weine vom ätna - Terrazze dell`Etna

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weine vom ätna - Terrazze dell`Etna
46
vinum
juni 2014
WEINE VOM ÄTNA
MANCHE
MÖGEN’S
HEISS!
47
Der Ätna ist das heisseste Terroir im südlichen Italien.
Nicht wegen der Lava, die der Berg ständig ausspuckt:
Investoren und eigenwillige Selfmade-Winzer bringen
hier Weine hervor, die im besten Falle so archaisch,
wild und undomestiziert wirken wie der Vulkan, unter
dem sie reifen.
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Heinz Hebeisen
Foto: iStock/AM Design
D
as schwarze Zeug rollt und
knirscht wie wild unter den Füssen. Ja, die Vulkan-Basaltsteine
von Randazzo sind so derb und rau, dass
meine neuen Timberlands nach einem
kurzen Spaziergang über den gewaltigen, erstarrten Lavastrom so abgewetzt
aussehen, als seien sie fünf Jahre alt. In
der Hand kratzen die porösen Dinger
mit ihrer schroffen Oberfläche wie Stachelfische. Antonio Minissale, der Rebbauverantwortliche beim Prestigeprojekt Terrazze dell’Etna, nimmt ein paar
der schwarzen Basaltdinger in die Hand
und sagt: «Diese Erstarrungssteine hat
der Vulkan im Jahr 1981 hinterlassen, genauer gesagt am 18. März 1981.» Damals
öffneten heftige Eruptionen einen neuen
Nebenkrater auf 2700 Meter Höhe, dessen Lavastrom auf seinem Weg ins Valle
Alcantara ganze Waldpartien, etliche alte
Rebgärten und auch Strassen zerstörte.
Er vollbrachte sein vernichtendes Werk
mit chirurgisch anmutender Präzision.
Wir sehen kraftstrotzende 80-jährige
Nerello-Mascalese-Stöcke in blühendem
Grün, und nur fünf Zentimeter daneben
gibt es plötzlich nichts Lebendiges mehr,
nur noch totes, schwarzes Geschiebe
von ein paar Hundert Meter Durchmesser. Und hinter dieser Steinlawine blüht,
wächst und summt es wieder, als ob nie
etwas geschehen wäre . . . Der Lavastrom
erreichte damals nur wenige Hundert
Meter östlich des Stadtzentrums von
Randazzo die Talsohle, zerstörte einige
Häuser und wurde schliesslich vom Wasser des Alcantara-Flüsschens endgültig
gestoppt. Keine Stadt liegt so nahe am
Ätna wie die Winzermetropole Randazzo, und doch wurde sie bisher stets auf
wundersame Weise von Vulkanausbrüchen verschont. Für Gläubige ist’s kein
Wunder, sondern göttliche Fügung, begünstigt durch den Umstand, dass gleich
drei gewaltige Kirchen in der Altstadt
thronen, kaum ein anderes Städtchen in
Sizilien verfügt über eine solche Gotteshausdichte . . .
Steine mit Geburtsdatum
Normalerweise verfassen Weinjournalisten gerne euphorische Lobgesänge
über Terroirs, sprich Böden, die Millionen von Jahren alt sind. Und nun halte
ich also einen vulkanischen Basaltstein
in der Hand, ein Vintage-Gestein, einen
Millésimé, einen Stein mit Geburtsdatum. Der Vulkan hat diesen Stein am
18. März 1981 geboren. Jetzt, im Alter
von 33 Jahren, wachsen auf einigen der
Brocken schon wieder zarte Flechten.
Eines noch fernen Tages werden erste
Blumen und Halbsträucher vorsichtig
Fuss fassen, etwa die gelben Greiskräuter
oder rote Spornblumen, und irgendwann
wird die Vegetation wieder explodieren,
mit Ginster, Baldrian und Birkenbäumen.
Und wer weiss: In ein paar Hundert Jahren, wenn die rauen Brocken allmählich
zu feinstem, mineralstoffreichem dunklem Staub mutieren, werden Winzer auf
diesem Boden von 1981 wieder Reben
pflanzen… Ja, dieser Berg, mit seinen vier
Haupt- und über 400 Nebenkratern, der
so lebendig ist, dass seine exakte Höhe
nicht angegeben werden kann, ist nicht
einfach ein Terroir, er ist eine gewaltige
Drei mächtige Kirchen sollen den Ätna
so milde stimmen, dass er das Weinstädtchen Randazzo von Lavaströmen
verschont. Das Konzept funktioniert.
«Terroir-Maschine», die permanent Boden nimmt und wieder gibt. Ein Phänomen, das einzigartig ist in der Weinwelt.
