Autonome Szene im Freistaat Sachsen

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Autonome Szene im Freistaat Sachsen
Autonome Szene
im Freistaat Sachsen
Vorwort
Das Personenpotenzial im gewaltbereiten Linksextremismus ist in den letzten Jahren bundesweit
deutlich angewachsen, auf zuletzt ca. 6.600 Personen. Sprunghaft gestiegen sind im Jahr 2009
auch die Gewalttaten mit linksextremistischem
Hintergrund: um über 59 % auf 1.115 Fälle.
Von dieser Entwicklung war auch der Freistaat
Sachsen betroffen, der sich zu einem wichtigen
Aktionsraum der Autonomen entwickelt hat. Schon
2008 wurden hier – nach Hamburg – die meisten
linksextremistischen Gewalttaten pro 100.000
Einwohner registriert. Im Jahr 2009 stieg die Anzahl der Gewalttaten mit linksextremistischem
Hintergrund im Freistaat weiter.
Gestiegen ist seit dem Jahr 2004 auch die Anzahl
der Autonomen im Freistaat. Aktive autonome Szenen gibt es in den großen Städten Dresden und
Leipzig. Zunehmend entwickelten sich in den
letzten Jahren wieder Kleingruppen in ländlichen
Regionen. Diese entfalten allerdings kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Sie unterstützen überwiegend Aktivitäten in den autonomen
Zentren.
In Sachsen findet auch ein Großereignis mit Bedeutung für die bundesweite autonome Szene
statt: die Proteste gegen den alljährlichen Aufzug
der rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang mit dem Jahrestag der alliierten Luftangriffe am 13. Februar in Dresden.
Bundesweite Aktionsbündnisse Autonomer bestimmen zunehmend die Mobilisierung nach Dresden
und suchen ein organisiertes Zusammenwirken
mit nicht extremistischen Bündnissen.
Diese Entwicklungen sind der Anlass für die Neuauflage der vorliegenden Broschüre. Mit ihr soll
über die Entstehung und das Selbstverständnis
der Autonomen, deren Aktionsfelder und -formen
sowie über deren Potenzial im Freistaat Sachsen
berichtet werden.
Reinhard Boos
Präsident
Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen
|1
Inhaltsverzeichnis
1.
1.1
1.2
Entstehung und Selbstverständnis der Autonomen
Entstehung
Selbstverständnis und linksextremistische Ideologie
2.
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.2
Aktionsfelder und -formen
Aktionsfelder
„Antifaschismuskampf“
„Kampf um selbstverwaltete Freiräume“
„Antirepression“
„Antiglobalisierungsbewegung“
„Antimilitarismus“
Aktionsformen
10
10
10
13
14
15
17
18
3.
3.1
3.2
Informations- und Kommunikationsmittel der Autonomen
Internet
Szenezeitschriften
22
22
23
4.
4.1
4.2
Potenzial und Struktur der autonomen Szene im Freistaat Sachsen
Potenzial
Zentren der sächsischen autonomen Szene
26
26
27
5.
Straf- und Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund im Freistaat Sachsen 35
6.
Ausblick
38
7.
Stichwortverzeichnis
40
2|
3
3
5
1. Entstehung und Selbstverständnis
der Autonomen
1.1
Entstehung
Der als Selbstbezeichnung gewählte Begriff Autonome lässt sich von der 1968/69 im Nordwesten
Italiens entstandenen politischen Organisation
„Autonomia Operaia“ („Arbeiterautonomie“) ableiten. Diese im erklärten Gegensatz zu den etablierten Gewerkschaften und der „Kommunistischen Partei“ entstandene militante Bewegung
führte u. a. gewalttätig verlaufende Demonstrationen und Sabotageaktionen in Fabriken durch.
In Deutschland reichen die Wurzeln der heutigen
autonomen Szene bis in die studentische Protestbewegung Ende der 1960er Jahre zurück. Nach
deren Zerfall entwickelte sich auf der Grundlage
von übernommenen alternativen Ideen, Entwürfen und Projekten neben politisch-extremistischen und eher alternativen Bestrebungen eine
„nicht organisierte militante“ Strömung heraus,
deren Ziel in der Verwirklichung eines eigenen,
selbst bestimmten politischen Alltagsverhaltens
und in der Entwicklung einer eigenen militanten
Subkultur bestand. In der Öffentlichkeit stieß
diese Strömung zunächst nur auf geringe Reso1
nanz. Erst als sich Ende der 1970er Jahre unter
dem Einfluss militanter Auseinandersetzungen in
Norditalien in der „Neuen Linken“ 1 Tendenzen
zeigten, die jegliche dogmatische Position ablehnten, entwickelte sich ein politisches Spektrum: die so genannte „Sponti-Bewegung“. Diese
Bewegung trat für Autonomie, Selbstorganisation der „Unterdrückten“ und mehr Spontanität bei
politischen Aktionen ein. Sie war durch ein vielschichtiges, in sich oft widersprüchliches Aus-
Die „Neue Linke“ entstand in der Zeit der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) Ende der 1960er Jahre in Ablehnung der orthodox-kommunistischen Positionen des von der „Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ (KPdSU) verbindlich vorgegebenen Marxismus-Leninismus. Zu den „Neuen
Linken“ werden linksextremistische Richtungen wie Trotzkismus, Maoismus sowie Anarchismus und autonome Ansätze gerechnet. Der Zusammenbruch des Ostblocks und das Scheitern des „real existierenden Sozialismus“ in der ehemaligen DDR haben zu einem weitgehenden Verschwimmen der
Abgrenzung zwischen ehemals Moskauorientierten und anderen Linksextremisten geführt.
|3
druckspotenzial gegen die „bürgerlichen Normen“ gekennzeichnet. Charakteristisch für die so
genannten „Spontis“ war zudem ihre Organisationsfeindlichkeit – auch eine Reaktion auf marxistisch-leninistische Kaderorganisationen und
deren starre Organisationsprinzipien.
Ab 1980 entwickelte sich das Engagement an der
„Basis“ zu einer neuen Form des Protestes. In
zahlreichen Städten begannen Gruppen, die sich
selbst als „autonom“ definierten, mit gewalttätigen Aktionen neue „Freiräume“ zu erkämpfen,
um die vermeintlich verlorene Handlungsfähigkeit zurückzuerobern. Sie propagierten Hausbesetzungen nicht nur als „Möglichkeiten alternativen Lebens und Wohnens“, sondern auch als
„politische Basis im Kampf gegen diesen Staat“.
Gleichzeitig suchten sie die offene Auseinandersetzung mit dem „staatlichen Gewaltapparat“.
Stark kampagnenfixiert, orientierten sich die Autonomen dabei an den in diesem Zeitraum aktuellen Konfliktfeldern, wie den Protesten gegen die
Nutzung der Kernenergie oder gegen die Startbahn West in Frankfurt/Main (Hessen).
Nach der Wiedervereinigung stieg die Zahl der
Autonomen in Deutschland stark an. Wurden der
Szene im Jahr 1989 etwa 2.100 Personen zugerechnet, gehörten ihr Mitte der 1990er Jahre
bundesweit bereits etwa 5.000 Personen an. Die
Gründe dafür waren vielschichtig. Wesentlich
dazu beigetragen hatte der so genannte „Antifaschistische Kampf“, der sich insbesondere seit
Anfang der 1990er Jahre im Rahmen des aufkeimenden Rechtsextremismus als Aktions- und
Agitationsthema äußerst mobilisierend auswirkte.
2
Innerhalb der autonomen Szene verstärkte sich
in dieser Zeit die Kritik an ihrem meist nur kurzfristigen Reagieren auf aktuelle Anlässe. Auch
wurde die Unverbindlichkeit autonomer Strukturen bemängelt. In der Folge ergaben sich nach
intensiven Diskussionen mehrere unterschiedliche Ansätze, innerhalb der autonomen Szene
Organisierungsmodelle zu erproben. Der seitdem
bedeutendste Organisierungsansatz, die im Sommer 1992 gegründete A ntifAschistische orgAnisAtion / B undesweite o rgAnisAtion (AA/BO), verstand
sich als Sammelbewegung und Gegenpol zur Zersplitterung der autonomen Szene. Bis zu ihrer
Auflösung im Jahr 2001 gehörten der AA/BO
zeitweise auch autonome Gruppen aus Dresden,
Plauen (Vogtlandkreis) und Leipzig an. Zwar bekräftigten Teile der autonomen Szene auch nach
der Auflösung der AA/BO die Notwendigkeit einer
überregionalen Vernetzung. Der Aufbau verbindlicher Strukturen scheiterte jedoch zunächst an
der Konzeptionslosigkeit, mangelndem Interesse,
personellen Schwächen und nicht zuletzt auf
Grund gegensätzlicher Standpunkte bei der Bewertung des Nahost-Konfliktes2. Einen erneuten
Versuch, eine bundesweite und überregionale Vernetzungsbestrebungen hinausgehende organisatorische und inhaltliche Erneuerung der linksextremistischen Szene zu erreichen, stellt die Ende
2005 gegründete Interventionistische L inke (IL) dar.
Der IL gehören neben Gruppierungen des militanten autonomen / antiimperialistischen Spektrums
auch revolutionär-marxistische Organisationen
sowie zum Teil langjährig aktive, nicht ausschließlich linksextremistische Einzelpersonen an.
Sächsische Gruppierungen sind in diesem Zusammenschluss bislang nicht vertreten.
Hintergründe zu den gegensätzlichen Standpunkten bei der Bewertung des Nahost-Konfliktes siehe Exkurs: „Antideutsche“ und antiimperialistische
Autonome.
4|
1.2
Selbstverständnis und linksextremistische Ideologie
„Die Unterschiede in dem, was sich heute
als autonom bezeichnet, sind vermutlich
meist größer als die Gemeinsamkeiten. Die
offensichtlichsten Elemente sind sicher
erstmal schwarze Klamotten und ein positives Verständnis von Militanz. Doch es ist
klar, dass dies als Klammer keinesfalls ausreicht. Eine Selbstdefinition über ein austauschbares Outfit als Ausdruck eines linken Jugendstils kann durchaus auch als
rechter oder unpolitischer Style umcodiert
werden, wenn eine weitergehende inhaltliche Bestimmung fehlt. Irgendwie linksradikal und undogmatisch, gegen hierarchische
Organisierungsansätze. (...) Aber wo liegen
sie nun, die inhaltlichen Eckpunkte, wenn
wir uns als einen Teil autonomer Bewegungen begreifen?“ 3
nutzen sie insbesondere die „Freiräume“, die ihnen besetzte Häuser oder selbst verwaltete Projekte bieten.
Autonome zielen – wie alle Linksextremisten – im
Kern auf die Überwindung des „herrschenden
Systems“. So heißt es in einem im Oktober 2009
veröffentlichten Papier der autonomen A ntirepressionsgruppe h AmBurg:
Mit diesem, von den Organisatoren eines „Autonomen-Kongresses“ in Hamburg im Herbst 2009
stammenden Zitat wird das Dilemma deutlich, in
dem sich Autonome selbst sehen.
A utonome verfolgen kein einheitliches ideologisches oder strategisches Konzept. Ihr Selbstverständnis ist vielmehr von Anti-Haltungen geprägt
(„antifaschistisch“, „antikapitalistisch“, „antisexistisch“ etc.). Dabei orientieren sie sich oftmals
an diffusen anarchistischen oder kommunistischen Ideologiefragmenten. Autonome sehen sich
in einer Opposition zum „System“ und streben
nach einem hierarchiefreien, selbstbestimmten
Leben innerhalb „herrschaftsfreier Räume“ („Autonomie“). Zur Umsetzung ihrer Vorstellungen
„für was stehen wir? Für die nichtanerkennung des staatlichen gewaltmonopols, für
die perspektive eines revolutionären umsturzes, für permanente revolte im herrschenden system, wir haben uns entschieden politik zu machen und widerstand
gegen das herrschende system praktisch
werden zu lassen, um diesen staat anzugreifen und zu kippen. (…) natürlich verstossen
wir reihenweise und ganz zwangsläufig gegen ihre regeln, es geht darum den weg zu
schaffen für eine militante bewegung und
der kampf um freiheit ist nach rechtstaatlichen regeln nicht zu haben, weder hier,
noch im internationalen rahmen.“ 4
3
Beitrag vom 15. Juni 2009 auf der Internetseite zur Vorbereitung des „Autonomen-Kongresses“.
4
INTERIM Nr. 699 vom 6. November 20009, S. 11. Schreibweise wie im Original.
|5
Exkurs: „Antideutsche“ und antiimperialistische Autonome
Innerhalb der autonomen Szene gibt es ideologische Gegensätze zwischen den antideutsch
eingestellten Gruppierungen auf der einen Seite und den antiimperialistisch ausgerichteten
auf der anderen Seite.
Demonstration am 7. April 2010 in Brandis (Landkreis
Leipzig).
Foto: Internetseite INDYMEDIA.
Antiimperialisten wenden sich gegen eine Politik, die auf eine Einflusserweiterung über das
eigene Staatsgebiet hinaus gerichtet ist, d. h.
gegen eine Ausweitung politischer, wirtschaftlicher, militärischer und/oder kultureller Einflussbereiche auf Kosten anderer Staaten.
Insbesondere den kapitalistischen Staaten wird
unterstellt, dass ihnen das Streben nach Hegemonie innewohnt und damit ständige Ursache
für imperialistische Kriege sei. Antiimperialisten erklären sich daher solidarisch mit den
Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Die
Ansicht der antiimperialistisch eingestellten
Gruppierungen, wonach Israel als kapitalistische und imperialistische Besatzungsmacht
zum Nachteil des palästinensischen Volkes
handelt, wird hingegen von den „Antideutschen“ als antizionistisch und antisemitisch
verurteilt.
6|
Zu der Bezeichnung als antideutsche Richtung
führte die Ablehnung der deutschen Nation
und der deutschen Einheit. Dem deutschen
Volk wird durch diesen Teil der autonomen
Szene ein latentes Großmachtstreben unterstellt, das zwangsläufig zu Konflikten mit anderen Staaten und zur Unterdrückung anderer
führen würde. Antideutsch eingestellte Auto nome befürchten ein Viertes Reich und die Wiederholung der Geschichte.
Die Besonderheit der antideutschen Positionierung ist zudem eine klare pro-israelische
und pro-amerikanische Haltung, die den antiimperialistisch eingestellten Autonomen fremd
ist. Der während der Zeit des Nationalsozialismus begangene Holocaust begründet für die
„Antideutschen“ eine Denkweise, nach der bis
zur weltweiten Überwindung des Antisemitismus Israel als einziger Staat eine Existenzberechtigung habe.
