11. Das römische Epos: Vergil und Ovid 11.1.1. Vergil, Aeneis 1,1-33
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11. Das römische Epos: Vergil und Ovid 11.1.1. Vergil, Aeneis 1,1-33
Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXIV Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11. Das römische Epos: Vergil und Ovid 11.1.1. Vergil, Aeneis 1,1-33 5 10 15 20 25 30 Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris Italiam fato profugus Laviniaque venit litora, multum ille et terris iactatus et alto vi superum, saevae memorem Iunonis ob iram, multa quoque et bello passus, dum conderet urbem inferretque deos Latio; genus unde Latinum Albanique patres atque altae moenia Romae. Musa, mihi causas memora, quo numine laeso quidve dolens regina deum tot voluere casus insignem pietate virum, tot adire labores impulerit. tantaene animis caelestibus irae? Urbs antiqua fuit (Tyrii tenuere coloni) Karthago, Italiam contra Tiberinaque longe ostia, dives opum studiisque asperrima belli, quam Iuno fertur terris magis omnibus unam posthabita coluisse Samo. hic illius arma, hic currus fuit; hoc regnum dea gentibus esse, si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque. progeniem sed enim Troiano a sanguine duci audierat Tyrias olim quae verteret arces; hinc populum late regem belloque superbum venturum excidio Libyae; sic voluere Parcas. id metuens veterisque memor Saturnia belli, prima quod ad Troiam pro caris gesserat Argisnecdum etiam causae irarum saevique dolores exciderant animo; manet alta mente repostum iudicium Paridis spretaeque iniuria formae et genus invisum et rapti Ganymedis honores: his accensa super iactatos aequore toto Troas, reliquias Danaum atque immitis Achilli, arcebat longe Latio, multosque per annos errabant acti fatis maria omnia circum. tantae molis erat Romanam condere gentem. Waffen besinge ich und ihn, der zuerst vor Troias Gestaden / durch das Geschick landflüchtig Italien und der Laviner / Küsten erreicht; den lange durch Meer und Länder umhertrieb / Göttergewalt, wegen des dauernden Grolls der erbitterten Iuno. (5) Vieles erduldete er auch im Krieg, bis er die Stadt gegründet / und die Penaten nach Latium gebracht hatte; von dort stammt das Volk der Latiner, / Albas Väter, und Roms hochragende Mauern. / Sag mir an, o Muse, weshalb, verletzt in der Gottheit / oder im Herzen gekränkt, der Unsterblichen Fürstin den frömmsten (10) Mann so viel Drangsal bestehen und Mühen erdulden / liess. Ist wirklich der Zorn so gross in den himmlischen Seelen? / Fern gegenüber Italiens Strand und der Mündung des Tiber / lag vor Alters die Stadt / Karthago — tyrische Kolonisten / wohnten daselbst — an Besitztum reich und geübt in des Krieges rauhem Geschäft. (15) Sie erkor, so sagt man, Iuno vor allen / Ländern, vor Samos selbst, sich zum Sitz. Hier hatte sie die Waffen, / hier den Wagen; die Herrschaft der Welt, wenn das Schicksal es wollte,/ hier zu begründen, war damals schon ihr heisses Verlangen. / Aber sie hatte vernommen, dass ein Stamm aus troischem Blute (20) spross, bestimmt, dereinst zu zerstören die tyrische Stadtburg. / Von ihm werde ein Geschlecht, weit herrschend und stolz in den Waffen, / kommen, dem Libyerland zum Verderben: so spännen die Parzen. / Dieses befürchtend und stets sich erinnernd des früheren Krieges, / den sie zuerst bei Troia für das teuere Argos geführt hatte — (25) denn noch waren die Gründe des Zorns und die grimmigen Schmerzen / nicht aus dem Geist gelöscht; sie bewahrt im tiefen Gemüte / das Urteil des Paris und der Schönheit schnöde Verachtung, / all das verhasste Geschlecht, Ganymedes' Raub und Erhebung: / Darum entbrannt jagt jetzt Saturnia über die Tiefen, (30) was von Troern den Griechen entging und dem grimmen Achilles, / und wehrte sie weit von Latium ab; mehrere Jahre lang / irrten sie, verfolgt vom Geschick, ringsum durch alle Meere. / Solch mühseliges Geschäft war die Stiftung des Römergeschlechts. (Übersetzung nach M. von Albrecht) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXV Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11.1.2. Vergil, Aeneis 1,227-296 230 235 240 245 250 255 260 atque illum (= Iovem) talis iactantem pectore curas tristior et lacrimis oculos suffusa nitentis adloquitur Venus: 'o qui res hominumque deumque aeternis regis imperiis et fulmine terres, quid meus Aeneas in te committere tantum, quid Troes potuere, quibus tot funera passis cunctus ob Italiam terrarum clauditur orbis? certe hinc Romanos olim volventibus annis, hinc fore ductores, revocato a sanguine Teucri, qui mare, qui terras omnis dicione tenerent, pollicitus - quae te, genitor, sententia vertit? hoc equidem occasum Troiae tristisque ruinas solabar fatis contraria fata rependens; nunc eadem fortuna viros tot casibus actos insequitur. quem das finem, rex magne, laborum? Antenor potuit mediis elapsus Achivis Illyricos penetrare sinus atque intima tutus regna Liburnorum et fontem superare Timavi, unde per ora novem vasto cum murmure montis it mare proruptum et pelago premit arva sonanti. hic tamen ille urbem Pataui sedesque locavit Teucrorum et genti nomen dedit armaque fixit Troia, nunc placida compostus pace quiescit: nos, tua progenies, caeli quibus adnuis arcem, navibus (infandum!) amissis unius ob iram prodimur atque Italis longe disiungimur oris. hic pietatis honos? sic nos in sceptra reponis?' Olli subridens hominum sator atque deorum vultu, quo caelum tempestatesque serenat, oscula libavit natae, dehinc talia fatur: 'parce metu, Cytherea, manent immota tuorum fata tibi; cernes urbem et promissa Lavini moenia, sublimemque feres ad sidera caeli magnanimum Aenean; neque me sententia vertit. hic tibi (fabor enim, quando haec te cura remordet, longius et volvens fatorum arcana movebo) bellum ingens geret Italia populosque ferocis contundet moresque viris et moenia ponet, Da Jupiter nun in der Brust solcherlei Sorgen bewegte, / nahet bekümmert, den strahlenden Blick mit Tränen umgossen, / Venus und redet ihn an: »O du, der du die Angelegenheiten der Menschen und Götter (230) mit ewigem Gebote lenkst und sie mit dem Blitze schreckst, / was hat mein Aeneas an dir so Grosses verschuldet, / was die Troer, für die, nachdem sie schon so viele Tote betrauert, / der