KPMG Insurance Thinking ahead - Gibt es eine Zukunft für die Kfz
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KPMG Insurance Thinking ahead - Gibt es eine Zukunft für die Kfz
INSURANCE • THINKING AHEAD GIBT ES EINE ZUKUNFT FÜR DIE KFZVERSICHERUNG? NOVEMBER 2015 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 5 Der deutsche Kfz-Versicherungsmarkt: Zahlen, Daten und Fakten 6 A. Markt der Kfz-Versicherung heute 8 B. Megatrends B.1 Fortschritt der Technik B.1.1 Fahrerassistenzsysteme / Autonomes Fahren B.1.2 Digitalisierung und Connectivity B.1.3 3D-Druck B.2 Wirkung der Trends auf den Transport von Personen und Gütern B.3 Folgen für (Kfz-)Versicherungsprodukte und deren Vertrieb 12 13 14 22 25 27 33 C. KPMG-Prognosemodell Kfz-Versicherung 1. Einführung 2. Modellierung – zugrunde liegende Annahmen und Prognosen 42 43 44 Szenarien Szenario 1: „Der technische Fortschritt verliert an Dynamik“ Szenario 2: „Rahmenbedingungen verändern sich analog heutiger Dynamik“ Szenario 3: „Das digitale Zeitalter als Game Changer für Versicherungen“ 46 46 48 49 D. Auswirkungen auf die Assekuranz 52 E. Zusammenfassung und Ausblick 56 Ihre Ansprechpartner 59 Danksagung, Methodik und Quellen 60 3 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? VORWORT Unser Team beschäftigt sich seit Jahren mit der Analyse der Faktoren, die die Zukunft der Kfz-Versicherung maßgeblich beeinflussen werden. Der technische Fortschritt b eispielsweise wird sich erheblich auf die Schadenhäufigkeit / -form und Haftungsfragen auswirken, was zu einem veränderten Kundenbedarf und Kundenverhalten führen wird. Auch lässt sich festhalten, dass sich die Rolle der Automobilindustrie und die Anforderungen an die Kfz-Versicherung substanziell verändern werden. Die aktuell besonders hohe Dynamik im Umfeld der Kfz-Versicherung hat uns dazu bewogen, das Thema schon jetzt intensiv zu beleuchten und diese ursprünglich für 2016 geplante Kfz-Studie vorzuziehen. Was wir beispielsweise auch zuvor schon als Trend identifiziert haben, aber in Geschwindigkeit und Umfang des Wirksamwerdens heute anders einschätzen, ist die gesamte Entwicklung um die Fahrerassistenzsysteme und das Thema Autonomes Fahren. Die Entwicklung hier hat deutlich an Dynamik gewonnen. Gleiches gilt für Mobilitätskonzepte, aber auch für die Organisation des Transports von Gütern – etwa durch die Entwicklung von 3D-Druckern. Je tiefer wir gedanklich eingedrungen sind in die Wirkungszusammenhänge, desto mehr ist uns bewusst geworden, dass wir einen klaren Fokus auf die Haupttreiber der Entwicklung legen müssen, um Komplexität zu reduzieren. Dabei steht für uns neben der Darstellung der fach lichen Erkenntnisse vor allem hohe Praxisrelevanz im Vordergrund. Daher haben wir zusätzlich ein spezifisches Prognosemodell für die Kfz-Versicherung entwickelt, das nicht nur jedem Einzelnen hilft, die Entwicklung von Kfz-Portfolios im Markt bezogen auf einzelne Trends zu simulieren, sondern auch aufzeigt, wohin sich die Marktprämie in der Kfz-Ver sicherung bewegen wird und welche weiteren Sparten betroffen sein werden. Die angesprochenen Aspekte können das Geschäftsmodell, die Produkte, die Verwaltung und den Vertrieb von Kfz-Versicherungen signifikant verändern. Nun könnte man denken: „Erst mal sehen, was wirklich kommt“ – zumal dieser Ansatz in der Vergangenheit des Öfteren zumindest keinen größeren Schaden angerichtet hat. Im Gesamtzusammenhang der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und da die Fachleute der Assekuranz hier einvernehmlich starken Handlungsbedarf sehen, ist unserer Ansicht nach aber eine sofortige Reaktion geboten. Als Orientierungsgröße wird man sich an der Reaktionsgeschwindigkeit von Unternehmen wie Google und Apple orientieren müssen – und zwar nicht nur, weil diese Benchmark in puncto Veränderungsprozesse sind, sondern auch weil es sich hier um potenzielle Wettbewerber handelt. In dieser Publikation sind die Erkenntnisse und Einschätzungen zahlreicher Branchenkenner und Versicherungsfachleute eingeflossen. Wir haben für diese Studie ca. 100 Marktgespräche mit Managern und Experten der involvierten Industrien geführt, also mit Versicherern, Autobauern und deren Zulieferern sowie weiteren Servicedienstleistern in der Auto mobilindustrie. Für die wertvollen Beiträge und Hinweise sowie für die offenen Gespräche bedanken wir uns sehr herzlich. Wir wünschen Ihnen eine anregende und aufschlussreiche Lektüre. Markus Heyen Partner Jörg Wälder Senior Executive Hendrik C. Jahn Partner 5 DER DEUTSCHE KFZ-VERSICHERU Zahlen, Daten und Fakten MOBILITÄT Carsharing-Nutzer und -Fahrzeuge in D am 1. Januar 2015 Fahrzeuge Prognose Carsharing-Nutzer in D bis 2020 Städte mit Carsharing-Angeboten Registrierte Nutzer Bundesverband CarSharing | 2015 Miethäufigkeit / Tag 15.400 6 – 8 mal 1.040.000 Jahresbericht für 2014 des Bundesverbands CarSharing e.V. | 1. Januar 2015 Ein Carsharing-Auto hat das Potenzial, bis zu zehn normale Fahrzeuge zu ersetzen. 37 % der Kunden von DriveNow und Car2Go haben ihren eigenen Pkw abgeschafft. Deutsche Autofahrer, die ihr Auto abschaffen würden, um nur noch Carsharing zu nutzen 16 % 37 % Aussage von Willi Loose, Vorsitzender des Bundesverbands CarSharing (bcs) | 2015 TRANSPORT UND LOGISTIK Drohnentransport heute TÜV Rheinland, FSP (Fahrzeugsicherheitsprüfung) und BBE Automotive | 2015 Anzahl von 3D-Druck-Neugeräten global p.a. 108.000 217.000 2.300.000 Gartner | 2015 40 bis Pressemitteilung von DriveNow | 2015 2014 2015 2019 Flugzeit Min. 30 Spiegel Online | 2014 Studie von TÜV Rheinland, FSB und BBE Automotive | 2015 1 : 10 10 Ø Mietdauer in Min. Reduktion der Transportkapazität für nicht intelligente Teile durch 3D-Druck Weitere verwendete Rohstoffe in der serien mäßigen Fertigung mit 3D-Druck 2016 2016 2017 Edelstahl Aluminium Nutzlast 400 – 5.000 g DHL Amazon Titan service-drohne.com | 2015 destatis | 2011–2014 KUNDENGRUPPEN VERSICHERUNG Vertriebswege 2014 Ausschließlichkeit Unabhängige Vermittler Portale Direkt Autohersteller / -händler Übrige Ø Jahresprämie Kfz-Versicherung 2014 in D Aufteilung nach Geschäftsarten B2B Prämieneinnahmen Kfz-Versicherung 2014 103,6 % 24,3 Mrd. € Combined Ratio 305,- € Vollkasko GDV | 2014 Unfälle durch menschliches Versagen B2C TowersWatson; GDV; KPMG Deutschland | 2014 Ø Schaden- / Kostenquote 2010 bis 2014 244,- € Haftpflicht 88,- € Teilkasko KPMG, Deutschland 2015 39 % des Prämienvolumens der Kompositsparten BaFin; KPMG, Deutschland 2015 Selbstverschuldete Unfälle im autonom fahrenden Google-Auto GDV | 2014 Wem trauen Sie die Entwicklung eines autonomen Fahrzeugs am ehesten zu? Automobilindustrie Keinem Unternehmen Basis: 1,6 Mio. km selbstfahrend bis Juni 2015 IT-Branche Einer anderen Industriesparte Bosch & AZT | 2015 Google | 2015 Autoscout 24 | 2014 NGSMARKT: AUTOMOTIVE Andere – 19 % Insassenschutz – 36 % Rückrufe nach Baugruppen im US-Markt Bremsanlage – 11 % Elektrik / Elektronik – 34 % Gewerbliche Halter bei Pkw Neuzulassungen in D in % 2011 2012 2013 2014 Stand: Juli 2015; KPMG, Deutschland Hauptfinanzierungsmethoden Fahrzeugkauf 2015 +4,36 +3,17 +0,49 +1,77 Anteil Finanzierung und Leasing am Kfz-Neugeschäft 61 Leasing mit Kilometervertrag Leasing mit Restwert- vertrag Autokredit 39 Kauf (Barkauf und Kredit) Herstellerbanken Statista; CAR Uni Duisburg-Essen | 2011–2014 Sonstige Quellen ARVAL: CVO Fuhrpark Barometer 2015 | 2015 Ø jährliche Fahrleistung je Kfz in D AKA; Automobilwoche | 2014 Kfz-Bestand in D 2014 (in Mio. Stück) 53,7 Gesamt 103 055 44,4 Pkw TKM 4,2 2,7 2,1 0,1 Krafträder Lkw ab 7,5t Zugmaschinen TKM Kraftomnibusse 041 TKM 015 TKM Kfz-Neuzulassungen 2014 Sonstige: 0,2 Kfz-Halterwechsel in Deutschland 2014 3,55 Mio. KBA | 2014 KBA | 2014 8,02 Mio. KBA | 2014 KBA | 2014 Kfz-Versichererwechsel zum Jahresendtermin 2014 2,18 Mio. B2B2C B2B2B KBA; KPMG, Deutschland 2015 Yougov | 2014 Kfz-Werkstätten Serviceaufträge, davon 38.500 Werkstätten, davon 21.000 Freie Werkstätten (54 %) 17.500 Markenwerkstätten (46 %) Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) / Statista; DAT Report 2014 | 2014 40 Mio. Wartungsarbeiten Unplanmäßige Betriebs störungen 2014 Ø 4 Tage 24 Mio. sonstige unplanmäßige Betriebsstörungen 9,8 Mio. versicherungsfallinduzierende Schäden aller Fahrzeuge Serviceaufträge: DAT Report; Anzahl Kfz-Versicherungsschäden: GDV; KPMG, Deutschland 2015 Anzahl Patentanmeldungen in D im Jahr 2014 DAT Report | 2014 davon aus der Automobilindustrie dauern Kfz-Reparaturen und die Nutzung von Unfallersatzfahrzeugen KPMG, Deutschland 2015 18.340 65.958 Deutsches Patent- und Markenamt | 2014 A Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? MARKT DER KFZ-VERSICHERUNG HEUTE Wie Abbildung 1 zeigt, werden in der Kfz-Versicherung beachtliche Prämienvolumina bewegt. Das Prämienaufkommen ist in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich nur ein Prozent jährlich gewachsen. Die Kfz-Versicherung ist mit aktuell über 24 Milliarden Euro jährlicher Prämie die mit Abstand größte Sparte in der deutschen Schaden- und Unfallversicherung. Sie ist eine nach § 1 PflVG gesetzlich geregelte Pflichtversicherung, was Anbietern von Versicherungsschutz eigentlich erfolgreiche Geschäfte garantieren sollte. Seit vielen Jahren und bei fast allen Anbietern ist jedoch das Gegenteil der Fall. 24,3 1,4 1,5 1,5 1,6 8,1 1,4 7,7 1,4 7,2 1,5 6,8 14,6 23,1 13,9 21,9 13,2 20,8 1,6 6,5 12,1 6,4 1,6 6,3 12,6 20,0 20,0 12,2 12,5 1,7 6,3 1,7 6,4 12,8 20,3 20,7 21,1 13,1 6,6 6,7 13,6 13,9 21,9 22,3 Abb. 1: Entwicklung der Kfz-Versicherungsprämie (2004 – 2014); gebuchte Bruttoprämie in Milliarden Euro 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Kfz-Versicherung gesamt Kfz-Haftpflicht Kfz-Teilkasko Kfz-Vollkasko Quellen: GDV; KPMG, Deutschland 2015 Gleichzeitig gab es in den vergangenen Jahren in diesem Markt deutliche Verluste, wie Abbildung 2 zeigt. Allein in den letzten fünf Jahren belief sich der kumulierte versicherungstechnische Verlust auf 3,99 Milliarden Euro. Die im Jahr 2014 erwirtschafteten Gewinne sind größtenteils durch geringere Schäden infolge aus- gebliebener Naturereignisse zu sehen – und demnach nicht als nachhaltige Entwicklung einzustufen. Insofern können normale Naturereignisse und der sich abzeichnende weiche Markt die Vorzeichen kurzfristig wieder umkehren. 9 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Kfz-Versicherung gesamt 2007 2008 2010 2012 0,63 −1,29 −1,03 −0,51 −0,21 −0,30 −0,53 −1,00 2011 0,18 0,81 2009 −1,53 −0,80 −0,92 −1,73 −0,66 −0,69 −0,04 0,26 0,50 2006 −0,83 2005 −0,32 0,95 0,63 0,32 2004 0,37 0,34 0,02 1,03 0,37 0,68 Abb. 2: Versicherungstechnische Ergebnisse Kfz-Versicherung (2004 – 2014) in Milliarden Euro 1,24 0,42 0,81 10 2013 2014* Schätzung durch KPMG * Davon Kfz-Haftpflicht Es können Rundungsdifferenzen entstehen Davon sonstige Kfz-Versicherung Quellen: GDV; KPMG, Deutschland 2015 Diese wirtschaftlich unerfreuliche Situation ist auf den zweiten Blick wenig verwunderlich, denn die großen Produktinnovationen zur Differenzierung im Markt der Kfz-Versicherung sind ausgeblieben. Da sich der Wettbewerb damit im Wesentlichen auf den Preis zuspitzt, sind die Verluste der Branche in den vergangenen Jahren fast noch erstaunlich niedrig ausgefallen. Bewegung zeichnet sich hingegen auf der Seite der Vertriebskanäle ab. Der Direktvertrieb inklusive der Aggregatoren / Affiliate-Netzwerke etabliert sich im deutschen Markt, und auch das Kooperationsgeschäft, vornehmlich mit Automobilherstellern, ist eine feste Größe im Markt geworden. Auf einzelne Elemente der Wertschöpfungskette spezialisierte Dienstleister, wie zum Beispiel Werkstattnetzwerke und Softwareanbieter, bauen ihre Geschäftsvolumina stetig aus. Verwundern kann das kaum, denn Spezialisten (Volumen vorausgesetzt) können manche Arbeitsschritte einfach besser und effizienter durchführen als ein Generalist. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Zu den neuen Akteuren zählen beispielsweise Mobilitätsanbieter für private und gewerbliche Dienste, die eine Alternative zu den auf das Eigentum an einem Pkw fokussierten bisherigen Modellen bieten. Im Rahmen dieser Studie wollen wir, ausgehend vom Status quo, die sich abzeichnenden Veränderungen bei der Nutzung von Fahrzeugen aufzeigen sowie damit verbundene Szenarien durchdenken. Unseren Geschäftspartnern geben wir in diesem Zusammenhang ein Prognosemodell an die Hand, mit dem sie ihre Erwartungen selbst formulieren und die Konsequenzen ihres Handelns in eigenen Szenarien durchspielen können. Letztlich gewinnt in Zeiten starker (durchaus disruptiver) Veränderungen derjenige Marktteilnehmer, der die Trends richtig interpretiert und sich entsprechend vorbereitet hat. 11 B Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? MEGATRENDS Auch wenn sich der technische Fortschritt in den vergangenen drei Jahren bereits als Megatrend im Umfeld der Kfz-Versicherung abgezeichnet hat, überrascht die rasante Entwicklung der letzten zwölf Monate. Die Fortschritte bei Fahrerassistenzsystemen etwa oder bei der Kommunikationstechnologie an Bord von Fahrzeugen, die Dynamik der Digitalisierung fast aller Lebensbereiche und nicht zuletzt die Entwicklung bei 3D-Druckern – was vor ein paar Jahren noch als Science Fiction abgetan worden wäre – vollziehen sich nun in atemberaubender Geschwindigkeit direkt vor unseren Augen. Die anderen Megatrends – Mobilität, die Rolle der Autobauer und die Entwicklung bei den Aggregatoren – spielen weiterhin eine wichtige Rolle, werden aber selbst „Getriebene“ des einen, die Szene beherrschenden Phänomens: dem rasanten technischen Fortschritt. Dementsprechend haben wir in der späteren Modellbetrachtung zwar die Grundstruktur der vier Trends beibehalten, jedoch weitere Detaillierungen im Hinblick auf Technologie und ihre Auswirkung im automobilen Umfeld in den Fokus gestellt. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen zu den Mega trends der Zukunft steht also die technische Entwicklung – ein komplexes Unterfangen, wie die nächsten Seiten zeigen. Wir werden in Kapitel B aber nicht nur die Entwicklung bei den Fahrerassistenzsystemen, der Digitalisierung und des 3D-Drucks beleuchten, sondern auch logische Ableitungen auf den Bedarf und das Kaufverhalten von Kunden in der Zukunft vornehmen und die entsprechenden Dienstleistungen und Produkte sowie die Folgen auf die Vertriebe in unsere Betrachtungen einbeziehen. B.1 FORTSCHRITT DER TECHNIK Die Zukunft der Kfz-Versicherung ist mit einem Blick auf Fahrerassistenzsysteme (FAS) sowie auf den aktuellen Wettstreit von Versicherern und Autobauern über die Hoheit im Kfz-Reparatur- und Servicegeschäft alleine nicht vorhersehbar. Parallel entstehen völlig neue Produktionsverfahren, wie etwa der 3D-Druck. Dies wird, wie später noch ausführlich dargelegt wird, Einfluss auf das Teilegeschäft der Automobilhersteller, das Geschehen in Kfz-Werkstattbetrieben und damit auf die Schadenregulierung der Versicherer haben. Es wird aber auch erhebliche Folgen für Logistikunternehmen haben. All dies ist für Kfz-Versicherer von hoher Relevanz. Weiterhin vollzieht sich die Digitalisierung unserer Gesellschaft mit einer beachtlichen Dynamik, was den Bedarf an entsprechenden Dienstleistungen und Produkten sowie das Nachfrageverhalten von Kunden stark verändern wird. Und schließlich treten den Autobauern und Versicherern neue Wettbewerber entgegen, die ihnen in puncto Digitalisierung, Big Data und Präsenz im Alltag der Kunden deutlich voraus sind und ihnen zunehmend ihr Kerngeschäft streitig machen. 13 14 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? B.1.1 FAHRERASSISTENZSYSTEME / AUTONOMES FAHREN „In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird Autonomes Fahren keinen wesentlichen Einfluss auf die Kfz-Versicherung haben“, das war noch 2014 die weit überwiegende Meinung in unseren Marktgesprächen. Nur zwölf Monate später klingt das deutlich anders. Technisch halten es inzwischen fast alle unsere Gesprächspartner für möglich, dass es in fünf, spätestens in zehn Jahren selbstfahrende Serienfahrzeuge auf deutschen Straßen gibt. Im Bereich der schweren Lkw zeichnet sich eine noch größere Dynamik ab; hier gehen unsere Gesprächspartner von eher fünf Jahren bis zur Serienreife aus. Es gibt Stimmen im Markt, die auf die noch bestehenden juristischen Hürden hinweisen und diese für einen dauerhaften Show Stopper halten. Ein großer Teil unserer Gesprächspartner geht aber davon aus, dass – insbesondere in Anbetracht des erkennbaren politischen Willens – auch die juristischen Rahmenbedingungen (hier vor allem die Änderung der Wiener Konvention von 1968) zeitnah angepasst werden, um Deutschland für selbstfahrende Fahrzeuge zu öffnen. Die Beweggründe aufseiten der Politik liegen vor allem in dem Ziel, die Anzahl der Verletzten und Toten im Straßenverkehr weiter zu reduzieren sowie in der Notwendigkeit, die vorhandene Infrastruktur effizienter zu nutzen. Es wird wegen unserer üblichen „deutschen Bedenkenträgereien“ Versuche geben, die Einführung des Autonomen Fahrens zu verhindern. Glauben Sie etwa, dass die Neandertaler das Feuer benutzt hätten, wenn diese zuvor ein Technikfolgenabschätzungsgutachten gemäß VDI-Richtlinie 3780 über die Gefahren des Feuers eingeholt hätten? Aber so weit wird es nicht kommen: Auch wenn das vollautomatische Fahren vielleicht später als erhofft und unnötig rechtlich verkompliziert eingeführt wird: Verhindern wird man die Einführung dieser neuen Technik nicht! Dafür liegen die Vorteile, insbesondere die Vermeidung von schweren und schwersten Unfällen, auf der Hand. Juristisch ist eine saubere rechtliche Lösung nach meiner Einschätzung ohnehin kein Hexenwerk. Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther / Professor an der TH Köln Hält man sich vor Augen, welche volkswirtschaftliche Bedeutung die Automobilindustrie in Deutschland hat, ist es wenig verwunderlich, dass sowohl die Industrie als auch die Politik die Flucht nach vorne antreten. VDA-Präsident Matthias Wissmann beispielsweise hat in diesem Zusammenhang jüngst betont, dass die Bedeutung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Autobauer und Zulieferer derart hoch sei, dass die Industrie in den kommenden drei bis vier Jahren rund 16 bis 18 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich investieren werde. Autobahnen werden kommunikative Hightech-Trassen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sieht die Autobahn der Zukunft als eine Hightech-Trasse, die – gespickt mit Sensoren, Kameras und Netzverstärkern – mit den Fahrern und den Fahrzeugen kommunizieren werde. Erste Maßnahmen in dieser Richtung werde es laut Dobrindt noch 2015 geben. 25 Millionen Euro seien bereits zu Testzwecken freigegeben, weitere Mittel sollen Jahr für Jahr folgen. Die A9 zwischen München und Nürnberg werde zu diesem Zweck zur digitalen Teststrecke ausgebaut. Einige US-Unternehmen wollen sich an diesem Testfeld beteiligen. Für die Datenübertragung solle der neue Mobilfunkstandard 5G eingesetzt werden. Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur durch die Digitalisierung der Straßen auf Autobahnen um bis zu 80 Prozent und innerorts um bis zu 40 Prozent gesteigert werden kann. Entwicklungen in anderen großen Automobilländern wie den USA und Japan Studien in den USA zeigen, dass sich der durch Staus verursachte Schaden aufgrund von Zeitverlust und zusätzlichen Spritkosten auf US-amerikanischen Straßen jährlich auf über 120 Milliarden US-Dollar beläuft. In den USA geht man davon aus, dass mindestens 70 Prozent dieser stauverursachten Kosten durch selbstfahrende Fahrzeuge vermieden werden können. Es ist also sehr gut nachvollziehbar, dass die USA schon früh großangelegte Testversuche zugelassen haben. Googles selbstfahrende Fahrzeuge sind bereits seit fünf Jahren in Kalifornien und Nevada unterwegs, haben in dieser Zeit über zwei Millionen Kilometer zurückgelegt und keinen einzigen Unfall verursacht, der auf die getestete Technik zurückzuführen gewesen wäre. Die wenigen Unfälle sind vielmehr ausnahmslos in Situationen entstanden, in denen der Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? jeweilige Fahrer die Selbstfahrtechnik ausgeschaltet und das Fahrzeug selbst gesteuert hatte. Auch Audi, Mercedes und BMW testen selbstfahrende Fahrzeuge in den USA, ebenso Tesla, Nissan und seit September 2015 auch Honda. Daimler ist sogar mit den schweren Trucks seiner US-Tochter Freightliner autonom fahrend auf den Highways in Kalifornien zu Testzwecken unterwegs. Auf bundesdeutschen Autobahnen hat ein Mercedes Actros im September 2015 seine erste Autonome Fahrt erfolgreich bestritten. In Japan wiederum gibt es seit 2013 Sonderregelungen für Testfahrten mit selbstfahrenden Fahrzeugen. Nach dem Fahrplan der japanischen Regierung sollen die Entwicklung und der Einsatz von V2V-(Vehicle-to-Vehicle-) und V2X-(Vehicle-to-Infrastructure-) Technologie bis 2020 so weit vorangetrieben werden, dass spätestens 2030 vollautomatisiertes Fahren Normalität auf japanischen Straßen sein wird. Auch aus China dürften sehr bald ähnliche Überlegungen zu hören sein. Es gibt einen weiteren wichtigen Treiber dieser Entwicklung. McKinsey hat berechnet, dass jede Minute, die Menschen weltweit zusätzlich im Internet surfen und dabei Geld ausgeben können, statt sich um die Steuerung ihrer Fahrzeuge kümmern zu müssen, ein Umsatzpotenzial von jährlich fünf Milliarden Euro repräsentiert. In den USA schlagen alleine die Fahrten zur und von der Arbeitsstätte im Durchschnitt mit 48 Minuten täglich zu Buche. Bereits die Strecke zur Arbeit und zurück bietet demnach ein signifikantes Umsatzpotenzial. Auf einmal sieht man die Aktivitäten von Google in einem völlig neuen Licht. Ist das alles Zukunftsmusik oder zeichnen sich bereits heute konkrete Folgen dieser Entwicklung in Deutschland ab? Wir alle kennen die selbstfahrende S-Klasse, deren Fahrt auf den Spuren von Bertha Benz von Daimler-CEO Dieter Zetsche auf der IAA 2013 im Film dokumentiert vorgeführt wurde. Das Fahrzeug hat über 100 Kilometer tadellos absolviert, obwohl eine Strecke mit hoher Verkehrsdichte und Passagen innerorts zu bewältigen war. Ein einziges Mal musste der Fahrer eingreifen, als eine ältere Dame die ihr zustehende Vorfahrt am Zebrastreifen partout nicht in Anspruch nehmen wollte. Das war ein Prototyp. Aber auch bei Serienfahrzeugen ist die Entwicklung schon sehr weit. Ein gutes Beispiel ist der „Pilot Assist“ im neuen Volvo XC 90 CUV, der die Steuerung des Fahrzeugs auf Straßen mit sehr niedriger Geschwindigkeit praktisch vollständig selbst übernehmen kann. Und wie reagiert zum Beispiel der deutsche Marktführer bei den Versicherern auf diese Entwicklung? Heute bereits werden Fahrzeuge mit Notbremssystemen bei der Allianz eine Typklasse günstiger eingestuft – und Dr. Alexander Vollert, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherung AG, hat jüngst erklärt, dass die Allianz „natürlich selbstfahrenden Fahrzeugen einen passenden Versicherungsschutz anbieten werde“. Das Thema wird also keineswegs ignoriert, sondern offen und konstruktiv angenommen. Was genau bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft der Kfz-Versicherung? Vollautonomes Fahren wird es nicht über Nacht als Massenphänomen auf deutschen Straßen geben, wohl aber werden sich sehr zeitnah immer stärker spürbare Auswirkungen von verbesserten Fahrerassistenzsystem auf die Schadensituation in der Kfz-Versicherung zeigen. Die Frage, wann mit welchen Effekten gerechnet werden kann, wird auf den folgenden Seiten ausführlicher behandelt. Der Kfz-Versicherungsmarkt steht vor dem Hintergrund des Autonomen Fahrens und neuer Mobilitätskonzepte vor signifikanten Umwälzungen – wir werden mit integrierten und nachhaltigen Produkten darauf reagieren. Rainer Bruns / Leiter Versicherung, Mercedes-Benz Bank AG Zum Auftakt der folgenden Diskussion eine Meinung aus den USA: Metromile ist ein Anbieter einer „pay-per-mile“-Kfz-Versicherung und hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkung es auf die jährlichen durchschnittlichen Versicherungskosten pro Fahrzeug hätte, wenn man den Menschen als Fahrer des Fahrzeugs generell durch moderne Auto-Pilot-Systeme ersetzen würde. Das hier gezeichnete Bild ist – vorsichtig ausgedrückt – radikal: 15 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Abb. 3: (Geschätzte) Kosten (in USD) einer Kfz-Versicherung im Vergleich: Manuelles Fahren versus Autonomes Fahren BMW 335 Tesla Model S Lexus RX 450h Honda Accord Toyota Prius 323 1.270 254 1.158 232 229 388 1.147 1.514 1.615 1.942 Geschätzte Kosten der Kfz-Versicherung: Autonomes Fahren vs. manuelles Fahren des gleichen Modells (in $) 303 16 Porsche Panamera Manuelles Fahren Autonomes Fahren Quellen: Metro Mile Actuarial Department; RAND Cooperation – Juli 2015; KPMG, USA, Automobile Insurance Study – Juli 2015; KPMG, Deutschland 2015 Von durchschnittlich 1.250 US-Dollar jährlichem Versicherungsaufwand pro Fahrzeug bleiben beim flächendeckenden Einsatz von Technologie zum Autonomen Fahren in diesem Szenario 250 US-Dollar übrig, gerade einmal 20 Prozent. Dies ist ein radikaler Blick auf das Thema, aber wenn man berücksichtigt, dass 90 Prozent aller Unfälle von Kraftfahrzeugen durch den Fahrer verursacht werden, sind solche Szenarien nicht völlig abwegig. Die spannende Frage dürfte sein, welche technischen Features wann serienreif werden und zugelassen zur Verfügung stehen, wie schnell sie den Markt durchdringen und wie stark ihre Wirkung auf die Vermeidung von Schäden tatsächlich sein wird. Die Abbildung 4 soll uns zunächst einen Überblick über die Fahrerassistenzsysteme geben und bei der Einordnung helfen. Heute werden 90 Prozent der Verkehrsunfälle durch menschliches Versagen verursacht. Die wachsende Leistungsfähigkeit der modernen und kooperativen Sicherheitssysteme wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren dazu führen, dass mit neuen Generationen von Fahrzeugen menschliche Fehler zunehmend ausgeglichen werden können. Damit geht eine Verlagerung des Risikos einher, weg vom menschlichen Fahrer hin zum technischen System, welches entsprechend abgesichert und laufend beobachtet werden muss. Dr. Christoph Lauterwasser / Geschäftsführer AZT Automotive GmbH – Allianz Zentrum für Technik Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Abb. 4: Fahrerassistenzsysteme im Überblick Fahrzeugsteuerung Assistiertes Fahren Teilautonomes Fahren Hochautomatisiertes Fahren Vollständig Autonomes Fahren Fahrerassistenzsysteme • Auffahr-Kollisionswarnung • Geschwindigkeitsbegrenzer • Fußgängerschutz • Rückfahrkamera • Navigator und Head-up Display • Müdigkeitswarner • Reifendrucküberwachung • Intelligenter Schlüssel • Spurwechselassistent • Spurverlassenwarner • Elektronische Stabilitätskontrolle • Verkehrszeichenerkennung • Automatisches Fernlicht • Adaptives Frontlicht • Nachtsichtsystem • Abstandsregeltempomat • Bremsassistent • Notbremsassistent • Parken und Rangieren • Einparkhilfe PDC • Parklenkassistent • Vernetzung im Fahrzeug • Car-to-Car Communication • Vernetzung im Fahrzeug • Car-to-Infrastructure Versicherungsformen Kfz-Versicherung (Kasko- und Haftpflichtversicherung) Kfz-Versicherung (Kasko- und Haftpflichtversicherung) Kfz-Versicherung und erste Formen der Produkthaftung Produkthaftung Quelle: KPMG, Deutschland 2015 Zum Stand der Dinge haben wir uns auch bei dieser Studie mit dem AZT (AZT Automotive GmbH / Allianz Gruppe) in Verbindung gesetzt und wertvolle Hinweise erhalten. Nachdem es in den vergangenen Jahren zu Recht Diskussionen gab, ob die günstige Wirkung von Fahrerassistenzsystemen auf Schäden in der Kfz- Haftpflichtversicherung nicht womöglich über kompensiert wird durch höhere Schadenaufwände in der Kasko-Versicherung (teure Sensorik etc.), ist der Effekt von Fahrerassistenzsystemen inzwischen sowohl in der Haftpflicht- als auch in der Vollkasko versicherung nachweisbar und unstrittig in beiden Sparten positiv. Neue Studien des AZT zu den wichtigsten, heute bereits im täglichen Einsatz befindlichen Fahrer assistenzsystemen bestätigen ein ausgesprochen hohes Potenzial zur Vermeidung bzw. Reduzierung von Kollisionsschäden. Die sechs wichtigsten Fahrerassistenzsysteme werden in Abbildung 5 auf Seite 18 erläutert. 17 18 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Abb. 5: Die sechs wichtigsten Fahrerassistenzsysteme ESC LDW/ LK Elektronische Stabilitätskontrolle Spurwechselwarnung, Spurhalteassistent LCA / BLIS AEB Autonome Notfallbremse vorne für längsläufigen Verkehr Spurwechselassistent, Toter Winkel-Assistent AEBpc PMA Autonome Notfallbremse vorne für Fußgänger und Radfahrer Park- und Manöverassistent ESC + AEB + AEBpc + LDW/ LK + LCA / BLIS +PMA = −75% Haftpflichtschäden −65% Vollkaskoschäden Quelle: Allianz Zentrum für Technik Die Ergebnisse der AZT-Untersuchungen sind verblüffend. Wenn lediglich diese sechs heute bereits existierenden Fahrerassistenzsysteme in allen in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen verbaut wären, ließen sich bis zu 75 Prozent der Haftpflichtund 65 Prozent der Vollkaskoschäden vermeiden. Abb. 6: Auswirkungen der sechs wichtigsten Fahrerassistenzsysteme auf die Schadenhäufigkeit (theoretisch maximales Unfallvermeidungspotenzial) 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% AEBpc ESC LDW/LKA AEB LCA/BLIS Kfz-Haftpflicht große Schäden mit Personenschäden Kfz-Haftpflicht Schäden mit Personenschäden Kfz-Haftpflicht Schäden mit Materialschaden Kfz-Kaskoversicherung Quelle: Allianz Zentrum für Technik PMA (n=x =ˆ 100) Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Aber auch außerhalb geschlossener Ortschaften und bei höheren Geschwindigkeiten lassen sich die schadenreduzierenden Wirkungen von Fahrerassistenzsystemen bereits heute nachweisen, wie Abbildung 7 zeigt. Kfz-Haftpflichtversicherung 669 809 Kfz-Kaskoversicherung 48 31 Von diesen Park- und Rangierschäden entstehen 80 Prozent beim Rückwärtsfahren, was die Marktdurchdringung mit Park Distance Control-Systemen und Rückwärtsfahrt-Kameras fördern sollte. Bemerkenswert an dieser Stelle ist auch, dass es offensichtlich keinen signifikanten Unterschied macht, um welche Art von Fahrzeug es sich handelt. Die Abweichungen zwischen Kleinwagen und Sportwagen zum Beispiel sind überraschend gering. Hochautomatisiertes Fahren sollte also in allen Fahrzeugklassen gleichermaßen positive Wirkung entfalten. Abb. 7: Unfallort der Versicherungsschäden (Kasko und Haftpflicht) mit Materialschaden 56 47 Wenn man ein wenig tiefer einsteigt in die Ergebnisse der AZT-Untersuchungen, lässt sich nachvollziehen, warum diese sechs Systeme eine so starke Wirkung auf die Schadenstückzahlen haben können: Den mit Abstand größten Posten innerhalb der Sachschäden beim Kfz stellen Unfälle innerorts dar (fast 90 Prozent der kombinierten Haftpflicht- und Kaskoschäden). Hiervon wiederum sind über 40 Prozent Park- und Rangierunfälle. (n = 722 / n.e. = 211) (n = 888 / n.e. = 112) Innerorts Außerorts BAB Quelle: Allianz Zentrum für Technik Abb. 8: Park- und Rangierunfälle nach Fahrzeugklassen KH-Schäden mit Sachschäden 60% 40% 30% 20% 10% en V tw ag n or er Sp Ob Ob er e M SU as kl Va se se as se itt el kl el kl as se as kl itt M m pa ei kt nw ag en 0% Ko Auch im Rahmen dieser Studie haben wir ein Prognosemodell entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Auswirkungen der einzelnen Trends auf die Kfz-Versicherung im Marktblick, aber auch heruntergebrochen auf einzelne Portfolios simulieren lassen. Wichtig: Auch wenn man den heutigen Stand der Technik recht gut bewerten kann, liegt Prognoseunsicherheit vor allem in folgenden Parametern: 50% Kl Prognoseunsicherheiten berücksichtigen • Wie schnell vollzieht sich der weitere technische Fortschritt bei den Fahrerassistenzsystemen bis hin zum Autonomen Fahren? Vollkasko-Schäden (Kollisionen) 50% 30% 20% 10% en V tw ag SU or Sp n Va se kl Ob el itt M e er Ob Quelle: Allianz Zentrum für Technik er kl as as se se el itt M m pa kt kl kl as as en ag nw Ko Bei der Einschätzung möglicher Penetrationsgeschwindigkeiten von Fahrerassistenzsystemen unterstützt ein Blick in die Vergangenheit: Es kann durchaus se 0% ei • Wie schnell werden die Fahrerassistenzsysteme den Fahrzeugbestand auf den Straßen penetrieren? 40% Kl • Wie schnell zieht der Gesetzgeber nach und gestaltet gesetzliche Rahmenbedingungen, die zum Autonomen Fahren passen? Hierzu gehört auch die Frage, ob die derzeit beim Halter des Fahrzeugs liegende Gefährdungshaftung in dieser Form dann noch passt. 19 20 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? zehn bis 15 Jahre dauern, bis bedeutende technische Innovationen Penetrationswerte von 70 Prozent erreicht haben (siehe Abbildung 9). Abb. 9: Durchdringung des Fahrzeugbestands durch Fahrerassistenzsysteme im Zeitverlauf 100% ABS 90% 80% ESP 70% 60% Cruise Control 50% Parksensor 40% 30% Adaptives Kurvenlicht 20% 10% Wie intensiv Fahrerassistenz systeme die Zukunft der Kfz-Versicherung beeinflussen, hängt auch davon ab, wie schnell sie sich durchsetzen. In der Vergangenheit dauerte es bisweilen 20 bis 25 Jahre, bis sie sich als Standard im Fahrzeugbestand eines Marktes wiederfanden und damit volle Wirkung entfalteten. Heute jedoch ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung deutlich schneller vollzieht. Bei Notbremssystemen (Emergency Breaking Systems) und Spurhalteassistenten etwa wirkt die Aufnahme in den Euro NCAP Sicherheitstest ab 2016 faktisch wie ein gesetzlicher Zwang zur Ausstattung mit solchen Fahrerassistenzsystemen auf die Automobilhersteller. Daher ist es nicht verwunderlich, dass jetzt die zehn größten Autobauer im nordamerikanischen Markt beschlossen haben, ab 2016 jedes Neufahrzeug in den USA mit einem automatischen Notbremssystem auszuliefern. Dr. Jochen Tenbieg, Head of Global Claims Operations, Allianz SE wachsenden Verkehr gerecht werden kann, oder aber, ob eine schnellere Marktdurchdringung bei den Fahrerassistenzsystemen bis hin zum Autonomen Fahren als politisch gewollt gefördert wird und damit deutlich kostengünstiger dem Verkehrskollaps entgegenwirkt. Hinzu käme die Chance, sich dem EU-Ziel anzunähern, die Anzahl der Verkehrstoten in allen Mitgliedsstaaten bis 2025 noch einmal zu halbieren. 0% 1999 2004 2009 Parkassistent Spurassistent Active Cruise Control Spurwechselassistent Quellen: GDV; KBA; Allianz Zentrum für Technik; KPMG, Deutschland 2015 Diese Betrachtung spräche dafür, dass ein erheblicher Teil der Auswirkungen dieser Entwicklung erst 2025 oder gar 2030 in den Kfz-Versicherungsportfolios erkennbar sein wird. Andererseits lässt sich der Erfolg der Fahrerassistenzsysteme schon heute in den Statistiken der Versicherer ablesen. Weiterentwickelte Systeme bauen hierauf auf, und die Penetration steigt von Jahr zu Jahr. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Politik sich wird entscheiden müssen, ob sie die Infrastruktur in Deutschland mit erheblichen Mitteln renoviert und ausbaut, damit sie dem ständig Durchdringung des Marktes kann sehr schnell gehen Den Willen zur Veränderung unterstellt, kann es aber auch sehr schnell gehen, wie ein Beispiel aus den USA vom 11. September 2015 zeigt. An diesem Tag haben sich die zehn wichtigsten Autohersteller (unter anderem Volkswagen, Toyota, GM, Ford, Daimler, BMW) darauf geeinigt, in den USA zukünftig alle Neufahrzeuge mit automatischen Bremssystemen auszustatten. Nur ein Prozent der in den USA im Jahr 2015 bisher zugelassenen Fahrzeuge (Stand September 2015) verfügt bislang über diese Technik. Die getroffene Vereinbarung führt unmittelbar dazu, dass 57 Prozent aller Neufahrzeuge in den USA ab 2016 über diese Technik verfügen werden. Die übrigen Hersteller werden höchstwahrscheinlich sehr bald nachziehen müssen. Relativ kurzfristig dürften insofern alle neuen Fahrzeuge in den USA mit automatischen Bremssystemen ausgestattet sein. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? nehmen, oder, was ebenfalls möglich wäre, die Gesetzeslage wird derart geändert, dass der Halter von seiner verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung befreit wird. Spätestens dann haben Autobauer und ihre Zulieferer zu klären, wer von ihnen in welchen Fällen für eintretende Schäden einzustehen hat. Auch die Frage der Geschwindigkeit der Marktpenetration wird also vorerst nicht eindeutig zu beantworten sein. Auch dieser Schwerpunkt ist daher als Variable in dem unter Abschnitt C aufgeführten Prognosemodell berücksichtigt. Verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung muss auf den Prüfstand Im Jahr 1980 beispielsweise wäre diese Frage – zumindest im Innenverhältnis zwischen Autobauer und Zulieferer – noch relativ einfach zu beantworten gewesen. Der Zulieferer liefert ein vollständiges System (zum Beispiel ein ABS), das trotz sachgerechter Montage durch den Autobauer versagt und einen Verkehrsunfall verursacht. Juristisch sollte dieser Fall relativ gut bewertbar sein. Abschließend befasst sich dieses Kapitel zum Fortschritt der Technik mit der Frage, wer am Ende des Tages eigentlich die Verantwortung dafür trägt, wenn ein Fahrerassistenzsystem im entscheidenden Moment versagt? Nach heutiger Rechtslage ist der Fall erst einmal klar, denn in Deutschland besteht eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Bei unveränderter Rechtslage wäre also der Halter in der Pflicht, obwohl ihm womöglich gesagt wurde, er bzw. andere Fahrer des Fahrzeuges mögen die Hände vom Lenkrad lassen, der Autopilot kümmere sich um alles. Heute sieht die Sache anders aus. Derselbe Zulieferer liefert jetzt nur eine einzelne Komponente, wie beispielsweise einen Sensor für ein ABS. Die weiteren Komponenten kommen von anderen Zulieferern (Vgl. Abb. 10). Es gibt jetzt eine Vielzahl von möglichen Verantwortlichen für die eingetretene Störung: Ob die aktuelle Gesetzeslage unter diesen Umständen weiter Bestand haben wird, darf bezweifelt werden. Entweder werden die zunächst in der Pflicht stehenden Halter Regress beim Fahrzeughersteller Abb. 10: Entwicklung Sensor- / Assistenzsysteme im Zeitverlauf Wer ist verantwortlich für Systemfehler? 