf. „Ja“, sagt er, Unter die Räder kommt „ich habe das in der manch österreichischer Schule gelernt und bin Student. Das deutsch geschriebene Lehrbuch kann er beisei- auch deshalb nach Österreich gegantelegen, dem englischen Vortrag des gen.“ Einige Wochen später meint Professors folgt er mit Mühe. Wenn der gleiche Student: „Ich bin nicht er zur Prüfung antritt, gewährt der glücklich. Meine Kolleginnen und Professor großzügig, daß er auch auf Kollegen reden vorwiegend englisch Siehe auch: Mit Rechnerlinguistik Muttersprachen retten. Gespräch mit Klaus Däßler zum Internationalen Jahr der Sprachen 2008, in: DSW 31 (1/2008), Seite 4. Bestellmöglichkeit auf Seite 5. Anzeige Werden unsere Universitäten englisch? G Bild: pau Wir kämpfen bei vielen Instanzen um eine Förderung, denn die Arbeit ist hochkomplex und umfangreich; erfordert hohes Fachwissen und auch Geld. Leider liegen wir bisher nicht im Modetrend, deshalb haben wir es schwer. Es muß schnell gehen, denn der Ablösungsprozeß der Muttersprachen durch die Globalsprache schreitet rapide voran. Er würde durch das Erscheinen des Eurofons gestoppt. Wir hoffen, binnen zwei bis drei Jahren ein erstes verkaufbares Produkt anbieten zu können. Leider glaube ich nicht an den Hauptgewinn. Mit ihm wäre das Eurofon sehr schnell am Markt. oder zumindest teilweise. Englisch habe ich nicht gelernt. Jetzt muß ich in Österreich Englisch lernen, um alles verstehen zu können.“ Begleitprogramm: Lesungen, Vorträge, Symposium Filmreihe »Mundart« im Zeughauskino Infos: www.dhm.de Prof. Dr. Werner Pfannhauser ist Obmann der Interessengemeinschaft Muttersprache in Österreich Graz e. V., Postfach 43, A-8047 GrazRagnitz, Telefon und Telefax +43(0)316-302026, muttersprache@ pfannhauser.at, www.pfannhauser. at/muttersprache. Pfannhauser erhielt im November 2008 das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, eine der höchsten Auszeichnungen, die der Staat zu vergeben hat. Am 21. Juni 2009 spricht Pfannhauser auf dem Köthener Sprachtag über Deutsch als Wissenschaftssprache (siehe Seite 12). a f Ausstellungshalle von I.M. Pei Unter den Linden 2 Berlin-Mitte Besprechungen Seite 8 Eide, Weistümer, Rechtsspiegel Früheste Beiträge zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache D ie Verschriftlichung des Rechts im Mittelalter schnitt nicht nur in die Rechtskultur ein, sondern auch in die deutsche Sprache. Zuvor hatte das Recht jahrhundertelang auf dem Ansehen des mündlichen Verfahrens geruht. Die Ausbildung schriftlicher Rechtstraditionen leitete einen entscheidenden Wandel sozialer, politischer und kultureller Prozesse ein. Das Buch „Kommunikation und Herrschaft“ von Christa Bertelsmeier-Kierst macht diesen Umbruch im deutschsprachigen Raum zwischen 1200 und 1300 sichtbar. ar 1900 gültig. Noch heute lebt der Sachsenspiegel in manchen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches fort, zum Beispiel im Erbrecht in der Verpflichtung des Erben, bestimmten Familienangehörigen des Erblassers in den ersten dreißig Tagen nach dem Eintritt des Erbfalls Unterhalt zu gewähren (Paragraph 1969). Die ersten Rechtstexte in Eike von Repgow deutscher Sprache sind zum Beispiel Eide, Schiedssprüche folgten in der zweiten Hälfte des 13. oder Gerichtsbriefe. Sie sind die Fol- Jahrhunderts zahlreiche Bearbeitunge mündlicher Rechtshandlungen. gen und Nachahmungen. BertelsAb dem zweiten Viertel des 13. Jahr- meier-Kierst wählt für eine tiefere hunderts kommen dann die Landfrie- Untersuchung den im süddeutschen denstexte auf. Bedeutend ist hier vor Raum erfolgreichen „Schwabenspieallem der 1235 in lateinischer und gel“ aus, der in oberdeutscher Spradeutscher Sprache abgefaßte Main- che verfaßt wurde. zer Reichslandfrieden. Er wirkte traditionsstiftend. Des weiteren folgten Eike von Repgow schrieb mit dem Güter-, Zins- und Lehnsverzeichnis- Sachsenspiegel das erste deutsche se, die sogenannten „Urbare“, und Rechtsbuch in mittelniederdeutscher „Weistümer“, also Rechtsauskünfte, Sprache. Es entstand zwischen 1220 in deutscher Sprache. Als neue For- und 1235 und ist eines der ersten Prosamen volkssprachlicher Rechtsprosa werke in deutscher Sprache überhaupt. kommen Landrechte und Rechts- Forscher konnten in Europa Einflüsspiegel hinzu, schließlich die Stadt- se bis in die Ukraine nachweisen. In Preußen galt der Sachsenspiegel bis rechts- und Statutenbücher. zur Einführung des Allgemeinen LandMaßgeblich beeinflußte vor allem rechts 1794. Im Herzogtum Anhalt und der „Sachsenspiegel“ Eike von Rep- in Thüringen blieb der Sachsenspiegel gows die Entwicklung der weiteren sogar bis zur Einführung des BürgerliRechtsprosa. Dem Sachsenspiegel chen Gesetzbuches (BGB) am 1. Janu- Das heute noch geläufige Sprichwort „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ findet seine Entsprechung im Sachsenspiegel: „Wer zuerst zur Mühle kommt, der soll auch zuerst mahlen.“ (Ursprünglich: „Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen.“) In heutigem Rechtsdeutsch ist man da weitaus umständlicher, wie Paragraph 17 der Grundbuchordnung belegt. Dort heißt es nämlich: „Werden mehrere Eintragungen beantragt, durch die dasselbe Recht betroffen wird, so darf die später beantragte Eintragung nicht vor der Erledigung des früher gestellten Antrags erfolgen.“ Eike von Repgow hätte das sicher einfacher ausgedrückt. Der Sachsenspiegel ist wegen seiner weiten Verbreitung einer der frühesten Beiträge zur Vereinheitlichung nicht nur des Rechts, sondern auch der deutschen Sprache gewesen. (dsw/pau) Christa Bertelsmeier-Kierst, Kommunikation und Herrschaft. Zum volkssprachlichen Verschriftlichungsprozeß des Rechts im 13. Jahrhundert, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 9, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2008, 250 Seiten, kartoniert, 42,00 Euro. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 E Hausbuch deutscher Dichtung s gibt Bücher, über die freut man sich bereits beim Öffnen der Verpackung. Der Duft des druckfrischen Bandes strömt dem Neugierigen entgegen, und dieser weiß sofort, daß er es hier nicht mit der üblichen Massenware zu tun hat. Um so größer ist seine Freude, wenn sein erster Eindruck beim Aufschlagen des Buches bestätigt wird. Dieses Erlebnis bescherte das neu aufgelegte „Hausbuch deutscher Dichtung“, das sich als „Blütenlese deutscher Gedichte, Volkslieder und Spruchweisheit vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ vorstellt. Begründet hat das Werk Otto Lyon 1903. Der Bund für deutsche Schrift und Sprache hat es nun neu aufgelegt und dabei die Auswahl vollständig überarbeitet und erweitert. Das Buch ist vollständig in gut lesbarer Fraktur gesetzt, für die Gedichte wurde die schöne Humboldt- er Forschungsschwerpunkt des Germanisten Gotthard Lerchner lag auf den Theorien und Methoden der Sprachgeschichte. Zu Ehren seines 70. Geburtstages veranstaltete die Sprachwissenschaftliche Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2005 ein Kolloquium über dieses Thema. Ein von Klaus Bochmann herausgegebener Sammelband vereinigt und verschriftlicht nun die Materialien dieser Sprachveranstaltung. Peter von Polenz bespricht den Tagungsband „Sprachgeschichte als Kulturgeschichte“, der erwartungsgemäß den „deutschen Sprachnationalismus“ in den Vordergrund rückt. Oskar Reichmann berichtet über die Bedeutung historischer Wörterbücher für die Sprachgeschichtsforschung. Ingo Reiffenstein plädiert für eine „Sprachgeschichte der Regionen“, so wie bereits die Blütenlese: die deutsche Sprache – (k)ein Grund zur Heiterkeit? Von Rominte van Thiel K Erneut hat Klemens Weilandt zahlreiche Beispiele für den liederlichen Umgang mit der deutschen Sprache gesammelt. Diesmal