Lyrikmappe Romantik und Expressionismus
Transcription
Lyrikmappe Romantik und Expressionismus
Lyrikmappe Romantik und Expressionismus Annalena Kill Carl Friedrich von Weizsäcker-Gymnasium Ratingen Karl-Mücher-Weg 2 40878 Ratingen Deutsch GK Q2 2014/2015 Herr Weigandt Abgabe Datum: 09.03.2015 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.......................................................................................................4 2. Romantik ca.1795-1840............................................................................4 a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund....................................4 b. Weltbild und Lebensauffassung..................................................5 c. Literarische Epoche der Romantik............................................6 i. Frühromantik.........................................................................6 ii. Hochromantik.........................................................................9 iii. Spätromantik.........................................................................10 d. Allgemeine literarische Motive und Themen........................10 e. Autoren und Werke.........................................................................14 i. Karoline von Günderrode..................................................14 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine Klage (1804) ..............................................................16 ii. Clemens Brentano ...............................................................17 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Spinnerin Nachtlied (1802) ...................................19 iii. Joseph von Eichendorff..................................................... 19 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das zerbrochene Ringlein (1813).................................21 f. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff....21 g. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein...........................26 3. Expressionismus ca. 1910-1925...........................................................30 a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund..................................30 b. Weltbild und Lebensauffassung.................................................32 c. Literatur..............................................................................................33 d. Erörterung: Expressionismus Heute........................................37 e. Autoren und Werke........................................................................40 i. Elisabeth Lasker-Schüler...................................................40 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues Klavier (1941) ............................................................42 ii. Georg Trakl.............................................................................43 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek (1914) ...........................................................................44 iii. Georg Heym............................................................................45 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der Stadt (1910) ..............................................................46 f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym......................47 g. Standbilder .......................................................................................54 i. Apokalypse.............................................................................55 ii. Ich-Zerfall/Deformation.....................................................56 2 h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke.............................................................................57 i. Comic........................................................................................57 ii. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke..........57 i. Ophelia – Schönheit und Tod: Die Ästhetik des Hässlichen. ........................................................................................60 4. Fazit.................................................................................................................64 Literaturverzeichnis.............................................................................................65 3 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den literarischen Epochen der Romantik und des Expressionismus, ihren Merkmalen sowie ihren Vertretern. Ich habe dabei versucht einen kreativen Ansatz zu einem doch sehr theoretischen Thema zu finden, um schwierige Sachverhalte einfacher darstellen zu können. Des Weiteren war es für mich wichtig mein Verständnis für die Lyrik zu erweitern und das Verfassen von eigenen Gedichten selbst einmal auszuprobieren. Außerdem stellten sich mir Fragen, für die ich in der folgenden Arbeit Antworten herausarbeiten möchte: Was macht die Epoche der Romantik aus und wer sind ihre Hauptvertreter? Warum sind viele Gedichte des Expressionismus so düster? Sind die Themen dieser Epochen heute noch aktuell? 2. Romantik ca.1795-1840 Die Bezeichnung „Romantik“ stammt aus dem Französischen „romant“ was „zurückführen“ bedeutet. Das Adjektiv „romantisch“ bedeutet dabei so viel wie „fantasievoll“ oder „ wunderbar“. Daraus lässt sich auch auf den Inhalt vieler Schriftstücke dieser Epoche schließen, welche sich vor allem mit traumhaften, verschönerten Realitäten beschäftigen.1 a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund Die Romantik als gesamteuropäische Bewegung ist zeitlich schwer abzugrenzen, da sie unterschiedliche Anfangs- und Endpunkte in jeder Nation besitzt. Die französische Revolution 1789 und die darauffolgenden napoleonischen Kriege waren ausschlaggebend für die Entwicklung dieser Epoche. Napoleon schaffte es bis 1815 unter anderem eine Reihe deutscher Mittelstaaten unter seine Führung zu bringen und vor allem mit dem Code Napoleón politische und soziale Strukturen in Deutschland zu modernisieren. Die Einführung des Code Napoleón oder auch Code Civil führte zu einer Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 222. 1 4 spürbaren Liberalisierung der Lebensverhältnisse, sodass das revolutionäre Gesamtkonzept im Ganzen als fortschrittlich angesehen wurde.2 Dies bedeutete konkret eine Umgestaltung des Staats- und Verwaltungsapparats, die kommunale Selbstverwaltung der Armee und des Bildungssystem, sowie Mitspracherecht für die einfachen Bürger, Gewerbefreiheit und die Befreiung der Bauern von ihren Pflichten hinsichtlich der Abgaben an die Fürsten.3 Mit der Niederlage Napoleons in Waterloo 1814, begann in Deutschland die Zeit der Restauration. Auf dem Wiener Kongress 1814/1815 wurde Klemens Fürst von Metternich, auch österreichischer Staatskanzler, gestattet die vorrevolutionäre Ordnung wiederherzustellen um Europa vor weiteren Revolutionen zu bewahren. Im Zuge dieser Politik wurde in Deutschland wieder eine monarchisch-feudale Staatsordnung hergestellt, den Fürsten und Adeligen wurden ihre Vorrechte über dem einfachen Volk zurückgegeben. Um diese Ordnung aufrechtzuerhalten, wurde auch der Deutsche Bund, ein lockerer Staatenbund, dem 35 Staaten und freie Städte angehörten, gegründet. Die Fürstentümer schlossen sich zusammen um sich vor weiteren demokratischen Bedrohungen zu schützen. Die einfache Bürgerschaft blieb somit ohne Besserung der Situation, sowie ohne Rechte.4 b. Weltbild und Lebensauffassung Verursacht durch den Code Napoleón und die kurzzeitige Verbesserung und Liberalisierung der Lebensverhältnisse erwarteten die einfachen Bürger eine Art dauerhaften sozialen Aufstieg, welcher durch die restaurative postnapoleonische Politik enttäuscht wurde. Im einfachen Volk herrschte daher eine Ablehnung gegen die Fürsten. Verschiedene Studentenbewegungen und Burschenschaften äußerten im Zuge des Vormärz ihren Unmut über die politische und gesellschaftliche Situation, so zum Beispiel auf dem Wartburgfest 1817, wo hunderte von Studenten reaktionäre Schriften ins Feuer warfen und verbrannten. Nachdem die Einschränkungen für die Opposition der restaurativen Politik immer größer wurden, wie auch in den Karlsbader Beschlüssen 1819 festgehalten wurde, vergrößerte sich der Unmut bei den Studenten stetig. Diese Freund, Winfried. Schnellkurs. Heinrich Heine. Köln. 2005. Seite 16. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011. Seite 378. 4 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 17-23. 2 3 5 Unzufriedenheit endete letztendlich in der Märzrevolution von 1848 die Einheit und Freiheit für alle Bürger forderte.5 Aufgrund der einschränkenden politischen Situation und der Repression durch die Fürstentümer begann das Individuum zur Zeit der Romantik sich in bessere, schönere, freiere Welten zu träumen, was vor allem durch die Literatur funktionierte. So lässt sich vor allem das für die Romantik typische Motiv der unerfüllbaren Sehnsucht erklären, in diesem Fall die Sehnsucht nach einem besseren, erfüllteren Leben. Des Weiteren spielte die Verbundenheit zur Natur bei diesem Eskapismus ebenso eine große Rolle, da die Natur von politischen Restriktionen ausgenommen war und man dort freien Mutes nachdenken konnte. c. Literarische Epoche der Romantik Die literarische Epoche der Romantik lässt sich in drei verschiedene Zeitfenster einteilen. i. Frühromantik Die Frühromantik, auch Jenaer Romantik genannt, ist die erste Phase der literarischen Epoche der Romantik. Der Name bezieht sich auf die Universität Jena, wo viele Schriftsteller sich, auch aufgrund der Nähe zum Zentrum der klassischen Literatur Weimar, versammelten.6 Der Anfang der Epoche orientiert sich an einer Wanderung von Ludwig Tieck und Heinrich Wackenroder im Jahre 1793, auf der sie das Mittelalter als „goldene[s] Zeitalter“ entdecken, welches es wiederherzustellen galt. Zur Zeit des Mittelalters waren Religion und Kunst, besonders der ausgeprägte Katholizismus die wichtigsten gesellschaftlichen Attribute. In der literarischen Epoche der Romantik fand das Motiv des Mittelalters als Ideal großen Anklang. Die Ruhelosigkeit, die sich aufgrund des Willens nach Veränderung breit machte, wird oft durch das Motiv des Wanderns unterstrichen. Friedrich Schlegel und Georg Friedrich von Hardenberg sind die bekanntesten Vorkämpfer und Vordenker der Romantik. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Seite 380. Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. 1999. Seite 73. 5 6 6 Georg Friedrich von Hardenberg (1772-1801), welcher seine Schrifttücke unter dem Pseudonym „Novalis“ veröffentlichte, stellte einige grundlegende poetische Thesen auf, wie die romantische Literatur aufgebaut sei. So zum Beispiel in seiner Veröffentlichung Romantisieren – Fragmente zur Poetik (1789-1800): „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“7 Das Romantisieren, die Verschönerung der Realität ist eines der Merkmale, welches sich in jedem romantischen Gedicht wiederfindet. Die Realität wird durch verschiedenste Metaphern, Bilder und Vergleiche dargestellt, dabei geht es auch darum der Realität zu entfliehen – ohne die Realität zu verleugnen, stellt der romantische Dichter sich diese schöner vor als sie ist, und gibt so den negativen Aspekten nicht die Möglichkeit an ihn heran zu treten. Er lebt in einer Art Sphäre, aus der er die Realität anders, besser, verschönert sieht als sie ist. Friedrich Schlegel, ein weiterer Vordenker der Romantik, entwickelte das Prinzip der „progressiven Universalpoesie“ unter welchem sich alle romantischen Gedichte vereinen: „Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen.“8 Friedrich Schlegel hatte somit ähnliche Ziele wie Novalis, er wollte Sachgegenstände miteinander verbinden, die normalerweise als gegensätzlich oder unverbindlich Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Berlin. 2009. Seite 325. 8 Ebd. 7 7 angenommen werden. So entstehen in der Romantik zum Beispiel Gedichte, die ganze grammatikalisch korrekte Sätze enthalten, also Prosa und Poesie miteinander verbinden. Dies lässt sich zum Beispiel am Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano (1818) erkennen: Die gesamte zweite Strophe bildet ein Satzgefüge: „Ich sing[e] und kann nicht weinen und spinne so allein den Faden klar und rein[,] solang der Mond wird scheinen“9. Natürlich gibt es noch einige Unterschiede zwischen der Prosa und der Poesie, aber genau diese Unterschiede machen die Verbindung der beiden Textarten so interessant. Des Weiteren stammt die Theorie der „romantischen Ironie“ von Friedrich Schlegel. Diese besagt, dass das Produzierende mit dem Produkt dargestellt werden soll, wobei sich außerdem die Vorgänge der Selbsterhaltung und der Selbstvernichtung stets abwechseln sollen. Praktisch angewendet hat diese Theorie Ludwig Tieck in seinem Stück Der gestiefelte Kater (1797). Der Autor verbindet verschiedene ontologische Ebenen in diesem Stück miteinander ohne den Leser vorher darauf aufmerksam zu machen. So gibt es in dem Stück drei verschiedene Ebenen mit verschiedenen Charakteren. Als erstes existiert die Ebene des Märchens mit den handelnden Personen wie zum Beispiel dem gestiefelten Kater. Dann gibt es die Ebene des Schauspiels, Schauspieler übernehmen also vor einem Publikum die Rolle der handelnden Personen des Märchens, haben aber gleichzeitig auch noch eigene Charaktereigenschaften. Die dritte Ebene, die Ebene des Stücks wird dann erreicht, wenn der Ludwig Tieck als Dichter, Schauspieler, die Schauspieler und Publikum spielen, wir als Leser existieren. Fordert nun der Dichter den Schauspieler, der die Rolle des Besänftigers spielt, dazu auf das Publikum zu besänftigen, so geht der Dichter nur auf die Rolle des Besänftigers, die Ebene des Märchens ein, die der Schauspieler in diesem Moment angenommen hat. Ob der Schauspieler mit seinen Charaktereigenschaften wirklich in der Lage ist andere Menschen zu besänftigen ist eine andere Frage. Stellt der Autor dann aber später fest, dass der Besänftiger, also die Märchenperson zu weit entfernt sei um zu helfen, so vermischt dieser noch einmal die Ebenen, da ja der Schauspieler des Besänftigers, welcher zuerst angesprochen wurde, sich direkt hinter dem Vorhang befindet und nur die Märchenperson weit entfernt ist. Das bedeutet, Ludwig Tieck stellt in seinem Stück Der gestiefelte Kater das Produzierende, also den Schauspieler, der zum Beispiel den 9 Ebd. Seite 329. 8 Besänftiger spielt, im Produkt dar und verwirrt durch das Vermischen der ontologischen Ebenen das Publikum.10 ii. Hochromantik Die Hochromantik, auch aufgrund ihres Zentrums Heidelberger Romantik genannt, rückte das volkstümliche Element der deutschen Literatur in den Vordergrund. Es sollten französische Einflüsse ausgeschlossen und das vaterländische, deutsche Kulturgut wieder hervorgehoben werden. So entstanden zu dieser Zeit Sammlungen verschiedener Volkslieder, -dichtungen und –märchen, sowie eine Reihe der Märchen der Gebrüder Grimm (Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859)). Repräsentativ für die Volksgut Sammlungen kann das Werk Des Knaben Wunderhorn (1804) von Achim von Arnim und Clemens Brentano betrachtet werden, in welchem sowohl mündlich überlieferte als auch schriftliche Dokumente und Kompositionen verschiedenster Art zu finden sind. Zur Zeit der Hochromantik nahm das literarische Schaffen neue Dimensionen an und nicht nur um Heidelberg herum konzentrierten sich literarische Gruppierungen, sondern es gab viele verschieden weitere Orte, an denen romantische Literatur geschaffen wurde. Insgesamt beschäftigte sich die Hochromantik auch mit den Themen Dekomposition, Wandel, Neuanfang sowie Kontinuität, die in vielen Schriftstücken stark ineinander verflochten sind. So werden zum Beispiel französische Einflüsse abgelegt und deutsche Einflüsse wieder hervorgehoben. Gleichzeitig werden Denkweisen aus der Frühromantik teils übernommen, teils ebenso abgelegt.11 Die Epoche der Hochromantik ist nur sehr schwer zu generalisieren, da an den verschiedensten Orten, die verschiedensten Ideen entstanden um die romantische Epoche weiterzuentwickeln. Eine Generalisierung der Merkmale würde also den Ansprüchen der Autoren nicht gerecht werden. Es lässt sich aber dennoch sagen, dass viele Schriftsteller des Zentrum Friedrisch-Schiller-Universität Jena. Philosophische Fakultät. Institut für germanistische Literaturwissenschaft. Protokoll: Christian Hanke. 11.12.2013. https://www.unijena.de/unijenamedia/Downloads/faculties/phil/germ_lit/Materialien/Matuschek/WS +13_14/11_12_13.pdf. Stand:08.03.2015. 11 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 49. 