1980 2015 2025 (Annahme) PRINZIP SYSTEMLIEFERANT: PRINZIP KOMPONENTENLIEFERANT: PRINZIP SYSTEMLIEFERANT: Zulieferer liefert und verantwortet 1 bis 7 Zulieferer liefert und verantwortet 1 Zulieferer liefert und verantwortet 1 bis 7 3 2 1 Sensor 4 ECU (Engine Control Unit) Sensor 3 2 7 Aktuator 010110 100101 010101 1 Sensor 6 Software 7 Aktuator 5 3 2 Daten 7 Aktuator Legende: 1. Sensor, 2 . Schnittstelle, 3. Verbindung, 4. ECU (Engine Control Unit), 5. Daten, 6. Software, 7. Aktuator Quelle: KPMG, Deutschland 2015 2 Software 5 Daten 3 4 ECU (Engine Control Unit) 6 Software 5 010110 100101 010101 1 2 4 ECU (Engine Control Unit) 6 Daten 3 010110 100101 010101 3 2 21 22 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Mit Blick auf Autonomes Fahren darf es diese Komplexität bei der Klärung einer Schuldfrage beim Versagen technisch hochrelevanter Systeme nicht mehr geben. Die Komplexität wird man reduzieren müssen, und wenn man mit Zulieferern spricht, sehen diese hier eine gute Chance, wie 1980 wieder als Vollsystem-Lieferant aufzutreten. Alle Komponenten, inklusive Sensoren, Verkabelung und Software, kämen wieder aus einer Hand. Käme es dann zu einem Versagen des Systems, gäbe es zur Schuldfrage wenig zu diskutieren. Wenn man die Bedingungen einer solchen Vereinbarung zwischen Zulieferer und Autobauer fair aushandelt, könnte hier durchaus eine Win-Win- Situation entstehen. Zusammenfassend sind sehr starke Veränderungen im Umfeld der Fahrerassistenzsysteme und dem Autonomen Fahren erkennbar. Daher ist von substanziellen Auswirkungen auf den Versicherungsmarkt auszugehen. Diese Veränderungen werden zudem Abstrahleffekte auf den Trend Automotive / Mobilität haben. Eine ergänzende Betrachtung dieses Schwerpunkts erfolgt im Rahmen der Szenariobetrachtung in Kapitel C. B.1.2 DIGITALISIERUNG UND CONNECTIVITY Digitalisierung und Connectivity werfen eine Vielzahl komplexer Fragestellungen auf. Im Rahmen dieser Studie stehen insbesondere diejenigen Aspekte im Mittelpunkt, die mit Blick auf die Kfz-Versicherung von Relevanz sind. Abbildung 11 vermittelt einen Eindruck von der Geschwindigkeit und Größenordnung, in der sich die Digitalisierung vollzieht. Während die Weltbevölkerung einer Schätzung der UNO zufolge bis zum Jahr 2020 um rund 400 Millionen auf 7,7 Milliarden Menschen zuneh- men wird, steigt die Anzahl der onlinefähigen Geräte (hierzu gehören auch Sensoren) auf bemerkenswerte 50 Milliarden Stück. Anzunehmen, dass sich dies nun proportional auf die Weltbevölkerung in Form von circa 6,5 Stück pro Person herunterbricht, wäre falsch. Diese Technik wird man (zumindest bis 2020) ganz überwiegend in den Haushalten der entwickelten Welt antreffen. Dies hat beispielsweise Samsung zu der Prognose veranlasst, dass 2020 ein durchschnittlicher Haushalt in den Industriestaaten über eine dreistellige Anzahl von onlinefähigen Geräten verfügen könnte. Abb. 11: Digitale Transformation – Schlüsselzahlen 2012 – 2020 (Mrd. Stück) 9,6 7,1 1,9 15,0 2012 7,3 5,4 2015 Onlinefähige Devices (inkl. Sensoren, Autos, Maschinen, Smartphones etc.) Weltbevölkerung Smartphones (Teilmenge der onlinefähigen Devices) Quelle: KPMG, Deutschland 2015 50,0 7,7 2020 7,8 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Es ist also weniger eine Frage, ob es eine starke digitale Vernetzung der Umwelt geben wird, sondern vielmehr, wie jeder Einzelne mit dieser Entwicklung umgeht. Autobauern und Versicherungsgesellschaften steht nicht weniger als ein Paradigmenwechsel bevor. Die Auswirkung auf die Kfz-Versicherung wird radikal sein, wie die folgenden Kapitel dieser Studie zeigen werden. Der Versicherungsbedarf der Kunden wird sich – bezogen auf den Transport von Personen und Gütern – verändern, wobei die Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen wird. Dies wird auch Druck auf die Volumina in der Kfz-Versicherung erzeugen, aber die Absicherung von Cyberrisiken bis hin zur Produkthaftpflicht gibt Versicherern die Gelegenheit zum Ausgleich dessen. Versicherer benötigen auf jeden Fall eine klare Digitalisierungsstrategie, um ihre Kunden in diesem sich stark ändernden Umfeld zu begleiten. Frank Mauelshagen, Bereichsleiter Kraftfahrt und Schutzbrief, ERGO Versicherung AG Ein Zitat von Volkswagen aus der F.A.Z. vom 11. September 2015 macht die Tragweite deutlich, um die es bei dem Thema Digitalisierung für die Autoindustrie geht: „Unsere Branche und damit auch Volkswagen befinden sich mitten in einer digitalen Revolution […] Das ist nicht weniger als die Neuerfindung von Volkswagen. Die Qualität eines Autos wird sich künftig auch an der Qualität des Datenschutzes bemessen.“ Volkswagen sieht in der Digitalisierung und im Trend zu reinen Elektrofahrzeugen die entscheidenden Trends, die die Automobilindustrie verändern werden. Apple und Google werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich als potenzielle Wettbewerber gesehen. Ganz ähnlich klang es in den Statements von BMW und Daimler Anfang August 2015, als sie – gemeinsam mit Audi – die Übernahme von HERE (dem Nokia-Kartendienst) zu einem Kaufpreis von 3,1 Milliarden Euro bekannt gaben. HERE soll eine wesentliche Grundlage für neue Fahrerassistenzsysteme sein, vor allem aber für das Autonome Fahren. BMW, Audi und Daimler erklären, dass sie mit dieser Akquisition auch den Zugang zu ihren Kunden schützen wollen, der anderenfalls an Google oder Apple verloren gehen könnte. Die deutsche Autoindustrie scheint sich also weitestgehend einig darin zu sein, dass die Wettbewerber im digitalen Zeitalter weniger bei Ford, GM oder Toyota zu suchen sind, sondern sich ihnen in Gestalt der Top-Adressen der digitalen Welt präsentieren. US-Autobauer machen sich da weniger Gedanken, wie das Beispiel GM und Apple zeigt. GM hat jüngst entschieden, dass man Apples „CarPlay“ in praktisch allen Fahrzeugen ab 2016 anbieten wird. Siri wird zum Assistenten des Fahrers. CarPlay wird zunächst nicht alle Apps des iPhones im Fahrzeug einsetzen, sondern nur diejenigen, die sich mit dem Nachrichtenschreiben und -empfangen, mit Musik, Audiobooks, Navigation und Ähnlichem befassen. Die Verbindung des iPhone zum Internet erfolgt über eine LTE-Verbindung durch OnStar von GM, weswegen es keine bösen Überraschungen bei der Mobilfunkabrechnung geben sollte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass der nächste Schritt von Apple und Google vom Infotainment-System zum Bordcomputer, also zur Fahrzeugsteuerung, führt. Falls das Projekt „Titan“ tatsächlich zu einem AppleCar führen sollte, ist CarPlay eine wichtige Technologie auf dem Weg zum Autonomen Fahren. Falls es kein AppleCar geben wird, positioniert sich Apple mit CarPlay im Herzen der Onboard-Technologie aller Fahrzeughersteller, eine perfekte „two-horse-strategy“. Eine ähnliche Strategie verfolgt Google, wobei das Unternehmen einen entscheidenden Vorteil hat: Es verfügt bereits über Google Car-Prototypen und kann auf Erfahrungen aus mehreren Millionen (autonom) gefahrenen Kilometern zurückgreifen. Aber auch für die Vernetzung älterer Fahrzeuge gibt es in den USA bereits Angebote – beispielsweise Verizon mit seinem Produkt „HUM“. HUM liefert das Mobilfunkmodem und Lautsprecher gleich mit, die Inbetriebnahme des Systems soll laut Herstellerangaben sehr einfach möglich sein. HUM bietet dem Fahrer beispielsweise Informationen zu Verbrauch, Batteriezustand, allgemeinem Fahrzeugzustand mit Hinweis auf anstehende Werkstattbesuche inklusive Kostenschätzung. Zudem sind Assistance-Dienste wie eCall, Fahrzeugortung bei Diebstahl usw. möglich. Die vergleichsweise geringen Kosten für den Verbraucher dürften die Nachfrage nach solchen Angeboten zusätzlich steigern: So kostet die Hardware nach Angaben von Verizon derzeit einmalig 120 US-Dollar, die monatliche Gebühr beträgt 15 US-Dollar. Auf US-Straßen soll es heute noch 150 Millionen unvernetzte Fahrzeuge geben – das könnte sich künftig sehr schnell ändern. Im Bereich Telematik arbeitet Verizon übrigens schon jetzt mit den deutschen Autobauern Daimler und Volkswagen zusammen. 23 24 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Entstehung eines eigenen digitalen Ökosystems Bei Google und Apple hat sich die Digitalisierung konsequent weiterentwickelt. Beide Unternehmen arbeiten heute bereits in oder an einem eigenen digitalen Ökosystem. Die Autobauer haben erkannt, dass ihnen nicht viel Zeit bleibt, um zur digitalen Evolutionsstufe dieser Unternehmen aufzuschließen. Für Autobauer gibt es übrigens noch einen weiteren wichtigen Grund, die Schnittstelle zu den Systemen ihrer Fahrzeuge unter ihrer Kontrolle zu halten. Sofern die notwendigen Updates der Fahrzeug-Software drahtlos erfolgen können, lassen sich in einer Prognose für das Jahr 2022 Kosten von jährlich 35 Milliarden US-Dollar einsparen. Man kann sich gut vorstellen, wie sich hieraus ein Geschäftsmodell für zum Beispiel Google entwickeln ließe, falls die Hoheit über diese Schnittstelle verloren ginge. Dies führt zu Gegenstrategien der Autobauer, die wiederum die Versicherer noch stärker als ohnehin schon bedrohen. Versicherungsbranche stellt sich nur langsam auf Digitalisierung ein Aber nun zur Versicherungswirtschaft: Wo genau auf diesem digitalen Evolutionspfad würden sich Versicherungsunternehmen gegenwärtig einordnen? Vor einigen Monaten klangen die meisten diesbezüglichen Statements der Versicherungsmanager nach einem klaren Fokus auf Vertrieb und einer stärkeren Präsenz in den sozialen Netzwerken. Inzwischen werden aber auch die Verwaltung und Schadenbearbeitung im Feld der digitalen Transformation gesehen. Deutlich wird, dass es bei den Betrachtungen der Assekuranz ganz überwiegend weiterhin um die Digitalisierung der bisherigen Geschäftsmodelle geht – deutlich anders also, als etwa Google, Amazon oder Apple das Thema Versicherung angehen würden. Sich wehrlos ihrem Schicksal zu fügen, scheint aber nicht der Ansatz der Assekuranz zu sein. So haben heute bereits 60 Prozent der europäischen Versicherer Connected Car Solutions im Angebot, wie etwa Smartphone Apps, Dongles oder Telematik-Geräte. Die Marktdurchdringung der dazugehörigen Versicherungsprodukte vollzieht sich aber noch relativ langsam, auch wenn die Stückzahl zurzeit leicht ansteigt. Eine entscheidende Frage wird sein, ob es in diesen Angeboten einen für Kunden wahrnehmbaren und für Versicherer verteidigbaren Zusatznutzen geben wird, der sich nicht nur auf eine günstigere Prämie bei entsprechender Fahrweise beschränkt. Im Jahr 2014 lag der Anteil der Telematik-Policen noch in überschaubaren Größenordnungen. So betrug Die Digitalisierung hält Einzug in die Assekuranz. Das gilt auch für die Kfz-Versicherung. Durch den Einsatz von Telematik, hier die Sammlung und Auswertung von personengebundenen und fahrzeugtechnischen Daten, können Unfallrisiken ge senkt, Beiträge individuell auf das Fahrverhalten angepasst und umsichtige Verkehrsteilnehmer belohnt werden – eine Tatsache, die sich für Versicherungsunternehmen wie auch Versicherte positiv darstellt. Aus diesem Grund werden Telematik-Tarife die Zukunft der Kfz-Versicherung mitbestimmen. Dr. Monika Sebold-Bender / Vorstand Komposit und Schaden der Generali Versicherung AG ieser in Italien und Großbritannien, den beiden Länd dern mit dem höchsten Anteil von Telematik-Policen, bei Ersterem 5 Prozent und bei Letzterem 4 Prozent des Kfz-Bestands. In Europa gibt es derzeit einen das Geschäft mit Telematik-Policen dominierenden Versicherer: die italienische Unipol mit einem europaweiten Marktanteil von circa 50 Prozent. Das Thema Datenschutz wird bei Telematikboxen vermutlich zeitnah auch noch einmal zu Diskussionen führen. Von den heute weltweit im Einsatz befindlichen etwa 55 Millionen Telematikboxen (der weit überwiegende Teil hiervon in den USA) verfügt nach unserem Kenntnisstand keine über eine wirksame Datenverschlüsselung. Der Fortschritt der Technik wird aber nicht nur den Vertrieb von Kfz-Versicherungsprodukten verändern, sondern auch die Produkte selbst, wenn nicht sogar die Geschäftsmodelle traditioneller Versicherer grundlegend infrage stellen. Hierauf wird sich die Assekuranz mit Lösungsansätzen einzustellen haben, die deutlich über das Thema Telematik hinausgehen. Aber auch beim heutigen Tagesgeschäft, der Umsetzung des Leistungsversprechens der Kfz-Versicherung (Reparatur von Fahrzeugen), wird sich einiges ändern. Dies gilt nicht nur für die Themen rund um Werkstattsteuerung. Das Schlüsselwort hier heißt 3D-Druck, mit dem sich das nächste Kapitel ausführlich beschäftigt. Digitale Top-Player werden in den Versicherungsmarkt drängen Wenn man die Entwicklung in der Kfz-Versicherung vergleicht mit dem, was sich zum Beispiel in den vergangenen zehn Jahren im Bankensektor getan hat, Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? fällt das Ergebnis ernüchternd aus. Unterstellt, dass der Versicherungsmarkt für die FinTechs dieser Welt genauso interessant ist wie das Bankgeschäft, dürfte in naher Zukunft einiges auf die Branche zukommen. In das Marktumfeld der Kfz-Versicherung drängen neue Akteure, die auf Altbestände, Tarifgenerationen und altgediente Vertriebsmannschaften keine Rücksicht zu nehmen brauchen. Was hätten Amazon, Google, Apple etc. zu verlieren, außer dem eingesetzten Projektbudget? Im Vergleich zu den gewaltigen Umsätzen, die es im Versicherungsgeschäft zu erobern gibt, ist der Vorstoß der digitalen Top-Player wohl nur eine Frage der Zeit. B.1.3 3D-DRUCK Die Tageszeitung „Die Welt“ veröffentlichte am 13. September 2015 einen Artikel unter dem Titel: „3D-Drucker könnten die Globalisierung abschaffen“. Aber was haben nun 3D-Drucker mit der Kfz-Versicherung zu tun? Je tiefer man in das Thema 3D-Druck einsteigt, desto klarer wird, dass sich die Produktionsverfahren von Gütern fundamental verändern werden. Zugleich zeigt sich deutlich, dass diese Technologie an mehreren Stellen für die Kfz-Versicherung hochgradig relevant ist. Google und Yuri Milner (früher Investor bei Facebook und Twitter) haben jüngst 100 Millionen US-Dollar in ein Start-up namens Carbon3D investiert – immerhin auf Basis einer Unternehmensbewertung von einer Milliarde US-Dollar. Carbon3D hat einen maschinellen Prozess entwickelt, in dem Licht verwendet wird, um Flüssigkeit in einen festen Zustand zu überführen, und Sauerstoff eingesetzt wird, um diesen Prozess zu verlangsamen. Der CEO des Unternehmens, Joseph DeSimone, erläutert, dass sich Carbon3D in der Lage sehe, jede Form von physischer Struktur mit diesem Verfahren zu erzeugen. Außerdem seien die neuesten 3D-Druckverfahren des Unternehmens zehn- bis 100-mal schneller als herkömmliche. GE verfügt heute bereits über ein Auftragsvolumen von 22 Milliarden US-Dollar für 25.000 LEAP Triebwerke, bei denen verschiedene 3D-Druck-Bauteile aus unterschiedlichen Materialien in der Fertigung verwendet werden. Airbus verbaut bei dem neuen A350 rund 1.000 Bauteile, die aus dem 3D-Drucker stammen. Boeing setzt in der gesamten Bandbreite der Produkte bereits 22.000 im 3D-Druckverfahren hergestellte Teile ein. 3D-Druck ist also längst ein Massenphänomen in der industriellen Fertigung geworden. Siemens geht davon aus, dass sich die Kosten für 3D-Druck innerhalb der nächsten fünf Jahre halbieren werden, während sich gleichzeitig die Druckgeschwindigkeit verfünffachen wird. Die Industrien, die im Zusammenhang mit 3D-Druck erwähnt werden, sind breit gefächert – von Flugzeug- und Automobilbau über allgemeine Produkte des täglichen Bedarfs bis hin zu Geräten und Produkten im Gesundheitswesen. Insbesondere auch die Autoindustrie entwickelt sich zu einem der Vorreiter in dieser Technologie. Die 3D-Druckfertigung von Ersatzteilen wird in der Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen. Dies dürfte sich auch auf die für die Kfz-Versicherung so wichtige Reparatur von Kfz-Schäden auswirken. Reparaturen werden durch 3D-Druck günstiger / Transport von Gütern wird sich verändern Die Produktion und Reparatur von Kraftfahrzeugen werden von 3D-Druckern genauso betroffen sein wie fast jede andere Art von Gütern. Der Zusammenhang zur Kfz-Versicherung wird offensichtlich, wenn man zum Beispiel an die Kostensenkungspotenziale denkt, die man realisieren kann, wenn benötigte Teile in einer Werkstatt einfach ausgedruckt werden. Ein anderer, womöglich noch stärkerer Einfluss liegt in den Veränderungen beim Transport von Gütern bzw. Rohmaterialien. Was, wenn „Die Welt“ recht hätte mit ihrer These, dass 3D-Druck die Globalisierung abschaffen könnte? Man stelle sich einmal vor, wie weit sich das zu befördernde Volumen verdichten ließe, wenn man nicht etwa einen Kotflügel transportiert, sondern Rohmaterialien in flüssiger Form oder als Granulate. Welche Folgen hätte es für den Bedarf an Transportkapazität, wenn Güter einfach am Ort des Bedarfs ausgedruckt werden? Eine solche E ntwicklung hätte erhebliche Konsequenzen für die Kfz- Versicherung, da ein entsprechender Rückgang der Fahrzeugbestände an Lkw und Transportern die unvermeidliche Folge wäre. Was ist 3D-Druck und welche Entwicklungen sind künftig zu erwarten? Das erste Patent zur 3D-Drucktechnologie geht auf das Jahr 1986 zurück, als man die Technik als „Stereolithografie“ bezeichnete. Ursprünglich ging es darum, eine automatisierte Methode zur Produktion von Prototypen zu entwickeln. 