Weisse Überraschungen
Am Tag vor der Abreise zum Ätna fand
ich im Keller einen 2004er Pietramarina
Etna Bianco Superiore von Benanti.
Der 950 Meter über Meer nahe dem
Dorf Milo gereifte Cru, ein reinsortiger
Carricante, fasziniert jetzt, im Alter von
zehn Jahren, mit Aromen von frischen
Kräutern, einem Anflug von Waldhonig,
Salz und Jod, vor allem aber mit mineralischen Aromen. Im Gaumen ist nichts
anderes als pure, noch immer jugendliche Frische auszumachen, getragen von
einer stahligen, glasklaren Säure. Sogar
ein kompromisslos vinifizierter Chablis hätte seine liebe Mühe, mit diesem
asketischen zehnjährigen Ätna-Gewächs
mitzuhalten. Während der Recherche
am Ätna verfestigte sich der Eindruck,
dass die weissen Top-Crus qualitativ
durchaus auf Augenhöhe mit den vermeintlich prestigeträchtigeren roten Spitzenweinen liegen.
Wer vom Ätna spricht, spricht normalerweise zuerst von der roten Wundersorte Nerello Mascalese, die zweifelsfrei
grossartige Weine hervorbringt. Doch
während rote Vorzeigeweine wie der
Calderara Sottana von Terre Nere oder
der Feudo von Girolamo Russo heute
zuweilen doch so viel Power und Fruchtfülle zeigen, dass der vielfach benutzte
Vergleich mit dem Burgund als nicht
mehr treffend erscheint, muten die weissen Top-Crus noch immer durch und
durch burgundisch an. Ja, es scheint, dass
sich die alteingesessene weisse Sorte
Carricante erfolgreicher der Domestizierung zu widersetzen vermag als der rote
Nerello Mascalese. Paradebeispiele dafür
sind die im kühlen Terroir von Randazzo
gereiften Etna Bianco von Cottanera und
Graci. Beide betören mit Finesse und geradliniger Frische. Derweil kündigt sich
hier, im vermeintlich kühlsten Terroir
am Ätna, bereits die nächste Revolution an. Eine ganze Reihe von Kellereien
experimentiert mit flaschenvergorenen
Schaumweinen. Die Resultate sind überaus vielversprechend.
Vom Dornröschenschlaf zum Hype
Für eine Reise zum Ätna gibt es nur
eine logische Lektüre. Den Roman «Unter
dem Vulkan» vom englischen Schriftsteller Malcolm Lowry. Der spielt zwar nicht
am Ätna, sondern unter dem mexikanischen Popocatepetl, und die Hauptfigur,
ein desillusionierter britischer Exkonsul,
trinkt keinen Wein, sondern beträchtliche Mengen von härteren Mitteln, doch
eine Gemeinsamkeit zur Szenerie am
Ätna besteht: Das Temperament beziehungsweise die Sprengkraft des Berges
scheint einen besonderen Schlag von
Menschen anzuziehen. Sie stehen auch
in jedem Ätna-Artikel, die Geschichten
von Esoterikern, die im Frühling oben
auf dem Ätna nackt im Schnee meditieren, oder von Hobby-Vulkanologen, die
immer wieder in den Gipfelbereich vorstossen, magisch angezogen von Rauch
und brodelndem Magma, und irgendwann einfach spurlos verschwinden.
Unten in Randazzo ist von all dem
nichts zu spüren. Zwar liegt das Städtchen nur gerade zehn Kilometer vom
Ätna-Gipfel entfernt auf 770 Metern über
Meer. Doch viele der hier lebenden Winzer waren noch nie oben im Kraterbereich. Sie leben zwar mit dem Vulkan und
vom vorzüglichen Terroir, das er ihnen
gegeben hat, halten aber gleichzeitig ehrfürchtig Abstand zu ihm. Weinbau wird
hier schon seit Jahrtausenden betrieben.
Restaurierte Kelterhäuser wie jene von
vinum
vulkanweine
Terrazze dell’Etna oder dem Agriturismo
«Quota Mille» beweisen, dass schon vor
Jahrhunderten in Höhenlagen von fast
tausend Metern über Meer professionell
vinifiziert worden ist. In sogenannten
«Palmeti» (Kelterwannen) wurden die
Trauben mit Füssen getreten und der
ablaufende Saft wurde abgezogen, der
im darunter liegenden Torkelbereich gewonnene Presssaft separat vergoren.
Die Krise am Ätna setzte wohl ein, als
der Verkauf von Offenwein in den nahe
gelegenen Badeorten ins Stocken geriet.