10 9 Heidelberg sich auf die oben genannte Wiederherstellung und Komposition des deutschen Volksgutes konzentrierten.12 Joseph von Eichendorff ist einer der bekanntesten Dichter, dessen Werk sich zum Teil auf die volkstümliche Art bezieht, aber zu anderem Teil auch verschiedenste Motive der Romantik in seine Werke einbrachte, wie zum Beispiel das Motiv der Sehnsucht, des Wanderns oder der Nacht. iii. Spätromantik Die Spätromantik, auch Schwäbische Romantik genannt, ist die wohl unbekannteste Phase der Romantik. In dieser Phase entstanden vor allem dichterische Werke, welche sich mit historischen Themen und Motiven befassten. Zu ihren bekanntesten Vertretern zählen Eduard Mörike und Wilhelm Hauff. Wilhelm Hauff (1802-1827) ist zum Beispiel mit Der kleine Muck als deutscher Märchendichter im Gedächtnis geblieben. Das Werk Maler Nolten von Eduard Mörike (1804-1875) entstand in Anlehnung an Goethes Bildungsroman Wilhelm Meister. Andere Werke Mörikes sind durch Elemente der Darstellung des Dämonischen schon dem Realismus zuzuordnen.13 d. Allgemeine literarische Motive und Themen Die Schriftsteller waren damals philosophisch ausgerichtet und ihre Literatur basierte auf der Klassik. In der Romantik wurden Aspekte aus der Klassik, wie auch aus der Zeit des Sturm und Drang aufgegriffen und vertieft. Dies war aus der Klassik zum Beispiel die Grundidee, dass der Mensch seinen Verstand, sowie Gefühle, künstlerisches Empfinden, sowie wissenschaftliches Denken benutzt, wobei all dies in einer ausgewogenen Harmonie stattfinden sollte. In der Romantik sollten ähnlich gegensätzliche Dinge gleichzeitig behandelt werden, die Grundidee der Klassik also vertieft werden.14 Eine Idee des Sturm und Drang, die in der Epoche der Romantik vertieft wurde, war der Naturenthusiasmus. So wie während des Sturm und Drang das Leben in und nach der Natur als Lebensideal galt, so flüchten sich viele Romantiker mit ihren Gedichten in die Idealität der Natur und versuchen ebenso eine möglichst enge Verbindung zu dieser aufzubauen. Ebd. Seite 52f.. Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 71-84. 14 Deutsche Klassik (1786-1832). http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm. Stand:08.03.2015. 12 13 10 Die Romantik war eine sehr vielschichtige Epoche: Die Themen variierten von tiefster Traurigkeit und Melancholie, einer Epoche ohne echtes Ziel, auf der ewigen Suche und getrieben von der Hoffnung des Findens bis hin zu einer ironischen, helleren Seite der Romantik. Aus der melancholischen Seite entwickelten sich vor allem Motive wie die Sehnsucht, die Unterschiede zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, die sich miteinander verbinden sollten, während sich aus der helleren Seite zum Beispiel die romantische Ironie oder unbeschwerte Volkslieder entwickelten.15 Die Beschäftigung mit sich selbst und seinem Inneren, sowie das Ausschmücken fiktiver Vorstellungen durch märchenhafte Verhältnisse und die idyllischen Bilder der Natur waren großer Bestandteil der romantischen Epoche. Dies beruht darauf, dass die gesellschaftliche Struktur die Menschen soweit einschränkte und in ihren Hoffnungen enttäuscht hatte, dass die Literatur einen Ort der Freiheit für sie darstellte. Der Eskapismus aus der Realität ist Hauptmotiv in der Epoche der Romantik. Der einfache Bürger träumte sich auf der Suche nach den Wurzeln der deutschen Geschichte und einer geregelten Ordnung und Kultur zurück in die als ideal angesehene Welt des Mittelalters.16 Aus diesen Träumen entwickelte sich ein großes Motiv der Romantik: Die Sehnsucht. Die Sehnsucht in der Romantik hatte meist kein benennbares Motiv und wenn doch so bezog sie sich auf etwas Unerreichbares, Fernes oder nicht Existentes – die romantische Sehnsucht war also unerfüllbar. Aus diesem Sehnsuchtsmotiv ergibt sich weiterführend das Motiv der ewigen Suche. Da die romantische Sehnsucht unerfüllbar ist, hat das lyrische Ich in vielen Gedichten keine Hoffnung darauf eine Lösung für das Problem oder die Sehnsucht zu finden, es sucht also ewig oft irrsinnig nach einer Lösung, ohne diese je zu erreichen. Auch das Motiv des Wanderns, welches die Ruhelosigkeit der Schriftsteller nach einer Besserung der Situation ausdrücken soll, bezieht sich auf das Motiv der unerfüllbaren Sehnsucht. Durch das Wandern wird zum einen die enge Verbindung zur Natur dargestellt, auf der anderen Seite aber auch die Unmöglichkeit der Lösungsfindung verkörpert. Die ständige Bewegung ist eines der beliebtesten Motive die ewige Suche darzustellen. Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Berlin. 2007. Seite 31. 16 Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 326. 15 11 Des Weiteren unterstreicht der Aufbau eines romantischen Gedichtes oft den Inhalt. Auch dies lässt sich auf Schlegels Universalpoesie zurückführen, da Inhalt und Aufbau bzw. äußere Form in vielen Textarten keine Verbindung zueinander haben. In der romantischen Poesie wird allerdings aus Inhalt und Aufbau eine Einheit, da zum Beispiel das Reimschema, die Kadenz oder der Klang der Vokale oft die vermittelte Grundstimmung des Inhaltes unterstreichen. Um noch einmal das oben genannte Beispiel aufzugreifen unterstreicht die Regelmäßigkeit des Kadenzwechsels und des Reimschemas im Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano (1818), den inhaltlichen Aufbau. Jeweils die Strophen zwei, vier und sechs behandeln das gleiche Thema, sowie die ungeraden Strophen eins, drei und fünf ein anderes Thema behandeln. Aus diesem Grund ist auch im Inhalt eine Wiederholung zu erkennen. Des Weiteren strahlt das Gedicht auf der einen Seite eine traurige Stimmung aus, auf der anderen Seite zeigt es auch die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einer besseren Zukunft durch die Wiederherstellung der Vergangenheit. Durch die Wiederholung beider Aspekte, also der melancholisch geprägten aktuellen Situation, sowie der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, wird diesen große Aufmerksamkeit entgegengebracht und die äußere, sich wiederholende Form unterstreicht diese repetitive inhaltliche Struktur. Ein weiteres Merkmal der romantischen Epoche ist das madische Zeitverhältnis. Dies bedeutet, dass die Vergangenheit in romantischen Gedichten oft als besser dargestellt wird als die Gegenwart. Die Gegenwart ist dabei meist traurig und unerfüllt, während die Zukunft wiederum durch eine Wiederherstellung der Vergangenheit Hoffnung auf bessere Zeiten lässt. Die Romantiker drückten ihre Sehnsucht nach einer engen Verbindung mit der Natur oft dadurch aus, dass sie viele Sachverhalte durch verschiedene Bildnisse aus der Natur beschrieben oder diese metaphorisch mit der Natur verbunden. Die Natur galt als Ideal, unveränderlich und schön und der Romantiker wollte, auf seiner ewigen Suche nach der Erfüllung der Sehnsucht und des Verlangens, oft in die Natur. So entstanden viele Gedichte, die die Schönheit und die Sehnsucht nach der Natur zum Thema hatten, wie zum Beispiel das Gedicht Sehnsucht von Joseph von Eichendorff.17 Das zentrale Symbold der Romantik ist die „blaue Blume“ von Novalis. Diese führt er in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ durch einen Traum ein. Der Protagonist 17 Siehe Gedichtanalyse Sehnsucht 12 Heinrich träumt in diesem Roman von verschiedenen, wunderlichen Orten, bis er zum Ende seines Traums an einem Berghang eine glänzende blaue Blume entdeckt. Die Beschreibungen in dem gesamten Textauszug um die blaue Blume weisen verschiedenste Merkmale der Romantik auf: die Sehnsucht nach etwas Wunderschönem, Unerreichbaren, die Lebhaftigkeit und Schönheit der Natur, sowie die Sehnsucht die Natur zu empfinden und sich mit dieser zu vereinen. Diese blaue Blume, beschrieben als breitblättrig, glänzend, lichtblau und wohlriechend, wurde zum zentralen Symbol der Romantik, da ihre Beschreibung die Merkmale der Romantik bündelt. Blaue Blumen sind in der Realität äußerst selten zu finden, das Motiv der Sehnsucht nach der idealen Natur, sowie der Vorgang des Romantisierens vereinen sich in der blauen Blume zu dem wohl bekanntesten Symbol für die Epoche der Romantik.18 Das Motiv der Nacht ist eines der beliebtesten der Romantik, da die Theorie der Romantiker wie folgt lautete: In der Nacht sei das Wesentliche zu erkennen, was der helle Tag sonst bedeckt. Diese Theorie bezieht sich vor allem darauf, dass über Tag die nicht zufriedenstellende Politik die Regeln bestimmt, bei Nacht allerdings diese Regeln nicht unbedingt einzuhalten sind, da sie niemand kontrolliert. Das bedeutet in der Nacht steht die Natur, das Wesentliche, das Ideale im Vordergrund und hat die Möglichkeit sich auszubreiten. So entstand auch die Theorie des Verschmelzens von Wirklichkeit und Traum, Himmel und Erde. Die Nacht hebt die am Tag existierenden Grenzen auf und macht das Unmögliche möglich.19 Die Synästhesie beschreibt den Vorgang der Verbindung vieler verschiedener Sinnesreize zu einem Gesamtbild. So macht der romantische Dichter oft Gebrauch davon Düfte, Gefühle, Töne und Anblicke zu vereinen, wie zum Beispiel in Eduard Mörikes Gedicht Er ist’s (1829), welches die Ankunft des Frühlings beschreibt. 18 19 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. Seite 78f.. siehe eigenes Gedicht Mondschein 13 Er ist's (1829) – Eduard Mörike 1 Frühling läßt sein blaues Band 2 wieder flattern durch die Lüfte; 3 süße, wohlbekannte Düfte 4 streifen ahnungsvoll das Land. 5 Veilchen träumen schon, 6 wollen balde kommen. 7 Horch, von fern ein leiser Harfenton! 8 Frühling, ja du bist's! 9 Dich hab ich vernommen! Dabei lässt sich in Vers 1 die bildliche, metaphorische Beschreibung des Frühlings erkennen. In Vers 3 das Reizen des Geruchssinns, in Vers 4 durch das Verb „streifen“ der Tastsinn und in Vers 7 das Gehör. Das Ansprechen aller Sinnesorgane verursacht nun beim Leser ein positives Gesamtbild des Frühlings. e. Autoren und Werke i. Karoline von Günderrode Die wahre echte Liebe ist meist eine unglückliche Erscheinung, man quält sich selbst und wird von der Welt misshandelt. – Karoline von Günderrode Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters trat sie 1797 mit 17 Jahren als Stiftsfräulein in den Cronstetten Hynspergischen Damenstift für evangelische Adelige in Frankfurt am Main ein. Dort absolvierte Günderrode ihr Studium in Philosophie und Literatur. 14 Durch lesen verschiedenster Bücher eignete sie sich ein zeitgemäßes Bildungsniveau an und erkannte bald die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft.20 Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) trat als erste große Liebe in ihr Leben ein, welche allerdings im Unglück endete, da er anstatt die hochgebildete Karoline von Günderrode lieber eine ihrer weniger gebildeten Freundinnen Gunda Brentano zur Frau nahm. Nach dieser Trennung widmete sich Günderrode vor allem dem Schreiben von Dramen, wie zum Beispiel Mora, die alle heldenhafte, starke, emanzipierte Frauen als Protagonisten hatten. Exkurs: Das Drama Mora handelt von verschiedenen Kämpfern: Carul, Frothal, Karmor und Thormod. Mora ist die Tochter des Königs Torlat und liebt Frothal. Nachdem Frothal und Mora auf der Jagd waren und nachts in einer Höhle schlafen, fordert Karmor Frothal zum Kampf um Mora auf. Allerdings tritt dabei Mora selbst zum Kampf an und stirbt dabei. Als Frothal erwacht ist Mora bereits tot und er trauert um die Königstochter. An Moras Verhalten lässt sich hier die eigenständige Frau erkennen, die Günderrode stets versuchte darzustellen und auch selbst zu sein.21 Später trat der verheiratete Philologe Friedrich Creuzer (1771-1858) in ihr Leben, doch auch dieser konnte den Liebesansprüchen Günderrodes nicht gerecht werden. In ihrem Sonett Die Malabarischen Witwen (1805-1806) betont Günderrode aufgrund ihrer gescheiterten Liebe ihr Unglück und, dass die Bereitschaft für die Liebe zu sterben, die höchste Hingabe sei.22 Günderrode nahm somit ihren Liebesschmerz zum Anlass sich am 26. Juli 1806 in Winkel am Rhein das Leben zu nehmen. Dies tat sie, indem sie sich einen Dolch ins Herz stach. Sie war in ihrem Leben durch die patriarchalische Gesellschaft so beschränkt, Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode. http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/karoline-von-guenderrode. Stand: 08.03.2015. 21 Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht. Mora Karoline von Günderode. http://nddg.de/gedicht/20635-Mora-Günderode.html. Stand: 08.03.2015. 22 Stein, Peter/Stein, Hartmut. Chronik der deutschen Literatur. Stuttgart. 2008. Seite 319. 20 15 obwohl sie ein freiheitsstrebender Mensch war, sodass sie ihr Leben nicht mehr als lebenswert betrachten konnte. Außerdem war sie durch ihre unglückliche Liebe zu Creuzer noch einmal enttäuscht worden. Dennoch hinterließ die junge Schriftstellerin weitreichenden Eindruck durch die „Radikalität und Unbedingtheit“, mit welcher sie ihre Gefühle auslebte und ihre Ziele zu erreichen versuchte.23 Günderrode wird aufgrund ihres freiheitsstrebenden Charakters und ihrer anspruchsvollen Literatur oft als „Vordenkerin der weiblichen Emanzipation“ angesehen.24 Außerdem veröffentlichte sie unter dem männlichen Pseudonym Tian zwei Gedichtsammlungen, Gedichte und Phantasien (1804) und Poetische Fragmente (1805), welche thematisch ihre Träume von einem selbstbestimmten, eigenständigen Leben und ihrem inneren Konflikt zwischen Liebe und Freiheitsdrang behandeln. Der Höhepunkt ihres dichterischen Schaffens ist das Gedicht Die Idee der Erde, in welchem sie zu dem Schluss kommt, dass Natur und Mensch um zur Perfektion zu gelangen eine Einheit bilden müssen.25 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine Klage (1804)26 Das Gedicht scheint von einer typischen Trennungssituation zu handeln. Die Autorin stellt den Schmerz dar, den eine Person nach einer Trennung verspürt und die Verzweiflung, nie wieder glücklich zu werden. Ich finde das Gedicht strahlt eine melancholische Grundstimmung aus, auch wenn es die schönen Dinge einer Beziehung ebenso wie die negativen darstellt. Dennoch überwiegt hier der Trennungsschmerz und das nächste Glück scheint fern zu sein. Das Gedicht ist somit typisch für Günderrodes Schaffen, da ihre unglücklichen Liebesbeziehungen sie letztendlich in den Tod getrieben haben. Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 74. 24 Ebd. Seite 73. 25 Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode. 26 Das Gedicht ist zu finden bei: Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 34. 23 16 i. Clemens Brentano Nur die Menschen, die vom Leben durchströmt werden, indem sie es durchströmen, sind schöne, glückliche, reine Menschen. – Clemens Brentano27 Clemens Brentano, geboren am 09. September 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz, war Sohn einer reichen Kaufmannsfamilie. Nachdem er, sowohl seine Kaufmannslehre als auch Studiengänge in Medizin sowie Kameralwissenschaft (Lehre von der Gestaltung der Staatseinkünfte), abgebrochen hatte, widmete er sich der Literatur. Er verbrachte sein Leben an vielen verschiedenen Orten. 1801 zog er nach Göttingen um mit Achim von Arnim zusammen an der Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1804) zu arbeiten. Die zwei verband eine enge Freundschaft. Ebenfalls in Göttingen, wo er eigentlich sein Medizinstudium hätte beenden sollen, wo er aber anstattdessen Freundschaften mit verschiedenen Literaten führte, entstand 1801 sein Roman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter. 1803 heiratete Brentano Sophie Mereau, welche ein Kind mit in die Ehe brachte. Die beiden hatten zwei weitere Kinder miteinander, allerdings lebte keines länger als einige wenige Woche. Sophie Mereau starb 1806. 28 Bildquelle: Spiegel Online Kultur. Clemens Brentano. http://gutenberg.spiegel.de/autor/clemens-brentano-75. Stand: 08.03.2015. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Clemens Brentano. http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=753_Clemens+Brentano&seite=6. Stand:08.03.2015. 28 Wunderlich, Dieter. Dieter Wunderlich Buchtipps und Filmtipps. Clemens Brentano (Biografie). http://www.dieterwunderlich.de/Clemens_Brentano.htm. Stand:08.03.2015. 27 17 Danach lebet er von 1804 bis 1809 in Heidelberg, wo er zusammen mit von Arnim an der „Zeitung für Einsiedler“ arbeitete, welche als „Sprachrohr der Romantik“29 gilt. Von 1809 bis 1818 lebte er überwiegend in Berlin, wo er sich ab 1815 dem Katholizismus zuwandte. Dort begann er eine Affäre mit Auguste Bußmann (17911832). Die beiden heirateten 1807, doch auch diese Beziehung währte nicht lange und 1814 wurde die Scheidung eingereicht. 1816 verliebte er sich dann in die Pastorentochter Luise Hensel, welche seine Heiratsanträge allerdings ablehnte. In den Jahren darauf geriet Brentano in eine Art Lebenskrise, in welcher er sich stark auf den katholischen Glauben konzentrierte. Dabei entstand zum Beispiel das Werk Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina Emmerick, Augustinerin des Klosters Agnetenberg zu Dülmen, nebst dem Lebensumriss dieser Begnadigten, in welchem er sich auf das Leben der oben genannten Nonne berief, die er bis in den Tod begleitet hatte, indem er täglich ihre Visionen aufschrieb und diese später zu seinem Werk zusammenfügte.30 Ab 1824 führte er ein Wanderleben mit Stationen wie Berlin, Bonn, Frankfurt, Koblenz und München. 