Andrea Elsper
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Andrea Elsper
Erfahrungsbericht Die Vorbereitung Der Entschluss, ins Ausland zu gehen, bestand als vages Vorhaben schon während meiner gesamten Studienzeit. Die Unsicherheit, alleine mit Kind im Ausland, hielt mich zurück. Jetzt ist mein Kind aber schon 5 Jahre, und so machte ich mich auf zum Internationalen Büro in das Zimmer von Frau Rollwage, um dieses vage Vorhaben mit ein paar Inhalten zu füllen. Frau Rollwage war sofort begeistert von meiner Idee, mit meinem Sohn zusammen ins Ausland zu gehen, und unterstützte mich. Sie half mir, einen Antrag auf Sonderförderung (alleinerziehend mit Kind) beim DAAD zu stellen. Kurz darauf schrieb mir Frau Rollwage, dass wir den Internationalen Coordinator Cameron Campbell von der Hochschule in Aberdeen erwarten und ich mich mit ihm treffen sollte, um weitere Informationen zu erhalten. Dieses Treffen entpuppte sich als reiner Glücksgriff. Cameron Campbell klärte mich darüber auf, dass die Kinder in Schottland bereits mit 5 Jahren in die Schule kommen, ich also nicht die Betreuungskosten von ca. 50 Euro am Tag zahlen müsste, die ein Kindergartenplatz gekostet hätte. Leider erfuhr ich dort auch, dass die Hochschule keine Unterkunft für Studenten mit Kindern bereitstellt oder garantiert. Ich gab Cameron noch eine CD mit meinem elektronischen Portfolio mit auf den Weg und wartete jetzt erstmal ab. Dies alles passierte Anfang Mai. Dann hieß es warten, warten, warten. Nebenbei mit möglichen Schulen für meinen Sohn telefonieren und im Internet eine Wohnung suchen. Das mit der Wohnung gestaltete sich schwieriger, als ich angenommen hatte. Der Wohnungsmarkt ist total überlaufen, und Studenten mit Kind eher ungewöhnlich bis suspekt. Im letzen Moment bekam ich eine Zusage von einer Frau in Aberdeen. Die Wohnung lag in Mannofield nicht weit von der Uni entfernt. Da in diesem Jahr neue Verträge für ERASMUS mit der EU ausgehandelt wurden, hatte ich auch noch keine Überweisung der ERASMUS-Gelder und auch keine Zusage vom DAAD. An dieser Stelle hat mir der Verein für Internationale Beziehungen der Fachhochschule Hannover aus der Klemme geholfen und einen Teil der Gelder vorgestreckt. Gut, alles super, Flug gebucht und Sachen gepackt. Dann stellte sich eine Woche vor Abflug heraus, dass mein Vermieter mit der geplanten Untervermietung nicht einverstanden ist, aber ein findiger Anwalt fand einen schönen Paragraphen, wonach der Vermieter Untervermietung nicht verbieten darf. Die Anreise Und dann auf zum Flughafen mit meinem I MAC G5, den ich irgendwie als Handgepäck deklarieren lassen wollte. Das geht nicht. Die freundliche Dame am Schalter von SAS teilte mir mit, dass er zu den Koffern kann und alles, was in dem schwarzen Loch verschwindet, nicht versichert ist. Voller Angst um meinen Computer schob ich ihn aus dem Flughafen raus, um die Ecke zu den Speditionen, und für 200 Euro war FedEx bereit, ihn versichert mit 1500 Euro nach Aberdeen zu liefern. Als wir dann wieder ohne Computer und eine Stunde später am Schalter waren, hatte die Dame soviel Mitleid mit uns, dass sie unsere ca. 30 Kilo Übergewicht nicht mehr berechnet hat. Ich hatte auch schon sehr schlechte Laune. War verkatert vom Abschied feiern und verfluchte den Tag, an dem ich mir kein Laptop gekauft hatte. In Kopenhagen hatten wir dann 5 Stunden Aufenthalt und haben in den Bars und Restaurants gleich die neue Kreditkarte ausprobiert. Und dann ging es weiter nach Aberdeen. Im Landeanflug ließ sich feststellen, dass Aberdeen nicht groß ist. Unsere Mitbewohnerin hat uns dann vom Flughafen abgeholt, und ich habe mich ganz gewaltig erschrocken, wie klein die Zimmer sind und wie man in der Küche Teppichboden haben kann und im Essbereich auch und dann noch weiß…. Nach dem Kofferauspacken haben wir uns aufgemacht unspezifisch zum Meer. Nach halbstündigem Fußmarsch wurde dieses Vorhaben aufgegeben und wir haben unseren 2. Programmpunkt