gesamte Erdkreis Italiens wegen verschlossen bleibt? / Und doch sollten von hier die Römer einst mit kreisenden Jahren, (235) sollten die Feldherrn kommen, von Teukros' wiedererwecktem Stamm, / die das Meer und alle Länder fest hielten im Gehorsam / — so versprachst du. Was hat dir den Sinn, o Erzeuger, geändert? Dadurch tröstete ich mich ob Troias Fall und der schmerzlichen Trümmer, / indem ich Geschick mit Geschick wog; (240) aber dasselbe Schicksal verfolgt auch jetzt die durch so viel Nöte getriebenen Männer. Wann machst du den Mühen, o erhabener König, ein Ende? / Konnte doch, mitten entschlüpft durch das Heer der Achiver, Antenor / /in die illyrische Bucht eindringen und bei dem versteckten / Reich der Liburner vorbei und Timavus' Quellen gelangen, (245) der mit lautem Getöse des Bergs sich jäh in das Meer stürzt, / durch neun Mündungen und das Gefilde mit rauschender Flut deckt! / Und hier baute er die Stadt Patavium, gründete Sitze hier / für die Teukrer, benannte das Volk und hing die trojanischen / Waffen auf, er, der jetzt ausruht, in Frieden bestattet. (250) Wir, dein Geschlecht, dem du selbst die Himmelshöhe gewährtest, / werden, o Schmach, nach der Schiffe Verlust um einer einzigen Zorn / verraten und weit von den italischen Küsten verschlagen. / Soll das der Lohn für unsere Frömmigkeit sein? Verleihst du so uns das Szepter? / Und mild lächelt sie an der Erzeuger der Menschen und Götter (255) mit einem Blick, der Himmel und Wetter erheitert. / Sanft dann küsste er die Tochter auf den Mund und sprach: »Lass von der Furcht, Cytherea, unwandelbar bleibt der Deinen / Schicksal; du wirst noch die Stadt Laviniums und die verheissenen / Mauern sehen. Du trägst empor zu den Sternen des Himmels (260) den erhabenen Aeneas; mein Sinn hat sich nicht geändert. / Er — ich will es gestehn, da dich solche Sorge plagt, ja, ich will das verhüllte Geschick noch weiter entrollen — / wird noch gewaltige Kriege führen in Italien und wilde Völker / bändigen, Gesetze geben den Männern Survol de la littérature antique Cours SE 2007 265 270 275 280 285 290 295 XXVI tertia dum Latio regnantem viderit aestas ternaque transierint Rutulis hiberna subactis. at puer Ascanius, cui nunc cognomen Iulo additur (Ilus erat, dum res stetit Ilia regno), triginta magnos volvendis mensibus orbis imperio explebit, regnumque ab sede Lavini transferet, et Longam multa vi muniet Albam. hic iam ter centum totos regnabitur annos gente sub Hectorea, donec regina sacerdos Marte gravis geminam partu dabit Ilia prolem. inde lupae fulvo nutricis tegmine laetus Romulus excipiet gentem et Mavortia condet moenia Romanosque suo de nomine dicet. his ego nec metas rerum nec tempora pono: imperium sine fine dedi. quin aspera Iuno, quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat, consilia in melius referet, mecumque fovebit Romanos, rerum dominos gentemque togatam. sic placitum. veniet lustris labentibus aetas cum domus Assaraci Pthiam clarasque Mycenas servitio premet ac victis dominabitur Argis. nascetur pulchra Troianus origine Caesar, imperium Oceano, famam qui terminet astris, Iulius, a magno demissum nomen Iulo. hunc tu olim caelo spoliis Orientis onustum accipies secura; vocabitur hic quoque votis. aspera tum positis mitescent saecula bellis: cana Fides et Vesta, Remo cum fratre Quirinus iura dabunt; dirae ferro et compagibus artis claudentur Belli portae; Furor impius intus saeva sedens super arma et centum vinctus aënis post tergum nodis fremet horridus ore cruento.' Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 und schützende Mauern errichten, (265) bis ihn in Latium drei Sommer als König gesehen haben, / dreimal ins Winterlager zogen die gebändigten Rutuler. / Aber der Knabe Ascanius, der den Beinamen Iulus / erhält — Ilus war er, solange das Reich von Ilium blühte, — / wird dreissig Jahre lange der Monde / Kreislauf (270) mit Herrschergewalt füllen, sein Reich von Laviniums Sitz / weiter verlegen, und Alba Longa mit grosser Macht befestigen. / Drei Jahrhunderte lang wird die Herrschaft ununterbrochen andauern / unter des Hektor Geschlecht, bis die fürstliche Priesterin endlich, / Ilia, schwanger von Mars, ein Zwillingspaar auf die Welt bringt. (275) Von da führt glückverheissend im rotbraunen Fell der Wölfin / Romulus den Stamm weiter. Er wird die Mavortischen Mauern / gründen und die Römer nach dem eigenen Namen heissen. / Diesen bestimme ich kein Ziel ihrer Taten und keine Zeiten: Herrschaft ohne Ende habe ich ihnen verliehen. Selbst Juno, die harte, (280) welche durch Meer und Land und Himmel Entsetzen verbreitet, wird zu besserem Rat gelangen, und zusammen mit mir die Römer / unterstützen, die Beherrscher der Welt und das Volk, das die Toga trägt. / So ist es beschlossen. Einst wird im Laufe der Jahrhunderte die Zeit kommen, / da Assaracus' Haus Phthias und das erlauchte Mykene (285) unter das Joch beugt und als Herr dem geknechteten Argos gebietet. Dann sprosst auf aus dem schönen Geschlecht der troianische Caesar, / dessen Gebot bis zum Ozean, dessen Ruhm zum Himmel reicht, / Iulius: sein Name entstammt vom grossen Iulus. / Ihn wirst du einst, beschwert mit den Trophäen des Ostens, im Himmel (290) fröhlich empfangen. Auch er wird mit Gelübden angerufen werden. / Dann, von den Kriegen erlöst, wird das rauhe Zeitalter sanfter: / die ehrwürdige Fides (Treue) und Vesta (Göttin des Herdes), Quirin (der zum Gott erhobene Romulus) zusammen mit seinem Bruder Remus / geben die Gesetze; mit Stahl und klemmenden Riegeln / bleiben die Tore des Kriegs geschlossen; drin sitzt die verruchte / Wut grimmig auf den Waffen und, mit ehernen Knoten / hinter dem Rücken gebunden, schnaubt das Scheusal mit blutigem Schlund.« (Übersetzung nach M. von Albrecht) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXVII Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11.1.3. Vergil, Aeneis 1,736–756. 