25 26 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Vom Grundsatz her funktioniert der Prozess des 3D-Drucks so: In einem ersten Schritt werden dreidimensionale Strukturen erzeugt. Danach werden Grundfunktionalitäten und im Anschluss weitere Funktionalitäten beigesteuert. In weiteren Schritten werden jeweils Materialien zu der bereits existierenden 3D-Struktur hinzugefügt. Verschiedenartige Materialien können hierbei verwendet werden, indem sie anoder ineinander zusammengefügt werden. Das Mischen der Materialien kann auch die physikalische Konsistenz der Strukturen beeinflussen, wie etwa die Stabilität oder ihre Flexibilität. Es ist wohl nicht zu erwarten, dass 3D-Druck alle traditionellen Produktionsverfahren von Gütern ersetzen wird, aber produzierende Unternehmen dürften vermehrt beide Verfahren in Zukunft nebeneinander zum Einsatz bringen. GE bei- spielsweise geht davon aus, dass 3D-Technik in Zukunft beim Produktionsprozess von 50 Prozent der Güter des Unternehmens beteiligt sein wird. Einige Studien gehen davon aus, dass 3D-Druck bis 2020 an der Produktion von 80 Prozent aller Güter beteiligt sein wird. Aber nicht nur in der industriellen Produktion werden 3D-Drucker Einzug halten, sondern auch in privaten Haushalten. Während anfangs vermutlich noch mehr experimentiert als produziert wird, dürften wir sehr bald erleben, dass die gewünschte Ware als Datei ins Haus kommt (einschließlich Drucklizenz), und sich Kunden bestimmte Waren gleich zu Hause ausdrucken können. Auch hier gilt, dass lediglich das Rohmaterial ins Haus geliefert werden muss – ein gewaltiger Rückgang an notwendigem Transportvolumen. Abb. 12: Güter- / Warenströme und Personentransporte – Schematische Darstellung – Ausblick A) Güter 3D-RohstoffErzeugungsfabrik Werkstätten Endkunde Groß-/Einzelhändler (zukünftig 3DDruckzentrum) Produktlieferant Legende: Leichte Nfz Lkw Tankwagen Quelle: KPMG, Deutschland 2015 B) Personen DriveNow Zunahme Volumina Abnahme Volumina Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Produktlieferant Legende: Leichte Nfz Lkw Tankwagen Zunahme Volumina Abnahme Volumina Quelle: KPMG, Deutschland 2015 B) Personen DriveNow Mobilitätsanbieter (z. B. Carsharing) Intermodale Verkehrsnutzung (z. B. moovel, Ally) CAR2GO a) Eigenes Fahrzeug Fahrdienste /-gemeinschaften (z. B. Taxi, Bus) b) Flottenfahrzeuge Quelle: KPMG, Deutschland 2015 Der Wegfall der Transportkapazitäten durch 3D-Druck wird sich ebenso wie die Kostenreduktion in der Kfz- Reparatur ohne Zweifel in den Büchern der Kfz-Versicherer niederschlagen. Aber wie schnell wird sich diese Entwicklung vollziehen und wie weit wird sie gehen? Sowohl bei Fahrzeugreparaturen durch den Rückgang von Schadenkosten als auch wegen des zu erwartenden Rückgangs an versicherbaren Fahrzeugen ist im Ergebnis unzweifelhaft mit einem zusätzlichen Druck auf die erzielbaren Prämienvolumina zu rechnen. Wie in allen Themen, die wenige Vergangenheitswerte, aber eine sehr hohe Dynamik aufweisen, sind Prognosen schwierig. Dies insbesondere dann, wenn sie – wie in dem in Abschnitt C dargestellten Prognosemodell – bis zu 15 Jahre in die Zukunft reichen sollen. Die Annäherung an eine mögliche Entwicklung erfolgt über drei unterschiedliche Szenarien – dieser Ansatz gilt übrigens für alle wesentlichen Parameter in dem Prognosemodell (Einzelheiten hierzu im Kapitel C). B.2 WIRKUNG DER TRENDS AUF DEN TRANSPORT VON PERSONEN UND GÜTERN Um die Trends der Zukunft grob zu strukturieren, wurde im Folgenden eine Unterscheidung in zwei Formen vorgenommen. Dieses Kapitel zielt zunächst auf eine Annäherung an die Auswirkungen der wichtigsten Trends ab. Hierzu erfolgt eine Unterscheidung der sich in einer digitalen Umwelt abzeichnenden Transport lösungen sowohl für Personen als auch für Güter. Im Anschluss wird die zu erwartende Entwicklung bei Angeboten der Fahrzeughersteller, Mobilitäts- und Logistikdienstleister analysiert. In Kapitel B.3 geht es dann darum, den Versicherungsbedarf zu diskutieren, der sich aus den neuen Mobilitäts- und Logistik lösungen – insbesondere bei der Kfz-Versicherung – ergeben wird. Dies hat selbstverständlich auch Folgen für den Vertrieb von Versicherungen; hierauf wird am Ende von Kapitel B.3 näher eingegangen. Digitalisierungsniveau wird für Käufer zum Entscheidungskriterium Eine zentrale Rolle bei den Überlegungen rund um den Transport von Personen und Gütern spielen die Fahrzeughersteller selbst. Sie haben erkannt, dass sie sich an die Spitze der Entwicklung neuer Dienst 27 28 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? leistungsangebote setzen müssen, wollen sie nicht selbst zu einer Art „Zulieferer“ in einem von anderen dominierten Ökosystem werden. Die Hersteller von Mobilfunkgeräten sind hier ein warnendes Beispiel, die von den Anbietern digitaler Dienstleistungen inzwischen klar bestimmt werden. Die bemerkenswerten Initiativen von Google und Apple im Feld des Autonomen Fahrens zeigen, dass es Marktteilnehmern ohne jegliche automobile Vergangenheit gelingt, die entscheidenden Trends in der Entwicklung von Fahrzeugen zu setzen. Dies kann am Ende des Tages so weit gehen, dass die Kaufentscheidung für oder gegen ein Fahrzeug vom angebotenen „Digitalisierungsniveau“ abhängt, welches sich in Infotainment, aber auch in automatisierter Fahrzeugsteuerung ausdrückt. Im ersten Halbjahr 2015 haben Autobauer weltweit 767 Millionen Euro in Start-ups investiert, die Zusatzservices rund um das Auto entwickeln. Das ist das Sechsfache dessen, was die Autobauer in solche Start-ups im gesamten Jahr 2014 investiert haben. Für Kunden geht es aber um mehr. Ein sehr wichtiges Thema für sie ist auch die Frage von Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Transportmittel. Hierbei unterscheiden sich naturgemäß die Anforderungen von Privat- und Gewerbekunden. Die Sicht der Privatkunden Wenn es um Wirtschaftlichkeit geht, haben Privatkunden mit dem traditionellen Modell des Eigentums an einem Fahrzeug eine verhältnismäßig ungünstige Lösung. Im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung von Pkw und Nutzfahrzeugen zeigt sich, wo der Grund für fehlende Wirtschaftlichkeit liegt: Die Auslastung des Fahrzeugs ist in aller Regel derart niedrig, dass die verbrauchsunabhängigen Kosten des Fahrzeugs kaum zu rechtfertigen sind (siehe das mittlere Feld in Abbildung 13). Abb. 13: Nutzungsintensität – aktive Nutzungsdauer je Fahrzeug pro Tag Gütertransport Gewerbe Personentransport privat 14 h ~ 10 h 12 h Nutzung Standzeit (von bis) 1h Nutzung 23 h Standzeit Personentransport Gewerbe 22 h Nutzung*, in der Regel zwei Schichten 2h 13 h Standzeit (von bis) Beispiel: Taxi, Fahrdienste etc. * Entspricht nicht der Auslastung, die bei circa 25 % pro Tag liegt. Quelle: KPMG, Deutschland 2015 Wie lässt sich erklären, warum sich Privatkunden über Jahrzehnte auf ein solches Modell eingelassen haben? Ein wichtiger Grund dürfte darin liegen, dass der eigene Pkw als Statussymbol fungiert hat. In den verschiedenen kulturellen Regionen vollzieht sich der Wandel unterschiedlich schnell, aber für Europa dürfte festzustellen sein, dass die Bedeutung des Pkw als Statussymbol nachlässt, insbesondere bei den nachwachsenden Generationen. Ein weiterer Grund dürfte in bis dato mangelnden Alternativen liegen. Für die Erledigung einiger Besorgungen oder bestimmte Aktivitäten sind öffentliche Verkehrsmitteln nur bedingt geeignet. Zumindest für den städtischen Bereich gibt es heute aber flächen deckend Angebote von Mobilitätsdienstleistern, was auch diesem Argument zur Bereithaltung eines eigenen Fahrzeugs zunehmend die Stichhaltigkeit nimmt. Bleiben ländliche Regionen, in denen man auch heute noch nur schwer auf ein eigenes Fahrzeug verzichten kann. Doch selbst hier zeichnen sich Entwicklungen ab: Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Das Auto ist für immer mehr Menschen ein Instrument der Mobilität. Technische Details oder der Status einer Marke sind schwindende Kaufanreize. Junge Menschen denken von Autos nur noch als ein Teil einer orts- und zeitunabhängigen Mobilitätslösung. Dr. Oliver Gaedeke, Vorstand, YouGov AG Einerseits setzt sich der Trend zur Urbanisierung mit unverminderter Geschwindigkeit fort, anderseits wird die Entwicklung zum Autonomen Fahren Mobilitätsanbietern helfen, die Lücken auf ihren Landkarten zu schließen. Fahrzeuge werden sich dann selbstständig dorthin bewegen können, wo sie gerade gebraucht werden. Fahrerassistenzsysteme schaffen Sicherheit und wertvolle Zeit Neben rein wirtschaftlichen Aspekten spielen für Privatpersonen zunehmend auch Faktoren wie Vernetzung und Zeiteffizienz eine wichtige Rolle. Fahrzeugen, die eine optimale Vernetzung ermöglichen (idealerweise die Welt des eigenen Smartphones 1:1 spiegeln), dürfte also die Zukunft gehören. Das haben Autobauer und digitale Dienstleister gleichermaßen erkannt. Mit der Entwicklung der Fahrerassistenzsysteme bis hin zum Autonomen Fahren geht nicht nur eine höhere Sicherheit für die Passagiere einher, sondern auch die Chance für den Fahrer, seine Zeit zukünftig anderweitig einzusetzen. Privatkunden haben daher gute Gründe, die Entwicklung der Fahrzeuge in puncto Vernetzung und automatisiertem Fahren zu unterstützen, wenn nicht gar zu fordern. Die Frage für Autobauer und Mobilitätsanbieter wird aber sein, ob Privatkunden diese Fahrzeuge dauerhaft besitzen oder nur noch bei Bedarf nutzen wollen. Vieles spricht für einen Trend zum Letzteren. Abb. 14: Carsharing-Anbieter in Deutschland (Stand September 2015) Anzahl Fahrzeuge 3.600 3.500 2.370 1.900 1.000 800 650 500 400 350 300 200 200 160 100 Quelle: Unternehmensangaben, 2015 Anzahl Nutzer Flinkster Car2Go DriveNow stadtmobil Cambio CiteeCar book-n-drive teilAuto Stadtauto München Multicity Greenwheels E-Wald app2drive Quicar Scouter 300.000 230.000 300.000 50.000 48.000 5.000 22.000 20.000 12.000 10.000 10.000 3.000 unbekannt 12.000 4.500 29 30 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Das Wachstum bei Mobilitätsanbietern im Vergleich zum Vorjahr beträgt beachtliche 37,4 Prozent. Dabei entfällt der größte Teil auf die sogenannten „Free-Floating-Anbieter“. Zunehmend nutzen auch Gewerbekunden die Angebote von Mobilitätsdienstleistern. So beziffert beispielsweise DriveNow den Anteil der gewerblichen Kunden für das Jahr 2015 bereits mit 17 Prozent. Tankstand überprüfen sowie der Kalender mit den Reservierungswünschen des Nutzerkreises synchronisieren. Das Angebot erstreckt sich auf alle Audi- Modelle vom A1 bis zum R8. Die Raten enthalten auch die monatliche Reinigung und den Reifenwechsel. Für die Kostenverteilung (Kraftstoff, Fahrzeugflüssigkeiten, Reinigungskosten, Mautgebühr) kann entweder ein fixes oder flexibles (abhängig von gefahrenen Kilo metern) Modell gewählt werden. Die nächste Entwicklungsstufe bei den Mobilitätsangeboten dürfte die flexible Kombination verschiedener Verkehrsmittel sein. Ziel dabei ist es, die bestmögliche Kombination von infrage kommenden Transportmitteln (Pkw, Zug, Flugzeug etc.) zu ermitteln, um Zeit und Kosten zu sparen. Auch hier gibt es Anbieter im Markt, die, wie beispielsweise moovel, bereits heute bis zu 850.000 Kunden zählen. Die Beispiele von Daimler und Audi zeigen: Es kommt Bewegung in die Modelle der Mobilitätsanbieter. Grundsätzlich zeigt sich, dass Mobilitätsangebote für Privat- und Gewerbekunden gleichermaßen interessant sind. Soweit es um den Transport von Personen geht, unterscheiden sich die Anforderungen an die Dienstleister nur geringfügig. Digitalisierung führt zu neuen Mobilitätsdienstleistungen Die Sicht von Gewerbekunden Car2Go, DriveNow, Flinkster und ähnliche Anbieter gehören inzwischen zu unserem Alltag als Anbieter von Fahrzeugen für kurzfristige Mobilität. Das Modell von moovel ist aber noch nicht so breit in das öffentliche Bewusstsein gedrungen. Daher wird im Folgenden hierauf näher eingegangen: „Wir wollen das Amazon der Mobilität werden“, beschreibt moovel-Chef Robert Henrich die Ziele des Anbieters. Das Tochterunternehmen von Daimler zielt auf die Integration sämtlicher Verkehrsangebote von Car- und Bike-Sharing über öffentlichen Nahverkehr, Taxi und Fernbahn oder -bus bis hin zum Flugzeug ab. Moovel versucht, eine offene und neutrale Mobilitätsplattform zu etablieren, auf der jeder Anbieter von Transportdienstleistungen für Personen seine Mobilitätsservices anbieten kann. Dem Kunden sollen, unabhängig vom ausgewählten Verkehrsmittel, Services aus einer Hand und ein durchgängiges Dienstleistungserlebnis geboten werden. Wirtschaftlichkeit und Vernetzung spielen auch für Gewerbekunden eine große Rolle, wobei es im Detail auch hier Unterschiede gibt und der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten bei Gewerbekunden enger ist. Ein weiterer interessanter Ansatz kommt von Audi, der sich sowohl im Hinblick auf die Nutzungsdauer als auch auf die Zielgruppe von bekannten Mobilitätskonzepten unterscheidet. Das Modell sieht einen Nutzerkreis von maximal fünf Personen und eine variierende Vertragsdauer zwischen zwölf und 24 Monaten vor. Das Angebot lässt sich mit Freunden, Verwandten oder Nachbarn nutzen. Es wird jedoch auch ein Matching angeboten, indem ein Pool bzw. eine Gemeinschaft von unbekannten Fahrern nach gleichen Präferenzen gebildet werden kann. Zusätzlich kann der Nutzerkreis die Parkzone bestimmen. Dabei ist eine Anpassung an veränderte Bedürfnisse jederzeit möglich. Über die „Audi unite App“ lässt sich das Fahrzeug reservieren, der Standort feststellen, der Gewerbekunden legen Wert darauf, dass die benötigte Transportkapazität pünktlich und in der jeweils er forderlichen Form zur Verfügung steht. Um dies sicherzustellen, unterhalten Unternehmen – insbesondere Logistikunternehmen – Fahrzeugflotten, die Tausende von Einheiten umfassen können. Der Wettbewerb im Transportgeschäft ist hart; es kommt also darauf an, nicht nur zuverlässige, sondern auch kosten effiziente Lösungen zu finden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es schon seit einigen Jahren eine gezielte Nachfrage nach intelligenten Fuhrparkmanagementlösungen gibt, die sich sowohl auf die Fahrzeuge selbst, den Einsatz und das Verhalten der Fahrer als auch auf organisatorische Aspekte des Transports beziehen. Auch der Spritverbrauch der Fahrzeuge lässt sich bei gewerblichen Flotten durch das Monitoring und Training von Fahrern deutlich senken, wie US-Studien zeigen. Um bis zu zehn Prozent ist der Verbrauch zurückgegangen. Wenn man bedenkt, dass der Spritverbrauch rund 40 Prozent der Operating Costs gewerblicher Flotten ausmacht, können so bis zu vier Prozent der Gesamtkosten eingespart werden. Für manche Unternehmen reicht das schon, um einen Unterschied zwischen Wirtschaftlichkeit und Unwirtschaftlichkeit des Fahrzeugeinsatzes auszumachen. Gewerbliche Nutzer begrüßen Vernetzung Einer Vernetzung der Fahrzeuge stehen Gewerbetreibende ausgesprochen offen gegenüber, da dies einen Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? effizienteren Einsatz von Fahrzeugen und Fahrern verspricht. Zu wissen, wo und in welchem Zustand sich das Fahrzeug befindet und wie der Fahrstil des Fahrers einzuschätzen ist, sind wertvolle Informationen. Ein Nebenaspekt ist aber auch hier die „Spiegelung“ der Applikationen auf den Smartphones von Fahrern und von weiteren, den Transport begleitenden Personen mit den Systemen des Fahrzeugs. Einen gewissen Einfluss auf die Auswahl der Fahrzeuge sollten bis auf Weiteres auch die Mitarbeiter haben: Sie werden die Hersteller favorisieren, die eine aus ihrer Sicht gute Lösung anbieten. Das Thema Vernetzung hat bei gewerblichen Fahrzeugen also unter dem Strich eine noch höhere Bedeutung. Aber auch der Fortschritt bei den Fahrerassistenz systemen ist für gewerbliche Kunden wichtig, denn die Vermeidung eines Unfalls bedeutet nicht nur den Wegfall des direkten Sachschadens, sondern verhindert außerdem den temporären Ausfall des Fahrzeugs und im schlimmsten Fall auch des Fahrers selbst. Ein Fahrzeughersteller, der bei Trucks und Transportern den Markt in diesen Technologien anführt, sollte die besten Chancen bei den Betreibern größerer Fuhrparks haben. Der technische Fortschritt wird Logistikunternehmen aber auch vor eine substanzielle Herausforderung stellen – durch Produktionsverfahren nämlich, die sich im Zeitalter der 3D-Drucker erheblich verändern werden. 3D-Druck lässt Produktions- und Einsatzort von Gütern zusammenrücken Wie in Kapitel B.1.3 dargestellt, wird 3D-Druck eine zentrale Rolle in zukünftigen Produktionsverfahren spielen. Bei allen Produkten, die sich für 3D-Druck eignen, gibt es keinen Grund mehr, die Produktion deutlich entfernt vom Ort des späteren Einsatzes durchzuführen. Ein großer Teil der Produktion wird in dezentralen 3D-Druckparks (oder Hubs) stattfinden, die über Drucker der unterschiedlichsten Spezifikationen und über alle erforderlichen Rohmaterialien verfügen. Je stärker sich dieser Produktionsansatz in der Fläche durchsetzt, umso näher rücken diese dezentralen 3D-Druckerparks (vergleiche hierzu auch Veröffentlichungen von DHL, UPS und anderen) räumlich zu den Endabnehmern und entsprechend geringer fällt das verbleibende Transportvolumen auf den längeren Strecken aus. Auf den längeren Strecken wird es somit zu einem starken Rückgang des Transports fertiger Produkte kommen, die wegen Verpackungsmaterial und ver- packten Hohlräumen – wie ein Gesprächspartner es formulierte – ohnehin bis zu 80 Prozent aus Luft bestehen. Deutlich anders sieht es bei der Zulieferung der Rohmaterialien für den 3D-Druckprozess aus. Ob es sich um Granulate oder Flüssigkeiten handelt oder ob das Rohmaterial aus Kunststoff oder Metall besteht, es wird – im Vergleich zu fertigen Produkten – in hochverdichteter Form transportiert werden. Steigender Bedarf an Tankfahrzeugen Das bedeutet, dass sich das Transportvolumen deutlich reduzieren dürfte, und auch die spezifischen Anforderungen an die Fahrzeuge selbst ändern sich. Es werden Tankfahrzeuge benötigt werden, die ein erhebliches Gewicht befördern können. Logistikdienstleister sehen sich also mit der Herausforderung konfrontiert, dass sie nicht nur wesentlich weniger Volumen zu bewegen haben, sondern für einen Großteil des verbleibenden Volumens nicht über die richtigen Fahrzeuge verfügen. Einen Fuhrpark grundlegend umzustrukturieren, ist eine große Herausforderung für ein Logistikunternehmen. Fahrzeugherstellern und Dienstleistern, die sich auf die Bereitstellung von Fahrzeugen mit und ohne Fahrer spezialisiert haben, dürften sich sehr gute Geschäftschancen eröffnen. Ähnlich wie beim Ansatz von Mobilitätskonzepten für den Transport von Personen könnte es beim Gütertransport zukünftig eine starke Nachfrage nach Spezialfahrzeugen wie Tankfahrzeugen geben, die im benötigten Umfang zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, ohne dass man diese in den eigenen Fuhrpark integriert. Die wichtigsten Trends für Gewerbekunden im Überblick: • Technologie in den Fahrzeugen und Vernetzung Gewerbliche Fahrzeuge sind häufig mehr als nur ein Transportmittel. Sie dienen als fahrendes Büro und Logistikzentrum, was eine moderne technische Ausstattung, angefangen bei der Navigation und elektronischen Fahrtenbüchern über Fahrzeug überwachung bis zu modernen Kommunikations lösungen, unabdingbar macht. Immer wichtiger wird die Vernetzung zur sonstigen Infrastruktur eines Flottenbetreibers, aber auch zu Kunden und Dienstleistern, mit denen ein Flottenbetreiber zusammenarbeitet. Überall und jederzeit mit dem Fahrzeug verbunden zu sein und Zugriff auf alle relevanten Informationen zu haben, ist der Anspruch der gewerblichen Kunden. 31 32 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? • Verfügbarkeit von Transportkapazität Bereits in der Vergangenheit war es eine Herausforderung für Logistikunternehmen, die Bereitstellung der erforderlichen Transportkapazität am richtigen Ort und zur richtigen Zeit zu bewerkstelligen. Es hat also auch schon in der Vergangenheit Unternehmen gegeben, die Logistikdienstleistern nicht ein Fahrzeug verkauft, verleast oder finanziert haben, sondern ihnen dieses Fahrzeug als eine Kapazität zur Verfügung gestellt haben, und sei es nur für 24 Stunden. Mit Blick auf die sich abzeichnenden Veränderungen in den Produktionsverfahren (3D-Druck) sollte diese Form der Dienstleistung an Bedeutung gewinnen. • Bündelung automobiler Dienstleistungen Es ist ein Trend, den man schon seit Jahren beobachten kann, der aber sowohl bei Privat- als auch bei Gewerbekunden immer weiter an Relevanz zunimmt: die Bündelung von Dienstleitungen rund um das Fahrzeug. Dieses wird finanziert oder geleast, der Versicherungsschutz wird ebenso angeboten, Werksgarantien werden um mehrere Jahre verlängert. Hinzu kommen Pakete für Wartung und Verschleiß sowie weitere Leistungen wie Reifenpakete, Tankkartenservices und Ähnliches. All dies wird in einem Dienstleistungsangebot zusammengefasst. Dies führt zu einer besseren wirtschaftlichen Planbarkeit bei den Betreibern der Fahrzeuge und entlastet sie davon, sich um die Einzelthemen selbst kümmern zu müssen. Für die Fahrzeughersteller ist dieser Ansatz eine gute Möglichkeit, Kundenbindung zu fördern und die sehr unterschiedlichen Margen der einzelnen Produkte untereinander auszubalancieren. In der Regel haben Kunden bei Bündelprodukten sogar eine höhere Preistoleranz als bei Einzelprodukten. Ein gutes Beispiel für das Bereitstellen von Transportkapazität modernen Zuschnitts ist die Daimler-Tochter „CharterWay“. Das Fahrzeugportfolio des Unternehmens reicht von Sattelzugmaschinen bis hin zu Fahrzeugen als spezielle Branchenlösungen; angeboten werden kurzfristige bis mittel- und auch langfristige Fahrzeugmieten. Ziel ist es, dem Kunden ein flexibles Angebot an Transportkapazitäten für den saisonalen Spitzenbedarf, zur Lieferzeit-Überbrückung, bei Fahrzeugausfall oder für kurzfristig eingegangene Aufträge zur Verfügung zu stellen. Dabei werden auch das Management (Rechnungsprüfung, Fahrzeugmanagement oder Unfallabwicklung) und der Service (Reparaturen oder Ersatzfahrzeug-Gestellung) rund Als R+V sind wir einer der führenden Kfz-Versicherer der Logistikbranche und beobachten den Fortschritt bei den Fahrerassistenzsystemen, die dazu beitragen, die Fahrzeuge unserer Kunden sicherer zu machen. Wir begleiten diese Entwicklung mit entsprechenden Produkten unseres Hauses. Aber auch auf zukünftige Produktionsverfahren und Transporterfordernisse wird der Fortschritt der Technik Einfluss haben – Stichwort 3D-Drucker. Wir beobachten auch diese Entwicklung sehr genau. Dr. Edgar Martin / Mitglied der Vorstände KRAVAG-ALLGEMEINE Vers.