„ÜBER-WUNDEN - Trauma, Genesung und Spiritualität“ 2
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„ÜBER-WUNDEN - Trauma, Genesung und Spiritualität“ 2
„ÜBER-WUNDEN - Trauma, Genesung und Spiritualität“ 2. Deutschsprachiger Kongress zu Trauma und Spiritualität 12. bis 14. Oktober 2012, Kurhaus Bad Herrenalb Zusammenfassung durch Tamara Enhuber Um Traumata besser verstehen und uns auf den Weg machen zu können, sie zu heilen, müssen wir uns – so haben die Vorträge, Seminare, Lesungen, Diskussionsbeiträge von ExpertInnen (PraktikerInnen und Betroffenen) und Musik- und Tanzveranstaltungen des vom Förderkreis für Ganzheitsmedizin organisierten Kongresses vom 12. bis 14. Oktober 2012 im Bad Herrenalber Kurhaus deutlich gemacht – auch auseinandersetzen mit den Themen Gewalt, Scham und Trauer, mit den Fragen von Anerkennung und Würde, mit der Notwendigkeit der Aussöhnung mit den eigenen Schattenseiten wie auch mit der Frage der Vergebung, mit dem Wirken der Seele und der Heilkraft von Spiritualität, mit der Bedeutung von Ritualen, Gemeinschaft und anderen Orten der Heilung, und mit der Rolle der traumatisierten Menschen und der TherapeutInnen in der Traumaarbeit. Trotz der Themenvielfalt haben die Vorträge immer wieder zueinander gesprochen, gemeinsame Nahtstellen aufgezeigt, unterschiedliche Perspektiven einzelner Fragen angeboten. Um den TeilnehmerInnen des Kongresses die Möglichkeit zu geben, die einzelnen Beiträge nochmal in Ruhe auf sich wirken zu lassen, und anderen, die nicht daran teilgenommen haben, einen kleinen Eindruck zu verschaffen und ihnen evtl. die Idee einer weiteren Perspektive, einen neuen Zugang zu der Thematik zu geben, seien die Vor- und Beiträge nachfolgend zusammengefasst.* Es gibt keine Zwangserleben (Schmidt), oder, in anderen Worten: es ist nicht das Ereignis an sich oder allein, sondern der Kontext, in dem eine Gewalterfahrung erlebt wird, der ein Trauma hervorruft (Beaumont, Kachler). Im Rahmen von Gemeinschaft und wenn unserer Seele Raum gegeben wird, kann einer Traumatisierung vorgebeugt werden (Pater Grün, Fuhrberg), auch wenn eine Person, an der Gewalt ausgeübt wurde, durch Ruhe und Sicherheit aufgefangen wird, kann Heilung unmittelbar geschehen (Madert). Doch wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, wo Menschen nicht die erforderlichen Kapazitäten entwickeln konnten, sich adäquat gegenüber einem (lebens)bedrohlichen Ereignis zu schützen (Beaumont), wo unsere inneren Netzwerke uns nur Erinnerungen von Opfer-, Leidund Hilflosigkeit anbieten (Schmidt), kann sich ein solches Ereignis traumatisierend auf uns auswirken. In der Traumatherapie müssen wir uns von der Illusion der Objektivierbarkeit (Schmidt) , von einem falsch verstandenen Expertentum (Beaumont) lösen, müssen die kulturellen Kontext der traumatisierten Person berücksichtigen (Fuhrberg), als TherapeutInnen auf unsere Intuition vertrauen, die Seele befragen, was ist(Beaumont), aber, vor allem, müssen die ‚autorisierte Autorität‘ immer bei der/m KlientIn verorten (Schmidt). Als einer der zentralen Punkte in der Traumaarbeit wurde herausgestellt, dass am Anfang (und selbstredend in dem ** Eine Zusammenfassung kann –trotz der relativen Ausführlichkeit – immer nur eine Zusammenfassung bleiben, kann nicht jedes Beispiel oder Nuance wiedergeben, auch wenn möglicher Weise gerade jene für die Eine oder den Anderen einen Aha-Effekt ausgelöst haben mögen. Die Berichterstatterin hat versucht, die zentralen Argumente und Perspektiven der ReferentInnen aufzugreifen und in möglichst kohärenter Weise uninterpretiert und unkommentiert wiederzugeben. gesamten Prozess) des Heilungswegs eine genuine Anerkennung, Würdigung und Achtung des erfahrenen Leids/Schmerzes (Laurischk, Rüegger-Haller, Schmidt) stehen muss. In einem weiteren Schritt ist es jedoch ebenso erforderlich, die Kompetenz und Leistung unserer Seele, uns Schutz in (lebens)bedrohlichen Situationen geleistet, uns vielleicht durch eine dysfunktionale Familien geführt zu haben, anzuerkennen. Und so die Funktion von Scham als der ‚Hüterin unserer Würde‘ (Marks). Da wo Trauma im Kontext von Trauer ausgelöst wird, können sich komplexe Dynamiken zwischen Trauma und Trauer entwickeln, können doppelte Störungen und Traumata entstehen. Dies macht es erforderlich, den jeweils anderen Aspekt in Traumatherapie und Trauerbegleitung zu berücksichtigen (Kachler). In mehreren Zusammenhängen wurde die Aufmerksamkeit auf verdeckte, subtile Formen von Gewalt, z. B. in Ideologien oder der Sprache, gerichtet und ihrer Wirkung auf unsere (Eigen-)Wahrnehmung , auf unsere Seele (Beaumont) und unseren Körper (Madert) betont. So fühlt es sich beispielsweise unterschiedlich an, ob wir von ‚Opfer‘ oder ‚Missbrauchsüberlender/m‘ sprechen (Rüegger-Haller) oder ob wir das Wort ‚Missbrauch‘ gebrauchen oder durch ‚Gewalt‘ ersetzen. Immer wieder war von (spirituellen) Orten der Heilung die Rede, die z. B. in der Gemeinschaft liegen können (Fuhrberg, Grün, Madert) oder Orten, an denen unser Leid nicht (von außen) vergessen wird (Schmidt), oder an denen wir geliebten Menschen, die wir verloren haben, begegnen können (Kachler). Heilung kann geschehen durch die Einbeziehung unserer Seele (Beaumont), durch Spiritualität, Körpertechniken (Madert), in Ritualen wie Gebet, Meditation, Musik, körperlicher Bewegung (Grün), Exerzitien (RueggerHaller), durch die Übertragung von Gleichnissen (Grün), durch den bewussten