2,1–9 740 745 750 755 5 dixit et in mensam laticum libavit honorem primaque, libato, summo tenus attigit ore; tum Bitiae dedit increpitans; ille impiger hausit spumantem pateram et pleno se proluit auro; post alii proceres. cithara crinitus Iopas personat aurata, docuit quem maximus Atlas. hic canit errantem lunam solisque labores, unde hominum genus et pecudes, unde imber et ignes, Arcturum pluviasque Hyadas geminosque Triones, quid tantum Oceano properent se tingere soles hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet; ingeminant plausu Tyrii, Troesque sequuntur. nec non et vario noctem sermone trahebat infelix Dido longumque bibebat amorem, multa super Priamo rogitans, super Hectore multa; nunc quibus Aurorae venisset filius armis, nunc quales Diomedis equi, nunc quantus Achilles. 'immo age et a prima dic, hospes, origine nobis insidias' inquit 'Danaum casusque tuorum erroresque tuos; nam te iam septima portat omnibus errantem terris et fluctibus aestas.' Sagt es und feuchtet den Tisch mit des Weinstocks heiliger Spende, / kostet als erste den Trank, netzt kaum nur eben die Lippe, / reicht ihn mit fröhlichem Wort dem Bibias. Dieser, nicht träge, / schlürfte aus dem goldenen Rund in vollen Zügen die Schaumflut. (740) Andere tun es ihm nach. Zur goldenen Zither hebt Iopas, / der lockige, an, was ihn der mächtige Atlas gelehrt hat. / Er singt vom Wechsel des Monds, von den Mühen der wandernden Sonne, / woher der Menschen Geschlecht und das Kleinvieh, woher Regen und Blitz, / und Arcturus und Regengestirn und die beiden Trionen, (240) singt, warum mit dem Herbst in den Ozean früher das Tageslicht niedertaucht, / und was die verspäteten Nächte zurückhält. / Beifall klatscht das Tyrervolk, ihm folgen die Troer. / Derweil verbringt die Nacht mit vielen Gesprächen / die unglückselige Dido, sie trinkt in langen Zügen die Liebe, (750) will von Priamus viel, will viel von Hektor vernehmen. / Fragt nach Aurorens Sohn und dem Harnisch, den er getragen, / forscht nach dem Wagengespann Diomedes, dem Wuchs des Achilles. / »Wahrlich«, so bittet sie, »Gast, heb an vom ersten Beginn, / nenne der Danaer List, erzähl der Deinen Verhängnis und (755) dein eigenes Verschulden. Schon ist's der siebte Sommer, / der dich im Erdenrund umtreibt durch Länder und Meere.« Liber II Conticuere omnes intentique ora tenebant; inde toro pater Aeneas sic orsus ab alto: Infandum, regina, iubes renovare dolorem, Troianas ut opes et lamentabile regnum eruerint Danai, quaeque ipse miserrima vidi et quorum pars magna fui. quis talia fando Myrmidonum Dolopumve aut duri miles Ulixi temperet a lacrimis? et iam nox umida caelo praecipitat suadentque cadentia sidera somnos. 2. Buch Still wurde es ringsum, sie blickten ihn an und lauschten seiner Rede, / Also erhob sich von der erhabenen Liege der Vater Aeneas und begann: / »Unauskündbaren Schmerz, o Königin, soll ich erneuern, / sagen, wie Danaer der klagenswerten Troja Reichtum (5) stürzten und Reich, das Grauen, das ich selber gesehen, / wovon ich selbst ein Teil war. – Wer hielt bei solchem Berichte,/ Myrmidone, Doloper, ja selbst des harten Odysseus Krieger / die Tänen zurück? Schon schwindet die feuchte Nacht / am Himmel, und es mahnen die sinkenden Sterne zum Schlummer.« (Übersetzung nach R.A. Schröder) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXVIII Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11.1.4. Vergil, Aeneis 4,642–705 645 650 655 660 665 670 675 680 685 690 at trepida et coeptis immanibus effera Dido sanguineam volvens aciem, maculisque trementis interfusa genas et pallida morte futura, interiora domus inrumpit limina et altos conscendit furibunda rogos ensemque recludit Dardanium, non hos quaesitum munus in usus. hic, postquam Iliacas vestis notumque cubile conspexit, paulum lacrimis et mente morata incubuitque toro dixitque novissima verba: 'dulces exuviae, dum fata deusque sinebat, accipite hanc animam meque his exsolvite curis. vixi et quem dederat cursum Fortuna peregi, et nunc magna mei sub terras ibit imago. urbem praeclaram statui, mea moenia vidi, ulta virum poenas inimico a fratre recepi, felix, heu nimium felix, si litora tantum numquam Dardaniae tetigissent nostra carinae.' dixit, et os impressa toro 'moriemur inultae, sed moriamur' ait. 'sic, sic iuvat ire sub umbras. hauriat hunc oculis ignem crudelis ab alto Dardanus, et nostrae secum ferat omina mortis.' dixerat, atque illam media inter talia ferro conlapsam aspiciunt comites, ensemque cruore spumantem sparsasque manus. it clamor ad alta atria: concussam bacchatur Fama per urbem. lamentis gemituque et femineo ululatu tecta fremunt, resonat magnis plangoribus aether, non aliter quam si immissis ruat hostibus omnis Karthago aut antiqua Tyros, flammaeque furentes culmina perque hominum volvantur perque deorum. audiit exanimis trepidoque exterrita cursu unguibus ora soror foedans et pectora pugnis per medios ruit, ac morientem nomine clamat: 'hoc illud, germana, fuit? me fraude petebas? hoc rogus iste mihi, hoc ignes araeque parabant? quid primum deserta querar? comitemne sororem sprevisti moriens? eadem me ad fata vocasses, idem ambas ferro dolor atque eadem hora tulisset. his etiam struxi manibus patriosque vocavi voce deos, sic te ut posita, crudelis, abessem. exstinxti te meque, soror, populumque patresque Sidonios urbemque tuam. date, vulnera lymphis abluam et, extremus si quis super halitus errat, ore legam.' sic fata gradus evaserat altos, semianimemque sinu germanam amplexa fovebat cum gemitu atque atros siccabat veste cruores. illa gravis oculos conata attollere rursus deficit; infixum stridit sub pectore vulnus. ter sese attollens cubitoque adnixa levavit, ter revoluta toro est oculisque errantibus alto Dido aber, erhitzt und wild durch das grause Beginnen, / rollte den blutunterlaufenen Blick; um die bebenden Wangen / bläulich gefleckt und blaß von dem nah schon drohenden Tode (645) stürzt sie durch die innere Tür des Hofs und steigt, rasend, auf den hohen / Holzstoß hinauf. Dann entblößt sie die Dardanerklinge, / die sie nicht zu solchem Gebrauch sich erbeten, / sieht die troischen Kleider und erkennt das bekannte / Lager, da weilte sie ein wenig, sinnend und weinend; (650) dann sank sie hin auf das Kissen und sprach noch die letzten Worte: / »Reste, so teuer mir einst, solang es Gott und das Schicksal / zuließ, nehmt den Geist jetzt auf und erlöst mich von der Qual. / Mein Leben ist abgeschlossen, ich habe die Bahn, die das Schicksal mir bestimmte, durchlaufen, / unter die Erde hinab steigt bald mein erhabener Schatten. (655) Herrlich erhebt sich die Stadt, mein Werk; ich sah deren Mauern, / habe den Gatten gerächt und den felndlichen Bruder gezüchtigt. / Glücklich, ach allzu glücklich, / hätten sich der Dardaner / Kiele niemals unseren Gestaden genaht.