zitiert er aus Presseartikeln, Texttafeln der Fernsehsender, vielen Sportreportagen und anderem. In seinem früheren Buch hatte er hingegen den Blick vor allem auf die Schule gerichtet (siehe auch DSW 26, Seite 8: Deutsch oder so – Die Schule im Räderwerk der Sprachverderber). Die aufgespießten „Blüten“ aus gesprochener und geschriebener Sprache sind samt und sonders durch Quellenangaben belegt. Weilandt fragt sich, ob die Inflation von Sprachpreisen Ausdruck der Hochschätzung unserer Sprache ist oder ob man sich um eine Sprache sorgt, die sich vor dem Abgrund befindet. So kommentiert er die Verleihung des Jacob-Grimm-Preises an Frank Schirrmacher für „seine sprachlichen Leistungen und das sprachliche Niveau des FAZ-Feuilletons“ mit Sarkasmus, indem er auf die Grammatikverstöße ebendieses Feuilletons verweist. Damit bleibt er vielleicht etwas zu sehr an der Oberfläche. Eher in Richtung Kulturkritik geht das Kapitel „Der Kerner muß weg“, wobei es sich hier um ein von ihm nicht erfundenes, aber gern aufgegriffenes Wortspiel um die gleichnamige Rebsorte und den „Dampfplauderer“ handelt. Allen Kapiteln, die sich bewußt ohne roten Faden aneinanderreihen, ist ein zum Nachdenken anregendes Sprichwort oder ein Ausspruch einer bekannten Persönlichkeit vorangestellt. Die „Blütenlese“ selbst wird von launigen Kommentaren eingeleitet und begleitet. Weilandt sammelt Beispiele für fehlende Deklination, fehlende Kongruenz, falsche Konjunktive, fal- sche Kommata und die grassierende Seuche Apostrophitis. Bei manchen Grammatikfehlern ist indes der Blütenreichtum recht üppig ausgefallen. Zu Weilandts Fundstücken im Kapitel „Schwacher Umgang mit starken Verben“ zählen „geschliffene“ (statt geschleifte) Festungen, eine „verstreichte“ (statt verstrichene) Nachfrist und „vermeidete“ (statt vermiedene) Dinge. Weiterhin beschreibt er den „Krieg der Fälle“ und stellt zu Recht fest, daß einerseits fast niemand mehr den Genitiv richtig anwenden kann („Die SPD gedenkt den Opfern“, „angesichts dem Rückzug“), andererseits der hier so bedrohte Genitiv sich da breitmacht, wo er nun gar nicht hingehört („die Schüler gemäß dieser Ideale erziehen“, „nahe des Bahnhofs“). Neben so spaßigen Blüten wie „Katholiken und Evangelisten“ gibt es auch solche, die vielleicht erst auf den zweiten Blick als ungenau auffallen, weil der Leser sich ins Richtige zurechtrückt, was der Schreiber falsch und mißverständlich ausgedrückt hat. Peinlich wird so etwas in Todesan- www.bfds.de Bund für deutsche Schrift und Sprache, Hausbuch deutscher Dichtung in Fraktur gesetzt, Hannover 2008, gebunden, 632 Seiten, 22,90 Euro. Theorien und Methoden der Sprachgeschichte D Der Fisch stinkt vom Kopf her ennen Sie den „Vonitiv“? Erstmals beschrieben hat ihn Klemens Weilandt in seinem neuen Buch „Blütenlese“. Der „Vonitiv“ ist ein neuer Fall im Deutschen, der den Genitiv ersetzt. Tatsächlich damit gebildete Sätze lauten zum Beispiel „Obwohl das Reich von Karl dem Großen keinen Bestand hatte“ oder „Nach gut einem Jahr Sanierung ist das Geburtshaus von Martin Luther in Eisleben wiedereröffnet worden“. Weilandt sinniert, ob Luther wohl noch immer lebt. Fraktur gewählt. Insgesamt 123 Dichter sind vertreten, nicht in der üblichen chronologischen, sondern in alphabetischer Reihenfolge. Sie werden mit Bild, Unterschrift und einer kurzen Beschreibung von Leben und Werk vorgestellt. Neben Gedichten enthält das Buch 57 Volkslieder mit ihren Melodien. Richtschnur bei der Auswahl der Gedichte war es, Werke in wohlklingender Sprache zu vereinen, die eine Erziehung zum „Schönen, Guten und Wahren“ zu fördern vermögen. Zeitgeistiges Wortgeklingel wird der Leser vergeblich suchen. Dafür gebührt dem Herausgeber alle Achtung. (dsw) zeigen, wenn ein betagter Firmengründer „unverhofft“ (statt unerwartet) verstorben ist. So spürt Weilandt auch falsche oder unangemessene Sprachbilder auf und läßt die „weißen Schimmel“, die Tautologien („erfolgreich gelungen“, „sichere Gewähr“), muntere zwei Runden galoppieren. Weilandt stören weniger die Fehler der Allgemeinheit, sondern vielmehr die Schnitzer derjenigen, deren Handwerkszeug die Sprache ist. Die gern gebrachte Entschuldigung, daß auch in England ein Großteil der Bevölkerung miserables Englisch spreche und dies der Sprache nicht schade, läßt er nicht gelten. Denn dort sprächen zwanzig Prozent der Bevölkerung exzellentes Englisch, und diese bestimmten Literatur, Zeitungswesen, Rundfunkanstalten, Wirtschaft und Politik. Deswegen könne dort – anders als in Deutschland – nicht der „Fisch vom Kopf her zu stinken anfangen“. Klemens Weilandt, Blütenlese. Die deutsche Sprache – (k)ein Grund zur Heiterkeit, Leuenhagen & Paris, Hannover 2008, gebunden, 400 Seiten, 19,90 Euro. Landesgeschichte seit langem fester Bestandteil der Geschichtswissenschaft ist. Klaus Bochmann stellt die Möglichkeit vor, mittels Sprachbiographien Erkenntnisse über die jüngere Sprachgeschichte auch unter dem Blickwinkel der Sozialgeschichte zu gewinnen. Hans Ulrich Schmid erläutert das Projekt einer historischen Syntax des Deutschen, über die die Arbeitsgruppe „Diachrone Syntax des Deutschen“ forscht. An das Ende des Sammelbandes setzte der Herausgeber zwei Vorträge von Rudolf Große („Das Obersächsische Wörterbuch 1955 bis 2003“) und Wulf Kirsten („Das Feuer der Philologie“). (dsw) Klaus Bochmann (Herausgeber), Theorien und Methoden der Sprachgeschichte, Sächsische Akademie der Wissenschaften / S. Hirzel Verlag, Leipzig 2007, 74 Seiten, 18,00 Euro. Anzeigen Kleinanzeigen 900 Jahre Zisterzienser – 900 Jahre literarisches Schaffen Für Sie als Autor die besondere Gelegenheit, uns Ihr Manuskript anzuvertrauen, denn unser bewährtes Verlags-Management wird Ihr Werk bekannt und absatzfähig machen! Bernardus-Verlag in der Verlagsgruppe Mainz, jetzt beheimatet in der Abtei Mariawald: 52396 Heimbach, Tel. 02446 95 06 15; Zentrale: Süsterfeldstr. 83, 52072 Aachen, Tel. 0241 87 34 34; www.bernardus-verlag.de 7000 antiquarische Bücher Liste für 1,45 € in Briefmarken A. Neussner, D-37284 Waldkappel Literatur Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Goethe ungeschminkt Eine schwer zu übersetzende Sprache Zum Kuckuck mit dem Dichterfürsten: Günter B. Merkels neuestes Gegenbuch Einladung, einen englischen Renaissancedichter zu entdecken Von Thomas Paulwitz D - ÎÓÎäÈÓäÇ 0 ÓÎ]Îä >` >` iÌ i ÎÈä -iÌi] ii] ÎÃiÌ}i `*ÀB}Õ} {ä{ -iÌi] ii] ÎÃiÌ}i `*ÀB}Õ} - ÎÓÎäÈÓä{{ 0 £Ç]£ä - ÎÓÎäÈÓäxÓ 0 £x]Óä ØÌiÀ ° iÀi ± - ÎÓÎäÈÓäÓn 0 £]Óä iÌ i Õ}iÃV Ì ieses Buch paßt wie der Faust ster!“ (Gedicht „Divan-Poesie“). aufs Schillerjahr. Der Dich- Goethe reimt – trotz Benutzung ter Günter B. Merkel hat wieder eines Reimlexikons – „Griechen“ zugeschlagen und „Vernichtendes auf „besiegen“ oder „bestrafen“ zu Werk und Charakter eines Gec- auf „fragen“. Dieser „Reimpfusch“ ken“ veröffentlicht. Mit dem „Gec- ist zu viel für Merkel, den Meister ken“ ist kein Geringerer als Johann des reinen Reims. Weiterhin setzt Wolfgang von Goethe gemeint. Daß er Goethes menschliche Schwächen Merkel nicht zimperlich mit den der Kritik aus: „Der BeiSchlaf – Dichtergrößen dies vermuten wir umspringt, ist – / War GOETHEs seinen AnhänLebensElixier!