In Sachsen – und dieser Umstand stellt eine
Besonderheit dar – ist der überwiegende Teil
der autonomen Szene antideutsch ausgerichtet. Die Koexistenz von zwei unterschiedlichen
Strömungen innerhalb der Dresdner autonomen Szene spiegelte sich im Entstehen zweier
Vorbereitungskreise für die Aktivitäten anlässlich des Jahrestages der alliierten Luftangriffe
auf Dresden am 13. Februar 2009 wider. Während der eine Vorbereitungskreis in der Tradition der letzten Jahre einen antideutschen Mobilisierungsansatz verfolgte, distanzierten sich
die Autonomen im anderen Vorbereitungskreis
ausdrücklich von antideutschen Begründungsund Verhaltensmustern. Der Vorbereitungskreis
„Keine Versöhnung mit Deutschland“ befasst
sich anlässlich der Jahrestage der alliierten
Luftangriffe mit dem Thema „Geschichtsrevisionismus“, das charakteristisch für die
antideutsche Richtung ist. An einem Aufzug
„Keine Versöhnung mit Deutschland“ beteiligten sich am 12. Februar 2010 in Dresden
etwa 900 Personen, darunter Autonome . Mit
Transparenten forderten sie u.a. „Keine Versöhnung mit Deutschland Gegen jeden Geschichtsrevisionismus“ und „destroy the
spirit of Dresden“. In dem während der Demonstration gehaltenen Redebeitrag der Autonomen A ntifA (F) aus Frankfurt/Main (Hessen)
hieß es u. a., dass das „bürgerliche Betrauern
alliierter Bomben“ für eine „populäre Umdeutung der Geschichte mit nationalistischem
Mehrwert für Deutschland“ stehe. In dem
Demonstrationsaufruf „Keine Versöhnung
mit Deutschland! Deutsche Täter_innen sind
keine Opfer. Gegen jeden Geschichtsrevisionismus“ hatte der Vorbereitungskreis „Keine
Versöhnung mit Deutschland“ das „bürgerliche Gedenken“ am 13. Februar als „geschichtsrevisionistisch“ und als „Relativierung deutscher Schuld“, das sich in seiner
Grundaussage nicht von dem der „Nazis“ unterscheide, bezeichnet. „Der Fokus linksradikaler Aktivitäten“ müsse sich daher am 13.
Februar auch auf das „städtische Gedenken“
richten.
Das Gewaltverständnis der Autonomen
Gewaltbereitschaft und -tätigkeit gelten Autono men nicht nur als Ausdruck legitimer Einstellung,
sondern als immanentes und selbstverständliches Element der eigenen Identität:
„Militanz ist in unseren Augen notwendiger
Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im
allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferischen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Gewalt.“ 5
Die L eipziger A ntifA (L e A) schrieb im Jahr 2008:
„Gewaltaffinität und die Erwägung ‚militanter’
Mittel“ zählten zum „festen Repertoire aller ExtremistInnen“. Daher sei das Thema Militanz eines
der bedeutendsten der gesamten „radikalen Linken“. 6
Ausschreitungen A utonomer am 26. September 2000 in
Prag.
Foto: picture alliance.
Das Gewaltmonopol des Staates wird von Auto nomen nicht akzeptiert, sondern bewusst in Frage
gestellt. Autonome betrachten Gewalt als Mittel
der Auseinandersetzung mit dem politischen
Gegner und zur Durchsetzung ihrer politischen
Forderungen. Gewaltanwendung propagieren
Autonome insbesondere in ihrem „Kampf“ gegen
Rechtsextremisten. So schreibt eine Szeneangehörige in der Broschüre FIGHT BACK:
5
„A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren“, Berlin 2003, S. 380.
6
Beitrag „Militanz ohne Mythen – wieso der Streit um das politische Element im Militanzbegriff so wichtig ist“. Aus: PHASE 2 vom Dezember 2008, S. 62ff.
|7
„(…) unsere Aktionsformen werden nach
ihrer Effektivität gewählt und weniger nach
dem rechtlichen Rahmen. Wir finden es gerechtfertigt, sich Neonazis in den Weg zu
stellen, ob es nun erlaubt ist oder nicht. So
sehen wir auch Militanz als berechtigtes
Mittel an. Es wird dadurch bewusst das
staatliche Gewaltmonopol und auch die
ideologische Deutungshoheit, was legitime
(Staats-)Gewalt und was ‚kriminell’ ist, in
Frage gestellt. (…) Wenn also Neonaziaufmärsche militant verhindert werden, direkte Angriffe auf Neonazis und ihre Strukturen stattfinden oder wir eine Abschiebung
blockieren, so wird damit dem Staat symbolisch die alleinige Entscheidungsgewalt
abgesprochen, ihm das ‚letzte Wort’ entzogen.“ 7
Rund zwei Drittel aller linksextremistischen Gewalttaten in Sachsen wurden 2009 im Zusammenhang mit Demonstrationen begangen. Dabei
richteten sich die Gewalttaten sowohl gegen die
Teilnehmer rechtsextremistischer Demonstrationen als auch gegen die eingesetzten Polizeikräfte.
So kam es im Rahmen des Demonstrationsgeschehens anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens am 14. Februar 2009 zu einer
Reihe von Gewalttaten gegen die eingesetzten
Polizeibeamten. Insgesamt wurden am 14. Februar 56 Beamte verletzt und mehrere Einsatzfahrzeuge beschädigt.
Von den insgesamt 89 linksextremistischen Gewalttaten richteten sich im Jahr 2009 in Sachsen
40 gegen den politischen Gegner. Exemplarisch
dafür stehen folgende Beispiele:
Am 1. Juni 2009 wurden in Leipzig rund ein
Dutzend Wahlhelfer der NAtionALdemokrAtischen
PArtei DeutschLAnds (NPD) beim Anbringen von
Wahlplakaten durch ca. 20 bis 40 Personen
mit Flaschenwürfen tätlich angegriffen. Einem Geschädigten, der in sein Auto geflüchtet war, wurden Heckscheibe und die Scheibe
der Fahrertür eingeschlagen, außerdem wurde
ihm mit einem spitzen Gegenstand in den Rücken gestochen. Einem weiteren Geschädigten
wurde eine Holzlatte in den Rücken geschlagen.
Am 8. August 2009 griffen mehrere Personen
in Rochlitz (Landkreis Mittelsachsen) mit
Holzknüppeln zwei Wahlhelfer der NPD beim
Aufhängen von Wahlplakaten an. Anschließend wurden an deren Fahrzeug Front- und
Seitenscheibe sowie die Rückleuchten zerschlagen.
Gewalt wird zudem als ein Rekrutierungsfaktor
für anpolitisierte und „erlebnisorientierte“ Jugendliche gesehen:
„Militanz und Randale waren schon immer
die Gründe, warum sich Leute zu den Autonomen hingezogen gefühlt haben. Um als
Autonome mehr und wahrnehmbarer zu
werden, brauchen wir mehr militante Aktionen, mehr Randgelegenheiten – der Rest
kommt dann schon von selber.“ 8
Die Befürwortung von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner
oder der Polizei steht im klaren Gegensatz zu
dem Gewaltmonopol des Staates und dem
7
Broschüre FIGHT BACK vom Mai 2009, S. 74.
8
Beitrag der „Anonymen Autonomen Berlin“: „Evergreens in den Organisationsdebatten der autonomen Linken“, auf der Internetseite des „autonomen
kongresses“, Abruf am 12. Oktober 2009.
8|
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, die
grundlegend für den demokratischen Verfassungsstaat sind. Das Gewaltmonopol des Staates
ist demokratisch legitimiert und verhindert jegliche Gewalt- und Willkürherrschaft, so dass derjenige, der das Gewaltmonopol des Staates in
Frage stellt oder verletzt einer demokratisch
nicht legitimierten Gewalt- und Willkürherrschaft
Vorschub leistet.
Autonome und Linksextremismus
Zusammenfassend ist festzustellen, dass zentrale Elemente der politischen Ideologie der Autono men mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren
sind. A utonome sind Linksextremisten, weil sie
revolutionär-anarchistischen politischen Vorstellungen anhängen, deren Ziel im Aufbau einer
„herrschaftsfreien“ anarchistischen Gesellschaft
9
besteht, in der in radikaler Weise die Gleichheit
aller Menschen verwirklicht werden soll. Sie wollen letztlich eine Überwindung des „Systems“,
wenngleich die Vorstellungen über die dann zu
verwirklichende gesellschaftliche und politische
Ordnung wenig konkret sind - sieht man von der
gelegentlich verwendeten Beschreibung als
„herrschaftsfreie Gesellschaft“ ab.
Aus den Aktionen, Verlautbarungen und der zugrunde liegenden politischen Ideologie der Auto nomen ergeben sich daher ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Bewertung als eine
Bestrebung, die darauf gerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen.
Die autonome Szene wird deshalb von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet 9 und findet
Erwähnung in den Verfassungschutzberichten.
Vgl. u. a. § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Sächsisches Verfassungsschutzgesetz. Abrufbar unter www.verfassungsschutz.sachsen.de.
|9
2. Aktionsfelder und -formen
2.1
Aktionsfelder
2.1.1 „Antifaschismuskampf“
Antifaschismus bedeutet im ursprünglichen Sinne die Ablehnung der totalitären politischen
Ideologie des Faschismus. Autonome nutzen das
Themenfeld „Antifaschismus“, um agitatorisch
und gewalttätig gegen angebliche10 und tatsächliche Rechtsextremisten vorzugehen, aber auch
um ebensolches Verhalten gegenüber staatlichen
und wirtschaftlichen Einrichtungen zu legitimieren. Denn der Staat und die ihn tragende Gesellschaft seien es, die das Entstehen rechtsextremistischer Strukturen zulassen und begünstigen
würden. Damit folgen Autonome einer Auffassung
des orthodoxen Kommunismus vom Ende der
1920er Jahre, wonach der damalige Faschismus
„die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ sei (so
genannte „Dimitroff-These“)11. Da nach dieser
Theorie der Faschismus der bürgerlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung immanent sei,
könne er nur durch deren Überwindung aus der
Welt geschafft werden. Die A ntifAschistische L inke
BerLin (ALB) drückt dies so aus:
„Die autonome Antifa unterscheidet von
den Akteuren der demokratischen Zivilgesellschaft die Analyse, dass Faschismus und
faschistische Bewegungen nicht als Äußeres, der parlamentarischen Demokratie Wesensfremdes zu verstehen sind, sondern als
daraus hervorgehend.“ 12
Autonome zielen – wie alle Linksextremisten – im
Kern auf die Überwindung des „herrschenden
Systems“. Der Antifaschismus ist für sie lediglich
eines ihrer Aktionsfelder, mit dem sie ihr eigentliches Ziel erreichen wollen. Wenn der Faschismus zwangsläufig die Begleiterscheinung des
bestehenden Staatswesens sei, könne erst die
Überwindung dieser Staatsform den Faschismus
endgültig auslöschen. Der Antifaschismuskampf
10
Autonome nutzen das Themenfeld „Antifaschismus“ auch zur Diskreditierung ihnen unliebsamer politischer Auffassungen insbesondere konservativer
Organisationen, Politiker oder Wissenschaftler, denen von Seiten der Autonomen eine faschistische Gesinnung unterstellt wird.
11
Nach Georgi Dimitroff: „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus“, 2. August 1935.
12
ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT 77 4/2007, Beitrag „… Angriff!“.
10 |
könne deshalb nicht bei der Bekämpfung von
Rechtsextremisten als den unmittelbaren politischen Gegner Halt machen, sondern erfordere
darüber hinaus – wenn er erfolgreich sein soll –
den Kampf gegen das System, das als eigentliche
Ursache für den Faschismus angesehen wird.13
Der „Antifaschismus“ der Autonomen beruht somit
nur vordergründig auf einer entschiedenen Gegnerschaft zu den Rechtsextremisten. Im Kern
geht es um eine Legitimation, extremistische
Zielsetzungen zu verwirklichen.
In der bundesweit vertriebenen Szenezeitschrift
INTERIM heißt es entsprechend:
„Radikaler Antifaschismus bedeutet für uns
mehr als nur gegen Nazis zu sein. Er bedeutet auch eine unvereinbare Haltung zu diesem System einzunehmen und die gesellschaf tlichen Bedingungen radikal zu
bekämpfen, welche immer wieder Rassismus, Sozialdarwinismus und letztendlich die
Existenz von Neonazis reproduzieren. Daher
akzeptieren wir keine gesetzlich vorgeschriebenen Regeln im Kampf gegen Neonazis und für eine herrschaftsfreie Welt.“ 14
pressionsmaßnahmen“ skandalisiert und in der
Öffentlichkeit angegriffen werden.
„Antifaschismus ist besonders geeignet, die Legitimität staatlichen Handelns in Frage zu stellen
und die Notwendigkeit direkter Aktionsformen zu
vermitteln“ betonte auch die der autonomen Szene zuzurechnende Gruppierung A ntifAschistische
L inke internAtionAL aus Göttingen (Niedersachsen).15
Verhältnis zur Gewalt
Der Einsatz von Gewalt im Rahmen von AntifaAktionen ist ein ständiges Thema in den einschlägigen Publikationen des autonomen Spektrums . Der Bogen reicht hier von einseitig
gewaltbefürwortenden Veröffentlichungen in
den Publikationen INTERIM und RADIKAL bis hin
zu abstrakten Abhandlungen im Rahmen der so
genannten Militanzdebatte, die sich mit der Frage nach der Legitimation des Einsatzes von Ge-
Das Themenfeld Antifaschismus ist für Autonome
besonders attraktiv, können hier doch eigene
Positionen innerhalb des öffentlichen Diskurses
eine moralische und politische Rechtfertigung
erfahren, geht es doch um den zurecht abgelehnten Faschismus. Dieses Themenfeld gestattet es
A utonomen , unter Verweis auf die gemeinsame
Bekämpfung des Rechtsextremismus auch Demokraten als Bündnispartner zu gewinnen. Maßnahmen von Polizei oder Justiz auf Grund von
Gesetzesverstößen können so leichter als „Re13
Pfahl-Traughber, Armin: Antifaschismus als Thema linksextremistischer Agitation, Bündnispolitik und Ideologie, S. 4, 2008. Veröffentlicht unter www.
bpp.de/themen/Y8K5VO.html.
14
INTERIM vom 11. Juni 2009, Beitrag „Einige Gedanken zu militantem Antifaschismus“. Schreibweise wie im Original.