Daraufhin verfiel der Weinbau am Ätna
in tiefsten Dornröschenschlaf. Die Wiedergeburt begann vor rund 25 Jahren, als
Persönlichkeiten wie Giuseppe Benanti,
dessen Familie in Viagrande schon früher Weine produziert hatte, mit neuem
Qualitätsdenken den Weinbau revolutionierten. Doch noch zwischen den Jahren 1990 und 2000 sprachen nur einige
wenige Insider über den Aufbruch am
Ätna. Der weltweite Hype begann erst,
als der illustre italoamerikanische Weinbroker Marc de Grazia das Terroir von
Randazzo auswählte, um hier seine Te-
nuta delle Terre Nere zu etablieren. Volle
Fahrt nahm dieses Projekt erst 2004 auf,
als erstmals im eigenen Keller vinifiziert
werden konnte.
Burgundisches Cru-Denken
In den letzten zehn Jahren ist in Randazzo und Umgebung nun weinmässig
mehr passiert als in den 200 Jahren zuvor. Terre Nere, Cottanera, Graci, Girolamo Russo, Terrazze dell’Etna – sie alle
sind hier zu Hause. Wer mit seinem
Mietauto auf engen Strässchen durch die
Rebberge kurvt, die hier auf 600 bis 1000
Metern liegen, sieht eine ähnliche Szenerie wie vor 25 Jahren im Priorat. Überall
werden alte Terrassen-Trockenmauern
restauriert, alte Parzellen revitalisiert und
leer stehende Höfe renoviert. Die wohl
nachhaltigste Auswirkung dieses Booms
ist, dass sich das Prinzip der Einzellagen
nach burgundischem Cru-Denken durchgesetzt hat. Ja, die Ätna-«Grand Crus» wie
Guardiola, Porcaria oder Calderara Sottana sind für Weinfreaks schon fast so
feste Begriffe wie Échezeaux oder Richebourg im Burgund. Es sind heute vor
Der Vulkan ist ein Freund: Der
Ätna hat in den Höhenlagen
um Randazzo so leichte, aber
fruchtbare Böden geschaffen,
dass die Zahl der weissen und
roten Top-Crus mit jedem
Jahrgang zunimmt. In der
«Trattoria San Giorgio e Il
Drago» stehen alle RandazzoTop-Crus auf der Karte. Und
Mama kocht das Richtige dazu.
allem zwei Betriebe, die den Urtyp des
temperamentvollen, eigenständigen und
vor allem frischen Ätna-Crus besonders
pflegen. Die Passopisciaro-Weine von
Andrea Franchetti (der in der Toskana
auch das Weingut Trinoro betreibt) sind
Rohdiamanten von unerreichter Strahlkraft. Und der vor 13 Jahren von Belgien
an den Ätna emigrierte Frank Cornelissen bringt die Ätna-Charakteristik ohne
Interventionen nach den Prinzipien des
naturbelassenen Weines unverfälscht
und ungeschwefelt in die Flaschen.
Bleibt die Frage, was denn nun den
Ätna-Crus wirklich ihren unverwechselbaren Charakter beschert. Nun, es ist wohl
nicht nur der leichte, aber doch fruchtbare Vulkanboden aus Basalt, Bimsstein
und Asche sondern auch der spät reifende Charakter der heimischen Gewächse, allen voran der weissen Carricanteoder der roten Nerello-Mascalese-Traube.
Wenn sie Ende Oktober geerntet werden,
ist es oben am Ätna schon empfindlich
kühl, so kühl wie im Piemont oder im
Burgund. Und genau diese kühle Eleganz
finden wir im besten Falle auch im Glas.
49
Weine vom Ätna
DIE TOP TEN
Weiss- und Rotweine
1.PLATZ
2.PLATZ
Weissweine
Weissweine
3.PLATZ
1.PLATZ
Weissweine
Rotweine
2.PLATZ
Rotweine
17 Punkte
17 Punkte
16.5 Punkte
17.5 Punkte
17 Punkte
Azienda Cottanera
Barbazzale Bianco
IGP 2012
Blumig-frisch in der Nase,
auch Zitrusfrüchte und
reife Äpfel. Im Gaumen
sehr ausgewogen und
belebend. Die Cuvée aus
Inzolia und Viognier beweist, dass auch nichttypische Ätna-Sorten hier
enorm frische Weine hervorbringen.
2014 bis 2017
www.martel.ch
www.saittavini.de
12 Franken | 25 Euro
Azienda Graci
Etna Bianco 2012
Typischer Ätna-Cru mit
zurückhaltend mineralisch
geprägter Aromatik, dazu
Zitrusfrüchte und Holunderblüten. Im Gaumen
sehr geradlinig und säurebetont, dazu ein präsenter
Gerbstoff. Leichter Anflug
von Kohlensäure.