« / So sprach sie und drückte ihr Gesicht tief in das Kissen. »Zwar sterbe ich ohne Vergeltung. (660) Doch will ich sterben, und so geh ich gern hinab zu den Schatten. Trinke den Feuerschein auf offenem Meer mit den Augen / der Troer, und mein Tod begleite ihn als unheilkündendes Zeichen.« / Während sie noch rief, lag sie schon zusammengesunken / unter dem Stahl da. So sahen sie die Frauen: das Schwert (665) noch schäumend von Blut und die Hände befleckt. Da schallt / durch die hohen / Hallen der Lärm, das Gerücht durchtobt die Gassen der Stadt. / Stöhnen und Wehgeschrei und Weibergeheul in den Häusern / tobt durcheinander. es hallt von den Klagen des Himmelsgewölbe, / grad, als wäre der Feind in der Stadt, als stürzte ganz (670) Karthago oder die alte Tyros in Schutt, als wälzten sich die Flammen / wild durch die Giebel der Menschen und der Götter. / Es hörte es, gleichsam entseelt, die Schwester und lief rasend herbei, / die Wangen zerkratzt, die Brust mit Schlägen geschändet. / Sie stürzt sich mitten hinein und ruft die Sterbende mit ihrem Namen: (675) »Dies also, Schwester, war es? Schändlichem Betrug setztest du mich aus? / Dies war es, wozu der Scheiterhaufen, dies, wozu Feuersbrunst und Altar dienten? / Was soll ich Verlaßene zuerst klagen? Der Schwester Begleitung / hat dein Scheiden verschmäht? Hättest du mich gerufen, mit dir zu sterben, / dann hätte der Schmerz Survol de la littérature antique Cours SE 2007 695 700 705 XXIX quaesivit caelo lucem ingemuitque reperta. tum Iuno omnipotens longum miserata dolorem difficilisque obitus Irim demisit Olympo quae luctantem animam nexosque resolveret artus. nam quia nec fato merita nec morte peribat, sed misera ante diem subitoque accensa furore, nondum illi flavum Proserpina vertice crinem abstulerat Stygioque caput damnaverat Orco. ergo Iris croceis per caelum roscida pennis mille trahens varios adverso sole colores devolat et supra caput astitit. 'hunc ego Diti sacrum iussa fero teque isto corpore solvo': sic ait et dextra crinem secat, omnis et una dilapsus calor atque in ventos vita recessit. Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 durch das Schwert uns beide zur gleichen Stunde getroffen. (680) Und nun türmte ich selber den Stoß, habe selber der Heimat / Götter berufen und ließ dich grausam enden und einsam! / Ausgelöscht hast du, Schwester, dich und mich, dein Volk und deine Väter / von Tyros, deine Stadt. – Bringt Wasser, daß ich die Wunden / wasche und den letzten Hauch, wenn sie noch atmet, (685) vom Munde küsse.« – Sprach es und hat die steilen Stufen erklommen, / hält mit Armen und Schoß die sterbenden Schwester umfangen, / traurig bemüht, mit den Kleidern das dunkle Blut zu stillen. / Jene versucht's und hebt die schweren Lider, vermag es nicht / und sinkt hin: inmitten der Brust gähnt klaffend die Wunde. (690) Dreimal hob sie sich auf und stützte sich wankend im Lager, / dreimal sank sie zurück aufs Bett. Mit irrenden Augen / sucht sie im Himmel das Licht, seufzt, wenn sie es gewahr wird. / Endlich erbarmt sich die allmächtige Juno der langen Leiden / und des verzögerten Todes und sendet Iris vom Olymp, (695) daß sie den ringenden Geist entbinde und die Glieder löse. / Denn weil weder Geschick noch eigene Schuld sie getötet, / sondern bevor ihre Tage gezählt, unzeitiger Wahnsinn, / hatte Proserpina ihr noch nicht vom Scheitel die blonde Locke / geraubt und zum Styx ihr Haupt, in den Orcus verbannt. (700) Drum flog Iris, betaut, auf Safranflügeln hernieder, / unter der Sonne Gesicht in tausend Farben gekleidet, / stand ihr zu Häupten und sprach: »Diese bring ich dem Dis (Unterweltsgott) / als heilige Spende, sie mir befohlen, und löse dich also vom Leibe.« / Sagt es, ergreift und schneidet das Haar. Im selben Moment (705) schwindet die Wärme dahin und das Leben kehrt zu den Winden zurück. (Übersetzung nach M. v. Albrecht und R.A. Schröder) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXX Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11.2.1. Ovid, Amores 1,1,1–30 5 10 15 20 25 30 Arma gravi numero violentaque bella parabam edere, materia conveniente modis. par erat inferior versus; risisse Cupido dicitur atque unum surripuisse pedem. 'Quis tibi, saeve puer, dedit hoc in carmina iuris? Pieridum vates, non tua turba sumus. quid, si praeripiat flavae Venus arma Minervae, ventilet accensas flava Minerva faces? quis probet in silvis Cererem regnare iugosis, lege pharetratae Virginis arva coli? crinibus insignem quis acuta cuspide Phoebum instruat, Aoniam Marte movente lyram? sunt tibi magna, puer, nimiumque potentia regna; cur opus adfectas, ambitiose, novum? an, quod ubique, tuum est? tua sunt Heliconia tempe? vix etiam Phoebo iam lyra tuta sua est? cum bene surrexit versu nova pagina primo, attenuat nervos proximus ille meos; nec mihi materia est numeris levioribus apta, aut puer aut longas compta puella comas.' Questus eram, pharetra cum protinus ille soluta legit in exitium spicula facta meum, lunavitque genu sinuosum fortiter arcum, 'quod' que 'canas, vates, accipe' dixit 'opus!' Me miserum! certas habuit puer ille sagittas. uror, et in vacuo pectore regnat Amor. Sex mihi surgat opus numeris, in quinque residat: ferrea cum vestris bella valete modis! cingere litorea flaventia tempora myrto, Musa, per undenos emodulanda pedes! Waffen in schwerem Takt und gewaltsame Kriege zu singen / war ich gerüstet; dem Stoff sollte sich fügen die Form; / gleich lang waren die Verse; da soll Cupido gelacht haben, und immer / stahl aus dem zweiten des Paars einen der Füsse der Schalk. (5) »Wer gab, wilder Gesell, dir Recht auf meine Gedichte? / Den Pieriden geweiht bin ich als Dichter, nicht dir! / Raubt auch Venus vielleicht die Waffen der blonden Minerva? / Facht der Fackeln Glut Minerva, die bonde, vielleicht? Wer fände es erlaubt, wenn Ceres im Bergwald herrschte? (10) Wenn die beköcherte Jungfrau den Fluren das Gesetz gäbe? Rüstet mit spitzigem Speer wohl einer den lockenumwallten / Phoebus Apollo, und bewegt Mars die böotische Lyra? / Gross, o Knabe, ist dein Reich, zu mächtig ist deine Herrschaft! / Weshalb, Ehrgeiziger, strebst du neuem Beginnen nach? / Oder gehört alles, was überall ist, dir? (15) Ist dein die Bergschlucht des Helikon? Kaum noch die Leier Apolls, scheint es, ist vor dir sicher. / Als mit dem ersten Vers mein Lied sich trefflich emporschwang, / wurden die Sehnen sogleich mir beim zweiten geschwächt. / Und doch fehlt mir ein passender Stoff für die leichteren Rhythmen, (20) ein Knabe, ein schmuckes Mädchen mit wallendem Haar.