DIE LEHMHOTTENSIEDLUNGEN DER STADT BAGDAD
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DIE LEHMHOTTENSIEDLUNGEN DER STADT BAGDAD
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IV/1951 Harburger DIE LEHMHOTTENSIEDLUNGEN DER STADT BAGDAD Ein Beitrag zur Sozialgeographie orientalischer Stadte Eugen Wirth Mit 1Abbildung und 4 Bildern The mud-hut A contribution quarters of Bagdhad. social geography towns. of oriental to the The author shows that the so-called "slums" Summary: of Bagdhad form not only but also func physiognomieally tionally an essential part of the town. They are, however, not slums in a sense but rural settlements which European have migrated to the town. The inhabitants of these "slums" are fellaheen who can thus continue to live in their accustomed environment while also enjoying the village of life near a town, such as chances of advantages employ ment and additional to meet the income, without having costs of accommodation sustenance. and usually higher This is the basis of further social advance in which many of these "slum" inhabitants succeed. These mud-hut quar ters are on the other hand as the location of important milk The milk there is not produced Baghdad's supply. in the rural u m land and then delivered to the town, but the livestock are kept in the town and the milk-producing fodder is brought from outside. This change of location is quite advantageous (from an economic point of view con turns sour during the summer sidering how rapidly milk months. Die stadtgeographische Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, dafi sich die Wandlungen der politischen und wirtschaftlichenBedeutung einer Stadt, Wachstum, Stagnation und Verfall, im allgemeinen getreulich in der Entwicklung und Wandlung des 310 Erdkunde Band V111 Stadtbildes widerspiegeln. Diese Regel gilt nicht nur fiirEuropa, sondern auch fiir die Stadte des Orients. Bagdad, fiir viele Jahrhunderte eines der Zentren islamischerKultur, ist hierfiir ein gutes Beispiel. Die Blute-und Nachbliitezeit Bagdads lag im friihen und hohen Mittelalter. Spater fiihrtedie Schwache des Kalifenreiches zu mehrfacher Zerstorung der Stadt, bis sie dann unter tiirkisch-osmanischer Herrschaft fiir fast drei Jahrhunderte, bis zum erstenWeltkrieg, zu einer relativ und unbedeutenden Provinz vernachlassigten hauptstadt wurde. Diese Zeit der Stagnation spiegelt sich nun auch im Stadtbild wider: Bagdad blieb wah in seiner renddessen Die verandert. schen raumlichen relativ kurze fast Ausdehnung Lebensdauer der un iraki eine epochenweise recht und Lehmziegelhauser zu einer fortwahrenden fiihrten zwar regeBautatigkeit baulichen Erneuerung der Stadt, so dafi auch die alteren Hauser der Altstadt meist nur ins 19. Jahrhundert zu riickreichen.Ein Vergleich von Stadtplanen und Stadt ansichten aus dem 16. Jahrhundertmit solchen aus der Zeit kurz vor dem erstenWeltkrieg lafit aber er kennen, dafi die bebaute Flache Bagdads in diesen vier hundert Jahren praktisch konstant geblieben ist. Auch der Stadtgrundrifi hat sichwahrend dieser Zeit kaum geandert. Bagdad war noch 1914 ein Labyrinth von engen,winkligen, oft blind endenden Gassen und Gafichen, das den von Mauern umgebenen Bezirk etwa zur Halfte ausfullte. Im Siidosten des bebauten Gelandes lagen Palmgarten, die sich auch jenseits des Mauerrings fortsetzten; der Raum zwischen der Stadt und den Mauern im Nordosten dagegen war durch Graberfelder, ausgedehnte einige Wassertiimpel, Gar ten, Felder und Odland angefiillt.Auf dem westlichen Tigrisufer schliefilich lag, von einer jiingeren und Mauer schwacheren etwas umgeben, flufiaufwarts ver setzt die Vorstadt el Khark1). Das Jahr 1916 brachte dann die erste grofieAnde ? vorwiegend aus militarischen rung im Stadtbild, als ohne jede Riicksicht auf die vorhandenen Griinden ? Gebaude eine gerade Durchgangsstrafie, die Rashid Strafie, durchgebrochen wurde. Sie fiihrtparallel zum Tigris direkt vom Nord- zum Siidtor. Zwanzig Jahre spater wurde in einem grofien geschwungenen Halb kreis eine zweite grofieDurchgangsstrafie, die Ghazi Strafie, geschaffen. Sie verlauft weiter vom Tigris ent fernt, endet aber wieder bei denKnotenpunkten Nord und Siidtor. Als schliefilich kurz vor dem zweiten Weltkrieg die zwei modernen Tigrisbrucken gebaut wurden, brach man in ihrer Verlangerung, recht winklig zu den beiden tigrisparallelen Achsen, noch mals je eine moderne Strafie durch. Abgesehen von diesen Verbesserungen des Durch in die dreifii gangsverkehrs kam jedoch das Bauen bis ger Jahre hinein nur langsam voran. Daher ist abseits iiber die historische Entwicklung 1) Einen guten Oberblick und Rekonstruktionen alten mit Stadtplanen Bagdads, von A. Sousa her friiherer Stadtgrundrisse, gibt der 1952 von Bagdad Atlas (in arab. Sprache, Auflage ausgegebene sowie die historische Karte etwa 250 numerierte Exemplare) in arab. Sprache, heraus von A. Sousa (ebenfalls Bagdads der Wissenschaf Akademie gegeben 1951 durch die irakische nur die Stadtentwicklung ten). Leider