15
AntifAschistische Linke internAtionAL im ANTIFASCHISTISCHEN INFOBLATT 79 2/2008, Beitrag „… zusammen kämpfen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!“.
| 11
walt bei realen Auseinandersetzungen der Linksextremisten befasst. Grundsätzlich ist festzuhalten,
dass Autonome im Rahmen ihres „Antifaschismuskampfes“ den Einsatz von Gewalt befürworten.
So betont beispielweise die A utonome A ntifA (F)
aus Frankfurt/Main (Hessen):
„Linker Antifaschismus ist notwendigerweise militant. Nicht in dem Sinne, dass
schwarze Blöcke zur Corporate Identity gehören müssen, sondern weil er sich nicht
am Strafgesetzbuch oder der öffentlichen
Meinung, sondern an der Wirksamkeit der
Praxis orientiert. Nur insofern ist die Antifa
auch noch autonom: Nicht als Teil einer
subkulturellen Szene, sondern weil sie kein
Kriterium hat, als die Angemessenheit der
Mittel für das vernünftige Ziel. Sie hat keinen Respekt vor Kulturen oder Traditionen
und ob Rechte verhauen, geoutet oder gegen sie ‚nur’ demonstriert wird, orientiert
sich daran, was am jeweils erfolgsversprechendsten ist.“ 16
von gegen den politischen Gegner gerichteter
Gewalt werde diese jedoch als Grenzüberschreitung angesehen, die nur dann gerechtfertigt sei,
wenn anders der „Gewaltförmigkeit der bestehenden Gesellschaft“ nicht beizukommen sei.
Gewalt könne dann befürwortet werden, wenn es
um die Beseitigung von Gewaltverhältnissen
gehe. Im Unterschied dazu lehne man den Einsatz von Gewalt als reines Protestmittel oder zur
Schädigung von Personen ab18 . Bei der Klärung
der Frage, ob Gewalt eingesetzt werden solle, sei
eine Klärung der Ursprünge der von der Gesellschaft ausgeübten Gewalt notwendig und warum
diese entschieden abgelehnt werde.
Die theoretische Auseinandersetzung über die
Legitimation der Gewalt, die so genannte Militanzdebatte, ist stark im Fluss begriffen. So werden im Theorieorgan PHASE 2 der antideutsch
ausgerichteten Autonomen sporadisch diesbezügliche Beiträge auch sächsischer Autonomer veröffentlicht17, in denen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zwar grundsätzlich
bejaht wird, aber eine intensivere politische Diskussion der Zielsetzung des Gewalteinsatzes
verlangt wird. Im Gegensatz zu der in linksextremistischen Kreisen weit verbreiteten Billigung
Verhältnis zum Gewaltmonopol des Staates
Das Gewaltmonopol des Staates wird durch Autonome und deren Gewaltlegalisierung in Frage
gestellt. Nach Ansicht von Autonomen dienten das
Gewaltmonopol des Staates und der bürgerliche
Gewaltbegriff der Verteidigung der bestehenden
Staats- und Gesellschaftsordnung: „Die Existenz
gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, die uns in
der Praxis als ultimatives Hindernis begegnen,
fordert selbst die Erwägung gewaltsamer Mittel.“19 Beim Gewaltmonopol handele es sich somit
um einen Mechanismus zur Verteidigung des ge-
16
Autonome AntifA [F] im ANTIFASCHISTISCHEN INFOBLATT 83 2/2009, Beitrag „Extremismus der Vernunft“.
17
Beitrag „Militanz – ohne Mythos geht es nicht“, aus: PHASE 2, Heft 27 (März 2008), S. 74 ff.,
Beitrag „Vom denkenden Handeln“, aus: PHASE 2, Heft 28 (Juni 2008), S. 29 ff.,
Beitrag der LeA: „Militanz ohne Mythen“, aus: PHASE 2, Heft 30 (Dezember 2008), S. 64.
18
Beitrag der LeA: „Militanz ohne Mythen“, aus: PHASE 2 Heft 30 (Dezember 2008), S. 64.
19
Ebenda.
12 |
genwärtigen Zustands, das im Rahmen des letztlich auf die Systemüberwindung zielenden „Antifaschismuskampfes“ aufgehoben werden müsse.
Verhältnis zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Der Angriff auf die körperliche Unversehrtheit
und den Würdeanspruch des politischen Gegners
stellt einen Verstoß gegen die im Grundgesetz
konkretisierenden Menschenrechte dar. Das Gewaltmonopol des Staates wird unterlaufen und
Selbstjustiz geübt. Zudem werden die Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und politischen Organisationsfreiheit der Anhänger des
„rechten“ Spektrums negiert. Das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit ist eines der fundamentalen Funktionselemente jeder Demokratie. Deshalb
macht sich gemäß § 21 Versammlungsgesetz
strafbar, wer Gewalttätigkeiten vornimmt oder
androht oder grobe Störungen verursacht, um
nicht verbotene Versammlungen zu verhindern.
Da die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Versammlungen Aufgabe
der Polizei ist, richten sich die Gewalttaten nicht
nur gegen die Teilnehmer rechtsextremistischer
Demonstrationen, sondern auch gegen die vor
Ort eingesetzten Polizeikräfte.
Fazit
1. Autonomer Antifaschismus geht weit über die
Ablehnung rechtsextremistischer Ideologien
hinaus.
2. Autonomer Antifaschismus ist mit den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren.
3. Der Antifaschismus ist lediglich ein Aktionsfeld Autonomer, die letztlich eine „Systemüberwindung“ anstreben.
Von den Autonomen und insbesondere deren Gewaltverständnis sollten sich daher auch im Rahmen ihres Engagements gegen Rechtsextremismus demokratische Kräfte deutlich distanzieren,
denn so heißt es in Bezug auf die Proteste am 13.
Februar 2010 in dem Beitrag „dresden 2010 –
eine Einschätzung“ offensichtlich linksextremistischer Teilnehmer aus Freiburg/Breisgau (BadenWürttemberg):
„Wenn wir heute zusammen mit vielen
Menschen Nazis zurückdrängen, haben wir
klassenkämpferische Linke mehr Raum um
unsere revolutionäre Organisierung voranzutreiben. Wir müssen nach wie vor das Ziel
vor Augen haben, die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden.“ 20
2.1.2 „Kampf um selbstverwaltete Freiräume“
Der „Kampf um selbstverwaltete Freiräume“ stellt
ein weiteres Aktionsfeld A utonomer dar. Dabei
geht es zum einen um Hausbesetzungen sowie
selbstverwaltete Wohnprojekte und zum anderen
um den Widerstand gegen den als „Gentrifizierung“ bezeichneten sozialen Umstrukturierungs20
Beitrag auf der Internetseite INDYMEDIA vom 22. Febraur 2010
| 13
prozess von Wohngegenden infolge von Sanierungsmaßnahmen. Diese Entwicklung wird
abgelehnt, weil die betroffenen Gebiete ihren
Charakter als „Kiez“ verlieren, die bisherigen,
überwiegend einkommensschwächeren Bewohner sich die Mieten nicht mehr leisten können
und neue Bewohner, deren Lebensstil von Auto nomen abgelehnt wird, nachrücken und das
Wohnumfeld prägen. Letztlich geht es auch in
diesem Kontext nicht allein um die Beschaffung
von Wohnraum oder den Erhalt bestimmter
Strukturen. Vielmehr ist auch dieses Aktionsfeld
eingebettet in den „Kampf gegen das System“.
„der freiraum sollte nicht unser alleiniges
Ziel sein, aber um so mehr freiräume wir
haben desto besser ist unsere ausgangsbasis um den staat und das system zu stürzen.“ 21
In den letzten Jahren führte die autonome Szene
in Sachsen vor allem Solidaritätsaktionen zugunsten einiger Szeneobjekte durch, die in anderen Bundesländern von Räumungen betroffen
waren. Im Rahmen der so genannten „Internationalen Aktionstage für selbstverwaltete Freiräume“ am 11. und 12. April 2008 fanden in zahlreichen deutschen Städten – darunter Leipzig und
Dresden – Demonstrationen, Kundgebungen und
Straßenfeste statt. Zweck dieser Aktionstage
sollte sein, „die europäische/globale politische
Bewegung um autonome Räume und besetzte
Häuser ins Blickfeld zu rücken.“ Im April 2009
folgten aus Anlass der Räumung eines besetzten
Hauses in Erfurt (Thüringen) eine Solidaritätsdemonstration mit rund 200 Teilnehmern in Leipzig
sowie Sachbeschädigungen.
2.1.3 „Antirepression“
Demonstration am 28. März 2009 in Dresden.
Foto: Internetseite INDYMEDIA.
21
INTERIM 678 vom 3. Juli 2008, S. 8. Schreibweise wie im Original.
22
Beitrag auf der Internetseite des Rote HiLfe e. V. vom 2. Juni 2009.
14 |
Die nach den Terroranschlägen vom 11. September
2001 erfolgte Verschärfung der Sicherheitsgesetze, der Einsatz neuer technischer Fahndungsmittel,
aber auch die Sicherheitsmaßnahmen anlässlich
der Fußballweltmeisterschaft 2006 oder des Treffens der Staats- und Regierungschefs der acht
wichtigsten Industrienationen (G8) vom 6. bis 8.
Juni 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) werden von Linksextremisten als neue
Qualität „staatlicher Repression“ kritisiert. Seit
dem von Linksextremisten als „Gipfel der Repression“22 bezeichneten NATO-Gipfel im April 2009
wird zunehmend auch mit Gewalt auf diese Thematik reagiert.
Charakteristisch für militante Aktionen im Begründungszusammenhang „Antirepression“ ist
folgendes Beispiel aus Berlin: In der Nacht zum
14. Oktober 2009 griffen mutmaßlich Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene
ein Polizeigebäude in Berlin an. Aus einer Gruppe
von bis zu zehn Personen wurden Steine gegen
das Gebäude geworfen und dabei mehrere Fensterscheiben beschädigt. Zudem zündeten die
Täter im Eingangsbereich des Gebäudes Rauchkörper und legten auf der Straße so genannte
Krähenfüße aus, wodurch ein Polizeifahrzeug
und ein Taxi beschädigt wurden.
Ein Reizthema für die Leipziger autonome Szene
ist der alljährliche Polizeieinsatz in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz. Diese Thematik
griffen am 30. Dezember 2009 die ca. 450 Teilnehmer einer Antirepressionsdemonstration in
Leipzig auf. Unter den Teilnehmern befanden sich
auch Autonome .
Oft ist die Mobilisierung zu Protestaktionen in
diesem Themenfeld mit Einzelschicksalen von „politischen Gefangenen“ verbunden. Beispielsweise
kam es nach der Verurteilung von drei Angehörigen der miLitAnten gruppe (mg) in mehreren Städten,
darunter auch in Leipzig, zu Spontandemonstrationen und Solidaritätsbekundungen. Das Berliner
Kammergericht hatte die drei Angeklagten am 16.
Oktober 2009 zu dreieinhalb Jahren bzw. zu drei
Jahren Haftstrafe wegen versuchter Brandstiftung
sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt.
2.1.4 „Antiglobalisierungsbewegung“
Innerhalb der heterogenen „Antiglobalisierungsbewegung“ sah die gesamte linksextremistische
Szene für sich eine Chance, eingebettet in diese
Massenbewegung wieder in die Wahrnehmung
der Öffentlichkeit zu rücken. Dabei galt als ideologischer Minimalkonsens lediglich der Kampf
gegen „Globalisierung“ und „Neoliberalismus“ als
Chiffre für die zu bekämpfende „kapitalistische
Weltordnung“.
Durch die Ausrichtung des G8-Gipfels in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) im Jahr
2007 gewann das Thema für die bundesweite
autonome Szene wieder deutlich an Bedeutung.
Kein anderes Treffen, befand etwa die autonome
A ntifAschistische L inke B erLin (ALB), symbolisiere
den „Anspruch auf globale Herrschaft“ auf eine
solche Weise wie ein G8-Gipfel; kein anderes
„Treffen der globalen Elite“ rufe einen so breiten
| 15
„Sturm des Protest und des Widerstands“ rund
um den Globus hervor. 23
schen und Brandsätzen („Molotowcocktails“) beworfen. Auch nach Beginn der Abschlusskundgebung kam es immer wieder zu Ausschreitungen.
In deren Verlauf wurden zahlreiche Polizeibeamte
verletzt, einige davon schwer.
Während sich die Organisatoren der Demonstration von den Gewalttätern distanzierten, erklärte
die ALB in ihrer Presseerklärung vom 5. Juni
2007:
Gewalt Autonomer am 2. Juni 2007 in Rostock.
Foto: picture alliance.
Neben umfangreichen Blockaden im Raum Heiligendamm wurde im Rahmen einer Aktionswoche
gegen den G8-Gipfel am 2. Juni 2007 eine „Internationale Großdemonstration“ in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) durchgeführt. An der Demonstration unter dem Motto „Eine andere Welt
ist möglich!“ beteiligten sich etwa 30.000 überwiegend nicht extremistische Personen. Nach
einer gewaltfreien Auftaktkundgebung bewegten
sich zunächst zwei Demonstrationszüge durch die
Rostocker Innenstadt zur gemeinsamen Abschlusskundgebung am Stadthafen. In einem der
beiden Demonstrationszüge hatte sich ein etwa
2.000 Personen umfassender „Schwarzer Block“
gebildet. Aus diesem heraus wurden bereits während der Demonstration Steine gegen ein Sparkassengebäude sowie ein Hotel geworfen. Am
Stadthafen eskalierte schließlich die Lage, nachdem vermummte Personen ein mit zwei Polizeibeamten besetztes Fahrzeug massiv angegriffen
hatten. Die Aggressionen richteten sich in der
Folge gegen parkende Fahrzeuge von Anwohnern,
Polizeibeamte wurden mit Pflastersteinen, Fla23
Beitrag auf der Internetseite von „gipfelsoli“ vom 30. April 2007.
16 |
„Die militanten Angriffe auf die Polizei (…)
waren zielgerichtete Aktionen. (…) Bereits
in den Wochen vor der Rostocker Großdemo haben die Sicherheitsbehörden mit ihren Maßnahmen die linksradikale Szene
geradezu herausgefordert. (…) Autonome
sind keine Pazifisten: Sie halten nicht die
andere Wange hin, wenn sie geschlagen
werden! So ist nur verständlich, dass in einer Situation, in der ein Block mit 8.000 bis
10.000 Menschen aus dem linksradikalen
Spektrum auf der Straße steht und in der
die sonst üblichen Machtverhältnisse auf
der Straße partiell außer Kraft gesetzt sind,
Antworten auf die üblichen Provokationen
offensiver ausfallen.“
Auch sächsische Autonome waren nach Mecklenburg-Vorpommern gereist; eine intensive Beteiligung an militanten Aktionen war jedoch nicht
feststellbar.
