PDF, 1.6 MB - Das Schulmuseum Bergisch Gladbach
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DER BLAUE BRIEF Mitteilungsblatt des Fördervereins des Schulmuseums Bergisch Gladbach e. V. Sonderausgabe zur Ausstellung »Mein süßes Tinchen!« – Kriegsalltag Bergisch Gladbach 1914/18 08 Nr. 8 (10/2014) „Mein süßes Tinchen!“ – eine Liebe am Vorabend des Ersten Weltkrieges Ein Sammelalbum mit knapp 90 Liebesgruß-Postkarten bot den Anstoß zu dieser Ausstellung über den Kriegsalltag in Bergisch Gladbach 1914/18. Die meisten Postkarten stammen aus der Feder von Adolf Widdig (1885–1950), mehr als 50 Jahre lang Betriebsführer und Werkmeister der ehemaligen ortsansässigen Drahtgewebe-Fabrik Heinr. Giesen. Nicht ganz so schreibeifrig war seine Freundin Justina Müller (1887–1981) aus Holweide, von der wir nichts Näheres wissen. In einer Glückwunschkarte zum Jahresbeginn 1913 schreibt sie: „H. heut Abend keine Zeit zum Kommen; muß lange Nähen.“ Die Korrespondenz der beiden bis zur Hochzeit am 25. 1. 1913 nimmt heutige Kommunikationsformen vorweg. Kaum haben sie sich zum Stelldichein getroffen, geht eine Karte heraus. Auch der Wortschatz ist ähnlich reduziert und stereotyp: „Bin gut nach Hause gekommen“, „Treffe Dich Sonntag“, „Bin wieder fidel“ oder „Bl.[eibe] brav!“. Dass ein Jahr nach ihrer Hochzeit und dem Einzug in eine gemeinsame Wohnung in der Viktoriastraße (heute Odenthaler Straße) ein Krieg ausbrechen würde, ahnten sie nicht. Beide haben ihn überlebt, und so variiert ihre Liebesgeschichte das alte Thema von Venus und Mars: die Liebe ist stärker als der Krieg. Postkarte, Adolf Widdig an Tinchen Müller, 17.2.1910: „Mein liebes süßes Tinchen!“ (Schenkung Renate Schätzmüller) „Die Elektrische“ – Moderne Zeiten in Bergisch Gladbach Bergisch Gladbach Wilhelmstraße (heute Hauptstraße) mit der „Elektrischen“, um 1908 (Karl Haas, Overath) Auch das vor den Toren Kölns gelegene Bergisch Gladbach war um 1900 modern geworden. Die Einwohnerzahl hatte sich zwischen 1865 und 1910 verdreifacht und die Stadt profitierte von dem nach 1890 einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung. Sie förderte den Industriestandort durch verkehrstechnische Neuerungen und Verbesserung des Lebensstandards ihrer Bewohner. 1895 wurden die Straßen bereits von 65 Gaslaternen beleuchtet. Schon 1891 hatten die Firmen Zanders, Poensgen und Köttgen Telefonanschluss. Die Modernisierung der Bürotechnik ermöglichten Geräte wie die „Mignon“-Schreibmaschine von AEG und der Soennecken-Locher. Seit 1906 verband „Die Elektrische“ Bergisch Gladbach mit Köln. Das moderne Massenverkehrsmittel trug dazu bei, dass die Stadt auch zu einem beliebten Ausflugsziel wurde. Zahlreiche neue Gebäude prägten das Stadtbild: die Gasthäuser „Bergischer Löwe“ (1903) und „Am Bock“ (1907), das Rathaus (1906) und das Progymnasium (1909). Hauptförderer und vorbildhaft in seinem sozialen und kulturellen Engagement war das Familienunternehmen Zanders. Ab 1900 entstand für die Mitarbeiter die Gronauer Waldsiedlung, 1914 eine Badeanstalt. Für die Werbung war seit 1906 eine Frau, die Malerin und