1833 lernte er in München die Schweizer Malerin Emilie Linder (1797-1867) kennen, doch auch diese lehnte seine Heiratsanträge ab. Am 28. Juli 1842 starb Brentano in Aschaffenburg.31 Brentanos Frühwerk zeichnet sich vor allem durch die Wiederherstellung des deutschen Volksgutes aus, womit er in Zusammenarbeit mit Achim von Arnim versuchte in Deutschland ein nationalstaatliches Gemeinschaftsgefühl hervorzubringen. Sie veröffentlichten gemeinsam drei Teile der Sammlung Der Knabe des Wunderhorn, in welcher sich sowohl mündlich überlieferte, als auch aus anderen Textquellen stammende Volks-, Soldaten-, Kinderlieder, Märchen und Gedichte für jeden Anlass fanden.32 Des Weiteren entstanden während seiner Lebenskrise vor allem an den katholischen Glauben angelehnte Werke (siehe oben). Insgesamt lässt sich sagen, dass Brentano sich in seiner Literatur vor allem mit der verzweifelten Suche nach einer höheren, gottgegebenen Ordnung auseinandersetzte. Ebd. Ebd. 31 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 65ff.. 32 Kraft, Thomas. Lyrik. Ein Schnellkurs. Seite 55. 29 30 18 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Spinnerin Nachtlied (1802)33 Das Gedicht lässt sich auf den ersten Blick in drei verschiedene Handlungen einteilen. Zum einen die aktuelle Situation des lyrischen Ichs, welches traurig mitten in der Nacht einen Faden spinnt. Dann die Gedanken des lyrischen Ichs an die glückliche Vergangenheit mit einer bestimmten Person, sowie den Ausblick in die Zukunft und die Hoffnung auf Wiedervereinigung mit der vermissten Person. Das Gedicht erscheint mir auf der einen Seite als sehr melancholisch, auf der anderen Seite scheint der Ausblick in die Zukunft das lyrische Ich glücklich zu machen. Die Wiederholungen einzelner Phrasen des Gedichts verstärken diesen Eindruck. ii. Joseph von Eichendorff „Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt“ – Rüdiger Safranski von Theodor W. Adornos übernommen und ergänzt34 Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wurde am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz in Oberschlesien geboren und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Hochromantik. Von 1805 bis 1808 studierte er Philosophie und Jurisprudenz in Halle und Heidelberg. Während dieses Studiums lernte Eichendorff andere erfolgreiche und angesehene Vertreter der Romantik kennen, so zum Beispiel Achim von Arnim. Nach seinem Studium geriet Eichendorff in Wien in Kontakt mit dem Frühromantiker Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 329. Bild- und Zitatquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Joseph von Eichendorff. http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff. Stand: 08.03.2015. 33 34 19 Friedrich Schlegel unter wessen Einfluss dann auch sein erster Roman (Ahnung und Gegenwart, 1815) entstand.35 Von 1813 bis 1815 kämpfte Eichendorff in den Befreiungskriegen, er nahm unterschiedliche Stellungen im Militär ein und blieb noch bis Ende des Jahres 1815 bei den Besatzungstruppen. Erst danach kehrte er nach Breslau zurück. 1815 heiratete er Luise von Larisch, mit der er vier Kinder hatte, wovon eines allerdings mit einem Jahr starb. Als 1818 Eichendorffs Vater ablebte, wurden Großteile des Familiengutes, so wie auch das Schloss Lubowitz, verkauft. Eichendorff kam nie richtig über den Verlust seiner Kindheit hinweg. Zwischen 1816 und 1844 entfernte Eichendorff sich beruflich vom Schriftstellerischen und arbeitete als hoher preußischer Beamter in verschiedenen Ämtern. In diesem Zug musste die Familie 1831 nach Berlin umziehen. 1841 wurde Eichendorff zum Geheimen Regierungsrat ernannt. Nach weiteren Umzügen rund um den Berliner Raum und Dresden starb Joseph von Eichendorff 1857 in Neiße (Schlesien).36 Eichendorffs literarische Werke zählen zu den bedeutendsten der Hoch- und Spätromantik. Vor allem Eichendorffs Gedichte ähnelten durch ihre Schlichtheit und einfache Ausführung sehr Volksliedern, wie auch Brentano und von Arnim sie während der Hochromantik in Sammlungen zusammengestellt hatten (siehe oben). So zum Beispiel das Gedicht Neue Liebe (1837), in dem Eichendorff in einem unbeschwerten Ton sein Glück beschreibt.37 Des Weiteren ist er der Dichter, dessen Werke in großer Zahl vertont wurden. Dies geschah zum Beispiel durch Robert Schumann (1810-1856), der zu Mondnacht (1837) eine Melodie komponierte. Eichendorffs Schriftstücke befassen sich vor allem mit der Schönheit der Natur, die er durch verschiedenste Motive und Metaphern beschreibt, wobei er dabei nicht zu euphemistisch, sondern verhältnismäßig realitätsnah schreibt. Außerdem behandelt Eichendorff das Motiv der Sehnsucht und des Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 78. 36 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 83. 37 Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 32. 35 20 Trennungsschmerzes, wobei auch die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit offensichtlich wird (siehe unten).38 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das zerbrochene Ringlein (1813) Das Gedicht erscheint mir als relativ traurig, das lyrische Ich, vermutlich ein Mann, wurde von seiner Frau verlassen und sucht nun Hilfe in seiner Arbeit. Obwohl er traurig ist, hat er dennoch, so scheint es, seine Lebensfreude nicht verloren. Er möchte nun Abenteuer erleben und zum Beispiel in Schlachten ziehen und sein Leben genießen. Das Gedicht zeigt für mich sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte einer Trennung auf. b. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff Das Gedicht „Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff, entstanden im Jahre 1830/3, handelt von der unerfüllbaren Sehnsucht des lyrischen Ichs die Schönheit der Natur zu erleben. Dabei steht das lyrische Ich in einer klaren Sternennacht in der ersten Strophe am Fenster und träumt davon mit dem Postwagen mitreisen zu können, als es dessen Horn vernimmt. Die zweite Strophe handelt von zwei Gesellen, welche singend durch die Natur wandern. Ihr Gesang handelt von unterschiedlichen Naturvorkommnissen, beispielsweise von Quellen und Flüssen. Die dritte Strophe befasst sich weiterhin mit dem Wandererlied sowie weiteren Aspekten der Natur. Außerdem spricht das lyrische Ich von Palästen im Mondschein. Der Inhalt des Gedichts verliert an Realitätsnähe. Das lyrische Ich in diesem Gedicht steht in der ersten Strophe am Fenster und betrachtet sehnsüchtig die Natur. Dabei bleibt es an zwei Wanderern und ihrem Lied hängen, wobei sich die Sehnsucht nun darin zeigt mit den Wanderern zu gehen. In der dritten Strophe kommen träumerische Illusionen des lyrischen Ichs hinzu. Das Gedicht besteht aus drei Strophen a sechs Versen. Das Reimschema ist der Kreuzreim, wobei jeweils der sechste und der achte Vers jeder Strophe sich strophenübergreifend reimt. (abab-cdcd efef-gdgd –hihi-kdkd) Dies sorgt für eine gewisse Regelmäßigkeit und erinnert an den Refrain in einem Volkslied. Dies könnte eine Anlehnung an Brentano und von Arnims Volkslieder Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 78. 38 21 Sammlung sein. Außerdem verleiht die Wiederholung dem Gedicht eine beruhigende Wirkung. Das Metrum ist regelmäßig, allerdings nicht nur einem Reimschema zuzuordnen. Es handelt sich um einen zweihebigen Daktylus mit anschließendem Trochäus, wobei jeder Vers mit einem Auftakt beginnt, was die inhaltliche Sehnsucht nach Abenteuer in der Natur unterstreicht und Spannung aufbaut. Die erste Strophe des Gedichts beginnt mit verschiedenen Sinneswahrnehmungen des lyrischen Ichs, wie zum Beispiel „hör[en]“ (V.3), oder dem Beobachten der Sterne. Dabei steht es sehnsüchtig am Fenster und blickt in die Natur hinaus. (vgl. V1) Die Verwendung des Wortes „golden“ (V.1) um die Sterne zu beschreiben impliziert deren Wert für das lyrische Ich und deren wunderlichen Schimmer, der beim lyrischen Ich eine Art Bewunderung der Freiheit der Sterne, als auch der Schönheit der Natur auslöst. Außerdem ist der Stern ein Symbol für etwas Unerreichbares, Schönes, Mystisches. Der zweite Vers steht in starkem Kontrast zur natürlichen Freiheit, die in Vers 1 ausgeführt wird, da dort das lyrische Ich sein unglückliches Dasein als Gefangener beschreibt; es „stand einsam am Fenster“ (V.2). Wiederum im Gegensatz dazu steht der dritte Vers, in welchem das lyrische Ich „aus weiter Ferne“ (V.3) einen Ton eines „Posthorns“ (V. 3) vernimmt. Das lyrische Ich träumt ergo davon diese Weite selbst zu erleben anstatt hinter Glas gefangen am Fenster zu stehen. Diese unendliche, aber unerreichbare Sehnsucht wird in Vers 5 deutlich: „Das Herz mir im Leib entbr[a]nnte“ (V. 5). Die Metapher des brennenden Herzens verstärkt die Leidenschaft und die Emotionen das lyrischen Ichs. Diese Motive, die Liebe und die Leidenschaft, sowie das Motiv der unerfüllbaren Sehnsucht sind typisch für die literarische Epoche der Romantik, in welcher sich viele Schriftsteller aufgrund der unglücklichen politischen und gesellschaftlichen Situation sich in ihr Inneres flüchteten und sich als Eskapismus aus der schrecklichen Wirklichkeit mit der Idylle und Schönheit der Natur beschäftigten. Das Problem an der gesellschaftlichen Situation war die durch Napoleon und den Code Civil etablierte Hoffnung auf eine Besserung der gesellschaftlichen Ordnung, wie zum Beispiel gleiche Rechte für alle Bürger. Nach der Niederlage Napoleons und dem Ende seines Einflusses auf Deutschland aber, begann die Epoche der Restauration, Fürstentümer nahmen die Macht wieder an sich und die einst positiven Gesetze wurden wieder abgeschafft. Dies führte dazu, dass viele Bürger sich in Deutschland unwohl fühlten und versuchten durch die Literatur in eine bessere Welt zu flüchten. 22 Vers 6 impliziert die nicht vorhandene Freiheit der Gedanken. Das lyrische Ich darf nicht laut über seine Träume und Sehnsüchte sprechen, sondern muss diese „heimlich“ (V. 6) behandeln. Aus dem Verhaltensschema des lyrischen Ichs und seiner Gefangenschaft innerhalb des Hauses lässt sich schließen, dass das lyrische Ich weiblich ist. Frauen waren grundsätzlich nach dem patriarchalischen Gesellschaftsbild dem Mann untergestellt und hatten wenig Freiheiten. Auch die Gedanken des lyrischen Ichs verstärken noch einmal seine weibliche Identität. Die beiden letzten Verse der ersten Strophe bilden einen Ausruf, es liegt also ein Enjambement, ein versübergreifender Satz, vor (vgl. V. 7). Vers 7 beginnt mit einer Emphase mit seufzendem Unterton: „ Ach...!“ (V. 7), welcher die Verzweiflung und Melancholie der Frau widerspiegelt. Diese Melancholie ist auch ein Motiv der Romantik, da viele Schriftsteller sich in ihrer Lebenssituation oder Gesellschaftsordnung gefangen fühlten, da sie während der Epoche der Restauration kein Mitspracherecht mehr hatten und somit schutzlos den machthabenden Fürstentümern untergeordnet waren. Der letzte Teil des Ausrufs: „...in der prächtigen Sommernacht!“ (V.8), repräsentiert die hohe Bedeutung, die das Posthorn als Motiv der Freiheit für das lyrische Ich hat. Die Wortwahl „prächtig“ (V. 8) unterstreicht diesen Eindruck und verleiht der Natur einen hohen Stellenwert, sowie eine positive Konnotation. Den Wunsch des lyrischen Ichs an dieser Stelle seine Gefühlslage als Ausruf zu formulieren, verleiht diesem ein Maximum an Ausdruckskraft (vgl. V. 9). In der zweiten Strophe wird der Wunsch nach Freiheit nun spezifiziert und auf zwei wandernde, singende „Gesellen“ (V. 9) projiziert. Durch den Gesang der Gesellen wir nun die Schönheit und Vielfalt der Natur beschrieben, z. B. „die stille Gegend“ (V. 12) zeigt die Ruhe, die durch die Natur ausgelöst wird. Außerdem werden Felsschluchten, Wälder und Quellen positiv beschrieben (vgl. V. 13-15). Die Quellen werden durch das Verb „sich stürzen“ (V. 16) personifiziert, was den Eindruck erweckt als wären die Quellen lebendig und hätten, im Gegensatz zum lyrischen Ich, Entscheidungskraft. Im letzten Vers der Strophe werden all die vorher genannten Eindrücke mit dem Neologismus „Waldesnacht“ (V. 16) zusammengefasst. Die Zusammensetzung aus den Wörtern Wald und Nacht zeigt zum einen die Schönheit und die Sehnsucht nach der Natur und zum anderen wird durch den Wortteil Nacht eine geheimnisvolle, abenteuerliche Stimmung verursacht (vgl. V. 16). 23 Insgesamt sorgt die Häufung hier vorhandener Alliterationen für einen beruhigenden, harmonischen Klang, welcher Form und Inhalt als Ort der Erholung und Ruhe verbindet (vgl. V. 9, V. 11, V.14, V.16). Außerdem ist das Aufgreifen des Motives des Wanderns für Joseph von Eichendorff sehr typisch. Als Wanderer, so war die Einstellung zur Zeit der Romantik, war man der Natur am nächsten. Man durfte mit eigenen Augen die Perfektion des natürlichen Seins betrachten, ohne durch die gesellschaftlichen Missstände abgelenkt zu werden. In der dritten Strophe wird der Inhalt des Liedes der Wanderer wiedergegeben. Die erste Hälfte der Strophe (V. 17-19) handelt von Orten in der Natur, an denen der Mensch eingegriffen und aus natürlichen Dingen etwas Neues geschaffen hat. So geht es zum Beispiel um Marmorbilder, Gärten und Lauben als Dinge, die jeder Leser kennt und welche einfach zu verstehen sind (vgl. V. 17-19). Durch diese einfachen Begriffe wird noch einmal die Volkstümlichkeit des Gedichtes hervorgehoben: Es soll für jeden zugänglich und verständlich sein und auch wenn man sich nicht eingehend mit den Themen der Romantik beschäftigt hat, ist es einfach zu verstehen. Vers 20 dient als Zusammenfassung der vorangegangenen Aspekte in der Natur. Diese fasst das lyrische Ich für sich unter dem Begriff „Pal[a]st[ ] im Mondenschein“ (V. 20) zusammen. Dieser Vergleich der Natur mit einem Palast verdeutlicht die Sehnsucht, aber gleichzeitig auch die Unerreichbarkeit der Natur für das lyrische Ich. Im zweiten Teil der Strophe findet nun ein Perspektivenwechsel von der IchPerspektive zum Erzähler/Sprecher der 3. Person statt. Dies lässt das Gedicht universeller/allgemeiner wirken, so als könnte sich jeder mit dem lyrischen Ich und seinen Sehnsüchtigen identifizieren und als wäre die Situation übertragbar auf jede andere Person (vgl. V. 21). Nach dem Perspektivenwechsel werden nun mehrere Mädchen beschrieben wie sie am Fenster stehen. Das Aufgreifen der Anfangsthematik stellt einen umrahmenden Rückbezug her und erzeugt die Geschlossenheit des Gedichtes in sich (vgl. V. 2, 21). Auch der Aspekt des Geräusches, dieses Mal von einer Laute, welches die Freiheit der außenliegenden Welt und der Natur verkörpert, wiederholt sich und verstärkt so noch einmal das anfangs entstandene Bild des melancholisch sehnsüchtigen lyrischen Ichs (vgl. V. 22). 24 Außerdem lässt sich erkennen, dass die gesamte dritte Strophe ein einziger Satz ist. Dies stellt die Verbindung des lyrischen Ichs zur Natur dar. Obwohl diese nicht offensichtlich zu erkennen ist, sind das lyrische Ich und die Natur durch die Sehnsucht verbunden. Die Intention des Autors war mit diesem Gedicht die unerfüllbare Sehnsucht der Menschen nach der Natur bzw. der in der Natur verkörperten/vorhandenen Schönheit und Ruhe zu beschreiben. Der Titel „Sehnsucht“ impliziert hier schon den Wunsch nach etwas, das unerreichbar ist. Das Sehnsuchtsmotiv fand vor allem in der Romantik häufige Verwendung, da die Bevölkerung sich aufgrund der unveränderbaren gesellschaftlichen Zustände nach innen kehrte und sich durch die Literatur in die Idylle und Ruhe der Natur flüchtete. Oft waren die Sehnsüchte der damaligen Zeit so unerreichbar wie hier die Natur und das Abenteuer für das am Fenster stehende Mädchen, welches aufgrund der patriarchalischen Familienstruktur das Haus nicht verlassen durfte. Die adressierte Bevölkerungsgruppe ist in diesem Fall die gesamte Bevölkerung, da sich jeder mit dem Gefühl der Sehnsucht nach etwas identifizieren kann, während der Romantik eben besonders mit der Sehnsucht nach Ruhe und Natur. Außerdem wird besonders die weibliche Bevölkerung durch das lyrische Ich angesprochen, da diese sich mit der exakten Situation des Mädchens auseinandersetzen musste. Dass eine Frau das lyrische Ich eines Gedichtes darstellt, war vor der Epoche der Romantik undenkbar, doch genau durch diese Veränderungen bekamen auch Frauen zur Zeit der Romantik den Zugang zur Literatur. Des Weiteren trugen sogenannte Salons, wie der von Rahel Varnhagen von Else, in welchen Frauen ihre Literatur austauschen konnten, dazu bei vielen Frauen die Literatur näher zu bringen.39 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der Schönheit der Natur durch verschiedene sprachliche und stilistische Mittel sowie den Inhalt ausgedrückt und vertieft wird. Besonders die genauen Beschreibungen der natürlichen Begebenheiten tragen dazu bei. Das Gedicht erscheint mir mit seiner Thematik perfekt in die Epoche der Romantik zu passen. Außerdem finde ich, dass durch die Identifikation mit dem lyrischen Ich sowie 39 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 77. 25 durch den Perspektivenwechsel ein Spannungsbogen bis zum Ende des Gedichts entsteht. Auch auf die heutige Zeit lässt sich die Thematik der Sehnsucht projizieren, zum Beispiel auf die Sehnsucht nach Erholung oder eben auch auf die Sehnsucht nach der Natur, welche im Zeitalter der großen Ballungszentren und Städte wieder zugenommen hat. Aus diesem Grund empfinde ich dieses Gedicht als durchaus immer noch aktuell und die Behandlung im Deutsch-unterricht sinnvoll. c. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein (Annalena Kill, 2015) Mondschein 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Es war so warm, es war so klar, Die Sterne glitzten wunderbar. Es war so still, als alles schlief, Nur aus der Fern’ ein Keuzchen rief. Es war so magisch, war so schön, Mit ihm umschlungen da zu steh’n. Es war so fein, als er mich fragte, Als eine Sternschnupp’ vom Himmel jagte Es war so perfekt die Nacht, In der er hat es nun vollbracht. Es war mein Traum sein’ Frau zu sein, Für immer wie hier im Mondschein. Fast hätte ich den Sonnenaufgang versäumt, So wunderbar hab ich geträumt. Das vorliegende Gedicht, habe ich, Annalena Kill, im Jahre 2015, selbst geschrieben um einige Merkmale der Romantik einmal selbst anzuwenden. Dabei habe ich mich auf das Nachtmotiv der Romantik bezogen, die Nacht war in der Romantik die Zeit, in der die festen, klaren Regeln und Umrisse sich auflösten und Erde und Himmel, Wirklichkeit und Traum fließend ineinander übergingen. Demnach sind in der Nacht der Fantasie keine Grenzen gesetzt, die Natur als Idealbild in der Romantik erscheint als geheimnisvoll und wunderbar. Das Gedicht befasst sich mit einem weiblichen lyrischen-Ich, welches von der besonderen Nacht berichtet, in der ihr Freund oder Mann ihr einen Heiratsantrag macht. Das Gedicht besteht aus nur einer Strophe zu 14 Versen. Das Reimschema ist der Paarreim, wobei dieser an einer Stelle eine Assonanz aufweist (vgl. V. 5,6). Die Wörter 26 „schön“ (V.5) und „steh’n“ (V.6) reimen sich nur unrein, sie haben zwar einen ähnlichen Klang, weisen aber nicht die gleichen Vokale auf. Außerdem muss festgestellt werden, dass ein Paarreim zum einen durch den Reim und zum anderen durch die inhaltliche Verbundenheit als eine Einheit wahrzunehmen ist. Jedes Paar bildet nämlich gleichzeitig auch ein Enjambement, einen versübergreifenden Satz (vgl. V1f.). Das Metrum ist der vier-hebige Jambus, welcher einen regelmäßigen Rhythmus in das Gedicht bringt. Dieser ist allerdings an einigen Stellen unterbrochen, wie in Vers 8 und 13. In Vers 8 liegen zwei aufeinanderfolgende Jamben vor, darauf folgt ein Anapäst und noch ein Jambus, welcher allerdings dann mit einem Auftakt auf einer weiblichen Kadenz endet. Diese Unterbrechung des regelmäßigen Metrums unterstreicht hier den Inhalt. Eine Sternschnuppe ist ein seltenes, plötzliches und faszinierendes Naturphänomen, dem besondere Aufmerksamkeit zugesprochen wird. In Vers 13 ist eine weitere Unterbrechung des Metrums zu erkennen, dort folgt auf den vier-hebigen Trochäus noch ein Anapäst. Auch in diesem Fall unterstreicht die Unterbrechung die Gefühle die durch den Inhalt vermittelt werden. Das lyrische-Ich schreckt hoch und stellt mit Entsetzen fest, dass es „fast [...] den Sonnenaufgang versäumt“ (V. 13) habe. Dieser plötzliche Gefühlwandel der ruhigen, entspannten Atmosphäre wird durch das Aufschrecken unterbrochen, so wird auch das regelmäßige Metrum an dieser Stelle unterbrochen. Die Verse des Gedichts enden normalerweise auf eine männliche Kadenz, wobei es auch dort einige Unterbrechungen gibt. Diese sind in Vers 7 und 8 vorzufinden. Vers 7 und 8 bilden die Mitte des Gedichts und nur in diesen Versen geht wirklich eine Handlung von Personen vor. Das lyrische Ich erfährt in diesen zwei Versen seinen lang ersehnten Traum, welcher noch längere Nachwirkungen haben wird. Um den Moment als etwas länger anhaltend darzustellen, wird hier die weibliche Kadenz verwendet, da diese dem Vers den Eindruck verleiht als würde er ausklingen (vgl. V. 7f.). Das Gedicht beginnt mit einer Exposition (V. 1-4) der nächtlichen Begebenheiten, in denen sich die Handlung abspielt. Die Verwendung der Adjektive „warm“ (V.1), „klar“ (V.1), „still“ (V.3) betonen die angenehme, geheimnisvolle Situation in der Nacht. Das Glitzern der Sterne, kann hier als bildhafte Beschreibung für die knisternde Spannung stehen, die zwischen dem lyrischen Ich und seinem Begleiter besteht. Der Ruf des Keuzchens (V. 4) steht dabei für die Nähe zur Natur, die vor allem romantische 27 Dichter oft suchten. Es entsteht der Eindruck als stände das lyrische Ich als eine Einheit mit der Natur im Wald und als genösse es die geheimnisvolle, ruhige Atmosphäre der Nacht. Des Weiteren lässt sich am Gebrauch überwiegend hell klingender Vokale in den ersten 4 Versen eine positive Grundstimmung erkennen. Es stehen insgesamt circa 24 helle Vokale circa sieben dunklen Vokalen gegenüber. Die Stimmung ist von Hoffnung und positiver, aufregender Spannung geprägt. Vers 5-8 beschreiben dann die tatsächliche Situation, in der das lyrische Ich und sein Partner erst gemeinsam die Natur genießen, bis sie dann einen Heiratsantrag bekommt. Die Situation ist durch das Verbinden von magischen Symbolen und der Realität euphemistisch dargestellt. Die magischen Symbole sind hier die Sternschnuppe die „vom Himmel jagte“ (V. 8), da es höchst unwahrscheinlich ist, dass genau in dem Moment eine Sternschnuppe vom Himmel kommt. Allerdings wird dadurch die Ekstase, die Freude und das Glück ausgedrückt, welche das Paar in der Situation verspürt. Des Weiteren wird der Zustand selbst als „magisch“ (V.5) bezeichnet, was dazu führt, dass auch der Leser sich in einen träumerischen Zustand versetzt fühlt. Der Leser hat die Möglichkeit sich auf dem Gerüst der Informationen, die im Gedicht gegeben werden, seine eigene Illusion und Vorstellung der Situation aufzubauen. Die Anapher „als er mich fragte,/als eine Sternschnuppe vom Himmel jagte“ (V. 7f.) deutet auf die Gleichzeitigkeit der Vorgänge hin, wodurch die Handlung beschleunigt wird. Die Wortwahl „umschlungen“ (V.7) um die beiden Personen zu beschreiben zeigt ihre enge Verbundenheit zur Natur auf. Umschlingen ist ein biologischer Vorgang von Schlingpflanzen, welcher auf der einen Seite eine negative Konnotation hat, welche aber auf der anderen Seite durch die Schönheit der Situation hier entkräftet wird. Dass der Mann die Frau in diesem Moment umschlungen in den Armen hält, deutet daraufhin, dass die zwei eine unzertrennliche Einheit bilden und der Mann dem lyrischen-Ich Schutz bietet. Der nächste inhaltliche Abschnitt (V. 9-12) zeigt, wie das lyrische-Ich über die vorhergegangene Handlung denkt. Es betont seinen Unglauben und die Faszination durch die Betonung „so perfekt“(V.9) bei der Beschreibung der Nacht. Daraufhin spricht das lyrische Ich davon, dass ein lang ersehnter „Traum“ (V.11) „nun vollbracht“ (V.10) ist. Das heißt das Motiv der Sehnsucht, welche normalerweise in der Epoche der 28 Romantik kein Motiv und keinen Erfolg hat wird hier erfüllt. Im Gegensatz zu den typisch romantischen Gedichten scheint hier die Sehnsucht erfüllt zu sein. Das lyrische Ich beteuert außerdem, dass es „im Mondschein“ (V.12) die Frau des Mannes sein will, wodurch die Wichtigkeit und die Außergewöhnlichkeit des Nachtmotives klar wird. Der Leser hat hier noch einmal die Möglichkeit über die Beziehung des lyrischen-Ichs nachzudenken: Vielleicht ist die Nacht die einzige Möglichkeit für diese Beziehung um zu existieren. Nur im Geheimen, wenn gegensätzliche, bzw. eigentlich abgegrenzte Dinge miteinander zu einer Einheit verschmelzen können, kann die Beziehung zwischen Mann und Frau bestehen. Bezieht man dies nun auf den allgemeinen historischen Kontext der Epoche der Romantik, so lässt sich erkennen, dass die Ständegesellschaft oft Beziehungen zwischen Ständen verbat und demnach einige geheime Beziehungen stattfanden, wie zum Beispiel auch in dem Drama „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, in welchem die bürgerliche Luise Miller und der adelige Ferdinand versuchten eine Liebesbeziehung zu führen, welche letztendlich im Tod der beiden endete. Demnach geht aus dem Gedicht „Mondschein“ nicht hervor, ob das Liebespaar auch in der Öffentlichkeit gemeinsam auftreten kann, oder ob dies nur durch die Verschleierung der Wahrheit der Nacht möglich ist. Der letzte Teil des Gedichts (V.13-14) rundet die Handlung dann ab, indem die Nacht durch den Sonnenaufgang beendet wird und somit auch die Träume des lyrischen Ichs. Es gibt nun zwei verschiedene Möglichkeiten das Ende zu interpretieren. Zum einen könnte die Handlung, die das lyrische Ich vorher beschreibt wirklich passiert sein und es setzt die Handlung mit dem letzten Vers einem Traum gleich. Das lyrische Ich verbindet also Traum und Realität miteinander, wie es nach der progressiven Universalpoesie nach Friedrich Schlegel in romantischen Gedichten der Fall ist. Zum anderen könnte man die letzten beiden Verse so interpretieren, dass das lyrische Ich aus einem Traum erwacht und die vorher beschriebene Handlung nur im Traum geschieht, es also mit den letzten beiden Versen in die Realität zurückkehrt. An dieser Stelle bleibt es dem Leser überlassen, in welche Richtung er die Handlung interpretieren möchte. Der Gebrauch rhetorischer Mittel zieht sich durch das gesamte Gedicht. Die Wiederholung des Satzanfangs „Es war...“ ist sowohl als Anapher als auch als Parallelismus zu erkennen. Diese Wiederholung zeigt, dass das lyrische Ich immer 29 wieder von neuen Eindrücken angetan ist, die es in möglichst einfacher und deutlicher Form dem Leser zu vermitteln versucht. Außerdem bewirkt dieser Satzanfang eine Art Wiedererkennungswert, der Leser gewöhnt sich an diese kurzen Unterbrechungen des Handlungsverlaufs. Meine Intention mit diesem Gedicht war es, wie oben schon genannt, selbst auszuprobieren wie man mit verschiedenen Motiven, Themen und Merkmalen der Romantik umgehen könnte und wie diese sich hinterher zu einem großen Bild miteinander verbinden. Ich fand es spannend zu erleben, wie schwer es tatsächlich ist zuerst einmal ein relativ regelmäßiges Metrum in ein Gedicht einzubringen und damit gleichzeitig noch eine zusammenhängende, sich reimende Geschichte oder Handlung zu beschreiben. b. Expressionismus ca. 1910-1925 Der Begriff „Expressionismus“ leitet sich aus dem Lateinischen „expremere“ ab, welches sich aus den Wortteilen „ex“ = aus, heraus, weg und „premere“ = drücken, pressen, zusammensetzt. Im übertragenen Sinne bedeutet es dann Ausdruckskunst.40 a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 unter Kaiser Wilhelm II und im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich Deutschland bis 1914 zu einer der führenden Wirtschaftskräfte. Dies ist unter anderem zurückzuführen auf Kaiser Wilhelms Ansicht, dass Deutschland ein „Platz an der Sonne“ gebühre und es diesen vor allem durch die Kolonialpolitik erreichen könne. Auch trugen eine niedrige Arbeitslosenquote und eine Wohlstandsvermehrung in großen Teilen der Bevölkerung zu diesem wirtschaftlichen Wohlstand bei. Das Obrigkeitssystem im wilhelminischen Kaiserreich wurde von Großgrundbesitzern und der höheren Beamtenschaft regiert. Großteile des einfachen Volkes waren diesen angesehenen Autoritäten unterstellt. Außerdem verfolgte Kaiser Wilhelm II eine nationalistische Außenpolitik, Deutschland sollte als eine Einheit wahrgenommen werden. Im Zuge dessen wurde auch eine imperialistische Wirtschaftspolitik durchgeführt, wozu auch eine starke und umfassende Aufrüstung gehörte. Die Spannungen innerhalb Europas erreichten ihren Höhepunkt als am 28. Juni Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 228. 40 30 1914 beim Attentat von Sarajewo Franz Ferdinand, der Thronfolger von ÖsterreichUngarn, erschossen wurde. Dies brachte die Situation zum Eskalieren, sodass Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte. Durch verschiedenste Bündnisse waren zahlreiche andere Nationen wie auch Deutschland in den Krieg miteinbezogen. Mit dem Kriegsbeginn 1914 machte sich in Deutschland eine große Kriegsbegeisterung breit, welche vor allem durch die vorherige Aufrüstung und Militarisierung der gesamten Gesellschaft ausgelöst wurde. Auch in der Bevölkerung machte sich so das Gefühl breit, dass die politischen Spannungen in Europa nicht mehr auf rechtlichem Wege, sondern nur durch Gewalt gelöst werden könnten. Im ersten Weltkrieg standen sich somit Deutschland und sein verbündeter Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und Frankreich, England und Russland, das sogenannte Triple Entente, gegenüber. Das Ziel des Triple Entente Bündnisses war die politische Isolation Deutschlands. Deutschland war somit von Feinden umzingelt und konnte auf keine Hilfe mehr hoffen. 1915 etablierte sich der Stellungskrieg oder Grabenkrieg, da die Kämpfe an den Fronten zu ausgeglichen waren. Diese Kriegsart forderte, auch aufgrund der technischen Fortschritte und Massenvernichtungswaffen Millionen von Menschenleben. Durch die Nachrichten des langsamen Vorankommens der deutschen Truppen und der vielen Toten, machte sich in Deutschland ab 1916 Kriegsmüdigkeit bemerkbar. Deutschland befand sich in einer militärischen Pattsituation und der Krieg war aussichtslos. Im Jahre 1917 traten die Vereinigten Staaten Amerikas in den Krieg ein mit dem Ziel diesen schnellstmöglich zu beenden. Parallel entbrannte in Russland die Oktoberrevolution, die die Regierung stürzte woraufhin die kommunistischen Bolschewiki die Macht ergriffen. Dies war der Beginn des späteren „Ostblocks“, sowie dem lang andauernden Ost-West Konflikt. Mit dem Kriegseintritt der USA und dem bedingungslosen U-Boot Krieg gegen Deutschland, gewannen Deutschlands Feinde bald die Überhand und der Krieg endete im November 1918. Danach wurde Europa vor allem durch den Friedensvertrag von Versaille 1919 neu strukturiert. Für Deutschland begann eine Phase strikter Überwachung durch die Siegesmächte und schwerer Auflagen, wie zum Beispiel hoher Reparaturzahlungen, Rüstungsverbot und Gebietsabtretungen. Auch wurde die in Deutschland durch die Weimarer Republik neu etablierte Demokratie von großen Teilen der Bevölkerung strikt abgelehnt. Der deutsche Bürger sehnte sich nach einer klaren Gesellschaftsordnung wie sie unter Kaiser Wilhelm II zu finden 31 gewesen war. Außerdem trugen die psychologisch schlechte Verfassung der Nation, die die alleinige Kriegsschuld zu tragen hatte, die Weltwirtschaftskrise 1929 sowie die politisch gespaltene Bevölkerung dazu bei, dass die Weimarer Republik bald vom Hoffnung und strikte Organisation ausstrahlenden Nationalsozialismus abgelöst wurde.41 b. Weltbild und Lebensauffassung Die deutsche Bevölkerung litt zu Beginn der Epoche des Expressionismus stark unter der wilhelminischen Gesellschaft, welche nur zwischen Adelig und Nicht-Adelig unterschied, nicht aber das Individuum in der Gesellschaft anerkannte. Der Autor Heinrich Mann greift dieses Problem in seinem Roman Der Untertan auf, Diederich Heßling der Sohn eines Papierfabrikanten, verehrt den Kaiser so sehr, dass er dafür sogar seine Flitterwochen abbricht um für den Kaiser nach Rom zu reisen, wobei er nur einer von Millionen von Menschen ist, die dem Kaiser dort zujubeln. Für den Kaiser existiert die Gesellschaft als eine große Masse, die er regiert. Dem Individuum, der individuellen „Seele“ eines Menschen schenkt er dabei keine Beachtung. Nach dem Krieg, durch den viele Menschen sowohl materielle als auch familiäre Verluste verzeichnen mussten, machte sich in Deutschland ein Antikriegsgefühl breit. Im Nachhinein stellte man fest, dass der Krieg die gesellschaftliche Situation nicht verbessert hatte. Die Weimarer Republik als neues politisches und gesellschaftliches Modell wurde von vielen abgelehnt, da sie ebenfalls Neuerungen und Veränderungen forderte, die die Menschen noch nicht bereit waren zu verarbeiten. Insgesamt zeichnet sich die Nachkriegszeit durch eine melancholische, pessimistische Grundstimmung aus. Die apokalyptische Grundstimmung zur Zeit des Expressionismus hatte verschiedene Gründe. Zum einen wurde diese durch das Erscheinen des Kometen Halley 1910, sowie den Untergang der Titanic 1912 und den Kriegsbeginn 1914 ausgelöst.42 GK Geschichte Siegel Unterrichtsmaterialien. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011. 41 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 1324. 42 32 Exkurs: Der Komet Halley ist ein alle 74-79 Jahre wiederkehrender Komet. Er ist einer der wenigsten Kometen, die gut mit bloßem Auge zu erkennen sind. Die Angst der Menschen bestand 1910 darin, dass man kurz vor der Berührung mit der Erde feststellte, dass der Komet giftige Gase absonderte. Heute weiß man, dass die geringe Menge, die der Komet an Giftgasen in sich trägt das menschliche Leben nicht beeinflusst.43 Zum anderen stand man den Neuerungen in Technik, Transport und Kommunikation im Zuge der Industrialisierung skeptisch gegenüber, die Auffassung war, dass etwas Neues nur dann entstehen kann, wenn das Alte zugrunde ginge. Der Untergang der Titanic, als das damals modernste Schiff, schien für viele die Bestätigung dieser Theorie zu sein.. Des Weiteren war die Bevölkerung mit den Neuerungen überfordert, Großstädte sprießten aus dem Boden, die Massenproduktion wurde eingeführt. Viele Menschen waren orientierungslos innerhalb der neuen, technisierten Welt und wollten ihre alten Werte nicht aufgeben. Außerdem war auch die Urbanisierung ein neues Phänomen für die Gesellschaft. Großstädte wie Berlin, München oder Wien wuchsen in rasantem Tempo, da durch die Industrialisierung die Arbeitsplätze vom Land in die Stadt verlagert wurden, wo der Bedarf an Arbeitern durch die Großindustrie und die riesigen Produktionshallen wuchs. Dabei wurde den Arbeitern oft bewusst, wie ersetzbar sie waren und, dass ständig die Gefahr drohte in der Gesellschaft abzurutschen. c. Literatur Die Literatur diente im Expressionismus als Experimentierfeld um oft viele Gefühle auf einmal auszudrücken, die Gesellschaft zu kritisieren oder die Aufmerksamkeit auf bestimmte Missstände zu lenken. Planet Wissen. Halleyscher Komet – Wanderer durch die Zeiten. https://www.planetwissen.de/natur_technik/weltall/kometen/halleyscher_komet.jsp. Stand:08.03.2015. 