Aufbau von stärkenden inneren Netzwerken (Schmidt), in Beziehungen (innerhalb eines ‚Raumes‘), in dem alle Beteiligten Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität erfahren (Marks). Die Antworten auf die Frage, ob der letzte Schritt der Heilung in der Vergebung liegen kann oder muss – vielleicht die Frage, um der auf dem Kongress am meisten gerungen wurde –, zeigen viele Nuancen: Für Anselm Grün heißt Vergeben, dass ich etwas beim Anderen lasse. Elke Rüegger-Haller überlässt den Täter Gott und plädiert dafür, dass ein/e Missbrauchsüberlebende/r nicht vergeben muss. Auch Hunter Beaumont betont, dass wir nicht von den Opfern verlangen sollen, dass sie verzeihen müssen, um sie nicht ein zweites Mal zu Opfern zu machen. Aber gleichzeitig, so seine Feststellung, ginge es nicht ohne Verzeihen. Die Frage sei nur, was man darunter versteht. Martin Luther King sprach in diesem Zusammenhang von der Erkenntnis, dass man einen Weg finden müsse das Leben fortzusetzen. H. Beaumont schlägt vor, dass dies auch eine Entlassung, auch Entlastung, des Täters erfordere. Michael Tischinger sieht in der Aussöhnung den Königsweg, denn ohne Vergebung verbleiben wir in der Macht der Täter und setzen uns immer wieder der Situation des Wiedererlebens aus. Für ihn wiederum bedeutet Vergebung nicht die Entbindung des Täters von seinen Taten, sondern ein Loslassen des Täters. Das Problem uns selbst vergeben zu können, liegt, so Anselm Grün, darin, dass wir zu hohe Idealbilder von uns in uns tragen und Schuld somit unser Selbstbild in Frage stellt. Mir selbst zu vergeben setzt voraus einzuräumen, dass ich nicht so bin, wie ich dachte. Das heißt Demut zu üben. Eine große Zuversicht, dass Heilung möglich ist, steckt in der Vorstellung, dass es in uns allen einen Raum gibt, in dem wir heil und ganz sind (Grün spricht von dem ‚göttliches Kind in uns‘), dem Streben uns rückzuverbinden zu der Vollkommenheit unseres Ursprungs (Fuhrberg schlägt uns vor, uns als ‚Gottheit in Windeln‘ zu verstehen). Möglicher Weise sind Traumata nicht (immer) vollständig heilbar, aber wir können uns entscheiden, sie als Teil unseres Lebens annehmen (Grün), ihre Erfahrung vielleicht auch als Etappe auf unserem Weg zur Ganzwerdung, auf unserem spirituellen Weg erkennen (Roth, Rüegger), sie für die Gemeinschaft nutzbar machen (Fuhrberg). Aus Kornelius Roths Einführungsworten lassen sich sowohl ein zentrales Ziel als auch die Sinngebung ganzheitlicher Traumaarbeit zusammenfassen und mit den beiden weiteren Kongressthemen verbinden: Unter all der Hilflosigkeit, Ohnmacht, Schuld, Scham und Angst, die ein Trauma definieren, gibt es etwas Unzerstörbares in uns allen, aus dem Wert und Würde fließen. Ein wesentlicher Aspekt in der Traumatherapie liegt darin, Betroffene dabei zu unterstützen, den Zugang zu diesem heilen Anteil zu finden und sich weiter auf ihrem Weg machen zu können, nach dem Motto aus den 12 Schritte Gruppen: „Religion ist für diejenigen, die nicht in die Hölle wollen. Spiritualität ist für die Menschen, die schon in der Hölle waren.“ In seinem Vortrag „Scham: Hüterin der Würde des Menschen“ spricht Stephan Marks von ‚den vier Themen der Scham‘: Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität. Wenn diese Bedürfnisse versagt oder verletzt werden oder – im Fall des Bedürfnisses nach Schutz – dieses nur von einem gewalttätigen Gegenüber ersucht werden kann, können wir eine Beschämung und/oder Scham erleben. Das heißt, immer dann, wenn wir missachtet, ignoriert oder übersehen, eben nicht anerkannt werden; wenn wir – paradoxer Weise – Schutz suchen bei unserem Folterer, Vergewaltiger oder einem/r anderen, der/die uns missbraucht; wenn wir den Normen oder Erwartungen unserer Umgebung oder der Gesellschaft nicht entsprechen; wenn wir gezwungen werden, Gewalt auszuüben oder ZeugInnen von Gewalt und Unrecht werden und unsere eigenen Erwartungen an uns nicht mehr übereinstimmen mit unserem Verhalten. Wie einschneidend wir Scham empfinden mögen, zeigt sich vielleicht daran, dass unser Gehirn hier die gleichen Funktionen benutzt wie beim Empfinden von existenzieller Angst. Im Zustand von Scham rutschen wir, wie Donald Nathanson zeigt, im Gehirn sozusagen „nach unten“ zum Reptilienverhalten, d. h. Fliehen, Angreifen oder Verstecken. Scham ist universell, aber sowohl die Schamgrenzen als auch der Umgang mit Scham sind individuell und kulturell unterschiedlich. So gibt es auch eine geschlechtsspezifische Unterscheidung: Während Männer sich eher z.B. arrogant geben, ihre Scham auf andere projizieren und andere zwingen sich zu schämen, tendieren Frauen dazu, die Scham gegen sich selbst zu richten, ihr „Licht unter den Scheffel zu stellen“, sich unsichtbar zu machen oder einem Perfektionismus zu verfallen. Scham ist eine Gruppe von Gefühlen, kann verschieden tief und lang erlebt werden. Im Zustand der Scham kreisen wir uns ein; Scham isoliert uns, trennt uns von anderen, unterbricht die Beziehung(en). Solange wir die Scham nicht aufgelöst haben, kann es sein, dass wir sie – wie auch unsere Opferschaft, die sie ausgelöst hat – weiterreichen: innerhalb unserer Familie, möglicher Weise über viele Generationen, aber auch nach außen. Es kann passieren, dass entweder unser ‚Gefäß der Scham‘ überläuft und zu einem Sprung in die Gewalt führt, die uns erträglicher erscheint als unsere Scham, oder dass wir aus zu viel Scham Verhaltensweisen entwickeln, die uns sehr