“ >Õà ØÌiÀ ° iÀià ØÌiÀ ° iÀi V iÀ ÕV ,i i\ gern wohlbekannt. So gilt Goethe nannte den „Goethes späLiteraturkritiker ter GegenspieGarlieb Helwig Õ}iÃV Ì ler“ (RheinMerkel (1769 bis 6iÀV Ìi`ià âÕ 7iÀ Õ` >À>ÌiÀ iià iVi pfalz) auch als 1850) ein „FerErfinder des kel“. Für Günter Gegengedichts B. Merkel hätte er schlechthin. In sicher noch deutseiner Buchreilichere Worte gehe „DIE ANTfunden. Obwohl WORT auf Merkel es gar nicht Õà `iÀ ÕV ,i i\ /7",/ die Dichtkunst nötig hätte, holt >Õv `i V ÌÕÃÌ `iÀ ÛiÀ}>}ii Óää > Ài der vergangeer sich sogar noch nen 200 Jahre“ Verstärkung, indem er genüßlich «ÀV Ì iÕÌÃV ÃÌ>ÌÌzeigt i}ÃV º er wieder – durchaus auf die Sätze bekanngleicher Augenter Goethe-Kritiker höhe – Merkelstolz vor Dichter- wiedergibt. Zum Beispiel: „Goethronen. „Goethe ungeschminkt“ the ist an nichts zu fassen und ein ist bereits das neunte Buch in dieser Egoist in ungewöhnlichem Grade“ Reihe. (Friedrich von Schiller) oder „Goethe, der Großmeister der Platitüde“ Nicht, daß er Goethe nicht leiden (James Joyce) oder „Goethes Briefe könnte; es macht Merkel einfach sind kaum der Tinte wert“ (Johann Spaß, ihn mit Gegen- und Schmäh- Gottfried Herder). Heinrich Heine gedichten anzugreifen, wie er in sei- beschimpfte Goethe als „Aristokranem Eingangsgedicht bekennt: „Ja, ten-Knecht“, und Gottfried August ich darf nicht nur – ich muß! / Denn Bürger wünschte ihn zum Kucirgendwann einmal ist Schluß“ – kuck. getreu dem Sinnspruch: „Das Wahre ist selten schön – Das Schöne ist Das Buch regt den Leser an, weiselten wahr!“ Merkel prangert zum terzumerkeln, vielleicht so: Der einen die blinde Goethe-Verehrung Goethe war ein eitler Pfau. / Dank an und verschont dabei selbst hoch- Merkel weiß ich’s jetzt genau! Wem rangige und mit Steuergeldern ge- Goethe-Hudelei auf die Nerven förderte Einrichtungen nicht: „Ir- geht oder wer an einer gewitzten gendwann nennt man noch Schutt lyrischen Gegenposition zu Goethe / Nach Goethe, wie das Institut.“ Gefallen findet, für den ist das Buch Der Zeilensprung (Enjambement) „Goethe ungeschminkt“ genau das als Stilmittel – ein Markenzeichen Richtige. Merkels – unterstreicht hier in seinem Gedicht „Hirnverbrannter www.merkel-gedichte.de GOETHE-Kult“ den Tadel. Günter B. Merkel: Goethe unge- ÕV ¹*iÃi E Õú] È£ ° Seite 9 Ó£È -iÌi] }iLÕ`i Zum anderen bemängelt Merkel Goethes handwerkliches Können: „Schlampig reimt der ‚große Meister‘, / Ja, es geht wohl nimmer drei- schminkt. Vernichtendes zu Werk und Charakter eines Gecken, SWPBuch-Verlag, Wilhelmsfeld 2009, 128 Seiten, fester Einband, 9,60 Euro, ISBN 3-923062-12-5. Bestellung unter Telefon 06220/6310. Von Oliver Höher E dmund Spenser (1552/53 bis beginnt Spenser jeden Vers der beiden Vollends daneben greift er dann mit der 1599), den älteren Zeitgenossen ersten Quartette mit „sweet is“, um Einführung des Tees, der nicht nur weShakespeares, kennt man hierzulande eine Einschränkung mit „but“ folgen der von Spenser vorgegeben ist, noch gerade noch als Verfasser des allegori- zu lassen. Die beiden Strophen lauten diesem überhaupt bekannt war. Erst im Jahr 1610 kam Tee durch die Holschen Ritterepos „The Faerie Queene“. bei Spenser (Seite 58): länder nach Europa, nach EngDeshalb ist die vorliegende land sogar erst im Jahr 1644. Übertragung seiner Sonette fast Sweet is the Rose, but growes upon a brere; Zur Erinnerung: Spensers Text eine Pionierleistung. Alexander Sweet is the Junipere, but sharpe his bough; erschien bereits 1595. Zudem Nitzberg, bisher vor allem für sweet is the Eglantine, but pricketh nere; hätte der Hinweis auf den HoÜbertragungen russischer Lyrik sweet is the firbloome, but his braunches rough merischen Ursprung des Mobekannt, übernimmt es, den weitSweet is the Cypresse, but his rynd is tough, lykrautes in die Anmerkungen, gehend unbekannten Spenser sweet is the nut, but bitter is his pill; nicht jedoch in den Text gehört. deutschen Lesern vorzustellen. sweet is the broome-flowre, but yet sowre enough; Überhaupt sind diese Anmerkungen sehr befremdlich. Denn Das Hauptproblem für jeden and sweet is Moly, but his root is ill. auf vereinzelte Nachweise von Übersetzer Spensers ist dessen Bibelstellen, ein paar Hinweise zur anSprache. Der erste englische Literaturpapst Ben Jonson urteilte, Spenser sei Freiligrath bleibt nah am Text (Ferdin- tiken Mythologie und Dichtung sowie so sehr von den Alten beeinflußt, daß and Freiligrath’ s gesammelte Dichtun- den gelehrten Hinweis, daß einmal er gar keine Sprache schriebe. Trotz- gen, Band 4, Stuttgart 1870, Seite 143): „ein Klangspiel (pun) mit dem Namen der Geliebten (Elizabeth dem, so fügte er hinzu, würde er Boyle)“ getrieben wird (Seite ihn um seiner selbst willen gele- Süß ist die Rose – süß, doch stachelicht; 212), hätte jeder Leser gut und sen haben. Also Tadel und Lob Süß der Wacholder, doch bewehrt sein Ast; gerne verzichten können. zugleich für eine künstlerische Süß auch die wilde Rose, doch sie sticht; und künstliche Sprache, die nur Süß Fichtentrieb, doch rauh, wenn man ihn faßt; Doch nicht nur übersetzerische schwer zu übertragen ist. UnEigenmächtigkeiten, sondern möglich ist es jedoch nicht, denn Süß die Cypresse, doch von zähem Bast; auch die Beschränkung auf die Friedrich Schlegel schrieb be- Süß ist die Nuß, doch nur ihr Inn’ res letzt; Sonette befremden. Nitzberg reits 1812 in seiner „Geschichte Süß ist der Ginster, doch auch sauer fast; führt Sonette aus verschiededer alten und neuen Literatur“, Süß Moly auch, doch seine Wurzel ätzt. nen Publikationen Spensers Spenser sei in der Sprache unter zusammen und scheidet dafür Texte allen englischen Dichtern am meisten deutsch oder germanisch. Deshalb er- Bei Nitzberg schließlich liest man der ursprünglichen Bücher aus, die entweder keine Sonette sind oder klärt Nitzberg, „ausgiebig Archaismen (Seite 59): bei denen der Übersetzer – und poetisierende Ausdrücke zu im Gegensatz zur englischen verwenden, wie sie vielleicht ein Zart ist die Rose und doch scharf ihr Dorn, Spenserforschung – nicht Christian Hofmann von Hof- zart ist die Hagebutte und doch zäh, glaubt, daß sie tatsächlich vom mannswaldau verwendet hätte“ zart der Wacholder und doch hart sein Knorrn, Autor stammen (Seite 226). (Seite 229). zart ist die Fichte, doch ihr Zweig tut weh, Damit werden Textzusamzart ist der Ginster, doch zu stark als Tee, menhänge zerstört, und überAuch bei seiner Etymologie des dies hat Nitzberg ein angebWortes „Sonett“ bewegt sich der zart ist die Nuß, doch ihre Schale herb, lich doppeltes Sonett aus den Übersetzer im Jahrhundert Hof- zart ist das Moly-Kraut der Odyssee, „Amoretti“ ausgesondert. mannswaldaus. Martin Opitz be- doch seine Zauberwurzel bringt Verderb. zeichnete 1624 in seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ Sonette Warum Nitzberg „sweet“ mit „zart“ Aus den 89 Sonetten dieses Bandes als „klingel oder schelle“. Diese Be- übersetzt, wird wohl sein Geheimnis werden bei ihm so 88 und das eigentschränkung des Sonetts auf seinen bleiben. Ein zumindest noch verzeihli- lich zentrale Sonett XLV verschiebt Klang wird jedoch dem gelehrten cher Fehler ist das Durcheinander der sich. Der kunstvolle Aufbau von jeAufwand, den Spenser treibt, nicht ge- Pflanzen. Die kunstvolle Verschrän- weils 21 Sonetten, die eine Gruppe recht. Der elisabethanische Bildungs- kung von Rosen-, Zypressen- und von 47 Sonetten umrahmen, ist für unterbrochen den deutschen Leser nun nicht mehr hintergrund sowie autobiographische Kieferngewächsen, Elemente sind schließlich zusammen von der Nuß, gibt er preis. Nitzberg nachvollziehbar. Diese Mängel zeimit dem Klang untrennbare Bestand- pflanzt das Molykraut – rhythmisch gen, daß Nitzberg zahlreiche Hilfsbedenklich – gleich in zwei Verse mittel der Spenserforschung nicht teile der Spenserschen Lyrik. und opfert damit die Zypresse. Auch kannte oder nur sehr selten herangeNitzberg blendet somit den rhetori- bringt er sich um die Möglichkeit, zogen hat. So wäre auch eine neuere schen und allegorischen Aufbau der Spensers sprichwörtliche Wendung Textvorlage für die Übertragung und Gedichte weitgehend aus. Ob ihm von der Nuß als „bitterer Pille“ auf die abgedruckten englischen Texte trotzdem die Übertragung gelungen deutsch nachzubilden. Das ist um so sinnvoll gewesen, ist doch seit Ende ist, mag ein Vergleich mit dem arg ge- bedauerlicher, als Nitzberg sich einzig der 1950er Jahre die große kritische tadelten Ferdinand Freiligrath aus den hier gegenüber Freiligrath hätte profi- „Variorum Edition“ der Werke SpenAnzeige Viol Aktiv+Viabol.qxp:Anzeige sers abgeschlossen. 