-AG, KRAVAG-LOGISTIC Vers.-AG, Condor Allgemeine Vers.-AG (R+V Gruppe) um das gemietete Fahrzeug übernommen. Die Gesamtdienstleistung wird durch ein breites Werkstattnetz und circa 70 Mietstationen unterstützt. CharterWay komplettiert sein Portfolio durch umfangreiche Finanz- und Serviceleistungen. Das 1992 gegründete Unternehmen bietet seit 1998 die (auch kurzfristige) Vermietung von Fahrzeugen an, seit dem Jahr 2000 auf Wunsch auch mit Fahrer. Insgesamt betreut CharterWay inzwischen über 100.000 Nutzfahrzeuge in Deutschland. Von einem Nischenprodukt kann bei diesem Dienstleistungsansatz also nicht mehr die Rede sein. Auch wenn sich in Deutschland gegenwärtig noch ein Anstieg der Zulassungszahlen abzeichnet, wird hierzulande mittel- bis langfristig mit einem Rückgang der Kapazitäten bei schweren Lkw zu rechnen sein. Bei Transportern wird dieser negative Trend vermutlich schwächer ausfallen, da „die letzte Meile“ auch bei 3D-Druck-Produkten in Zukunft noch gefahren werden muss. Flottenfahrzeuge werden zunehmen Bei privaten und gewerblichen Fahrzeugen wird das Flottenfahrzeug immer stärker zum Massenphänomen, bei gewerblichen Fahrzeugen erfolgt dies in der Ausprägung deutlich größerer Flotten, als heute noch üblich. Flottenfahrzeuge haben einen anderen Versicherungsbedarf, worauf im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? B.3 FOLGEN FÜR (KFZ-)VERSICHERUNGSPRODUKTE UND DEREN VERTRIEB Die Ausgestaltung zukünftiger Kfz-Versicherungsprodukte wird sich einerseits an einer veränderten Risikosituation orientieren, was stark durch den technischen Fortschritt bestimmt werden wird. Andererseits sind der Bedarf und das Nachfrageverhalten von Kunden sehr unterschiedlich – je nachdem, ob sie private oder gewerbliche Kunden sind, ob sie Fahrzeuge selbst betreiben oder nur nutzen und auch danach, wie sie mit moderner Technik umzugehen in der Lage und / oder bereit sind. Daher wurde im Rahmen dieser Studie im ersten Schritt eine Kategorisierung von Kundengruppen vorgenommen. Ziel war es, eine Kundenkategorisierung aus Sicht der tatsächlichen Entscheider über den Einkauf von Versicherungsschutz des Fahrzeugs zu finden, die weitestgehend allgemeingültig ist. Dabei standen insbesondere folgende Fragen im Fokus: 1) Wo wird das Fahrzeug bezogen: direkt vom Hersteller oder über einen zwischengeschalteten Dienstleister? 2) Ist der Halter / Nutzer des Fahrzeugs eine Privatperson oder ein Unternehmen? Die Zukunft in der AutomotiveIndustrie gehört den Marktteilnehmern, denen es gelingt, flexible Mobilitäts- und Transportlösungen zu schaffen, maximal emissionsarmes Fahren zu ermöglichen und die Digitalisierung mit hoher Geschwindigkeit voranzutreiben. Dies wird dazu führen, dass die Versicherungen rund um Herstellung und Einsatz von Fahrzeugen, insbesondere die Kfz-Versicherung, grundlegend verändert werden müssen. Michael Kainzbauer / CEO Toyota Insurance Management Ltd. 3) Wie wird das Fahrzeug genutzt: zum Personenoder Gütertransport? Der Bedarf und das Nachfrageverhalten der jeweiligen Kundengruppe sind der Ausgangspunkt für die nachfolgenden Überlegungen zur Gestaltung und zum Vertrieb von Kfz-Versicherungsprodukten. Abb. 15: Strukturierung der Kundengruppen Wertschöpfungsketten der unterschiedlichsten Anbieter verändern oder vermischen sich zunehmend Quelle: KPMG, Deutschland 2015 2. B2C 3. B2B2B 4. B2B2C Produk M t a Vertrie e, bs end stimm e Par tbe ns und Die ame rk olutio ns S odelle und Po t m Markt gen ter istun le t of Sale in Anbieter und Dienstleister reagieren und bestimmen den Markt nicht mehr aktiv 1. B2B 3 2 1 Technologien Kundengruppen verändern und verschieben sich Unterschiedlichste Ausprägungen der Veränderung kristallisieren sich heraus (Bsp. Mobilität) 33 34 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? ßen. Dies kann in Form von Leasing oder Finanzierung oder in eher serviceorientierten Modellen, wie etwa Full-Service-Leasing oder Fuhrparkmanagement, ausgestaltet sein. Daneben stehen vermehrt auch Mietlösungen, wie sie etwa CharterWay oder Sixt anbieten. Beschreibung der vier Kundenkategorien: • B2B (Business to Business): Hier geht es um das direkte Geschäft zwischen Autobauern und gewerblichen Kunden. Typischerweise handelt es sich um echten oder scheinbaren Barkauf durch Unternehmen. • B2C (Business to Customer): Hier handelt es sich um direktes Geschäft zwischen Autobauern und Privatpersonen. Im Wesentlichen geht es hierbei um echten oder scheinbaren Barkauf von privaten Einzelkunden. • B2B2C (Business to Business to Customer): In dieser Kategorie kommt ein Vertrag zwischen einem Dienstleister und einem Privatkunden zustande, der sich beispielsweise auf Finanzierung (sehr selten Leasing) bezieht, oder aber es geht um Verträge zur reinen Nutzung von Fahrzeugen, wie zum Beispiel bei Carsharing-Angeboten (Car2Go, DriveNow, Flinkster etc.). • B2B2B (Business to Business to Business): Hierbei handelt es sich um gewerbliche Kunden, die sich die Nutzungsmöglichkeit von Fahrzeugen über eine Vereinbarung mit einem Dienstleister erschlie- Für eine erste quantitative Analyse wurden die Kfz-Neuzulassungen des Kraftfahrbundesamtes (KBA) in Deutschland aus dem Blickwinkel der vier skizzierten Kundenkategorien näher betrachtet. In den meisten Fällen (70 Prozent) sind heute bereits Intermediäre involviert (Kategorien B2B2B und B2B2C). Das direkte Geschäft, sei es mit privaten oder gewerblichen Kunden, ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, sodass heute nicht einmal mehr jedes dritte Neufahrzeug vom Hersteller ohne Einbindung eines Dritten an Endkunden verkauft wird. Dies erklärt auch, warum Autobauer größte Anstrengungen unternehmen, in möglichst vielen Fällen selbst dieser „Dritte“ zu sein – in Form eines zum Konzern gehörenden Dienstleisters. Abbildung 16 illustriert die Verteilung der Neuzulassungen auf die genannten Kundenkategorien. Abb. 16: Anteil der Kundengruppen am Kfz-Neufahrzeugmarkt in Deutschland 2014 Basis: 3,55 Mio. Kfz-Neuzulassungen (2014, KBA) „B2B“ ~ 0,57 Mio. Fahrzeuge „B2C“ 16 % „B2B2B“ Quelle: KPMG, Deutschland 2015 „B2B“ „B2C“ „B2B2C“ „B2B2B“ ~ 0,5 Mio. Fahrzeuge 14 % 21 % 49 % ~ 1,74 Mio. Fahrzeuge Zukunftsaussichten hinsichtlich des Wachstums der Kundengruppen (Einschätzung KPMG) „B2B2C“ ~ 0,75 Mio. Fahrzeuge Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Die Trends für Automotive, Mobilität und Transport (siehe auch Kapitel B.1) dürften dazu beitragen, dass die Segmente B2B2B und B2B2C im Vergleich zu B2B und B2C auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werden. Insgesamt zeichnen sich für die vier Kundensegmente folgende Entwicklungen bei Neufahrzeugen ab: • B2B: Dieses Geschäft wird seltener, ein fast schon auslaufendes Geschäftsmodell. • B2C: Eigentum verliert weiter an Bedeutung, Mobilität ist der Fokus – B2C schrumpft. • B2B2C: Der Verfügbarkeit „on demand“ gehört die Zukunft. Dieses Segment wächst. • B2B2B: Sehr gute Chancen haben „Mehrwert-Dienstleister“ zwischen Autobauern und gewerblichen Fahrzeugnutzern. Auch dieses Segment wird deutlich wachsen. Wenn man den eher seltenen Fall von Fahrzeugsammlungen und den Statusgedanken außen vor lässt, erfüllen Fahrzeuge primär den Zweck, Personen oder Güter von A nach B zu befördern. Die Ausrichtung von Fahrzeugen auf eine möglichst bequeme und sichere Transportleistung – bei optimaler digitaler Versorgung der Passagiere oder des den Transport begleitenden Personals – ist ein klarer Trend. Dienstleistungen und Lösungen, die dazu beitragen, Transportkapazität in der benötigten Form, zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen, werden in Zukunft deutlich stärker nachgefragt werden und sind der Haupttreiber des zu erwartenden Wachstums in den Segmenten B2B2B und B2B2C. Es dürfte insofern eine weitere Zunahme von Flottenfahrzeugen geben, wobei nicht unbedingt die Anzahl der Flotten in Deutschland steigen wird, sondern deren durchschnittliche Größe. Was spricht für diesen Trend? • Das Managen eines eigenen Fuhrparks ist für kleinere Unternehmen in der Regel wirtschaftlich nicht effizient. Um diese Leistung auszulagern, die in der Regel nicht zur Kernkompetenz der meisten Unternehmen gehört, wird man verstärkt auf Full-Service- und / oder Fuhrparkmanagementlösungen zurückgreifen, die dann den Einkauf und die Bereitstellung von Dienstleistungen übernehmen. Das wird auch das Thema Versicherung betreffen. • Der Wettbewerb in der Logistikbranche ist hart. Auch Marktteilnehmer mit heute bereits größeren Flotten suchen nach Lösungen, die helfen, Kosten beeinflussbarer und planbarer zu machen. Professionelles Fuhrparkmanagement führt zu einem anderen Einkauf von Versicherung, soweit Versicherung (insbesondere Kasko-Versicherung) noch eingekauft wird. Neben intelligenten Finanzierungskonzepten brauchen Flottenbetreiber gute Lösungen für ihr Riskund Schadenmanagement. Wichtig dabei ist, dass die Dienstleister sowohl professionell als auch ohne Interessensverflechtungen agieren können. Genau dafür stehen wir mit innovativen Lösungen für die gesamte Flotte. Michael Pfister / Geschäftsführer AFC Auto Fleet Control GmbH • Überall dort, wo Mobilitätsdienstleistungen für Personen „on demand“ zur Verfügung gestellt werden, erfolgt eine Verdichtung von Fahrzeug beständen zu immer größeren Flotteneinheiten. Einzelne Fahrzeuge von Privatpersonen werden so durch Fahrzeuge in der Flotte des Dienstleisters ersetzt. Beispiel: Die Flotten von Car2Go und Flinkster umfassen heute bereits jeweils rund 3.600 Fahrzeuge in Deutschland, gefolgt von circa 2.400 Fahrzeugen bei DriveNow. Für solche Flottengrößen wird Versicherungsschutz natürlich – wenn überhaupt – anders eingekauft. • Ähnlich sieht es auf der Seite gewerblicher Kunden aus, die sich entscheiden, auf die Transportkapazitäten von Dienstleistern wie CharterWay oder Sixt zurückzugreifen, statt dauerhaft eigene Fahrzeuge bereitzuhalten. Auf der Güterseite wird die sich abzeichnende Entwicklung im 3D-Druck und der damit einhergehende Bedarf an anders strukturierten Fuhrparks zu einer Unterstützung dieser Geschäftsmodelle führen. Auch hier findet eine Konzentration von Flottenfahrzeugen statt. Große Flottenversicherer profitieren Eine gute Nachricht scheint dies für die Allianz als größtem Kfz-Flottenversicherer über alle Flotten-Größenklassen in Deutschland und für den HDI-Gerling als größtem Kfz-Flottenversicherer im Segment der Flotten „100+ Fahrzeuge“ zu sein. Aber auch bei der 35 36 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? KRAVAG (R+V-Gruppe) ist diese Entwicklung von hoher Relevanz. Das Unternehmen gilt als wohl größter Kfz-Versicherer bei Logistik-Dienstleistern und kommt zusammen mit der Mutter R+V auf einen Marktanteil von über 15 Prozent (zum Vergleich: der Marktführer AZ liegt bei etwa 17 Prozent). Marktanteile von über fünf Prozent im Flottengeschäft verzeichnen derzeit die AXA und der VHV, die damit die Gruppe der Top 5 der Kfz-Flottenversicherer komplettieren. Flottengeschäft bleibt schwierig Völlig ungetrübt dürfte die Freude bei den großen Flottenversicherern aber nicht ausfallen. Aus Ergebnissicht ist das Flottengeschäft nämlich traditionell anspruchsvoll und in der Betreuung arbeitsintensiv, was größtenteils in der geringen Automatisierung des Geschäfts und sich ständig wiederholenden, teils verbissen geführten Preiskämpfen um die Gunst einzelner Flottenkunden liegt. Wenn sich jetzt ein deutlicher Trend einer Verschiebung von Kfz-Geschäft in Richtung der Kundensegmente B2B2B und B2B2C abzeichnet, heißt das zunächst nur, dass unter Umständen mehr Geschäft in einer durchaus schwierigen Sparte möglich ist. Aber wird das erzielbare Prämienvolumen in den Segmenten B2B2B und B2B2C in den nächsten Jahren tatsächlich ansteigen? Proportional gesehen und als Quote ausgedrückt, wird dies im Vergleich zu B2B und B2C der Fall sein. Betrachtet man aber die Hochrechnungen in dem in Abschnitt C dargestellten Prognosemodell, tritt Ernüchterung ein. Denn alles spricht dafür, dass das absolute Prämienvolumen in der Kfz-Versicherung abnehmen wird, etwas stärker sogar im Flottenals im Einzelkundengeschäft. Zu den Haupttreibern des zu erwartenden Prämienabriebs zählen: • Der Fortschritt bei den Fahrerassistenzsystemen – bis hin zum Autonomen Fahren – wird die Schadenlast bei Kraftfahrzeughaftpflicht und Kaskover sicherungen signifikant reduzieren. Dies betrifft Einzel- wie Flottenfahrzeuge. • Der Trend zu größeren Flotten führt zu einer Zunahme an Eigentragungslösungen, sei es in Form höherer Selbstbeteiligungen oder durch Verzicht auf einen Teil der Deckung (insbesondere Kasko). • Die in Kapitel B.1.3 beschriebene Entwicklung beim 3D-Druck verändert nicht nur die Produktion von Gütern, sondern auch den Transport. Langfristig gesehen wird dies zu einem Rückgang der Transportvolumina und zu weniger Transportfahrzeugen führen. • Autobauer besetzen wohlüberlegt die Position des mittleren „B“ bei B2B2B und B2B2C – sei es durch die großen Automotive Captive-Banken und Leasinggesellschaften (praktisch alle großen Autobauer haben FS-Tochterunternehmen), durch Mobilitätsanbieter wie Car2Go (Daimler), DriveNow (BMW), moovel (Daimler) oder Truck Rental Companies wie CharterWay (Daimler). Ob Leasing- oder Mobilitätsanbieter, die Autobauer (oder ihre Töchter) bleiben rechtlicher Eigentümer der Fahrzeuge und werden sich sehr gut überlegen, ob sie tatsächlich Kfz-Versicherungsschutz einkaufen wollen, soweit er nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Nach unserer Einschätzung werden wir bis 2030 im Kfz-Flottengeschäft rückläufige Kfz-Prämienvolumina im deutschen Markt sehen. Dieses stellt traditionell ein schwieriges Geschäft dar, das – unter dem Eindruck des drohenden Volumenrückgangs – als eine erste Marktreaktion sogar noch einmal einen verschärften Preiswettbewerb erleben könnte. Mittel- bis langfristig besteht für die führenden Flottenversicherer aber die Chance, ihre Marktposition über die lange erwartete und jetzt womöglich tatsächlich stattfindende Marktkonsolidierung auszubauen. Eine Mischung aus überlegenen Underwriting-Skills, einer höheren internationalen Reichweite und möglicherweise auch moderneren IT-Systemen – zur Befriedigung des Analysebedarfs großer Flottenbetreiber – könnte hier den Ausschlag geben. Kooperationen werden zunehmen Zusätzlich ausschlaggebend für den zukünftigen Erfolg im Flottengeschäft sollte für Versicherer die Frage von Zusammenarbeit bzw. Partnerschaften mit anderen Marktteilnehmern sein, die im Bereich des mittleren „B“ von B2B2B und B2B2C eine entscheidende Rolle spielen (also auch Autobauer, unabhängige Leasinggesellschaften, Mobilitätsanbieter etc.). Mit ihnen zusammen sollten Dienstleistungskonzepte erarbeitet werden, bei denen die spezifischen Fähigkeiten der Versicherer genutzt werden, selbst wenn ein guter Teil des Geschäftsvolumens dann womöglich keine Versicherung mehr ist. Gleiches gilt für die Frage einer potenziellen Zusammenarbeit mit digitalen Großunternehmen wie Google oder Amazon. Auch diese könnten als das mittlere „B“ in den Markt eingreifen oder eine Rolle im Versicherungsgeschäft spielen wollen, die nicht unbedingt die des Risikoträgers ist. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Entwicklung im Privatkundengeschäft Man könnte in Anbetracht des Anteils der gewerblichen Kunden beim Kfz-Neufahrzeugmarkt auf den Gedanken kommen, dass das Segment der privaten Kunden eine untergeordenete Rolle spielt. Dem ist natürlich nicht so, denn viele der ursprünglich als gewerblich erstmals zugelassenen Fahrzeuge (dies gilt zumindest für Pkw) wandern in der nächsten Haltergeneration in den Bestand privater Halter, wo sie in der Regel bis zur Außerbetriebnahme verbleiben. Das erklärt, warum das Kfz-Privatkundenversicherungs geschäft deutlich größer ist als das Flottengeschäft. Aber auch das Privatkundengeschäft in der Kfz-Versicherung bereitet der Assekuranz auf der Ergebnisseite Sorgen. So weist der deutsche Markt im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre eine dreistellige Schaden-/Kostenquote auf – hat also versicherungstechnisch Geld verloren. Die wesentlichen Gründe hierfür dürften darin liegen, dass die Verwaltungs- und Vertriebskosten zu hoch und die Differenzierungsmöglichkeiten des Produkts gegenüber dem Kunden zu niedrig sind. Letzteres führt dazu, dass sich die Kfz-Versicherer im Wettbewerb fast nur über den Preis differenzieren. In einem Markt mit weit über Hundert Anbietern kann das mittel- und langfristig nur zu Underwriting-Verlusten führen. Wenn etwa die Nachricht, dass ein Versicherer den Verbau bestimmter Fahrerassistenzsysteme mit der Herabstufung des Fahrzeugs um eine Stufe in der Typenklasse der Kfz-Tarifsystematik bewertet, den einschlägigen Fachmedien eine Schlagzeile wert ist, beschreibt das eindrücklich, wo die Herausforderung liegt. Echte Innovationen scheinen eine Mangelware in der Kfz-Versicherung zu sein; das Geschäft wird im Wesentlichen seit Jahrzehnten unverändert betrieben. Innovationen wichtiger denn je Als eine echte Innovation könnte man allerdings die Entwicklung von Telematik-Modellen bezeichnen. Eine steigende Zahl von Kfz-Versicherern plant die Einführung von Telematik-Tarifen, obwohl die bisherigen Initiativen im deutschen Markt keine nennenswerten Volumina generieren konnten. Aber auch auf der Ergebnisseite ist der Ansatz nicht ganz unkritisch: Wenn man in einem auf der Preisseite nicht funktionierenden Markt ein System nutzen möchte, das eine „eiserne Disziplin“ in der Umsetzung erfordert, könnte das dazu führen, dass das eine oder andere Geschäft zunächst mit einem deutlich zu niedrigen AP / TP-Verhältnis („actual price“ versus „technical price“) eingekauft wird und dies im Zeitverlauf aufgrund des Wettbewerbs nicht anpassen kann. Wird dem Kunden dann der „richtige“ Preis berechnet, kündigt dieser unter Umständen und geht zu einem günstigeren Anbieter – mit der Folge, dass der Ursprungs anbieter auf dem Anfangsverlust sitzen bleibt. Auch der Umstand, dass es auf der Kostenseite einen Einstandspreis für das technische