« / Also klagte ich; da löste er sofort den Köcher, / wählte ein Geschoss daraus, mir zum Verderben bestimmt, krümmt kraftvoll mit dem Knie zur Halbmondsform den Bogen, / spricht: »Hier nimm für dich, Dichter, den passenden Stoff!« (25) Weh mir Armen! Es hat gar sichere Pfeile der Knabe! / Ich brenne, in meiner leeren Brust herrscht Amor. / Mit sechs Füssen beginne ich mein Lied; es endet mit fünfen. / Eiserne Kriege mit euren Rhythmen, lebt wohl! / Jetzt mit der Myrte vom Strand umkränze die goldenen Schläfen, (30) Muse, der nun in elf Takten erklinge das Lied. (Übersetzung nach M. v. Albrecht) 11.2.2. Ovid, Metamorphosen 1,1–37. 69–88 5 In nova fert animus mutatas dicere formas corpora; di, coeptis (nam vos mutastis et illas) adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen! Ante mare et terras et quod tegit omnia caelum unus erat toto naturae vultus in orbe, quem dixere chaos: rudis indigestaque moles nec quicquam nisi pondus iners congestaque eodem non bene iunctarum discordia semina rerum. Von Gestalten zu künden, die in neue Körper verwandelt wurden, treibt mich der Geist. Ihr Götter – habt ihr doch jene Verwandlungen bewirkt –, beflügelt mein Beginnen mit eurem göttlichen Atem und führt meine Dichtung ununterbrochen vom allerersten Ursprung der Welt bis zu meiner eigenen Zeit! Ehe es Meer, Land und den Himmel gab, der alles umschließt, (5) hatte die ganze Natur rinsgum einerlei Aussehen; man nannte es Chaos; eine rohe, un- Survol de la littérature antique Cours SE 2007 10 15 20 25 30 35 70 75 XXXI nullus adhuc mundo praebebat lumina Titan, nec nova crescendo reparabat cornua Phoebe, nec circumfuso pendebat in aere tellus ponderibus librata suis, nec bracchia longo margine terrarum porrexerat Amphitrite; utque erat et tellus illic et pontus et aer, sic erat instabilis tellus, innabilis unda, lucis egens aer; nulli sua forma manebat, obstabatque aliis aliud, quia corpore in uno frigida pugnabant calidis, umentia siccis, mollia cum duris, sine pondere, habentia pondus. Hanc deus et melior litem natura diremit. nam caelo terras et terris abscidit undas et liquidum spisso secrevit ab aere caelum. quae postquam evolvit caecoque exemit acervo, dissociata locis concordi pace ligavit: ignea convexi vis et sine pondere caeli emicuit summaque locum sibi fecit in arce; proximus est aer illi levitate locoque; densior his tellus elementaque grandia traxit et pressa est gravitate sua; circumfluus umor ultima possedit solidumque coercuit orbem. Sic ubi dispositam quisquis fuit ille deorum congeriem secuit sectamque in membra coegit, principio terram, ne non aequalis ab omni parte foret, magni speciem glomeravit in orbis. tum freta diffundi rapidisque tumescere ventis iussit et ambitae circumdare litora terrae. […] Vix ita limitibus dissaepserat omnia certis, cum, quae pressa diu fuerant caligine caeca, sidera coeperunt toto effervescere caelo; neu regio foret ulla suis animalibus orba, astra tenent caeleste solum formaeque deorum, cesserunt nitidis habitandae piscibus undae, terra feras cepit, volucres agitabilis aer. Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 geordnete Masse, nichts als träges Gewicht und auf einen Haufen zusammengeworfene, im Widerstreit befindliche Samen von Dingen, die keinen rechten Zusammenhang hatten. Noch kein Titan spendete der Welt Licht, (10) kein Phoebe ließ ihr Mondhorn immer wieder aufs neue nachwachsen. Keine Tellus schwebte in der Luft, die sich um sie ergießt, und hielt sich durch ihre eigene Schwerkraft im Gleichgewicht; keine Amphitrite hatte die Arme weit um den Rand der Länder gespannt. Zwar gab es da Erde, Wasser und Luft; (15) doch konnte man auf der Erde nicht stehen, die Woge ließ sich nicht durchschwimmen, und die Luft war ohne Licht. Keinem Ding blieb die eigene Gestalt, im Wege stand eines dem anderen, weil in ein und demselben Körper Kaltes kämpfte mit Heißem, Feuchtes mit Trockenem, Weiches mit Hartem, Schwereloses mit Schwerem. (20) Diesen Streit schlichtet Gott und die bessere Natur. Er schied nämlich vom Himmel die Erde und von der Erde die Gewässer, und er sonderte von der dichten Luft den klaren Himmel. Nachdem er diese vier herausgeschält und aus dem unübersichtlichen Haufen genommen hatte, trennte er sie räumlich und verband sie so in einträchtigem Frieden. (25) Die feurige Kraft des schwerelosen Himmelsgewölbes sprühte empor und schuf sich ganz oben in der höchsten Höhe einen Platz. Am nächsten steht ihr die Luft, was die Leichtigkeit und auch was den Standort betrifft. Dichter als beide ist die Erde; sie zog die wuchtigen Elemente an sich und wurde durch die eigene Schwere nach unten gedrückt. Ringsum strömte das Feuchte, (30) nahm den Rand in Besitz und umschloß das feste Erdenrund. Kaum hatte er – welcher der Götter es auch sein mochte – das Durcheinander so geordnet, zerschnitten und gegliedert, da ballte er zuerst die Erde zusammen, damit sie auf allen Seiten gleich sei, und gab ihr die Gestalt einer großen Kugel. (35) Dann gebot er den Meeren, sich weithin zu ergießen, von stürmischen Winden gepeitscht anzuschwellen und die Küsten der Erde rings zu umfließen. […] Kaum hatte er so alles durch klar umrissene Grenzen aufgegliedert, als plötzlich die Sterne, die lange von undurchdringlichem Dunkel bedeckt gewesen waren, (70) am ganzen Himmel aufzuglühen begannen. Und damit kein Bereich ohne Lebewesen sei, die ihm angehören, haben Gestirne und Göttergestalten den Himmelsboden inne, den schimmernden Fischen fielen die Wogen als Wohnstatt zu, die Erde nahm Tiere auf und Vögel die bewegliche Luft. (75) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 80 85 XXXII Sanctius his animal mentisque capacius altae deerat adhuc et quod dominari in cetera posset: natus homo est, sive hunc divino semine fecit ille opifex rerum, mundi melioris origo, sive recens tellus seductaque nuper ab alto aethere cognati retinebat semina caeli. quam satus Iapeto, mixtam pluvialibus undis, finxit in effigiem moderantum cuncta deorum, pronaque cum spectent animalia cetera terram, os homini sublime dedit caelumque videre iussit et erectos ad sidera tollere vultus: sic, modo quae fuerat rudis et sine imagine, tellus induit ignotas hominum conversa figuras. Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 Noch fehlte ein Lebewesen, heiliger als diese, fähiger, den hohen Geist aufzunehmen, und imstande, die übrigen zu beherrschen. Es entstand der Mensch, sei es, dass ihn aus göttlichem Samen jener Weltschöpfer schuf, der Ursprung der besseren Welt, sei es, dass die junge Erde, erst kürzlich vom hohen Äther getrennt, (80) noch Samen des verwandten Himmels zurückbehiehlt; diese mischte der Sproß des Iapetus mit Regenwasser und formte sie zum Ebenbild der alles lenkenden Götter. Und während die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt zur Erde blicken, gab er dem Menschen ein nach oben schauendes Antlitz, gebot ihm, den Himmel zu sehen (85) und das Gesicht aufrecht zu den Sternen zu erheben. So nahm die Erde, die eben noch roh und gestaltlos gewesen war, verwandelt die bisher unbekannten menschlichen Formen an. (Übersetzung M. v. Albrecht) 11.2.3. Ovid, Metamorphosen 10,1–77 Inde per inmensum croceo velatus amictu aethera digreditur Ciconumque Hymenaeus ad oras tendit et Orphea nequiquam voce vocatur. (Hymenaeus [Hochzeitsgott] hatte mit Venus und Iuno am Hochzeitsfest von Iphis und Ianthe teilgenommen. – Cicones: thrak. Volk) 5 adfuit ille quidem, sed nec sollemnia verba nec laetos vultus nec felix attulit omen. fax quoque, quam tenuit, lacrimoso stridula fumo usque fuit nullosque invenit motibus ignes. exitus auspicio gravior: nam nupta per herbas dum nova Naïadum turba comitata vagatur, (Naïades: Fluss-, Quell- und Seenymphen) 10 occidit in talum serpentis dente recepto. quam satis ad superas postquam Rhodopeius auras deflevit vates, ne non temptaret et umbras, (Rhodope: thrakisches Gebirge [Thrakien = Heimat des O.) ad Styga Taenaria est ausus descendere porta (Tainaron, südliches Vorgebirge Lakoniens, Eingang zur Unterwelt) 15 perque leves populos simulacraque functa sepulcro Persephonen adiit inamoenaque regna tenentem (Persephone, Tochter des Iuppiter und der Ceres, von Pluto geraubt) 20 umbrarum dominum pulsisque ad carmina nervis sic ait: 'o positi sub terra numina mundi, in quem reccidimus, quicquid mortale creamur, si licet et falsi positis ambagibus oris vera loqui sinitis, non huc, ut opaca viderem Tartara, descendi, nec uti villosa colubris (Tartaros: Totenreich) terna Medusaei vincirem guttura monstri: (Cerberus, der dreiköpfige Höllenhund, Urenkel der Medusa) 25 causa viae est coniunx, in quam calcata venenum vipera diffudit crescentesque abstulit annos. posse pati volui nec me temptasse negabo: Von dort schreitet Hymenaeus in seinem Krokusgelben Gewand druch den unermesslichen Äther; er eilt zu den Gestaden der Ciconen; dorthin ruft ihn Orpheus' Stimme, doch vergebens. Anwesend war er zwar, (5) doch brachte er nicht die gewohnten Segensworte, keine fröhlichen Gesichter, kein glückliches Omen; auch die Fackel in seiner Hand zischte immerfort; nur tränenerregender Rauch, keine Flamme entstieg ihr, mochte man sie noch so sehr schwingen. Der Ausgang war schlimmer als das Vorzeichen; denn während die Neuvermählte, von der Schar der Naiaden begleitet, durch die Wiesen streifte, (10) starb sie, weil eine Schlange sie in die Ferse gebissen hatte. Nachdem sie der Seher vom Rhodopegebirge an den Lüften des Himmels zur Genüge beweint hatte, wollte er es auch noch mit dem Schattenreich versuchen. So wagte er durch die taenarische Pforte zur Styx hinabzusteigen. Mitten durch die schwerelosen Völker und die Schattenbilder der Bestatteten (15) kam er bittend zu Persephone und zu dem König im unwirtlichen Reich, dem Herrn der Schatten. Dann schlug er zum Liede die Saiten und sang: »O ihr Gottheiten der unterirdischen Welt, in die wir zurückfallen, wir, alles Sterbliche, was entsteht! Ist es erlaubt und gestattet ihr mir, ohne Trug und Umschweife (20) die Wahrheit zu sagen, so wisst: Ich bin nicht hier herabgestiegen, um den finsteren Tartarus zu sehen, nicht, um die drei Hälse des medusischen Höllenhundes zu fesseln, an denen Schlangen als Zotteln hängen. Der Grund meiner Fahrt ist meine Gattin; Survol de la littérature antique Cours SE 2007 30 35 40 XXXIII vicit Amor. supera deus hic bene notus in ora est; an sit et hic, dubito: sed et hic tamen auguror esse, famaque si veteris non est mentita rapinae, vos quoque iunxit Amor. per ego haec loca plena timoris, per Chaos hoc ingens vastique silentia regni, Eurydices, oro, properata retexite fata. omnia debemur vobis, paulumque morati serius aut citius sedem properamus ad unam. tendimus huc omnes, haec est domus ultima, vosque humani generis longissima regna tenetis. haec quoque, cum iustos matura peregerit annos, iuris erit vestri: pro munere poscimus usum; quodsi fata negant veniam pro coniuge, certum est nolle redire mihi: leto gaudete duorum. Talia dicentem nervosque ad verba moventem exsangues flebant animae; nec Tantalus undam (Tantalus: Büssergestalt der Unterwelt) captavit refugam, stupuitque Ixionis orbis, (Ixion: König der Lapithen; in der Unterwelt an ein Rad geschmiedet, weil er sich der Iuno bemäChtigen wollte) nec carpsere iecur volucres, urnisque vacarunt Belides, inque tuo sedisti, Sisyphe, saxo. (Belides: Enkelinnen des Königs Belus von Ägypten, nach ihrem Vater Danaos auch Danaiden genannt. Sie töteten ihre Männer in der Hochzeitsnacht und mussten ewig Wasser in ein leckes Fass schöpfen. – Sisyphus: Sohn des Aeolus, des Königs der Winde; König von Korinth, verschlagen und gewalttätig, von Theseus getötet und in der Unterwelt verdammt, einen Felsblock bergauf zu rollen, der stets kurz vor dem Gipfel zurückrollt.) 