IVAN GUNDULIC

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IVAN GUNDULIC
IVAN GUNDULI C
VON
ANDREASANGYAL
Ivan Gundulic (1588— 1638) ist die groBte und bedeutendste Dichtergestalt des ålteren siidslawischen Sehrifttum s. Sein åuBerer Lebenslauf ist an bedeutenden Ereignissen ziemlieh a r m 1). Im Dienste der
siidslawischen Adriarepublik D ubrovnik (Ragusa) bekleidet er verschiedene Staatsåm ter, kom m t dabei auch nach Italien und ins tiirkisch-besetzte Bosnien. Umso reicher isi aber dieses Leben an groBen
literarischen S chopfungen2). Mythologische Dramen, Schåferspiele,
religiose D ichtungen stam m en aus seiner Feder, sowie sein bedeutendstes W erk, das groBe Epos Osman.
Dieses Heldengedicht in zwanzig Gesången behandelt einen zeitgenossischen, in der dam aligen Lage der Tiirkenkriege hochst aktuel­
len E ntw urf: den tragischen Tod des jungen tiirkischen Sultans
Osman. Seine eigenen Soldaten revoltieren gegen den H errscher, da
er in ihren Reihen eine strengere Disciplin einfiihren will. Sein Nachfolger wird Sultan Mustafa.
Mit der tragischen Geschichte Osmans und seines treuen Anhångers, des Paschas Dilaver verkniipft Gundulic das zweite Hauptm otiv
des Epos: den Tiirkensieg des polnischen Heeres bei Chocim, am
Ufer des Dnjester. Die Schlacht selbst schildert der Dichter auf riickblickende Weise. Einzelne Ereignisse erzåhlt der tiirkische Friedensbote, der herzegowinische Pascha Ali, als er auf seiner F ah rt nach
Polen das noch von Leichen erfiillte Schlachtfeld iiberquert. Die abJ) Vgl. Dj. Andjelic: Istorija jugoslovenske knjizevnosti (Gesch. des siidslaw.
Sehrifttums). 5. izdanje. Beograd, 1038. S. 103— 7.
2) Wir beniitzten fotgende Ausgabe: Djela Ivana Gundulica, I—II. Zagreb, 1844
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schlieBende Schilderung wird dann dem polnischen W ojw oden Sborovski in der Mund gelegt, der im W arschauer KonigsschloB dem
Pascha die Gobelins m it den darauf dargestellten Schlachtszenen
zeigt.
Das Osman-Motiv und das Motiv der Schlacht von Chocim stellen
sozusagen den Rahm en dar fiir die rom antischen Episoden des Gedichtes. Diese rom antischen Episoden schildern das Schicksal der
beiden tapferen Amazonen, der T atarin Sokolica und der Slawin
Krunoslava, die Liebesgeschichte der Krunoslava und des polnischen
Ritters Korevski, endlich die Geschichte des aus altem serbischen
Fiirstenblut stam m enden H irtenm ådchens Suncanica.
Sokolica kam aus dem m årchenhaften Orient in die Tiirkei: sie
liebt den jungen Sultan Osman. Krunoslava begibt sich ebenfalls
nach Konstantinopel, um ihren Geliebten aus dem Gefångnis der
Sieben Tiirme zu befreien, der hinterlistige Rizvan-Pascha w irft aber
auch sie in den Kerker. Suncanica w ird durch den kaiserlichen Eunuchen Kizlar-aga von ihrem Vater, dem greisen L jubdrag geraubt
und in den H arem des Sultans gebracht. Das Endschicksal der drei
Frauengestalten bleibt im Epos ungeklårt. Der 14. und 15. Gesang,
wo ihr Los entschieden werden sollte, ist nicht erhalten. Ob diese
Gesånge vom Dichter garnicht geschrieben wurden, oder ob sie erst
spater verschollen gingen, beziehungsweise durch die Behorden Du­
bro vniks aus Angst vor den Tiirken vernichtet w orden sind. dariiber
gab und gibt es M einungsverschiedenheiten im Lager der Slawisten.