2014 bis 2019
www.vinisacripanti.ch
24.50 Franken
Azienda Vivera
A’mami Etna Bianco 2010
Mineralisch, ja vulkanisch
geprägte Aromatik mit
erdig-schwefligen Noten,
dazu Feuerstein und
Petroleum. Sehr charaktervoll, aber eben auch
eigenwillig. Im Gaumen
enorm frisch, ja fast schon
stahlig. Erinnert an einen
Riesling. 2014 bis 2020
www.scalavini.ch
www.weine-gutund-guenstig.de
22.50 Franken
12,40 Euro
Azienda Girolamo Russo
Feudo Etna Rosso 2008
Vielschichtige Aromatik
mit reifen roten Beeren,
getrockneten Kräutern
und Leder. Im Gaumen
getragen von einer reifen,
leicht süsslich wirkenden
Fruchtfülle und weichem,
samtigem Tannin. Angepasste Säure.
2014 bis 2018
www.danimatterweine.ch
35 Franken
Pietro Caciorgna
N’Anticchia
Etna Rosso 2009
Blasses Granatrot, Aromen
von reifen roten Beeren,
Weichseln und Unterholz.
Im Gaumen dicht strukturiert und temperamentvoll. Dank präsenter Säure
und kernigem Tannin zeigt
dieser Cru alle Eigenschaften eines Cool-ClimateWeines. 2014 bis 2019
www.scala-vini.ch
48.50 Franken
«Weine vom Ätna geniessen, das ist etwa so, wie wenn Musikfreaks wieder
mal guten alten Free Jazz hören. Die Cool-Climate-Stilistik, die den
Ätna-Weinen nachgesagt wird, habe ich bei dieser Verkostung vor allem
in den Weissweinen gefunden. Die zeigen sich heute mehr denn je
geradliniger und frischer als manche Gewächse aus Deutschland und der
Schweiz. Die Roten präsentieren sich uneinheitlicher. Man hat das
Gefühl, dass da einige Winzer inzwischen doch mehr mediterrane Fülle
suchen als nördliche Eleganz.»
Hans Babits Académie du Vin, Zürich
Das VINUM-Profipanel verkostete insgesamt
22 weisse und rote Crus vom Ätna. Hier die zehn
bestklassierten Weine. Es degustierten:
• Paul Liversedge MW (Weinhändler, Stallikon)
• Stephan Herter (Winzer, Winterthur)
• Hans Babits (Académie du Vin, Zürich)
• Beat Caduff (Gastgeber, Zürich)
• Ursula Geiger (VINUM, Zürich)
• Thomas Vaterlaus (VINUM, Zürich)
3.PLATZ
Fotos: Martin Hemmi, Siffert/weinweltfoto.ch, Thomas Vaterlaus
Rotweine
4.PLATZ
Rotweine
5.PLATZ
Rotweine
6.PLATZ
7.PLATZ
Rotweine
Rotweine
17 Punkte
17 Punkte
17 Punkte
16.5 Punkte
16.5 Punkte
Terrazze dell’Etna
Cratere Rosso IGP 2010
Die Cuvée aus Nerello
Mascalese und Petit
Verdot ist die moderne
Interpretation eines ÄtnaWeines. Überzeugt mit
Aromen von Brombeeren,
Dörrpflaumen und Kräutern sowie viel Kraft und
Saft im Gaumen.
2014 bis 2020
Tenuta delle Terre Nere
Calderara Sottana
Etna Rosso 2011
In der Nase süssliche
Maraschino-Kirschen,
Lorbeer und gut eingebundene Würznoten.
Im Gaumen konzentriert,
mit guter Fruchtfülle und
präsentem, feinkörnigem
Gerbstoff. Ein gekonnt
geschliffener Ätna-Cru.
2014 bis 2020
www.gerstl.ch
www.superiore.de
44 Franken | 29,90 Euro
Pietro Caciorgna
Thalia Etna Rosso 2011
Verführerische, reife Aromen von roten Kirschen
und Waldbeeren, dazu
Gewürze, Kräuter und
Tee. Im Gaumen dicht
strukturiert, mit feinkörnigem Tannin, getragen
von einer ausgesprochen
belebend wirkenden
Säure. 2014 bis 2020
www.scherer-buehler.ch
26.25 Franken
Tenuta delle Terre Nere
Guardiola
Etna Rosso 2011
Reife Kirschen, aber auch
Kräuter, Schokolade,
Leder und balsamische
Noten. Im Gaumen straff
strukturiert, mit viel
kernigem, aber gut integriertem Tannin und einer
angepassten Säure. Wirkt
geradlinig, elegant und
trinkig. 2014 bis 2018
www.gerstl.ch
46 Franken
Azienda Girolamo Russo
San Lorenzo
Etna Rosso 2011
Aromen von roten und
blauen Beeren, auch
Pflaumen, dazu getrocknete Kräuter, Nelken
und gut eingebundene
Würznoten. Im Gaumen
stoffig und druckvoll, mit
präsentem, aber reifem
Tannin und frischer Säure.