45 tunc primum lacrimis victarum carmine fama est Eumenidum maduisse genas, nec regia coniunx (Eumenides: Erinnyen, die Bluträcherinnen) 50 sustinet oranti nec, qui regit ima, negare, Eurydicenque vocant: umbras erat illa recentes inter et incessit passu de vulnere tardo. hanc simul et legem Rhodopeius accipit heros, ne flectat retro sua lumina, donec Avernas exierit valles; aut inrita dona futura. (der Averner See in Campanien, ein 55 60 65 Eingang zur Unterwelt) Carpitur adclivis per muta silentia trames, arduus, obscurus, caligine densus opaca, nec procul afuerunt telluris margine summae: hic, ne deficeret, metuens avidusque videndi flexit amans oculos, et protinus illa relapsa est, bracchiaque intendens prendique et prendere certans nil nisi cedentes infelix arripit auras. iamque iterum moriens non est de coniuge quicquam questa suo (quid enim nisi se quereretur amatam?) supremumque 'vale,' quod iam vix auribus ille acciperet, dixit revolutaque rursus eodem est. Non aliter stupuit gemina nece coniugis Orpheus, quam tria qui timidus, medio portante catenas, colla canis vidit, quem non pavor ante reliquit, quam natura prior saxo per corpus oborto, (unbekannte Sage) Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 eine Viper, auf die sie trat, hat Gift in ihr Blut gespritzt und ihr die jungen Jahre geraubt. (25) Ich wollte es ertragen und bekenne: Ich hab's versucht; doch Amor hat gesiegt. In der Oberen Welt ist dieser Gott wohlbekannt; ob er es auch hier ist, weiss ich nicht. Doch ich vermute, dass er es auch hier ist; denn, sofern die alte Sage von dem Raub nicht erlogen ist, hat auch euch Amor vereint. Bei diesen Gefilden voller Angst, (30) bei diesem riesigen Chaos und dem Schweigen des öden Reiches bitte ich euch: Macht Eurydikes übereilten Tod rückgängig! Alles ist euch verfallen, und nach kurzem Aufenthalt eilen wir früher oder später zu ein und demselben Wohnsitz. Wir alle streben hierher; dies ist unser letztes Heim, (35) und ihr herrscht am längsten über das Menschengeschlecht. Auch Eurydike wird euch gehören, wenn sie die Jahre, die ihr zustehen, vollendet hat und reif ist. Ich bitte euch nicht, sie mir zu schenken, nur zu leihen. Verweigert aber das Geschick meiner Gattin die Gnade, bin ich fest entschlossen, nicht zurückzukehren: Freut euch dann über den Tod zweier Menschen!« (40) Während er so sang und zu seinen Worten die Saiten schlug, weinten die blutlosen Seelen, Tantalus griff nicht nach der fliehenden Welle, staunend stand Ixions Rad still, die Vögel zerfleischten nicht die Leber des Tityos, die Beliden liessen ihre Krüge stehen, und du, Sisyphus, sassest auf deinem Stein. (45) Damals sollen zum ersten Mal die Wangen der Eumeniden von Tränen feucht geworden sein, weil der Gesang sie überwältigte. Weder die Königin noch der Herrscher der Untertwelt bringen es über sich, die Bitte abzuschlagen, und sie lassen Eurydike rufen. Sie befand sich unter den neuangekommenen Schatten, kam heran, und die Wunde erlaubte ihr nur langsam zu schreiten. (50) Orpheus vom Rhodopegebirge erhält sie unter der Bedingung, nicht zurückzublicken, bevor er die Täler des Avernus verlassen habe – sonst werde das Geschenk zunichte. Der Pfad führte sie durch die Totenstille bergan; steil ist er, dunkel und in dichten Nebel gehüllt. (55) Schon waren sie nicht weit vom Rand der Erdoberfläche entfernt _– besorgt, sie könne ermatten, und begierig, sie zu sehen, wandte Orpheus voll Liebe den Blick, und alsbald glitt sie zurück. Sie streckt die Arme aus, will sich ergreifen lassen, will ergreifen und erhascht doch nichts, die Unselige, als flüchtige Lüfte. (60) Schon starb sie zum zweiten Mal, doch mit keinem Wort klagte sie über ihren Gatten – denn worüber hätte sie klagen sollen als darüber, dass sie geliebt wurde? –, sprach ein letztes Survol de la littérature antique Cours SE 2007 70 XXXIV quique in se crimen traxit voluitque videri Olenos esse nocens, tuque, o confisa figurae, infelix Lethaea, tuae, iunctissima quondam pectora, nunc lapides, quos umida sustinet Ide. (Olenos/Lethaea: ein Phrygier, Gemahl der Lethaea; mit dieser in einen Stein im Idagebirge verwandelt) Orantem frustraque iterum transire volentem portitor arcuerat: septem tamen ille diebus squalidus in ripa Cereris sine munere sedit; (Ceres: Demeter, Göttin des Ackerbaus. Ihre Gaben sind Getreide, Brot und andere Speisen) 75 cura dolorque animi lacrimaeque alimenta fuere. esse deos Erebi crudeles questus, in altam se recipit Rhodopen pulsumque aquilonibus Haemum. (Erebus: die Unterwelt – Haemus: das Balkangebirge) Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 Lebewohl, das er kaum noch hören konnte, und sank wieder an denselben Ort zurück. Über den zweifachen Tod seiner Gattin war Orpheus so entsetzt (65) wie der Mann, der voll Grauen die drei Hälse des Höllenhundes – den mittleren in Ketten – erblickte und den die Angst nicht eher verliess als seine bisherige Natur, da sein Leib zu Stein wurde, oder wie Olenus, der den Vorwurf auf sich selbst lenkte und als der Schuldige gelten wollte, und du, (70) unglückliche Lethaea – allzu viel hast du dir auf deine Schönheit eingebildet –; einst wart ihr zwei engverbundene Herzen, jetzt seid ihr Steine auf dem quellenreichen Ida. Den Bittenden, der vergeblich noch einmal ans andere Ufer wollte, hatte der Fährmann abgewiesen; dennoch sass Orpheus von Trauer entstellt sieben Tage lang am Ufer, ohne Ceres' Gaben zu geniessen. (75) Sorge, Seelenschmerz und Tränen waren seine Speise. Er klagt über die Grausamkeit der Götter des Erebus und zieht sich auf die hohe Rhodope und den sturmgepeitschten Haemus zurück. (Übersetzung M. v. Albrecht) Orpheus, Eurydike und Hermes, der Psychopompos (›Seelengeleiter‹) Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXXV Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 11.2.4. Ovid, Metamorphosen 10,243–97 'Quas quia Pygmalion aevum per crimen agentis (quas = Propoetides: Mädchen auf Zypern, die Venus verachten; Pygmalion. zyprischer Bildhauer) 245 250 255 260 viderat, offensus vitiis, quae plurima menti femineae natura dedit, sine coniuge caelebs vivebat thalamique diu consorte carebat. interea niveum mira feliciter arte sculpsit ebur formamque dedit, qua femina nasci nulla potest, operisque sui concepit amorem. virginis est verae facies, quam vivere credas, et, si non obstet reverentia, velle moveri: ars adeo latet arte sua. miratur et haurit pectore Pygmalion simulati corporis ignes. saepe manus operi temptantes admovet, an