Zwei siidslawische Dichter, der spåtbarocke Sorkocevic und der
groBe R om antiker Ivan M azuranic versuchten eine Ergånzung des
Bruchstiickes. In beiden Versionen w ird Sokolica die Gemahlin Os­
mans, Suncanica aber kom m t nach ihrer Befreiung in die serbische
Iieim at zuriick. Das Los Krunoslavas und Korevskis wurde von
M azuranic tragisch gestaltet: beide werden hingerichtet. Sorkocevic
wåhlte dagegen eine heitere Losung: ihre Befreiung und ihre Heirat.
Der historischen W ahrheit kom m t diese Version nåher. Korevski
lebte wirklich, erlitt auch die tiirkische Gefangenschaft, kam aber
nach seiner Befreiung wieder nach Polen. Auf dem Heimweg besuchte
er Dubrovnik: hier durf te Gundulic ihn wohl selbst kennenlernen.
Schon aus dieser kurzgefaBten Schilderung der Handlungselemente
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im Epos w ird es klar, daB die O s m a n -D ic h tu n g sich an die rom antischen Uberlieferungen der zeitgenossischen italienischen Epik ankniipft. Die Epiker des Seicento w åhlten ihren Vorwurf gerne aus
der Geschiehte Byzanz’ oder des Balkans. Franceseo Bracciolini, der
H ofdichter des påpstliehen Boms gestaltete in seiner La Bulgheria
convertita die Bekehrung der heidnischen Bulgaren zu einem groBangelegten, m it zauberhaft-rom antischen Elem enten reichlieh gewiirzten Epos. In seinen Kampfszenen zieht fast ganz Osteuropa auf:
Bulgaren, Ungarn, Griechen, Bum ånen, Tiirken, Polen, A lbaner1).
Åhnliche B ahnen betritt die italienische D ichterin M argherita Sarrocchi in ihrem dem albanisehen Freiheitshelden und Tiirkenkåm pfer des 15. Jahrhunderts, Skanderbeg gewidmeten Epos Scanderbeide. Bracciolini bearbeitet aucb byzantinische Motive: die Geschichte des Kaisers Heraklios, des Helden der La Croce racquistata.
Und Lucrezia Marinel la besingt den Kam pf und die Eroberung Byzanz’ durch den vierten Kreuzzug im Enrico overo Bizanzio acquistcito. Der Kam pf zwischen Islam und Christentum im Mittelmeerbecken ist schon seit Tasso ein sozusagen verpflichtender Themenkreis italienischer Epik. Noch im 17. Jah rh u n d ert entstehen zwei bedeutende Schopfungen aus dieser Uberlieferung: das Epos II conquisto di Granada des Girolamo Graziani iiber die Eroberung Granadas,
sowie der Boemondo overo Antiochia dif esa des Giovanni Leone Sempronio m it der Schilderung der Ivåmpfe der Ivreuzritter im Heiligen
L a n d 2) .
Doch dieser balkanisch-nahostliche, antim oham edanisch-heroische
Them enkreis ist n u r ein Zweig am groBen Baum der rom antischen
Epik Europas. Dieser Baum w urzelt letzten Endes in der m ittelalterlichen R itterdichtung, im Erdreich der matiére de Bretagne. Den
Stam m sozusagen bilden die franzosisch-italienischen epischen Dichtungen des 14. und 15. Jahrhunderts, die cantestorie, m it den weit
ausgebreiteten Zweigen Ariosto und Tasso, Amadis und hofisch-heroischer Barockrom an: Giovan Ambrosio Marinis europaberiihm ter
Calloandro, die W erke eines Biondi, Loredano, Honoré d’Urfé, Ziegler
*) Vgl. S. Baumgarten: I Bulgari, gli Ungheresi e il diavolo in un poema epico
del Seicento. L ’Europa Orientale, Jg. 1934, S. 342— 6.
2) A. Belloni: 11 Seicento. (Storia letteraria d’Italia). Milano, 1929, passim.
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von Ivlipphausen. All diese Epen und Romane des 16. und 17. Jahrhunderts sind ein letzter Ausklang der m ittelalterlichen gotischen
Ritterrom antik. In ihre Reihe gehort auch Gundulic m it seinem
Osman.