43 33 Themen während des Expressionismus waren oft Leidensthemen wie Tod, Abschied, Monotonie, Großstadt und Krieg, die subjektive Wahrnehmung eines Einzelnen oder Überhöhung des Realen. Die Literatur des Frühexpressionismus äußerte besonders vor Kriegsausbruch den Wunsch nach radikaler gesellschaftlicher Veränderung, trotz oder wegen des wachsenden, allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstandes durch die Industrialisierung. Besonders für Schriftsteller war es während der wilhelminischen Zeit ein Problem, dass das Individuum, die eigene „Seele“ in der Masse der Gesellschaft unterging. Der wachsende Wohlstand durch die Industrialisierung erzeugte aber gleichzeitig Verwirrung und Orientierungslosigkeit in den Köpfen der Menschen, da diese mit den vielen Neuerungen im technischen Bereich, sowohl als auch mit neuen Produktionsabläufen in der Massenproduktion überfordert waren. Nach dem Kriegsausbruch wurde offensichtlich, dass der Krieg allein durch die neuen technischen Möglichkeiten hinsichtlich der Bewaffnung unendlich viele Menschenleben fordern würde, so schwang während des Kriegs die Stimmung um und der Krieg wurde eher als sinnloses, gewaltsames Unheil angesehen, welches dann Motiv vieler literarischer Schriftstücke wurde. Nach der Kriegsniederlage war, in den Augen der Expressionisten, eine Menschheitserneuerung notwendig um eine bessere, gesunde Gesellschaft zu schaffen, die dann eine neue Welt schaffen könne. Durch ihre Literatur versuchten die Schriftsteller auf die Missstände aufmerksam zu machen und so den Mensch dazu anzuregen sich zu verändern. Auch die literarischen Merkmale des Expressionismus spiegeln Gefühle wie Ernüchterung, Orientierungslosigkeit und Verzweiflung und Hass wider. Im Zuge dieser Gefühle bricht der Expressionismus mit den bisher verfolgten Idealen der Lyrik. Literarische Merkmale dieser Epoche sind vor allem: Die Strukturarmut expressionistischer Gedichte unterstreicht die Orientierungslosigkeit der Menschen. Dazu trug vor allem eine Variation der gebräuchlichen Syntax und Grammatik bei. Die Lyrik des Expressionismus zeichnet sich durch einen Bruch mit den üblichen Regeln aus, Telegrammstil und Sprachverknappung, das Weglassen von Artikeln oder Füllwörtern, sowie der Gebrauch von Ellipsen sind dafür typisch. 34 Parataktische Einheiten, wie ganze Sätze oder Satzgefüge zerfallen in Einzelstücke, sodass der Leser unterschiedlichste Brocken einer Situation wahrnimmt, die er dann selbst zusammensetzten muss. Dabei zerfällt oft im Zuge der Ästhetik des Hässlichen das Schöne ins Kranke, Abstoßende, Ekelige, um die Folgen einer kaputten, vom Krieg gezeichneten Gesellschaft aufzuzeigen. Des Weiteren soll diese Aufsplitterung eines Elements in seine Einzelteile die Unfähigkeit der Menschen beschreiben verschiedene Eindrücke zu einem großen Bild zusammenzusetzen. Dieses Merkmal nennt sich Dissoziation. Zwar sind die Einzelteile erkennbar, aber das Bewusstsein über die Zusammenhänge geht verloren. Ein weiteres großes Thema zur Zeit des Expressionismus war der Ich-Zerfall, sowohl psychischer als auch physischer Art. Der körperliche Zerfall einer Person, der oft mit Kriegsfolgen einherging wird im Expressionismus zum ersten Mal Thema in der Lyrik. So finden sich häufig Darstellungen des Peinlichen und Hässlichen, Tabuthemen, wie Krebserkrankungen, Wahnsinnige oder deformierte Menschen. Dies lässt sich oft in Verbindung mit dem Großstadtmotiv wiederfinden, wobei meist die Armut, das Elend und Leid in den Großstädten aufgegriffen wurde. Der Ich-Zerfall im psychischen Sinn ist auch mit der Entfremdung von sich selbst zu vergleichen. In einer großen Stadt geht das Individuum verloren, es existiert ausschließlich die Gesellschaft und deren Charaktereigenschaften, auch wenn diese oft nicht mit den Werten und Anschauungen des Individuums übereinstimmen. 44 Dieser Zerfall einer Person lässt sich exemplarisch an Kafkas Erzählung Die Verwandlung bei Gregor Samsa beobachten. Der fleißige Tuchhändler findet sich eines Tages in der Gestalt eines Käfers in seinem Bett wieder. Aufgrund seines Käferdaseins verliert er immer weiter die Beziehung zu seiner Familie, er verwandelt sich vom Geliebten zur Bedrohung im eigenen Hause und stirbt letztendlich an einer Verletzung, die sein Vater ihm mit einem faulen Apfel zufügte. 45 Gregor wird unfreiwillig in die Gestalt eines Käfers verwandelt. Er kann mit dem gesellschaftlichen Druck, der auf ihm lastet, nicht umgehen und die Verwandlung ist das Stadium der Entfremdung Gregors von sich selbst, bevor er letztendlich jedes Merkmal Weigandt, Tim-Julian. Kennzeichen expressionistischer Lyrik. Ratingen. 2015. Kafka, Franz. Franz Kafka: Die Verwandlung Brief an den Vater Weitere Werke. Braunschweig. 2003. 44 45 35 seines Individuums verliert und stirbt. Die Entfremdung, die hier bei Kafka durch die Gestalt des Käfers stattfindet, fand bei vielen Menschen zur Zeit des Expressionismus aufgrund des zunehmenden Leistungsdruckes statt. Dieser stieg aufgrund der Industrialisierung und der im Zuge dieser eingeführten Massenproduktion. Der Arbeiter wurde ersetzbar, da die Arbeitslosigkeit hoch war und die Qualifikationsansprüche niedrig. Der Arbeiter wurde zu einer Maschine umfunktioniert. Erbrachte er seine Leistungen nicht, so wurde er ersetzt, wurde nicht mehr bezahlt und war somit zur Obdachlosigkeit gezwungen. Die stetige Angst entlassen zu werden und kein Gehalt mehr zu erhalten endete in einer Dehumanisierung der Gesellschaft. Jeder dachte an seinen eigenen Vorteil, anstatt gesellschaftlich zu denken. Die Gewinner der Industrialisierung ignorierten die Missstände, die diese simultan schuf. Aufgrund der vielen technischen Neuerungen und den Veränderungen der Gesellschaftsstruktur während und nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Menschen mit neuen Eindrücken, Gefühlen und Gedanken überhäuft, welche sie dann möglichst gleichzeitig in der Literatur darstellten. Die Simultaneität ist dabei ein Symbol für die Dynamik im Expressionismus. Satzteile mit unterschiedlichem, zusammenhanglosen Inhalt werden wahllos aneinandergereiht um möglichst viele Eindrücke, Gefühle und Gedanken gleichzeitig darstellen zu können. So wird deutlich, dass der Autor in seiner Orientierungslosigkeit und Verwirrung in der neuen Situation nicht mehr in der Lage ist die einzelnen Eindrücke auseinanderzuhalten und zu einem großen Gesamteindruck zu ordnen. Außerdem wurde der Wille nach Veränderung durch die Dynamisierung der Sprache ausgedrückt. Eine Vielzahl an Verben der Bewegung deuten auf die verschiedensten Gefühle der Schriftsteller hin, welche in unterschiedlicher Art und Weise verfolgt wurden.46 Die Vielseitigkeit des Expressionismus: Die oben genannten Merkmale des Expressionismus beziehen sich auf die Interessen und Merkmale, die bei den meisten expressionistischen Schriftstellern zu finden sind, allerdings gibt es eine weitere Strömung den „messianischen Expressionismus“, dessen Anhänger die Welt verbessern wollten. Diese Strömung ist wohl eine der 46 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 30. 36 unbekanntesten und ihre Anhänger, wie zum Beispiel Franz Werfel (1890-1945) oder Walter Hasenclever (1890-1940), beschäftigten sich mit Themen wie Brüderlichkeit und Gemeinschaft der Menschen. Sie strebten nach „Menschlichkeit, Güte, Gerechtigkeit, Kameradschaft [und] Menschenliebe aller zu allen“. Auch wenn diese Strömung heutzutage weniger bekannt ist, so war sie zur Zeit des Expressionismus umso wichtiger - in Pinthus’ Sammlung47war ein Großteil ihrer Gedicht vertreten.48 d. Erörterung: Expressionismus Heute Im Zuge dieser Arbeit, habe ich mir die Frage gestellt, ob der Expressionismus auch auf die heutige Gesellschaft übertragbar ist. Oft ist die Rede davon, dass Literatur veraltet und man da „sowieso nix mehr mit am Hut hat“, ich sehe das anders. Der Expressionismus, die Probleme und die Motive, die die Menschen damals hatten, die sie dazu verleiteten ihre Literatur so zu gestalten wie sie es taten, sind topaktuell. Während der Industrialisierung und der Einführung der Massenproduktion, brach plötzlich ein Kampf zwischen Mensch und Maschine aus. Maschinen waren kostengünstiger und hatten keine begrenzten Arbeitszeiten oder gar Urlaub. Sie waren rund um die Uhr verfügbar und hatten im Vergleich zu Lohnkosten sehr niedrige Wartungskosten. Der menschliche Arbeiter allerdings, er hatte den Vorteil, dass er denken konnte, identifizieren konnte, wenn es ein Problem gab und dieses melden. Die Arbeitslosigkeit stieg mit der Einführung von Maschinen, sie übernahmen einfache Jobs, die sonst unqualifizierte Niedriglohnarbeiter ausführten. Ohne Qualifikation, hatte man damals versagt. Auch heute noch stellt sich jeder beim Erlernen einer Arbeit die Frage: Wie lange werde ich dieser Arbeit ausführen können? Ist sie zukunftssicher? Werde ich damit genug Geld verdienen um meine Familie zu ernähren? Maschinen und Menschen stehen heute noch im Konkurrenzkampf um jeden einzelnen Arbeitsplatz. Auch heute noch sind Menschen in ihrer Arbeit ersetzbar, entweder eine Maschine wird den Arbeitsplatz übernehmen, oder es gibt eben noch viele andere menschliche Bewerber Kurt Pinthus (geb. 1886), war einer der Vermittler und Vorkämpfer des Expressionismus in Deutschland. Er entdecke verschieden begabte Schriftsteller und verhalf diesen durch Publikationen in den Zeitungen für die er arbeitete zum Erfolg. Viele weitere Publikationen sind auf ihn zurückzuführen. Quelle: Munzinger Archiv GmbH. Biografien. Kurt Pinthus. https://www.munzinger.de/search/portrait/Kurt+Pinthus/0/8924.html, Stand: 06.03.2015. 48 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Berlin. 1999. Seite 27. 47 37 auf die Arbeitsstelle. Ja, heutzutage gibt es Kündigungsfristen und soziale Sicherheit, doch im großen und ganzen spielt das Problem des Expressionismus Arbeit zu finden und nicht ersetzbar zu sein auch heute noch eine wichtige Rolle. In einigen Gedichten des Expressionismus, so zum Beispiel in „Die Vorstadt“ von Georg Heym, wird eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die Armen, Kranken, Leidenden stereotypisch dargestellt. Sie tragen „Lumpenzeuge“ (V.7), leben in einem Kellerloch, haben wenig zu essen und riechen unangenehm (vgl. Die Vorstadt, Georg Heym). Diese stereotypische, überzogene Darstellung soll hier Aufmerksamkeit auf die Missstände in der Gesellschaft lenken. Auch heute existieren noch viele Vorurteile und stereotypisch denkende Menschen – für mich sind das die Missstände unserer heutigen Gesellschaft. Anstatt, dass freundlich, offen und neugierig miteinander umgegangen wird, bringen Menschen sich gegenseitig oft bestimmte Vorurteile gegenüber. Im Zuge der Globalisierung, so heißt es, würden sich die Menschen mehr und öfter mit anderen Kulturen auseinandersetzen, doch genau das Gegenteil ist der Effekt. Lieber hält man an seiner eigenen Kultur fest und beschimpft, ja verachtete alles „Andersartige“, die Stereotype nehmen zu und auch die Vorurteile gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel den Muslimen. Eine kleine Gruppe terroristischer Islamisten sorgt dafür, dass ganz Deutschland in Aufruhr gerät und Ausländerfeindlichkeit wieder Medienthema Nummer 1 ist. Da fragt man sich doch – in welchem Jahrhundert leben wir? Im 21. Jahrhundert, in dem internationale Arbeitsteilung, Geschäftsreisen ins Ausland und Auslandspraktika an der Tagesordnung sind oder etwa doch im 20. Jahrhundert wo Stereotype gegenüber anderen Menschen sie ihr Leben kosteten? Nun gut: Fakt ist Stereotype gibt es und sowohl zur Zeit des Expressionismus als auch heute noch werden sie zum Abschrecken vor bestimmten Bevölkerungsgruppen verwendet, sei es in der Literatur oder im täglichen Leben. Rücksichtslosigkeit und Machtliebe waren zur Zeit der Großindustrie in Deutschland an der Tagesordnung. Wie konnte man seine Konkurrenz auf dem Markt ausschalten? Damals und auch heute: durch den günstigsten Preis und gute Qualität. Wie erreicht man als Unternehmer diese beiden Ziele? Zur Zeit des Expressionismus noch öfter als heute hatten Geschäftsführer keine Gnade mit ihren Arbeitern, entweder man war fit und hat schnell genug und effizient gearbeitet, oder man wurde gefeuert und ersetzt. 38 Des Weiteren existierten für die Gewinner, die Unternehmen, die Armen, Leidenden nicht. Die Industrialisierung war für sie ein Segen und so auch die hunderttausende von Arbeitern, die sie wahlweise in ihrer Fabrik einsetzten und zum Teil ruinieren konnten. Auch heute noch entwickeln sich Geschäftsführer, wenn es darum geht Profit für das Unternehmen einzuheimsen, zu rücksichtslosen, hinterhältigen Tieren. Die Entmenschlichung, die Rücksichtslosigkeit und das einzige Ziel des Geld Gewinnens spielt auch in der heutigen Gesellschaft eine unverzichtbare Rolle. Wer bis ganz nach oben will muss sich oft gegen andere Konkurrenten durchsetzen, klar entscheiden welche Firma als Kooperationspartner geeignet ist und bei welcher Lösung am meisten für das Unternehmen abspringt. Dabei werden oft Dinge wie soziale Lage der Arbeiter oder die familiäre Situation nicht beachtet. Sie beantragen Elternschutz – „Oh nein, das geht leider nicht, besser entlasse ich sie und hol mir, im Zweifelsfall sogar günstigeren, Ersatz“. SO schnell sitzt man auch heutzutage trotz sozialem Netz und Sozialstaat Deutschland auf der Straße oder steht ohne Einkommen da. Einzuschränken ist dieses Bild in der Hinsicht, dass viele Unternehmen durch politische Maßnahmen gezwungen sind, sich mit den Folgen ihres Handelns auseinanderzusetzen und Arbeiter nicht ohne Existenzgrundlage verkümmern zu lassen. Doch auch diese Rechte und Gesetze existieren nur in Deutschland, nicht aber jedoch in den Produktionsländern wie China oder Teilen Afrikas. In diesen Ländern nämlich herrschen exakt dieselben Zustände wie in Deutschland zur Zeit des Expressionismus. Neue Großstädte entwickeln sich, wie zum Beispiel Mumbai in Indien, Slums, Barracken, findet man direkt Insgesamt lässt sich also erkennen, dass der Expressionismus, oder die Probleme, die dieser anspricht und die Mittel mit denen die Schriftsteller arbeiteten, auch in der heutigen Gesellschaft noch existieren. Stereotypische Darstellungen kennt jedermann aus dem Alltag, die Angst plötzlich entlassen zu werden, ersetzbar zu sein plagt jeden Arbeiter und ja, auch die großen Firmenbosse sind heute nicht weniger rücksichtslos als damals. Auch wenn die Literatur und ihre Gegenstände sich seit der Zeit des Expressionismus verändert haben, so sind die offensichtlichen, gesellschaftlichen Probleme simultan. 39 e. Autoren und Werke i. Elisabeth Lasker-Schüler „Der Mensch, das sonderbare Wesen, mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in den Sternen.“ ―Else Lasker-Schüler49 „Else“ Lasker-Schüler wurde 1869 in Elberfeld, einem heutigen Stadtteil von Wuppertal, als jüngste von 6 Kindern einer jüdischen Familie geboren. Mit 4 Jahren konnte Else bereits lesen und schreiben. In der Schule, welche sie mit 11 Jahren verließ, galt sie als Außenseiterin. Daraufhin bekam sie zu Hause Privatunterricht. 1895 heiratete sie Arzt Berthold Lasker und zog mit diesem nach Berlin um. Dort ermöglichte er ihr eine Ausbildung als Malerin zu machen. Lasker war auch der Vater ihres Kindes Paul (geboren 1899), obwohl Else zu diesem Zeitpunkt schon tief in eine andere Gesellschaft die „Neue Gemeinschaft“, eine Gruppe von Künstlern, eingetreten war. Allerdings hielt diese Ehe nicht lange und 1903 ließ das Paar sich scheiden. Verursacht wurde dies durch ihren neuen Freundeskreis von exzentrischen Künstlern. Im selben Jahr schloss Lasker-Schüler eine neue Ehe mit dem 10 Jahre jüngeren Georg Lewin. Dieser veröffentlichte unter dem Pseudonym Herwarth Walden Kompositionen, hielt Vorträge und Lesungen und passte somit deutlich besser in LaskerSchülers Lebensbild. Allerdings trennte sich Walden 1912 von ihr um eine Schwedin, Nell Roslund, zu heiraten. Ohne Einkommen stieß Lasker-Schüler auf harte finanzielle Probleme. Nur durch die Unterstützung ihrer Freunde der „Neuen Gemeinschaft“ konnte sie sich über Wasser halten. Als sie 1912 Gottfried Benn traf, Deutschland Lese. Ein Projekt des Bertuch Verlags Weimar und des Trägerwerk Soziale Dienste. Bildquelle: http://www.deutschlandlese.de/files_deutschland_lese/elselaskersch__ler_1907.jpg. Stand: 07.03.2015. Gute Zitate. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995. Stand:07.03.2015. 49 40 entwickelte sich mit ihm eine kurze Liebesbeziehung, die dann in einer intensiven Freundschaft endete und wodurch Else Lasker-Schüler zu vielen Liebesgedichten angeregt wurde. Als 1927 ihr Sohn Paul starb verfiel Lasker-Schüler in eine tiefe Krise. Von den wenigen Bildern, die sie als Künstlerin verkaufte, konnte sie kaum leben und mit dem Aufstieg des Nazi Regimes in Deutschland musste Else Lasker-Schüler 1933 in die Schweiz fliehen. Doch auch dort wurde sie nach sechs Jahren Aufenthalt ausgewiesen und zog mit 70 Jahren nach Palästina, wo sie 1945 verarmt und vereinsamt starb. 