bringen beide Werke also gerade die bis zum ersten Weltkrieg, berucksichtigen neuste Zeit nicht. der ganz wenigen Durchgangsstrafien die Bagdader ? so sei im folgenden das Bagdad der Zeit ?Altstadt" kurz vor dem erstenWeltkrieg genannt ? bis in die letzten Jahre hinein erhalten geblieben. Erst heute be sich eine ginnt neue ganz abzuzeichnen: Entwicklung Entlang den neuen Durchgangsstrafien und am Tigris ufer wachsen moderne neue, wieder immer Hohe, in die Ge'schaftsbauten alte werden und Gebaude Ge baudetrakte abgerissen und bei Beibehaltung des augen blicklichen Bautempos werden in 7ehn Jahren wohl grofie Teile der Bagdader Altstadt einer europaisch amerikanisch bestimmtenmodernen City gewichen sein. Das Konservieren der Bagdader Altstadt bis etwa zum Jahre 1950 fiihrtenun dazu, dafi sichwesentliche Teile der Neustadt dreifiig Jahre lang zweipolig ent wickeln mufiten: Als die Stadt allmahlich zu wachsen und begann neue laufend konnten nahm, die sich iiber Funktionen zentrale nur neuen Gebaude an den Aufienrand der Altstadt anschliefien; die Rashid Strafie, zwanzig Jahre lang die einzige Durchgangs strafie,war dabei die gegebene Leitlinie. Die Stadt teileNordtor und Siidtor, also die Stellen, wo sie in die Altstadt eintrittbzw. sie verlafit,wurden die zwei Zentren der offentlichen Bautatigkeit: Im Raume des Nordtores, wo sich schon zur Tiirkenzeit das Serai (Regierungsgebaude) befunden hatte, findenwir heute die meisten Ministerien, das Rathaus und die Stadt verwaltung, das Polizeiprasidium und die meisten Krankenhauser, und Colleges hochschulahn anderen lichen Institute. Im Stadtteil Siidtor liegen die iibrigen alle Ministerien, modernen Hotels Stils, europaischen fast alle grofienKinos von Bagdad, die meisten moder nen Geschaftshauser aus vor der Zeit 1950, Reisebiiros und viele Banken. Zwischen diesen beiden Polen aber konnte sich,wie schon gesagt, die Altstadt mit dem orientalischen Bazar und vielen Moscheen bis in die letzten Jahre hinein ihrenvorwiegend arabischen Cha rakter bewahren. Nachdem die reicheren Bagdadi in den vergangenen zwanzig Jahren aus der Altstadt her aus. in die Villenviertel umgesiedelt sind, ist sie heute vor der minderbemittelten allem Wohnstadt Bevolke rungsschichten.An den Nordostrand derAltstadt aber, also an der tigrisabgewandten Seite, lagert sichein vor und Kleinindustrie be wiegend durch Handwerk stimmter statten Streifen und kleine an. Hier finden Fabriken, sich viele Lagerhallen und Werk Auto reparaturbetriebe. Noch vor dreifiig Jahren wurde nun die Bagdader Altstadt beiderseits des Tigris stromauf und stromab von einem etwa 800 m bis 2 km tiefen Palmgarten streifen flankiert. ist wegen garten Dieser der von ?Galeriewald" Palm Baume schattenspendenden und der kiihlenden Wirkung des Flusses die Leitlinie fiir die modernen Wohn- und Villenviertel von Bagdad geworden: Sie folgen in langem, schmalemStreifen den nur von einer Tigrisufern, und in den Garten der meist Familie bewohnten eineinhalbgeschossigen Villen sieht man neben schnellwuchsigen neugepflanzten, Baumen und Gartengewachsen oft noch als Reste dieses Palm waldes einige Palmen stehen. Die Juden und die Europaer Bagdads waren die ersten gewesen, die aus der im Sommer besonders heifien Innenstadt hier her auszogen. Die reicheren Iraki folgten dann, und heute liegenmanche Villen schon 10 km von der Innenstadt 0 Stadtteiie modernere ggjjj LehmhiittensiedHHfgrdssere ^^^^^^^^L if -"vs7aSLduerehemaligVI gegenv.E. \ .Schutzdamm kommende Oberflutungen entfernt. ordentlichen In jiingster Zeit ) / / / \\ \jf / / ^ V ^-^\f ) / versucht diesem man, der Wohnviertel Langenwachstum ^r^^\ ^n^I^^^ JK ?Itr/^'-BAGDAD aufier Bag dads dadurch zu begegnen, dafi man in grofiererNahe der aber Innenstadt, viel vom weiter Flufi entfernt, Villen mitten in eine wiistenahnliche Landschaft hin einbaut. Wieweit von solche Versuche dauerndem Er folg sein werden, mufi die Zukunft lehren. Am Aufienrande des heute bebauten Stadtbezirks schliefilich findet man die zwei grofien Bahnhofs der anlagen Stadt, Truppeniibungsplatze, Depots, Fabriken, Lagerplatze und zwei grofieZiegeleibezirke. Grofie Stiicke Lands in dieserRandzone sind verwahr lost, unbewassert und wiistenhaft; die Landwirtschaft ist hier besonders Umland extensiv, von Bagdad und erst im rein agrarischen findetman dann eine gewisse mit auf den Konsum Intensivierung vor. ? Anbau der Grofistadt ein gestelltem Zu Altstadt und und moderner Stadtrandzone tritt nun 311 und kleine Mitteilungen Berichte Villenvierteln Innenstadt, ein weiteres, aber noch ebenso wichtiges Gestaltelement der Stadtlandschaft von Bagdad: Es sind diejenigen Bezirke, die von Aus ^ ^V^VV ^^V^^'-^J^a * ,' * , km 203 f >>Cj "J _ * Skizze 1953 Stadtgeographische 1 /-1-' / ***** , _I \ Ny /_( E.Wirth\ / _Entwurf: landern und vielen Stadtirakis gemeinhin als die Slums von Bagdad bezeichnet werden. In aller einschlagigen Literatur werden sie entweder iiberhaupt nicht oder nur sehr summarischbehandelt. Sie sind aber