Andere Großereignisse wie die UN-Klimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen (Dänemark) fanden dagegen nur wenig Beachtung in
der sächsischen autonomen Szene. Im Rahmen
bundesweiter Solidaritätsaktionen in Zusammenhang mit den Protesten gegen den UN-Klimagipfel und den dagegen gerichteten Polizeimaßnah-
men kam es jedoch auch in Dresden zu einer
Hausbesetzung, einer Spontandemonstration
sowie der „Scheinbesetzung“ 24 eines weiteren
Gebäudes.
2.1.5 „Antimilitarismus“
Das Aktionsfeld „Antimilitarismus“ hat durch den
Afghanistaneinsatz der Bundeswehr erheblich an
Bedeutung für die autonome Szene gewonnen.
Die „antimilitaristisch“ motivierte Kritik an den
Bundeswehreinsätzen im Ausland sowie an den
Feierlichkeiten zum 60. NATO-Jubiläum am 3. und
4. April 2009 in Straßburg (Frankreich), BadenBaden und Kehl (beide: Baden-Württemberg)
wird von Autonomen auch mit der Forderung nach
der Überwindung der politischen Ordnung in Zusammenhang gebracht.
Demonstration am 21. Juli 2008 in Berlin.
So hieß es in einem Aufruf der A ntifAschistischen
L inken BerLin (ALB):
„Fight War – Fight Capitalism! 60 Jahre
NATO – Kein Grund zum Feiern!
(…) Nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm
2007 ist das Treffen der NATO in Strasbourg
und Baden-Baden ein weiterer Anlass, um
unseren Widerstand gegen den herrschenden Kriegszustand mit vielfältigen Mitteln
sichtbar zu machen. Dabei gilt sich zu vergegenwärtigen, dass es nicht darum gehen
kann, Verbesserungsvorschläge für einen
‚sozialeren’ oder ‚friedlicheren’ Kapitalismus
zu machen oder an die herrschende Klasse
zu appellieren. (…) Unser Kampf zielt deshalb auf eine radikale Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung.“ 25
Foto: Internetseite INDYMEDIA.
Gewalt richtet sich dabei nicht nur gegen die Bundeswehr, sondern auch auf Objekte, Fahrzeuge
etc. von Firmen, die Dienstleistungen für die Bundeswehr erbringen. So stehen seit Ende Oktober
2008 die Deutsche Post AG und deren Tochterunternehmen DHL im Rahmen einer bundesweiten
Kampagne im Fokus militanter Antimilitaristen.
Diese werfen der DHL vor, Logistikdienstleister für
die Bundeswehr und damit Kriegsprofiteur zu
sein. Dabei kam es bundesweit zu einer Häufung
von Brandanschlägen auf Fahrzeuge der DHL und
der Deutschen Post AG sowie zu Sachbeschädigungen an Briefkästen und Packstationen. Durch
die wiederholte finanzielle Schädigung sollen die
betroffenen Firmen zum Rückzug aus entsprechenden Projekten gezwungen werden.
24
Bei „stillen“ oder „Scheinbesetzungen“ betreten Personen das ausgewählte Objekt nur kurzzeitig, um beispielsweise Transparente anzubringen oder
andere Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie ihren Anspruch auf „autonome Freiräume“ öffentlichkeitswirksam Nachdruck verleihen wollen.
25
Beitrag „Frühjahr 2009: Kein NATO Gipfel“ auf der Internetseite der ALB vom 19. Oktober 2008.
| 17
Auch im Freistaat Sachsen wurde in der Nacht
zum 13. April 2009 auf Fahrzeuge der Bundeswehr ein bisher unaufgeklärter Brandanschlag
verübt, bei dem Tatumstände und -ziel auf einen
2.2
linksextremistischen Hintergrund hindeuten. Es
entstand ein Sachschaden in Höhe von mehreren
Millionen Euro.
Aktionsformen
Die von A utonomen genutzten Formen zur Vermittlung ihrer Ideologie und Ansprüche umfassen ein vielfältiges Aktionsspektrum. Dieses
reicht
von der Organisation und Beteiligung an öffentlichen Kampagnen und Demonstrationen
bis hin zu gewalttätigen Aktionen.
Im Rahmen ihrer „Recherche“-Aktivitäten
sammeln Autonome gezielt personenbezogene
Daten tatsächlicher oder vermeintlicher
Rechtsextremisten.
Organisation und Beteiligung an Kampagnen
und Demonstrationen
Demonstrationen und Kundgebungen gehören zu
den klassischen Aktionsformen Autonomer . Aber
auch Aufmärsche von Rechtsextremisten mit provokativer Symbolwirkung lassen die autonome
Szene umfangreich zu Gegenaktivitäten mobilisieren. Ein gemeinsames Vorgehen autonomer
und „zivilgesellschaftlicher“ Strukturen gegen
rechtsextremistische Tendenzen lehnten Autonome
entsprechend ihres Selbstverständnisses ursprünglich jedoch kategorisch ab. Demonstrationen von nicht extremistischen Gegnern rechtsextremistischer Aufzüge26 nutzten Autonome in der
Vergangenheit lediglich als Rückzugsraum. Zwischenzeitlich – so zeigten auch verschiedene Bei-
träge zur „Antifa-Debatte“ im ANTIFASCHISTISCHEN INF OBL AT T (AIB) 27 – sind Teile der
autonomen Szene angesichts ihres begrenzten
Mobilisierungspotenzials und zur Erlangung einer
breiteren Öffentlichkeitswirksamkeit bei ihrem
„Antifaschismuskampf“ zunehmend bereit, situative und zeitlich begrenzte Bündnisse mit Nichtextremisten einzugehen.
Dieser Wandel ist beispielsweise bei den Protesten anlässlich der alljährlichen Aufzüge der
rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang
mit dem Jahrestag der alliierten Luftangriffe am
13. Februar in Dresden zu beobachten. Durch das
stärkere Zusammenwirken mit nicht extremistischen Kräften setzen Autonome offensichtlich auf
den „Druck der Masse“ ihrer nicht extremistischen Bündnispartner, der nach ihrem Kalkül ab
einer bestimmten Größenordnung erfolgreiche
Blockadeaktionen erzwingen könne. Eine Abkehr
von linksextremistischen Positionen und gewaltbereitem Vorgehen ist jedoch auch zukünftig
nicht zu erwarten, denn „autonomer Antifaschismus heißt auch Unversöhnlichkeit mit den
bestehenden Verhältnissen und nicht das
schweigende Hinnehmen von staatlicher Gewalt“. Die „militante(n) Aktionen gegen die Polizei und deren Fahrzeuge“ im Anschluss an die
Demonstration am 14. Februar 2009 in Dresden
26
Gesellschaftliche Kräfte aus Kommunen, Parteien, Kirchen und Vereinen.
27
U. a. Beitrag „Ein kleines Fazit … Zwei Jahre Antifa-Debatte im AIB“, AIB 1/2010, Seite 30f.
18 |
seien demnach „absolut nachvollziehbar“. 28
Die 2010 in Dresden angewandte Strategie gemeinsamer Gegenaktivitäten zusammen mit
Nichtextremisten führte zur Verhinderung des
rechtsextremistischen Aufzuges am 13. Februar.
Das „Konzept der Massenblockaden“29 sei aufgegangen. Auch zu den gewalttätigen Aktionen im
Umfeld äußerten sich Autonome positiv. „Das (…)
sie (die „Nazis“) Autos und Busse verloren und die
Straßen unbefahrbar waren, hatte (…) ihr übriges
beigetragen“ 30. Die Zeitschrift ANALYSE & KRITIK
betonte in ihrer Ausgabe vom 19. März 2010, gerade Dresden habe gezeigt, dass Eskalation abseits von Massenblockaden durchaus den Druck
erhöhen könne31. Auch die A ntifAschistische L inke
B erLin betonte in ihrem Auswertungspapier zu
den Aktionen in Dresden, dass die „vielfältigen
direkten Aktionen gegen Neonazis, ihre Autos
und Busse“ wie die Blockaden eine wichtige Rolle für die Verhinderung des Aufmarsches gespielt
hätten. 32
Gewalttätige Aktionen
Die Anwendung von Gewalt halten Autonome zur
Durchsetzung ihrer Ziele für legitim (vgl. Abschnitt zum Gewaltverständnis im Kapitel 1.2).
Diese Gewalt richtet sich zum einen gegen Sachen und reicht von Beschädigungen bis hin zu
Zerstörungen. Zum anderen sind auch Personen
wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und andere Repräsentanten staatlicher Einrichtungen ein Ziel. Insgesamt wurden im Freistaat Sachsen im Jahr 2009
mehr linksextremistische Gewalttaten gegen die
Sicherheitsbehörden als gegen den politischen
Gegner verübt (vgl. dazu Kapitel „5. Straf- und
Gewalttaten mit linksextremistischen Hintergrund im Freistaat Sachsen“).
Eine typische Form autonomer Gewalt sind Straßenkrawalle. Zu diesen kommt es z. B. bei den
alljährlichen Feierlichkeiten am 1. Mai sowie bei
Protesten gegen Demonstrationen von Rechtsextremisten.
Recherchetätigkeit
Die Recherchetätigkeit steht im engen Zusammenhang mit dem „Antifaschismuskampf“. Sie
bedeutet das Sammeln und Auswerten von Informationen über tatsächliche oder vermeintliche
Rechtsextremisten mit dem Ziel, diese Informationen für Gegenmaßnahmen zu nutzen, indem
beispielsweise die rechtsextremistische Überzeugung einer Person öffentlich thematisiert wird
oder um Gegenmaßnahmen gegen rechtsextre-
28
Aus dem Auswertungspapier der AntifAschistischen Linken BerLin (ALB) zur Perspektive linksextremistischer Aktivitäten im Zusammenhang mit dem
Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden. Veröffentlicht auf der Internetseite der ALB im April 2009.
29
Beitrag „No Pasaran – Sie kamen nicht durch!“ auf der Internetseite der Jungen AntifAschistischen iinitiAtive LüneBurg vom 14. Februar 2010.
30
Ebenda.
31
Beitrag „Nazis jagen, Nazis schlagen Antifaschistische Strategien zwischen Volksfront und Inglorious Basterds“ auf der Internetseite der Zeitschrift
ANALYSE & KRITIK. Abgerufen am 8. April 2010.
32
Beitrag „Antifa-Auswertung Dresden 2010“ auf der Internetseite der ALB vom 25. Mai 2010.
| 19
mistische Aktionen vorzubereiten. So befasst
sich das seit 1998 aktive A ntifA r echerchete Am
d resden (ART D resden) schwerpunktmäßig mit
Recherchen zu seinen politischen Gegnern. Die
Ergebnisse werden der Szene u. a. über Internetveröffentlichungen zur Verfügung gestellt. Die
Initiatoren verbreiten so einerseits allgemeine
Information über tatsächliche oder vermeintliche
rechtsextremistische Strukturen und Ereignisse
und legen andererseits mit ihren Veröffentlichungen Grundlagen für „antifaschistische
Selbsthilfe“.
Exkurs: Taktiken Autonomer
Die konkreten Aktionsformen Autonomer sind
abhängig von örtlichen und situativen Gegebenheiten am jeweiligen Aktionstag, insbesondere vom polizeilichen Einsatzkonzept und
dem damit verbundenen Kräfteverhältnis von
Polizei, Rechtsextremisten und Autonomen. Moderne Kommunikationstechniken (Handys incl.
„Handyticker“, Funkscanner33 etc.) ermöglichen
der Szene eine schnelle und umfassende Informationsgewinnung und Informationsverbreitung.
Das „dezentrale“ und das „Kleingruppenkonzept“
Das so genannte „dezentrale Konzept“ entwickelten Leipziger Autonome im Vorfeld des 1. Mai
1998 34 zur Verhinderung bzw. größtmöglichen
Behinderung von Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene. Ziel dieses Konzeptes
war es, in Kleingruppen Demonstrationen oder
Kundgebungen des politischen Gegners anzugreifen bzw. deren Teilnehmer an der An- oder
Abreise zu hindern. Die einzelnen Gruppen
wurden dabei durch eine zentrale Stelle über
Mobilfunk oder Internet fortlaufend über die
Demonstrationslage und mögliche Angriffsziele informiert. Die Entscheidung über die Intensität der angewendeten Mittel und die Auswahl des Zieles oblag dabei den einzelnen
Gruppen.
Die für die Umsetzung des „dezentralen Konzeptes“ notwendigen Anforderungen an die
logistische Struktur und kommunikative Vernetzung werden von der autonomen Szene
gerade bei personeller Schwäche nicht immer
erfüllt. In diesen Fällen erfolgen Störungen
von Veranstaltungen des politischen Gegners
nach der „Kleingruppentaktik“. Hierbei schließen sich gewaltbereite Linksextremisten zu
kleinen Gruppen zusammen, um polizeiliche
Kontrollen zu umgehen und einzelne Gegner
während der Veranstaltung oder bei ihrer Anund Abreise anzugreifen. Im Unterschied zum
„dezentralen Konzept“ agieren diese Gruppen
weitgehend ohne zentrale Anleitung und Voraufklärung. Die Kommunikation zwischen den
einzelnen Gruppen bzw. Gruppenmitgliedern
erfolgt über Handys.
33
Handyticker kommen vor allem bei Aktivitäten Autonomer gegen Veranstaltungen von Rechtsextremisten zum Einsatz. Über die internetbasierten
Handyticker werden von den Betreibern aktuelle Informationen bereit gestellt. Diese können mit geeigneten Handys (Internetzugang) abgerufen
werden. So werden allen Interessierten schnell die gleichen Informationen zur Verfügung gestellt.
34
Die NPD führte 1998 im Rahmen ihres Bundestagswahlkampfes eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Großveranstaltungen durch, darunter
am 1. Mai 1998 eine Kundgebung unter dem Motto „Wir schaffen Arbeit – Bonn schafft nichts!“ mit etwa 5.000 Teilnehmern am Leipziger
Völkerschlachtdenkmal.
Ein Funkscanner ist ein Gerät zum (heimlichen) Mithören von fremdem Funkverkehr, z. B. der Polizei.
20 |
Aktionskonzept „Out of Control“
Um sich bei eigenen Demonstrationen der
„staatlichen Überwachung“ zu entziehen, wurde erstmals am 15. Dezember 2007 bei einer
Demonstration unter dem Motto: „Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat – Unsere Solidarität gegen ihre Repression“ in
Hamburg ein „Out of Control“ (Außer Kontrolle) genanntes Aktionskonzept umgesetzt. Dieses Konzept sieht ein gezieltes Herauslösen
von Gruppen aus einer Demonstration und die
Begehung von Straftaten im Demonstrationsumfeld vor. Durch das Auflösen von Grenzen
zwischen dem eigentlichen Demonstrationszug
und der Umgebung sollen die Maßnahmen der
Polizei erschwert, die „Praxis der Spaliere, Auflagen und Wanderkessel“ 35 durchbrochen werden.
