Der Taucher
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Der Taucher
Der Taucher Eine Kooperation von Friedrich Schiller & Otmar Traber Zur Verabschiedung des Nachteulenpfarrers Georg Schützler Als Drohung und Ermutigung Ich bin ja gebeten worden heute Abend diese multiplen Laudatio Exstasen auf Georg Schützler und die Nachteulen kabarettistisch abzuschließen bzw zu vollenden. Da stellt sich natürlich die Frage : Was kann man hier noch draufsetzen als Kabarettist ??? Mir ist klar geworden,GEORG,das geht nur noch mit einem Klassiker - und in Ludwigsburg heisst Klassiker natürlich Schiller. Der Klassiker, den ich jetzt für Dich zu Deiner Verabschiedung als Nachteulen-Pfarrer ausgewählt habe, ist der Taucher. Ich nehme an, Sie kennen diese wortgewaltige Ballade noch aus der Schulzeit: Diese Geschichte vom König, vom Becher, vom Sprung, vom Helden, vom Jüngling, vomMut und vom Tod. Gut, das mit dem Tod, hab ich einfach noch weggelassen, wir sind ja erst bei der Verabschiedung. Das Grundproblem der Klassiker ist ja immer die Aktualisierung. Diese Dichter-Heroen benützten ja ein Sprache, nehmen Worte, die uns zunächst einmal nicht einleuchten. Von daher werde ich, wenn ich den Taucher vortrage, immer Erläuterungen abgeben, damit Sie den Klassiker auch verstehen. Es folgt nun der Taucher frei nach Friedrich Schiller: © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de Wer wagt es Luthermänner oder Frauen Zu suchen der Kirche neuen Sinn // Einen goldnen Becher werf ich hinab // Wer mir den Becher kann wieder zeigen Er mag ihn behalten // er ist sein eigen. Sehen Sie, da haben wir schon das erste Problem. Wegen einem Becher macht sich kein evangelischer Pfarrer auf die Suche nach dem Sinn von Kirche. Das ist antiquiert. Die brauchen was anderes zur Motivation. Ne volle Kirche, das könnte ein Lohn sein. Aber wenn man als Pfarrer kurz vor der Rente steht, da hat man halt andere Sorgen. Da sieht man mit Bangem dem ersten Rentenbescheid entgegen und spürt schon von weitem, das ist ja viel viel weniger – um Gottes willen und der Lebensstandart ist nicht mehr zu halten! Der Georg hat das zum Glück rechtzeitig erkannt und reagiert. Dann braucht man einen NLP Master, einer PLN Master, einen XXL Master, also für jeden fehlenden Rentenpunkt sozusagen einen Master. Ältere Pfarrer brauchen nicht die „Utopie einer vollen Kirche“, sondern eine handfeste Hoffnungssymbolik, die auch noch in den Renterjahren was einbringt. © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de Wer wagt es Luthermänner oder Frauen Zu suchen der Kirche neuen Sinn Ein Jahreslos der Fernsehlotterie werf ich hinab Wer mir die Antwort kann zeigen // Darf das Los behalten // es ist dann sein eigen So sprachs der Herrgott und wirft von der Höh Der Friedenkirche // die schroff und steil Hinausragt in unendliche Höh // Den Becher in der Charybde Geheul Sie merken‘s Textpoblem Nummer 2. Wer oder was ist die Charybde? Schiller wusste das, wir müssen bei Wikipedia nachschauen (https://de.wikipedia.org/wiki/Skylla9 ) In der griechischen Sage: eine Tochter des Neptun und der Erde und wurde, ihrer Unersättlichkeit wegen, von Jupiter in’s Meer gestürzt, wo sie jedes Schiff, das sich ihr näherte, verschlang. Und wo zeigt sich heute Unersättlichkeit?? Vor allem für die Kirchen? Im Alltagsleben der Menschen. Die werden von der Unersättlichkeit des Alltags so aufgesogen und kommen deshalb am Sonntagmorgen nicht mehr zum protestantischen Gottesdienst So sprachs der Hergott und wirft von der Höh Der Friedenkirche // die schroff und steil Hinausragt in unendliche Höh Das Jahreslos in der B27 Geheul // "Wer ist der Beherzte // ich frage wieder Zu tauchen in dieses Chaos nieder?" Doch all die Pfarrer und -Innen Vernehmen's und schweigen still // Die nahenden Pensionen im Herzen Keiner die Frag jetzt noch beantworten will. // Und der Herrgott zum dritten Mal wieder fraget: "Ist keiner, der die Suchet waget?" Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor Und jetzt kommst Du ins Spiel, Georg Nur ein Edelknappe // lang und dürr // Kein Tübinger Wilhelmstift Spätlese // Nein // eher ein hanseatisch freikirchlicher Leichtmatrose // Tritt aus der Pfarrer zagendem Chor // © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de Das Beffchen wirft er // den Talar auch weg // Und all die Männer umher // vorallem die Frauen // Den alternden Jüngling verwundert beschauen. Ich weiß: bei Schiller steht nur „Jüngling“, aber Entschuldigung, das ist jetzt eine Verabschiedung und der Georg geht doch nicht mehr als „Jüngling“ durch. Auch wenn das viele Nachteulengroupies anders sehen. Doch jetzt wo er tritt an des Turmes Rand // Frisch renoviert und stabil Und blicktet hinunter ins Feindesland // Da kommt ihm ein mulmiges Gefühl // Und wie mit des fernen Donners Getose Entstürzen Autos qualmend dem finsteren Schoße Und wie es da stauet, fluchet,stinket und zischt Benzin und Diesel verbrennt // Bis nach Stuttgart steht das qualmende Gift Blech an Blech aneinander sich drängt Und will sich nimmer erschöpfen und leeren // Als wollte die Strass noch ne Strass gebären Schiller hätte das auch nicht besser gemacht. Als wollte die Strass noch ne Strass gebären Und Georg spüret den Kairos am Turm Gepaart mit Erotik und Angst // Hier biederes Streben vorn am Altar Als Äffchen mit Beffchen im schwarzen Talar Da draußen das Leben voll Ungestüm // Da ziehets den Schützler mit Leidenschaft hin Jetzt schnell // ehe die Angst sich wiederkehrt Der alternde Jüngling sich Gott befiehlt Ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört das war übrigens die Ruth Schon hat ihn die B27 hinweggespült // Geheimnisvoll über dem kühnen Springer Schliesst sich ein Kofferraum // er zeigt sich nimmer Stille herrscht jetzt im Kirchenrund // Nur draußen dröhnt der Verkehr // Bebend hört man aus fraulichem Mund: © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de "Wir hoffen auf seine Wiederkehr" Und hohler und hohler hört man's heulen // Der Lärm harrt noch mit bangem // mit schrecklichem Weilen Und wärfst du die Krone selber hinein Uns sprächst // Wer mir bringet die Kron // Er soll sie tragen und Papst noch sein // Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn // Denn was die heulende Tiefe da draußen verhehle // Das erzählt keine lebende glückliche Seele Wohl mancher Pfarrer, voll Übermut Schoß jäh in die Tiefen des Alltags hinab // Doch zerschmettert nur ragt sein Bibel Buch Aus dem alles verschlingenden Grab // Was früher gegolten // das ist dort nicht mehr // Noch kennt man Weib oder Mann alles ist möglich im unendlichen Meer // das ist der Charybde Gesang Und wie’s in der Stadt laut ist funkelt, lärmet und zischt // Wie wenn Faust sich mit Mephisto vermengt // Bis zum Himmel strahlet das künstliche Licht Geschäft und Laden sich ohn Ende drängt // Wollen verkaufen und sich täglich neu vermehren // als wollte das Marstall Center noch ein Center gebären Doch sieh! aus dem finsteren Alltags Schoß Da hebet sich's schwanenweiß // Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß // Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß // Und er ist's // wer? // der Schützler, // wo? // hier ? // Nein da Man sieht seinen Scheitel und ein Rest von einem Haar Und hoch in seiner Linken Schwingt er den Lottoschein // mit freudigem Winken. Und atmete lang und atmete tief // Und begrüßte das helle Licht. Mit Frohlocken es einer der andern rief: "Er lebt! Unser Georg! // Es behielt ihn nicht // Aus der gräßlichen Ludwigsburger Hölle Hat der Brave gerettet seine kirchliche Seele" © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de