Grafikerin Alexe Altenkirch, verantwortlich − ein Fortschritt in der damaligen Zeit. … und dann war Krieg Am Tag der Kriegserklärung und der Mobilmachung herrschte Anfang August 1914 auf den Straßen des Deutschen Reiches Jubel und Begeisterung. Auch in Bergisch Gladbach wird „ein brausendes erlösendes Hurra“ auf die Nachricht der Kriegserklärung vermeldet. Im Herbst 1914 waren von 5.907 Männern aus Bergisch Gladbach bereits 1.075 zum Kriegsdienst einberufen, im Frühjahr 1915 erhöhte sich die Zahl auf ein Drittel aller wehrfähigen Männer. Das bedeutete für die Kriegerfamilien, dass nicht nur der Vater und Ernährer fehlte, sondern damit auch finanzielle Einschränkungen verbunden waren. In den Betrieben musste man auf viele Mitarbeiter verzichten, Frauen und später Kriegsgefangene konnten nur teilweise ihre Arbeitsleistung ersetzen. In der Landwirtschaft wurde die Ernte 1914 unter erschwerten Bedingungen eingebracht. Überdies hatten viele Bauern Pferde zu militärischen Zwecken bereitzustellen. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn waren bereits zwölf Soldaten aus Bergisch Gladbach den „Heldentod fürs Vaterland“ gestorben. An die Stelle des anfänglichen nationalen Hochgefühls und der Bereitschaft zum Einsatz für eine „gerechte und heilige Sache“ traten mit zunehmender Zahl der Toten und Verwundeten Trauer und Nachdenklichkeit. Bei Kriegsende 1918 waren von den etwa 3.900 Berg.-Gladbacher Volkszeitung, 3.8.1914 (StAGL, MF 6/18) Kriegsteilnehmern aus Bergisch Gladbach 384, d. h. jeder Zehnte, gefallen. Steckrübenwinter 1916/17 Brotkarte, 1917 (StAGL, D1) Schon frühzeitig erkannte der Bergisch Gladbacher Bürgermeister Hermann Pütz das Problem der Nahrungsmittelversorgung im Krieg. Im Herbst 1915 ließ er die Lebensmittel rationieren und legte dazu die Zuteilungsmengen von Brot, Kartoffeln, Fleisch, Fett und Milch fest. Die Lebensmittelsituation verschärfte sich, als im Herbst 1916 infolge einer Missernte Kartoffeln knapp wurden und Steckrüben als Ersatz dienen mussten. Darüber hinaus kam es zu einer Benachteiligung einzelner Personengruppen, die aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse dem Schleichhandel und den Wucherpraktiken nicht gewachsen waren. In dieser prekären Situation erwirkte der Bürgermeister Pütz beim Stadtrat einen Beschluss zur Einrichtung einer Kriegsküche. Sie sollte Schulkindern bedürftiger Familien wie auch Kindern unterstützungswürdiger Kriegerfamilien mittags eine Mahlzeit gewähren. Ebenso errichtete man einen Kinderhort für Mütter, die kriegsbedingt berufstätig werden mussten. Aufgrund der zunehmenden Verluste an der Kriegsfront, vieler Gefallener und Verwundeter auch in Bergisch Gladbacher Familien sowie Hunger und Not in der Bevölkerung wich die anfängliche Kriegsbegeisterung einer Ernüchterung und ließ auch in unserer Stadt den Wunsch nach einem baldigen Kriegsende aufkommen. Infolge der damaligen Hungersnot starben in Deutschland 700.000 Menschen. Kriegsgewinnler So nannte man nach dem 1. Weltkrieg häufig die Unternehmer, die während des Krieges z. B. für das Militär Granaten, Munition