auf der Liste - Was wir auf jeden Fall mal gemacht haben müssen - in Angriff genommen: Fish and Chips und Guiness. Für den ersten Tag lässt sich folgendes feststellen: Das Meer ist doch weiter weg, Fish and Chips sind fettig und Essengehen teuer (20 Pounds für Veith und mich). Erste Nacht, neuer Tag. Endlich das Meer. Man muss sich das mit Strand, dann Damm zum Spazieren, Strasse und Vergnügungsmeile vorstellen. Veith hat gleich einen Freizeitpark dort ausfindig gemacht, den wir dann auch an seinem Geburtstag besucht haben. Ansonsten haben wir an unseren ersten Tagen die Art Gallery besucht, die Peacock Visual Art Gallery und das Belmont Kino. Das war dann auch gleichzeitig das ganze Kulturprogramm in Aberdeen. Gut. Veiths Schule Am Montag erhielten wir dann nach telefonischer Rücksprache die Bestätigung, dass Veith einen Schulplatz hat. Aufatmen, hatte schon Angst, es klappt alles nicht. Dann habe ich jemanden gefunden, der privat auf Veith aufgepasst hat, und wir haben uns weiter die Zeit vertrieben, bis für Veith der Ernst des Lebens losging. Dieser Tag wird in GB total unspektakulär begangen. Schüler plus Eltern warten vor der Tür, werden abgeholt von Lehrer, Eltern mit rein, Foto gemacht, und Tschüss, und Eltern raus. Und dann stand ich da. Voller Sorge, der Kleine jetzt in einer englischen Schule ohne ein Wort Englisch sprechen zu können. In Gedanken sah ich ein heulendes Kind vor mir beim Abholen, das sich festhält und heult, dass es nie wieder in diese englische Schule will. Dass ich dann mein Studium vergessen kann und gleich wieder Koffer packen…Aber, Tür auf, und ein Veith kommt mir entgegen, der mir mitteilt, dass seine Lehrerin Deutsche ist und des weiteren natürlich Deutsch spricht und nur mal kurz mit dem Flugzeug hier ist. Verwirrung meinerseits…Um die Geschichte meines Sohnes mit der Realität in Einklang zu bringen: Seine Lehrerin spricht Deutsch, weil sie mit einem halb Deutschen verheiratetet ist und Abendkurse besucht hat, der Rest ist irgendwie erfunden. Auf jeden Fall ein echter Glücksfall für uns, und Veith war vom ersten Tag an heiß und innig verliebt in seine Mrs. MacDonald. Alle Befürchtungen meinerseits zerschlagen, und ich hatte in dem ganzen halben Jahr nicht einmal ein Kind, das morgens vor der Schule geheult hat oder zurück nach Hannover wollte. Nur haben wir leider nie richtig reingepasst in die „normalen“ Familien. Nun muss man aber wissen: Aberdeen ist eigentlich eine Kleinstadt, die reich durch die Ölförderung gewachsen ist. Wir haben in Mannofield gewohnt, einem etwas „posh“ Stadtteil, mit Einfamilienhaus und Zweitwagen. Ich glaube, ich war eine der wenigen allein erziehenden Mütter und die einzige, die auch noch Kunst studiert. Damit war der Gesprächsstoff mit den anderen Eltern etwas reduziert…und ich habe meinen selbstorganisierten, studentischen Kindergarten vermisst. Außerdem sind die Kinder in GB so verplant, dass Verabredungen eine Woche früher getroffen werden müssen, Spontaneität gibt es gar nicht, und Kinder werden vor dem Abendessen von Verabredungen wieder abgeholt. Aber vielleicht ist das auch nur so stark aufgefallen, weil ich mich normalerweise hier in Deutschland gar nicht in diesen Kreisen aufhalte. Das schottische Schulsystem hat mir sehr gut gefallen. Die Kinder werden alle zusammen unterrichtet bis zur 9. Klasse. 20 Kinder waren in Veiths Klasse, auf 2 Lehrrinnen, und dazu noch Classroom Assistenz. In jeder Klasse gibt es Computer mit Internetanschluss, und auch Laptops für jedes Kind gehören zu den Unterrichtsmaterialien. Es wurden sehr viele Projekte gemacht, und durch den Schulbetrieb von 9- 15 Uhr war auch sehr viel Freiraum zum Spielen. Der Anfang Eine unseren ersten Aktionen war dann auch gleich Fahrräder kaufen. Zum einen, weil der Bus so teuer ist und außerdem auch nur gerade dann kommt, wenn es ihm passt. Die Buspläne dienen hierbei noch nicht mal als grober Anhaltspunkt. Ich glaube, wir waren die Einzigen, die