„Schwarzer Block“
Bei Demonstrationen der linksextremistischen
Szene kommt es anlassbezogen auch zur Bildung so genannter „Schwarzer Blöcke“. Ein
solcher „Schwarzer Block“ – gebildet durch
vermummte Aktivisten in einheitlicher schwarzer Kleidung – erschwert zum einen die Identifizierung der einzelnen Teilnehmer und ist
zum anderen ein Symbol für Geschlossenheit
und Stärke. In den Focus der Öffentlichkeit
geriet der „Schwarze Block“ in jüngster Vergangenheit insbesondere wegen der Ausschreitungen im Rahmen der internationalen
Großdemonstration am 2. Juni 2007 in Rostock anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm (beide: Mecklenburg-Vorpommern).
Ermittlungsausschuss
Häufig wird im Vorfeld geplanter Aktivitäten
die telefonische Erreichbarkeit eines Ermittlungsausschusses bekannt gegeben. An den
Ermittlungsausschuss wenden sich von polizeilichen Maßnahmen betroffene, häufig linksextremistisch motivierte Straftäter oder Störer,
die dort Unterstützung und Beratung erfahren.
Blockade- und Demotraining
So genannte Blockade- bzw. Demotrainings
werden von Autonomen vor Aktionen durchgeführt, bei denen situationsbedingt Konzepte
zur Anwendung kommen, wo an Stelle der
Kleingruppen größere Aktionsgruppen wirksam
werden. Unter Nutzung gruppendynamischer
Effekte sollen z. B. das Durchbrechen von Polizeiabsperrungen erleichtert, polizeiliche Zugriffe erschwert und durch öffentlichkeitswirksam vorgetragene Übergriffe Polizeikräfte
gebunden werden. Das Trainieren dient den
Akteuren dazu, sich mit den jeweiligen Konzepten und regionalen Gegebenheiten vertraut
zu machen.
„Schwarzer Block“ am 1. Mai 2009 in Berlin.
Foto: ddpimages.
35
Beitrag auf der Internetseite des „AK Out of Control“ vom 12. Dezember 2007.
| 21
3. Informations- und Kommunikationsmittel der Autonomen
3.1
Internet
Zur Kommunikation bedient sich die autonome
Szene seit jeher eigener Medien. Neben dem herkömmlichen Informationsaustausch u. a. mittels
Szenepublikationen, Infoläden und internen Treffen nutzen Autonome verstärkt das Internet. Die
hierbei bestehenden Vorteile der Material- und
Kostenersparnis, der größeren Verbreitung, der
Anonymität wie auch die Aktualität der Informationen lassen Printmedien immer mehr in den
Hintergrund treten.
Neben den seit mehreren Jahren existenten Internetpräsentationen bekannter sächsischer autonomer Gruppen ist vor allem bei neu entstehenden Strukturen aus dem ost- und west sächsischen
Raum die verstärkte Nutzung von Weblogs 36 zu
beobachten. Beispiele hierfür sind die Seiten der
AntifA rochLitz-geringswALde-Burgstädt und der Autonomen A ntifA westerzgeBirge (AAWE).
Autonome nutzen das Internet vor allem, um zeitnah Aufrufe, Ereignisberichte und Bildmaterial zu
verbreiten und Recherchen über den politischen
Gegner zu veröffentlichen. Daneben werden Beiträge und Publikationen archiviert und Chroniken
angelegt. Ein weiterer Schwerpunkt autonomer
Internetpräsenz stellen Terminkalender wie LEFTACTION aus Leipzig mit aktuellen Ankündigungen
über regionale und bundesweite Veranstaltungen
und andere Aktivitäten dar.
Parallel zu den offenen Internetpräsenzen, in denen Informationen für jeden Nutzer abrufbar
sind, existieren Foren, die mit Zugangskriterien
verbunden sind. Diese können sowohl anlassbezogen im Vorfeld eines Ereignisses als auch gruppenbezogen nur für Mitglieder einer Gruppierung
eingerichtet sein.
Insbesondere im Rahmen ihrer Bündnis- und Kampagnenpolitik nutzen Autonome auch Mailinglisten37. Bei diesen wird ebenfalls zwischen offenen
und geschlossenen Formen unterschieden. Für den
Interessenten besteht neben der Erforderlichkeit
der Anmeldung die Notwendigkeit, sich um die
Aufnahme bei dem Listenbetreiber zu bemühen.
Zum Aktionsrepertoire Autonomer gehört zudem
das so genannte Hacken und die Zerstörung von
Webseiten des politischen Gegners. Im Fokus Autonomer stehen vor allem Foren sowie Versandhan-
36
Öffentlich einsehbare Tagebuchseite im Internet.
37
Adressdatenbank, bei der Internetnutzer ihre E-Mail-Adresse hinterlegen können, um automatisiert Nachrichten zu empfangen.
22 |
del der rechtsextremistischen Szene. Auf diese
Weise erlangte Nutzer- und Kundendaten nutzen
Autonome insbesondere zur weiteren Recherche zu
3.2
Einzelpersonen oder rechtsextremistischen Strukturen oder für Outing-Aktionen im Internet, in
Szenezeitschriften oder auf Flugblättern.
Szenezeitschriften
Trotz der Vorteile elektronischer Medien finden
Szenezeitschriften und Fanzines 38 in der autonomen Szene weiterhin Abnehmer. Von überregionaler Bedeutung für die autonome Szene sind
die beiden bundesweit vertriebenen Zeitschriften
INTERIM und PHASE 2. Beide Zeitschriften unterscheiden sich wesentlich in ihrer Zielsetzung
und Erstellung. Außerdem findet die Zeitschrift
RADIKAL unregelmäßig ihre bundesweite Verbreitung.
INTERIM
Kennzeichnend für die seit 1988 klandestin in
Berlin hergestellte INTERIM ist die Dokumentation szeneinterner Debatten, wie der „Sexismusdebatte“ im Jahr 2001 und die Diskussion zum
Nahost-Konflikt im Jahr 2002. In einer Selbstdarstellung heißt es dazu:
„Das Prinzip interim will Info-, Diskussionsund Debattenplattform sein, für Berlin aber
auch bundesweit für die undogmatische
radikale Linke, autonom, selbstgemacht und
anarchistisch – und von uns aus diskutieren
wir auch gerne mit KommunistInnen (…) Es
geht um linksradikale Politik. Es geht um
unseren Kampf gegen diesen Staat und
Staaten allgemein, gegen Herrschaft, Ausbeutung, Patriarchat und das Schweinesystem, gegen die Firma, die an Flüchtlingen
Geld verdient, gegen den Konzern, der
Atomenergie produziert, gegen den Fascho
von nebenan, gegen die Schreibtischtäter/
innen und Hinterbänkler/innen und ewigen
Wegseher/innen.“ 39
Wechselnde Redaktionskollektive stellen vierzehntägig eine Ausgabe zusammen. Sie greifen
dabei auf zugesandte Texte von Gruppen aus
dem gesamten Bundesgebiet zurück. Es werden
regelmäßig Taterklärungen, Positionspapiere,
Aufrufe zu Demonstrationen, „Bastelanleitungen“
(beispielsweise Anleitungen zum Beschädigen
von Starkstromanlagen) und andere für die linksextremistische Diskussion und Praxis relevante
Beiträge veröffentlicht.
38
Der Begriff „Fanzine“ setzt sich aus dem Wort Fan und einem Wortteil aus Magazin zusammen.
39
INTERIM, Ausgabe vom 25. November 2009.
| 23
PHASE 2
Dagegen wird die seit 2001 erscheinende Zeitschrift PHASE 2 – ZEITSCHRIFT GEGEN DIE REALITÄT von einem Redaktionskollektiv erstellt.
Aktueller Herausgeber der linksextremistischen
Publikation ist ein Leipziger Verein.
Der Gedanke einer neuen Publikation für die bundesweite autonome Szene entstand im Frühjahr
2001 als „Nebenprodukt“ der Organisationsdebatte und als Ergebnis des „Antifa-Kongresses“
in Göttingen (Niedersachsen).
Wesentlicher Aspekt bei der Einordnung der
PHASE 2 als linksextremistisch ist die in der Vergangenheit dort geführte Militanzdebatte mit
linksextremistischem Hintergrund. Auch in den
neueren Ausgaben tritt der Extremismusbezug
anhand der thematischen Schwerpunktsetzung
der einzelnen Ausgaben deutlich hervor, so z. B.
in Heft 33 vom September 2009: Bis zur Revolution zum Umgang mit den kapitalistischen Zumutungen oder in Heft 36 vom Juni 2010: Kommunismus zwischen Sprachlosigkeit, Bilderverbot
und Historisierung. So wird beispielsweise in der
Einleitung zum Schwerpunktthema des letztge-
24 |
nannten Heftes klar gestellt, dass die Redaktion
eine Reform des Kapitalismus oder den Sozialismus ablehnt. Zwar gebe es zurzeit keine ernst zu
nehmende linke Strategie, die auf den Aufbau
einer kommunistischen Gesellschaft gerichtet sei,
jedoch könne die PHASE 2 eine Debatte darüber
wieder in Gang setzen („Dann sind diese Diskussionen zu führen als Ausgangspunkt für so viel
mehr, das nötig erscheint.“). Damit bekennt sich
die Redaktion klar zum Ziel einer Überwindung
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Mit der Auswahl einzelner Schwerpunktthemen
für jede Ausgabe wurde das Ziel, die Gesellschaft
aus Sicht der autonomen Szene zu analysieren
und die eigene Politik transparenter zu gestalten,
in die Praxis umgesetzt. Die Texte mit ihren oft
sehr theoretischen und abstrakten Inhalten bieten allerdings kaum Anknüpfungspunkte für eine
politische Debatte. Ein weiteres Ziel, das „Sprachrohr“ einer neuen bundesweiten Organisation zu
sein, konnte auf Grund des gescheiterten Versuchs einer Organisationsgründung ebenfalls
nicht verwirklicht werden. Vielmehr entwickelte
sich die PHASE 2 zunehmend zu einem Theorieund Diskussionsorgan der „antideutsch“ eingestellten Gruppierungen und Einzelpersonen aus
der linksextremistischen Szene.
RADIKAL
Anfang April 2004 erschien erstmals nach knapp
fünfjähriger Pause eine Ausgabe der konspirativ
hergestellten und vertriebenen Szenezeitschrift
RADIKAL. Es handelte sich im Wesentlichen um
ein „Praxisheft“ mit ausführlichen Anleitungen
zum Bau von Brandsätzen. Auch in den folgenden Ausgaben in den Jahren 2005 und 2006 bezog sich die RADIKAL positiv auf die inzwischen
abgeebbte „Militanzdebatte“ und veröffentlichte
in diesem Zusammenhang insbesondere Interviews mit der miLitAnten gruppe (mg)40.
Im redaktionellen Vorwort der 159. Ausgabe
heißt es, willkommen sei jede Art von Diskussionsbeiträgen, die über den Tag hinaus reichten:
„Die radi hat immer eigene Schwerpunkte
gesetzt, und das wird auch so bleiben – sie
war immer auch ein Forum für eure Debatten. Im Gegensatz zu früher setzen wir dabei
mehr auf Artikel, die ihr so nirgendwo sonst
findet. Das betrifft zuvorderst solche Texte,
die woanders nicht stehen dürfen, weil der
Staat sie untersagt – Texte zu Militanz etwa,
Erklärungen, Anleitungen. Gemeint sind aber
auch Beiträge zu Strategie und Taktik linksradikaler Politik, kurz: Worte, die es lohnen,
mit erheblichem Aufwand gesetzt, gedruckt
und vertrieben zu werden.“ 41
Eine weitere Ausgabe der Szenezeitschrift erschien erst wieder im Juli 2009. Den Schwerpunkt des insgesamt 60 Seiten umfassenden
Heftes bildet ein undatiertes „schriftliches Interview“ (28 Seiten) mit der miLitAnten gruppe (mg).
Darin erklärte die Gruppe ihre Auflösung und
übernahm zudem die Verantwortung für drei
Brandanschläge Anfang 2009 in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
40
Des Weiteren enthält die Ausgabe drei Beiträge
des neuen „radikal-Redaktionskollektivs“, das
sich als „Revolutionäre Linke [RL]“ bezeichnete.
Die RL führt im redaktionellen Vorwort zu ihrem
politischen Hintergrund aus:
„Wir sind ein Zusammenschluss von Gruppen und AktivistInnen, die aus den verschiedenen Strömungen der revolutionären
Linken kommen. (...) Als Zusammenhang
entstanden sind wir durch langjährige Diskussionen um und über die verschiedenen
Beiträge der Militanzdebatte der letzten
Jahre in Interim und Radi. (...) Wir haben
uns als Organisierung Revolutionäre Linke
[RL] konstituiert.“
Die MiLitAnte Gruppe (mg) hatte sich seit 2001 zu einer Vielzahl von Brandanschlägen, überwiegend in Berlin und Brandenburg, bekannt. Die Gruppe
hatte sich darüber hinaus seit Jahren um eine Vernetzung militanter Gruppenstrukturen bemüht und im Rahmen der so genannten „Militanzdebatte“
die Diskussion über die Legitimität „weitergehender“ – über Sachbeschädigungen hinausreichender – Aktionsformen vorangetrieben. Am 16. Oktober
2009 verurteilte das Berliner Kammergericht drei Angehörige der mg zu dreieinhalb bzw. zu drei Jahren Haftstrafe wegen versuchter Brandstiftung
sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Bereits im Vorfeld der Urteilsverkündung – in der Sommerausgabe 2009 der RADIKAL – hatte
die mg ihre Auflösung bekannt gegeben.
Bei der Anfang 2010 in Erscheinung getretenen miLitAnten gruppe Leipzig handelt es sich nicht um eine Nachfolgeorganisation der mg. Die MiLitAnte gruppe
Leipzig hatte sich zu mehreren in Leipzig erfolgten Brandanschlägen bekannt. Vom diesbezüglich zwischenzeitlich Veruteilten sind keine Bezüge zur
örtlichen autonomen Szene bekannt.