2014 bis 2020
www.danimatterweine.ch
www.vinothek-brancaia.ch
28.50 Franken
www.baglioanticasicilia.com
47.50 Franken | 32 Euro
«Schon bei meiner ersten Sizilien-Reise vor sieben Jahren fielen die
Ätna-Crus positiv aus dem Rahmen. Nach einer Degustation mit
wuchtigen Nero d’Avola kann man oft nicht glauben, dass auf dieser
Insel im südlichen Mittelmeer auch so frische Weine reifen können.
In den besten Ätna-Crus findet man immer Mineralität, vor allem Feuerstein. Ebenso beeindruckend ist, wie diese Weine mit dem Alter
die Oxidation perfekt einbinden. Die Degustation hat diesen Eindruck
bestätigt, auch wenn die Roten nicht mehr ganz so locker runterfliessen, wie ich es in Erinnerung hatte.»
Stephan Herter Winzer, Winterhur
FÜNF DOMÄNEN –
FÜNF PHILOSOPHIEN
Das 11000-Einwohner-Städtchen Randazzo ist zum Mittelpunkt
der Wein-Renaissance am Ätna avanciert. Wir stellen Ihnen hier
fünf wegweisende Projekte vor.
PASSOPISCIARO
DIE MEISTER DER CRUS
Abendessen im Restaurant «Quota Mille»,
tausend Meter über Meer. Im Glas funkelt
der 2009er Sciara Nuova von Passopisciaro kirschrot. Wir riechen wilde Erdbeeren, Kräuter und Erde und finden im
Gaumen endgültig zu einem Wein, der
mit seiner ungeschliffenen Kantigkeit
fasziniert. Andrea Franchetti, der Mann
hinter diesem Cru, war Restaurantbesitzer in Rom und Weinhändler in New
York, bevor er in den 90er Jahren, inspiriert durch Peter Sisseck und Jean-Luc
Thunevin, zwei minuziös geplante Weinprojekte initiierte: die Tenuta di Trinoro
in der südlichen Toskana und danach
Passopisciaro. Die Kellereiruine, die er
vor 14 Jahren im Dorf Passopisciaro übernahm, ist inzwischen so instand gestellt,
dass Vincenzo Lo Mauro, der Direktor des
Gutes, kompromisslos qualitätsorientiert
arbeiten kann. Der Ruf des Hauses beruht ganz auf Nerello Mascalese. Jährlich
werden fünf famose Parzellenselektionen abgefüllt, nämlich: Chiappemacine
(80-jährige Reben, 550 Meter über Meer)
Porcaria (80-jährige Reben, 650 Meter
über Meer), Guardiola (über 100-jährige
Reben, 800 Meter über Meer), Sciaranuova (80-jährige Reben, 850 Meter
über Meer) und Rampante (100-jährige Reben, 1000 Meter über Meer). Alle
Weine durchlaufen eine bis zu 18-tägige
Maischengärung und reifen in grossen
Holzfässern (800 bis 5000 Liter). Übrigens: Nicht der höchstgelegene Cru Rampante erzielt den höchsten Preis, sondern
vielmehr der Porcaria.
COTTANERA
DER KLASSIKER
Über einen Zeitraum von 40 Jahren hinweg hat die in Messina lebende Weinhändlerfamilie Cambria ihr Landgut in
Castiglione di Sicilia, zehn Kilometer
östlich von Randazzo gelegen, zu einem
Topweingut umfunktioniert. Treibende
Kraft war Guglielmo Cambria. Seit dieser
2008 im Alter von 66 Jahren gestorben
ist, wird das Projekt von seinen drei Kindern und seinem Bruder Enzo weitergeführt. Ein Gang durch den kürzlich aufwändig modernisierten und erweiterten
Keller beweist, dass aus dem idyllischen
Anwesen eine State-of-the-Art-Winery
geworden ist. Unter dem Label Barbazzale kommen auf Frucht getrimmte Weine
auf den Markt, der Barbazzale Bianco
etwa ist eine höchst gelungene, aromatisch-frische Cuvée aus Inzolia und Viognier. Der Gutsname Cottanera dagegen
ist ganz den klassischen Ätna-Crus vorbehalten. Der Etna Bianco 2012 ist pure
Frische und Finesse. Und auch der Etna
Rosso 2010 besticht mit Power und Charakter. In den 90er Jahren liebäugelte die
Familie Cambria noch mit internationalen Sorten wie Merlot und Cabernet, jetzt
liegt der Fokus klar auf den heimischen
Sorten. Die Weine beweisen: Es ist der
richtige Weg!