so tapfer Fahrrad gefahren sind. Und es ist auch durchaus verständlich, warum die meisten Anderen darauf verzichten. Im schottischen Straßenverkehr gilt das Recht des Stärkeren; folgerichtig ist die Reihenfolge: Auto, Fahrrad, Fußgänger. Nachdem mir schon die Decke als nur- Mutter auf den Kopf fiel, ging endlich die Uni los. Ich hatte den Kurs PEM (Photographic and Electronic Media) belegt. Mein Lecturer Jim Hamlyn hat mir eine Führung gegeben, und ich war von der technischen Ausstattung schockiert. Ein Computer Lab mit eMacs, an denen Photoshop betrieben werden sollte, ein echtes s/w Labor, ein Ministudio und die Nachricht, ich dürfte einen ganzen Schreibtisch für mich haben. Das verstand ich erst gar nicht, ein Schreibtisch, was soll ich denn damit, war auch gleich meine Reaktion. Daraufhin wurde mir gesagt, ich dürfte auch wochenweise einen Raum im Skulpturbereich mieten. Und dann ging meine erste Arbeit los. Eine dreidimensionale Leinwand, nachgebaut von einem bestimmten Frame. Und diese Arbeit hat mich Nerven gekostet…denn, das United Kingdom ist das Land des Health und Savety. Keine Bohrmaschine, keine Stichsäge außerhalb des Workshops (Öffnungszeiten 9:3010:30, halbe Stunde Pause, 11 bis 12:30 eine Stunde Mittag, dann um 14:00 wieder halbe Stunde Pause und um 16:30 aufräumen, um 17:00 ist dann Feierabend). Damit hatte ich natürlich Probleme, gerade weil ich auch nicht innerhalb der Wohnung die Möglichkeit hatte zu arbeiten. Dann wurde bedingt durch Krankheit ein Workshop lange geschlossen, und ich kam mit meiner Arbeit nicht voran. Und ich machte Bekanntschaft mit einer neuen Regel, kein Kind in der Uni. Aber alles lässt sich ja klären. Ein Gespräch zwischen Cameron, Morag (der technischen Supervisorin) und mir brachte Veith eine Sondererlaubnis zum Betreten der Uni. Trotzdem stelle ich jetzt einfach mal fest, dass es in GB keine 68er Bewegung gab, die ihre Babies mit in den Hörsaal geschleppt haben. Und die „Jeder Mensch ist ein Künstler“- Theorie wird hier auch nicht angewandt. Dann habe ich zum besseren Kennenlernen ein Grillen im Schulinnenhof mit meiner Klasse organisiert. Auch hierfür brauchte man zunächst eine offizielle Genehmigung….und so kam ich sehr schnell in Kontakt mit den Hausmeistern (immer die wichtigsten Menschen an jeder Uni). Zu Anfang sind Veith und ich auch mal krank gewesen. Ist eigentlich nicht weiter schlimm, man registriert sich bei einem Doktor und bekommt einen Termin. Bloß niemals ohne Termin zum Arzt gehen! Total untersagt eigentlich. Auch eine hömöopathische Behandlung ist nicht ohne weiteres zu bekommen, GB das Land des Paracetamol in allem. Zuzahlungen wie in Deutschland. Kinder frei, Erwachsene zahlen dazu. Das Gute aber: Birth Control (Verhütung) ist frei. Ich konnte es erst gar nicht fassen, man bekommt, die Pille frei auf Rezept und auch alles andere, was man will. Dafür sind die Lebenshaltungskosten deutlich höher als in Festlandeuropa. Essen ist teuer. Es gibt, ein wenig außerhalb, die großen Einkaufstempel, die 7 Tage die Woche 24 Stunden geöffnet haben. Nur muss man da mit seinem Fahrrad immer hinfahren und zurück mit den Taschen auch wieder den Berg hoch. So, dass unsere Einkaufstouren sich dann doch eher auf den etwas teureren Supermarkt gleich um die Ecke beschränkten. Bäcker oder Schlachter sind fast gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Wenn man kleine Shops und es etwas alternativer mag, ist Rosemount ein sehr netter Stadtteil. Unser Essen wurde mit der Zeit also immer einfacher. Veith bekam jeden Tag in der Schule das Schulessen. Ich habe aber irgendwie trotzdem 3 Kilo zugenommen. Vielleicht, weil es doch alles etwas fettiger ist, vielleicht weil ich auch ein halbes Jahr keinen Sport gemacht habe. Schwimmen kostet im RGU (Uni) eigenem Schwimmbad 6 Pounds… Auch Alkohol ist sehr teuer. Guter Rotwein Mangelware und teuer. Schottland ist eine Biertrinkernation. Nur der Single Malt ist sehr lecker. Mit