41
RADIKAL Nr. 159, Frühjahr 2006, S. 3.
| 25
4. Potenzial und Struktur der autonomen Szene im Freistaat Sachsen
4.1
Potenzial
Die A utonomen stellen unverändert die größte
Gruppe innerhalb der linksextremistischen Bestrebungen im Freistaat Sachsen dar. Bei der
autonomen Szene ist seit dem Jahr 2004 ein stetiger Anstieg des Personenpotenzials zu verzeichnen. Im Jahr 2009 wurden der autonomen
Szene im Freistaat etwa 360 Personen zugerechnet. In den vergangenen Jahren ist damit die
Anzahl der Autonomen um mehr als ein Drittel gestiegen.
Die Anzahl der Personen, die von der sächsischen
autonomen Szene für öffentlichkeitswirksame
Aktionen mobilisiert werden können, beträgt
mehrere Hundert Personen und ist abhängig vom
Thema und Anlass der konkreten Aktion.
Trotz dieses Aufwärtstrends liegt das Potenzial
noch unter dem der Jahre 2000 bzw. 2001 (ca.
400 Personen). Der im Jahr 2002 zu verzeichnende erhebliche Rückgang aktiver Personen in der
sächsischen autonomen Szene spiegelte den damaligen bundesweiten Trend wider. Damals erfuhren autonome Ansätze in der Gesellschaft
eine politisch rückläufige Bedeutung. Ausgelöst
Anzahl der Personen in der sächsischen autonomen Szene
500
400
400
400
340
300
250
250
250
2002
2003
2004
270
280
360
300
200
100
0
2000
26 |
2001
2005
2006
2007
2008
2009
wurde diese Entwicklung im Jahr 2000 durch die
staatlichen Maßnahmen und Kampagnen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, einem der
wichtigsten Aktionsfelder der Autonomen . In der
Folge befand sich die autonome Szene in einer
Phase der Selbstfindung und der Suche nach
neuen Aktionsfeldern. Die überwiegend im Aktionsfeld „Antifaschismus“ angesiedelte Arbeit von
kleineren autonomen Gruppen im ländlichen Bereich kam fast völlig zum Erliegen.
Entscheidend für die ab Mitte 2004 einsetzende
Trendwende bei der Entwicklung des Personenpotenzials Autonomer waren vor allem die Wahlergebnisse der N At ion A L demok r At is chen P A rt ei
DeutschLAnds (NPD) bei den Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen im Jahr 2004. Dies führte
in der autonomen Szene wieder zur stärkeren
Thematisierung des „Antifaschismuskampfes“.
Erste Anzeichen einer erneuten Thematisierung
rechtsextremistischer Strukturen und Aktionen
innerhalb der autonomen Szene Leipzigs waren
bei den Protesten am 19. Juni 2004 gegen eine
Kundgebung der NPD-Jugendorganisation Jungen
NAtionALdemokrAten (JN) in unmittelbarer Nähe des
4.2
amerikanischen Generalkonsulats in Leipzig zu
sehen. Etwa 50 Personen störten die Veranstaltung durch laute Protestäußerungen. Auseinandersetzungen konnten durch die Einsatzkräfte
der Polizei verhindert werden. Die Kundgebung
wurde in Absprache mit dem Anmelder vorzeitig
beendet. Erstmals seit zwei Jahren erfolgte zudem wieder eine intensive Mobilisierung zu Aktivitäten gegen Demonstrationen von Neonationalsozialisten innerhalb der autonomen Szene
Leipzigs. Auf Flyern wurden als Gründe für die
Wiederaufnahme von Aktivitäten auch das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren42 und der angeblich zu beobachtende verstärkte Zulauf zur
rechtsextremistischen Szene genannt: „Es ist notwendig, eine kontinuierliche Arbeit gegen rechte
Strukturen und insbesondere gegen Naziaufmärsche aufzunehmen.“ Zuvor hatten am 1. Mai 2004
in Leipzig eine hohe Zahl von Neonationalsozialisten demonstriert.
In der Folge gewannen autonome Bestrebungen
neben den sächsischen Zentren Leipzig und Dresden auch außerhalb der beiden Städte wieder an
Bedeutung.
Zentren der sächsischen autonomen Szene
Die Szene in Leipzig
Leipzig ist neben Dresden das Zentrum autonomer Bestrebungen in Sachsen. Die Leipziger autonome Szene verfügt aber im Vergleich zu Dresden über eine breitere personelle Basis.
Nach der Auflösung und Neugründung mehrerer
Gruppierungen besteht derzeit eine zersplitterte
Gruppenstruktur mit einer Vielzahl von Klein-
gruppen. Die ehemals einzige Gruppierung mit
bundesweitem Bekanntheitsgrad und einer hohen Öffentlichkeitswirksamkeit, das Bündnis gegen
ReALität (BgR, ehemals Bündnis gegen Rechts)43, gab
am 2. Mai 2006 im Internet seine Auflösung bekannt. Mit der Entwicklung einer Strategie zum
dezentralen Angriff auf den politischen Gegner
hatte sich die Gruppe innerhalb der bundeswei-
42
Mit Beschluss vom 18. März 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die Einstellung des Verbotsverfahrens beschlossen.
43
Hintergründe zum BgR siehe Broschüre des LfV Sachsen „Autonome Szene im Freistaat Sachsen“ vom Oktober 2004, S. 23f.
| 27
ten autonomen Szene etabliert.44 Vor allem die
Abkehr vom autonomen „Antifaschismuskampf“
in den Jahren 2001 bis 2003 und die konsequent
„antideutsche“ Ausrichtung ihrer Ideologie trugen zu einer Isolation des B gR bei und führten
letztendlich zu dessen Auflösung.
In der Folge traten neuere Gruppierungen wie die
L eipziger A ntifA (L e A) stärker in Erscheinung. Die
L e A vertritt wie zuvor das BGR die „antideutsche“
Strömung innerhalb der autonomen Szene. Sie
beteiligte sich 2008 als einzige sächsische Gruppierung an der in der bundesweiten autonomen
Szene geführten Debatte „Antifa heißt …“. Dabei
vertrat sie den Standpunkt, dass „Anti-NaziAktionen“ allein noch keine radikale Gesellschaftskritik darstellen. Diese sei aber die Grundbedingung „linksradikaler Politik“. Es gelte vor
allem, auch den bürgerlichen Staat und die „kapitalistische Gesellschaft“ zu bekämpfen, die von
L e A als Verursacher der von ihr kritisierten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen
verantwortlich gemacht werden. Als ein Mittel
der politischen Auseinandersetzung befürwortet
die L e A auch den Einsatz von Gewalt.45
scher“ Diktion gehaltene Aufruf zur Demonstration thematisierte dabei die friedliche Revolution
als einen „Mythos“ und spricht von einer „Umdeutung der Geschichte“. In einem Redebeitrag
zum Anliegen der Demonstranten formulierte die
L e A: „Als radikale Linke verweigern wir das Bekenntnis zur Nation und die L oyalit ät zu
Deutschland. Wir können nicht über eine befreite Gesellschaft reden, solange wir noch über
Deutschland reden müssen.“ 46 Dass es den überwiegend zur sächsischen autonomen Szene gehörenden Initiatoren gelang, mit dieser Thematik
und trotz der „antideutschen“ Ausrichtung bundesweit erfolgreich zu mobilisieren, zeigt die
hohe Teilnehmerzahl von ca. 1.800 Personen.
Demonstration am 10. Oktober 2009 in Leipzig.
Foto: Internetseite Leipzig-Seiten.
Die L e A gehörte neben weiteren extremistischen
und nicht extremistischen Organisationen dem
„Arbeitskreis 2009“ (AK 2009) an, der zur Demonstration am 10. Oktober 2009 in Leipzig unter dem Motto „Still not lovin‘ Germany“ aufgerufen hatte. Die Demonstration richtete sich
gegen die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der
friedlichen Revolution. Der in typisch „antideut44
Das Hauptaktionsfeld der Leipziger autonomen
Szene ist jedoch der „Antifaschismuskampf“. Dieser richtet sich zunächst gegen tatsächliche und
vermeintliche Rechtsextremisten und deren Veranstaltungen. So setzte die autonome Szene bei
ihren Protesten gegen eine von Rechtsextremisten veranstaltete Demonstration am 17. Oktober
2009 die Taktik des „dezentralen Konzeptes“ um.
Militante Kleingruppen agierten dabei insbesondere im Umfeld des eigentlichen Demonstrati-
Vgl. Verfassungsschutzbericht 1998, S. 109 ff.
45
Beitrag „Militanz ohne Mythen – wieso der Streit um das politische Element im Militanzbegriff so wichtig ist“ aus PHASE 2 vom Dezember 2008, S. 62ff.
46
Beitrag auf der Internetseite des AK 2009. Abgerufen am 29. Oktober 2009
28 |
onsgeschehens. Sie griffen Polizisten mit Steinen
an, setzten Container in Brand und stießen Pkw
um. Der „Antifaschismuskampf“ wird von Leipziger A utonomen aber auch gegen Einrichtungen
und Personen geführt, denen eine wirtschaftlich
motivierte Unterstützung von Rechtsextremisten
vorgeworfen wird. Exemplarisch hierfür waren
die zum Teil auch gewalttätigen Aktionen gegen
ein Leipziger Ladengeschäft, in dem Kleidung
einer in der rechtsextremistischen Szene beliebten Marke angeboten wurde. Die L e A hatte bereits zur Eröffnung des Geschäftes in einer Pressemeldung Aktionen bis zu dessen Schließung
angekündigt.
Auf aus ihrer Sicht repressive Maßnahmen des
Staates reagiert die Leipziger autonome Szene
mit Spontandemonstrationen. Anlässe für diese
gewalttätig verlaufenden Demonstrationen waren im Jahr 2009 die polizeiliche Räumung eines
besetzten Hauses im April in Erfurt (Thüringen)
und die Urteilsverkündung gegen drei Mitglieder
der miLitAnten gruppe (mg) im Oktober in Berlin.
Teilnehmer der Demonstrationen warfen bei beiden Anlässen Steine auf die Einsatzkräfte der
Polizei und begingen – im April im Nachgang zur
Demonstration – Sachbeschädigungen. Die in
nur kurzer Zeit mobilisierte Anzahl von jeweils
200 Teilnehmern belegt eine hohe Vernetzung
innerhalb der Szene. Die autonome Szene Leipzig
bewies somit ebenfalls ihr solidarisches Verhalten gegenüber Linksextremisten in anderen Bundesländern.
Vorbereitungsveranstaltungen zu überregionalen
Aktionen und Mobilisierungen im Internetportal
LEFT-ACTION belegen die Teilnahmebereitschaft
Leipziger Autonomer an auswärtigen Ereignissen.
Beispiel hierfür ist die Mobilisierung zu Aktionen
gegen die vom örtlichen NPD-Kreisverband organisierte Konzertveranstaltung „Rock für Deutschland“ am 10. Juli 2010 in Gera (Thüringen).
Anlaufstellen
Als zentrale Anlaufstelle der autonomen Szene
Leipzigs dient seit Jahren das „Conne Island“ im
Stadtteil Connewitz. Verschiedene linksextremistische Gruppierungen führen in dem Objekt Veranstaltungen durch. Dort befindet sich auch ein
Infoladen. Die darin vorhandene Infrastruktur
(Computer mit Internetzugang, Scanner, Drucker
und Adressdatenbank, Bibliothek, etc.) kann auch
von extremistischen Gruppen und Einzelpersonen
genutzt werden.
Als Veranstaltungsorte bzw. Anlaufstellen dienen
der Leipziger autonomen Szene darüber hinaus
das „B12“, der im Jahr 2008 eröffnete Infoladen
„Roter Faden“ und die „Lichtwirtschaft“.
Die Szene in Dresden
Das zweite Zentrum autonomer Bestrebungen in
Sachsen hat sich seit den 1990iger Jahren in
Dresden herausgebildet. Die autonome Szene in
Dresden verfügt im Vergleich zur Leipziger Szene
zwar über eine kleinere personelle Basis, konnte
jedoch vor allem in den vergangenen zwei Jahren
durch die Aktivitäten in Zusammenhang mit dem
Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden
am 13. Februar 1945 deutlich mehr Beachtung in
der bundesweiten autonomen Szene gewinnen.
Dresdner A utonome setzen bei der Ausrichtung
demonstrativer Aktionen zunehmend auf Bündnisse mit nicht extremistischen Partnern. Abgesehen von kleineren spontanen Aktionen gibt es
derzeit in Dresden keine Demonstrationen, die
ausschließlich von Autonomen durchgeführt werden.
Hauptaktionsfeld der Dresdner Autonomen ist der
„Antifaschismuskampf“. Dieser wird mitunter von
Straf- und Gewalttaten begleitet. Der autonome
„Antifaschismuskampf“ der Dresdner Szene beinhaltet zum einen Aktivitäten gegen rechtsextremistische Veranstaltungen. Darüber hinaus
| 29
richtet er sich anlassbezogen immer wieder gegen von Rechtsextremisten genutzte Objekte und
so genannte „rechte Szeneläden“. In diesem Rahmen kommt es vornehmlich zu Sachbeschädigungen an diesen Objekten. Mitunter entwickeln
sich daraus Kampagnen, an denen neben Nichtextremisten auch Autonome beteiligt sind. In dieser Phase erstrecken sich die autonomen Aktivitäten auch auf die Beteiligung an demonstrativen
Aktionen.
Demonstration am 18. Oktober 2008 in Dresden.
Foto: Internetseite AKuBiZ.
Zuletzt folgte diesem Szenario eine seit dem Jahr
2006 betriebene Kampagne gegen ein Ladengeschäft, in dem Kleidung einer bei Rechtsextremisten beliebten Marke angeboten wird. Neben
mehreren Sachbeschädigungen gab es bis Anfang
2008 mindestens zwei massivere Übergriffe auf
dieses Objekt. Schließlich zählten A utonome im
Oktober 2008 zu den Unterstützern eines von
Nichtextremisten angemeldeten Aufzugs „Schöner leben ohne Naziläden“, dessen Außenwirkung
sie durch ihr gewaltbereites Auftreten prägten.