schädigen. Aus diesem Grund ist zu beachten, dass in der Arbeit mit Menschen nicht zu viel Scham auftauchen darf (was allerdings nicht bedeuten soll, dass sie negiert oder ignoriert werden soll). Auf der Makroebene der Gesellschaft sind es Teilgruppen des Gesamtsystems (z. B. im Nationalsozialismus ‚die Juden‘, ‚die Zigeuner‘, etc.), denen die Funktion zugewiesen wird, das Zuviel an Scham innerhalb einer Gesellschaft aufzusaugen. Bei all dem nimmt es nicht Wunder, dass Scham negativ besetzt, tabuisiert ist. In dieser einseitigen Wahrnehmung sieht SM jedoch ein großes Problem, da diese zum Verlust der eigentlichen Aufgabe von Scham führe: der Bewahrung der Würde des Menschen. Indem die Scham uns etwas an uns zeige, was oder wie wir nicht sein wollten, helfe sie uns, unsere Würde aufrecht zu erhalten bzw. sie wieder herzustellen. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass wir der Scham einen Raum zur Verfügung stellen, so dass Anerkennung, Schutz und Integrität und Zugehörigkeit leben können. Darüber hinaus läge in ihr die Chance auf Veränderung von ungerechten, gewalttätigen gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen. Wer sich z. B. seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe schäme, könne seine Scham – anstelle als Makel – als Aufforderung, als Chance verstehen, seine Identität neu zu deuten und zu wandeln. Marks Stephan, Scham - die tabuisierte Emotion. (3. Auflage) Marks Stephan, Die Würde des Menschen oder Der blinde Fleck in unserer Gesellschaft. Roland Kachler weist in seinem Beitrag „‘Dein Tod verwundet mich.‘ Die Arbeit mit traumatischen Verlusten“ auf das Zusammenwirken von Trauma und Trauer / Verlust hin. Insbesonders plötzliche und unerwartete Verluste sowie Verluste, die durch Gewalt entstehen, können ein Trauma verursachen. Für RK hat dies fünf Konsequenzen für die Trauma- und Trauerarbeit zur Folge. Erstens ist zu beachten, dass es nicht immer der Verlust an sich ist, sondern vielmehr der Kontext, in dem der Verlust erfahren wird (z. B. das Miterleben des Todes eines Nahestehenden, das Auffinden des Verstorbenen, die Umstände der Überbringung der Todesnachricht, oder auch vorgestellte Bilder vom Sterben des nahen Menschen), der ein Trauma hervorruft. Häufig sind es gerade diese peritraumatischen Kontexte, die am schmerzhaftesten erlebt werden. Zweitens kann die Paarung von Trauma und Trauer eine doppelte dissoziative Reaktion auf den Verlust und den Schock zur Folge haben, die sich in Erstarrung/Freezing, Derealisation und Depersonalisation, einer veränderten Zeitwahrnehmung und Flashbacks äußern kann. Trauma und Trauer können sich gegenseitig antriggern, verstärken, blockieren oder als internale Retraumatisierung fixieren und eine komplizierte Trauma-Trauer-Folgestörung nach sich ziehen. Dies bedeutet, dass sowohl in der Traumatherapie wie auch in der Trauerbegleitung der jeweils andere Aspekt berücksichtigt werden muss. Darüber hinaus sei in der Trauma-Trauer-Konstellation, so RK, in der Regel von zwei Traumata auszugehen: dem Trauma der verstorbenen und dem Trauma der trauernden Person. Dies erfordere eine zweifache Traumatherapie. Drittens ist es hilfreich, die therapeutische Stabilisierungsarbeit auf fünf Eckpfeiler zu stellen: Herstellung einer äußeren Stabilität (z. B. anhand von Alltagsritualen), Containing (d. h. das Benennen und Aushalten des Schrecklichen des Traumas wie des Untröstlichen des Verlustes), Stärkung der Beziehung zu der verstorbenen Person als heilsame Ressource, Finden eines sicheren heilsamen Ortes für den trauernden Menschen sowie eines bewahrenden heilsamen Ortes für traumatisierende Bilder. Für eine Transformation des zweifachen Traumas ist, viertens, wichtig zu klären, was die Verstorbenen und die Trauernden brauchen. Für die Bergung beider spielen Spiritualität (als etwas Größeres und Umfassenderes, Stärkeres und Haltendes, Weiseres und Heilendes), archetypische Bilder aus dem kollektiven Unbewussten, die Liebe zu der verstorbenen Person, Begleitgestalten und – symbole sowie ein würdiger Abschiedsort und ggf. ein sicherer heilsamer Begegnungsort eine bedeutende Rolle. In Roland Kachlers Hypnosystemischer Trauerarbeit geht es, fünftens, darum, einen sicheren und heilsamen Ort – in der Erinnerung / im Gedenken, in der Transzendenz, oder in Form des eigenen Körpers – zu finden, an dem wir den geliebten Mensch gut aufgehoben wissen und über den wir die innere Beziehung zu ihm weiter leben dürfen. Last but not least betont RK, dass Kinder sowohl anders trauern als auch Traumata anders erleben. Neben ihrer eigenen Trauer um ihren Verlust übernehmen sie zusätzlich die Trauer ihrer Umwelt als auch systemische Trauer. Kachler Roland, Meine Trauer wird dich finden. Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit Kachler Roland, Hypnosystemische Trauerbegleitung. Ein Leitfaden für die Praxis Für Pater Anselm Grün ist es die Verwandlung, die uns heilen kann. Doch, „verwandeln kann sich nur, was ich anschaue, was ich Gott hinhalte“. In seinem Vortrag „Spirituelle Orte der Heilung“ stellt Pater Anselm Grün Jesus als inneren Arzt vor, der uns seine Gleichnisse als Therapiemethode anbietet. Die Heilungsgeschichte des Aussätzigen lehrt uns, dass wer sich nicht selbst annehmen kann, sich auch von anderen ausgesetzt fühlt. So muss sich auch ein traumatisierter Mensch selbst (wieder) annehmen, dass Heilung geschehen kann. Jesus‘ Heilung einer taubstummen Frau erzählt davon, dass Verletzungen uns ‚zu‘ machen, verstummen lassen. Es braucht einen Raum des Vertrauens, in dem nicht bewertet – moralisiert oder pathologisiert – wird, es braucht eine Berührung. Wenn der Traumatisierte selbst kein Gefühl spürt, muss die Therapeutin es stellvertretend ausdrücken, ihm Mut machen, einladen, die eigenen Gefühle anzunehmen. Das Gespräch schafft Gemeinschaft und ist ein wichtiger Ort der Heilung. PAG spricht von der spirituellen Dimension jeder Heilung: sich dem gegenüber öffnen, was größer ist als wir. Aus der Geschichte des Blinden lernen wir, dass wir nicht unsere Augen gegenüber unseren Schattenseiten verschließen dürfen, sondern dass wir uns mit ihnen aussöhnen müssen. Das Gleichnis mit dem Krüppel will uns sagen, dass wer sich hasst (‚Ich entspreche nicht dem Idealbild‘) hässlich wird. Den Kranken heilt Jesus in vier Schritten: er sieht ihn an (= gibt ihm Ansehen), er versteht ihn (= steht vor ihm, steht für ihn ein, steht etwas mit ihm durch), er fragt ihn, ob er gesund werden wolle (= fordert seinen Willen heraus), und er fordert ihn auf, aufzustehen, sein Bett zu nehmen und zu gehen (= seine Hemmungen und Blockaden zu überwinden). Oft, so Pater Anselm Grün, können wir Traumata nicht völlig heilen, sie bleiben dann ein Teil von uns. Aber wir können sie integrieren und uns mit ihnen aufmachen. Das ist im Bildnis des Turms ausgedrückt. Der Turm ist das Bild der Ganzwerdung. Das Material des Turms sind Steine meines Lebens. Sie sind nicht alle ideal, manche sind brüchig (auch meine Wunden gehören zu meiner Geschichte), aber sie bilden meinen Turm. So dürfen wir auch unsere Wurzeln niemals abschneiden; wenn sie vergiftet sind, können wir sie reinigen. Um unseren Turm zu bauen, müssen wir ‚materialgerecht‘ arbeiten, d. h. jede/r von uns muss nachspüren: „Was brauche ich? Was ist mein Material? Wenn wir aus unseren Feinden Freunde machen, müssen wir uns nicht in den Grabenkämpfen selbst verlieren. Ebenso kann Angst zu unserer Freundin werden, da sie uns – wenn wir sie ernst nehmen, anstelle sie unbesehen verscheuchen zu wollen – zeigt, dass wir falsche Grundannahmen haben. Wir müssen gewahr werden, dass wir alle ein verletztes und ein göttliches Kind in uns haben. „Nur was heilig ist, vermag zu heilen.“ Mit Ritualen schaffen wir eine heilige Zeit. Das Gebet ebnet uns einen Weg zu einem inneren Raum der Stille, zu einem Raum unter unseren Verletzungen, in dem wir frei sind von der Macht und den Meinungen der anderen, in dem wir heil und ganz sind, ursprünglich und authentisch, rein und klar. Unser innerster Kern kann auch durch Trauma nicht zerstört werden. Da wo das Geheimnis Gottes in uns wohnt, können wir daheim sein. Das Kreuz ist das Hoffnungsbild, dass alles verwandelt werden kann, es ist das Bild der Auferstehung und der Heilwerdung. Grün Anselm, Jesus als Therapeut. Die heilende Kraft der Gleichnisse Karl-Klaus Madert stellt in seinem Vortrag „Trauma und Spiritualität – Wenn der Lebenssinn erschüttert ist“ vor, wie durch Spiritualität Heilung gelingen kann. In einer traumatisierten Situation sind alle sinnvollen Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Das Ich findet sich nicht mehr zurecht, der Stress wird übergroß und die Welt wird unerträglich wie bei einem Alptraum. Dieser Stress führt zu einer Hirnfunktionsstörung. Die möglichen Folgen: Die Kohärenz des Ich zerbricht (Dissoziation), das Ich schrumpft auf Überlebensmodus, Störung des Raum- und Zeit-Erlebens (‚out-of-body experience‘, Zeitstillstand/raffer/dehnung), Ohnmacht, Reizüberflutung, Integration der Gefühle, Gedanken und Handlungen des Täters in unser Selbst (Täterintrojektion) und Zersplitterung der Ich-Identität (Identitätsdiffusion). Insbesondere im Fall von sexueller Gewalt kann eine Störung der Subjekt-Objekt-Beziehung auftreten. Nach KKM führt ein Gewalterleben allerdings erst durch eine anschließende emotionale Vernachlässigung zu einer Traumafolgestörung. Denn wenn eine Person, an der Gewalt ausgeübt wurde, durch Ruhe und Sicherheit aufgefangen wird, kann Heilung unmittelbar geschehen. Anders jedoch der Verlauf, wenn die Person weiterem Stress, Unruhe, Unverständnis ausgesetzt ist und allein gelassen wird. Ihr Urvertrauen ist durch die erfahrene negative Beziehungserfahrung tiefgreifend erschüttert. Der Lebenssinn wird in Frage gestellt Da die Verletzungen und die Gewalt tief in den Körper eingeprägt sind, muss die Heilung auch über den Körper erfolgen, d. h. ist eine Annäherung über körperbezogene Techniken nötig, rein verbale Ansätze sind hier nicht ausreichend. U. a. ist es wichtig, eine Reinigung und Umstellung des übermäßig reagierenden vegetativen Nervensystems vorzunehmen. Darüber hinaus können spirituelle Erfahrung und Praxis gute Wegbegleiter und Unterstützer (Ressourcen) sein. Allerdings können durch Meditation alte Traumen aus dem Körpergedächtnis reaktiviert werden (deshalb ist Meditation evtl. erst sinnvoll und anzuraten, wenn das Urvertrauen wieder aufgebaut ist). Umgekehrt gehören auch das Wiedererinnern und Wiedererleben aller psychischen und körperlichen Verletzungen zum spirituellen Weg: „Alle spirituellen Wege beginnen im Körper“ (Willigis Jäger). Östliche Traditionen tragen dieser Erkenntnis seit Jahrhunderten Rechnung. Die Hinwendung und Auseinandersetzung mit einer lebenserhaltenden Informationsmatrix jenseits von Raum und Zeit, eines transzendenten ordnend-strukturierenden Informationsprozesses mit eigener Seinsqualität – z. B. symbolisiert als Gott – wirkt als Ressource stabilisierend, gibt Sinn und heilt. „Es gibt keinen Sinn im Leben, außer man lebt es!