sit corpus an illud ebur, nec adhuc ebur esse fatetur. oscula dat reddique putat loquiturque tenetque et credit tactis digitos insidere membris et metuit, pressos veniat ne livor in artus, et modo blanditias adhibet, modo grata puellis munera fert illi conchas teretesque lapillos et parvas volucres et flores mille colorum liliaque pictasque pilas et ab arbore lapsas Heliadum lacrimas; ornat quoque vestibus artus, (Heliadum lacrimas: Töchter des Sonnengottes; sie weinten um ihren Bruder Phaethon, bis sie in Pappeln verwandelt wurden; ihre Tränen wurden zu Bernstein) 265 dat digitis gemmas, dat longa monilia collo, aure leves bacae, redimicula pectore pendent: cuncta decent; nec nuda minus formosa videtur. conlocat hanc stratis concha Sidonide tinctis adpellatque tori sociam adclinataque colla mollibus in plumis, tamquam sensura, reponit. Miniatur, 15. Jh. Pygmalion 270 275 280 'Festa dies Veneris tota celeberrima Cypro venerat, et pandis inductae cornibus aurum conciderant ictae nivea cervice iuvencae, turaque fumabant, cum munere functus ad aras constitit et timide "si, di, dare cuncta potestis, sit coniunx, opto," non ausus "eburnea virgo" dicere, Pygmalion "similis mea" dixit "eburnae." sensit, ut ipsa suis aderat Venus aurea festis, vota quid illa velint et, amici numinis omen, flamma ter accensa est apicemque per aera duxit. ut rediit, simulacra suae petit ille puellae incumbensque toro dedit oscula: visa tepere est; Weil Pygmalion sah, wie diese Frauen (= Propoetiden) ihr Leben verbrecherisch zubrachten, blieb er einsam und ehelos, abgestossen von den Fehlern, (245) mit denen die Natur das Frauenherz so freigebig beschenkt hat, und schon lange teilte kein Weib mehr sein Lager. Inzwischen bearbeitete er mit glücklicher Hand und wundersamer Geschicklichkeit schneeweisses Elfenbein, gab ihm eine Gestalt, wie keine Frau auf Erden sie haben kann, und verliebte sich in sein eigenes Geschöpf. (250) Es sieht aus wie ein wirkliches Mädchen! Du möchtest glauben, sie lebe, wolle sich bewegen – nur die Sittsamkeit halte sie zurück. So vollkommen verbirgt sich im Kunstwerk die Kunst! Pygmalion steht bewundernd davor, und gierig trinkt seine Brust das Feuer in sich hinein, das von dem Scheinbild ausgeht. Oft legt er prüfend die Hände an das Geschöpf, ob es (255) Fleisch und Blut sei oder Elfenbein, und will immer noch nicht wahrhaben, dass es nur Elfenbein ist. Küsse gibt er und glaubt sie erwidert; er redet mit dem Bild, er hält es im Arm. Rührt er es an, so ist ihm, als drückten sich seine Finger in den Körper ein; ja, er fürchtet, an den Gliedern, die er presst, möchten blaue Male entstehen. Bald schmeichelt er, bald bringt er (260) Gaben, wie sie ein Mädchenherz erfreuen: Muscheln, geschliffene Steinchen, kleine Vögel, Blumen in tausenderlei Farben, Lilien, bunte Bälle und Bernstein, vom Baum getropfte Tränen der Sonnentöchter. er schmückt ihr die Glieder mit Gewändern, die Finger mit Edelsteinen, den Hals mit langen Ketten. (265) Am Ohr hängt eine zierliche Perle, an der Brust ein Geschmeide. Alles steht ihr, aber auch nackt erscheint sie nicht weniger schön. Er legt sie auf Decken, die mit sidonischem Purpur gefärbt sind, nennt sie seine Gemahlin, die sein Lager teilt, und bettet den geneigten Nacken, als müsse es dieser spüren, auf weichen Flaum. (270) Der Feiertag der Venus, den ganz Cypern festlich begeht, war gekommen. Schon waren die Opferkühe, deren krumme Hörner Gold überzog, in den schneeweissen Nacken getroffen, niedergestürzt, und Weihrauch stieg empor: Da trat Pygmalion, nachdem er der heiligen Pflicht genügt hatte, zum Altar und sprach zaghaft: »Ihr Götter, könnt ihr alles gewähren, (275) so soll meine Gattin« – er wagte nicht zu sagen: »das elfenbeinerne Mädchen sein«; darum sprach er nur: »dem Mädchen aus Elfenbein gleichen!« Venus, die Goldene, erriet – war sie doch selbst bei ihrem Fest zugegen –, was Survol de la littérature antique Cours SE 2007 XXXVI admovet os iterum, manibus quoque pectora temptat: temptatum mollescit ebur positoque rigore subsidit digitis ceditque, ut Hymettia sole (Hymettos: Berg in Attika; durch Bienenzurcht berühmt) 285 290 295 cera remollescit tractataque pollice multas flectitur in facies ipsoque fit utilis usu. dum stupet et dubie gaudet fallique veretur, rursus amans rursusque manu sua vota retractat. corpus erat! saliunt temptatae pollice venae. tum vero Paphius plenissima concipit heros verba, quibus Veneri grates agat, oraque tandem ore suo non falsa premit, dataque oscula virgo sensit et erubuit timidumque ad lumina lumen attollens pariter cum caelo vidit amantem. coniugio, quod fecit, adest dea, iamque coactis cornibus in plenum noviens lunaribus orbem illa Paphon genuit, de qua tenet insula nomen. Die antike Literatur von den Anfängen bis zur Spätantike Vorlesung SoSe 2007 mit diesem Wunsch gemeint war. Und zum Zeichen, dass die Gottheit ihm hold sei, stieg dreimal die Flamme züngelnd in die Luft empor. (280) Als er nach Hause kam, zog es ihn zu seinem Mädchenbild. Er warf sich auf das Lager und küsste sie. Da war ihm, als sei sie warm. Wieder legt er Mund an Mund und tastet mit der Hand nach der Brust. Er tastet noch, da wird das Elfenbein weich, verliert seine Starreit, weicht zurück und gibt den Fingern nach, so wie Wachs vom Hymettus (285) an der Sonne geschmeidig wird, sich unter dem Druck des Daumens zu tausenderlei Gestalten formen lässt und in der Hand des Bildners immer bildsamer wird. Pygmalion staunt. Er traut seiner Freude noch nicht und fürchtet, er täusche sich. Wieder und wieder prüft der Liebende mit der Hand sein Wunschbild. Fleisch und Blut ist's; mit dem Daumen prüfte er, wie es in den Adern pocht. (290) Da dankt der Held von Paphos der Venus mit Worten, die aus vollstem Herzen strömen, und presst den Mund endlich auf wirkliche Lippen. Das Mädchen hat den Kuss empfunden, sie ist errötet! Jetzt hebt sie scheu zu seinem Auge ihr Auge empor – und zugleich mit dem Himmel erblickt sie den Mann, der sie liebt. (295) Der Ehe, die sie gestiftet, steht die Göttin bei. Schon haben sich die Hörner des Mondes neunmal zur vollen Scheibe gerundet, da gebiert sie Paphos, nach der die Insel benannt ist. (Übersetzung M. v. Albrecht) Falconet (18. Jh.), Pygmalion und Galateia