u. ä. produzierten und dabei gewinnträchtig gewirtschaftet hatten. In Bergisch Gladbach stellten u.a. die Firmen Hager & Weidmann und Köttgen Waffen und Kriegsausrüstung her. Die Fabrik Heinrich Giesen, in der Adolf Widdig beschäftigt war, produzierte in Friedenszeiten Drahtgewebe, Drahtgeflechte und Messerstabsiebe für die Kohlen- und Erzwäsche. Zu Beginn des 1. Weltkrieges fertigte sie insbesondere Stacheldraht für den Drahtverhau an den Kriegsfronten. Dem Betrieb war auf Antrag gestattet worden, auch an Sonn- und Feiertagen dringenden Heeresbedarf zu erstellen. Man arbeitete in Tag- und Nachschichten. Die Tagesschicht begann 7 Uhr morgens und endete um 7 Uhr abends. Morgens und mittags gab es jeweils eine halbstündige Pause. Zwischen 12 und 13 Uhr war Mittagspause, so dass die gesamte Arbeitszeit zehn Stunden betrug. Da im Verlauf des Krieges vermehrt männliche Facharbeiter zum Militärdienst eingezogen wurden, setzte man in der Produktion mehrfach Frauen und später Kriegsgefangene ein. Aufgrund ihrer positiven Geschäftsentwicklung konnte die Firma Giesen GmbH in dieser Zeit ihr Fabrikanwesen um zwei Gebäude erweitern, da sie laut Firmenakte „durch Heereslieferungen gut verdient“ hatte. Granatenherstellung bei der Firma Hager & Weidmann, um 1918 (StAGL, Foto D 1311/4) „Komm, gib und nagele!“ Die „Eiserne Tafel“ in Bergisch Gladbach In den Kriegsjahren 1915 und 1916 wurden in vielen Städten und Gemeinden Deutschlands sogenannte Nagelbilder oder Nagelfiguren aufgestellt. Es handelte sich dabei um aus Holz gefertigte Tafeln oder Standbilder, in die gegen Spende eines bestimmten Geldbetrages eiserne Nägel eingeschlagen werden konnten. Der Erlös sollte in den meisten Fällen den hinterbliebenen Familien der im Krieg gefallenen Soldaten zugute kommen. Die Initiative zu solchen Spendenaktionen ging oft von Kriegervereinen aus. Auch in Bergisch Gladbach hat es ein solches Nagelbild gegeben: die sogenannte „Eiserne Tafel“. Die Holztafel im Türformat wurde am 11. Juli 1915 öffentlich vor dem Rathaus enthüllt und erstmalig benagelt. Die Anregung zur Aufstellung ging von dem Gastwirt des Brauhauses „Am Bock“, Cornelius Mathias Dederichs, aus. Das Bildmotiv zeigte unten das Stadtwappen von Bergisch Gladbach, darüber ein Eisernes Kreuz. Kleine Zinkblechschilder, in die man die Namen von Gefallenen eingravieren lassen konnte, füllten den Rahmen. An den vier Ecken der Tafel waren Wappenschilde in den Flaggenfarben der damals verbündeten Kriegsnationen Deutschland, Österreich, Osmanisches Reich und Bulgarien angebracht. Erste Aufstellung der „Eisernen Tafel“ vor dem Rathaus in Bergisch Gladbach, 11. Juli 1915, unter den Personen auch Frauen mit Körben für die Nägel (Foto: Hermann Josef Rodenbach) Blauer-Brief_8.indd 1 30.09.14 11:05 Die „Eiserne Tafel“ – ein Denkmal Ende des Jahres 1915 ging das von privater Hand initiierte Nagelbild in die Obhut und Verwaltung der Stadt Bergisch Gladbach über. Wer einen Nagel ins Holz schlagen wollte, musste 0,50 M, Schüler 0,20 M spenden. Gegen eine Spende von 5 M konnten Namensschilder von Gefallenen angebracht werden. Der