50 Ihre ersten Gedichtsammlungen veröffentliche Else Lasker-Schüler rund um die Jahrhundertwende. Dazu zählen zum Beispiel Styx (1902), welches allerdings von Kritikern abgelehnt wurde. Lasker-Schüler ließ sich nicht entmutigen und veröffentlichte einige weitere Werke, darunter ein weiterer Gedichtband mit dem Titel Meine Wunder (1911), mit dem sie als expressionistische Dichterin bekannt wurde. Ihr wichtigstes Werk ist der Gedichtband Hebräische Balladen (1913), in welchem besonders Else Lasker-Schülers eigener Stil im Expressionismus klar wird. Sie lebte in der Welt, die sie sich durch ihre Gedichte schuf. Viele ihrer Gedichte spielen daher im Orient oder an anderen weit entfernten Fantasieorten. Des Weiteren erkennt man in diesem Band die Themen, mit denen sich Lasker-Schüler hauptsächlich befasste: Liebeslyrik und biblische Gedichte und Gebete. Dabei wird dem Leser ihr tiefer eigener Glaube deutlich. 1908 veröffentlichte sie ihr erstes Drama Die Wupper, in welchem ihr Vater eine tragende Rolle spielte. Ein weiteres Drama, welches sie allerdings nie fertigstellte, entstand als eine Fortsetzung von Goethes Faust. IchundIch, wurde wegen seiner Handlung, in welcher Mephisto und Faust aus der Hölle heraus den Aufbau des Naziregimes beobachten und Mephisto anerkennt, dass das Böse nicht unterstützt werden darf bis, dass Deutschland unter Hitler in Flammen aufgeht, kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite wurde Lasker-Schüler als Prophetin angesehen, da sie wusste, was in der Zukunft passieren würde, andererseits dachten viele Leute sie wäre Wunderlich, Dieter. Hintergrundinformationen zu Buchtipps und Filmtipps von Dieter Wunderlich. http://www.dieterwunderlich.de/Lasker_Schuler.htm, Stand: 06.03.2015. Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Hollfeld. 2008. Seite 38ff. 50 41 wahnsinnig geworden. Das Stück wurde bis 1969 nicht komplett veröffentlicht und erst 1979 aufgeführt. 51 Insgesamt war Lasker-Schüler in ihrem Leben eher einsam und arm und lebte daher in der Traumwelt, die sie sich durch ihre Gedichte erschuf. Sie ist die wohl bedeutendste expressionistische Dichterin. 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues Klavier (1941)52 Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht eine traurige Stimmung beim Leser. Das blaue Klavier, welches eigentlich Hoffnungsmotiv ist, scheint das lyrische Ich traurig zu machen, da es kein Klavier spielen kann. Das Klavier scheint etwas verlorenes Schönes darzustellen, was nun nur noch Schmerzen beim lyrischen Ich auslöst, da es das Schöne nie zurückerlangen wird. In der letzten Strophe scheint das lyrische Ich den Tod, bzw. die Aufnahme ins Himmelreich zu erbitten. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl. http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Schüler. Stand: 07.03.2015. Lasker-Schüler. Ich und Ich. Der Spiegel 29. 1961. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43365055.html. Stand: 07.03.2015. 52 Skrodzki, Karl Jürgen. Homepage. Else Lasker-Schüler Mein blaues Klavier. http://www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_024.htm. Stand: 08.03.2015. 51 42 ii. Georg Trakl „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“ – Georg Trakl53 Georg Trakl wurde am 03. Februar 1887 in Salzburg geboren und wuchs als fünftes von sieben Kindern bei seiner Familie in Salzburg auf. Die Familiensituation war, aufgrund seiner drogenabhängigen Mutter kompliziert. Die Erziehung der Kinder übernahm eine Gouvernante, Marie Boring, wodurch Trakl schön früh mit französischer Literatur in Berührung kam. In der Familie nahm seine Schwester Margarethe eine Sonderstellung ein. Trakl hatte zu ihr eine inzestuöse Beziehung, er sah das perfekte weibliche Gegenstück zu sich selbst in ihr. Trakl besuchte das humanistische Staatsgymnasium in Salzburg, welches er allerdings aufgrund seiner mangelhaften Leistungen ohne Abschluss verließ und eine Ausbildung zum Apotheker begann. Schon während seiner Zeit im Gymnasium 1904 startete Trakl erste literarische Versuche. Während seiner Ausbildung gelangte er problemlos an Rauschmittel, mit denen er erste Drogenexperimente durchführte. Als seine 1906 veröffentlichten Theaterstücke Totentag und Fata Morgana keinen Erfolg hatte, verbrannte er seine Arbeit und trat in eine literarische Schaffenspause ein. Die Misserfolge erhöhten seinen Drogenkonsum, doch als er 1907 ein Pharmaziestudium in Wien begann, schien sich die Zukunft zu verbessern. Nach dem Tod seines Vater 1910 geriet die Familie in finanzielle Schwierigkeiten und Trakls Psyche, durch Drogenexzesse, die unbeständige Zitate.eu. Georg Trakl. www.zitate.eu/de/autor/5268/georg-trakl. Stand:08.03.2015. Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl. 53 43 Beziehung zu seiner Schwester und extreme Geldnot, wurde immer instabiler. Während des Studiums veröffentlichte er weitere Werke, die auch außerhalb Salzburgs veröffentlicht wurden wie zum Beispiel Andacht oder Vollendung im Neuen Wiener Journal. Nach dem Abschluss seines Pharmaziestudiums meldete er sich als einjähriger Freiwilliger zum Militärdienst. In diesem Zug wurde er nach Galizien versetzt, wo er zum Teil 100 Schwerverletzte allein versorgen musste. Im Militärlazarett entstand sein wohl bekanntestes Gedicht Grodek (1914), welches vom Leiden und dem Tod dort berichtet. Durch seine traumatischen Kriegserfahrungen und einen Nervenzusammenbruch wurde er selbst zum Kriegsopfer und starb am 03. November 1914 an einer Überdosis Kokain im Krankenhaus.54 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek (1914)55 Das Gedicht beschreibt sehr düster und mit vielen bildlichen Umschreibungen den Tod, Verletzte und insgesamt die Kriegssituation, besonders die Situation in den Lazaretten. Die Anrufe an Gott scheinen Zorn auszudrücken darüber, dass Gott die Massenmorde zulässt. Die Farbe rot soll hier mit Sicherheit für vergossenes Blut stehen, wobei es noch einmal den Eindruck, dass es um Verletzte geht, verstärkt. Der letzte Vers lässt den Leser mit einem Schock allein, dass nicht nur die Soldaten im Krieg gefallen sind, sondern noch viele potenzielle Kinder mehr. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Trakl. Stand:07.03.2015. Die Lyrik Georg Trakls anhand exemplarischer Beispiele. Georg Trakl Biographie. http://www.georgtrakl.de/georg-trakl-biographie.html. Stand:08.03.2015. 55 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Seite 26. 54 44 iii. Georg Heym „Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben“- Georg Heym56 Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg (Schlesien) als Sohn des Staats- und späteren Reichsmilitärstaatsanwalts Hermann Heym geboren. Er hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester namens Gertrud. Aufgrund der Arbeit seines Vaters musste Heym in seiner Kindheit oft umziehen. In seiner Schulzeit musste er aufgrund von mangelhafter Noten und schlechten Benehmens die Schule wechseln, bis er 1907 sein Abitur erhielt. Bereits 1899, mit 15 Jahren begann Heym erste literarische Werke zu schaffen. Auf den dringenden Wunsch seines Vaters hin begann er 1907 ein Jura Studium, welches er in Berlin, Jena und Würzburg absolvierte. 1910 tritt Heym in den „Neuen Club“ in Berlin ein, wo er verschiedenste Schriftsteller kennenlernt, die ihn inspirierten und zu seinem eigenen Stil führten. Nachdem er aufgrund von Fehlverhalten von seinem Jurastudium suspendiert wird, denkt er zwiespältig über seinen weiteren Lebensweg nach und bewirbt sich sowohl für eine Offizierslaufbahn als auch für ein Chinesisch Studium. Als Heym Hildegard Krohn im Sommer 1911 kennenlernte, widmete er einige seiner Gedichte. Am 16. Januar 1912 Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Heym. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Aphorismen.de. www.aphorismen.de/suche?f_autor=1742_Georg+Heym. Stand:07.03.2015. 56 45 ertrank er in der Havel bei dem Versuch jemanden nach einem Schlittschuhunfall zu retten. Georg Heym gilt trotz seins kurzen Lebens als einer der wichtigsten Vertreter des Frühexpressionismus. Sein erster Gedichtband Der ewige Tag (1911) gilt als das erste bedeutende Werk des lyrischen Expressionismus. Viele seiner Werke entstanden in Anlehnung an französische Dichter wie zum Beispiel Arthur Rimbaud (1854-1891) oder Charles Baudelaire (1821-1867). Seine Prosatexte lehnen sich noch an die Symbolik der Neuromantik, er übernimmt die Themen des übernatürlichen und exotischen. So zum Beispiel in seiner Prosa Die Athener Ausfahrt, welche von der Absurdität der menschlichen Existenz handelt.57 In seinen Gedichten beschäftigt sich Heym vor allem mit dem Großstadtmotiv, Krieg und Gefühlen der Angst. Er beschreibt zum Teil detailliert Untergangsszenarien, aber auch biblische Motive finden in seiner Lyrik Verwendung. Insgesamt hinterließ er rund 500 Gedichte und lyrische Entwürfe, sowie Prosastücke und wenige dramatische Arbeiten.58 Das oben genannte Zitat Heyms spiegelt seine eigene Situation wider. Er fühlte sich von seiner Familie, besonders von seinem Vater unverstanden und hegte schon früh Selbstmordgedanken. In Menschen mit ebenso „zerrissenem Herzen“ sah er quasi Verbündete mit ähnlichen Problemen.59 1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der Stadt (1910)60 Das Gedicht handelt von einer Großstadt und ihrem Herrscher, welcher ein düsteres Verhältnis zu seiner Stadt hat. Der Gott ist erzürnt über die Zustände, was beim Leser ein Gefühl des Unbehagens auslöst. Auf der anderen Seite scheint der Gott von den Abgasen der Fabriken, die er mit Weihrauch vergleicht angetan zu sein. Außerdem wird Lebendiges Museum Online. Georg Heym. https://www.dhm.de/lemo/biografie/georg-heym. Stand:08.03.2015. dibb.de. Biografien. Georg Heym. http://dibb.de/georg-heym.php. Stand:08.03.2015. 58 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. 59 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 50. 60 Lyrikwelt. Gedichte. Georg Heym. http://www.lyrikwelt.de/gedichte/heymgeorgg1.htm. Stand:08.03.2015. 57 46 die Macht deutlich, die der Gott über die Stadt hat, indem er in der letzten Strophe einfach eine Gasse in Flammen aufgehen lässt. Das Thema ist hier eindeutig die Großstadt und dabei vor allem die Auswirkungen der Industrialisierung. f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym Das Gedicht „Die Vorstadt“ von Georg Heym, erschienen im Jahr 1910, handelt vom unüberwindlichen Elend in der Großstadt. Das Gedicht behandelt verschiedene Schicksale von Menschen, die unter der Großstadt leiden oder deren Leid in der Großstadt gründet. Dabei werden viele Einzelschicksale repräsentativ für das Gesamtelend dargestellt. Die Handlungen und Situationen werden von einem Außenstehenden detailliert dargestellt. Zuerst werden die äußerlichen Zustände beschrieben, in welchen sich die Handlung des Gedichtes abspielt (vgl. V. 1-4). In der zweiten Strophe geht es um verschiedene Personen („sie“ V.5) und ihre körperliche Verfassung und ihre inakzeptable Lebenssituation in Lumpen (vgl. V. 7). Daraufhin geht es um einen Behinderten mit amputierten Armen, einen lallenden Irren und einen alten Mann. Die nächste Strophe handelt von bettelnden, verkrüppelten Kindern sowie einem Blinden und einem Bettler, die versuchen sich in einem Kellerloch von Dreck oder Müll zu ernähren. Außerdem werden ältere Frauen und ihre elenden, abgemagerten Kinder dargestellt. Noch einmal wird das Bild des Blinden aufgegriffen, allerdings diesmal in Verbindung mit einem Lahmen, welcher zu einem französischen Revolutionslied tanzt. Die letzte Strophe zeigt einen Hoffnungsschimmer, welcher aber letztendlich nicht überwiegen kann. Das vorliegende Gedicht besteht aus acht Strophen, wobei dies im Gegensatz zum Original um drei Strophen gekürzt wurde. Jeder der Strophen besteht aus vier Versen von denen sich im umarmenden Reim jeweils der erste und der letzte, sowie die beiden mittleren reimen (abba-cddc usw.). Das Metrum ist der 5-hebige Jambus, auch Blankvers genannt. Dieser strahlt eine gleichmäßige Ruhe aus und gibt dem Leser ein Gefühl von Harmonie, welches hier in totalem Gegensatz zum Chaos des Inhalts des Gedichtes steht. 47 Die Kadenz ist bis zur 4. Strophe durchgehend männlich. Klar und deutlich werden die Tatsachen des Elends ohne Beschönigung, eher mit Dramatisierungen beschrieben. Ab der 4. Strophe haben jeweils der erste und der letzte Vers einer Strophe eine männliche Kadenz und die beiden mittleren eine weibliche. Dies führt zu einem weichen, wohlklingenden Klang, der Leser bekommt das Gefühl, dass die beiden inneren Verse durch die äußeren geschützt und abgeschottet bleiben. Die 7. Strophe ist eine Ausnahme hinsichtlich der Kadenz, da die gesamte Strophe auf eine weibliche Silbe endet. Inhaltlich lässt sich dies auf den musikspielenden Leierkasten und die Kastagnette beziehen, welche auch einen melodischen Klang besitzen. Der Inhalt wird hier durch die Form unterstützt (vgl. V. 21ff.). Der Titel „Die Vorstadt“ lässt die Meinung des Autors außen vor und gibt dem Leser die Möglichkeit sich selbst Gedanken über diesen Ort zu machen. Wenn man sich allerdings einmal mit Georg Heym beschäftigt hat, weiß man, dass er der Großstadt sehr skeptisch gegenüberstand und die Armut, das Elend, Hunger und Krankheit in seinen Werken oft unbeschönigt darstellte. Kennt man ihn allerdings als Autor nicht, hat man die Möglichkeit sich auch mit den schönen Aspekten der Großstadt, den erfolgreichen Unternehmen und der Forschung und Entwicklung zu beschäftigen, welche durchaus Nervenkitzel und positive Spannung auslösen. Diese Vorstellungen werden allerdings direkt im ersten Vers zunichte gemacht und es wird klar, dass der Autor sich mit der Schattenseite der Vorstadt auseinandersetzt. Der Neologismus „Gassenkot“ (V.1) impliziert die miserable Situation in den ärmeren Vierteln der Vorstadt und die schlechten sanitären Bedingungen, er zeigt, dass die schlechten Einflüsse der Großstadt sich sogar auf die weiter außen liegenden Bezirke ausweitet. Das Wort scheint alles auf den Punkt zu bringen, was man sich unter Dreck, Müll oder sogar Abwässern in einer dunklen Gasse vorstellen könnte. Zu diesen sowieso schon unangenehmen Eindrücken kommt eine gruselige Gesamtstimmung hinzu, welche durch den Mond ausgelöst wird, welcher hier als „Schädel, weiß und tot“ (V. 4) charakterisiert wird. Die „Dünste“ (V.2) stehen vermutlich für Wolken am Nachthimmel, allerdings intensiviert die Wortwahl noch einmal die ungeheure Gesamtstimmung. Des Weiteren könnte man sich in der heutigen Zeit vorstellen, dass Dünste wie zum Beispiel der Smog in asiatischen Großstädten gemeint ist, also industrielle Abgase, welche die sonst klare Nachtluft verpesten. 