TENUTA DELLE TERRE NERE
DIE MATCHMAKER
Ist es nicht unglaublich, wie stark ein einzelnes Weingut das Image einer Region
prägen kann? Als Tausendsassa Marc de
Grazia im Jahr 2003 sein Projekt in der
Contrada da Calderara bei Randazzo startete, war die Rückbesinnung auf die alten
Rebparzellen am Ätna schon in vollem
Gange. Doch er war es, der Lagen wie
Guardiola, Santo Spirito, Calderara Sottana oder Feudo di Mezzo weltbekannt
machte, so dass sie inzwischen einen
ähnlich legendären Ruf haben wie Brunate, Prapò oder Cannubi im Piemont.
Ähnlich clever war die Lancierung seines
Prephylloxera La Vigna di Don Peppino,
der das Augenmerk auf die über 130-jäh-
rigen, wurzelechten Nerello-Mascaleseund Nerello-Capuccio-Stöcke am Ätna
lenkte. Was im Keller auffällt, ist die Umstellung auf grössere Holzgebinde aus
der österreichischen Küferei Stockinger.
Terre Nere steht heute für eine geschickt
«geschliffene» Ätna-Charakteristik mit
viel Fruchtfülle, präsentem, aber weichem Gerbstoff und einer frischen, aber
nicht zu dominanten Säure.
FRANK CORNELISSEN
DER VISIONÄR
Niemand am Ätna geht so kompromisslos seinen Weg wie der aus Belgien
stammende Frank Cornelissen. Als Basis
seines Schaffens steht die Erkenntnis,
dass der Mensch letztlich unfähig ist, die
Natur in ihrer Komplexität und in ihren
Interaktionen zu verstehen, und es darum besser ist, im Rebberg der Natur zu
folgen, als diese mit willkürlichen Eingriffen zu irritieren. Das Gut produziert
auf 18 Hektar Reben nur gerade 45 000
Flaschen Wein. Vinifiziert werden die
Weine ohne jegliche Korrekturen und
Zusätze, auch Schwefel zur Konservierung wird nicht zugegeben. Damit gehört
Frank Cornelissen zu den Vorreitern der
neuen Naturwein-Bewegung. Sein Topwein, der Magma Rosso, in der Regel
eine Selektion von ungepfropften sehr
alten Stöcken, die 650 bis 1010 Meter
über Meer wurzeln, wird nur in Spitzenjahrgängen abgefüllt. Der Wein liegt
drei Monate auf der Maische und reift
danach in Amphoren. Alle CornelissenWeine vereinen in vorbildlicher Weise
die Eigenschaften von Ätna-Crus mit
dem Ausdruck von konsequent antiinterventionistisch hergestellten Weinen.
Die Aromen von wilden roten Beeren
und Kräutern sowie erdig-mineralische
Noten zeichnen diese Weine ebenso aus
wie ihre im besten Sinne ungestüme Lebendigkeit am Gaumen.
1
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2
3
4
Gekonntes «Fine Tuning» in
Rebberg und Keller: 1 Davide
Cavallaro pflegt die neuen
Drahtzuganlagen von Cottanera. 2 «Der Nerello Mascalese
braucht Eichenholz, aber auf
keinen Fall zu viel», weiss Pietro
Caciorgna von der Tenuta delle
Terre Nere. 3 Vincenzo Lo Mauro
setzt im Keller von Passopisciaro
für seine Parzellenselektionen
zunehmend grössere Eichenfässer ein. 4 Frank Cornelissen
gilt mit seinen naturbelassenen
Crus als radikalster Verfechter
des Terroir-Konzeptes am Ätna.
5 Terrazze-dell’Etna-Önologe
Piergiuseppe Carucci vor dem
erkalteten Lavastrom, der 1981
den Rebberg streifte.