1850er Jahren zeigen. Im 26. Sonett lieren können. Viol Aktiv+Viabol.qxd Anzeigen 7ELTWEITE6ERSTÛNDIGUNG DURCHDIEINTERNATIONALE3PRACHE )DO NATURPRODUKTE AUS DEM ALLGÄU, IHRE TÄGLICHE HILFE : Beweglichkeit ? Wohlbefinden ? +ULTURELLEUNDSPRACHLICHE6IELFALTISTEIN2EICHTUMDER-ENSCHHEIT nDOCHDER0ROZESSDES3TERBENSVON3PRACHENDAUERTANAUCHIN%UROPA (ELFEN3IEBEIM%RHALTDER3PRACHENUND+ULTUREN -ITDERNEUTRALEN:WEITSPRACHEGESCHAFFENVONEINERINTERNATIONALEN 7ISSENSCHAFTLERGRUPPESCHÓTZENWIRAUCHUNSERE-UTTERSPRACHE )NFORMIEREN3IESICHÓBEREINEDERLEICHTESTEN3PRACHENDER7ELT ,ERNEN3IE)DOINKOSTENLOSEN&ERN+URSEN nt7EITERE)NFORMATIONENGEGEN#ENTIN ffe e ö e rs "RIEFMARKEN+URZKURSUS%URO los O-Ku äßig n e st ID lm t! Ko iche rege stat l en rlin find in Be )DO&REUNDE"ERLIN &"+PENICKER3TRAE"ERLIN IDOAMIKIBERLIN GMXDE4ELEFON INFO,ITERATUR$EUTSCHE)DO'ESELLSCHAFT!RCHIV 7ALDKAPPEL"UALFREDNEUSSNER IDOLI Einreibung mit Aktiv-Sauerstoff bei allen akuten Problemen der Gelenke, Muskeln und Haut. Die schnelle Hilfe! Gehört in jede Sporttasche und jeden Haushalt. Pflege, Schutz und Regeneration. Hochdosierte Trinkampulle mit Riesenangebot an lebenswichtigen Vitalstoffen. Aus unserer heilen Natur für Ihre Gesundheit. 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Den Weg vom bloßen Klang der Musik zu den metaphorischen und rhetorischen Dimensionen der Spenserschen Lyrik muß der Leser nun allein gehen, denn hier verläßt ihn die Nachdichtung leider allzu oft. Die Lilienhand. Alle Sonette von Edmund Spenser, Deutsch von Alexander Nitzberg, Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2008, 231 Seiten, 24,00 Euro (in traditioneller Rechtschreibung). Werkstatt Seite 10 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Mahnung an die Deutsche Welle Die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT haben die Sprachwahrer des Jahres 2008 bestimmt D ie Deutsche Welle darf nicht englisch werden. Dieser Meinung sind offenbar auch viele Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Denn eine Woge der Sympathie trug die Initiative „Pro Deutsche Welle“ auf den 1. Platz bei der Wahl der „Sprachwahrer des Jahres“ 2008. 32,7 Prozent entschieden sich für die Initiative von über hundert Mitarbeitern der Deutschen Welle, die im vergangenen Jahr vor der Amerikanisierung des deutschen Auslandssenders gewarnt hatten. In einem Papier hatten sie geschrieben: „Während das Auslandsfernsehen überall sonst in Europa die Pflege und Vermittlung der eigenen Sprache als Aufgabe beibehält, hat die Intendanz der Deutschen Welle nun offenbar beschlossen, unseren Sender dem englischen Sprachraum zuzurechnen. Während die Politik darum ringt, der deutschen Sprache in den Institutionen der Europäischen Union mehr Geltung zu verschaffen, soll der Sender, der das Bild der Deutschen im Ausland prägt, das Signal aussenden, daß die eigene Sprache zweitrangig ist.“ Den zweiten Platz erreichten mit 19,4 Prozent die Europaminister Wolfgang Reinhart und Volker Hoff, die beide im vergangenen Jahr Initiativen zur Stärkung der deutschen Sprache in der Europäischen Union angestoßen hatten. Hoff hat allerdings Anfang Februar die hessische Landesregierung verlassen, so daß sich die Erwartungen nun vor allem Sprachsünder Ecke Die Sprachwahrer des Jahres 2008 Norbert Lammert 17,3% Manuscriptum 17,3% Paul-Josef Raue 9,2% Andere 4,1% Wolfgang Reinhart und Volker Hoff 19,4% Pro Deutsche Welle 32,7% auf Reinhart, den EU-Sprachenbeauftragten der deutschen Bundesländer, richten. Den dritten Platz teilen sich mit je 17,3 Prozent Bundestagspräsident Norbert Lammert, der sich seit langem für die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz einsetzt, und „Manuscriptum“. Der Verlag hält an der traditionellen Rechtschreibung fest und vertreibt das einzige große Wörterbuch in bewährter Orthographie. Überraschend deutlich sprachen sich die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT für einen Grundgesetzartikel zur deutschen Sprache aus Deutsch ins Grundgesetz? Davon halte ich ... 99% viel 1% wenig 0% nichts 0 20 40 60 80 100 (siehe Abbildung). Ganze 99 Prozent halten viel von diesem Vorschlag, was in dieser Deutlichkeit selbst uns verblüffte. Wir ziehen aus diesem Ergebnis den Schluß, diese Forderung weiterhin aktiv zu unterstützen. Bei der Frage, ob sich Englisch als Einheitssprache der EU durchsetzt, war das Ergebnis weniger eindeutig (siehe Abbildung). 58,2 Prozent sind sich zwar sicher, daß dies – „hoffentlich“, wie oft zu lesen war – nicht gelingt, aber 25,3 Prozent schwankten oder hatten keine Meinung. 16,5 Prozent glauben sogar, häufig mit dem Zusatz „leider“, daß Englisch Einheitssprache wird. Wird Englisch EU-Einheitssprache? 16,5% Ja 58,2% Nein 25,3% Vielleicht / keine Meinung 0 10 20 30 40 50 60 Die meisten Gedanken machten sich unsere Leser um die Zukunft der Deutschen Welle. Viele schrieben an den Intendanten Erik Bettermann und fragten ihn, warum der steuerfinanzierte Sender die Förderung der deutschen Sprache anscheinend aufgeben will. Sie erhielten eine ausführliche Antwort. Darin hieß es: „Deutsche, die vorübergehend oder dauerhaft im Ausland leben, sind … An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind, und rufen unsere Leser zum Protest auf Ohne Englisch wunden Popo? Wie Apotheker mittels Sprachvernebelung mehr Zinksalbe verkaufen wollen Von Thomas Paulwitz J unge Eltern sollten die ABCDE-Regel kennen, damit ihr Kleinkind keinen wunden Po bekommt. Das findet jedenfalls die „Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände“ (ABDA) in einer Aussendung vom 20. Februar dieses Jahres. Wofür steht „ABCDE“? Ganz einfach: Das ist eine aus Anfangsbuchstaben gebildete Eselsbrücke. A steht für Luft, B für Schutz, C für Reinigung, D für Windeln, E für Aufklärung. Wie bitte, diese Anfangsbuchstaben passen gar nicht, im Grunde müßte es LSRWA-Regel heißen? Liebe Leser, Sie haben wohl vergessen, daß junge Eltern heutzutage beste Englischkenntnisse vorweisen müssen, um nicht als Rabeneltern zu gelten. A steht selbstverständlich für air, B für barriers, C für cleansing, D für diapers und E für education. optimal pflegen will, bekommt in der Apotheke umfassende Informationen“, wird Ulrich Krötsch zitiert, Präsident der Bundesapothekenkammer und Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der ABDA. Weiter unten in der Pressemitteilung zieht die ABDA dann die Maske herunter: „Eltern tragen Cremes oft zu dünn auf.“ Der Wochenbedarf eines zweijährigen Kindes liege bei 100 Gramm Zinksalbe, „wird das Kind am ganzen Körper eingecremt.