Telematik-Tool gibt, der entweder direkt vom Kunden oder zunächst vom Versicherer (und damit letztendlich später vom Kunden) getragen werden muss, macht das Modell nicht wirtschaftlicher. Hinzu kommt die weiterhin ungeklärte Datenverschlüsselung bei Telematik-Boxen. Schätzungen zufolge gibt es weltweit heute rund 55 Millionen Telematik-Boxen (die meisten davon in den USA), deren wirksame Verschlüsselung zu prüfen wäre. Wenn man sich vor Augen hält, welche Veränderungen sich im Umfeld der Kfz-Versicherung für die kommenden Jahre abzeichnen, wären Produktinnovationen nötiger denn je. Das Prämienvolumen der Kfz-Versicherung wird deutlich unter Druck geraten – und zwar auf unabsehbare Zeit. Bleibt dabei der Preis weiterhin das entscheidende Differenzierungskriterium im Wettbewerb, könnte dies zu erheblichen Verlusten führen. Auch 2030 wird die Kfz-Versicherung noch eine wichtige Sparte im Bereich der Schaden- und Unfallversicherung sein, auch wenn ihr Anteil an den Gesamtprämieneinnahmen abnehmen wird. Auf dem Feld der Personenschäden für sich betrachtet, rechnen wir mit einem Anstieg der Kosten. Es gibt daneben Versicherungssparten, die helfen sollten, einen möglichen Rückgang des Prämienvolumens in der Kraftfahrt zu kompensieren, zum Beispiel Cyber-Deckungen, Produkthaftpflicht für Hersteller und Zulieferer sowie Rückrufdeckungen. Stefan Schulz / Global Head of Motor Consulting Unit der Münchener Rück Sinkende Prämienerlöse auch im Privatkundengeschäft Die zuvor bei den Flottenkunden beschriebenen Faktoren, die das Prämienvolumen der Kfz-Versicherung reduzieren, gelten auch für das Privatgeschäft. Die 37 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? signifikante Reduktion der Schadenkosten durch Fahrerassistenzsysteme, der Shift vom Individual- zum Flottengeschäft mit der Wirkung auf die Kaskoversicherung: All dies führt auch im Privatkundengeschäft mittel- bis langfristig zu einem deutlichen Rückgang der Prämienvolumina. Alle drei der in Abschnitt C genauer skizzierten Szenarien haben zu einem Rückgang der Kfz-Versicherungsprämien im deutschen Markt geführt. Das gilt selbst für ein äußerst moderates Szenario, in dem der technische Fortschritt auf heutigem Niveau quasi zum Halt käme. Eine besondere Rolle in der Kfz-Versicherung werden weiterhin, und das vermutlich in zunehmenden Maße, die Autobauer spielen. Für diese ist der Schutz der Marke und des margenstarken Aftersales- und Servicegeschäfts unabdingbar. Das ist der Haupt beweggrund für Autobauer, sich auch mit dem Ver sicherungsgeschäft zu befassen. Abbildung 17 verdeutlicht, wo die Kontaktpunkte zwischen Autobauer und Kunden gesehen werden und welche Produkte darauf abzielen, diese zu sichern. Abb. 17: Produkte / Services rund um das Auto ran Ga tie Ka uf n Leasing Versicherung Garantie Lifecycle Auto Produkthaftung Servicepakete r v ic Breakdow Finanzierung e Service – Se 38 Unfall Quelle: KPMG, Deutschland 2015 Für Autobauer erfüllt das Versicherungsgeschäft primär die Funktion, durch Steuerung von Schäden in die eigenen Markenwerkstätten die Margen im Reparaturgeschäft und darüber hinaus die eigene Marke zu schützen. Das ist seit Jahrzehnten ein gewohntes Bild, dennoch erlebt auch dieses Feld aktuell eine neue Dynamik. Zum einen ist deutlich wahrnehmbar, dass Autobauer den Vorstoß von Versicherern in ihr Service- und Wartungsgeschäft als ernsthafte Bedrohung ihres Geschäftsmodells wahrnehmen. Dies könnte zu einer Verstärkung der Anstrengungen von Autobauern führen, Versicherer – soweit möglich – von ihren Kunden fernzuhalten. Nachdem sich Autobauer eine starke Position auch in dem mittleren „B“ von B2B2B und B2B2C zu sichern scheinen, bestehen gute Aussichten auf Erfolg. Zudem verfügen sie über die Hoheit über die automobilen Daten des jeweiligen Fahrzeugs und verteidigen diese Schnittstelle bisher recht erfolgreich. Falls die sich abzeichnenden digitalen Initiativen der Autobauer konsequent umgesetzt werden, könnte eine fortschreitende Ausgrenzung von Versicherern durchaus erfolgreich sein. Darüber hinaus besteht seitens der Autobauer keine Notwendigkeit, ein eigenes und zudem profitorientiertes „Schadenservicegeschäft“ betreiben zu müssen. Als Versicherungsgeschäft ausgestaltet ist eine geschäftliche Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? allein unter rechtlichen Aspekten schon nicht vorstellbar. Aber wer das Eigentum an Fahrzeugen bei sich behält, kann frei entscheiden, ob es einen Versicherungsschutz geben soll oder nicht (soweit gesetzlich zulässig). Allerdings gibt es auch bei Fahrzeugen, bei denen das Eigentum auf Kunden oder andere Dienstleister übergeht, durchaus Modelle, mit denen Teile der Kaskoversicherung ersetzt werden, zumindest für die ersten Jahre nach der Neuzulassung. Die Autobauer haben also guten Grund und die Mittel, das Schadenservicegeschäft in Zukunft noch enger zu steuern. Daher wird die Steuerung aller fahrzeugrelevanten Daten durch den Autobauer in Zukunft noch wichtiger. Es spricht viel dafür, dass dies gelingen könnte. Die Entwicklung des Kfz-Versicherungsvertriebs Der deutsche Markt wird heute noch von Ausschließlichkeitsvertretern und Maklern dominiert, wie Abbildung 18 zeigt. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass es in den nächsten Jahren zu erheblichen Verschiebungen zwischen den Vertriebswegen kommen dürfte. Abb. 18: Aufteilung des Neugeschäfts in Bezug auf die Kfz-Versicherung, 2014 Übrige Autohersteller / -händler 7% Ausschließlichkeit 8% Direkt Aggregatoren 10 % 42% 15 % 18% Unabhängige Vermittler Quellen: Towers Watson Vertriebswege-Survey; GCV; GDV; KPMG-Expertenschätzung Im Hinblick auf den Vertrieb von Kfz-Versicherungen zeichnen sich folgende Entwicklungen ab: • Im klassischen Kfz-Versicherungsvertrieb werden Ausschließlichkeitsvermittler und physische Makler an Bedeutung verlieren. • Dominieren werden in Zukunft der Direktvertrieb und der Vertrieb über Aggregatoren / Affiliate-Netzwerke. • Der Vertrieb im Paket (Bündelprodukte) mit anderen automobilen Dienstleistungen wird, getrieben durch Mobilitätsanbieter, immer wichtiger. Hohe Potenziale beim Vertrieb von Kfz-Versicherungen und verwandten Dienstleistungen könnten sich über das Internet, am Point of Sale der Fahrzeuge selbst sowie über die Kombination mit anderen Produkten bzw. Dienstleistungen ergeben. Vertrieb via Internet • Der Vertrieb am Point of Sale des Fahrzeugs (Inte gration der Versicherung / Dienstleistung in das Fahrzeug) wird zunehmen. Beim Vertrieb über das Internet kommen im Wesentlichen die klassische Kfz-Haftpflicht und -Kasko in 39 40 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Frage. Schon heute zeigt sich eine Verschiebung der Vertriebswege von Ausschließlichkeitsorganisationen und Maklern hin zu Aggregatoren und dem Internet-Direktkanal der Versicherer. Dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen, sodass Kunden, die selbstständig eine Kfz-Versicherung abschließen, dies in Zukunft fast ausschließlich über das Internet tun werden. Flatrate-Angebote werden vermehrt zur Kundengewinnung eingesetzt. Die Wirtschaftlichkeit dieses Ansatzes dürfte allerdings kaum gegeben sein. Solche Modelle funktionieren in aller Regel für einen Versicherer nicht. Zudem sind die Kunden bereit, mehr Risiko zu übernehmen. Eigentragung ist als Alternative zur klassischen Kasko-Versicherung für jeden größeren Flottenbetreiber eine prüfenswerte Option. Aktuell haben Ausschließlichkeitsvertreter und unabhängige Vermittler (Mehrfachagenten und Makler) einen Marktanteil von etwa 60 Prozent, wobei dieser vor einigen Jahren noch bei über 75 Prozent lag. Der Direktkanal und die Aggregatoren haben mittlerweile zusammen einen Marktanteil von gut 25 Prozent. In Großbritannien, wo diese Entwicklung schon weiter vorangeschritten ist, kommen Aggregatoren heute bereits auf einen Anteil von 60 Prozent im Neugeschäft. Seit rund fünfzig Jahren schon verkaufen Autobauer Kfz-Versicherungen – die erfahrensten hierbei sind Volkswagen und Toyota. In dieser Zeit haben sie gelernt, dass es klare Erfolgskriterien gibt, will man in diesem Geschäft zu hohen Abschlussquoten kommen. Prozessual und technologisch muss der Abschluss der Versicherung in den Verkauf des Fahrzeugs integriert werden. Dies bedeutet, dass der Konfigurator des Fahrzeugs, die Berechnungs-Tools für Finanzierung bzw. Leasing und der Tarifrechner für die Kfz-Versicherung im Handling zu einem Instrument verschmelzen müssen. Versicherer können auf diese Entwicklungen in unterschiedlicher Form reagieren, ein probates Mittel ist beispielsweise eine professionelle Vermarktung von Produkten über einen eigenen Internetauftritt. Ein anderer Weg ist die Zusammenarbeit mit Aggregatoren, was aber einen niedrigeren Preispunkt und zusätzliche Gebühren mit sich bringt. Innovative Apps und die Nutzung von beispielsweise Push-Nachrichten von Versicherern sind heute noch eher selten. In diesem Segment drängen derzeit verstärkt unabhängige Start-ups auf den Markt. Vertrieb am Point of Sale (Kfz-Händler) Beim Vertrieb über den Point of Sale (PoS) des Fahrzeugs wird eine Versicherung bei dessen Verkauf (insbesondere bei Finanzierung und Leasing) mitveräußert. Damit kann der Autohändler bzw. -verkäufer seine Position als erster Kontakt in Bezug auf das Fahrzeug nutzen und die entsprechenden Versicherungsprodukte gleich mitanbieten. Dies kann so weit gehen, dass die Versicherung im Fahrzeugpreis e nthalten ist (soweit rechtlich zulässig) und ein nachträglicher Versicherungsabschluss wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Autobauer intensivieren aktuell den Vertrieb von Finanz- und automobilen Dienstleistungen am Point of Sale und denken verstärkt darüber nach, bestimmte Versicherungs- und Service-Produkte enger mit dem Fahrzeug/Mobilitätskonzept zu verknüpfen. Das Marken- und Serviceerlebnis kann dadurch gefördert werden; zudem können die Margen im Servicegeschäft verteidigt werden und Händlerorganisation und Werkstätten können mehr Umsätze erwirtschaften. Auch Eine Reihe von Autobauern hat die Kosten für die Entwicklung solcher integrierter Anwendungen gescheut. Zudem haben sie sich in Teilen mit technischen Kompromisslösungen Hürden in den Verkaufsprozess eingebaut und sind folgerichtig kaum auf zweistellige Penetrationsraten gekommen. Vollintegrierte Lösungen für den Point of Sale haben gezeigt (wie beispielsweise Volkswagen und Toyota), dass Penetrationsraten von bis zu 50 Prozent und teilweise auch darüber möglich sind. Google und Apple als potenzielle Wettbewerber am Point of Sale könnten nun endgültig zu einem Umdenken führen. Mit ihrem Angriff auf die fahrzeugeigenen Daten verstärken sie den Druck auf die Autobauer, die Schnittstelle zum Kunden in jeder Situation selbst zu besetzen. Dies wird nur durch eigene Servicepakete – am besten ab Werk – möglich sein. Es ist zu erwarten, dass die Autobauer ihre Anstrengungen in dieser Hinsicht noch einmal intensivieren werden. Vertrieb über Produktbündel / Partner Beim Vertrieb über Produktbündel und Partner wird die Kfz-Versicherung in andere Produkte / Dienstleistungen integriert. Die Versicherung ist also Teil eines Leistungspakets, das der Kunde als Ganzes betrachtet und kauft. Ein separater Verkauf der Versicherung entfällt in diesem Fall; die Marke des Versicherers gerät in den Hintergrund. Entscheidend sind Art und Umfang der Lösung. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Versicherungen werden zum Beispiel vermehrt als Teil eines Mobilitätsangebots verkauft, das sich an Privat- und Gewerbekunden richtet. Full-Service-Leasing-Angebote sind speziell für Gewerbekunden konzipiert. Alle Elemente des Services werden von dem zwischengeschalteten Dienstleister professionell eingekauft und dem Kunden (in der Regel Gewerbekunden) als gebündeltes Produkt angeboten und abgerechnet. Auch in diesem Fall findet ein separater Verkauf von Versicherungsleistungen an den Endkunden nicht mehr statt. Bei den Mietmodellen für Lkw und Transporter (Beispiel CharterWay) verhält es sich nicht anders. Die Vermietgesellschaft bleibt Eigentümer der Fahrzeuge, kauft den Versicherungsschutz im Stile eines Großkunden ein und berechnet dem Endkunden ein entsprechendes Entgelt über die Gesamtnutzungsgebühr weiter. Ein separater Verkauf von Versicherungsleistungen beim Endkunden findet auch hier nicht mehr statt. 41 C Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? KPMG-PROGNOSEMODELL KFZ-VERSICHERUNG 1. EINFÜHRUNG In den vorangegangenen Kapiteln wurde beschrieben, welche Trends den deutschen Kfz-Versicherungsmarkt in den kommenden Jahren beeinflussen werden. Welche Veränderungen werden sich für die Versicherungswirtschaft ergeben? Wie schnell werden sie sich vollziehen? Und wie gestaltet sich der Wettbewerb in der Branche? Jeder Nutzer kann die im Modell hinterlegten Annahmen verändern und so spezifische Unternehmenssituationen und Besonderheiten abbilden sowie Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen vornehmen. Das Modell unterstützt somit die Diskussion strategischer Szenarien, mit denen sich jeder einzelne Marktteilnehmer individuell auseinandersetzen kann. Um diese Fragen zu beantworten, hat KPMG ein spezifisches Prognosemodell entwickelt, mit dem die künftigen Entwicklungen simuliert werden können – sowohl im Hinblick auf die Kfz-Versicherung selbst als auch in Bezug auf potenzielle Veränderungen des Umfelds. Ziel war es, das Modell möglichst flexibel auszugestalten und ein Instrument zu schaffen, mit dessen Hilfe Versicherungsunternehmen Veränderungen sowohl für ihre individuelle Situation als auch branchenbezogen prognostizieren können. Naturgemäß lassen sich Veränderungen von solcher Dynamik nur in groben Strukturen darstellen. Eine Feinmodellierung aller relevanten Parameter des Kfz-Versicherungsgeschäfts bzw. in Zukunft vermehrt weiterer Deckungskonzepte und Produkthaftungsfragestellungen kann und soll das Modell nicht leisten. Ebenso wenig sollen heute bereits bestehende Tarifierungsinstrumente und -Systeme ersetzt werden. Ziel ist vielmehr, die bestehenden Instrumente zu ergänzen und langfristige Prognosen unter Berücksichtigung der relevanten Trends zu ermöglichen. 43 44 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? 2. MODELLIERUNG – ZUGRUNDE LIEGENDE ANNAHMEN UND PROGNOSEN Die Wirkungszusammenhänge im Kfz-Markt sind vielfältig und werden durch die beschriebenen Trends zunehmend komplexer. Für die Modellierung der Szenarien erfolgte eine Fokussierung auf diejenigen Faktoren, die den tatsächlichen Verlauf des Kfz-Versicherungsmarkts maßgeblich beeinflussen. Wichtig dabei ist, die Rechenlogik weitgehend modellbasiert abzubilden und im weiteren Verlauf individuelle Anpassungen der jeweiligen Entscheider im Unternehmen zuzulassen. Das Modell berücksichtigt auch die jährlich neu getroffenen Entscheidungen der Versicherer, wie zur Beitragsanpassungsklausel, Änderungen aus der Verbandsarbeit (Regionalklassen, SFR, etc.). Bei aller Flexibilität haben wir aber doch den Versuch unternommen, mit unserem Modell die wesent lichen Mechanismen des Marktes so weit abzubilden, dass sich der Aufwand für die Nutzung des Modells in vertretbaren Grenzen hält. Grundsätzlich wurde für diese Studie vorerst von der Hypothese ausgegangen, dass der Rahmen der Gesetzgebung konstant bleibt – also keine Veränderungen bei der Gefährdungshaftungsregelung erfolgen werden (beispielsweise übernehmen Hersteller heute keinen Teil der Gefährungshaftung). In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Grundzüge, Funktionsweisen und Annahmen des Modells erläutert. Grundzüge und Funktionsweisen Ausgangsbasis des Modells ist stets die Risikoseite – also dem Kfz-Bestand in Deutschland. Dieser Bestand ist nach Marktzahlen in Individual- und Flottenfahrzeuge unterteilt und wird nach aktuellen Studien und Prognosen bis 2030 hochgerechnet. Des Weiteren wird der Bestand an Versicherungen als Ausgangswert angenommen, unterteilt in die Sparten Kfz-Haftpflicht, Vollkasko und Teilkasko. Das Modell prognostiziert Bestandsveränderungen in Form von Neuzugängen und Besitzumschreibungen über alle Vertriebswege hinweg sowie Versichererwechsel und Stilllegungen als Abgänge. Entsprechend hinterlegte Prämien für Neugeschäft und Bestandsunterschiede nach Vertriebsweg münden dann in eine Gesamt prämie, unterteilt in die Sparten Haftpflicht, Vollkasko und Teilkasko. Ausgangspunkt der Berechnungen ist die Kfz-Marktprämie 2014 von 24,3 Milliarden Euro. Zur Ermittlung des gesamten Risikos im Kfz-Versicherungsmarkt sind neben der Prämie weitere Faktoren relevant. In Ergänzung zu den Prämienzahlungen wurden daher die heutigen Kasko-Selbstbehalte sowie derzeit bereits existierende Eigentragungsmodelle im Volumen approximiert. Für die Kasko-Selbstbehalte geht das Modell von einem durchschnittlichen Selbstbehalt von 400 Euro je Vollkasko-Vertrag aus, was einem Volumen von ca. 2,5 Milliarden Euro entspricht. Eigentragungsmodelle werden im Modell in einer Größenordnung von derzeit circa 2,6 Milliarden Euro berücksichtigt. Annahmenbasiert wird modelliert, in welcher Höhe Kfz-Prämienvolumen in andere Sparten verlagert werden (wie zum Beispiel in die Produkthaftungsversicherung). Zur Berechnung der Profitabilität werden Vertriebsund Verwaltungskosten sowie Schadenaufwände betrachtet. Auf der Kostenseite wird im Modell von Werten ausgegangen, die über die Zeit moderat inflationiert werden. Auf der Schadenseite wird mit der Schadenanzahl gerechnet, abgeleitet aus dem Fahrzeugbestand, sowie einer durchschnittlichen Schadenhöhe, ebenfalls moderat inflationiert. Ab 2017 rechnet das Modell mit einem sehr moderaten Reduktionsfaktor, der der Claims Inflation aufgrund neuer Reparaturmethoden (beispielsweise 3D-Druck) entgegenwirkt und die Schadenhöhen reduziert. Dabei sind auch hier alle entscheidenden Parameter frei konfigurierbar. Aus gebuchten Bruttoprämien, Vertriebsund Verwaltungskosten sowie Schadenaufwand errechnet das Modell ein versicherungstechnisches Ergebnis, ausgedrückt in Euro und als Combined Ratio. Für die eingangs erwähnten Faktoren, die die Entwicklung des Marktes beeinflussen, sich aber nur indirekt modellieren lassen, wurden folgende Annahmen getroffen: • Die Neugeschäftsprämie liegt stets unterhalb der Bestandsprämie, dies lässt sich jedoch frei je Ver- Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? triebskanal einstellen. Für das Neugeschäft wurde von einer durchschnittlichen Prämie von 88 Prozent der durchschnittlichen Bestandsprämie ausgegangen. Auch die Dauer der schrittweisen Anhebung auf Bestandsniveau ist wählbar. Die generellen Prämienanpassungen, die durch BAK und Änderungen der SFR getrieben sind, lassen sich ebenfalls für jedes Jahr konfigurieren. • Im Modell wurde von einem „automatischen“ Korrekturfaktor ausgegangen: Dieser Mechanismus kommt dann zum Tragen, wenn die Combined Ratio eines Jahres einen vordefinierten (und einstellbaren) Korridor verlässt. Dann wird über einen Faktor die Prämie des nächsten und übernächsten Jahres prozentual angepasst, was so modelliert ist, dass in zwei Jahren bei unveränderten Parametern eine Zielgröße der Combined Ratio erreicht würde. Dieser Mechanismus wirkt jedes Jahr aufs