nicht nur physiognomisch, sondern auch fiirdas soziale und wirt schaftliche Leben der Stadt von grofier Bedeutung. Deshalb soil im folgenden einmal etwas ausfiihrlicher auf Die sie eingegangen werden. treten in zwei ?Slums" recht verschiedenen Er scheinungsformenauf, je nachdem, ob sie in derVillen region des Palmgartenstreifens oder in den wiisten haften tigrisfernen Stadtrandgebieten von Bagdad liegen. In den von Villen und Garten freienUdland gebieten am Nordost- und Sudwestrand der Stadt bilden sie grofie, dichtgeschlossene Siedlungskomplexe von durchwegs eingeschossigen, aus ungebranntem Lehm erbauten Hiitten. Eine solcheHiitte umfafit etwa vier bis zehn Quadratmeter und ist seiten mehr als zwei Meter hoch. Das Dach besteht aus Schilfmatten, die iiber zwei oder drei die Giebelwande verbindende Stangen gebreitet werden. Die Lehmwande sind fast stets fensterlos, der Eingang wird durch eine Matte 312 Erdkunde Band VIII oder ein Tuch verschlossen. Jede Hiitte bildet grund satzlich nur einen Raum. Meist sind aber zwei oder drei dieser Einraumhiitten auf einen kleinen lehm ummauerten Hof hin geoffnet und bilden als Ganzes dann denWohnbezirk fiir eine Familie. Der grofite geschlossene Komplex dieser Art findet sich ostwarts der Innenstadt. Es ist eine Lehmhiitten siedlung von Stadtgrofie, die im Bereich alter, aufge lassener Ziegeleien liegt.Dicht stehtHiitte an Hiitte; der Boden ist absolut steril und zeigt oft den weifien Schimmer von Salzausbliihungen. Das Ganze liegt aufierhalb der Hochwasserschutzdamme. Durchschnitt lich jedes zweite bis dritte Jahrmiissen die Bewohner im Friihling ihreHiitten fluchtartig vor den ankom menden Tigrishochwassern mehrere zusammen raumen. Nachher kehren sie aber immerwieder in ihreBehausungen zuriick; ihr ist namlich der einzige innenstadtnahe Wohnbezirk Teil (Bagdads, auf den sich das offizielle Verbot der in Lehmhutten nicht erstreckt. Im Ansiedlung Osten dieser Lehmhiittenstadt liegen grofie Ziege leien; sie sind im Gegensatz zu jener einzeln oder um mit Hochwasserschutzdammen geben und bieten so das seltsame Bild eingedeichter Landstiicke mitten in derWiistensteppe. In den Villenvororten nahe des Tigris, also im Be reich der urspriinglichen Palmgartenzone, bieten die Lehmhutten dagegen ein vollig anderes Bild. Die ein zelnenHiitten sind zwar ebenso gebaut, aber sie bilden keine grofien, zusammenhangenden Siedlungskom plexe. Man findet vielmehr auf kleinen frei gebliebenen Platzen, in bis heute erhaltenen Palmwaldparzellen und am Strafienrand in bunter Gemengelage zwischen den umzaunten Garten der Villen kleine Griippchen von etwa fiinf bis zwanzig Wohneinheiten. Die arm lichsten Hauser bestehen aus nur einer einzigen stroh Verhaltnisse namlich sind, an europaischen Mafistaben gemessen, sehr Locher stagnierendem, schlecht. Haufen fallen, in denen Esel, Hunde mit von Unrat und Ab und Kinder wiihlen, stinkendem Wasser, in denen sichWasserbiiffel behaglich walzen, und das vollige Fehlen einerAbwasserbeseitigung und Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser machen gerade die grofien Lehmhuttenkomplexe zu einem standigen Gefahren herd fiir den Ausbruch grofier Seuchen. Dazu kommt, dafi es bis heute inBagdad noch keinerlei Kanalisation oder Miillverbrennung gibt. Ein Grofiteil der anfallen den Abfalle Bagdads wird einfach auf grofieHaufen geschiittet;diese befinden sichnun aber ausgerechnet in nachsterNahe der grofitenLehmhiittensiedlungen. Gerade wegen der schlimmen hygienischenVerhalt nisse gibt sich nun ? und dies sei hier besonders be tont? die Stadtverwaltung von Bagdad grofieMiihe, das Problem der ?Slums" zu losen. In jeder neuen Planungsschrift iiber die kiinftige Stadtentwicklung werden durchgreifende Mafinahmen zur Beseitigung der Lehmhiittenquartiere empfohlen. Dafi solche Plane bis heute noch kaum iiber die ersten Ansatze hinaus gekommen sind, liegt in den lokalen Verhaltnissen be griindet und kann deshalb in keinerWeise zum Vor wurf gemachtwerden. Alle diese Probleme derHygiene und Stadtplanung sollen uns jedoch in diesem Zu sammenhang nicht beschaftigen 3).Wir wollen vielmehr die Frage aufwerfen, welche Funktionen die Lehm hiittensiedlungen im sozialen und wirtschaftlichen Leben der Stadt Bagdad ausiiben und ob sie demzu folge uberhaupt den Namen ?Slums" verdienen. Den Schliissel zur Losung dieses Problems bildet die Frage nach der Herkunft der Bewohner der Lehm Es hiittensiedlungen. d. h. Fellachen leute", sind fast durchwegs ?Stammes aus rein agrarischen den Ge mattengedeckten Lehmhiitte; die meisten Familien be wohnen aber wieder eineWohneinheit von mehreren dieser Einraumhiitten, die um einen Hof gruppiert sind. Oft sind die Lehmhutten an die Backsteinmauer einer modernen Villa angebaut, um Baumaterial fiir bieten des Irak, die dort in Stammen organisiertwaren und unter der Oberhoheit eines Scheichs standen. Als mit dem Anschlufi des Irak an den Weltmarkt viele Scheichs ihre patriarchalische Fiihrerstellung immer mehr dazu ausnutzten, moglichst