Rom antische E pentradition sind bei unserem Dichter die vielen
farbigen Heeresschilderungen, die bewegten Schlachtszenen. Exotische lleere ziehen an tiirkisclier Seite vor der Schlacht bei Chocim
auf: Anatolier, Araber, Armenier, die Volkerschaften Mesopotamiens,
die Kamp fer des Kalifen von Bagdad, Truppen vom Ufer des Kaspischen Meeres, Neger, Tataren, Mameluken. Ebenso farbig ist der Aufzug des polnischen Heeres. Diesen Aufzug zeigen die von Gundulic
m it den Mitteln der barocken pictura-poesis beschriebenen Gobelins
des W arschauer Schlosses.
Ali-Pascha bew undert die kunstvolle N aturw ahrheit der Gobelins
und bittet Sborovski, ihm die Namen der polnischen Helden zu erzåhlen. Der W ojwode erfidlt die Bitte und beginnt seine ausfiihrliche
E rklårung. Mit dem m alerischen Sinn des Barockdichters beschreibt
Gundulic in dieser E rzåhlung selbst die Farben. Aus dem kriegerischen Aufzug w ird eine Modeschau, m it einer schier unendlichen
Reihe der teuren Stoffe, Edelsteine, Pelze, Seide und Federbiische.
Und am nåchsten Gobelin geråt das Bild in Bewegung: m it wildem,
stiirm ischem Toben wiitet die Schlacht. Im m er m ehr åhnelt die Beschreibung der zeitgenossischen Schlachtenm alerei, den Kam pf darstellungen eines Salvator Rosa.
Die hell-dunkle Bewegtheit der gro Ben Maler des Seicento lebt in
diesen Szenen, m it ihrem chiaroscuro, ihrem dynam ischen Pathos,
ihrer strudelnden Leidenschaft. Der Kam pf beginnt: die w aldartig
em porragenden schlanken Speere kreuzen sich. Såbel glånzen, Pfeile
hageln, Trom peten schm ettern, Rosse rennen. H in und her bewegt
sich die Schlacht: Speere, Schilder, Såbel, Messer wirbeln. Berge und
Ebene drohnen, die Sonne verfinstert sich.
Die sich zum N aturalism us steigernde Leidenschaft und die kiinstlerische Technik des Helldunkels tritt auch in jener Kampfszene
in Erscheinung, wo D ilaver-Pascha vor seinem Palast sich heldenh aft gegen den Angriff der m euternden Janitscharen verteidigt. W affenlos, nur mit einem dicken Kniippel in der H and m acht er seine
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Angreifer der Reihe nach nieder, bis er endlich der Uberm acht zuin
Opfer fållt. In Dilaver gestaltet Gundulic den „subjektivistischen“,
m it Leidenschaft und explosivem Pathos erfullten Heldentyp, der
auch in der Malerei und in der Dich tung des 16. und 17. Ja h rh u n ­
derts oft vorzufinden i s t 1). Denselben „subjektivistischen“ Typus
vertritt der Pole Korevski. Wie ein furchtbares Gewitter ist er im
Kampfe: in seinem Blick triigt er Blitze, in seiner Stimme den Donner, in seiner H and Himmelspfeile. Als E rster greift er im m er
die Tiirken an: um ihn herum ist die Erde alsbald von Feindesblut rot.
Aus rom antischer Epentradition stam m en auch die Gestalten der
beiden Heldinnen Krunoslava und Sokolica. Sie gem ahnen uns an die
Heldin des M arini’schen Ccilloandro, die schone und m ånnliche
Leonilda, die ritterlich geriistet, hocli zu Ro6 durch die Lander zielit,
um H eldentaten zu vollbringen und ihren Geliebten zu fmden. Solch
eine m ånnliche, doch schone Frau ist auch Krunoslava. Sie wuchs
mit dem Speer in der Iland, reitend in Gebirgsstiirmen auf, sie lernte
es friih, dem Tod ins Auge zu blicken. Ihre U nterhaltung w ar das
Fechten mit dem Schwert, und schon in ihrer Kindheit gewohnte
sie sich das Tragen des schweren Helmes an. Ih r W uchs ist wie eine
Tanne am Berge. Pråchtig sind ihre W affen, ein schneller Pfeil ihr
RoB. Ihr Antlitz, ihre Brust, ihr ganzer Korper ist Gold, ihre Stirn
Silber — so charakterisiert sie m it einer kiihnen M etapher der Dichter. Ahnlich vereinigen sich Schonheit und Kriegertum in der tatarischen Amazone Sokolica. Der Zweikam pf der beiden Frauen ist eine
der groBen Szenen im Epos. Mit W ut und Zorn gehen sie aufeinander
los. n u r als nach langem Kampf ihre Helme fallen und ihre goldenen
Locken sichtbar werden, erkennt man, daB Frauen m iteinander
kåm pften.