“ Madert Karl-Klaus, Trauma und Spiritualität – wie Heilung gelingt. In ihrem Beitrag „Aufstehen und heilen – und wer hilft mir dabei? Aspekte einer aus Exerzitien gewachsenen Spiritualität“ weist Elke Rüegger-Haller den Opferbegriff im Zusammenhang von Missbrauch und Trauma zurück, sie spricht von (Missbrauchs-)Überlebenden. Und davon, dass versunkene Verletzungen viel Kraft kosten, uns spalten und lähmen können. Dass wer nicht ‚Ich‘ sagen lernt, auch nicht ‚Nein‘ sagen kann. Dass jemand, wenn es kein ‚Ich‘ gibt, auch unfähig ist, sich für etwas zu entscheiden. Und dass Überlebende auf ihrem Weg der Heilung zu allererst Achtung und Würdigung brauchen. Ihr Heilungsweg gründet sich auf die Ignatianischen Exerzitien, geistliche Übungen, die im 16. Jhd. von Ignatius von Loyola entwickelt wurden. Sie haben die Betrachtung der Evangelien zum Inhalt, wobei es nicht um das Wissen, sondern vielmehr um die Reflektion und eigene Anwendung der Geschichten aus dem Leben Jesu, um das Erspüren der Dinge von innen her geht. Exerzitien werden von diversen Ordensgemeinschaften angeboten, aber wir können sie auch individuell in unseren Alltag integrieren. Hierbei hilft uns eine gewisse Gewöhnung, z. B. an einen bestimmten Ort, an dem wir die Übungen durchführen. Zu Beginn unserer Betrachtungen teilen wir Gott unsere Wünsche mit, um uns für das zu öffnen, was Gott uns geben möchte. Anschließend ‚richten wir den Schauplatz (der gelesenen Geschichten) her‘; dies führt uns in unsere eigene Geschichte. In diesem Dialog zwischen Gott und Mensch kann Heilung erfahren werden. „Den Schöpfer mit dem Geschöpf wirken lassen, und das Geschöpf mit dem Schöpfer“ (Loyola). Heilung, so ERH heißt jedoch nicht, dass nicht möglicher Weise gelegentliche Lähmungen, eine Narbe zurück bleiben können. Aber vielleicht dienen sie als Aufforderung, mit uns selbst liebevoll umzugehen. Rüegger-Halle Elke, Aufstehen und Heilen: Missbrauch und Exerzitien Einen Schlüssel für den Weg „Vom ‚Trauma‘ zum befreiten Leben“ sieht Gunther Schmidt in der Anerkennung der letztendlichen Autorität der traumatisierten Person. Wenn wir als Therapeuten über Menschen reden, führt das zu der Illusion einer Objektivierbarkeit. Natürlich können wir abstrahieren, können Hypothesen bilden, aber wir müssen immer den Einzelfall sehen und offen zuhören. Die ‚autorisierte Autorität‘, so GS, liegt immer beim Klienten! Als Psychotherapeut versteht er sich als ‚Realitätenkellner‘: „Ich kann – in einer fragenden Haltung – ein Menü anbieten, die Auswahl jedoch trifft immer der ‚Gast‘“. Dabei ist nicht entscheidend, dass der Therapeut perfekt ist, sondern dass er ‚er selbst‘ ist, sich einbringt. Eng verknüpft mit der Vorstellung der Objektivierbarkeit ist die durch die Literatur bewirkte stark vertretene Denkweise des ‚Zwangserlebens‘: „Weil ich das und das erlebt habe, muss ich das und das heute erleben“. Aber nach GS gibt keinen Wiederholungszwang, immer nur eine Wiederholungseinladung. Die Vergangenheit bestimmt nie die Wirkung in der Gegenwart, sondern die Bestimmung der Gegenwart bestimmt unseren Umgang mit der Vergangenheit. Unser Erleben steht nie fest, es wird vielmehr in jedem Moment neu hergestellt. Es ist also der Sinn, den wir einem Ereignis geben, unsere Wahrnehmung des Ereignisses, nicht das Ereignis selbst, das etwas in uns auslöst. Nach GS sollten wir eigentlich von Wahrgebung sprechen, da wir im Grunde nur ‚hochrechnen‘, was wir sehen (83% der Nerven, die das Sehen ermöglichen, haben gar keine Verbindung nach außen). Das funktioniert in etwa so: Um jede erlebte Episode, die mit Emotionen besetzt war, bilden sich Netzwerke. Wenn wir uns ‚erinnern‘, bildet eine davon den Hauptfilm. Welche das tut, hängt davon ab, welche Netzwerkelemente gerade in der Gegenwart präsent sind (und an andere anknüpfen). Zur Veranschaulichung erzählt GS folgende Geschichte: Ein Mann verlebt einen wunderschönen, perfekten Tag. Ganz plötzlich überkommt ihn am Abend eine unerklärliche tiefe Traurigkeit und er muss weinen. Später stellt sich heraus, dass im Hintergrund ein Lied erklungen war, das auch während der Beerdigung seines Vaters, die vor Jahren stattgefunden hatte, gespielt worden war. Flashbacks suggerieren, dass „es wieder so ist wie damals“. Denn das Opfer-Ich hat keine Vorstellung von Veränderung. Es hat nur Erinnerung an Opfer-, Leid-, Hilflosigkeitserfahrung: „Mit mir wurde etwas gemacht.“ Doch in der Schilderung eines Problems ist bereits eine Produktion des Problems angelegt. Die Art, wie wir etwas benennen, beschreiben, usw. hat eine große Bedeutung dafür, wie der Körper auf uns reagiert. Genau hier kann die Traumatherapie ansetzen. Durch die Veränderung von nur ein, zwei Elementen im Netzwerk erschließen sich neue Netzwerke. Diesen Mechanismus können wir uns selbstwirksam zu Nutze machen, indem wir die Art der Beschreibung eines Phänomens, die Benennung, die Bewertung, die Erklärung dafür, unsere Schlussfolgerung, unsere SelbstBeziehung, oder den Vergleich mit Anderen verändern. So hat es eine vollkommen unterschiedliche Wirkung, ob wir etwas ‚Verwirrung‘ nennen und eine Ohnmacht, ein Zittern oder die ‚Unfähigkeit sich zu entspannen‘ mit Schwäche assoziieren, oder ob wir die Schlauheit und lösungsorientierte