viel Geld aus ihren gung benutzt. Diese iiberaus innigeDurchdringung von modernen Villen mit ihrenGarten und diesen kleinen Gruppen von Lehmhiitten findet man praktisch in alien Villenvororten Bagdads. Selbst in den vornehm stenWohnvierteln gibt es praktisch kaum eine Strafie, in der man nicht neben prunkvollen Villen ameri kanischen Stils auch auf die eben geschilderten Lehm hiitten stofit. Fellachen oft in ein sklavenahnliches Verhaltnis ab4). Sie mufiten den grofitenTeil ihrerErnte (bis zu 90%) an den Scheich abliefern und hatten oft nicht einmal genugend Bargeld, um wenigstens den dringendsten Bedarf (Tee, Zucker, Tabak, billigste Textilien) zu stillen. So entzogen sie sich in ihrerVerzweiflung nur zu oft der Oberhoheit des Scheichs und Stammes und wanderten in die Stadt ab. Hier sind sie vor den Zu griffen ihrer ehemaligen Herren fast ganz geschiitzt5). zu sparen, auch die Wasser und oft wird eine Wand zur Wasserversor Gartens eines benachbarten leitung In den grofien,zusammenhangenden, und in den klei nen, flachenhaftverstreuten Lehmhiittensiedlungen der Stadt Bagdad leben nach einschlagigen Schatzungen etwa 60 000 bis 100 000 Menschen ? eine Zahl, die eher zu niedrig als zu hoch gegriffenist2).Diese Wohn viertel mit ihrer auf engstem Raum zusammenge pferchten Bevolkerung sind nun zweifellos die grofite Sorge der Bagdader Stadtplanung. Die hygienischen werden namlich oft weibliche Mit 2) Bei Volkszahlungen einfach nicht angegeben (was im Harem glieder des Hauses etwas an), und audi Sonne wer ist, geht keinen Fremden ein sie nicht zum Militar damit den gerne verheimlicht, gezogen werden. Leuten herauszusaugen, sanken die ihnen untergebenen Bericht der Internationalen 3) Der Wiederaufbaubank, of Iraq", Baltimore ?The Economic 1952, Development in den Kapiteln behandelt diese Fragen iiber Community and Facilities. Planning zu Beginn unseres sozialen Wandlungen diese 4) Uber des siehe auch die Jahrhunderts Kapitel einschlagigen Buches von D. Warriner, Land and Poverty in the Middle 1948. East, London hart sind die Lebensbedingungen der Fel 5) Besonders dies erklart, dafi ein Grofi lachen in der Provinz Amarra; teil der Lehmhuttenbewohner des gerade aus dieser Gegend unteren Irak stammt. Hauptanziehungspunkt fiir die ent ist natiirlich Stammesleute wichenen auch Aber Bagdad. Basra und die Stadt (etwa 20 000 Lehmhuttenbewohner) Amarra haben grofiere Lehm- und Schilfhiittenslums. Berichte 1: Blick auf den Bild Im Vordergrund dads. fladen. Bild 2: Grofier Lehmhiittensiedlungen. Hof grofiten Lehmhiittenkomplex zum Trocknen aufgestellte mit Buff ein in einer der und kleine Mitteilungen Bag Mist grofien 313 Bild 3: An der Mauer von Lehmhiitten. Gruppe links ein landesubliches einer Auf vornehmen dem Dach Villa angelehnte hinten der Hiitte Bettgestell. im ehemaligen 4: Lehmhuttengruppe Bild Villen. moderne bereich. Dahinter Palmgarten Im Irak gilt also noch bis heute dasWort ?Stadtluft erdigungen direkt vor den Toren Bagdads viel altes sehen. arabisches Brauchtum macht frei". Die Stammesleute brachten ihre ein bis So bringen die Lehmhuttenbewohner mit ihren neben ein paar drei Kiihe, Buffel oder einen Esel ? Bauernhausern und ihremVieh ihr ganzes landliches Kissen, Teppichen, Kochtopfen und Teeglasern meist das einzige, was sie besitzen ? mit in die Stadt, und Milieu bis fast an den Rand der Innenstadt heran. Da durch kommen ihnen aber alle Vorteile eines Lebens in sie versuchten nun zunachst einmal, sich hier wieder Stadtnahe zugute, ohne dafi ihnen hohere Kosten fiir in sie vorher der Umwelt dieselbe aufzubauen, genau und Lebensunterhalt entstiinden:Die Wande Wohnung gelebt hatten. So gingen sie in die unbebauten Rand der Einraumhiitten und die Hofmauern werden in bezirke der Stadt oder suchten sich freie Flecken inner Familienarbeit aus dem iiberall vorhandenen Ton ge halb der Villenvororte und errichtetenhier aus Lehm formt. Die Schilfmatten furs Dach wurden wie die und Schilfmatten wieder ihre alten, gewohnten Fel von der alten, land Einrichtungsgegenstande wenigen lachenhauser. Die Lehmhutten der Bagdader ?Slums" lichen Siedlung mitgebracht, und irgendeinKanal, aus sind also durchaus keine fiir den Irak aufiergewohn dem man Wasser schopfen kann, fliefit in der Nahe lichen Elendsquartiere, sondern es sind rein dorfliche der Stadt ebenso wie bei den verlassenen Behausungen Hauser, wie wir sie alluberall in den landlichen Sied draufien auf dem flachen Lande. Das mitgebrachte lungen des Irak finden.Die Stammesleute halten da Grofivieh liefertMilch, Sauermilch und Butter, als bei zah an ihren regional sehr differenzierten altiiber Brennstoffwird getrockneterDung und aufgesammel liefertenFormen desHausbaus fest.Dies hat zur Folge, tes Dornreisig verwendet, und da die meisten Lehm dafi man ohne Miihe schon aus den verschiedenen huttenbewohner selbst imWinter barfufi laufen, sind sie auch der Sorge um Schuhwerk enthoben. Typen der Hauser in den Lehmhiittensiedlungen Bag dads auf die Herkunft ihrerBewohner