Die Begründungen für die Aktivitäten im Themenfeld „Antifaschismus“ haben sich im Laufe
der Jahre gewandelt. Bis zum Jahr 1996 hing die
Szene den klassischen Erklärungsmustern an,
nach denen Rechtsextremismus und Faschismus
dem bürgerlichen Staat immanent seien. Dem-
30 |
nach sei der Kampf gegen den Faschismus also
gleichzeitig auch als Kampf gegen den bürgerlichen Staat zu verstehen. Seitdem beschränken
sie sich demgegenüber meist auf die bloße Herausstellung ihrer Gegnerschaft zu Rechtsextremisten. Etwa seit dem Jahr 2000 wendeten sie
sich zusätzlich – meist unter Bezugnahme auf
das Gedenken an die Opfer der alliierten Bombenangriffe des 13. Februar 1945 – gegen einen
angeblich in der Mitte der Gesellschaft verankerten „Geschichtsrevisionismus“, verbunden mit
einem deutschen „Opferkult“. Damit einher ging
etwa seit dem Jahr 2001 eine erkennbar „antideutsch“ orientierte Ausrichtung der Dresdner
Szene. Diese Entwicklung äußerte sich in Form
von Losungen wie „Bomber-Harris, do it again“,
„´Selber Schuld - Deutsche TäterInnen sind keine
Opfer“, „KEIN FRIEDEN MIT NS-TÄTER INNEN
KEIN FRIEDEN MIT DEUTSCHLAND“ oder „Nie
wieder Deutschland!“. Im Jahr 2007 begann –
dem bundesweiten Trend entsprechend – eine
Abwendung Dresdner Autonomer von „antideutschen“ Positionen. Die ehemals tonangebende
„Antideutschen“ verloren an Bedeutung.
Die Abkehr von antideutschen Positionen spiegelten am deutlichsten die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 wider.
So kamen in der Vorbereitungsphase des 13. Februar 2009 erstmals zwei konkurrierende Mobilisierungsansätze im autonomen Spektrum zum
Tragen.
Der Vorbereitungskreis „Keine Versöhnung mit
Deutschland“ mobilisierte unter der Überschrift
„Keine Versöhnung mit Deutschland. Deutsche
Täter_innen sind keine Opfer. Naziaufmärsche
verhindern!“ insbesondere über die Internetseite
VENCEREMOS zu eigenen Kundgebungen. Er
knüpfte damit an die – traditionell „antideutsch“
orientierten – autonomen Gegenaktivitäten der
Vorjahre an. Die Organisatoren wollten damit
nicht nur „Naziaufmärschen“ sondern auch dem
„bürgerlichen Gedenken“ an die „vermeintlichen
Opfer“ der Luftangriffe entgegentreten.
Überwiegend unterstützten Autonome jedoch ein
bundesweites Demonstrationsbündnis, das mit
Blick auf einen für den 14. Februar angekündigten rechtsextremistischen Aufzug ausschließlich
gegen „Naziaufmärsche“ mobilisierte und an frühere Blockadeaktionen anknüpfen wollte. Im
Rahmen dieses Bündnisses agierten sächsische
Autonome mit maßgeblicher Unterstützung durch
teils mobilisierungsstarke linksextremistische
Strukturen aus anderen Bundesländern. Dabei
handelte es sich insbesondere um das bundesweit aktive Bündnis interventionistische L inke (IL)
mit den ihr angehörenden Gruppierungen, darunter die A ntifAschistische L inke B erLin (ALB) und
AVANTI – projekt undogmAtische L inke47.
An einer Demonstration dieses bundesweiten
Demonstrationsbündnisses gegen den JLO-Aufzug am 14. Februar 2009 in Dresden nahmen
etwa 3.500 Personen teil. Darunter befanden sich
etwa 500 Gewalttätige, die massiv gegen die Polizei und deren Fahrzeuge vorgingen. Demgegenüber hatte eine am selben Tag durchgeführte
Kundgebung der antideutschen Organisatoren
nur etwa 50 Teilnehmer, eine Kundgebung am
Vortag etwa 500. Damit hatte sich die in den
Vorjahren immer wieder laut gewordene Kritik
bestätigt, dass die damaligen antideutsch ausgerichteten Mobilisierungen einer breiteren Beteiligung Autonomer im Wege stünden.
Der Aufzug der Rechtsextremisten zum 13. Februar im Jahre 2009 konnte letztlich nicht blockiert werden. Die Unzufriedenheit der Autonomen
hierüber mündete in einer von der ALB erhobenen neuen Forderung: der Schaffung einer „Ein-
heitsfront“ 48 der „autonomen Antifa“ mit nicht
extremistischen Gegnern der Rechtsextremisten.
Ziel sollte sein, gegen künftige rechtsextremistische Aufzüge in Dresden vorzugehen: „Blockade
und Verhinderung des Neonazi-Aufmarschs müssen von Antifa und Zivilgesellschaft klar und offen
als gemeinsames Ziel formuliert werden“ 49. Als
Beispiele für erfolgreiche Aktionen im Bündnis mit
Nichtextremisten dienten der Szene die Proteste
gegen den G8-Gipfel im Jahr 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) oder gegen
den „Antiislamisierungskongress“ im Jahr 2008 in
Köln (Nordrhein-Westfalen). In beiden Fällen gab
es gemeinsame Proteste von Nichtextremisten
und Linksextremisten mit Blockadeversuchen sowie zusätzlich zum Teil massive gewalttätige Ausschreitungen durch Linksextremisten.
Dementsprechend setzte auch die autonome
Szene in Dresden bei der Vorbereitung von Gegenaktivitäten zur Demonstration der Rechtsextremisten zum 13. Februar 2010 auf eine stärkere Vernetzung mit nicht extremistischen Kräften
und ein koordiniertes bzw. gemeinsames Handeln
mit diesen. Erstmals agierten Linksextremisten
zusammen mit nicht extremistischen Gegnern
Sitzblockade am 13. Februar 2010 in Dresden.
Foto: action press.
47
AVANTI entstand 1989 als Zusammenschluss zweier autonomer Gruppierungen aus Schleswig-Holstein. Ziel der Gruppe ist die revolutionäre Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Vgl. Verfassungsschutzberichte des LfV Hamburg.
48
Beitrag „Auswertung zu Dresden 2009“ auf der Internetseite der ALB vom 1. April 2009.
49
Ebenda
| 31
der rechtsextremistischen Demonstration, um die
Veranstaltung der Rechtsextremisten durch
„Massenblockaden“ zu verhindern. An den Vorbereitungen der „Massenblockaden“ waren zudem das bundesweite Bündnis „No pasarán!“
beteiligt, dem überwiegend linksextremistische
Gruppierungen angehören, darunter das vor allem im norddeutschen Raum aktive AVANTIBündnis und die A ntifAschistische L inke BerLin (ALB).
An den Aktionen von Linksextremisten gegen den
Aufzug der Rechtsextremisten beteiligten sich
am 13. Februar 2010 schließlich deutlich mehr
Menschen als im Vorjahr. Zahlreiche Nichtextremisten blockierten auf der Neustädter Elbseite
den Aufzug der Rechtsextremisten. Auch Linksextremisten beteiligten sich an den Blockaden.
Die ca. 3.000 gewaltbereiten Linksextremisten,
darunter ca. 1.000 unmittelbar gewalttätige Personen, die in der Stadt anwesend waren, führten
darüber hinaus gewalttätige Störaktionen durch.
Insbesondere außerhalb des eigentlichen Blockadegeschehens lieferten sich gewaltbereite Gegner
der Rechtsextremisten immer wieder Auseinandersetzungen mit anreisenden Rechtsextremisten
und der Polizei. Dabei wurden mehrere Polizeibeamte leicht verletzt. Die Polizei untersagte letztlich den Aufzug der Rechtsextremisten, da auf
Grund der zahlreichen Blockaden auf der Aufzugsstrecke die Sicherheit für die Aufzugsteilnehmer nicht zu gewährleisten war.
Damit war die von Linksextremisten verfolgte
Strategie eines breiten Bündnisses mit demokratischen Kräften zur Verhinderung des rechtsextremistischen Aufzugs aus ihrer Sicht erfolgreich.
Das Konzept der „Massenblockaden“ sei aufgegangen. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Entwicklung des „spektrenübergreifenden Aktionskonsens“ gewesen. Allerdings wurden auch die
aus Sicht A utonomer für den Erfolg mit verantwortlichen gewalttätigen Aktionen im Umfeld
positiv gewürdigt.
32 |
Neben dem Hauptaktionsfeld „Antifaschismuskampf“ treten Autonome in Dresden auch wieder
im Zusammenhang mit Aktivitäten zur Schaffung
„selbstbestimmter Freiräume“ in Erscheinung.
Hierzu gab es eine Hausbesetzung am 21. März
2009 und mehrere Folgeaktionen. Dabei handelte es sich um Solidaritätsdemonstrationen und
so genannte „Scheinbesetzungen“. Auch zwei
Anschläge auf Polizeireviere in Dresden in den
Nächten zum 19. April 2009 und zum 25. November 2009 stehen wahrscheinlich im thematischen
Zusammenhang. In beiden Fällen wurden die Reviere mit Pflastersteinen beworfen und Streifenwagen beschädigt. Der Motorraum eines Fahrzeugs brannte dabei aus. Weitere Aktivitäten
erfolgten im Mai 2010 mit einem „Hausbesetzerworkshop“ im „AZ Conni“ sowie zwei Hausbesetzungen am 7. und 8. Mai. Die Aktionen standen
im Zusammenhang mit der Ausrichtung von so
genannten „Libertären Tagen“ in Dresden.
Anlaufstellen
Als Anlaufstelle dient der autonomen Szene das
Alternative Zentrum „Conni“ („AZ Conni“).
Seit etwa September 2003 finden regelmäßig so
genannte „Offene Antifaschistische Treffen“ (OAT
– zwischenzeitlich auch „Antifa-Teemen-Cafe“
genannt) im „AZ Conni“ statt. Diese Treffen dienen insbesondere der Mobilisierung zu Veranstaltungen. Bei einem OAT zur Vorbereitung der autonomen Aktivitäten am 13. und 16. Februar
2008 anlässlich des Jahrestages der alliierten
Luftangriffe kursierten beispielsweise Flyer mit
der Aufschrift „13./16. FEBRUAR NAZIDEMOS
KAPUTT MACHEN!“, die mit der Abbildung eines
vermummten Autonomen versehen waren, der
einen knüppelähnlichen Gegenstand in den Händen hält. Auch für die Aktivitäten anlässlich des
13. Februar 2009 war zu einem Vorbereitungstreffen am 4. September 2008 im Rahmen eines
OAT eingeladen worden. Ein weiteres OAT am 12.
Februar 2009 war mit Blick auf die bevorstehen-
den Aktionen Autonomer am 13. Februar als
„Countdown zum Antifa-Action Wochenende in
Dresden“ angekündigt worden. Ein diesbezügliches Auswertungstreffen fand am 26. Februar
2009 statt.
Neben dem OAT finden im „AZ Conni“ anlassbezogen auch anderweitige Veranstaltungen mit
Szenebezug statt. Darüber hinaus ist das „AZ
Conni“ Kontaktadresse für die Dresdner Ortsgruppe des linksextremistischen Rote HiLfe e. V. 50 und
dient diesem Verein als Veranstaltungsort.
Autonome Bestrebungen außerhalb der Zentren Leipzig und Dresden
Seit dem Jahr 2005 gewannen auch außerhalb
der beiden Zentren Leipzig und Dresden autonome Bestrebungen wieder an Bedeutung.
Mit der AntifA RDL51 trat ab 2005 wieder ein kontinuierlich arbeitender Personenzusammenhang im
Umland von Leipzig in Erscheinung, nachdem die
1997 gegründete Gruppierung im Jahr 2000 ihre
Aktivitäten vorerst eingestellt hatte. Am 29. Oktober 2005 fand in Leisnig (Landkreis Mittelsachsen)
eine unangemeldete Demonstration statt, an der
ca. 100 Personen teilnahmen. Am selben Tag beteiligten sich ca. 40-60 vermummte Personen an
Übergriffen gegen die Teilnehmer der Gründungsveranstaltung des Stützpunktes Döbeln-Meißen
der rechtsextremistischen NPD-Jugendorganisation Junge NAtionALdemokrAten (JN) in Leisnig (OT Klosterbuch). Die Angreifer beschädigten Fensterscheib en der als Ver s ammlungs or t genut z ten
Gaststätte und Kfz der Teilnehmer der JN-Veranstaltung. Die Aktionen wurden als Erfolg gewertet:
„Man glaubte die Antifa R-osswein D-öbeln
L-eisnig gibts nicht mehr, doch aufgrund
der neuzeitigen Naziübergriffe und der Liebe zu unseren Städten hat sich die AntifA
RDL wieder belebt. Diesmal werden wir
nicht eher gehen bis wieder jeder Punk und
jeder Skinhead 52 sich auf den Strassen wieder frei bewegen kann! Wir werden mit aller
Entschiedenheit gegen sämtliches Nazipack
vorgehen und jeden der Reihe nach enttarnen ! Kein Fußbreit den Faschisten in den
Provinzen und anderswo!!! super organisierte Aktion!“ 53
In Mittelsachsen ist neben der Antifa RDL insbesondere die A ntifA schis tische A k tion R ochLit z G ehringswALde -Burgstädt (A ntifA RGB) aktiv. Auf
ihrer Internetseite hieß es zum Selbstverständnis
der Gruppierung:
„Wir versuchen in der Region Mittelsachsen/Mittweida und auch darüber hinaus
den Antifaschismus zu organisieren, den
50
Hintergründe zum Rote HiLfe e. V vgl. „Sächsisches Handbuch zum Extremismus und zu sicherheitsgefährdenden Bestrebungen“ des LfV Sachsen vom
Oktober 2009, S. 71 ff.
51
RDL steht für Roßwein-Döbeln-Leisnig (alle: Landkreis Mittelsachsen). Weitere Angaben zur Gruppierung siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht
2005, S. 57.
52
Der Begriff „Skinhead“ wird in der Öffentlichkeit oftmals als Synonym zu „Neonazi“ verwandt. Tatsächlich ist die Skinheadszene eine sehr heterogene, von
Jugendlichen dominierte Subkultur. Neben rechtsextremistischen Skinheads gibt es unpolitische und auch „linke“ Skinheads (so genannte „Redskins“).
53
Beitrag auf der Internetseite INDYMEDIA vom 1. November 2005. Schreibweise wie im Original.
| 33
kapitalistischen Grundkonsens zu bekämpfen und uns für eine herrschaftsfreie und
klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung
und Unterdrückung einzusetzen!“ 54
Auch im ostsächsischen Raum traten mehrere
neue Gruppierungen in Erscheinung. So initiierte
die AntifA L Ausitz beispielsweise am 31. Mai 2008
gemeinsam mit Autonomen aus Bautzen und Hoyerswerda eine so genannte „Kaffeefahrt“ zu
Objekten mit einem tatsächlichen oder vermeintlichen rechtsextremistischen Hintergrund in Ostsachsen, um diese einer breiten Öffentlichkeit
bekannt zu machen und zu stigmatisieren. Das
die AntifA L Ausitz – wie für autonome Gruppierungen charakteristisch – die Anwendung von Gewalt
als legitimes Mittel betrachtet, zeigte sich in der
Vergangenheit insbesondere an auf ihrer Internetseite veröffentlichten Forderungen wie “Kampf
dem Faschismus, auf allen Ebenen mit allen Mitteln!“ 55. Zudem berichtete die Gruppe auf ihrer bis
Oktober 2010 geschalteten Internetseite auch
über überregionale Aktivitäten der autonomen
Szene und schaltet Links zu Internetseiten anderer linksextremistischer Gruppierungen.