Das platonisierende, lichtvolle, glånzende Schonheitsideal der mittelalterlichen M innedichtung und des dolce stil n u o v o 2) vereinigt
sich im Bild der beiden Amazonen mit antikisierendem und rom antiX)
hiezu G- W eise: Das „gotische“ oder „barocke“ Stilprinzip der deutschen und der nordischen Kunst. Deutsche Vierteljahrschrift fiir Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Jg. 1932, S. 235 ff.
2) Zur Genesis dieses Typus vgl. G. W eise: Die geistige W elt der Gotik und
ihre Bedeutung fiir Italien. Halle, 1939, passim.
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schem Pathos, m it barock-m ythologischen Vorstellungen. lndessen
bekom m en die Heldinnen barocker Rom antik bei Gundulic einen
specifisch slawischen Charakterzug. Nicht nur die rom anisch-rom antische E pentradition: auch das Schonheitsideal des siidslawischen
Heldenliedes lebt in ihrer Gestalt f o r t1). Antiker Mythus verkniipft
sich m it slawischem Volksglauben. Krunoslava und Sokolica sind
zugleich antikisch gesehene Uianen, donne angeliche des Petrarchismus und Vilen des siidslawischen Marchens.
Der eigentiimlich slawische Ton durchzieht die gesamte OsmanDichtung. Die epische Athm osphare des W erkes ist irgendwie rauher
und herber, aber auch aufrichtiger und wahrer, denn die etwas theatralische Rom antik des italienischen Cinquecento und Seicento. Der
slawische Dichter des bedrohten und gefåhrlichen Balkans vermag
seinem Epos eine echtere heldische Stim mung zu geben, als die im
Kreise von Hof, Kirche und H um anism us lebenden Italiener. Gundu­
lic ist kein sklavischer N achahm er Tassos oder irgendwelch anderen
italienischen Dichters: er transponiert das rom anische Vorbild bewuBt in eine slawische Tonart.
Das slawische BewuBtsein des Dichters zeigt sich am schonsten
im 8. Gesang des Epos, in der Suncanica-Episode. Interessant ist es
hier zu beobachten, wie der Ivatholik und Dalmate Gundulic hier und
im ganzen W erk mit den Serben sym pathisiert. W ahrscheinlich hielt
er auch sich selbst eher fiir einen katholischen Serben, als fiir einen
Kroaten.
In der Umgebung der von den serbischen Heldenliedern vielbesungenen Donaufestung, der „weiBen B urg“ Smederevo lebt die junge,
schone Suncanica, einzige Ereude und Trost ihres Vaters, des greisen
und blinden Ljubdrag. E r selbst ist Urenkel des beriihm ten Despoten
Georg Brankovic und seiner F rau Jerina: unter seinen Ahnen befinden sich alle gro Ben H errscher der Serben. In der Tiirkenzeit wurde
aber aus der Fam ilie ein Hirtengeschlecht, das zwischen den anderen
H irten und Bauern lebt. L jubdrag w ird zum Sinnbild des geworfe*) Vgl. W. Bobek: Fyzickå a dusevnå kråsa zeny v juhoslovanskej l’udovej
epike. (Die physische u. seelische Schonheit der Frau i. d. siidslaw. Volksepik).
Im Band: Kapitoly o slovanstve (Abschnitte iiber das Slawentum). Bratislava,
1937. S. 226— 7.
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nen siidslawisches Schicksals. Seine elf Sohne h at er verloren, nur
Suncanica blieb an seiner Seite. Zu ihrer U nterhaltung versam m elt
sich die Jugend des Dorfes. Knaben und Mådchen kom m en blumenbekrånzt, singen und tanzen den Kolo. D ann setzen sie sich auf die
blumige Wiese und plaudern frohlich. Auch die H irten kom m en und
lassen die H arm onien ihres Dudelsackes ertonen. Gundulic zeichnet
in diesen Strophen eine echt slawische Bauernidylle, die noch etwas
von der Stim m ung m ittelalterlicher Friihlingsfeste in sich trågt.