schliefienkann. Dieser Moglichkeit, die Lebenshaltungskosten in Auch das Leben innerhalb der Familien spielt sichnoch Stadtnahe ebenso niedrig zu halten, wie irgendwo auf dem flachenLande, stehen nun aber die vielen zusatz durchaus im Rahmen der alten Stammesbrauche ab, lichenVerdienstquellen der nahen Stadt gegeniiber: und so kann man vor allem bei Hochzeiten und Be 314 Erdkunde Band VIII Die Manner und alteren Sonne arbeiten als Kulis auf dem Markt, als Diener in wohlhabenderen Haushal tungen, als Arbeiter in einer Fabrik oder Ziegelei oder von Bau beim Strafien und Hausern. Die ver Weiber sorgen wahrend dieser Zeit das Haus und das Vieh, verkaufen Milch, Buttermilch und Joghurt in der Stadt, und selbst die kleinen Kinder konnen inBagdad durch Betteln und kleine Dienstleistungen taglich noch einige mit Pfennige hinzuverdienen. Neben all diesen Verdienstmoglichkeiten kommen die Lehmhuttenleute aber durch ihrWohnen in Stadt nahe auch noch in den Genufi von Schule und Arzt. Da arztliche Betreuung und Krankenbehandlung inden staatlichen Krankenhausern umsonst theoretisch ge wahrt wird, suchen die Bewohner der Lehmhutten in schwierigen Krankheitsfallen korperliche Verfassung trotz Hinder mancher nisse doch oft den Arzt auf. Dies und die relativ etwas bessere Ernahrung haben zur Folge, dafi die allgemeine der stadtnahen Lehmhutten leute sichtlichbesser ist als die der Bewohner von ab gelegenen Fellachendorfern. Aber auch der Schulbesuch der Kinder fiihrt schliefilichzu einem hoheren Lebens standard. Ist doch die Schule im Irak bis heute noch der einzige Ort, wo mit einiger Breitenwirkung auf Dinge wie personliche Hygiene, Gesundheit usw. hin gewiesen wird, und wenn die Kinder erst einmal lesen dann konnen, sind ersten die damit Voraussetzungen einer Aufklarung und Belehrung durch Flugblatter, usw. Broschiiren gegeben. Aus all dem geht klar hervor, dafi die ?Slums" von Bagdad auf keinen Fall Slums in irgendeinem Sinne europaischer Arbeiterelendsviertel darstellen. Sie sind ganz im Gegenteil fiir ihre Bewohner die erste Stufe eines sozialen Aufstiegs. Allerdings leben die Lehm hiittenleute auch heute noch inVerhaltnissen, die fiir europaische Begriffeweit unter jedemExistenzminimum liegen. Die unter Verhaltnisse ihren Stammesfiirsten, denen sie entflohen sind, waren aber fast stets noch viel schlimmer. In den Lehmhiittensiedlungen von Bag dad findet man Wohnungen heute primitive z. B. doch eiserne in den meisten schon Bettstellen rahmen; dies ist in den meisten Teilen Landes nur den Reicheren vorbehalten. mit Feder des flachen Oder wenn man am friihenMorgen durch die ?Slums" geht, dann sieht man, wie die Frauen einfache Matratzen und Decken zum Liiften in die Sonne legen, den Hof ihres Hauses mit Palmwedeln kehren und ihre kleinen Kin der in grofienBenzinkanistern baden. All das sind aber Dinge, auf die man in den Fellachendorfern fern von stadtischen Siedlungen nur sehr seiten trifft. Dariiber hinaus sind aber die ?Slums" von Bagdad auch ein ideales Sprungbrett fiirweiteren wirtschaft lichenund sozialen Aufstieg. Man sieht es namlich den einfachen Lehmhutten oft nicht an, wieviel gespartes Bargeld in ihnen schon gehortet wird. Oft leben die Bewohner derHiitten bewufit primitiv undeinfach, um moglichst rasch viel Geld zu ersparen, damit sie dann eines Tages den grofien Sprung von den Lehmhiitten iiber den Hochwasserdamm hinweg in die besseren Wohngegenden von Bagdad machen konnen. Dieser Sprung ist schon vielen gelungen; noch die Grofivater mancher heute in Politik und Verwaltung des Irak mafigebender Personlichkeiten hatten in einer dieser Lehmhutten der Bagdader primitiven ? ?Slums" haust. ge Die Lehmhiittensiedlungen nehmen nun aber auch noch in der Lebensmittelversorgung Bagdads eine ganz besondere Stelle ein: Aus ihnenwird namlich der bei weitem grofiteTeil des Bedarfs der Stadt anMilch und Milchprodukten gedeckt. Bis vor wenigen Jahren hatten sie sogar das absolute Monopol der Milchversorgung. Heute gibt es einige Staats- und Privatfarmen, die in hygienisch iiberwachten Betrieben vor allem fiir die europaischen Einwohner Bagdads Milch und Butter liefern.Die Leistung dieser Farmen ist aber noch viel zu gering.Auch die Europaer beziehen ihreMilch noch vorwiegend aus den Lehmhiittensiedlungen, falls sie nicht importierte australische oder danischeDosenmilch verwenden, und die eingeborene Bevolkerung Bagdads ist zur Deckung ihresBedarfs an Milch und Milchpro dukten noch heute ganz auf die Lehmhiittensiedlungen der Stadt angewiesen. Fiir die Lehmhuttenbewohner werden dadurch die wenigen Kiihe und Biiffel, die sie in die Stadt gebracht haben, wertvollstes Kapital. Auf dem flachen Lande konnen sie namlich die Milch und ihre Produkte nur fiir den Eigenbedarf ihrerFamilien verwenden; in der Stadt dagegen entsteht ihnen hieraus eine neue Quelle fiirBargeld. So ist es zu verstehen, dafi der Fiitterungs zustand desGrofiviehs in denLehmhiitten iiberraschend gut ist. Fast jede Familie hat ein oder einige Stiick