Rahmen bot Platz für insgesamt 288 Schilder, von denen sich 221 erhalten haben. Jeder Spender durfte seinen Namen in ein Gedenkbuch eintragen. So konnte er öffentlich seine patriotische Solidarität kundtun. Obwohl sich Kriegervereine, Chöre und Schulen an der Aktion beteiligten, wurde die Tafel nicht vollständig benagelt. Dennoch kam bis zum 12. Mai 1917 durch die Nagelung und damit verbundene Spenden ein Betrag von 6.363 M zusammen. Bis Kriegsende erbrachte die Aktion einen Erlös von 14.055 M. Doch anstatt dieses Geld der ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend an die Kriegswaisen und -witwen auszuzahlen, zeichnete die Stadt Bergisch Gladbach mit dem eingesammelten Betrag Kriegsanleihen. Die Eiserne Tafel gehört heute zum Depotbestand des Bergischen Museums für Bergbau, Handwerk und Gewerbe. Sie wurde eigens für diese Ausstellung restauriert. Postkarte „Eiserne Tafel“ zur Erinnerung an die Nagelspende, 1915 (Karl Haas, Overath) „… dann laus ich mich mit“ – Feldpost aus Polen Am 21.10.1915 schreibt Luise Müller aus Dellbrück: „Liebe Schwester! Ich kann kaum fassen, daß Adolf fort sei, wie mir gestern gesagt wurde.“ 26 Feldpostkarten aus der Hand von Adolf Widdig schildern seinen Weg als Soldat von der im Spätherbst 1915 beginnenden Ausbildung im Rekrutendepot in Jülich bis zu seinem Einsatz in Polen ab Juni 1916 „Wir liegen eine Stunde per Bahn hinter Warschau. Jablonna heißt das Lager.“ Die Texte und Motive seiner Feldpostnachrichten klammern das Kriegsgeschehen weitgehend aus. Auf Ansichten von Warschau wird einmal die Sprengung der Eisenbahn-Brücke gezeigt. Eine Karte aus Jablonna gibt die Baracken des III. Bataillons wieder. Es überwiegen folkloristische Darstellungen vom vorgeblich dörflichen Leben in Polen. Eine Szene mit dem Titel „Russische Kultur“ schildert eine von Läusen geplagte Familie. Zwei Karten sind auf Birkenrinde – als Ersatz für das durch Feuchtigkeit gefährdete Papier − geschrieben. Nur einmal lässt Adolf Widdig seine Gefühle sprechen und kommentiert einen vor der Wache sehnsüchtig an seine Frau in der Heimat denkenden Soldaten: „So stand ich auch schon ein paarmal.“ Schon im Winter 1916 scheint sein Einsatz als Soldat beendet zu sein, wie wir einer Feldpostkarte des Schwagers Kurt vom 12.11.1916 entnehmen: „Was macht Ihr denn noch. Adolf hat aber Glück gehabt.“ Postkarte, Adolf Widdig an seine Frau Tinchen, Jablonna, 5.8.1916 „… So stand ich auch schon ein paarmal!“ (Schenkung Renate Schätzmüller) „… nur der Krieg dauert zu lange“ Feldpost von der Westfront Etwa 8 Milliarden Feldpostkarten und -briefe hielten während des Krieges die Verbindung zwischen den deutschen Soldaten und ihren Verwandten in der Heimat aufrecht. Auch die Brüder und Schwäger von Adolf und Tinchen Widdig, die in Belgien und Frankreich stationiert waren, nutzten diese Möglichkeit. Die Karten zu Beginn des Krieges zeigen meist am Kriegsschauplatz angefertigte Fotos von stolzen Einzelkämpfern in Uniform oder die zwanglos vor einer Kulisse gelagerte Mannschaft und schlagen oft noch einen humoristischen Ton an. Aber bereits am 9.2. 