meiner Mitbewohnerin habe ich einmal einen Ausflug zur kleinsten Whiskydestillerie Schottlands gemacht, in Eldradour. Außerdem hatte ich eine kleine Liste mit Single Malt-Empfehlungen, die ich mit der Zeit fast alle probiert habe. Auch den Haggis und die Pies habe ich probiert, aber die schottische Küche ist nicht vielfältig…. Mit der Child Carerin für meinen Sohn hat es gut geklappt. Nur in den After School Club, der viel günstiger war, wollte er nicht. Während der Ferien war er 2 Wochen da, und als er dann nach den Ferien regelmäßig hingehen sollte, ist er beim ersten Mal gleich abgehauen. Das war große Aufregung, und damit war die Sache dann aber auch klar. Veith ist bei seiner Child Carerin geblieben. Vielleicht war der Unterschied zwischen seinem freien Kindergarten, in dem fast alles erlaubt ist, und dem After School Club, der wegen der Rechtslage- die Angestellten haften im Falle eines Unfalls persönlich- sehr reglementiert ist, zu groß. Die Mitte Kurz vor Weihnachten habe ich mit meinem Caravan Projekt begonnen. Ich habe einen alten Caravan entdeckt und wollte ihn gerne umbauen. Stuart Mac Donald und Morag Robertson haben sich für die Genehmigungen eingesetzt, und mit Hilfe eines Abschleppunternehmens ist der Caravan dann zur Uni gekommen. Mit Beginn dieses Projekts habe ich mich dann auch wohler in der Uni gefühlt. Ich hatte mein eignes Atelier und durfte mir auch Werkzeug ausleihen, um darin zu arbeiten. Veith hat mich in dieser Zeit auch gerne zur Uni begleitet, weil er es sehr spannend fand, mir zu helfen. Ich habe dann mit ihm zusammen ein kleines Puppen/Menschentheater einstudiert, das wir am Tag der Eröffnung vorgetragen haben. Unsere gemeinsame Aufführung war ein voller Erfolg, und Veith war nachher sehr stolz auf sich. Durch das Projekt bin ich auch mit einem unabhängigen Kurator in Kontakt gekommen, der mich der Kuratorin von Peacock bekannt gemacht hat. Auch die Betreiber von Project Slogan, eine sehr nette kleine Galerie, habe ich über das Projekt kennengelernt. Die Abreise Nach der Eröffnung blieben mir noch zwei Wochen, um alles wieder aufzuräumen in der Uni und mich auf die Rückreise vorzubereiten. Durch Geldmangel waren wir leider gezwungen von Glasgow nach Düsseldorf zu fliegen. Das kostete für uns beide nur 80 Pounds. Der Megabus von Aberdeen nach Glasgow nur 20 Pounds. Wir haben dann die Nacht am Flughafen verbracht und haben dann probiert, unser Übergepäck wieder in das Flugzeug zu bekommen. Leider drückt Ryan Air kein Auge zu, und wir haben uns alles angezogen, was ging. Das sah ziemlich lächerlich aus, hat uns aber 100 Pounds gespart. Aus Düsseldorf hat uns dann mein Vater abgeholt. Resumee: Die Organisation des Aufenthalts hat eine sehr große Eigenleistung und Gottvertrauen gefordert. Vieles hat gut geklappt und ließ sich vorher nicht planen, wie z.B. unsere Mitbewohnerin, die uns mit dem Auto durch die Gegend gefahren hat und abends mal auf Veith aufgepasst hat. Von Seiten der Uni habe ich keine Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Child Carer bekommen. Ich habe mich im Vorfeld im Internet informiert, aber schlussendlich hat mir das Reden vor Ort am meisten geholfen. Ich hatte sehr viel Glück, dass weder Veith noch ich ernsthaft krank geworden sind. Aber schlussendlich lässt sich sagen, dass mir die Einstellung: Es gibt zu jedem Problem eine Lösung, wenn man sich darum kümmert, sehr geholfen hat. Aber ich habe mich teilweise sehr allein gefühlt. In Hannover studiere ich mit 3 Eltern zusammen, die ihr Kind im selben Kindergarten haben, und wir können uns ganz anders absprechen bei der Betreuung der Kinder. Und ich hatte gerade zu Anfang sehr große Probleme mit dem hauptsächlich- Mutter- sein. Aber alles wurde dann besser, als ich mehr Leute kennengelernt habe. Trotzdem war der Aufenthalt für mich und auch für meinen Sohn ein großer Gewinn. Und ich möchte an dieser Stelle allen danken, die diesen Aufenthalt möglich gemacht haben.