Milchvieh imHofe stehen. In den kleinen, verstreut liegenden Huttengruppen innerhalb der Villenviertel findetman meist Kiihe, wahrend in den grofien, zu sammenhangenden Lehmhiittenkomplexen aufierhalb der Palmgartenzone auch hof" untergebracht, sondern viele anzu Wasserbuffel treffensind.Hier gibt es sogarHofeinheiten mit acht, zwolf oder zwanzig Wasserbiiffeln. Bei einer solch grofien Anzahl von Tieren sind die Biiffel dann oft nicht in dem von denWohnhiitten umgebenen ?Wohn in einem besonderen Vieh hof, der an diesen angebaut ist und bei dem die eine der vier als Futterkrippe Lehmmauern ausgebildet ist. Die iiberraschendeGrofie solcherWasserbiiffelherden erklart sich aus einem echt kapitalistischen Geist ihrer Besitzer, die alles gewonnene Bargeld sofort wieder zum Ankauf von neuen Tieren verwenden6). Aus irgendeinem Vorurteil heraus gilt im Irak je doch Buffelmilch trotz ihres hohen Fettgehaltes (etwa 7 ?/o)als eineMilch zweiter Giite. So trinken die wohl habenderen Stadtaraber und die Europaer ausschliefi lichKuhmilch. JedenMorgen zwischen fiinfund sieben Uhr ziehen die Weiber und Kinder aus den Lehm hiittenmit ihrerKuh am Strick durch die Strafien der Villenviertel. Sie machen vor jedemHaus halt, lassen sich vom Diener die Milchflasche herausbringen und melken dann die Milch unter Zuhilfenahme eines grofien Trichters direkt in die Milchflasche hinein. Dieser Transport der Milch imKuheuter bis zurHaus stammen dieser Wasserbiiffel und Halter 15)Die Besitzer aus den grofien Sumpf- und Seengebie fast ausschliefilich ten des unteren Euphrat scheinen im und Tigris. Die Tiere von ihrer feuchten grofien und ganzen den Standortwechsel in die fast wiistenhaften Heimat Stadtrandgebiete Bagdads son zu haben. nie eingespannt, Sie werden gut vertragen dern dienen nur als Milchvieh. Berichte und kleine Mitteilungen tiir des Verbrauchers gibt diesem einmal die Gewifi heit, dafi er absolut frischeMilch bekommt, und zum anderen, dafi eswirklich reineKuhmilch und kein Ge misch mit Ziegen- oder Biiffelmilch ist.Die Milchpro ? dukte vor und Joghurt allem Butter, ? eine Kaseart Sauermilch, Buttermilch, von den werden dagegen fiir schwereArbeit noch nicht oder nichtmehr zu ge brauchenden Familienangehorigen der Lehmhiitten leute im Bazar oder an irgendeiner Strafienecke Bag verkauft. dads Das Futter fiir ihr Vieh konnen nun die Lehm hiittenbewohner nur in den seltensten Fallen auf eige nem Lande gewinnen. Die wenigen Gliicklichen, die irgendwo einParzellchen am Stadtrand pachten konn ten, bauen als Futter meist Gerste. Das noch 315 dafi siepraktisch keinen Transport vertragt. Das Futter hingegen kann sehrwohl, ohne Schaden zu leiden, iiber langere Strecken transportiert werden. Damit schliefien sich aber die sozialen und die wirt schaftlichenFunktionen der ?Slums" von Bagdad zu einem sinnvollen wohlgefiigten, Organismus zusam men: Die ?Slums" sind fiir ihre Bewohner die erste Stufe eines sozialen Aufstiegs. Das mitgebrachte Vieh ist eine wertvolle Erwerbsquelle geworden, und sein Standort imWeichbild der Stadt istwegen der grofien Verderblichkeit der Milch auch wirtschaftlich durchaus sinnvoll. So ist ein Teil genau auf den anderen abge stimmt, stabiler und es ergibt sich zusammen Funktionszusammenhang. ? ein harmonischer, griine Eine Gesamtbeurteilung der Lehmhiittensiedlungen Bagdads darf aber nicht bei diesen durchaus positiven sozialen und wirtschaftlichenAspekten enden. Zur Ab rundung des Bildes mufi vielmehr noch darauf hinge wiesen werden, dafi die Lehmhiitten nicht nur in hygienischer, sondern auch in politischer Hinsicht ein stetes Problem bilden. Es liegt darin begriindet, dafi oder ganz verwahrlosten Bewasserungs aufgegebenen der Irak von heute in vielem dem Frankreich kurz vor feldern des Stadtrandes auf und bauen hier in einem an. etwas dem Jahre 1789 gleicht. Die soziale Unzufriedenheit primitiven Regenfeldbau Futtergetreide der von Scheichs und reichen Kaufleuten vollig ab Auch die vom Sickerwasser gut durchfeuchteten ein bis drei Meter breiten Streifen beiderseits der meist nicht hangigen Fellachen wird immer grofier. Bagdad aber istmit seinen etwa 800 000 Einwohnern in dem ins dichten werden kleineren ganz Bewasserungskanale von den Lehmhuttenleuten zum Anbau von etwas Ge gesamt nur 5Mill, zahlenden Lande ohnehin schon ein miise in gartenbeetgrofien und Par wasserkopfahnlicher Schwerpunkt. Wer Bagdad und Futtergetreide zellchen benutzt. Wieder andere schliefilich schicken seine Institutionen beherrscht, hat den Schliissel zur Herrschaft iiber das ganze Land. So konnte, wie im tagsiiber ihrVieh unter der Obhut der kleineren Kin Paris der Vergleichszeit, eine unzufriedene Menge in der in alte, aufgelassene Palmgarten zwischen den der Hauptstadt sehr viel mehr erreichen,als ein mach Villen oder auf verwahrloste, nicht bestellte Bewasse tiger aufstandischer Stamm auf dem flachen Lande. rungsfelder,wo in der feuchterenZeit des Jahresmeist Die Initialziindung wiirde zwar sicherlichbeim aka ist. noch etwas