48 Der Mond als Lichtquelle schafft es kaum die Stadt zu erleuchten und gegen die Dünste als Symbol für die Industrie und Fabriken anzukämpfen, die Naturgewalten verlieren ihre Kraft und geraten vollkommen in den Hintergrund (vgl V. 2ff). Dies lässt sich auch sehr gut auf den Epochenwandel von der Romantik zum Expressionismus beziehen, die Romantik beschäftigte sich intensiv mit der Natur und ihrer Schönheit, während diese im Expressionismus aus dem Themenbereich verdrängt wird. Andere gesellschaftliche Themen und die Konfrontation des Lesers mit den Missständen spielen im Expressionismus eine größere Rolle. Der 3. Vers, welcher sich auf den zweiten zurückbezieht, ergänzt das negative Bild der großstädtischen Umwelt. Der Himmel wird als „nieder“ (V.3) und der Mond als „sinkend“ (V.3) bezeichnet, womit die gesamte Natur in dieser Strophe degradiert und noch einmal deutlicher als zerstört dargestellt wird. Der letzte Vers der ersten Strophe vervollständigt das gruselige, kalte Bild des Mondes indem er als „ungeheurer Schädel“ (V.4) bezeichnet wird. Die Ergänzung „weiß und tot“ (V.4) verstärkt hier den Eindruck des Leidens und des Elendes in der Großstadt. Der Mond, welcher normalerweise in der Nacht als Lichtquelle funktioniert wird hier dramatisiert und repräsentiert als toter Schädel den Charakter der Großstadt, den der Autor hier vermittelt. Insgesamt verkörpert die erste Strophe durch die Häufung der Vokale o und ü eine negative, beklagenswerte Stimmung. Die zweite bis sechste Strophe bezieht sich auf jeweils unterschiedliche Personen, die stark vom Elend der Großstadt betroffen sind. Die zweite Strophe bezieht sich auf eine Personengruppe, die mit „sie“ (V. 5) angesprochen wird. Das Bild der „Warme[n] Sommernacht“ (V.5), welches normalerweise eine positive Konnotation trägt wird in den nächsten Versen widerlegt. Der Autor arbeitet gezielt mit diesen Bildern, zu denen sich der Leser selbstständig Gedanken machen kann und leitet ihn absichtlich in eine falsche Richtung, sodass die Realität, die der Autor beschreibt an Dramatik gewinnt und dieser Eindruck durch den starken Kontrast noch einmal verstärkt wird. Die Sommernacht wird aus diesem Grund dann mit „Höhlen“ (V. 6) und der „schwarzen Unterwelt“ (V.6) in Verbindung gebracht. Die Unterwelt könnte, übertragen auf die heutige Zeit, das U-Bahn Linien Netz sein, welches in jeder Großstadt vorzufinden ist und wo man oft auch Bettler oder Straßenmusikanten auffindet. Eine andere Hypothese für die Funktion dieser Beschreibung, welche besser in das Zeitalter des Expressionismus passt., wäre, dass mit der schwarzen Unterwelt die Straßen und 49 Gassen gemeint sind, welche im Schatten der Hochhäuser liegen und niemals ans Licht gelangen. Auch könnte man es auf die Personen beziehen, von denen in dieser Strophe die Rede ist, diese gelten als „Unterwelt“, weil niemand sie sehen und akzeptieren will, sondern sie als Symbole des Elend ignoriert werden. In diesem Milieu leben Personen gekleidet „im Lumpenzeuge“ (V.7), ein Neologismus, der auf die zerrissene, dreckige Kleidung der Menschen hinweist. Eine Steigerung dieses Bildes wird durch die Ergänzung „das vor Staub zerfällt“ (V. 7) erzielt. In Vers 8 wird der Höhepunkt dieser Klimax erreicht, als „aufgeblähte Leiber“ (V. 8) unter der Kleidung zum Vorschein kommen. Eine derartige Klimax erzeugt im Leser zuerst ein Entsetzen, welches der Autor dann versucht beizubehalten und sogar noch zu verstärken. Dieses Entsetzen, oder auch das Bild, welches die beschriebenen Extremzustände im Kopf des Lesers erzeugen, bleiben ihm noch lange in Erinnerung. Ein aufgeblähter Bauch ist dabei ein Symptom, welches bei akutem Eiweißmangel, also absoluter Mangelernährung, auftritt. Die Grundbedürfnisse dieser Personengruppe, dem allgemeinen „sie“ (V.5), werden nicht gestillt. Somit kann Strophe 2 als allgemeines Bild der Deformation des Menschen interpretiert werden. Strophe 3 setzt sich mit weiteren Merkmalen der Großstadt auseinander. Die wiederholte Ortsangabe „hier“ (V.9 und 10) dient als eine Art Aufzählung der verschiedenen Dinge, die an diesem Ort geschehen. Das „zahnlos“ (V. 9) „klaff[ende] Maul“ (V.9) und die Armstümpfe in Vers 10 verdeutlichen den menschlichen Zerfall in der Großstadt. Auch das Adjektiv „schwarz“ (V. 10) in Bezug auf die verkrüppelten Arme löst beim Leser Ekel aus. Eventuell wird mit diesem Bild eine Seuche dargestellt werden, bei der die Haut verödet wie zum Beispiel Lepra. Dies erinnert noch einmal an die schlechte medizinische Versorgung und die unhygienischen Lebensbedingungen, welche um die Jahrhundertwende in den Ballungszentren auftreten. Die letzten beiden Verse der dritten Strophe beziehen sich repräsentativ auf zwei verschiedene Bevölkerungsgruppen. In Vers 11 wird Bezug auf einen lallenden Irren genommen, in Vers 12 auf einen Greis, dessen Haare sich weiß färben, was auf seinen Alterungsprozess hinweist (vgl. V11f.). Auch diese beiden Individuen sind Außenseiter der Gesellschaft. Alkohol war für viele inmitten des harten Arbeiterlebens der einzige Fluchtweg in eine andere, zumindest vorübergehend bessere Welt. Auch der 50 Alterungsprozess wird durch die viele Arbeit und die damals herrschenden schlechten Sicherheitsbedingungen beschleunigt. Oft standen also die positiven Aspekte in direktem Zusammenhang mit den negativen, denn es waren die Fabriken, die nicht darauf achteten welche und wie viele Gase ihre Arbeiter einatmeten. Starb jemand oder fiel er aus, wurde er einfach durch einen neuen Arbeiter ersetzt. Im Kontrast zu Strophe 3, der älteren Bevölkerung der Großstadt, geht es in Strophe 4 um die Großstadtkinder. Die Strophe beginnt mit einem Enjambement, einem versübergreifenden Satz, welcher hier den inhaltlichen Zusammenhang der Verse durch die Form unterstreicht. Die Kinder, welche grundsätzlich für Hoffnung und Zukunft stehen, werden hier genau entgegengesetzt der Erwartungen dargestellt. Ihnen „brach [man] früh die Gliederchen“ (V.14), was zum einen die erschreckende Grausamkeit der Großstadt, und womit zum anderen ein typisches Merkmal des Expressionismus, die Deformation des Menschens dargestellt wird. Auch der nächste Satz ist ein Enjambement, sowohl als auch ein Paradoxon. Die Kinder, welche durch ihr Verhalten – sie „springen“ (V.14) und „humpeln voll Entzücken“ (V.14) – als lebensfroh charakterisiert werden können, müssen an Krücken gehen und betteln (vgl. V. 16). Ihr physischer Zustand steht hier in direktem Gegensatz zu ihrer psychischen Verfassung, ihrer kindlichen Lebensfreude und ihrer unbeschwerten Ausstrahlung. Die nächste Strophe befasst sich mit der Beschreibung eines Kellers, wo Bettler leben (vgl. V. 17-20). Diese starren böse auf Fischgräten, woran sich erkennen lässt, dass sie Hunger leiden. Der nächste Vers in ein in sich geschlossener Satz. Die Bettler „füttern einen Blinden mit Gekröse“ (V.19). Hier zeigt sich auf deinen Seite das unglaubliche Elend der Großstadt, auf der anderen Seite zeigt sich, wie die Verlierer untereinander zusammenhalten und sich gegenseitig kümmern und versorgen. Trotz der Rücksichtslosigkeit und Brutalität in der Großstadt, zeigt sich hier, dass das soziale Verhalten nicht komplett durch den reinen Kapitalismus verloren hat. Auch der nächste Vers ist ein in sich geschlossener Satz, der Leser wird durch diese Aufzählung von vollendeten Sätzen mit jedem Satz vor vollendete Tatsachen, vor Fakten gestellt, die er nicht wagt anzuzweifeln. Diese kurzen Sätze sind ausdrucksstarke Statements des Autors. In diesem Satz wird nun der Blinde beschrieben wie er auf ein Tuch erbricht (vgl. V.20.). Das Elend nimmt also eine Steigerung an. Die Farbe „schwarz“ (V.20) steht dabei symbolisch für das Schlechte, den Tod und natürlich für das 51 Grauen der Großstadt. Es bleibt für diese Personen, den Abschaum der Gesellschaft, kein Hoffnungsschimmer auf eine Besserung der Situation übrig. Der Neologismus „Hemdentuch“ (V.20) symbolisiert hier die Lumpen, die die Bettler tragen. Das Tuch ist nicht mehr klar als Hemd definierbar, vielleicht ist es zerschunden oder zerrissen, daher wird diese Mischung als „Hemdentuch“ (V.20) bezeichnet. Es steht für die schlechten Lebensbedingungen und die nicht erfüllten Grundbedürfnisse der Bettler. Die 6. Strophe behandelt das Sexualleben der Armen in der Großstadt. Die Metapher „Lust löschen“ (V.21) zeigt hier wie wichtig das Sexleben für die Elenden ist um für einen kurzen Moment der grausamen Realität zu entfliehen. Allerdings stellen die vermeintlichen Prostituierten hier „alte Weiber“ (V.21) dar, welche mit „welker Brust“ (V.24) beschrieben werden. Insgesamt erscheinen sie dem Leser als unattraktiv, zerfallen und alt. Vergleichbar mit einer welken Blume, haben auch diese Frauen die Hochzeiten ihres Lebens lang hinter sich gelassen. Die Imagination, welche sich beim Leser bezüglich der Frauen entwickelt, ist eher abstoßend. Der zweite Teil der Strophe handelt von den verkümmerten Kindern der Frauen. Sie liegen in „morschen Wiegen“ (V.23), was ihre mangelhafte Lebenssituation und schlechte Zukunftsperspektiven unterstreicht. Eine Klimax der schlechten Lebensbedingungen zeigt sich im nächsten Vers: die Kinder sind „mager“ (V. 24) und können auch, von den oben genannten ausgezehrten Frauen nur wenig Nahrung erwarten. Ihr Leben ist schon am Anfang dem Tode geweiht. Auch die vorletzte Strophe behandelt noch einmal das Elend in der Großstadt. Es wird noch einmal das Bild des Blinden aufgegriffen, auch das Symbol der schwarzen Farbe, diesmal allerdings in Verbindung mit einem Bett, welches hier erscheint wie ein Sarg. Auch der Blinde ist, ähnlich wie die Kinder, dem Tode geweiht. Dazu spielt er auf einem Leierkasten ein französisches Revolutionslied, die „Carmagnole“ (V.20). Dies zeigt, dass die Leidenden in der Großstadt in dieser aussichtslosen Situation zurück an die Zeiten der französischen Revolution denken und diese zum Vorbild für einen neuen Widerstand haben. Sie haben noch einen kleinen Hoffnungsschimmer durch einen Bürgeraufstand eine Verbesserung der Lebenssituation erreichen zu können. Auf der anderen Seite ist die Ironie in dieser Passage nicht zu übersehen. Wie sollten die Elenden, die Versager, ja die Außenseiter der Gesellschaft einen Bürgeraufstand erzeugen, wenn sie doch so oder so schon dem Tode geweiht sind und nur noch kraftlos auf den Tag der Erlösung hoffen? Auf der anderen Seite lässt sich im Folgenden 52 erkennen, dass ein Hoffnungsschimmer durch einen musizierenden und tanzenden Lahmen dargestellt wird. Diese Antithese intensiviert den Eindruck der Ironie bezüglich der Hoffnung auf eine Besserung. Ein Lahmer kann nicht tanzen, physisch gesehen unmöglich, genau so unmöglich wie auch ein Bürgeraufstand der Besiegten (vgl. V. 2729). Auch der helle Klang der Kastagnette steht in ironischem Gegensatz zu der Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Menschen, welche in den vorherigen Strophen beschrieben werden. Diese Strophe nimmt ironisch all die vorher genannten negativen Aspekte der Großstadt auf und verstärkt diesen Eindruck noch einmal, da nicht im Entferntesten die Hoffnung auf Besserung besteht. Dennoch zeigt die Strophe, dass die Armen bereit sind aufzustehen und aufzubrechen um sich ihrem Schicksal zu stellen. Die Stimmung verändert sich in dieser Strophe dadurch, dass die Vokale im Gegensatz besonders zur ersten Strophe überwiegend einen hellen Klang aufweisen (a, e). Die letzte Strophe greift das Bild des letzten Hoffnungsschimmers auf. Die Farbe grün steht eindeutig für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und auch die Himmelsglocke erzeugt ein positiveres Denken beim Leser als die Strophen zuvor. Der Neologismus „Krüppeleitelkeit“ (V. 29) ist ein Widerspruch in sich, denn ein Krüppel, ein Verlierer in der Gesellschaft hat nichts worauf er stolz sein könnte. Durch den letzten Vers und das Bild der Meteore, einem Himmelskörper, wird der Bezug zur ersten Strophe hergestellt wo der Mond beschrieben wird. Das Gedicht erhält eine Art Rahmen und kann als geschlossene Einheit verstanden werden. Die Intention des Autors in diesem Gedicht ist offensichtlich. Er klagt die Missstände der Gesellschaft an, welche nicht nur im Zentrum der Großstadt, sondern sogar in ihren Vorstädten herrschen, und zeigt sie an Beispielen symbolisch auf. Es lässt sich erkennen, dass obwohl der Autor einen Hoffnungsschimmer, besonders zum Ende hin anspricht, dieser nicht überwiegt. Der Autor kritisiert diese Missstände vor allem durch seinen elaborierten Sprachcode, seine durchdachte Wortwahl und den Aufbau des Gedichtes in verschiedene Phasen des Dramas. Die Großstadt war zur Zeit des Expressionismus ein zwiespältiges, oft behandeltes Phänomen, besonders im literarischen Bereich. Das 53 Gedicht ist vor allem an die ignorante, eigensinnige, reiche Bevölkerung der Großstadt zur damaligen Zeit adressiert um auf die unteren Klassen aufmerksam zu machen. g. Standbilder Ich habe diese Standbilder erstellt um einen kreativen, künstlerischen Zugang zu den Merkmalen des Expressionismus zu bekommen. Dabei habe ich versucht mit jeder der drei kreativen Arbeiten ein Merkmal oder Thema des Expressionismus darzustellen. Oft verhilft mir die kreative Betrachtung schwieriger Zusammenhänge diese besser nachvollziehen zu können. Die inneren Monologe zu den beiden ersten Arbeiten spiegeln mögliche Gefühle der Person auf den Bildern wieder. Dabei habe ich versucht mich in die Zeit des Expressionismus, der Industrialisierung zurückzuversetzen und möglichst nah an dieser Zeit die Gefühle wiederzugeben. Die dritte Arbeit ist eine Collage ausgeschnittener Köpfe aus verschiedensten Zeitungen. Die Menschen, zu denen die Köpfe gehören, kommen aus verschiedenen sozialen Lagen, aber haben alle eine Verbindung zu Deutschland, da sie alle in deutschen Zeitungen abgebildet waren. Durch diese Collage wollte ich die deutsche Gesellschaft heute darstellen, in der das Individuum auch heute noch verloren geht. Oft teilen wir heutzutage in Gehaltsklassen oder soziale Milieus ein und vergessen dabei den Wert jedes einzelnen. Aus diesem Grund habe ich auch mein Gesicht zwei mal in die Collage eingearbeitet, sowie die Gesichter von zwei guten Freundinnen. Eine Person kann mich als Individuum noch so gut kennen, doch immer noch gehen wir manchmal in der Masse der Gesellschaft unter. Damit wollte ich das Gefühl in der Masse allein zu sein oder sich unverstanden zu fühlen, welches viele Expressionisten hatten, kreativ darstellen und es auch auf die heutige Gesellschaft übertragen. 54 Apokalypse Und was jetzt? Wohin? Weg? Hier bleiben? Gestank. Dünste. Nebel. Ich kann nichts sehen. Deformation, nur noch ein Auge übrig. Was ist passiert? Die Apokalypse naht, ich bin mir sicher. Diese Welt wird nicht mehr lang existieren. Existenzminimum. Was ist das? Davon träume ich. Abhängigkeit von den Monstern. Monster der Industrie, riesige Hallen ohne Charakter, krank. Einen Arm verloren in der Fabrik. Ein Auge verätzt im Chemielabor. Unzählige Arbeiten, Jobs. Was hat es geholfen? Nichts. Immer noch auf der Straße. Immer noch arm. Immer noch krank. Chancenlos. Abschaum der Gesellschaft, doch wen interessiert’s? Verkümmern zwischen den Ratten, Dreck. Denkt niemand über unsere Welt nach? Das Auge allein erkennt die Missstände. Alles andere überbewertet. Einäugig, fast blind, reicht gerade noch für diese verschwommene Welt aus Nichts, Gewinn fern, unerreichbar. Wohin gehe ich? Wohin geht diese Welt? Meine Stadt? Wohin? Apokalypse. Verderben der Welt. 55 Ich-Zerfall/Deformation Schmerz. Schrei. Tod. Ich. Wo bin ich? Wer bin ich? Inmitten der Gesellschaft zerstört. Aber sie lebt. Warum darf ich nicht leben? Warum muss ich sein wie alle anderen? Warum muss ich mich verbiegen? Was ist mit den anderen? Wie fühlen sie sich? Ich habe Schmerzen. Im Herzen. Im Kopf. Ich ertrage es nicht mehr. Diese Gesellschaft. Zerstörend. Die Straßen, voll von Elend. Ratten. Bettler. Dreck. Wo ist Gott? Wo ist der Helfer? Ein Helfer? Die Fabriken zerstören diese Stadt. Diese Gesellschaft, getrübt vom Abfall der Industrie. Wer kriegt den Gewinn? Nicht Ich. Ich. Wer ist das? Zerstört. Wo bin ich? Was bin ich? Noch Mensch oder schon Staub? Klein. Nichtig. Krank. Arbeit. Wohin? Was kann ich tun? Verzerrt. Verzerrt durch Arbeit. Gesellschaft. Industrialisierung. Monster der Industrie. Was bin ich? Wo ist mein? Kaputt. Tod. Zerrissen. Verzerrt. 56 h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke i. Comic Beigefügt ist ein Comic zu meinem Gegengedicht zu Gottfried Benns Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke. Jede Strophe ist in einem Bild symbolisch dargestellt. Der Comic zieht das eigentlich schwerwiegende Thema der Krebserkrankung hier vereinfacht ins Lächerliche, indem zum Beispiel der Tumor als ein kleines Monster dargestellt ist. Dieser kreative Ansatz sollte dazu beitragen zwar erst über den Comic lachen zu können, sich aber danach umso ernster mit dem wirklichen Gedicht auseinanderzusetzen. Auch dient der Comic dazu sich vor dem Lesen des Gedichtes Gedanken dazu zu machen, wie das Gegengedicht aussehen könnte. i. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke (Annalena Kill, 2015) Die Frau in der Krebsbaracke 1 Die Frau: 2 Schockstarre. Gestank. Frauen. Enge. 3 Welke Brust an krummem Rücken. 4 Entblößt aufs Letzte. Unkontrolliert zuckend. 5 Gespickt von Blasen. Warm rinnen Säfte. 6 Blut. Eiter. Stunk. 7 8 9 10 Tumor frisst alles. Warm. Weich. Dunkle, tiefe Höhlen. Augen? Krüppeldasein unbekümmert Schrei auf, Schmerzen. 11 Rot. Dunkelrot. Frisch. Rot. 12 Hoffnung versprüht, keine Chance, 13 Na, du Elend. Wohin? 14 15 16 17 Dies Haar verklebt, schweißüberströmt, Fühln sie noch? Decken zum Schutz doch was Was soll es nutzen? 18 19 20 21 Nahrung verwehrt den Tod Zu beschleunigen. Schwestern. Roboter am Krankenbett. Sie wechseln stündlich. 22 Alle Liebenden vergangen 57 23 Bloß Leere Hüllen übrig 24 Wer trägt sie von der Welt 25 Aus in der Krebsbaracke. Dieses Gedicht entstand in Anlehnung an das Gedicht „Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke“ von Gottfried Benn. Das Original ist aus der Sicht eines Mannes, vermutlich einem Arzt in der Krebsbaracke, welcher eine Frau durch die Reihen krebserkrankter Menschen führt und dieser die verschiedenen Personen zeigt, geschrieben. Das Gedicht umfasst 7 reimlose Strophen, wobei 3 Strophen Quartette (Strophe 1,2,4) und 4 Strophen Triplette (Strophe 3,5,6,7) vorweisen. Des Weiteren lassen sich im Originalgedicht viele rhetorische Mittel wie zum Beispiel Parallelismen, Repetitionen und ganze Sätze innerhalb des Gedichtes finden. Die einzelnen Strophen beschreiben den abstoßenden, unaufhaltsamen Verfallsprozess der Krebskranken. Dabei greift Gottfried Benn auf die Thematik des Todes, der Vergänglichkeit und des IchZerfalls zurück. Dies zeigen vor allem die detaillierten Beschreibungen der hoffnungslos Erkrankten wie zum Beispiel „Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.