Allgäuer Zeitung, Kempten vom 18.04.2016

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Allgäuer Zeitung, Kempten vom 18.04.2016
KEMPTER TAGBLATT | DER ALLGÄUER
...
A llgäuer Zeitung
Die ewige Königin
Queen Elizabeth II. regiert seit 1952.
Ein Besuch vorm 90. Geburtstag
Die Dritte Seite
MONTAG, 18. APRIL 2016
Radikalisierung
So sollen Islamisten
umgedreht werden
Allgäu-Rundschau
Immer noch trüb
Nasskalt und wolkig startet
die neue Woche
Wetter
www.all-in.de
NR. 89
Russische
Pflegedienste
betrügen Kassen
PREIS ¤ 1,70
Geste der Hoffnung
Blickpunkt Lokales
Polizistin Geld geboten?
Frau soll versucht haben, eine Beamtin zu bestechen, damit sie eine
Anzeige zurücknimmt. Warum die
Frau nun per Haftbefehl gesucht
wird.
»Seite 27
Sozialwesen Milliardenschaden durch falsche
Abrechnungen. Ermittler sprechen von Mafia
Augsburg/Berlin Russische Pflegedienste betrügen offenbar in großem
Stil die Kranken- und Sozialkassen
in Deutschland. Experten schätzen
den Schaden durch falsche und manipulierte Abrechnungen auf mindestens ein bis zwei Milliarden Euro
jährlich. Auch in Augsburg ermittelt
die Staatsanwaltschaft gegen einen
Pflegedienst und sechs Beschuldigte, die in über 600 Fällen betrügerische Abrechnungen erstellt und so
in vier Jahren über 200 000 Euro ergaunert haben sollen.
Der Pflegemarkt in Deutschland
mit seinen gut 2,6 Millionen Pflegebedürftigen lockt offenbar immer
mehr kriminelle Banden an. „Das
Geschäft ist mittlerweile lukrativer
als der Drogenhandel“, so ein Experte für Korruptionsbekämpfung
der Pflegekassen. Das Bundeskriminalamt (BKA) habe inzwischen auch
Hinweise auf Strukturen Organisierter Kriminalität in diesem Bereich,
berichteten die Welt am Sonntag und
der Bayerische Rundfunk (BR).
Die Betrugsformen sind nach
BKA-Einschätzung vielfältig, wie
aus internen Dokumenten hervorgeht. So rechneten Pflegedienste
zum Beispiel systematisch mit gefälschten Pflege-Protokollen nicht
erbrachte Leistungen ab. Teilweise
seien Patienten aus den ehemaligen
Sowjetrepubliken in den Betrug
verwickelt, zum Beispiel, indem sie
ihre Pflegebedürftigkeit simulierten. In diesen Fällen teilten sich Patient und Pflegedienst den Erlös.
Die Betrüger verlagern dem Bericht zufolge ihr Geschäft zudem auf
lukrative Intensivpflegepatienten
und zweigen bis zu 15 000 Euro pro
Patient und Monat zu Unrecht aus
den Sozialsystemen ab. Häufiger
Trick: Zur Pflege werden billige
Hilfskräfte eingesetzt, die jedoch die
Sätze ausgebildeter Fachpflegekräfte abrechnen. „Beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch
russische Pflegedienste handelt es
sich um ein bundesweites Phänomen, das insbesondere dort auftritt,
wo sich durch Sprachgruppen ge-
schlossene Systeme bilden“, zitierten die beiden Medien aus dem Abschlussbericht des BKA. Darüber
hinaus seien „in Einzelfällen Informationen bekannt, laut denen die
Investition in russische, ambulante
Pflegedienste ein Geschäftsfeld russisch-eurasischer Organisierter Kriminalität ist“.
Das BKA wollte den als vertraulich eingestuften Bericht nicht kommentieren, teilte auf Anfrage aber
mit: „Insbesondere den kommunalen Sozialhilfeträgern sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, also letztlich der Allgemeinheit,
entstehen beträchtliche finanzielle
Schäden.“ Die BKA-Ermittler halten das Problem demnach für so relevant, dass sich die Behörde 2015
ein halbes Jahr lang in Kooperation
mit den Polizeibehörden der Länder
darauf konzentriert habe.
Regionale Schwerpunkte existieren dem Bericht zufolge in Berlin,
Niedersachsen und NordrheinWestfalen. In Niedersachsen habe
allein die AOK in den vergangenen
Jahren rund hundert Fälle zur Anzeige gebracht. Auch in Bayern gibt
es Verdachtsfälle. Die AOK vermutet sogar, dass auch Ärzte an dem
Betrug mitverdienen, indem beispielsweise Verordnungen für Personen ausgestellt werden, die in
Wahrheit gar nicht pflegebedürftig
seien. Gegenüber dem BR bestätigte
der Sprecher der Staatsanwaltschaft
Augsburg, Nicolai, Ermittlungen
gegen einen ambulanten Pflegedienst. Sechs Beschuldigte sollen
zwischen 2009 und 2013 in über 600
Einzelfällen betrügerische Leistungsabrechnungen erstellt haben
und so über 200 000 Euro von Krankenkassen und Stadt Augsburg erschlichen haben. In dem Fall ist nun
Anklage erhoben worden.