Gern verweilt er auch anderswo bei der idyllischen Beschreibung
slawischer Landschaften. So zeichnet er in wenigen, aber prachtvollen Strophen das Dorfleben des bulgarischen Zagorje, oder die malerische Landschaft, \vo die drei polnischen Prinzen jagen und wo sie
Sokolica samt ihren zwolf G efåhrtinnen gefangennelimen. Nach dem
Erfolg sitzt die Jagdgesellschaft bei reichem, frohem Mahl beisammen. Ein Page singt, und im Lied ertont wieder das slawische BewuBtsein unseres Dichters. Der Page låBt den polnischen Adler zum
K ronprinzen Vladislav sprechen, und ihn auffordern, zum E rben des
Zaren Dusan zu werden, die Tiirken aus dem serbischen und bulgari­
schen L and zu vertreiben. E r m oge— heiBt e s — die slawischen
L ander des Siidens befreien, wo das Volk noch jetzt vom Konigssohn
Marko singt, und wo einst Milos Obilic den bosen Sultan um gebracht
hat. — Dieses Lied, sowie andere Teile des Epos zeigen, daB Gundulic
die beiden groBen Zyklen des siidslawischen Heldenliedes, die Lieder
von Kraljevic M arko und von der Kosovo-Schlacht gut kannte.
In den Kam pfszenen des Epos lebt nicht nur das Pathos der rom antischen E pik Italiens weiter, sondern ebenso die kriegerische Kraft
siidslawischen Heldentum s. Die polnischen, ja selbst die tiirkischen
und persischen Reckengestalten des Dichters zeigen nicht nur Ziige
der Tasso-Tradition, sondern noch m ehr solche des siidslawischen
Heldenliedes. Solche m it slawischem Tem peram ent gezeichneten Helden sind z. B. Dilaver-Pascha und der A nfiihrer der Rebellen, Dervis. Zornerfiillt stiirm en sie aufeinander, keiner verm ag vor W ut zu
sprechen. Lange tobt der unentsehiedene Kampf zwischen ihnen.
Endlicli wollen die Soldaten des Paschas den Rebellenfiihrer toten,
der ritterliclie Dilaver verbietet aber diese Tat.
Das Kåmpferische, aber auch Ritterliche der siidslawischen Berg-
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stamme, ihre hum anitas heroica lebt in solchen Szenen w e ite r1). Zu
dieser Lebensform gehort auch die schone Sitte des pobratimstvo, der
heroischen M ånnerfreundschaft, wo zwei Kåm pfer geloben, einander
Bruder, pobratim zu s e in 2). Die edle und erhebende Freundschaft
griechischer Helden, des Acliill und des Patroklos, des Harmodios
und des Aristogeiton ersteht neu in dieser hum anitas heroica. Solche
heroische Freundschaft, junacka priazan ensteht im Epos zwischen
zwei jungen siidslawischen Janitscharen, dem Herzegoviner Ibrahim
und dem Bosnier Sinan. Zusamm en kåm pfen sie vor dem Palast Dila­
vers. Jeder denkt nur an den Freund, jeder will den anderen schiitzen
und verteidigen, aber beide m ussen fallen. Der Dichter schildert das
ergreifende Los der beiden Slawenjiinglinge m it sichtlichem Mitgefiihl.
Eng verkniipt sich im Epos slawischer und tiirkischer Lebensstil,
wie sich auch die beiden Form en in der balkanischen W irklichkeit
des 17. Jahrhunderts verkniipften. Wie sehr auch Gundulic seinem
Epos eine antim oham edanische Tendenz gibt: im Schildern der tiirkischen W elt ist er dennoch objektiv, ja verståndnisvoll. Fiir die
T ragik des jungen Sultans oder den lieldenhaften Untergang Dilavers
im ungleichen Kampfe g’egen die Rebellen h at er Tone der Ergriffenheit. Osmans Tod um gibt er m it der Glorie barocken M årtyrertum s,
m it Polyeucte-Stimm ung. Man erwiirgt ihn im tiefen Kerker, doch
selbst im letzten Augenblick ertleht er Gottes Segen auf das Reich
und auf seinen Nachfolger, obgleich dieser die Ursache seines Todes
ist . . .