“ Somit entpuppt sich der scheinbar gutgemeinte Ratschlag als Versuch, gutgläubige Eltern (und die Krankenkassen) abzuzocDer Präsident der Bun- ken. Denn erstens muß kein Kind am gandesapothekerkammer, Dr. zen Körper mit Zinksalbe eingeschmiert Ulrich Krötsch, Mitglied werden; zweitens kämen auf Eltern eines des geschäftsführenden zweijährigen Kindes, die dem ABDA-Rat Vorstandes der ABDA tatsächlich folgen, monatliche Kosten in Bild: ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Höhe von 40 Euro zu, wenn wir für eine 100-Gramm-Tube einen Preis von zehn Bislang war die ABCDE-Regel in der KleinkinderEuro ansetzen. Junge Eltern sollen Englischvokabeln pflege eher unbekannt. Wir fanden sie in der Früherpauken, wodurch sie dann auch vor anderen Eltern kennung von Hautkrebs oder in der Zusammenfassung mit ihrem angelernten Scheinwissen glänzen können. von Wiederbelebungsmaßnahmen. Dort setzt sich die Dadurch abgelenkt sollen sie ganz unterschwellig die Abkürzung ABCDE aus den Anfangsbuchstaben deutBotschaft aufnehmen, in die Apotheke gehen und sich scher Wörter zusammen. Nun sollen sich also nach mit einem großen Vorrat an Zinksalben eindecken zu dem Willen der Apotheker nicht nur Haut- und Notärzmüssen. te die Regel einprägen, sondern auch junge Eltern. Der Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre frischgebackene Vater steht erstmals am Wickeltisch, Bank oder die DEUTSCHE SPRACHWELT. Fragen kratzt sich am Kopf und überlegt verzweifelt, wofür Sie jedoch auch den Apotheker Ulrich Krötsch, ob gleich noch mal ABCDE steht, während sein Töchteres sein Verband nötig hat, die Sprache zu vernebeln, chen ungeduldig plärrt. Sie ahnt ja nicht, daß ihr Papa damit Apotheken mehr Medikamente verkaufen Opfer einer Sprachvernebelung von Pillendrehern gekönnen. Teilen Sie ihm mit, daß er dem Ruf zahlloser worden ist. ehrenwerter Apotheker einen Bärendienst erweist, und lassen Sie uns bitte ein Doppel zukommen: Eine echte Hilfe ist die Eselsbrücke ABCDE-Regel nicht. Denn um Verständlichkeit geht es der „BundesSprachsünder Dr. Ulrich Krötsch, Vorstandsmitglied vereinigung Deutscher Apothekerverbände“ offenbar ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekervergar nicht. Die ABDA will mit der Anleihe aus dem Engbände, Jägerstraße 49/50, D-10117 Berlin, Telefon: lischen wohl lediglich den Schein von Wissenschaft+49-(0)30-40004-0, Telefax: +49-(0)30-40004-598, lichkeit erzeugen, um damit vom eigentlichen Anliegen [email protected], www.abda.de abzulenken: Zinksalben zu verkaufen. „Wer sein Kind nicht … wichtigste Zielgruppe.“ Die Förderung der deutschen Sprache sei „weder einziger noch wichtigster Bestandteil“ der gesetzlichen Bestimmungen. In der jüngsten Aktualisierung der Aufgabenplanung würden „sowohl regionale und geopolitische Schwerpunkte als auch Zielgruppen definiert“. Als wichtigste Zielgruppe hat die Deutsche Welle Menschen ausgemacht, „die durch ihre gesellschaftliche Stellung einen hohen Einfluß auf die öffentliche Meinung eines Landes haben bzw. zukünftig haben werden und sich in autoritären Staaten aktiv für Demokratie, Freiheitsrechte und Fortschritt einsetzen. Diese Zielgruppe nutzt vorzugsweise landessprachige Angebote oder Englisch als Lingua franca.“ Im Februar erklärte Bettermann: „Wir stehen vor einer Zäsur und werden in Zukunft nicht mehr wie bisher in erster Linie Programm für die Deutschen im Ausland machen können … Deutschland tut sich noch schwer, seine Rolle in der Weltpolitik zu finden – und so geht es der Welle auch.“ Mit anderen Worten: Es soll nicht mehr darum gehen, deutsche Sprache und Kultur zu vermitteln, sondern „Weltpolitik“ nach amerikanischem Vorbild zu machen. Die Deutsche Welle will sich als „Sachwalter der Menschenrechte“ – wie es allen Ernstes in einem Papier heißt – offenkundig in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen. So dürfte auch der Vorschlag eines Lesers ins Leere laufen, das Fernsehen der Deutschen Welle mit englischsprachigen Untertiteln zu versehen, aber in deutscher Sprache zu senden. Ein anderer schlug gar vor, den Sender am besten gleich durch Großbritannien oder die USA finanzieren zu lassen. Die neue Aufgabenplanung befinde sich in der Abstimmungs- und Diskussionsphase, hieß es Mitte Januar noch. So ist zu hoffen und zu wünschen, aber nicht zu erwarten, daß sich der starke Protest von Sprachfreunden und von Mitarbeitern der Deutschen Welle noch in der Aufgabenplanung niederschlägt. Was soll man auch davon halten, wenn selbst das deutschsprachige Programm der Deutschen Welle mit Amerikanismen gespickt ist? Ein Leser erhielt vom „User Service“ der Chefredaktion DW-WORLD („feedback.german@ dw-world.de“) die Antwort: „Der Grund dafür, daß wir auf englischsprachige Ausdrücke zurückgreifen, liegt darin, daß wir ein internationales Medienunternehmen sind.“ Irrtum, es handelt sich um eine deutsche Anstalt des öffentlichen Rechts, finanziert mit deutschen Steuergeldern! Für 2009 sieht die Finanzplanung des Bundes einen Etat von 275 Millionen Euro vor. Doch das reicht der Deutschen Welle nicht. Insgesamt hat der Sender aufgrund seiner Neuausrichtung einen zusätzlichen Bedarf von 78 Millionen Euro von 2009 bis 2013 angemeldet. Soll mit deutschem Geld und englischer Sprache wirklich die Welt gerettet werden? (dsw) www.sprachpflege.info/index.php/ Sprachwahrer_des_Jahres w w w. d e u t s ch e - s p ra ch w e l t . d e / sprachwahrer Deutsche Wortwelt Das entbehrliche Fremdwort Bad Bank Dieses Wort ist so überflüssig wie die Finanzkrise. Sagen Sie doch einfach Auffangbank, Abwicklungsbank oder Schrottbank. Das richtig geschriebene Wort hältst Besonders in Briefe schleicht sich dieser Fehler oft ein: „du hälst“. Dabei wird nicht gehalst, sondern gehalten: Das kleine „t“ fehlt. Das treffende Wort scheinbar / anscheinend Nur scheinbar bedeutet „scheinbar“ dasselbe wie „anscheinend“. Bei dem Wort „scheinbar“ trügt der Schein jedoch, während bei „anscheinend“ der Schein wahrscheinlich ist. Das richtig gebeugte Wort geschleift/geschliffen Messer werden geschliffen, Soldaten auch. Wenn diese eine Festung schleifen, dann ist sie jedoch geschleift. Das wiederentdeckte Wort einander Benutzen Sie doch einmal wieder dieses schöne Wort. „Habt einander gern!“ ist viel schöner als „Habt euch gegenseitig gern!“ Welche weiteren Wörter sollten in dieser Wortwelt stehen? Schreiben Sie uns! Anzeigen Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Anstöße Georg Philipp Harsdörffer Von Günter Körner Sprachschöpfer, Fruchtbringer und Gründer des Pegnesischen Blumenordens I n Nürnberg hat man sich bei der Vergabe von Straßennamen zweimal des Barockdichters Georg Philipp Harsdörffer (1607 bis 1658) erinnert und sowohl eine gleisführende Funktionsstraße nach ihm benannt als auch eine Gabelung, die als Stellplatz für Altglassammler dient. Tiefer berührt uns der seit dem 13. Jahrhundert bestehende Johannisfriedhof. Hier bedeckt ein Meer von liegenden Grabsteinen an die hundert bedeutende Persönlichkeiten, wie Albrecht Dürer, Hans Sachs, die beiden Feuerbachs, Anselm und Ludwig Andreas, und eben auch Harsdörffer. Das Porträt des lebenden Harsdörffer, „des Spielenden“, wie er als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft hieß, zeigt ihn als kräftige Erscheinung. Der Grund für seinen frühen Tod im Alter von 51 Jahren ist unklar geblieben. Auf einem Kupferstich ist er im Schäferkostüm dargestellt beim anagrammatischen Spiel mit beschrifteten Kieselsteinen; heute heißt das „Scrabble“. Bei genauerem Hinsehen entdecken wir ein Gewächs, das in der Stadtrandflora Nürnbergs natürlicherweise fehlt, nämlich den „Neu Sprossenden Teutschen Palmbaum“. Wenn man heute die Nürnberger Burg aus gleicher Sicht betrachtet, kann die Stelle, an der Pegnitzschäfer Strephon (Harsdörffer) sitzt, genau bestimmt werden. Um Harsdörffers Schaffen zu erfassen, sind wir vorwiegend auf seine gedruckten Werke angewiesen, da das den Studienreisen zugehörige Stammbuch als verloren gilt, wie auch der größte Teil seines gewaltigen Briefwechsels. Geblieben ist zum Beispiel der „Poetische Trichter“, der „Große Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte“, „Der Mathematischen und Philosophische Erquickstunden Zweyter Theil“ oder das „Pegnesische Schäfergedicht“. Der sprichwörtliche „Nürnberger Trichter“ parodiert Harsdörffers Anliegen, „die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in VI Stunden einzugießen“. Hielt er doch den Gebrauch der formalen Werkzeuge von „Poeterey“ für jedermann erlernbar. Auch meinte er keineswegs sechs mal sechzig Minuten, vielmehr sechs Lernziele, zunächst für Anfänger, dann, in einem „zweyten Theil“ für Fortgeschrittene sechs weitere Lektionen, beginnend mit allgemeinen Betrachtungen der Reime, gipfelnd in „Schauspielen, Freuden- und Hirtenspielen“. Im Anhang empfiehlt sein „Trichter“ ein alphabetisch geordnetes Register wertvoller Wörter, erläutert im Stil eines Lexikons. Den in prägnanter Kürze gehaltenen „Mordgeschichten“ ist jeweils ein „Lehrgedicht“ angehängt, das dem Leser „die Moral von der Geschicht“ als Trost und Verhaltenshilfe erklärt. Nach der Episode von „den spaniolisierten Perlen“ lautet die Lehre, ein Geier, der sich derart überfressen habe, daß er nicht alles verdauen könne, müsse sogar mit dem Ballast noch seine eigenen Innereien herausgeben. Die Geschichte schildert einen spanischen Hauptmann, der, nachdem er bei einem Bordellbesuch seiner Liebesdienerin eine Perlenkette gestohlen und verschluckt hatte, schließlich gezwungen wurde, die Perlen mit Hilfe eines Abführtranks wieder herauszugeben. In den „Erquickstunden“ sind zahlreiche Merkwürdigkeiten „von der Waagkunst“, „von künstlichen Bewegungen“, „von der Feuerkunst“, „von dem Lufft“ dargestellt, unter anderem Steigraketen, Anleitungen für Schießpulver und Bomben, sogar höchst Gefährliches, nämlich: „Das allerbrennenste Feuer machen, mit fug dem höllischen Feuer verglichen, dann ein einiger Funcken kan den Menschen umb das Leben bringen und mit Lunden angezündet in der Feinde Schiffe oder Wäle geworffen verbrennet alles was es angreifft, Stein und Eisen, ist auch schwerlich zu leschen.“ Diese samt allen Zutaten beschriebene Mixtur ist heute bekannt als Napalm. Ein anderes Kapitel widmet sich der Aufgabe, „Die gantze Teutsche Sprache auf einem Blättlein weisen“. Harsdörffer hat deutsche Wörter in ihre Bestandteile zerlegt, in Vor- und Nachsilben, Anfangs-, Mittel- und Endbuchstaben. Diese Bruchstücke hat er in konzentrischen Kreisen auf dem „Fünffachen Denckring der Teutschen Sprache“ angeordnet, mit der Anweisung an den Buchbinder: „Dieses Blätlein muß heraus geschnidten, in fünff Ringe zertheilet, Um es vorwegzunehmen: Die Ergebnisse überraschten uns sehr und gaben Anlaß zu lebhafter Diskussion. So hatte niemand für möglich gehalten, daß er nur 1,3 Prozent Anglizismen aufspürte. Dabei ist nicht berücksichtigt, inwieweit einige dieser Wörter bereits zum festen Bestandteil unserer Sprache wurden, wie beispielsweise Image, Party oder Interview. An der Spitze der Nennungen lagen „Internet“ (46), „Team“ (24) und „Handy“ (24), dieser vermaledeite nachgebildete Anglizismus. Auf je fünf Nennungen brachten es Story, Pool, (T-) Shirt, Stop, Partner, Bachelor und Wellness. Auch hier liegen etliche mittlerweile eingedeutschte Begriffe vor. Interessant war auch die Auflistung nach dem Fachgebiet der Zeitung: Der Gartenbau war anglizismenfrei, es folgten Religion/Theologie mit 0,2 Prozent und Ökologie mit 0,4 Prozent. Die größten Sprachsünder – und das überrascht wohl kaum – waren Technik allgemein mit 2,1 Prozent, Musik mit 2,4 Prozent und Computertechnik/Informatik/Datenschutz mit 4,3 Prozent. TRADITION TRIFFT INNOVATION. Diese Ergebnisse erheben natürlich weder Anspruch auf Wissenschaftlichkeit noch auf statistische Sicherheit. Betrachten wir sie als Momentaufnahme, die uns natürlich keinesfalls vom Ringen um die Erhaltung unserer Muttersprache abhalten darf. Andererseits scheint die Presse besser zu sein als ihr Ruf. Wir sollten die Rangfolge der führenden Sprachverderber analysieren und überdenken. Womöglich sind die Fernsehanstalten, die Politik, die Wirtschaft, die Werbung und andere viel schlimmere Sprachverschandler? Vielleicht auch hat bei der Presse unser jahrelanges Bemühen um die Sprachkultur reifere Früchte getragen als bei anderen? www.sprachrettungsklub.de J A K D F M F K A MODELL 6100 REGULATEUR TECHNIK Günter Körner ist Vizepräses des von Georg Philipp Harsdörffer 1644 gegründeten Pegnesischen Blumenordens. Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag, den Körner am 17. Januar 2009 im Spiegelsaal des Köthener Schlosses zum 2. Gründungstag der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft gehalten hat. K M Harsdörffer war nicht nur Sammler Einen Klassiker fortund Übersetzer, sondern schöpferisetzen. In aller technischen Konsequenz. Und dennoch etwas scher Poet. Die Umsetzung seines völlig Neues schaffen. Das war die Herausforderung. Das ErSpaziergangs mit Johann Klaj entgebnis ist der REGULATEUR Technik. Ein typisches Mitglied der lang der Pegnitz zum Schäfergedicht traditionsreichen REGULATEUR-Familie. Aber mit einem ganz ist Bestandteil der Gründungslegeneigenen Charakter. Dem Charakter von SINN. Schlicht, klar, de des Pegnesischen Blumenordens, durchdacht. Statt modisch. Ohne an Emotionalität zu verlieren. indem es als bestellte Lobschrift zur Die Technik: innovativ und herausragend funktional. Wie die Doppelhochzeit in der Patrizierfamilie Tetzel geliefert wurde. Wenn wir SINN-eigene Werkskonstruktion SZ04 in Chronometer-Qualität heute durch die Auen wandern, semit Sekundenstopp. Oder die nachtleuchtenden Zeiger und Inhen wir die gleichen Dinge, die auch dizes. Für ausgezeichnete Ablesbarkeit. Wer innovativ ist, macht unsere Barockdichter gesehen haben. keine Kompromisse. Werksabverkaufspreis mit Lederband: Wir verweilen im gleichen Poeten1.780,- EUR. wäldchen, das den ersten MitglieWWW.SINN.DE · TEL. +049 (0) 69 978414 - 200 · FAX - 201 · [email protected] dern des Ordens als Versammlungsort gedient hat. Aus genau diesem Gefilde waren die ersten Pegnesen vom privaten Eigentümer vertrieben worden. Harsdörffer hat nicht mehr erlebt, wie ersatzweise dem Blumenorden ein Stück Wald, der „Irrhain“, „zu ewigem Lehen“ zugeeignet wurde. Wenn Sie diesen Hain besuchen, sehen Sie etliche GedenkEinem Teil unserer steine, beschriftet mit Angaben über 5044-AZ-DeuSpach-6100Reg-105x210-sw-Ztg-rz.indd 1 Ausgabe (nur Deutschland) liegt ein Prospekt des Atlas erinnernswerte Ordensmitglieder, Verlages, Weil am Rhein, bei. Wir bitten um freundliche darunter Harsdörffer, Klaj, Birken, Cramer; auch Wieland. Beachtung. Vielen Dank. Von Diethold Tietz autzens Sprachretter starteten in das elfte Jahr ihres KlubBestehens. Die allmonatlichen Klubabende eröffnete im Januar unser Vereinsmitglied Albrecht Balzer aus Zittau mit einem Vortrag zur Häufigkeit von Anglizismen und anderen Fremdwörtern in der Presse. Er hatte sich die mühsame Arbeit auferlegt, 250 Texte aus 36 Zeitungen und Zeitschriften von A wie ADAC-Motorwelt bis Z wie Zittauer Werkstätten zu untersuchen. Anzeigen und auf fünff gleich-große Scheiben von Papyr also aufeinander gehefftet werden, daß man jeden Ring absonderlich umbdrehen kan. Wann solchs geschehen, muß man dises fünfffache Blat wider hinein pappen.