Und er kommt // es umringt ihn die jubelnde Schar // Zu des Herrgotts Füßen er sinkt Den Lottoschein reicht er ihm kniend dar // Darauf der Herrgott dem Dekan dann winkt damit der dem Georg die richtigen Lottozahlen bringt Und der Schützler sich also zum Hergott wandte: "Lange lebe der Mensch! // Es freue sich Wer da atmet im rosigen Tageslicht // Da unten aber ist's fürchterlich Der Mensch versuche die Götter nicht Und begehre nimmer und nimmer zu schauen // Was sie gnädig bedeckten mit Nacht und Grauen Es war nicht der Alltag // den ich erblickte // nicht Sodom Gomorra‘s Sündenwerk // als wär’s ein Demiurg // der mich da schickte // sah ich den Protestantismus von Württemberg Der unter mir lag noch bergetief In purpurner Finsternis da // Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief Das Auge mit Schaudern hinuntersah // Wie's von Oberkirchenräten // Diakonen und Pfarrern Sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen Ne Sitzung am Mittag von drei bis um sieben Um Geld und Strukturen // der Geist ist vertrieben // Deutscheichig wimmelten da in grausem Gemisch Zu ästhetischen Klumpen geballt Ein Gemeindezentrum // Stuhl und Tisch Des Biedermeiers greuliche Ungestalt // Und dräuend zeigt mir die grimmigen Zähne Eine Kirchengemeinderatsvorsitzende // Des Meeres Hyäne Dann riß mich eine riesige Welle fort Ich weiß nicht // wie mir geschah © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de War plötzlich an einem anderen Ort // Der apokalyptisch war Morgens halb Acht // Religion in der Neunten Verschlafenes Piercing // Schweigen und Heulen Zwei Stunden später // da kroch's schon heran // des Pfarrers-Büro-Alltags-Schlangenbrut, Paragraphen, Formulare als heiliger Wahn wollen schnappen nach mir in eiliger Wut Da hing ich // und war's mit Grausen bewußt // Von der menschlichen Hilfe so weit Unter Larven die einzige fühlende Brust // Allein in der Ludwigsburger Einsamkeit // Tief unter dem Schall der menschlichen Rede Im Nirwana der kirchlichen Öde. Dann ergriff mich ein Strudel mit rasendem Toben Er ward mir zum Heil // denn er riß mich nach oben Und wie‘s mich dann zieht der Sonne entgegen // Der Busen voll Sehnsuht nach Luft und nach Leben Da schenkte mir Gott aus dem Weltenraum // Zu dem ich rief in der schrecklichen Not Aus dem Kosmos kommend einen Kirchentraum // Den erfaßt ich behend und entrann so dem Tod Es müsst in der Kirche was geben mit Leben Verträumt und mit Lieder verspielt und nicht bieder // Ein Ort zum Verweilen zum Freuen und Heulen // Leicht und bekömmlich // mal süß und mal salzig // Baguette und kein Schwarzbrot, Rechtzeitg fertig // kurz vor dem Tatort Der Herrgott darob zufrieden scheint Und spricht // das Jahreslos ist Dein Nur ein Oberkirchenrat ereifernd meint // DAS soll des Luthers Erbe sein ???? // Wo bleibt das Schwere wo die Last Wo der Sünde Schuld // Das ist Fastfood Nahrung im Kirchenraum Und kein neuer Kirchentraum Da ergreift's dem Georg die Seele mit Himmelsgewalt Und es blitzt aus den Augen ihm kühn // Denn er sieht seine geliebte Nachteulengestalt Sieht sie ermatten und sinken dahin // © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de Da treibt‘s ihn zur Suche nach würdigen Erben Und er reiset nach Rom auf Leben und Sterben Trifft zur nächtlichen Stunde // Franziskus am Tiber // Auch dem wär ne lockere Kirche lieber // Ein kurzes Gespräch // zum Schluss zwei Espressi Nach ner halben Stunde ist alles paletti So hört man die Nachricht im Lutherjahr // Die Glocken verkündens mit donnerndem Schall // für die Stadtkirche gibt‘s ne Ausnahmegenehmigung Die Nachteulen werden katholisch // wunderbar // Der Herrgott nickt freundlich // Dem isch das egal © Otmar Traber – Marbacher Str. 40 – 71726 Benningen – [email protected] – www.otmar-traber.de