5
TERRAZZE DELL’ETNA
DIE SCHÖNGEISTER
Hinter dem 2008 gestarteten Projekt
steht der in Palermo wohnhafte Bauunternehmer Nino Bevilacqua. Nur wenige
Kilometer östlich von Randazzo hat er
ein historisches, 28 Hektar umfassendes
Gehöft erworben, das unmittelbar an den
Lavakegel von 1981 angrenzt. Unzählige
Trockenmauern, aber auch verschiedenste Unterkünfte und Ställe wurden sorgsam restauriert. Die kleinen Rebparzellen liegen inmitten eines reichhaltigen
Ökosystems, bestehend aus Orangen-,
Zitronen-, Oliven- und Nussbäumen, aber
auch Bäumen und Sträuchern. Über dem
terrassenartig angelegten Hof thront majestätisch der Ätna-Gipfel. Vinifiziert werden die Weine in einem schlicht-modern
gehaltenen Hangar in der Gewerbezone
von Randazzo. Auch die Weine Terrazze
dell’Etna provozieren nicht mit Säure
und Gerbstoff, sondern mit gekonnt gezügelter Fülle und Schmelz, ohne dabei
schwer zu wirken. Von Beginn an setzte
das Gut auch auf Schaumweine aus Chardonnay und Pinot Noir. Mit dem Cratere,
einer Cuvée aus Nerello Mascalese und
Petit Verdot, gelingt dem Gut eine perfekte Gratwanderung zwischen Ätna-Typizität und südlichem Charme.
54
vinum
vulkanweine
INSEL+
VULKAN
=GRAND CRU
W
as haben Santorini, Sizilien und Lanzarote gemeinsam?
Nun, alle drei sind Inseln, die ganz oder wenigstens teilweise (Sizilien) von Vulkanen geschaffen worden sind.
Und auf diesen vulkanischen Böden wird Wein angebaut, schon seit
Jahrhunderten. Lange Zeit wurden diese Weine aber nur von Einheimischen, später auch von Touristen getrunken. Die verdiente internationale Aufmerksamkeit fanden die Vulkaninsel-Crus erst in den
letzten Jahren, seit Winzerpioniere auf allen drei Inseln beweisen, welches Qualitätspotenzial in diesen Terroirs steckt.
Auf Santorini, «dem schönsten Pulverfass der Welt», mit seinen
hoch gelegenen weissen Dörfern über azurblauem Meer fand der
letzte grosse Vulkanausbruch im Jahr 1628 vor Christus statt. Heute
bringt auf den damals geschaffenen Vulkanböden die Sorte Assyrtiko
die besten Weissweine Griechenlands hervor, und zwar in der geradlinig frischen, dem Riesling ähnlichen Version, aber auch als im Holz
ausgebauten Cru oder edelsüssen Vinsanto. Um die Trauben vor
dem Wind zu schützen, wird die Assyrtiko-Rebe spiralförmig direkt
auf dem Boden erzogen, so dass die Pflanze einem Vogelnest gleicht,
in deren geschütztem Inneren die Trauben reifen. Paris Sigalas, Yannis
Argyros und Yannis Paraskevopoulos (Gaia) sind die Topwinzer auf
Santorini. Auf der spanischen Kanareninsel Lanzarote wurden die
letzten starken Ausbrüche in den Jahren 1730 bis 1736 und 1824
registriert. Im Anbaugebiet La Geria wachsen die Stöcke noch immer
in klassischer Manier in Mulden, die von halbkreisförmigen Mauern
umgeben sind, um sie vor dem heftigen Wind zu schützen. Die besten
Weine Lanzarotes werden aus der weissen Sorte Malvasia gekeltert.
Bodega Stratvs und El Grifo gehören zu den führenden Betrieben.
Während die Reben auf Santorini und Lanzarote nur durch die allmorgendliche Taubildung auf den Blättern und dem Boden genügend
Wasser bekommen, gilt die Weinbauregion am Ätna als vergleichsweise niederschlagsreich. Alle drei Inseln bringen Weine hervor, die
nicht mit südlicher Wucht, sondern mit fast nördlich anmutender
Frische und Finesse begeistern. Verantwortlich dafür ist das Zusammenspiel von leichten, mineralreichen Böden, extremen klimatischen
Bedingungen (Höhenlage auf Sizilien, starker, oft kühler Wind zur
Erntezeit auf Santorini und Lanzarote) und über Jahrhunderte auf
die jeweils harten Verhältnisse adaptierten Sorten. Für Liebhaber der
Vulkaninsel-Crus ist zudem heute klar: Die Weissweine begeistern in
der Regel mehr als die Roten.