Leistung unseres Körpers erkennen und würdigen, mit der er uns mithilfe dieser Reaktionen in einer bedrohlichen Situation geschützt hat (z. B. vor dem cholerischen, prügelnden Vater). Wenn es gelingt, diese Kompetenzen in der Therapie erspürbar, erlebbar zu machen, können sie unterstützende Netzwerkelemente bilden, die ein anderes Ich entstehen lassen und einen neuen, befreienden Hauptfilm produzieren können. Allerdings kann es für den Therapieverlauf mitunter auch sinnvoll sein, Ambivalenzen stehen zu lassen. Wenn z. B. ein Klient sehr misstrauisch, zittrig o. ä. ist, ist es hilfreich, eine Instanz in ihm misstrauisch, zittrig sein zu lassen. Dies hilft den anderen Instanzen sich zu entspannen und sich dem Therapeuten anzuvertrauen. Eine Möglichkeit dazu ist, den Klienten aufzufordern, immer alles kritisch vom Therapeuten zu hinterfragen. Oder falls sich beispielsweise eine Seite in jemandem immer schuldig spricht und die Person sich nicht davon lösen kann, kann und darf man es ihm vielleicht nicht nehmen, um ihm seine Autonomie zu lassen und darin zu achten. Nicht zuletzt ist es wichtig zu beachten, dass die leidende Seite Angst hat vor einer Lösung im Sinne eines (äußeren) Vergessens des Leids. Zum Wiederherstellen von Würde gehört die Anerkennung des Erlebten. Eine geeignete Methode hierfür sind ‚Mahnmalrituale‘, innerhalb derer den Menschen versichert wird, dass ihres Leids gedacht wird. Um hier den Kreis zum Beitragsanfang zu schließen: In der Klinik von Gunther Schmidt wurden Besprechungen abgeschafft, in denen über KlientInnen in deren Abwesenheit geredet wird. Anstelle dessen finden gemeinsame Gruppengespräche von TherapeutInnen und KlientInnen statt. Zuerst sprechen TherapeutInnen über KlientInnen, dann KlientInnen über TherapeutInnen, zuletzt sagen beide Gruppen, was sie voneinander brauchen. Schmidt Gunther, Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung Hildegard Fuhrbergs Vortrag , „Das verzauberte Reh und die Quantenphysik – Wie soziokulturelle Aspekte in der Traumatherapie sensibel genutzt werden können.“ beginnt mit der Frage: Wer bin ich und wieviele? Das ‚Ich‘ ist Teil des ‚Wir‘, aber eine Beziehung ist mehr als nur ‚Ich‘, auch wenn wir das in Europa – als geistige Kinder der Aufklärung – manchmal vergessen. Aus dem Vergleich mit anderen Kulturen schließt HF, dass es nicht ein Ereignis selbst ist, sondern dessen Rahmen und Kontext, die darüber entscheiden, ob zum einen ein bestimmtes Vorkommnis überhaupt ein Trauma hervorruft, und ob zum anderen ein Trauma aus der Umgebung heraus geheilt werden kann. Zu diesem Kontext gehören die Familie sowie der viel größere soziokulturelle Zusammenhang, in denen eine traumatisierte Person eingebettet ist (z. B. religiös-spirituelle Vorstellungen/Erwartungen der Gemeinschaft, geschlechtsspezifische Botschaften, religiöse Überzeugungen der/des Betroffenen, der Grad an Resilienz, den eine Gruppe ihren Mitgliedern vermittelt, usw.). So gibt es beispielsweise bei den Navajo eine Tradition des Geschichtenerzählens (Geschichten als Angebote für Deutungen), die auf dem Wissen beruht, dass Traumalösung einen sicheren Hafen, eine sichere Gemeinschaft benötigt. Es ist die gesellschaftliche Metapher von der Verzauberung, die traumatisierten Menschen in traditionellen Gesellschaften eine eigene Würde gibt. Dies ist, das lehrt unser eigenes Kulturgut, auch bei uns möglich gewesen. Daran erinnert die Märchenfigur des „verzauberten Rehs“. So werden in manchen Gemeinschaften Kinder bereits auf den Umgang mit Übergriffen und Gewalt vorbereitet. Entsprechend plädiert HF dafür, dass auch wir uns in unserer Gesellschaft an der Bildung von tragenden Gemeinschaften beteiligen. Zur Vorbeugung von Traumatisierung ist es wichtig, in den Kindergärten und Schulen präsent zu sein sowie alle Elemente von Gemeinschaft zu stärken. Im Fall einer stattgefundenen Traumatisierung weist HF auf vier wesentliche Aspekte hin: die Notwendigkeit, soziokulturelle Zusammenhänge zu würdigen, das Bild einer liebevollen Spiritualität (der Vorstellung von einer ‚Gottheit in Windeln‘, d. h. der Blick auf KlientInnen wie auch auf sich selbst als Therapeut/in als Kinder Gottes), die Berücksichtigung einer spirituelle Deutung der/s Therapeut/in, und das Verständnis, dass das Trauma eine irrationale Erfahrung ist und seine Wahrheit deshalb narrativ sein muss. Wie bereits einige ihrer Vorredner/innen unterstreicht HF die Heilkraft des Rituals, durch das wir eine Rückbindung (‚religio‘) zu der Vollkommenheit unseres Ursprungs erfahren können. Und das uns wieder mit der Gemeinschaft der Menschen verbinden kann, aus der wir durch das Trauma herausgefallen sind. Nicht zuletzt weist sie auf die Möglichkeit hin, einem Traumata einem Sinn zu geben. So kann sich beispielsweise eine Person mit einer bestimmten Erfahrung entscheiden, Sprecher/in von Menschen zu werden, die alle Ähnliches erlebt haben. Das aber verlangt von allen betreuenden Therapeuten und Therapeutinnen die Zuversicht in die Stärken ihrer Klienten, egal welches Grauen diese erlebt haben. Wer beobachtet, beeinflusst auch gleichzeitig. Diese Erkenntnis der Quantenphysik hat weitreichende Folgen für den Blick auf Klienten. „Methoden“ sind hier nicht mehr ausreichend. Ein spirituelles Menschenbild der Therapeut/inn/en selbst, ist so gesehen eine Basisqualifikation für die Arbeit mit traumatisierten Menschen. Perry Bruce D., Der Junge der wie ein Hund gehalten wurde“ Holzner Steven, „Quantenphysik für Dummies“ Hunter Beaumont setzt sich in seinem Beitrag mit der Frage „Wie wirkt sich Gewalt in der Seele aus … und wie können seelische Wunden überwunden werden?