Neue. Der Korridor der Combined Ratio wurde aufgrund der aktuellen Situation am Kapitalmarkt mit Zinsen um die null Prozent geringfügig angepasst, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Markt frühzeitiger steuernd eingreifen wird. Daher wurden die Schwellenwerte für die Combined Ratio mit 98 Prozent bis 103 Prozent neu hinterlegt und die Zielgröße der Combined Ratio auf 100,5 Prozent reduziert. Weitere Annahmen Für die weiteren Annahmen, die den Verlauf des gesamten Kfz-Versicherungsmarktes (inklusive der Volumina für Selbstbehalte, der Eigentragung und Produkthaftung) beeinflussen, ist ein Dashboard im Modell hinterlegt, in dem diese Parameter angepasst werden können. Für den möglichen Verlauf des Marktes werden drei Szenarien betrachtet, in denen jeweils unterschiedliche Werte für die relevanten Parameter hinterlegt sind. Über diese Parameter werden unterschiedlich starke Ausprägungen der eingangs beschriebenen Trends abgebildet. Diejenigen Trends, die nach Einschätzung der im Rahmen der Studie Befragten weitgehend stabil geblieben sind (Aggregatoren und Mobilität), wurden den aktuellen Bedingungen angepasst. Für den Bereich der Technologie sowie deren Auswirkung auf Automotive haben wir je Szenario zusätzliche Para meter berücksichtigt, da sich hier weitreichendere Veränderungen abzeichnen. Dies trägt dazu bei, unterschiedliche Entwicklungsintensitäten, die sich in 15 Jahren (2015 – 2030) ergeben, abbilden zu können. Insgesamt wurden in der Modellierung über 95 individuell konfigurierbare Parameter berücksichtigt. Die gewählten Parameter, je Szenario mit unterschiedlichen Annahmen belegt, wurden für die Kategorisierung grob in die Bereiche Technologischer Fortschritt, Produkt- / Vertriebsmodelle und Transport / Logistik unterteilt. Auf die entscheidenden Bereiche wird nachfolgend kurz eingegangen. • Im Kapitel „Technologischer Fortschritt“ wurden zahlreiche Veränderungen beschrieben. Für das Modell sind insbesondere die Durchdringungsgeschwindigkeit des Fahrzeugbestands mit bestimmten Technologien (Fahrerassistenzsysteme, hoch automatisiertes Fahren, Autonomes Fahren) sowie die Einschätzung, welcher Teil der Schäden durch die genannten Technologien tatsächlich vermieden werden kann, von Bedeutung. • Wesentliche Parameter im Bereich der Produkt- / Vertriebsmodelle sind die Verteilung des Neugeschäfts auf die Vertriebswege (zum Beispiel Anteile von Automotive, Aggregatoren, Direktvertrieb und übrige traditionelle Vertriebsformen) sowie die Entwicklung von Eigentragungsmodellen, also die bewusste Selbsttragung eines Teils der Risiken durch die Vereinbarung von Selbstbehalten oder durch den Verzicht auf Versicherung. Im Neugeschäft folgt das Modell der Annahme, dass der Automobilhandel bzw. assoziierte Unternehmen jeweils als erste Zugang zum Kunden haben und weitere Kanäle (wie traditionelle Versicherungsvertriebswege) sich mit Aggregatoren den verbleibenden Markt teilen. Zuletzt werden unter dem Begriff Transport / Logistik alle Entwicklungen bezüglich der Aufteilung von Flotten und Privatfahrzeugen sowohl für Neu- als auch für Bestandszulassungen zusammengefasst. Zudem werden dabei alternative Mobilitätskonzepte und Veränderungen in den Transport- Logistikströmen von Waren / Gütern, die den Kfz-Markt beeinflussen, berücksichtigt. Im Folgenden werden zunächst die einzelnen Szenarien im Überblick vorgestellt. Eine vertiefende Betrachtung erfolgt in den jeweiligen Unterabschnitten. 45 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? SZENARIEN Die in dieser Studie beschriebenen Entwicklungen dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit in dieser oder ähnlicher Form eintreten. Entscheidend für die Zukunft des Kfz-Versicherungsmarktes ist zum einen, wie Versicherer und andere Marktteilnehmer reagieren werden. Zum anderen ist wesentlich, wie schnell sich die Entwicklungen vollziehen werden und wie frühzeitig und effizient die Umstellung der bestehenden Geschäftsmodelle vollzogen wird. Die auch schon in der Vergangenheit untersuchten Trends Aggregatoren, Mobilität, Automotive und Technologie wurden bereits zuvor als treibende Trends beschrieben. Sie sind als Grundausprägung weiterhin im Modell enthalten. Zugleich legt diese Studie aber auch einen besonderen Fokus auf den Fortschritt der Technik – ihm kommt eine auch die übrigen Trends prägende Kraft zu. In den drei Szenarien wird nach Stärke und Geschwindigkeit der Entwicklungen unterschieden. Somit ergibt sich Szenario 1 „Der technische Fortschritt verliert an Dynamik“ als dasjenige Szenario, in dem sich die Veränderungen am langsamsten vollziehen. In Szenario 2 „Rahmenbedingungen verändern sich analog heutiger Dynamik“ sind die Entwicklungen im Markt bereits stärker zu spüren und führen in wenigen Jahren zu einem signifikanten Rückgang der Kfz-Versicherungsprämie. In Szenario 3 „Das digitale Zeitalter als Game Changer für Versicherungen“ erfolgt die Entwicklung zügig und die Kfz-Prämie in ihrer heutigen Form wird sich spürbar reduzieren. Andere Sparten wie Produkthaftung und Rückrufdeckungen hingegen werden einen deutlichen Zuwachs verzeichnen und stellen eine Kompensationsoption für Versicherer dar. Die Veränderungen bei der Produkthaftung und bei Rückrufdeckungen sind im Modell indikativ prognostiziert und erfordern weitergehende Analysen. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Entwicklung der Kfz-Versicherungsprämie (in Milliarden Euro) für die drei Szenarien, im Zeitraum der Modellierung 2015 – 2030. 20,6 Szenario 1 15,6 13,3 22,5 19,9 17,7 23,6 21,8 20,9 Abb. 19: Entwicklung der Kfz-Versicherungsprämie in den einzelnen Szenarien 24,3 24,3 24,3 46 Szenario 2 Szenario 3 Angaben in Milliarden Euro 2015 2020 2025 2030 Quelle: KPMG, Deutschland 2015 SZENARIO 1: „DER TECHNISCHE FORTSCHRITT VERLIERT AN DYNAMIK“ Das erste betrachtete Szenario geht davon aus, dass die Entwicklung des technischen Fortschritts und auch der anderen Trends relativ langsam voranschreitet und daraus keine neue Struktur des Marktes erwächst. Nichtsdestotrotz schrumpft der Markt für Kfz-Versicherungen insbesondere in den letzten fünf Jahren des betrachteten Zeitraums. Annahmen In diesem Szenario wurde von folgenden Annahmen für die Parameter im Modell ausgegangen. Die technologische Durchdringung des Fahrzeugbestands zum Beispiel mit Fahrerassistenzsystemen verläuft analog den Vergangenheitswerten und erreicht erst Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? nach 22 Jahren eine komplette Durchdringung des Bestands (je technologischer Neuerung). Hier wurde angenommen, dass Fahrerassistenzsysteme bei entsprechender Durchdringung bis zu 55 Prozent der möglichen Schäden verhindern, hochautomatisiertes Fahren circa 65 Prozent und Autonomes Fahren bis zu 100 Prozent. Dabei können durch die heutigen sechs wichtigsten Assistenzsysteme, sofern sie im gesamten Bestand Durchdringung erreichen, schon etwa 65 Prozent Schadenvermeidung erzielt werden. Das bedeutet, dass jeg liche technische Neuerung von Assistenzsystemen bzw. Steigerung im Vergleich zum Status quo zu einer weiteren Reduktion der Schäden führt. Die drei Abstufungen starten bei der Durchdringung des Bestands im Abstand von fünf Jahren. Der Vertrieb von Kfz-Versicherungen über den Auto handel (Point of Sale) kommt in Szenario 1 im Jahr 2030 auf etwa 20 Prozent. Die Eigentragung, das heißt die Übernahme der Risiken, speziell bei Flotten, schöpft im Automotive-Kanal etwa 30 Prozent ab. Der Vertrieb von Kfz-Versicherungen via Internet (Direkt) und Aggregatoren steigt sehr moderat auf einen Anteil von etwa 30 Prozent im Jahr 2030 an, wovon Aggregatoren etwas weniger als die Hälfte dieses Vertriebsweges darstellen. In diesem Szenario nimmt der Anteil der Flottenfahrzeuge im Bestand sukzessive von aktuell etwa 15 Prozent auf 20 Prozent im Jahr 2030 zu. Alternative Mobilitätskonzepte (etwa Carsharing-Modelle) verdrängen 2030 bis zu 1,1 Millionen privat gehaltene Fahrzeuge aus dem Bestand. Für den Bereich der Waren- / Transportströme wird im Modell bis 2020 ein Anstieg der gesamten Transportkapazitäten angenommen, der anschließend negativ unterproportional zurückgeht und zu einer Reduktion des Kfz-Bestands führt (das heißt der Rückgang der Kapazitäten erfolgt langsamer als der durchschnittliche Anstieg in den Jahren 2015 – 2025). Ergebnisse In diesem Szenario ergibt sich ein langsam rückläufiges Bild für die Kfz-Versicherungsprämie. Im Jahr 2015 gestartet bei 24,3 Milliarden Euro (GDV-Wert für 2014) sind 2030 noch 20,6 Milliarden Euro Prämienvolumen vorhanden. Dies teilt sich auf in 12,7 Milliarden Euro Haftpflicht und 7,8 Milliarden Euro Kasko. Im Bereich der Eigentragung sinkt das Volumen von Selbstbehalten in Kasko: Im Jahr 2015 liegt dies bei 2,5 Milliarden Euro, 2030 noch bei 2,1 Milliarden Euro. Die Eigentragung durch professionelles Flottenmanagement im Dienstleister- und Automotive-Bereich wächst hingegen und erreicht 2030 ein Volumen von 3,4 Milliarden Euro, bei einem Startwert von 2,6 Milliarden Euro 2015. Die Prämie in der Produkthaftung steigt bis 2030 um rund 450 Millionen Euro. Im Ergebnis ergibt sich in diesem Szenario eine durchschnittliche Combined Ratio von 102,3 Prozent im Zeitraum 2015 bis 2030 (unter der Annahme, dass das bestehende Geschäftsmodell eine inkrementelle Verbesserung durchläuft und kein disruptiver Wechsel der Geschäftsmodelle durch Digitalisierung erfolgt). Zusammenfassend kann festgehalten werden: Der Markt, wie er sich heute darstellt, wird sich in diesem Szenario in den Grundzügen nur geringfügig verändern, sich prämienseitig aber dennoch verkleinern. Abb. 20: Prämienentwicklung Szenario 1 Prämie Kfz-Versicherung 23,6 24,3 22,5 Kasko Selbstbehalte 20,6 Eigentragung Prämie Produkthaftung Angaben in Milliarden Euro 2,5 2,6 2015 0,0 2,4 2,8 2020 Quelle: KPMG, Deutschland 2015 0,1 2,3 3,1 2025 0,2 2,1 3,4 2030 0,4 47 48 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? SZENARIO 2: „RAHMENBEDINGUNGEN VERÄNDERN SICH ANALOG HEUTIGER DYNAMIK“ Im zweiten Szenario wirkt der Fortschritt der Technik als stärkster Veränderungstreiber schon deutlich schneller und spürbarer, was Auswirkungen auf alle weiteren Entwicklungen und die Ergebnisse in der Kfz-Versicherung sowie assoziierten Sparten mit sich bringt. Assoziierte Sparten sind im Rahmen dieser Studie alle weiteren Sparten, die durch eine Veränderung bzw. Reduktion des vorherrschenden Kfz-Versicherungsmodells einen Zuwachs an Prämie erhalten. Hierunter fallen zum Beispiel die folgenden Deckungen: Produkthaftung, Rückrufdeckung, Cyber-Risiken. Insgesamt verliert der Markt im Szenario bis 2030 ein Kfz-Prämienvolumen von circa 7,4 Milliarden Euro. In der Kfz-Versicherung werden aufgrund der Veränderungsdynamik und Innovationskraft der Sparte viele Neuerungen insbesondere und gerade in allen kundenrelevanten, differenzierenden Interaktionen kommen. Wir sehen dies als neue Best Practices, die dann in weiteren Sparten übernommen werden können. Zukünftige Veränderungen der Kfz-Produktlandschaft bzw. neue Haftungsfragestellungen durch die steigende Verbreitung von Assistenzsystemen können bei Schäden mit Fahrzeugen zu einem stärkeren Ineinandergreifen der Bearbeitung von Kfz und Haftpflicht führen. Dr. Ulrich Staab, Leiter Schaden, R+V Versicherung AG Annahmen Die Durchdringung des Fahrzeugbestands mit Fahrer assistenzsystemen verläuft schneller als in der Vergangenheit beobachtet und ist nach 17 Jahren nahezu komplett erfolgt (je technologischer Neuerung). Hier wurde für das Modell zugrunde gelegt, dass bei entsprechender Durchdringung bis zu 70 Prozent der möglichen Schäden verhindert werden könnten, bei hochautomatisiertem Fahren wären es rund 80 Prozent und bei autonomem Fahren bis zu 100 Prozent. Die drei Abstufungen starten bei der Durchdringung des Bestands im Abstand von fünf Jahren. Der Vertrieb von Kfz-Versicherungen am Point of Sale (PoS) der Autobauer erreicht in Szenario 2 im Jahr 2030 nahezu 40 Prozent, wovon die Hälfte auf das Modell für Eigentragung, das heißt die Übernahme der Risiken in die eigene Bilanz, entfallen. Der Vertrieb von Kfz-Versicherungen über das Internet (Direkt) und Aggregatoren steigt auf einen Anteil von etwa 45 Prozent 2030 (vom verbleibenden Markt nach Abschöpfung durch Autohersteller und deren Captive-Organisationen) an, wobei die Aggregatoren knapp zwei Drittel dieses Vertriebswegs darstellen. In diesem Szenario steigt der Anteil der Flottenfahrzeuge im Bestand kontinuierlich weiter auf 40 Prozent im Jahr 2030 an. Alternative Mobilitätskonzepte (etwa Carsharing-Modelle) verdrängen 2030 bereits bis zu 2,9 Millionen privat gehaltene Fahrzeuge aus dem Bestand. Für den Bereich der Waren- / Transportströme wird im Modell bis 2020 zunächst ein Anstieg der gesamten Transportkapazitäten angenommen, der später dann aber in eine Reduktion des Kfz-Bestands mündet (der Rückgang der Kapazitäten nach 2025 erfolgt langsamer als der durchschnittliche Anstieg in den Jahren 2015 – 2025). Ergebnisse In diesem Szenario ergibt sich ein deutlicher Rückgang der Kfz-Versicherungsprämie. Im Jahr 2030 liegt das Prämienvolumen bei nur noch 15,9 Milliarden Euro. Dies teilt sich auf in 10,4 Milliarden Euro Haftpflicht und 5,5 Milliarden Euro Kasko. Die bewusste Eigentragung von Risiken durch Verzicht auf Versicherung kommt 2030 auf ein Volumen von etwa 4,6 Milliarden Euro, die Selbstbehalte in Kasko liegen nur noch bei 1,5 Milliarden Euro. Hier macht sich zusätzlich bemerkbar, dass aufgrund der technologischen Entwicklung viele „kleine“ Schäden wegfallen, was das Volumen der Selbstbehalte senkt. Der Bereich der Produkthaftung wächst in Szenario 2 um rund eine Milliarde Euro Prämie im Jahr 2030 an. Damit ergibt sich in diesem Szenario eine durchschnittliche Combined Ratio von 102,1 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2030. Das im Vergleich zu Szenario 2 leicht bessere Ergebnis ist darauf zurückzu führen, dass trotz sinkender Prämien auch der Scha- denaufwand, getrieben durch die technologische Entwicklung (besonders dank der gestiegenen Durchdringung im Bestand), stark abnimmt. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Abb. 21: Prämienentwicklung Szenario 2 Prämie Kfz-Versicherung Kasko Selbstbehalte 24,3 2,5 2,6 2015 21,8 0,0 2,3 3,0 2020 19,9 0,3 2,0 3,7 2025 Eigentragung 15,6 0,5 1,5 4,6 Prämie Produkthaftung Angaben in Milliarden Euro 1,0 2030 Quelle: KPMG, Deutschland 2015 SZENARIO 3: „DAS DIGITALE ZEITALTER ALS GAME CHANGER FÜR VERSICHERUNGEN“ Für Szenario 3 wurde eine sehr rasche Entwicklung im Bereich der Technologie, darauf aufbauend auch im Bereich der Mobilitäts- und Vertriebskonzepte angenommen. Insbesondere die Durchdringung des Fahrzeugbestands mit Systemen, die das Autofahren per se verändern und einen sehr großen Teil aller heutigen Unfälle neutralisieren, sorgt dafür, dass der Kfz-Versicherungsmarkt sich grundlegend verändert. Realität könnte eine derart schnelle Durchdringung des Bestands beispielsweise dann werden, wenn der Gesetzgeber eine Nachrüstung von bestimmten Technologien vorschreibt bzw. die Politik diese mit wirtschaftlichen Anreizen fördert. In dieser Simulation verliert der Markt im Szenario 3 bis 2030 ein Prämienvolumen von rund zehn Milliarden Euro. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren ein Verbot individuellen Fahrens erleben werden. Je schneller sich die Technik des Autonomen Fahrens als zuver lässig erweist, desto eher sehe ich eine solche Entwicklung auf uns zukommen. Die spannende Frage wird sein, was dies für die Kfz-Versicherung bedeutet. Norbert Wulff / CEO DA Direct (Zurich Gruppe) Annahmen Die technologische Durchdringung des Fahrzeugbestands zum Beispiel mit Fahrerassistenzsystemen ist analog der Durchdringung mit ESP innerhalb von 15 Jahren nahezu komplett erfolgt (bezogen auf jede technologische Neuerung). Für dieses Szenario wurde angenommen, dass Fahrerassistenzsysteme bei entsprechender Durchdringung bis zu 75 Prozent der möglichen Schäden verhindern würden, hochautomatisiertes Fahren rund 90 Prozent und Autonomes Fahren bis zu 100 Prozent. Die drei Abstufungen starten bei der Durchdringung des Bestands im Abstand von fünf Jahren. Der Vertrieb von Kfz-Versicherungen am Point of Sale der Autobauer und -händler erreicht in Szenario 3 im Jahr 2030 etwa 54 Prozent, wovon rund 65 Prozent im Modell für Eigentragung, also die Übernahme der Risiken in die eigene Bilanz, entfallen. In dem verbleibenden Markt von 46 Prozent des Volumens wird der Vertrieb von Kfz-Versicherungen über das Internet (Direkt) und Aggregatoren einen Anteil von etwa 75 Prozent im Jahr 2030 ausmachen, wobei Aggregatoren rund 80 Prozent dieses Vertriebswegs darstellen. Insbesondere im verbleibenden Markt (nach Abschöpfung durch Autohersteller) könnte ein weiterer Ausbau des Direktkanals erfolgen (eventuell unterstützt durch InsTech-Unternehmen). Der Anteil der Aggregatoren ist in diesem Szenario im Jahr 2030 leicht rückläufig zugunsten neuer Direkt-Marktteilnehmer. In diesem Szenario steigt der Anteil der Flottenfahrzeuge im Bestand kontinuierlich weiter auf 60 Prozent bis 2030 an. Alternative Mobilitätskonzepte (beispielsweise Carsharing-Modelle) verdrängen 2030 bis zu 4,5 Millionen privat gehaltene Fahrzeuge aus 49 50 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? dem Bestand. Für den Bereich der Waren- / Transportströme wird im Modell bis 2025 ein Anstieg der gesamten Transportkapazi täten angenommen, der anschließend negativ proportional zu einer Reduktion des Kfz-Bestands führt (das heißt der Rückgang der Kapazitäten erfolgt negativ proportional im gleichen Maße wie der Anstieg in den Jahren bis 2025). Die professionelle Eigentragung kommt 2030 auf ein Volumen von etwa 5,8 Milliarden Euro, die Selbstbehalte in Kasko liegen nur noch bei circa einer Milliarde Euro. Auch insgesamt hat der Markt (Prämien plus selbst getragene Risiken) große Teile seines Volumens verloren, was zum Großteil der technologischen Entwicklung geschuldet ist. Ergebnisse Im Ergebnis ergibt sich in Szenario 3 eine durchschnittliche Combined Ratio von 101,9 Prozent über den Zeitraum von 2015 bis 2030. Die Szenarien unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht sehr stark, da schrumpfende Beitragseinnahmen auch stets mit sinkendem Schadenaufwand einhergehen. Dennoch zeigt dieses Szenario, wie sehr sich die Kfz-Versicherung in nur 15 Jahren verändern kann. In diesem Szenario ergibt sich für die Kfz-Versicherung folgendes Bild: 2030 liegt das Prämienvolumen bei rund 13,3 Milliarden Euro. Dies teilt sich auf in 9,3 Milliarden Euro Haftpflicht und vier Milliarden Euro Kasko. Der Bereich der Produkthaftung, der in dieser Simulation ein zusätzliches Prämienvolumen von 1,3 Milliarden Euro erreicht, kann dieses Abschmelzen der Prämie nicht annähernd auffangen. Abb. 22: Prämienentwicklung Szenario 3 Prämie Kfz-Versicherung Kasko Selbstbehalte 24,3 2,5 2,6 2015 20,9 0,0 2,2 3,2 2020 Quelle: KPMG, Deutschland 2015 17,7 0,4 1,7 4,3 2025 Eigentragung 13,3 Prämie Produkthaftung 1,1 5,8 0,8 2030 Angaben in Milliarden Euro 1,3 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? 