Rovitello
Randazzo
Taormina
Verzella
Linguaglossa
Piedimonte
Etneo
Maletto
Bronte
Ätna
Giarre-Riposto
Milo
Zafferana
Adrano
Cavaliere
Monte Gurna
Monte Serra
Trecastagni
Viagrande
Nicolosi
Acireale
Mascalucia
Acicastello
Acitrezza
Catania
Fotos: Martin Hemmi, Thomas Vaterlaus
RANDAZZO DIE CHARMANTE
WEIN-«GOLDGRÄBER»-CITY
Es ist glücklicherweise eine jener
italienischen Städte, wo es die
Einwohner abends noch immer
hinaus auf die Strassen und Plätze treibt. Randazzo «after work»
ist ein Erlebnis, das man sich
nicht entgehen lassen sollte. Und
auch wenn der Vulkan bis heute
die Stadt verschont hat, so ist er
doch auf mannigfaltige Weise
stets präsent. Nicht nur wenn er
gerade mal wieder raucht und
Feuer spuckt. Viele der stolzen
Stadthäuser, aber auch Strassen
sind aus schwarzem Ätna-Stein
gebaut worden. Randazzo ist
ein guter Ausgangspunkt zum
Besuch der vielen aufstrebenden
Weingüter, die sich vor allem
östlich der Stadt befinden. Die
Stadt liegt direkt am Parco
dell’Etna, den man zu Fuss oder
per Mountainbike erkunden
kann, die Routen führen bis zu
einigen Nebenkratern des Ätna.
Zudem befindet sich hier auch
eine Haltestelle der Ferrovia
Circumetnea. Dabei handelt es
sich um eine Schmalspurbahn,
die fast den ganzen Ätna umrundet. Spektakulär ist auch
ein Besuch des Alcantara-Flusses, der über erkaltete Lavaströme fliesst, aber auch durch
tiefe Schluchten mit Wasserfällen. Der berühmteste Badeort
Siziliens, Taormina, liegt nur
eine Autostunde von Randazzo
entfernt.
HOTELS
Hotel Feudo Vagliasindi
Contrada Feudo S. Anastasia
Strada Provincale 89
I-95036 Randazzo
Tel. +39 095 799 18 23
www.feudovagliasindi.it
Das palazzoähnliche Anwesen
mit schönem Garten inklusive
Pool ist nur einen Steinwurf von
den Weingütern Terre Nere und
Filippo Grasso entfernt, es liegt
inmitten von Rebgärten und
Olivenhainen. Die Zimmer sind
puristisch schlicht, aber hochwertig eingerichtet, das Restaurant ist gediegen. Auf dem Gut
werden auch Olivenöl und Wein
hergestellt. Im alten Keller liegen
noch Nerello-Mascalese-Weine
aus dem 19. Jahrhundert.
Hotel Etna Quota Mille
Contrada Marzarola
I-95036 Randazzo
Tel. +39 095 518 72 93
www.etnaquotamille.it
Hoch über Randazzo, gleich
neben dem Lavakegel von
1981, thront der Agriturismo
«Quota Mille» am Ätna. Die
Aussicht über das Tal ist spektakulär. Hier logiert der Weinfreund gleich neben den höchstgelegenen Rebparzellen, also
rund tausend Meter über Meer,
und kann abends am eigenen
Körper erfahren, wie empfindlich kalt es selbst im Sommer
werden kann. Das Restaurant ist
spektakulär in einem ehemaligen
Weinkeller untergebracht. Vielfältige rustikale Küche, bequeme,
traditionell eingerichtete Zimmer.
Hotel Scrivano
Via Bonaventura 2
I-95036 Randazzo
Tel. +39 095 921 11 26
www.hotelscrivano.com
Am Rande der verwinkelten
Altstadt von Randazzo gelegen.
Abends flanieren die Einheimischen vor der Tür auf und ab.
Typisch italienisches Ambiente
mit einem etwas zusammengewürfelt anmutenden Interieur,
aber nicht ohne Charme. Gutes
Restaurant.
Gäste. Tolle Weinkarte, die alle
Spitzen-Crus am Ätna vereint,
und das zu höchst bezahlbaren
Preisen.
Ristorante Veneziano
Contrada Arena
I-95036 Randazzo
Tel. +39 095 799 13 53
www.ristoranteveneziano.it
Jahrzehntelang empfingen die
Familien Veneziano und Munforte
ihre Gäste mitten in der Stadt.
Nun sind sie in ein grosszügiges
Landhaus mit modernem Ambiente, wenige Kilometer östlich
von Randazzo, umgezogen.
Raffiniert verfeinerte sizilianische
Gerichte. Die Steinpilze vom Ätna
gibt’s in der Saison in Form von
Suppen, Ragout oder Carpaccio.
RESTAURANTS
Osteria San Giorgio e Il Drago
Piazza San Giorgio 20
I-95036 Randazzo
Tel. +39 095 923 39 72
An einer verschlafenen Kopfsteinpflasterstrasse, wo abends
die Katzen zwischen den parkenden Autos miauen, befindet
sich diese Osteria wie aus dem
Bilderbuch. Oder wie aus einem
Fellini-Film. Mama kocht, und
die junge Generation betreut die
Hat alle Ätna-Crus aus Randazzo auf
der Karte: Der Patron der Osteria
San Giorgio e il Drago ist ein Weinfreak.