“ auseinander. So wie der Begriff ‚Trauma‘ in den 60er Jahren wenig psychologische Anwendung fand und erst die allmähliche Entwicklung des Konzepts ‚Trauma‘ eine andere Wahrnehmung ermöglichte, so verhält es sich nach Hunter Beaumont auch mit der Seele. Seit die Psychotherapie den Begriff in einem phänomenologischen Verständnis wieder brauchbar gemacht hat, haben sich uns Möglichkeiten aufgetan, uns Erfahrungen anzunähern, die mit den bisherigen Begriffen und Konzepten der Psychotherapie nicht erfassbar waren. In der Frage danach, was etwas mit unserer Seele macht, sieht Hunter Beaumont einen Paradigmenwechsel. Aus (s)einer phänomenologischen Sicht sind Körper, Geist und Seele ein Ganzes und dürfen nicht getrennt werden. Körper und Denken können beseelt sein. Dafür ist Anselm Grün ein gutes Beispiel. Wenn wir auf die Seele schauen, verändern sich Zeit- und Raumempfinden. Vergangenheit und Gegenwart gehen ineinander über. Die Seele kann sich an etwas erinnern, was sie noch nie erlebt hat. Hoffnung, zum Beispiel, kann als Erinnerung an eine Zukunft verstanden werden – die mögliche Zukunft wirkt bereits auf die Gegenwart. Auch Raum ist in der seelischen Dimension anders erspürbar; in ihr gibt es keine klare Abgrenzung zwischen ‚Mir‘ und ‚Dir‘. Diese Erfahrung haben wir vielleicht schon einmal gemacht mit einem/r LiebespartnerIn oder als Eltern gegenüber unserem Baby. Und wenn ein geliebter Mensch stirbt, reißt etwas in unserer Seele. In Fällen wie Inzest können sich die Seelen von Opfer und Täter auf eine komplexe Weise verbinden. Wenn eine Bindung zwischen Opfer und Täter tatsachlich stattgefunden hat, dann braucht die Aufarbeitung von Inzest auch eine Aufarbeitung der Bindung. Wenn Opfer selbst später Täter werden bestätigen sie die Bindung mit dem Täter. In seinem Buch ‚A General Theory of Love‘ spricht Thomas Lewis von der ‚limbischen Resonanz‘, die es uns möglich macht zu erkennen, was unser Gegenüber braucht. Dass die Seele hochempfindlich auf Resonanz reagiert, kann auch eine Wirkung in der Therapie haben: auch ein/e Klient/in spürt, was ihre Therapeut/in braucht; der eine/n Klient/in mag es ihr gelingen ihre Autonomie zu wahren, aber die andere wird die Therapeutin in deren Bedürfnissen ‚bedienen‘. Es ist eine große Errungenschaft, wenn TherapeutInnen mit ‚absichtsloser Absicht‘ in der Situation sein können. Dies setzt eine Haltung der Offenheit und Neugierde der Seele voraus hinsichtlich der Fragen ‚Was ist? Wohin soll es gehen?‘, hilft (oftmals falsche) Annahmen in Frage zu stellen. Unsere Seele, die in ihrem Naturzustand offen, neugierig und radikal ehrlich ist, ist gleichzeitig hochsensibel, anpassungsfähig und radikal umformbar. Im Falle einer Traumatisierung kann sie sich zurückziehen, betäuben, spalten, weigern ein kohärentes Ich zu bilden, sich verdichten. Physische Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir finden seelische Gewalt auch in der Sprache, in unserem Tonfall und unseren Gesten. Wenn wir als Beispiel die Sprache der christlichen Religion nehmen: Wo bleiben, wenn von Vater, Sohn und Heiliger Geist gesprochen wird, da die Mutter, die Tochter, die Leiblichkeit, die Seele? Diese Sprachwendungen bewirken eine implizite Abwertung des Weiblichen. Auch wenn wir in der Psychotherapie sagen „Er braucht ‘nur’ Anerkennung“, ist das abwertend. Erkannt zu werden ist etwas anderes: die Seele möchte gesehen, erkannt werden. Wir finden Gewalt in Ideen und Ideologien, die die wahre Natur der Seele verstellen (gut veranschaulicht in dem Film ‚Das weiße Band‘). Wir finden sie jedes Mal, wenn wir auf unser ‚Ich habe Recht‘ pochen und dabei unsere Seele und die des Anderen missachten, wenn wir bereit sind, Anderen im Namen des ‚Rechts‘ oder unseres Anrechts auf etwas Gewalt anzutun. Nicht der Mensch, sondern die Ideologie, der Fundamentalismus sind der Feind, der unsere Seelen einengt. Die Gewalt von Frauen äußert sich häufig anders als die der Männer. Die letztere ist zumeist offener und grober, die der Frauen verdeckter, subtiler. In einer Lehrgeschichte verdeutlicht HB, dass ein Ereignis allein nicht die Ursache eines Traumas ist. Erst wenn dieses Ereignis auf einen Mangel an Erfahrung und Vorbereitung trifft, ein lebensbedrohliches Ereignis bewältigen zu können, besteht die Gefahr einer Traumatisierung. HB veranschaulicht diesen Zusammenhang an der folgenden Geschichte: Zwei Skifahrer stehen am Berg und blicken auf die schwarze Piste unter ihnen. Der erste von ihnen freut sich und fährt ohne Zögern jodelnd den Hang hinab. Der zweite erstarrt vor Schreck und muss von der Bergwacht nach unten transportiert werden. Beide waren mit unterschiedlichen Voraussetzungen an der Bergstation ausgestiegen: der erste ist ein erfahrener Skifahrer, der zweite ein Anfänger, der versehentlich in die falsche Gondel eingestiegen war. Die Bewältigung der Piste hängt von der Skifahrerfahrung ab. Wie im Fall des zweiten Skifahrers waren/sind Menschen, die traumatisiert sind, mit Umständen konfrontiert, die sie überfordert, d. h. ihre Kapazitäten des Selbstschutzes überstiegen haben. Beaumont Hunter, Auf die Seele schauen: Spirituelle Psychotherapie Thomas Lewis, A General Theory of Love Nach Michael Tischinger