51 D Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? AUSWIRKUNGEN AUF DIE ASSEKURANZ Für das Volumen der Kfz-Versicherungsprämie zeichnen sich durch die beschriebenen Entwicklungen signifikante Änderungen ab. Folgende Tendenzen lassen sich festhalten: • Die Konsolidierung bei Werkstattbetrieben wird sich weiter beschleunigen und es wird größere Gruppen von Werkstattbetrieben und größere Werkstattnetze geben. • Die Entwicklung des Prämienvolumens wird maßgeblich vom technologischen Fortschritt und dem geänderten Nutzungsverhalten (Privat / Gewerbe) bestimmt. • Es wird eine Verlagerung von Risiken aus der Kfz- in die Produkthaftungsversicherung erfolgen. Die neue Prämie in der Produkthaftungsversicherung wird aber weit hinter dem Rückgang des Prämienvolumens in der Kfz-Versicherung zurückbleiben. • Bei hoher Marktdurchdringung der sechs wich tigsten Fahrerassistenzsysteme im Gesamt-Fahrzeugbestand in Deutschland könnten heute bereits 75 Prozent der Schäden in der Kfz-Haftpflicht und 67 Prozent der Schäden in Kasko verhindert werden, womit ein erheblicher Teil der Kfz-Prämie obsolet wird. • „Kauf von Mobilität“ statt Eigentum am Fahrzeug führt zu einer Reduktion von individuell gehaltenen Fahrzeugen und zu mehr Flottenfahrzeugen, wo- raus eine höhere Eigentragung resultieren wird. Die Welt an der Schnittstelle zwischen Herstellern, Mobilitätsdienstleistern, Kunden und Versicherern verändert sich gegenwärtig mit einer bemerkenswerten Dynamik. Es entsteht die Notwendigkeit, sehr zeitnah die hierzu passenden Kfz-Versicherungslösungen zu schaffen. Wir haben die Erwartung an unsere Versicherungspartner, dass sie die notwendigen Anpassungen in ihrem Dienstleistungsangebot kurzfristig durchführen. • Rückrufdeckungen werden an Bedeutung gewinnen. • Auch Cyber-Deckungen dürften im Umfeld der Fahrzeuge in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, wie auch ganz allgemein in unserem täglichen Leben. • Autonomes Fahren hat das Potenzial, den Schadenbedarf infolge von Fahrzeugkollisionen stark zu verringern. Infolge dessen dürfte sich die Prämie in der Kfz-Haftpflicht und Kaskoversicherung drastisch reduzieren. Die einzelnen Versicherer in Deutschland unterscheiden sich stark im Hinblik auf ihre Geschäfts- und Servicemodelle und müssen insofern unterschiedlich betrachtet werden. Um es Versicherern zu ermöglichen, die für ihre spezifische Situation relevanten Aspekte herauszugreifen, wurde in dieser Studie bewusst ein breiter Ansatz gewählt. Unabhängig davon, an welches der drei in Abschnitt C untersuchten Szenarien jeder Entscheider glauben möchte, dürften die folgenden Punkte als Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kfz-Versicherung in Deutschland bis zum Jahr 2030 angesehen werden. Michael Bodlee / Insurance Director, GM Financial • Durch den Wegfall eines Teils des Bedarfs an Transportkapazität für fertige Wirtschaftsgüter (unter anderem durch 3D-Druck) wird sich der Bestand an schweren Lkw heutigen Zuschnitts reduzieren. • Der PKW-Bestand wird, basierend auf unserem Prognosemodell, bis 2030 leicht rückläufig sein, trotz steigender Anzahl an Flotten und Mobilitätskonzepten (aktuell circa 43 Millionen Fahrzeuge). Heute bereits im Markt etablierte Fahrerassistenzsysteme werden den Schadenbedarf in Haftpflicht und in Kasko nachhaltig senken (bis zu 90 Prozent weniger Unfälle und damit Schäden bedeuten im 53 54 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? deutschen Kfz-Markt ein Potenzial von -4,3 Milliarden Euro Schadenzahlungen für Kollisionsschäden – im Vergleich zur Basis 2014). • Der heutige 15-prozentige Anteil der Flottenfahrzeuge (hierzu zählen in dieser Fokusanalyse alle als Flotte geführten Fahrzeuge, da es unterschiedliche Definitionen bei Versicherern gibt, ab wann ein Fuhrpark eine Flotte darstellt) am Gesamtfahrzeugbestand wird steigen, im Extremszenario auf 50 Prozent im Jahr 2030. (Die Neuzulassungsstatistik zeigt heute bereits 60 – 70 Prozent Flotten- / Gewerbezulassungen.) Es wird somit deutlich mehr Flottenfahrzeuge geben, was eine signifikant andere Art der Nachfrage nach Versicherung zur Folge haben wird. • Selbst bei äußerst optimistischen Annahmen sollte das Volumen der Kfz-Prämie, ausgehend von den heutigen circa 24 Milliarden Euro, den Wert von 20,5 Milliarden Euro bis 2030 nicht übersteigen. Dem steht im ungünstigsten Fall eine Erosion auf nur noch 13,3 Milliarden Euro Kfz-Prämie gegenüber, wobei andere Sparten wie Cyber-Risiken, Produkthaftung, Rückrufdeckungen zukünftig einen Teil des Prämienrückgangs in der Kfz-Versicherung kompensieren könnten. • In Ergänzung zu den etablierten Marktteilnehmern – Versicherer, Aggregatoren, Autobauer und Mobilitätsanbieter – steigen IT-Unternehmen in die Welt der Kfz-Versicherung ein. Die Frage ist, wie schnell und nachhaltig sie den Markt verändern werden. Ein Blick in die Bankenbranche mit aufstrebenden FinTechs vermittelt bereits einen ersten Eindruck vom Grad der anstehenden Veränderung. • Ein rasant wachsender Markt für 3D-Druck bzw. additive Fertigungsmethoden (Polymere, Metalle) wird in den nächsten Jahren (je nach Hochrechnung) zwischen global etwa acht und 20 Milliarden US-Dollar) erreichen2 und damit die Produktions- / Logistikprozesse verändern. Es ist absehbar, dass Werkstätten Ersatzteile selbst drucken und damit Zeit und Kosten (bis zu 50 Prozent) einsparen. • Laut einer Untersuchung eines asiatischen Flotten- / Logistikanbieters reduziert sich die erforder liche Transportkapazität für „dumme Teile, also ohne Chips / Elektronik“ um bis zu 35 Prozent bis zum Jahr 2025, indem statt der Fertigprodukte nur noch die Rohstoffe hierfür zu transportieren sind. • Alle denkbaren Szenarien haben eins gemeinsam: Technologie bzw. Digitalisierung wird die Kfz-Versicherung nachhaltig verändern. Manche Marktteilnehmer wird dies einen Teil ihres Geschäfts kosten, manche werden diese Veränderung als selbststän diges Unternehmen nicht überstehen. Es gibt aber auch Chancen für neue Produkte und Vertriebs ansätze. Die fortschreitende Digitalisierung bietet die Möglichkeit, branchenübliche Prozesse zu hinterfragen und durch innovative, onlinebasierte Konzepte ein neues Kunden erlebnis zu vermitteln. Tesla hat den Abschlussprozess für seine Produkte im Bereich Financial Services vollständig digitalisiert und nahtlos in den elektronischen Bestellprozess für das Fahrzeug integriert. Mit diesem digitalen Vertragsabschluss operiert Tesla vollständig papierlos und setzt damit einen neuen Benchmark im Vertrieb von Finanzierungsprodukten. Georg Bauer / VP Financial Services, Tesla Motors Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Erheblicher Veränderungsbedarf Auf die deutsche Versicherungsindustrie kommt bei der Kfz-Versicherung beachtlicher Veränderungsbedarf zu. Dies beginnt beim Vertrieb und bei den Produkten und wird am Ende alle Wertschöpfungselemente betreffen. Die Kernfrage für viele Unternehmen wird daher lauten, wie schnell diese Veränderungen eintreten werden und welcher zeitliche Vorlauf für erforderliche Umbaumaßnahmen (insbesondere personalwirtschaftlicher Natur und für die Veränderung von Prozessen bis hin zu Geschäftsmodellen) noch gegeben ist. Es entsteht ein neues Feld für Dienstleistungen (zum Beispiel im Hinblick auf Eigentragung und Produkthaftung), in dem Versicherer ihre Kernkompetenzen (beispielsweise technisches Underwriting und Risikobewertung) ausspielen können. Diese neuen Geschäftsfelder haben in jedem Fall ein Potenzial von mehreren Milliarden Euro und könnten bis 2030 auf bis zu 7,1 Milliarden Euro anwachsen. Die Anforderungen für die Zukunft zeichnen sich deutlich ab: Besonderes Know-how in der Risikobewertung und -selektion, Marktbearbeitungsfähigkeiten, hochgradig standardisierte Prozesse mit maximaler Dunkelverarbeitung sowie flexible IT-Systeme, die (neue) Geschäftspartner und Zulieferer schnell und effizient anbinden können, sind gefragt. In Anbetracht der sich abzeichnenden Veränderungen im Kfz-Versicherungsgeschäft sollten sich Marktteilnehmer auch die Frage s tellen, ob ein Schaden- und Unfallver sicherungsportfolio nicht auch ohne selbst getragene Kfz-Versicherung vorstellbar ist. Was spricht dagegen, Kfz-Versicherungsprodukte eines Partnerunternehmens zu vertreiben, wenn es für das eigene Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich erfolgreich ist? Neue Technologien, zum Beispiel Assistenzsysteme zum Aufprallschutz oder Autonomes Fahren, können einen signifikanten Teil unseres Kfz-Versicherungsgeschäfts obsolet machen. Auf der anderen Seite entstehen neue Risiken, die wieder versichert werden müssen, etwa das Hacken der IT-Infrastruktur von Automobilen. In Summe entstehen vielleicht mehr Märkte als verschwinden, dies dann allerdings eher in Form von Deckungen für Produkthaftung und Cyber-Risiken. Dr. David Stachon / CEO Direct Line Deutschland 55 E Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Im Rahmen dieser Studie werden vor allem zwei Aspekte deutlich. Zum einen befinden sich der Kfz-Versicherungsmarkt bzw. die weiteren assoziierten Dienstleistungen und zukünftig zu erwartenden neuen Deckungskonzepte (beispielsweise in Produkthaftung, Rückrufdeckungen und Cyber) in einem Spannungsfeld von marktdefinierenden Parametern, die weit über den Versicherungsmarkt hinausreichen. Sie verändern nicht nur diesen, sondern auch den Lebensalltag etwa im Bereich der Technologie. Auch der Kundenbedarf (privat ebenso wie gewerblich) wird sich stark wandeln und neue Dienstleistungsmodelle und Vertriebsformen nach sich ziehen. Diese Veränderungen sind weitreichender und langfristiger als viele der versicherungsspezifischen Variablen der Vergangenheit. Die in dieser Fokusanalyse skizzierten Szenarien sind durchaus vorstellbar und könnten bereits in naher Zukunft in mehr oder weniger starker Ausprägung Realität werden. Weiterhin ist zu erkennen, welche tiefen Spuren diese marktbestimmenden Parameter im Kfz-Versicherungs markt hinterlassen können. Die Auswirkungen auf den heutigen Kfz-Markt sind gravierend. Ein Schrumpfen des Prämienvolumens um 45 Prozent, ein Rückgang von Marktanteilen einzelner Vertriebskanäle um zwei Drittel, ein milliardenschwerer versicherungsähnlicher Markt jenseits der klassischen Strukturen – das alles sind Veränderungen in bislang ungekanntem Ausmaß. Entscheidend für den künftigen Erfolg wird sein, wie der einzelne Versicherer oder Anbieter von automobilen Dienstleistungen bzw. Deckungen mit diesen Herausforderungen umgeht. Zunächst sollte jeder Marktteilnehmer seine heutige Aufstellung und die Wirkung bzw. Relevanz der dargestellten Parameter analysieren. Dabei unterstützen die folgenden Leitfragen: • Besteht bereits eine Strategie für den Umgang mit neuen Vertriebspartnern und, falls nicht, wie könnte eine solche Strategie aussehen? • Passt die aktuelle Vertriebsaufstellung zu der Entwicklung, die sich für die Kfz-Versicherung abzeichnet, und ist das Unternehmen bzw. sind die Mitbestimmungsgremien auf Veränderungen eingestellt? • Bestehen im Unternehmen die erforderlichen Kenntnisse und die personelle Kapazität, ein attraktives Angebot im jeweiligen Marktsegment (Kfz, Produkthaftung, Rückruf, Garantie, Cyber etc.) zu formulieren? • Verfügt das Unternehmen über die erforderlichen Fähigkeiten, um technologische Entwicklungen zu antizipieren und im Underwriting sowie in den sonstigen Kernversicherungsfunktionen und -systemen abzubilden? • Wie gut ist das Unternehmen in Bezug auf das Flottengeschäft aufgestellt – vor allem auch im Transportgewerbe? • Wie variabel ist die Kostenstruktur? Wie reagiert die Ergebnisrechnung auf einen stärkeren Rückgang von Geschäftsvolumina und welche Optionen sind zur Kompensation von Geschäft denkbar? • Wie groß ist die Veränderungsfähigkeit in den bestehenden Strukturen? Unsere Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln bieten für die Beantwortung dieser Fragen eine Hilfestellung, sollten allerdings an die individuelle Situation im jeweiligen Unternehmen angepasst werden. Dabei sollten die Parameter bewusst in mehreren Szenarien unterschiedlich eingestellt werden, um ein Gefühl für die Wirkungszusammenhänge im eigenen Portfolio zu gewinnen. Versicherer mit einer ausgeprägten eigenen Vertriebsorganisation und / oder sehr geringem Anteil im Flottengeschäft werden in den Simulationen schnell feststellen, wie einschneidend die Wirkung einzelner Parameter auf ihr Portfolio in der Kfz-Versicherung sein wird. 57 58 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Auf dieser Basis kann ein individueller „Handlungsplan zur Transformation“ erarbeitet werden, um die Strategien und Maßnahmen zielgerichtet den Herausforderungen der Zukunft anzupassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Privat- und Firmen kundengeschäft in der Kfz-Versicherung „klassisch“ mit mobilen Vertrieben, traditionellen Produkten und den heute üblichen Prozessen in zehn Jahren noch erfolgreich sein wird, dürfte angesichts der Vielzahl an Veränderungen ausgesprochen gering sein. Es ergeben sich komplexe neue Handlungsfelder, die strukturierte Analysen erforderlich machen, um die richtigen Investitionsentscheidungen treffen zu können. Zudem sind teils disruptive Trends erkennbar, die die Warenund Logistikströme stark und nachhaltig beeinflussen werden. Auch die Auswirkungen dieser Faktoren müssen für das eigene Unternehmen bewertet werden. Angesichts der beschriebenen Veränderungen ist an zunehmen, dass in der Kfz-Versicherung zukünftig verstärkt spezialisierte Dienstleister eingesetzt werden, die den neuen Anforderungen in der Risikobewertung / -selektion, Produktentwicklung, Verwaltung und im Schadenmanagement gerecht werden. Die aufgezeigten Trends bergen also auch beachtliche Chancen für diejenigen, die bereit sind, sich mit dem ohnehin Unausweichlichen konstruktiv auseinanderzusetzen. Sie bieten Chancen für neue Anbieter und neue Produktansätze, die einen Teil der Reduktion in der Kfz-Prämie kompensieren können. Dies eröffnet auch für traditionelle Versicherer Marktchancen, sofern den erforderlichen Veränderungen in der eigenen Organisation und im Geschäftsmodell adäquat begegnet wird. Am Ende wird es nicht darum gehen, ob die dargestellten Entwicklungen so eintreten wie beschrieben oder ob man an ein bestimmtes Szenario glaubt oder nicht. Entscheidend für den Erfolg wird es vielmehr sein, schon jetzt die Weichen richtig zu stellen und sich mit den Veränderungen auseinanderzusetzen, sie zu analysieren und zu bewerten. Letztendlich steht jeder Marktteilnehmer vor der Frage, ob er mit seinem Unternehmen lediglich auf die Veränderungen reagieren möchte oder ob er den erforderlichen Wandel selbst aktiv mitgestaltet. Wir freuen uns darauf, Sie bei den anstehenden Veränderungen zu begleiten und bedanken uns noch einmal ausdrücklich für die offenen Gespräche und die vielen nützlichen Beiträge bei der Ausarbeitung dieser Studie. Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? IHRE ANSPRECHPARTNER Markus Heyen Markus Heyen ist als Partner im Bereich Financial Services auf die strategische Beratung von Kfz-Versicherern bei KPMG spezialisiert. Er verfügt über 15 Jahre Berufserfahrung in der Beratung von Versicherern, Banken sowie Automobilunternehmen, die er unter anderem bei AXA, Accenture Management Consulting sowie PwC gesammelt hat. Jörg Wälder Jörg Wälder ist Senior Executive bei KPMG. Er verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Versicherungsund Automobilbranche. Vor seinem Eintritt bei KPMG war er unter anderem als Mitglied des Vorstands Chief Underwriting Officer Zurich Deutschland und Global Head of Automotive der Zurich Gruppe sowie zuvor Global CEO Versicherungen bei Volkswagen. Hendrik C. Jahn Hendrik C. Jahn ist als Partner im Bereich Financial Services auf die strategische Beratung von Kfz-Ver sicherern bei KPMG spezialisiert. Mit über 21 Jahren Erfahrung in der Beratung von Versicherungsunternehmen liegt sein Fokus zurzeit auf den Themen Schadenmanagement und Operations. Zuvor war er Partner bei PwC und Accenture sowie Principal bei BCG. Cornelia Prantl Cornelia Prantl arbeitet als Managerin im Bereich Financial Services und ist auf die strategische Beratung von Kfz-Versicherern bei KPMG spezialisiert. Ihre Schwerpunkte sind automobile Dienstleistungen und Versicherungen. Sie verfügt über sieben Jahre Berufserfahrung in der Finanzdienstleistungs- und Versicherungsindustrie. 59 60 Gibt es eine Zukunft für die Kfz-Versicherung? Mit freundlicher Unterstützung von: AFC Auto Fleet Control GmbH, Allianz SE, AXA Versicherung AG, AZT Automotive GmbH (Allianz Zentrum für Technik), Bayerische Versicherungskammer, Robert Bosch GmbH, DA Deutsche Allgemeine Versicherung AG (Zurich Gruppe), Direct Line Versicherung AG, ERGO Versicherungsgruppe, Hiscox AG, GM Financial, LVM, Mercedes-Benz Bank AG, Münchener Rück Versicherungs-AG, Roland Rechtschutz AG, R+V Allgemeine Versicherungs-AG, Tesla, Toyota Insurance Management, VHV Allgemeine Versicherung AG, YouGov AG, Zurich Insurance Group Methodik Die Studie basiert auf ca. 100 Marktgesprächen mit Versicherern, Autoherstellern, Automobilzulieferern und Dienstleistern sowie Erkenntnissen von Fachexperten von KPMG, die 2015 durchgeführt wurden. Ergänzend wurden Sekundärliteratur, externe Datenbanken sowie Unternehmensinformationen und Pressemitteilungen hinzugezogen. Quellenverzeichnis Aero, 2015. Airbus beschleunigt A350-Produktion durch 3D-Druck (online). 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Für wesentliche Branchen unserer Wirtschaft haben wir eine geschäftsbereichsübergreifende Spezialisierung vorgenommen. Hier laufen die Erfahrungen unserer Experten weltweit zusammen und tragen zusätzlich zur Beratungsqualität bei. 63 Kontakt KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dr. Frank Ellenbürger Partner, Bereichsvorstand Insurance T +49 89 9282-1867 [email protected] Markus Heyen Partner, Financial Services T +49 40 32015-4006 [email protected] Hendrik C. Jahn Partner, Financial Services T +49 221 2073-1346 [email protected] Jörg Wälder Senior Executive, Financial Services T +49 221 2073-1349 [email protected] Cornelia Prantl Manager, Financial Services T +49 40 32015-4101 [email protected] www.kpmg.de Die Ansichten und Meinungen in Gastbeiträgen sind die des Studienteilnehmers und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten und Meinungen der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die enthaltenen Informationen sind allgemeiner Natur und nicht auf die spezielle Situation einer Einzelperson oder einer juristischen Person ausgerichtet. Obwohl wir uns bemühen, zuverlässige und aktuelle Informationen zu liefern, können wir nicht garantieren, dass diese Informationen so zutreffend sind wie zum Zeitpunkt ihres Eingangs oder dass sie auch in Zukunft so zutreffend sein werden. Niemand sollte aufgrund dieser Informationen handeln ohne geeigneten fachlichen Rat und ohne gründliche Analyse der betreffenden Situation. Unsere Leistungen erbringen wir vorbehaltlich der berufsrechtlichen Prüfung der Zulässigkeit in jedem Einzelfall. © 2015 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, ein Mitglied des KPMG - Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany. 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