Ermittlungen in diesem Bereich
gelten als sehr aufwendig und personalintensiv. Die Welt am Sonntag
schreibt, bei den geschädigten Kassen sei man „erbost über die weitgehende Untätigkeit der Staatsanwälte“. (dpa, afp, mls)
»Kommentar
Kommentar
VON JÜRGEN MARKS
» [email protected]
Ein Paradies
für die Mafia
M
Papst Franziskus besucht Flüchtlinge auf Lesbos
Es ist nur ein gewöhnliches Geländer – aber eben
auch ein Gitter, durch das der Junge im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos einem Besucher seine Hand entgegenstreckt, als stünde er in einem Käfig. Vielleicht ahnt der Kleine, dass dieser Mann in
Weiß gekommen ist, ihm eine bessere Zukunft zu
versprechen. Etwa 3000 Menschen leben in dem Lager. Und warten. Und warten. Für zwölf von ihnen,
syrische Flüchtlinge, wurde der Papst zum Retter in
der Not. Er nahm sie mit nach Italien. Franziskus
nannte diese Geste einen „Tropfen im Meer – aber
nach diesem Tropfen wird das Meer nie wieder dasselbe sein.“ Mehr zum Papst-Besuch auf Lesbos lesen Sie auf der Politik. Und wann für Flüchtlinge bei
uns das lange Warten auf eine Arbeitserlaubnis endet, erklärt die Wirtschaft.
Foto: Andrea Bonetti, afp
Die AfD will Minarette verbieten
Wahlkampf Ein strikter Anti-Islamkurs soll ins Parteiprogramm
Berlin Die rechtspopulistische AfD
will mit einem Anti-Islamkurs in
den Bundestagswahlkampf gehen.
Führende Politiker der Partei haben
den Islam pauschal als Gefahr für
eine freiheitliche Grundordnung bezeichnet. „Der Islam ist an sich eine
politische Ideologie, die mit dem
Grundgesetz nicht vereinbar ist“,
sagte die stellvertretende Parteivorsitzende und Europaabgeordnete
Beatrix von Storch der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung.
Ähnlich äußerte sich Alexander
Gauland, Fraktionsvorsitzender der
AfD in Brandenburg und ebenfalls
Parteivize. „Der Islam ist keine Religion wie das katholische oder protestantische Christentum, sondern
intellektuell immer mit der Übernahme des Staates verbunden“, sagte er der Zeitung. Neben der fundamentalen Ausrichtung des Islams
gebe es keinen aufgeklärten Islam.
„Der Islam ist ein Fremdkörper“ in
Deutschland, so Gauland. Von
Storch sagte, der Islam könne in
Deutschland keine Heimat finden.
Auf ihrem Parteitag in Stuttgart
wolle die AfD ihren Anti-Islamkurs
in ihrem ersten Parteiprogramm
festschreiben, so von Storch. Geplant sei, Symbole des Islams wie
Minarette, den Ruf des Muezzins
und die Vollverschleierung zu verbieten. Moscheen sollten streng
kontrolliert, jedoch wegen des
Rechts auf Religionsausübung nicht
verboten werden. (dpa, afp)
ehr als 30 Milliarden Euro
werden nach Schätzungen
jährlich für pflegebedürftige Menschen in Deutschland ausgegeben.
Den Großteil bezahlen die Kranken- und Pflegekassen. Und damit
die deutschen Beitragszahler.
Es ist ein Skandal, dass es in einem Markt, in dem so viel Geld
fließt, offenbar nur laxe Kontrollen
gibt. Denn anders ist es nicht vorstellbar, dass bis zu zwei Milliarden
Euro in dunkle Kanäle abgezweigt
werden.
Für organisierte Kriminelle wie
russische Mafiagruppen muss das
deutsche Pflegesystem daher ein Paradies sein: einfache Zugänge, viel
Geld, wenig Kontrollen.
Wenn sich die Hinweise des BKA
tatsächlich bestätigen, dann besteht dringender Reformbedarf. Es
kann doch nicht wahr sein, dass
Kranken- und Pflegekassen monatlich 15 000 Euro für die Pflege eines Schwerstkranken überweisen,
ohne genau hinzuschauen, ob die
Leistungen des Pflegedienstes auch
das Geld wert sind.
Verantwortlich für das Pflegesystem ist Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Er muss gewährleisten, dass die Milliarden,
die deutsche Beitragszahler ausgeben, bei den Pflegebedürftigen ankommen. Und nicht bei der Mafia.