“ Die Zahl der Kombinationen beträgt entsprechend den Wortteilen auf den fünf Ringen 48 mal 50 mal 12 mal 120 mal 24 = 83 Millionen! Wenn man den Bestand an deutschen Wörtern mit 400.000 annimmt, leisten diese Ringe mehr als das Zweihundertfache. Harsdörffer hat die Atomisierung der Schrift aber noch weiter getrieben, indem er die Buchstaben in gerade, gekrümmte, lange und kurze Bestandteile zerlegt hat. Damit hat er vorweggenommen, wie heutzutage elektronische Rechner in digitalisierter Form Zeichen, Buchstaben und Sprache verarbeiten. Fremdwörter in der Presse B Seite 11 Bücher von Johannes Dornseiff (Frieling-Verlag, Berlin) Bisher Tractatus absolutus und Recht und Rache Inhaltsangaben und Auszüge unter www.johannesdornseiff.de Jetzt Sprache, wohin? Bemerkungen eines Sprachteilnehmers 3EITENs%UROs)3". Die Sprache hat, vor allem in den letzten Jahrzehnten, schlimme Entwicklungen genommen, die man weitgehend als Schwächung oder als Verschmutzung bezeichnen kann; ersteres vor allem in der Grammatik (Z"6IELEWàRDENDIE'EFAHRLEIDERNOCH unterschätzen), letzteres vor allem im Wortgebrauch (z.B. schwul oder die Menschen BEI DEN 2EFORMEN MITNEHMEN). [Zur Wortschatzverschlechterung gehört auch die Fremdwörterei, die graecolateinische und mehr noch die englische.] Der Verfasser stellt den verdorbenen Sprachgebrauch an den Pranger und zeigt zugleich, daß man sich davon freihalten kann; darüber hinaus, daß auch Sprachbereicherung möglich ist. – Im Anhang wird die Rechtschreib"reform" zerpflückt. Verbesserungen: [da würden sie heute noch wohnen]: DAWOHNTENSIENOCHHEUTE – [bräuchte]: brauchte – [nichtsdestotrotz]: NICHTSDESTOWENIGER – "Das hatte ich [echt] nicht erwartet": wirklich – [blauäugig]: naiv – kamen drei [Menschen] ums Leben: 0ERSONEN – Wir müssen diesen [Menschen] helfen: Leuten – [Ängste]: !NGST"EFàRCHTUNGEN – Wir [danken für Ihr Verständnis]: BITTENUM6ERSTËNDNIS.ACHSICHT – Herz[probleme]: Herzbeschwerden – [Bürgerinnen und Bürger]: 1. Bürger und Bürgerinnen 2. Bürger – [Recycling]: 1. Rezyklierung 2. Rückverwertung – [Ticket]: +ARTE &AHRKARTE %INTRITTSKARTE – [Job]: 3TELLE!RBEIT"ERUF!MTnes [macht] keinen Sinn: hat – [Nutzer]: Benutzer – [ethisch]: MORALISCH –[maximal]: höchstens – [authentisch]: ECHTn[Region]: Gegend Neubildungen: querab (= senkrecht zur Bewegungsrichtung), Stehbleibfehler (versehentlich nicht mitgetilgt), Bestuch (= sich bestechen lassen), sich anherzen, Hindernisse und &ÚRDERNISSE, Multikulti und Rassamassa www.johannesdornseiff.de A H F Bunte Seite Seite 12 Scheinbares Denken in der Finanzkrise Wer hätte das gedacht: Das scheinbar Undenkbare ist anscheinend denkbar Von Klemens Weilandt D as Denken, daran wird man hin und wieder erinnert, gehört durchaus zu den anspruchsvolleren Betätigungen des Menschen. Gelegentlich begegnet man sogar der These, erst und in Wahrheit allein das Denken unterscheide den Menschen von allen anderen Lebewesen, mache ihn – zum Menschen! schlägig helfenden Publikationen hätten kaum eine Existenzberechtigung. Sprache ist immer auch ein Wagnis. Nicht selten muß dafür ein hoher Preis gezahlt werden, nicht auf den internationalen Finanzmärkten, fürwahr, aber im Alltag des Zusammenlebens, wo sprachliche Präzision ihren Wert hat, wenn tunlichst unterschieden werden sollte, ob jemand scheinbar tot ist, wenn also nichts dafür spricht, oder anscheinend, wenn also alles dafür spricht. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 35_Frühling 2009 Könnte es auch sein, daß die Qualität des Denkens auf den Finanzmärkten überhaupt der entsprach, der wir in dem F.A.Z.-Beitrag des Chefvolkswirts begegnet sind? Eines veritablen Mitspielers unter den „Global players“! Ihm verdanken wir einen Satz über „das Ansehen und die Reputation des Eurosystems“. Wer Ansehen und Reputation so nebeneinander stellt, der weiß wohl auch nicht, daß Schimmel weiß und Rappen schwarz sind. Sprache setzt auch Denken voraus. Ihm verdankt sie ihre Systematik, ihr fürwahr nicht einfaches und deshalb wiederum Denken in Anspruch nehmendes Gefüge von Regeln. Dazu zählt auch der Wortschatz, der sich Na also, wird sich ein Sind diese Barscheine nur willkürlichem, soll heiformidabler Wirtschaftsdenkfreiem oder Bild: Sockxpert ßen wissenschaftler – als scheinbar? denkfaulem, Zugriff nicht Mensch, versteht sich, aber immerhin auch als Prof. Dr. und ausdrücklich recht fügen will – wenigstens nicht, soausgewiesen als „Chefvolkswirt bei lange noch mitgedacht wird im Umgang Morgan Stanley“ – gedacht haben. Mit mit Sprache. Da empfiehlt doch tatsächdem einfachen Denken wollte er sich lich ein leibhaftiger Chefvolkswirt einer aber nicht begnügen. Ausgehend von Bank, die als „Global player“ auf den der Prämisse, „daß auch vermeintlich „Finanzmärkten“ ein großes Rad dreht, extrem unwahrscheinliche Ereignis- uns, seinen Leserinnen und Lesern, und se eintreten können“, behauptete er: wahrscheinlich auch seinen denkabsti„Es lohnt sich deshalb, das scheinbar nenten Mitbankern, „das scheinbar UnUndenkbare zu denken.“ (Prof. Dr. Jo- denkbare zu denken“. achim Fels, F.A.Z. vom 17.11.2008, Seite 24) Dann wollte er seiner Leser- Nun ist aber das scheinbar Undenkbaschaft nicht vorenthalten, daß „viele re tatsächlich das Denkbare! So wie Akteure an den Finanzmärkten“ diese der scheinbar Tote in Wirklichkeit ein „Lehre“ mittlerweile beherzigten. Wie Lebender ist, häufig sogar ein Springschön! Endlich ein Lichtblick! Aller- lebendiger. Und das Denkbare denken dings hat die Lehre, des Professors und doch hoffentlich mindestens Banker Chefvolkswirts Lehre, einen Haken, stets und immer. Kann er, der Herr Professor, das gemeint haben, was er nämlich einen sprachlichen. da geschrieben hat? Er wird doch noch Nun ist längst bekannt, daß auch die das Reale von dem Imaginären zu unSprache dem Denken zugänglich ist. terscheiden wissen? Sobald wir aber Erst durch das (Nach)denken erschlie- das fast Undenkbare, daß nämlich der ßen sich Inhalte, die von der Sprache Herr Professor seiner Sprache nicht nicht so ohne weiteres preisgegeben gewachsen war, denn doch gedacht hawerden – oder werden sollen. Was, zum ben, liegt das Ergebnis auf der Hand: Beispiel, wäre die Interpretationskunst Wir alle, so des Chefvolkswirts Rat, ohne die Sprache in ihren verbergenden, sollen das anscheinend Undenkbare, verschleiernden, verklausulierenden für dessen Undenkbarkeit fast alles Daseinsformen? Hunderte von Univer- spricht, dennoch, darauf kommt es an, sitätslehrstühlen und Tausende von ein- zu denken wagen. Wagnis muß sein! Wie aus dem Nichts taucht dann ein bedrückender und gleichzeitig beglückender Gedanke auf: Könnte das Suchen nach den Ursachen der Krise auf den internationalen Finanzmärkten nicht ein schnelles Ende haben? Könnte es sein, die Frage drängt sich auf, daß die Krise in erster Linie das Produkt des Denkens des eigentlich Undenkbaren seitens der Kohorte der Banker ist? Nennt man das Denken des Undenkbaren nicht auch Spekulation? Ging es da möglicherweise um scheinbar sichere Geldanlagen? Sollte nur der gute Schein gewahrt werden, wo doch längst hätte erkannt sein können, daß Undenkbares zu denken sich nicht lohnt? DSW-Silbenrätsel zum Quetschen farbiger Himmelserscheinungen – 23. ein zweirädriges Fahrzeug züchtigen – 24. Steigerung von getrocknetem Gras – 25. Lärm eines Geldbeutels – 26. süßer Erdbegleiter – 27. jemand, der Gespenster transportiert – 28. Name für Leute, die Pech auf dünnem Eis haben – 29. Verletzung einer Waschmaschine beim letzten Arbeitsgang – 30. Hühnerprodukt, mit dem man jemanden zum Kaiser weiht Der Herr Professor hat wahrscheinlich keinen Preis im pekuniären Sinne in Gestalt eines Abzugs beim Zeilenhonorar zu zahlen gehabt. Insoweit hat es sich für ihn wohl „gelohnt“, Undenkbares zu denken. Allerdings kann Blamage einen höheren Preis auf der immateriellen Ebene darstellen, noch dazu wenn Undenkbares von Dritten gedacht werden sollte. Es ist in der Tat im Grunde etwas Undenkbares, daß einem Professor, noch dazu wenn er eine Allianz mit dem Denken vorgibt, der Unterschied zwischen scheinbar und anscheinend nicht geläufig ist. Tröstlich bleibt, daß man sich durch Nachdenken den Unterschied und damit das wirklich Gemeinte erschließen kann. Klemens Weilandt war Schulabteilungsleiter der Bezirksregierung Hannover. Kürzlich ist sein neuestes Buch erschienen (siehe auch Seite 8). Es enthält auch die Glossen, die bereits in der DEUTSCHEN SPRACHWELT erschienen sind. Klemens Weilandt: Blütenlese. Die deutsche Sprache – (k)ein Grund zur