hat „Die Kunst der Vergebung“ etwas mit Lebenskunst zu tun. Der Prozess der Vergebung beginnt in unseren Herzen. Es ist nur möglich anderen zu vergeben, wenn wir uns selbst vergeben haben. Wir müssen uns selbst gut sein können, JA zu uns sagen können, barmherzig mit eigenem Versagen sein, in Berührung mit uns selbst sein. Ansonsten bleiben wir im ‚Opferland‘, in einem Zustand der Selbstaufgabe. Opferland ist ein ‚way of life‘ (d. h., man wird zwar immer herumchauffiert, aber ChauffeurInnen haben schlechte Ohren und fahren selten dahin, wo wir hinwollen). Kleists Michael Kohlhaas zeigt, dass Rache kein Weg ist in ein neues Leben. Ohne Vergebung verbleiben wir in der Macht der Täter. ‚Marker‘, die uns darauf hinweisen, dass wir nicht vergeben haben, sind Groll, Verletztheit, Feindseligkeit, Enttäuschung und Bitterkeit (die sich nach Michael Linden zu einer posttraumatischen Verbitterungserlebensstörung ausweiten kann). Groll heißt im Englischen ‚re-sent-ment‘, das bedeutet ‚Wiedererleben‘. Vergebung, die sich bereits im Neuen Testament als Bewältigungsstrategie findet, ist mitnichten die Entbindung des Täters von seinen Taten, sondern ein Loslassen des Täters. Das heißt, was passiert ist, kann noch immer wehtun, aber der Täter hindert mich nicht mehr am Weiterleben. Das bedeutet in erster Linie, dass „das Geschenk der eigenen Vergebung“ Ressourcen in uns freisetzt. Dies ermöglicht uns, ‚Neusehland‘ (Walter Lechler) zu betreten, den Reigen ‚Opfer → Täter / Täter → Opfer‘ zu durchbrechen. Und, nach neueren Erkenntnissen führt Vergebung auch zu körperlichen Veränderungen (‚Vergebungssyndrom‘). Der Schlüssel zur Vergebung liegt, wie schon gesagt, darin, sich selbst vergeben zu können, und in der Empathie, die daraus entsteht. Die Meditation der 5 Segenswünsche kann ein hilfreiches Mittel für unsere Übung in liebender Güte darstellen. Wir sprechen sie für uns selbst und für andere: Möge ich glücklich sein. Möge ich gesund sein. Möge ich sicher sein. Möge ich friedvoll sein. Möge ich mich liebevoll um mich selbst kümmern. Wer hier angekommen ist, hat bereits ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Denn Vergebung kann, wie uns die Spiegelneuronen lehren – die nicht feuern, wenn sie unter Stress stehen –, nicht am Anfang eines Prozesses stehen. Michael Tischinger zusammengefasst: hat seinen Vortrag nochmal in wenigen Leitsätzen Die Kunst der Vergebung Die Kunst zu Vergeben, ermöglicht uns mit Verwundungen, Verletzungen umzugehen, ohne uns dauerhaft in eine Opferrolle zu verstricken. Das Thema Vergebung hat zunächst mit uns selbst zu tun. Der Prozess der Vergebung beginnt in unserem eigenen Herzen. Er hat zunächst wenig mit anderen zu tun. Es ist leicht, anderen zu vergeben, wenn wir bereits uns selbst vergeben haben. Andererseits ist es schwierig, ja unmöglich, anderen zu vergeben, wenn wir uns selbst nicht vergeben können. Sich zu vergeben heißt, mit den Mechanismen der Selbstverurteilung und der Selbstzerstörung Schluss zu machen. Mit mir innerlich ausgesöhnt zu sein, bedeutet ganz bei mir selbst zu sein. In Berührung mit mir selbst zu sein, zu meinem Weg, meiner Geschichte, meinem Gewordensein, meinem Sosein Ja zu sagen. Vergebung ermöglicht eine Transformation von als negativ erlebten Gefühlen wie Groll, Hass in angenehme Gefühle, wie Mitgefühl und innerem Zufriedensein. Vergebung ist nicht ein einmaliger Akt, sondern ein fortwährender Prozess, wobei die innere Erfahrung (emotionale Vergebung) von einem interpersonellen Kontext unterschieden werden muss. Die Erfahrung selbst Vergebung geschenkt bekommen zu haben, ist wie eine Ressource, die es uns ermöglicht, auch anderen zu vergeben. Auf Dauer angelegte zwischenmenschliche Beziehungen sind davon abhängig, dass es uns immer wieder gelingt, uns gegenseitig das Geschenk der Vergebung zuzusprechen. So ist beispielsweise eine glückliche Ehe die Verbindung von zwei großen Vergebern. für uns Nina Engelhards und Corinna Knauer Performance haben uns eine Idee gegeben, wie uns – Betroffenen, TherapeutInnen und der Gesellschaft an sich – visuelle und akustische Darstellungen einen Sinneszugang zum Thema Trauma ermöglichen können, den der Intellekt uns manchmal verwehrt. Und in Carien Wijnens gemeinschaftlichem Singen und Tanzen konnten wir die heilwerdende Kraft der Stimme, des Gesangs und des Tönens, der Bewegung und der Gemeinschaft erahnen. Auch wenn diese körperbetonten Therapieansätze nur einen verhältnismäßig kleinen Raum innerhalb des Kongresses einnahmen, bleiben sie doch in ihrem kraft- und heilvollen Potenzial eindrucksvoll in Erinnerung. Claire und Alfred Meier haben uns an beiden Morgen mit Geschichten und Gedichten voller Weisheit auf den neuen Kongresstag eingestimmt. Geschichten und Gedichte zu kürzen nimmt ihnen die Tiefe ihrer Einsichten, deshalb sei hier darauf verzichtet. Doch zwei Auszüge – aus der Geschichte der mit der Frau von Ammersforth und Thomas sowie aus einem Gedicht von Hilde Domin seien gewagt, da sie zwei der mehrfach in den drei Kongresstagen angeklungenen zentralen Ziele von Traumaarbeit auf den Punkt zu bringen scheinen. In der Geschichte von der ‚Dorfhexe‘ Frau von Ammersforth fragt die alte Frau den Jungen: „Weißt Du, wo das Glück anfängt?“ Die Antwort darauf lautet: „Wenn Du keine Angst mehr hast!“ „… Und daß wir aus der Flut, daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.“ (Hilde Domin, Auszug aus dem Gedicht „Bitte“)