Griin abzuernten demischen Proletariat der Hauptstadt, bei den Stu Diese Futterver einer kostenlosen Moglichkeiten Getreide wird entweder durch angepflockteKiihe all mahlich abgeweidet, oder es wird mit primitiven Sicheln geschnitten und zum Vieh in die Lehmhutten gebracht; oftweidet dann ein Esel oder ein Kalb das griine Stoppelfeld nochmals nach. Andere Lehmhiitten leute suchen die feuchtesten,tiefstgelegenenStellen von die sorgung, ohnehin meist nur etwas Zusatznahrung gibt, stehen aber nur den wenigsten often. So mufi weitaus das meiste Futter fiir das Vieh in den Lehm hiittensiedlungen gekauft werden. Unternehmungs lustige Pachter und kleine Landbesitzer, deren Felder in der weiteren Umgebung von Bagdad liegen, bringen jeden Morgen grofieMengen von Griinfutter auf Last wagen, Pferdewagen oder auf dem Riicken von Eseln in die Stadt. Das griine Getreide ist in kleine Garben herunter gebunden und wird dann vom Wagen garbenweise an die Lehmhiittenleute verkauft. Auch Kornerfutter und Kleie wird oft von Handlern als Futter angeboten. Im Vergleich mit den europaischen Stadten haben wir also in Bagdad eineUmkehrung derTransportver haltnisse, wie wir sie in Europa nur noch bei der Ab melkwirtschaft finden konnen. Hier wie dort ist der Standort des Milchviehs nicht so sehr futter-, als ab satzorientiert. Die Milch wird also nicht in der wei teren landlichen Umgebung der Stadt produziert und dann zu den Verbrauchern transportiert, sondern das Milchvieh steht in der Stadt selbst und das Futterwird zu ihm hergebracht.Diese Verschiebung des Standorts der Milchproduktion fiir Bagdad ist aber durchaus sinnvoll und den Verhaltnissen angepafit: Bei den iiber aus hohen Temperaturen des Sommers und bei dem volligen Fehlen geeigneter kuhlbarer Transportein richtungenwird die Haltbarkeit der Milch so gering, denten und stellenlosen oder weit unterbezahlten Intellektuellen liegen. Der durchschlagskraftigeSpreng stoffhinter diesem Ziinder konnten aber vielleicht die etwa 100 000 Lehmhiittenleute sein, die inBagdad an sassig sind. durch dauernden Die politische Schlagkraft dieser Masse wird durch viele sich gegenseitig verstarkende Faktoren noch be sonders erhoht: Die Lehmhiittenleute sind schon echte Stadtbewohner und stehendeshalb imGegensatz zu den Fellachen des flachenLandes nur noch sehrwenig unter dem mafiigenden und antiradikalenEinflufi der island sehenGeistlichkeit. Der hohereLebensstandard und die bessere Ernahrung fiihren sie leichterzur aktiven Tat, als die Fellachen des Landes, die oft so ausgesaugt und erschopft sind, dafi sie nur noch einen raschen, stillen Tod wunschen. Die Kinder der Lehmhiittenleute wer den in der Schule zum Denken angeregt; sie lernen lesen und ihrepolitische Beeinflufibarkeitdurch etwaige radikale Schriftenwachst dadurch erheblich. Bei ihrer taglichen Arbeit in der Stadt wird den Lehmhiitten leuten dauernd Luxus und Prunk derReichen plastisch demonstriert. So werden Ressentiments dagegen nicht durch vage Vorstellungen und Erzahlungen, sondern intensiven Anschauungsunterricht be sonders stark geschiirt.Die Schatze und Reichtiimer der Stadt bieten zugleich auch einen besonders starken materiellen Anreiz, sich ihrer auf illegalemWege zu bemachtigen. Schliefilich mufi auch noch das client 316 Erdkunde Band VIII von Zusammenwohnen gedrangte engstem Raum erwahnt werden. vielen Menschen auf in den grofien Lehmhuttenkomplexen Zusammen mit der aufierst starken und leicht aufwallenden Erregbarkeit des Arabers be giinstigt eine solche Menschenballung das Auftreten von wie ganz besonders. Bewohner des Irak, der armsten nur hoffen und wiinschen, kann man Massenpsychosen Im Interesse aller der reichsten, dafi die fuhrenden Manner des Staates durch eine kluge, d. h. starke und doch gleichzeitig sozial orien tiertePolitik auch inZukunft die Bewohner derHaupt stadt stets auf demWege der Legalitat werden halten konnen. Um aber, was fiir alle Teile das Beste ist, das Problem der Bagdader ?Slums" in friedlicher zu losen, wird es notwendig sein, die Evolution hygienischenVerhaltnisse entscheidend zu bessern. Nur sollte man dabei alle Mafinahmen vermeiden, die den wirt fein aufeinander abgestimmten augenblicklich und sozialen schaftlichen Funktionszusammenhang Lehmhiittensiedlungen versuchte Ansiedlung 12 km von der Stadt zerreifien. der Die rein einmal in einem Lehmhuttenleute entfernten der schon agrarischen Ge lande mufite scheitern,weil wegen ihrer taglichen Ar beit in der Stadt und wegen des Milchverkaufs die Lehmhuttenleute auf eineWohnung in direkter Stadt nahe angewiesen sind.Nicht eine Ruckfiihrung zu rein agrarischen Verhaltnissen, sondern wohl nur eine Ein gliederung in den Organismus der Stadt wird zu einer dauerhaften Losung fiihrenkonnen. UND GEDANKEN BEOBACHTUNGEN OBER BODENZERSTORUNG RUSSLAND IM EUROPAISCHEN Ernst Friedrich Flohr reflections on Russia in European and In meiner Arbeit iiber Bodenzerstorung im sud lichenAfrika habe ich den Ansatz zu einer genetischen der Gruppierung gewagt