Heiterkeit, Verlag Leuenhagen & Paris, Hannover 2008, gebunden, 400 Seiten, 19,90 Euro. Bad Bank – Kurort oder Schrottplatz? A ls Durchschnittsbürger kenne ich sehr wohl Orte wie Bad Hersfeld, Bad Tölz oder Wildbad Kreuth und viele andere, doch wo, um Himmels willen, liegt Bad Bank? Und – wer soll sich dort erholen? Die Menschen etwa, die uns finanziell in den Abgrund gejagt haben und dafür Jahresboni bekamen, von denen Sie, liebe Leser, noch nicht einmal träumen? Ein Ort der Erholung für Menschen also, die nicht notleidend, sondern notbringend sind? Erholt sich etwa hier das Geld, welches sich Tag und Nacht, Monat für Monat und Jahr für Jahr für seine Besitzer abrackert, ja, geradezu bis zum Umfallen schuftet und nun wirklich einmal eine Kur nötig hat? Oder handelt es sich vielleicht um den Ort, in dem die Kriminellen ihr Geld waschen? licher Hinsicht – ebenso die Banker und Politiker, die unsere Sprache am liebsten dort sähen, wo sie auch die schlechten Kredite gerne hätten – irgendwo im Abseits, wo sie in Vergessenheit gerät. Statt sich aus dem reichen Schatz unserer Sprache Wörter auszuleihen – sie sind ohne Zins und Zinseszins zu bekommen – behandeln sie unser Vokabular wie etwas Toxisches. Sie versuchen, mit einer neuen Sprache, die keiner mehr versteht, neue Geschäfte zu machen. Verhindern wir das, schicken wir deren Sprache dahin, wohin sie gehört – ins Panoptikum des Abstrusen, meint Nun, Sie haben es längst erraten, hier handelt es sich nicht um einen Ort, sondern um eine Auffanggesellschaft, ausgesprochen „bäd bänk“, die sogenannte „faule“ oder auch „notleidende“ Kredite aufnimmt und bei sich lagert – eine Schlecht-Bank oder Wertlos-Bank also. Bei diesem Geschäft, das unsere Volkswirtschaft retten soll, gerät unsere Sprache ein weiteres Mal in ärgste Bedrängnis. Denn faul und notleidend sind nicht nur die Kredite, sondern – in sprach- Ihr Anglizismenmuffel Wolfgang Hildebrandt Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz ehrlich – Gedanken eines Anglizismenmuffels über Überflüssiges im Überfluß, ISBN 978-3-929744-33-0, 6,00 Euro (einschließlich Portokosten innerhalb Deutschlands). Bestellungen: Wolfgang Hildebrandt, Am Steingrab 20a, D-27628 Lehnstedt, Telefon +49(0)4746-1069, Telefax +49-(0)4746931432, [email protected] Von Dagmar Schmauks a – all – an – ap – be – bei – ben – beu – bin – bo – bör – bre – chen – cher – da – dams – den – der – dung – ei – ein – er – fah – fee – fel – fel – fels – flucht – fort – frei – ge – gei – gel – gel – gen – gen – gen – gen – gen – griff – heil – heu – ho – hof – hor – horch – hös – hund – ka – kaf – kle – krach – la – lei – lied – löf – lum – ma – men – miß – mit – mond – nig – or – pen – pflan – pres – punkt – rad – re – rer – sal – sam – satz – sau – schla – schleu – se – sen – spit – ster – te – tel – tel – ter – ton – trau – ver – wie – wolf – zen – zoo – zu – zung – zwei Lösungen: 1. Lumpenhund – 2. Fortpflanzung – 3. Eileiter – 4. Zugriff – 5. Mißton – 6. Spitzenhöschen – 7. Allheilmittel – 8. Hofladen – 9. Wiegenlied – 10. saugen – 11. Klebebindung – 12. Kadavergehorsam – 13. zweifelsfrei – 14. zoomen – 15. Fluchtorte – 16. Angelpunkt – 17. Bengel – 18. Kaffeesatz – 19. Horchlöffel – 20. Beutelwolf – 21. Adamsapfel – 22. Regenbogenpresse – 23. Radschlagen – 24. Heuer – 25. Börsenkrach – 26. Honigmond – 27. Geisterfahrer – 28. Einbrecher – 29. Schleudertrauma – 30. Salbei 1. Haustier in zerfetzter Kleidung – 2. verschwundene Plantage – 3. Steighilfe für Hühnerprodukte – 4. gefährliche Untiefe für die Eisenbahn – 5. preisgekrönte Töpferin – 6. erstklassiger Slip – 7. Medizin für das Universum – 8. wie der Weihnachtmann einen flachen dünnen Kuchen begrüßt – 9. Gesang beim Feststellen des Gewichts – 10. rüde Beschimpfung eines Erbfaktors – 11. stark haftende Beziehung – 12. Folgsamkeit über den Tod hinaus – 13. ohne die beiden Felsen – 14. deutsch-englischer Ausdruck für „Tierpfleger“ – 15. unflätig schimpfender Kuchen – 16. winziger Platz zum Fischfang – 17. zweitklassiger Himmelsbote – 18. Äußerung eines anregenden Getränks – 19. lauschende Besteckteile – 20. hundeartiges Raubtier mit Tragetasche – 21. Kernobst unseres Urvaters – 22. Gerät Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle für Semiotik an der Technischen Universität Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft von den Zeichen. Einladung zum Dritten Köthener Sprachtag vom 19. bis 21. Juni 2009 in Köthen/Anhalt, ausgerichtet von der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft Bitte deutlich schreiben! Anmeldung n Ich nehme am Dritten Köthener Sprachtag (19. bis 21. Juni 2009) teil und bringe ________ Personen mit. Bitte senden Sie mir die Tagungsunterlagen (endgültiges Programm, Hotelliste) zu. ___________________________________________________________ Name, Vorname _________________________________________________________________________________________ Straße _________________________________________________________________________________________ Postleitzahl und Ort _________________________________________________________________________________________ Elektronische Post _________________________________________________________________________________________ Datum und Unterschrift Schicken Sie die ausgefüllte Anmeldung bitte bis spätestens zum 31. Mai 2009 an: Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt e. V., Schloßplatz 5, D-06366 Köthen/Anhalt, Telefon und Telefax +49-(0)3496-405740, [email protected] S eit 2007 ist der jährliche Köthener Sprachtag ein wichtiger Treffpunkt für Sprachfreunde und Sprachvereine. Das Schillerjahr, die Sprachenpolitik der Europäischen Union und die Förderung des Lesens sind die Schwerpunkte des Dritten Köthener Sprachtags. Tagungsort ist voraussichtlich das Veranstaltungszentrum im Schloß Köthen, Schloßplatz 4, D-06366 Köthen/Anhalt. Der Eintritt zu sämtlichen Veranstaltungen ist frei. Das Programm enthält unter anderem folgende Beiträge: Freitag, 19. Juni Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt Köthen, Kurt-Jürgen Zander – Einführungsworte der Vorsitzenden der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft, Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg – Dr. Dr. Manfred Betz: „Die europäische Akademiebewegung unter dem Blickwinkel von Politik und Sprache“ – Michael Mühlenhort, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Klassikerwörterbuch: „Schiller als Sprichwortautor“ – „Im Zeichen des Schillerjahres“: Literarisch-musikalischer Abend mit der Schauspielerin und Schriftstellerin Blanche Kommerell, Trägerin des „Deutschen Sprachpreises 2008“. Samstag, 20. Juni Rainer Robra, Europaminister des Landes Sachsen-Anhalt: Grußwort – Volker Hoff, Europaminister a. D. des Landes Hessen: „Initiative zur Stärkung der deutschen Sprache in der EU“ – Dr. Dietrich Voslamber, Vorstandsmitglied des Vereins Deutsche Sprache: „Fallbeispiele zur Stellung der deutschen Sprache in der Europäischen Union“ – O. Univ.-Prof. Dr. Werner Pfannhauser, Vorsitzender der IG Muttersprache, Graz: „Zur Stellung des Deutschen als Wissenschaftssprache“, – Otto Stender, Vorsitzender des Vereins „MENTOR e. V.“: „Mentor Leseförderung“ – Dr. Monika Plath, Universität Erfurt: „Zur Entwicklung von Lesemotivation – Mit Kindern literarische Welten entdecken“ – Dr. Albrecht Balzer, Sprachrettungsklub Bautzen-Oberlausitz: „Politisch korrekte Sprache“. Sonntag, 21. Juni Gottesdienst in der Schloßkapelle, gehalten von Kreisoberpfarrer Dietrich Lauter, mit einer Predigt zur deutschen Sprache. Das endgültige Tagungsprogramm wird sowohl auf www.fruchtbringende-gesellschaft.de veröffentlicht als auch nach der Anmeldung zugeschickt.