Heute in Ihrer Zeitung
Abschied von Genscher
Der Ende März im Alter von 89 Jahren gestorbene frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist
am Sonntag in Bonn mit einem bewegenden, offiziellen Staatsakt geehrt worden.
»Politik
Gesundheits-Region Allgäu
Schweres Erdbeben
trifft Ecuador
Quito Ein Erdbeben der Stärke 7,8
hat in Ecuador viele Menschen in
den Tod gerissen. Zahlreiche Gebäude stürzten durch die Erdstöße
vom Samstagabend ein und begruben Menschen unter sich. Die Zahl
der Toten wurde am Sonntag mit
mindestens 230 angegeben. Die Bergungsarbeiten liefen langsam an,
viele Menschen gruben zunächst mit
bloßen Händen in den Trümmern.
Im Land wurde der Ausnahmezustand verhängt. Nach der Naturkatastrophe brachen rund 100 Häftlinge aus einem Gefängnis aus. Dem
Hauptbeben schlossen sich über 50
Nachbeben an. Die Erdstöße waren
auch im Norden Perus und im Süden
Kolumbiens zu spüren. Erst am
Freitag war Japan schwer erschüttert worden. Dort starben über 40
Menschen. (afp)
»Panorama
Endlich Zeit für Katzenvideos
Satire Böhmermann kündigt Pause und Studienreise nach Nordkorea an
Berlin Was macht ein Satiriker, der
Abstand gewinnen will von der Aufregung, die er ausgelöst hat? Erst
mal Pause. Und wo? Jan Böhmermann hat seine Wahl getroffen:
Nordkorea – um sich „die Sache mit
der Presse- und Kunstfreiheit noch
mal genau erklären“ zu lassen – und
den Jakobsweg. Letzteres mit dem
Segway und zwecks Selbstfindung… Böhmermann bleibt auch
unter Anspannung Satiriker. Er verkündete am Wochenende eine Auszeit im Fernsehen und kann dieser
Pause auch gleich etwas volkspädagogisch Wertvolles abgewinnen:
Öffentlichkeit und Internet sollten
sich „mal wieder auf die wirklich
wichtigen Dinge wie die Flüchtlingskrise, Katzenvideos oder das
Liebesleben von Sophia Thomalla
konzentrieren“, schrieb der Satiriker auf bekannt ironische Weise bei
Facebook. Das ZDF bestätigte kurz
darauf eine vierwöchige Produktionspause seines Moderators – bis
zum 12. Mai. „Das ZDF respektiert
diese Entscheidung“, hieß es in einem knappen Statement. Auch im
Radio wird Böhmermann in den
kommenden Wochen nicht zu
hören sein.
Der Streit um sein Schmähgedicht auf den türkischen
Präsidenten Erdogan dürfte dagegen so schnell nicht
ruhiger werden. Jetzt wird
sich die Justiz damit befassen. Ein kurzer Prozess
wird das sicher nicht. Er-
dogans Anwalt Michael von Sprenger (lesen Sie ein Porträt auf Seite 2)
kündigte an, er wolle es „durchstreiten, bis ich obsiege“. Das ZDF
sicherte Böhmermann zu: „Wir gehen mit ihm durch alle Instanzen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel
hatte die deutsche Justiz am Freitag
ermächtigt, gegen den 35-Jährigen
zu ermitteln. Damit gab sie im Namen der Bundesregierung einem
Antrag der Türkei statt. Zwei
Umfragen ergaben, dass etwa
zwei Drittel der Menschen
in Deutschland diese Entscheidung für nicht richtig
halten. (mls, dpa) »Politik
Jan Böhmermann nimmt eine
Foto: ZDF, dpa
Auszeit.
Die halbe Liga
in Abstiegsangst
Augsburg Jetzt geht das große Zittern los. Vier Spieltage vor Saisonschluss wird die halbe Fußball-Bundesliga von Abstiegsängsten geplagt.
Hannover ist zwar trotz eines Sieges
gegen Mönchengladbach so gut wie
sicher raus und Frankfurt ist erster
Anwärter auf den zweiten direkten
Abstiegsplatz. Für die Relegationsspiele gegen den Zweitliga-Dritten
aber gibt es nach diesem Wochenende sieben Anwärter. Trotz des
1:0-Sieges gegen Stuttgart zählt
auch der FC Augsburg noch dazu.
Die Anhänger des FC Bayern dagegen dürfen sich schon mal für eine
Feier rüsten. Wenn am kommenden
Wochenende ihre Lieblinge in Berlin gewinnen und „Verfolger“ Dortmund in Stuttgart verliert, dann ist
die nächste deutsche Meisterschaft
perfekt. (AZ)
»Sport
Auf 88 Seiten
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