1915 schreibt Schwager Kurt: „Lieber Adolph du kannst froh sein, dass Du noch nichts mit der ganzen Sache zu tun hast. Ich wünschte der ganze Krieg wäre zu Ende und könnte bei meiner Frau die Zeit verbringen.“ Anstelle der anfangs verschickten idyllischen Ansichten von Dörfern oder Städten an der Front treten zunehmend zerstörte Dörfer, Ehrenfriedhöfe oder Fotos aus den Schützengräben. Einzelne Karten geben der Sehnsucht nach der Heimat oder patriotischen Durchhalteparolen Ausdruck. Auf anderen werden in der Bildunterschrift die Kriegsgräuel ausschließlich den Feinden angelastet: „Kirche von Langemarck bei Ypern vom feindlichen Feuer zerstört“. Postkarte, August Kellershohn an seine Schwägerin Tinchen, 22.7.1916, „Kirche von Langemarck bei Ypern vom feindlichen Feuer zerstört.“ (Schenkung Renate Schätzmüller) Helmut Feiber (1897−1915) Hauptmannssohn aus Bergisch Gladbach Die Ausstellung erinnert auch an Helmut Feiber. Er war am 6. Juni 1915 infolge einer Kriegsverletzung gestorben. In Bergisch Gladbach kennt man heute noch das von seinen Eltern − Major Richard Feiber und Margarete Feiber, geb. Westphal − 1909 errichtete „Deutsche Haus“. Lebensweg und Schulzeit von Helmut Feiber in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg − Privatunterricht, Volksschule, Kadettenanstalt Bensberg, Progymnasium Bergisch Gladbach, Deutsche Landerziehungsheime Haubinda und Bieberstein − sind typisch für eine behütete Kindheit in einem großbürgerlichen Elternhaus. Am 31.8.1914 telegrafiert er voller Stolz an den Vater „hurra einjaehriges bestanden= grusz helmut“. Unmittelbar danach meldet er sich als „Kriegsfreiwilliger“. Nach kurzer Ausbildung beim Pionier-Bataillon in Köln-Riehl wird er Anfang Januar 1915 eingezogen. Vom Kriegsschauplatz in Frankreich korrespondiert Helmut Feiber bis zu seinem Tod mehrmals täglich mit den Eltern. 355 Feldpostbriefe und -karten befinden sich im Stadtarchiv. Die letzte schickt Richard Feiber am 5.6.1915 an seinen verwundeten Sohn ins Lazarett in Sainghin (Nordfrankreich). Sie trägt den Stempel „Zurück“ und die handschriftliche Notiz „Starb den Heldentot.“ Todesanzeige für Helmut Feiber, Bergisch Gladbacher Volkszeitung, 9.6.1915 (StAGL, N2/182) Conrad Grommes Der Krieg im Spiegel einer Lehrerchronik Katholische Schule Bensberg, erbaut 1870, abgebrochen 1958 (StAGL, Foto D 518/2) Rektor Conrad Grommes (1864−1934) leitete von 1899 bis zur Pensionierung 1931 die katholische Schule in Bensberg. Zu Beginn des 1. Weltkrieges wollte er den Schülern 1914 erklären, was Krieg bedeutet. Die damalige Schulchronik enthielt aber nichts zum Feldzug 1870/71. So beschloss er, die aktuellen Kriegsereignisse in einem Tagebuch festzuhalten, um sie in einer Chronik zur Information kommender Schülergenerationen weiterzugeben. Bei seinen Aufzeichnungen interessierte ihn nicht so sehr der Krieg weit weg an der Front, sondern vielmehr seine Auswirkungen auf den Kriegsalltag in Bensberg. Man erfährt, wie Nachrichten, Propaganda und Gerüchte in der Stadt ankamen und verbreitet wurden. Das größte Problem an der Heimatfront war die Versorgung