“ (V. 12). Der Ich-Zerfall wird vor allem dadurch deutlich, dass die Menschen in der Baracke wie in einem riesigen Vorratslager von verschiedenen Dingen aufgebahrt und verstaut sind. Während der Arzt die Frau durch die Reihen führt zeigt er ihr verschiedene „Reihen“ (V. 2), wodurch der Eindruck entsteht als würde es sich nicht mehr um menschliche Wesen, sondern um Dinge handeln. Außerdem wird den Menschen ihre letzte Würde genommen, indem der Arzt sie vor der Frau entblößt und ihre Decken anhebt um ihr die Verletzungen zu präsentieren, ja er lässt sie sogar einen Kranken anfassen (vgl. V.9-11). Außerdem macht der Autor Gebrauch von der „Ästhetik des Hässlichen“. Dies lässt sich besonders daran erkennen, dass er die Krebsgeschwüre mit einem „Rosenkranz von weichen Knoten“ (V. 10) vergleicht und das bloße Fleisch als „weich“ (V. 11) bezeichnet. Der Autor versucht durch diese Ironie den Sachverhalt übertriebener, krasser darzustellen um beim Leser ein Gefühl des Ekels auszulösen. In meinem Gegengedicht habe ich die gleiche Situation aus Sicht der Frau dargestellt, sie wird herumgeführt, stellt Fragen und wundert sich. Allerdings habe ich mein Gedicht formal gesehen exakt entgegengesetzt zum Gedicht von Gottfried Benn formuliert. In meinem Gedicht sind 4 Strophen Quartette und zwar die Strophen 3,5,6 und 7, welche bei Benn nur Terzette sind. Demnach bestehen bei mir die Strophen 1,2 und 4 aus Terzetten. Des Weiteren habe ich kein Reimschema eingebaut, da dies meiner Meinung 58 nach eines der auffälligsten Merkmale des Expressionismus ist. Im Gegensatz zu Benns Gedicht enthält meins keine ganzen Sätze, das Ziel war es die Strukturarmut als Mittel zu nutzen um die Verwirrung der Frau über den menschlichen Zerfall erfolgreich darzustellen. Außerdem habe ich versucht möglichst viele Merkmale des Expressionismus in dieses Gedicht einzubringen, deshalb werde ich im Folgenden kurz auf jeden Vers eingehen: V.1: Kennzeichen des Gegengedichts, Gedanken der Frau werden widergespiegelt V.2: Telegrammstil, Simultaneität, Dissoziation, verschiedenste Eindrücke wirken auf die Besucherin V.3: Deformation des Menschen, Zerfall, Vergänglichkeit V.4: Darstellung des Tabuthemas Krebserkrankung und des Peinlichen und Hässlichen V.5: Ästhetik des Hässlichen, Dissoziation, Dynamisierung der Sprache durch „rinnen“ V.6: Telegrammstil, Simultaneität der Eindrücke, Dissoziation V.7: Dynamisierung der Krankheit, sie breitet sich aus, Telegrammstil, Personifizierung des Tumors V.8: Deformation des Menschen, rhetorische Frage -> Verwirrung, Orientierungslosigkeit V.9: Neologismus, Brechen mit Regeln der Syntax, Telegrammstil V.10: Deformation des Menschen, Sprachverknappung V.11: Farbintensität um Eindrücke zu verstärken, Telegrammstil V.12: Dynamisierung der Hoffnung -> verloren, Antithese V.13: Personifizierung des Elend, rhetorische Frage -> Schock, Ratlosigkeit V.14: Darstellung des Hässlichen, Dynamisierung der Krebskrankheit, elliptischer Satzbau V.15: Ich-Zerfall, Darstellung des einzelnen in einer Gruppe, rhetorische Frage V.16: Euphemismus –> „Schutz“ vor Krebs gibt es nicht, Ironie V.17: Paradoxon, Aussichtslosigkeit der Situation V.18: Personifizierung der Nahrung, Paradoxon, Nahrung schützt vor dem Tod, normalerweise, Tod als Erlösung dargestellt V.19: Variation der gebräuchlichen Syntax, Enjambement V.20: Telegrammstil, Antithese: Roboter können nur einfache Aufgaben erledigen, Depersonalisierung der Krankenschwestern V.21: V.22: Beginn des Schlusses, Hoffnungslosigkeit, Dynamisierung V.23: Depersonalisierung, V.24: rhetorische Frage: Verwirrung, Orientierungslosigkeit V.25: Auflösung des Ortes, Schluss 59 j. William Shakespeares Ophelia als expressionistisches Motiv der Lyrik61 Ophelia, ein Charakter aus William Shakespeare’s Tragödie Hamlet, ertrinkt beim Binden von Blumenkränzen in einem Fluss. Doch was macht Ophelia so interessant für die Expressionisten? Es erschienen zahlreiche Bilder und Gedichte verschiedenster Art von und zu Ophelia, die alle versuchen die Schönheit Ophelias mit ihrem Tod in Einklang zu bringen. Dabei ging es im Expressionismus vor allem um das Merkmal der „Ästhetik des Hässlichen“, wobei Todes- und Zerfallsprozesse künstlerisch mit einer gebrochenen, zerstörten Schönheit verbunden werden. Exkurs: Ophelia ist die Tochter von Polonius, des obersten Beraters des Königs Claudius. Im Laufe der Tragödie beweist Ophelia unterschiedliche Charakterzüge. Auf der einen Seite ist sie ein unschuldiges, nettes, wunderschönes junges Mädchen, dass sich in ihrer Unschuld in Hamlet, den Thronfolger verliebt. Sie ist aufrichtig und gehorcht ihrem Vater bedingungslos. Als Hamlet sie allerdings zurückweist wird dem Leser erst bewusst wie sehr Ophelia Hamlet liebt, und dass sie mit der neuen Situation nicht umgehen kann. Außerdem ist Ophelia ein intelligenter, aufmerksamer Charakter, sie versteht Ironie und weiß wie sie darauf zu reagieren hat. Des Weiteren ist sie gegenüber ihrem Bruder Laertes, der versucht ihr Ratschläge zu geben sehr schlagfertig. Als ihr Vater Polonius ermordet wird bricht für Ophelia eine Welt zusammen und sie wird wahnsinnig, was allerdings nicht ihren durch und durch intelligenten Charakter einschränkt. Arthur Rimbaud: Ophelia I (1870) 1 2 3 4 Auf stiller, schwarzer Flut, im Schlaf der Sternenfeier, Treibt, einer großen Lilie gleich, Ophelia, Die bleiche, langsam hin in ihrem langen Schleier. Man hört im fernen Wald der Jäger Hallala. 5 6 7 8 So, weißes Traumbild, länger schon als tausend Jahre, Ophelia auf dem schwarzen Wasser traurig zieht; Ihr sanft verstörter Geist, schon mehr als tausend Jahre, Singt leis im Abendhauche sein romantisch Lied. 9 Der Wind küsst ihre Brust und bauscht des Schleiers Seide 10 Wie eine Dolde auf, vom Wasser sanft gewiegt, Die Ausarbeitung dieser Wahlaufgabe basiert auf der Literaturstation: Schönheit und Tod – Ein Motiv der Lyrik: Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte Themen und Strukturen. S. 405-409. 61 60 11 Auf ihre Schulter, leis erschauernd, weint die Weide, 12 Auf ihrer großen Stirne Traum das Schilfblatt liegt. 13 14 15 16 Die Wasserrose seufzt, berührt von ihrem Schweben, Zuweilen, aus dem Schlaf in einem Erlenbaum, Weckt sie ein Vogelnest, draus bang sich Flügel heben. Geheimnisvoll fällt Sang aus goldner Sterne Raum. Arthur Rimbaud nimmt besonders die schönheitlichen Aspekte der Shakespeare Version auf. Er legt weniger Wert auf den Ablauf des Todes oder auf Bewegung als auf Ophelias Schönheit und die Beschreibung ihrer Person. Rimbaud beschreibt Ophelias Körper wie er auf dem Fluss treibt und vergleicht sie mit einer Lilie (vgl. V. 2). Des Weiteren beschreibt er durch verschiedene Bilder und Symbole ihre Nähe zur Natur wie zum Beispiel in der dritten Strophe: „der Wind küsst ihre Brust“ (V. 9). Die erste Strophe bildet die Exposition der Situation, Ophelia liegt im Wasser und trägt ein Kleid mit einem Schleier. Die zweite Strophe bezieht sich auf die Stelle in Shakespeare’s Version, an der Ophelia nichts ahnend beginnt ein Lied zu singen. Ihr „weißes Traumbild“ (V.5) steht dabei in Kontrast zum „schwarzen Wasser“ (V.6). Hier wird klar, dass bei Rimbaud klare Ansätze eines Eskapismus aufzufinden sind: Die Flucht in eine bessere, hellere Traumwelt um vor der dunklen Realität zu fliehen, so wie auch bei Ophelia nicht klar ist, ob sie Selbstmord beging oder ihr Tod ein unglücklicher Unfall war. Des Weiteren spielt die Farbe weiß als Farbe Ophelias eine weitere sehr symbolische Rolle: Ophelia war unschuldig, frei von Sünden, eine Jungfrau, sodass die Farbe weiß ihren Charakter als Symbol perfekt zusammenfasst. In der dritten Strophe (V. 9-12) personifiziert Rimbaud die Umwelt um die Trauer um Ophelia darzustellen und ihre enge Beziehung zur Natur zu unterstreichen. So „weint die Weide“ (V.11) zum Beispiel um Ophelia. Die vierte Strophe (V. 13-16) zeigt noch einmal die Reaktion der Umwelt auf Ophelias Tod, ein Vögelchen erhebt sich und der „Sang aus goldner Sterne Raum“ (V.16) scheint eine Art Trauerlied der Natur für Ophelie darzustellen. In Shakespeare’s Version allerdings wird wirklich die Handlung bzw. der Prozess des Sterbens von Ophelia wiedergegeben. Dies geschieht in einzelnen Schritten: Zuerst knotet sie Blumenkränze aus verschiedenen Blumen, dann bricht der Ast, auf dem sie 61 sitzt, sie fällt ins Wasser, singt und erkennt ihre Notlage nicht, ihre Kleider saugen sich voll und sie ertrinkt. Georg Heym: Ophelia I (1910) Mit dem Fortschreiten des Expressionismus verändert sich auch das Ophelia-Motiv. Während es sich bei Rimbaud wirklich noch um eine als wunderschön beschriebene Ophelia handelt, so verändert sich dies bei Georg Heym eindeutig zum Merkmal der „Ästhetik des Hässlichen“. Dabei geht es oft auch um die morbide gewordene Gesellschaft und die psychischen als auch die physischen Verfallsprozesse, die er hier repräsentativ für den Expressionismus am Beispiel der Ophelia, präsentiert. Ophelias Körper wird mit den verschiedensten Lebewesen und Naturgegebenheiten verglichen. So wird zum Beispiel Ophelias Haar als „Nest von jungen Wasserratten“ (V.1) beschrieben um die gebrochene, tote Schönheit Ophelias darzustellen. Des Weiteren vergleicht er ihre Hände mit „Flossen“ (V.3), Ophelia wird in eine Art Ungeheuer verwandelt, welches im Schatten des Urwaldes durch den Fluss treibt. Die Verwendung dunkler Orte wie „im Schatten“ (V.3), „im dunklen Wasserlauf“ (V.12) oder des Vergleiches „Wie Nachtgewölk“ (V.13) wird eine negative Grundstimmung vermittelt, was für expressionistische Gedichte typisch ist. Allerdings steht dies in direktem Gegensatz zum Gedicht Rimbauds, welcher Ophelia als Schönheit beschreibt. Im Gegensatz zu den dunklen Orten stehen andere helle Attribute wie die Sonne, „ein langer, weißer Aal“ (V.13) oder ein „Glühwurm“ (V.14), der Licht spenden kann. Dies sind die Dinge, die direkt in Verbindung mit Ophelia stehen. Das Symbol der weißen Farbe in Bezug auf Ophelia hat Heym also von Rimbaud übernommen, auch wenn das Gedicht insgesamt eine negativere, abstoßendere Gesamtwirkung hat. Außerdem zeigt Heym hier bildlich, dass sich die letzten Sonnenstrahlen in Ophelias Kopf versenken. Durch die bildliche Sprache „versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein“ (V.6) wird allerdings auch dieser Anblick wieder hässlich dargestellt, als wäre Ophelia depersonalisiert, ein Gegenstand. 62 Gottfried Benn: Schöne Jugend (1912) Vergleicht man das Gedicht Gottfried Benns mit Ophelia von Rimbaud und Heym, so wird schnell klar, dass jedes dieser Gedichte eine Steigerung der Ästhetik des Hässlichen ist. Gottfried Benn beschreibt in seinem Gedicht eine namenlose Wasserleiche eines jungen Mädchens. Es „sah so angeknabbert aus“ (V.3) stellt der Autor fest, um danach in der Reihenfolge einer pathologischen Untersuchung die Innereien des Mädchens zu untersuchen. Dabei spielt das Bild der Ratte eine große Rolle, da sich diese ein Nest in des Mädchens Körper gebaut hatten. Die Ästhetik des Hässlichen verbindet hier die Faszination eines jungen, schönen, toten Mädchens mit der Realität des menschlichen Verfallsprozesses nach dem Tod. Dazu gehört zum Beispiel das Bild der aufgebrochenen Brust des Mädchens, worunter eine „löcherig[e] Speiseröhre“ (V.3) zum Vorschein kam. Gesteigert wird dies noch dadurch, dass das einst so schöne Mädchen nun für ein abstoßendes, ekeliges Tier ein Heim bietet. Obwohl die Vorstellung absolut ekelerregend ist, bleibt doch die Schönheit oder der gute Charakter des Mädchens erhalten, da sie, rein biologisch gesehen, der Rattenfamilie gute Dienste leistet. Allerdings wird dieser Eindruck in den letzten beiden Versen des Gedichts wieder aufgehoben, da jemand, eine unbekannte Person oder Kraft die Ratten ins Wasser schmeißt. Der Beobachter scheint sich perverser Weise am Schreien der Ratten zu erfreuen, wodurch auch das Symbol der Dehumanisierung der expressionistischen Gesellschaft noch einmal aufgegriffen wird. Insgesamt lässt sich also eine chronologische Steigerung der Ästhetik des Hässlichen in diesen drei Gedichten erkennen. Die Faszination einer Wasserleiche lag also für die Expressionisten darin einen gut erhaltenen, oft wie Ophelia schön aussehenden Menschen zu haben, welchen sie dann durch abstoßende, ekelerregende bildliche Beschreibungen hässlich darstellen können um die gebrochene, tote, zerfallene Schönheit darzustellen. 63 c. Fazit Mit dieser Arbeit konnte ich meine anfangs gestellten Fragen hervorragend beantworten und sogar darüber hinaus viele neue Informationen sammeln. Die Recherchearbeit war besonders für die Epochenüberblicke sehr umfassend und zeitaufwendig, sowohl die Informationen aus Nachschlagewerken, als auch die aus dem Internet musste man sorgfältig filtern und durcharbeiten um an die wesentlichen Informationen zu gelangen. Das Schreiben der Gedichtanalysen war insgesamt ein gutes Training, auch wenn ich in der nahen Zukunft damit nicht mehr konfrontiert werde. Besonders bei den kreativen Wahlaufgaben hat es mir Freude bereitet meine eigenen Ideen einzubringen. Insgesamt war dies eine sehr arbeits- und zeitintensive Arbeit, welche mich mit Sicherheit gut auf die zukünftigen Hausarbeiten im Studium vorbereitet hat. 64 A. Literaturverzeichnis 1. Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Aphorismen.de. Georg Heym. www.aphorismen.de/suche?f_autor=1742_Georg+Heym. Stand:07.03.2015. 2. Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. 3. Cambridge University Press. Shakespeare’s Hamlet. Cambridge. 2014. 4. Deutsche Klassik (1786-1832). http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm. Stand:08.03.2015. 5. Deutschland Lese. Ein Projekt des Bertuch Verlags Weimar und des Trägerwerk Soziale Dienste. http://www.deutschlandlese.de/files_deutschland_lese/elselaskersch__ler_1907.jpg. Stand: 07.03.2015. 6. dibb.de. Biografien. Georg Heym. http://dibb.de/georg-heym.php. Stand:08.03.2015. 7. Die Lyrik Georg Trakls anhand exemplarischer Beispiele. Georg Trakl Biographie. http://www.georgtrakl.de/georg-trakl-biographie.html. Stand:08.03.2015. 8. Dr. Prietzel, Kerstin. Königs Abi-Trainer. Reflexion über Sprache. Hollfeld. 2012. 9. Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Berlin. 2007. 10. Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode. http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/karoline-vonguenderrode. Stand: 08.03.2015. 11. Freund, Winfried. Schnellkurs. Heinrich Heine. Köln. 2005. 12. Friedrisch-Schiller-Universität Jena. Philosophische Fakultät. Institut für germanistische Literaturwissenschaft. Protokoll: Christian Hanke. 11.12.2013. https://www.unijena.de/unijenamedia/Downloads/faculties/phil/germ_lit/Materialien/Matusch ek/WS+13_14/11_12_13.pdf. Stand:08.03.2015. 13. Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. 1999. 14. Gute Zitate. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995. Stand:07.03.2015. 15. http://www.dieterwunderlich.de/Lasker_Schuler.htm. Stand: 06.03.2015. 16. Kafka, Franz. Franz Kafka: Die Verwandlung Brief an den Vater Weitere Werke. Braunschweig. 2003. 17. Kraft, Thomas. Lyrik. Ein Schnellkurs. Köln. 2009. 18. Lasker-Schüler. Ich und Ich. Der Spiegel 29. 1961. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43365055.html. Stand: 07.03.2015. 19. Lebendiges Museum Online. Georg Heym. https://www.dhm.de/lemo/biografie/georg-heym. Stand:08.03.2015. 20. Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Berlin. 1999. 21. Lyrikwelt. Gedichte. Georg Heym. http://www.lyrikwelt.de/gedichte/heymgeorgg1.htm. Stand:08.03.2015. 22. Munzinger Archiv GmbH. Biografien. Kurt Pinthus. https://www.munzinger.de/search/portrait/Kurt+Pinthus/0/8924.html, Stand: 06.03.2015. 65 23. Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht. Mora Karoline von Günderode. http://nddg.de/gedicht/20635-Mora-Günderode.html. Stand: 08.03.2015. 24. Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Hollfeld. 2008. 25. Planet Wissen. Halleyscher Komet – Wanderer durch die Zeiten. https://www.planetwissen.de/natur_technik/weltall/kometen/halleyscher_komet.jsp. Stand:08.03.2015. 26. Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011. 27. Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. 28. Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Berlin. 2009. 29. Skrodzki, Karl Jürgen. Homepage. Else Lasker-Schüler Mein blaues Klavier. http://www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_024.htm. Stand: 08.03.2015. 30. Spiegel Online Kultur. Clemens Brentano. http://gutenberg.spiegel.de/autor/clemens-brentano-75. Stand: 08.03.2015. 31. Sprachgewalten. Was ist eigentlich....der Expressionismus. http://www.youtube.com/watch?v=ZILRB_PfLn4. Stand:08.03.2015. 32. Stein, Peter/Stein, Hartmut. Chronik der deutschen Literatur. Stuttgart. 2008. 33. Weigandt, Tim-Julian. Kennzeichen expressionistischer Lyrik. Ratingen. 2015. 34. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Else Lasker-Schüler. http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Schüler. Stand: 07.03.2015. 35. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Heym. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015. 36. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Trakl. Stand:07.03.2015. 37. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Joseph von Eichendorff. http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff. Stand: 08.03.2015. 38. Wunderlich, Dieter. Dieter Wunderlich Buchtipps und Filmtipps. Clemens Brentano (Biografie). http://www.dieterwunderlich.de/Clemens_Brentano.htm. Stand:08.03.2015. 39. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995, Stand:07.03.2015. 66