„Wir als AAWE wollen alternative Projekte
unterstützen, linke Freiräume erweitern und
verteidigen und Nazis die Stirn bieten! Sowie darauf hinweisen, das sich nationalistische, rassistische, sexistische antisemitische und autoritätshörige Einstellungen,
durch alle Bevölkerungsschichten ziehen,
welche genau so entschieden bekämpft
werden müssen! (…) Wir haben euch was
mitgebracht: BASS, BASS, BASS Für’s Naziund Faschistenpack gibt’s HASS, HASS,
HASS“ 56
Die genannten Gruppen unterhalten eigene umfangreiche Internetpräsenzen. Sie mobilisieren
meist zu Veranstaltungen anderer autonomer
Gruppierungen insbesondere in den beiden Zentren Dresden und Leipzig oder zu Veranstaltungen nicht extremistischer Initiativen vor Ort. Eigene öffentlichkeitswirksame Aktivitäten können
sie nur eingeschränkt organisieren. Für die Stärkung der autonomen Szene im Freistaat Sachsen
sind sie dennoch wichtig.
Im westsächsischen Raum ist die Autonome A ntifA
westerzgeBirge (AAWE) aktiv. Zur Selbstdarstellung
heißt es in typischer autonomer Diktion:
54
Internetseite der AntifA RGB vom 9. Oktober 2008.
55
Internetseite der AntifA LAusitz vom 4. Oktober 2006
56
Beitrag im Internetportal myspace vom 13. Juli 2009. Schreibweise wie im Original.
34 |
5. Straf- und Gewalttaten mit
linksextremistischem Hintergrund
im Freistaat Sachsen
Bundesweit erreichten im Jahr 2009 die Fallzahlen der politisch motivierten Straftaten als auch
die der darin enthaltenen politisch motivierten
Gewalttaten die höchsten Werte seit Einführung
des Erfassungssystems der Politisch motivierten
Kriminalität (PMK) im Jahr 2001. Im Jahr 2009
wurden mit 4.734 linksextremistischen Straftaten
(2008: 3.124 Straftaten) 51,5 % und mit 1.115
linksextremistischen Gewalttaten (2008: 701 Ge-
walttaten) sogar 59,1 % mehr Vorfälle registriert
als im Jahr zuvor. Der Straftatbestand der Körperverletzung bildet unter den Gewaltdelikten
mit deutlichem Abstand den größten Anteil. 57
Im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 2009 im
Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) „links“ 513 Straftaten registriert
(2008: 487). Davon wurden 511 (2008: 476) als
Straf- und Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund bundesweit
6000
4734
4000
3124
2765
2369
2305
2000
896
862
833
1115
701
0
2005
57
2006
2007
2008
Straftaten
insgesamt
davon
Gewalttaten
2009
Vgl. Bundesministerium des Innern: Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2009, Pressemitteilung vom 23. März 2010.
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Straf- und Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund – Freistaat Sachsen
600
511
476
400
331
310
275
200
108
93
84
80
89
0
2005
2006
2007
linksextremistisch bewertet, darunter 89 (2008:
80) Gewaltdelikte. Damit erhöhte sich die Anzahl
der linksextremistischen Straftaten um ca. 7 %
und die Anzahl der linksextremistischen Gewaltdelikte um ca. 11 %.
Für das Jahr 2010 ist in Sachsen mit einer Steigerung der Anzahl der Gewalttaten über das
hohe Niveau von 2005 hinaus zu rechnen. Dieser
Anstieg zeichnete sich bereits im 1. Halbjahr
2010 ab, basierend auf den gewalttätigen Störaktionen von Linksextremisten am 13. Februar
2010 in Dresden sowie auf den bei den Gegenaktivitäten anlässlich einer Demonstration von
Rechtsextremisten am 24. April 2010 in Torgau
(Landkreis Nordsachsen) begangenen Gewalttaten.
Auch das im Jahr 2005 zu verzeichnende hohe
Niveau bei den von Linksextremisten verübten
Gewalttaten war auf eine gestiegene Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit Demonstrationen zurückzuführen. Schwerpunkt bildeten
damals die Proteste gegen eine Demonstration
von Neonationalsozialisten am 1. Mai in Leipzig.
36 |
2008
Straftaten
insgesamt
davon
Gewalttaten
2009
Mehrere Ereignisse deuteten im Jahr 2010 zudem
auf eine erheblich gesunkene Hemmschwelle bei
Auseinandersetzungen zwischen der rechts- und
linksextremistischen Szene hin. Sachsenweit
wurde auf körperliche Gewalt oder gemeingefährliche Mittel beim Umgang mit dem politischen Gegner zurückgegriffen, so z. B. bei folgenden Vorfällen:
In Geithain (Landkreis Leipzig) kam es am 21.
Februar zu einem verbalen und tätlichen Angriff auf einen vermeintlichen Rechtsextremisten. Am 12. März folgte ein Brandanschlag
auf einen angeblichen Treffort von Rechtsextremisten. Am 7./8. Mai wurde auf einer Parkbank der Schriftzug „Braune haben Autos &
Adressen“ aufgebracht. Am 7. Mai wurde ein
fünfzehnjähriger, von den Angreifern der „linken Szene“ zugeordneter Jugendlicher an einer Tankstelle in Geithain geschlagen und
gegen den Kopf getreten. Er wurde lebensgefährlich verletzt.
In Döbeln (Landkreis Mittelsachsen) wurde am
2. Juli die auf einem Parkplatz abgestellten
Pkw von Rechtsextremisten in Brand gesetzt.
Auf einem der Pkw war auf Seiten- und Heckscheibe der Schriftzug „Wer Nazi ist, kriegt
Probleme. Viele Grüße Antifa“ angebracht
worden. Als mögliche Reaktion auf diese Anschläge wurde am 15. Juli das Fahrzeug einer
Person, die sich selbst der „linken Szene“ zugehörig bezeichnet, in Brand gesetzt.
Am 17. August griffen in Dresden vermummte Personen vermeintliche Rechtsextremisten
an. An der Kleidung der Angreifer sollen sich
Abzeichen mit der Aufschrift „Antifa“ befunden haben.
Am Morgen des 19. August kam es in einem
Mehrfamilienhaus in Dresden, dessen Bewohner von der rechtsextremistischen Szene dem
„linken Spektrum“ zugeordnet werden, zu ei-
nem Brand im Erdgeschoss. Durch unbekannte Täter wurde zudem am Morgen des 24.
August in Dresden ein Molotow-Cocktail in
die Räume eines ebenfalls von Rechtsextremisten der „linken Szene“ zugeordneten
Wohnprojektes geworfen.
Die oben genannten Beispiele weisen darauf hin,
dass die einzelnen Aktionen offenbar im Zusammenhang zu sehen sind (Reaktion auf eine vorhergehende Aktion).
Die hohe Zahl linksextremistischer Gewalttaten
bei rechtsextremistischen Demonstrationen zeigt
jedoch, dass linksextremistische Gewalt weiterhin
stark an demonstrative Ereignisse gebunden ist.
Dies bedeutet, dass auch künftig öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen von Rechtsextremisten zu einer Steigerung bei linksextremistischen
Gewalttaten führen werden.
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6. Ausblick
Autonomes Denken und Handeln war seit dem
Aufkommen dieses aktionistischen Phänomens
des politischen Extremismus in den frühen
1980er Jahren geprägt vom Spagat zwischen Organisierung und Ablehnung verbindlicher Strukturen, vermittelbarer Aufnahme lokaler Probleme
und Theoriedebatten, Abgrenzung und instrumenteller Bündnissuche, „Militanzdebatte“ und
autonomer „Friedenspolitik“.
Die relativ hohe personelle Fluktuation trägt wesentlich zu Erfahrungsverlusten der Szene bei, so
dass nachkommende Generationen den gleichen
politischen Sozialisationsprozess durchlaufen.
Dieser zyklische Ablauf wird geprägt durch entsprechende Argumentationsmuster, szeneinterne
Diskussionsverläufe und der Militanzbereitschaft,
wie sie auch in Zukunft von Autonomen zu erwarten sind.
Dabei sind äußere Einflussfaktoren, wie die Ansiedlung von Treffpunkten der rechtsextremistischen Szene oder auch von Rechtsextremisten
frequentierte Bekleidungsgeschäfte sowie die
Beteiligung von Rechtsextremisten an Wahlen,
entscheidend für das regionale Engagement Autonomer . Anlass für eigene Aktivitäten bieten der
autonomen Szene darüber hinaus die Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen der
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rechtsextremistischen Szene sowie andere auch
nicht extremistische öffentlichkeitswirksame Ereignisse mit Bezug zu Themenfeldern der Auto nomen .
Im Jahr 2009 wurden rund zwei Drittel aller linksextremistischen Gewalttaten in Sachsen im Zusammenhang mit Demonstrationen begangen. Sie
richteten sich sowohl gegen die Teilnehmer rechtsextremistischer Demonstrationen als auch gegen
die zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung eingesetzten Polizeikräfte. Die weitere Entwicklung der Zahl linksextremistischer
Straf- und Gewalttaten in Sachsen hängt daher
stark von den öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten
Autonomer bei eigenen bzw. bei Bündnisdemonstrationen sowie von der Anzahl und Größe der Demonstrationen des politischen Gegners ab. Beispielsweise konzentrierte sich der im Jahr 2009 zu
verzeichnende Anstieg der linksextremistischen
Straf- und Gewalttaten im Landesdirektionsbezirk
Dresden weitgehend auf die Stadt Dresden und
stand im Zusammenhang mit den Ausschreitungen
im Rahmen der Aktivitäten von Linksextremisten
anlässlich des 13. Februar. Der Anstieg der im
Stadtgebiet Dresden begangenen Gewalttaten
setzte sich wegen der erneut gewalttätigen Störaktionen am 13. Februar im Jahr 2010 fort.
Die gegen den alljährlichen Aufzug der rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang mit dem
Jahrestag der alliierten Luftangriffe gerichteten
Proteste am 13. Februar in Dresden haben sich
zwischenzeitlich zu einem Großereignis mit Bedeutung für die bundesweite autonome Szene
entwickelt. Bundesweite Aktionsbündnisse Auto nomer bestimmen zunehmend die Mobilisierung
nach Dresden.
Die von Linksextremisten im Jahr 2010 verfolgte
Strategie eines breiten Bündnisses mit demokratischen Kräften zur Verhinderung des rechtsextremistischen Aufzugs war aus ihrer Sicht erfolgreich. Das Konzept der „Massenblockaden“ sei
aufgegangen. Die Mobilisierung erzielte eine im
Vergleich zu den Vorjahresereignissen deutlich
stärkere Resonanz im linksextremistischen Spektrum. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Entwick-
58
lung des „spektrenübergreifenden Aktionskonsens“ gewesen. Szenereaktionen weisen darauf
hin, dass die angewandte Bündnisstrategie erneut für den 13. Februar 2011 bevorzugt werden
könnte. So heißt es auf der Internetseite von
AVANTI-projekt undogmAtische L inke:
„Wir werden an der solidarischen, spektrenübergreifenden Zusammenarbeit und dem
erfolgreichen Konzept der Massenblockaden festhalten und auch im kommenden
Jahr den Naziaufmarsch in Dresden verhindern.“ 58
Bei autonomen Aktivitäten im Zusammenhang
mit dem 13. Februar werden daher vermehrt jene
Autonomen tonangebend bleiben, die ein organisiertes Zusammenwirken mit gesellschaftlichen
Kräften jenseits des Extremismus suchen.
Beitrag auf der Internetseite von AVANTI vom 1. April 2010.
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7. Stichwortverzeichnis
ANALYSE & KRITIK 19
Anarchismus 3
Antideusche 4, 6, 7, 28, 30, 31
A ntifA dresden 32
A ntifA L Ausitz 34
A ntifArechercheteAm dresden (Art dresden) 20
A ntifA rochLitz-geringswALde-Burgstädt (A ntifA rgB)
22, 34
A ntifA rdL 33
A ntifAschistische L inke BerLin (ALB) 10, 15, 16, 17,
19, 31, 32
A ntifAschistische L inke internAtionAL 11
A ntifAschistische orgAnisAtion / Bundesweite orgAnisAtion (AA/BO) 4
ANTIFASCHISTISCHES INFOBLATT (AIB) 18
A ntirepressionsgruppe hAmBurg 5
Autonome A ntifA (F) 10, 12
Autonome A ntifA westerzgeBirge (AAWE) 22, 34
Autonomia Operaia 3, 4
Außerparlamentarischen Opposition (APO) 3
AVANTI – projekt undogmAtische L inke 31, 32, 39
AZ Conni 32, 33
B12 29
Bündnis gegen ReALität (BgR) 27, 28
INTERIM 5, 11, 14, 23, 25
Interventionistische L inke (IL) 4, 31
Junge A ntifAschistische InitiAtive L üneBurg 19
Junge L AndsmAnnschAft OstdeutschLAnd e. V. (JLO) 31
Junge NAtionALdemokrAten (JN) 27, 33
LEFT-ACTION 22, 29
L eipziger A ntifA (L e A) 7, 28
Lichtwirtschaft 29
Maoismus 3
MiLitAnte Gruppe (mg) 15, 24, 25, 29
MiLitAnte Gruppe L eipzig 25
NAtionALdemokrAtische P Artei DeutschLAnds (NPD) 8,
20, 27, 29, 33
Neue Linke 3
PHASE 2– ZEITSCHRIFT GEGEN DIE REALITÄT 7,
12, 23, 24, 28
RADIKAL 11, 23, 24, 25
Revolutionäre Linke (RL) 25
Roter Faden 29
Rote HiLfe e. V. 14, 33
Conne Island 29
Sponti-Bewegung 3, 4
Dimitroff, Georgi 10
Trotzkismus 3
FIGHT BACK 7, 8
VENCEREMOS 30
INDYMEDIA 6, 13, 14, 17, 33
40 |
Herausgeber:
Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen
Redaktion:
Stabsstelle
Gestaltung und Satz:
Initial Werbung & Verlag
Druck:
Druckhaus Dresden
Titelbild:
ddpimages
Redaktionsschluss:
Oktober 2010
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