der Bevölkerung. In der Schule begann jeder Unterrichtstag mit einer Aktualisierung des Frontverlaufs. Die Schüler führten eigene Hefte zum Kriegsgeschehen, legten ein ‚Kriegsmuseum‘ mit Granatsplittern und Geschossteilen an und sammelten für die Soldaten an der Front. Die Mädchen strickten warme Wintersachen. Neue Aushänge am benachbarten Bürgermeisteramt wurden sofort von Schülern gesichtet und der Klasse mitgeteilt. Waren Siege zu verzeichnen, hissten Schüler die deutschen Fahnen an der Schule. „Berechne den Geländegewinn!“ Der Krieg in Schulbüchern Die Kriegspropaganda schlägt sich auch in Schul- und Kinderbüchern nieder. Im zweiten Kriegsjahr erscheinen 1915 in Leipzig „F. Hirt’s Neue Kriegslesestücke – Erlebnisse und Darstellungen aus dem Jahre 1915“. Der Lesestoff umfasst tendenziöse Berichte und gefühlvolle Erzählungen von den Kriegsschauplätzen, den Text einer von Kaiser Wilhelm II im Hauptquartier am 31. Juli 1915 gehaltenen Rede, ein Glossar mit militärischen Begriffen und Gedichte. Nr. 12 gibt die Inschrift auf dem Grabstein eines am 25. April 1915 gefallenen 16-Jährigen wieder: 1. In Frankreich liegt sein Grab im Wald, von hellem Buchengrün beschattet. Er war erst sechzehn Jahre alt, der unter Blumen liegt bestattet – im Lenz. 2. Erst sechzehn Jahr und schon ein Held, zum Mann gereift in großen Zeiten. So hat ihn ein Geschoß gefällt; es galt zum letzten Sturm zu schreiten – im Lenz. 3. Er war die Freude der Genossen, der Junge mit den zarten Zügen. Für Deutschland ist sein Blut geflossen, und sterbend sah er Deutschland siegen – im Lenz. Ebenfalls 1915 werden im Beiheft Nr. 38 zur Zeitschrift „Schaffende Arbeit u. Kunst in der Schule“ die von Lehrer Ernst Beywang verfassten 732 Kriegsrechenaufgaben veröffentlicht. Aufgabe Nr. 327 lautet: „Im Telegramm heißt es: Unsere Truppen kamen um 240 m vorwärts in einer Breite von 350 m. Berechne den Geländegewinn!“ Impressum „Mein süßes Tinchen“ – Kriegsalltag Bergisch Gladbach 1914/18 Eine Ausstellung des Schulmuseums Bergisch Gladbach – Sammlung Cüppers in Zusammenarbeit mit dem Bergischen Museum für Bergbau, Handwerk und Gewerbe, der Integrierten Gesamtschule Paffrath –Europaschule (IGP), dem Stadtarchiv Bergisch Gladbach und der Stiftung Zanders – Papiergeschichtliche Sammlung Herausgeber: Förderverein des Schulmuseums Bergisch Gladbach e.V. Kempener Straße 187 51467 Bergisch Gladbach Telefon (0 22 02) 8 42 47 E-Mail: [email protected] Internet: www.das-schulmuseum.de 9. November 2014 – 31. August 2015 Blauer-Brief_8.indd 2 Konzept, Texte, Begleitprogramm: Rose- Karla Frewer, Gerhard Geurts, Ursula Gruber, Birgit Jathe mit Marie Duske, Michelle Mehlmann, Chiara Rahe, Ayse Sapan, Daniel Simionovici, Marie Zintl der Jahrgangsstufe Q2 der Integrierten Gesamtschule Paffrath – Europaschule (IGP), Peter Joerißen, Michael Krischak-Wareeyan, Rotraut Lange, Winfried Lange, Werner Ludwig, Max Morsches, Anna Sobota Ausstellungsgestaltung: Sandra und Günter Marquardt Konservatorische Betreuung: Bettina Rütten, LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, Pulheim 30.09.14 11:05