Zerstorungserscheinungen unter Zugrundelegung von vier Gliederungsgesichts punkten: 1. Art der Niederschlage, 2. Zustand und Einflufi der Pflanzendecke, 3. geologischer undmorpho logischer Zustand der Drtlichkeit, 4. Form der Zer storung (1, 312 ff.). Dieser erste Ansatz bedarf der Vervollstandigung durch die Verarbeitung eines ?welt alle weiten, betroffenen Klimagebiete erfassenden Be obachtungsgutes" (1, 315). Von dieser Erkenntnis geleitet sammelte ich in den Jahren 1939 bis 1953 im ostlichen Europa von der Mit 3 Abbildungen Observations a time when the Volga-Kama river system experienced of its erosion power as a result of the shrinkage rejuvenation of the Caspian Sea and the consequent of the lowering level. This is an example base of man-produced and and technically conditioned soil erosion. morphologically case here mentioned to be one where The soil appears erosion forced in a particular the secular erosion direction. III. The boulder clay cover and the underlying tertiary strata of the Volga Hills are being dissected from the Volga base level by genuine erosion gullies, o v r a g i, active rain ageing rain gullies, i. e. those which have gullies, and balki, cut back to the watershed, an equilibrium have reached In in their gradient, and only occasionally contain water. an erosion gorge and an o v r a g the following describing are discussed. 1. The of main great importance points of dryness, cracks in the ground, which occur in consequence for slope formation (side erosion), and in particular for back cutting. 2. The very frequent link of young erosion features old trough valley with influence of the. systems. 3. The recent lowering of the Volga level and a rejuvenation base of the erosion power and the mutual between relationships 4. The and secular erosion. soil erosion particular impor measures tance of protective soil erosion, both by against cover and other de means of an appropriate vegetation the climate Russia where is possibly in Southern vices, to forest growth. turning more humid, i. e. more favourable soil erosion is to communicate of this paper The purpose Summary: of soil erosion: observations and discuss firstly, in the forest 28?E, western of mixed (approximately region forest (ap the eastern region of mixed secondly, 53?N); and thirdly, the steppe area 55?40'N); 52?E, proximately the reasons for the absence In addition round Stalingrad. in the of o v r a g i and b a 1k i (certain types of gullies) (approxi steppe region of Kamensk-Shakhty-Krasnopolie are examined. 47?30'N) 40?E, mately of pleistocene consisted I. A gentle slope which sandy on fallow, and boulder by patchy vegetation clay, covered a traces of sheet erosion. At showed used for pasture, in the gradient break of slope in the lower part, where the vegetation to about 10? (the "critical creased angle"), and incipient gully erosion had taken was badly disturbed curve had already reached a state of gradient place. The in its final of erosion was the process and equilibrium as a level rises continuously stages since the local base in a fan. This of the waste material result of deposition might throw light upon the origin of problematical dry and similar features (e. g. dellen). valleys II. From the feeding system of two tributary streams of lies on the Kama river, the surface layer of loam, which sediment, and is occupied top of scarcely disturbed Permian is being dissected and fallow, by gullies where by arable was erosion Soil of 20??30?. reach gradients slopes took place at a which initiated by deforestation probably Oder bis zur Kama, wo und wie immer es unter den Verhaltnissen moglich war, Beobachtungen als Beitrag zu der als notwendig erkannten grofienAufgabe. ver und Aufnahmen Leider sind alle Aufzeichnungen und Filme, die noch vor Die Tagebiicher lorengegangen. d. h. vor Januar der Gefangennahme, 1943, nach Hause bei der Flucht der Fa blieben konnten, geschickt werden das noch Das letzte Aufnahmebuch, in Schlesien. milie in der Gefangenschaft hindurch fortgefuhrt lange Zeit end und alien Zugriffen konnte, mufke entzogen werden todlichen verbundenen seinem Besitz der mit lich wegen fehl zwei Versuche nachdem vernichtet werden, Gefahr ubersetzten ins Russische die inzwischen geschlagen waren, einen durch Fachgenossen sowjetischen Aufzeichnungen zu erlangen, sie bei priifen zu lassen und die Genehmigung mitzunehmen. in die Heimat der Entlassung So ist das, was jetzt noch mitgeteilt werden kann, gleichsam ein durch das Gedachtnis gefilterterExtrakt und im positiven wie im negativen Sinne entsprechend zu werten. Immerhin erscheint der verbliebene Rest aus Griinden, die zur Sprache kommen werden, mit teilenswert. In Polen und dem westlichen Weifirufiland fiel nichts auf, was iiber ?schleichende Bodenerosion" (8) und Kleinstformen hinausgegangen ware, die in ihrer so eingehende Bedeutung und ihremWesen nur durch Untersuchungen erkannt werden Gebiet des gemafiigten Klimas konnen, wie sie im eigentlich erst in den