Mit diesem m årtyrerhaften Zug kam en wir aber wieder in den
Bereich barocker Rom antik. In diesen Bereich gehort die Opernhafligkeit m ancher Teile des Epos. Nicht um sonst erlebt die Oper, diese
groBartige Bliite des italienischen Barocks, ihre erste Bllite gerade
zu Gundulic’ Zeiten. Im Laufe des 17. Jah rh u n d erts w ird auch Dalm atien von dem EinfluB dieser Kunst hingerissen: die D ram en des
Junije Palm otic sind ein beredtes Zeugnis dieses Einflusses. Aber
*) Vgl. liiezu G. Gesemann: Kultur der Siidslawen (Handbuch der Kulturgesch.,
Kultur der slaw. Volker). Potsdam, o. J., S. 22— 8.
2) E. Schneeweis: GrundriB des Volksglaubens und Volksbraucbs der Serbokroaten. Celje, 1935, S. 239— 41.
HO
ANDREAS
ANGYAL
schon bei Gundulic finden wir m anch Opernhaftes. In diese Kategorie
gehort der Einzug Ali-Paschas, des tiirkischen Botschafters, ins W arschauer KonigsschloB. Stolz ragt der Bau zum Himmel empor. Stiegen
tiihren hinauf, vor dem Eingang stehen in langer Reihe die Statuen
polnischer Ivonige. Durch glånzende Hofe, Såle, erfiillt von Rittern
und Hofleuten, schreitet Ali weiter, bis er endlich beim Konig ankom mt. Die ganze Beschreibung gem ahnt uns an die glanzvollen
O pernauffiihrungen des 17. Jahrhunderts, an die perspektivischen
Biihnenbilder des groBen Lodovico Burnacini, der den Opern des
Minato, Draghi, Cesti ebenfalls einen Rahinen von Palasthofen,
pråchtigen Sålen, Statuenreihen gab 1).
Beliebte D ekorationen barocker Opern w aren die Carceri und die
Reggia di Platone: Gefångnisse und Unterwelt. Beides finden wir
auch bei Gundulic. Der 12. Gesang des Osman endigt mit einer in
m elodram atischer Stim m ung gehaltenen, an die Carcen'-Szenen der
Barockoper gem ahnenden Szene. Servandoni oder Piranesi håtten
dazu die Biihnenbilder entw erfen konnen! Krunoslava beginnt in Begleitung des betriigerischen Rizvan-Pascha und seiner Bewaffneten
den Weg zu den Sieben Turm en. Aufzugsbriicken wolben sich iiber
Schluchten. Bis in die W olken ragen die festen Basteien, — heiBt es
— selbst der Adler verm ag sie nicht zu iiberfliegen. Durch tiefe,
diistere, niedrige Schleichwege geht der Zug. Ein enges Eisentor fiihrt
ins Innere der Burg. Im tiefen Abgrund gåhnt eine noch tiefere Offnung. H ierhin fiihrt der unterirdisch sich windende Weg, ins
schwarze und dunkle VerlieB, ins Grab der Lebenden. Kaum tritt
K runoslava ein, schon schlieBt sich die Pforte .. .
Im Stil einer barocken Opernszene zeigt uns der Dichter im 13.
Gesang die Untiefen der Holle. Hier w ohnt in brennendem Feuer der
Konig der gefallenen Engel, sam t seiner Gefolgschaft. E r knirscht
die Zåhne, speit Flam m en und schwort den Polen und allen Christen
Rache. D ann ru ft er das Volk der Holle zusammen. Das Drohnen
unterw eltlicher Trom peten versam m elt die Teufel in den tiefsten
Hollenabgrund. Knirschen, Drohnen, Knallen ertont aus den nachtdunklen Schluchten, wie ein Gewitter tont die blinde Finsternis. Aus
dem diisteren Nebelgriinden strom en Scharen von Ungeheuer herbei:
x) Vgl. J. Gregor: W eltgeschichte des Theaters. Wien, 1933, S. 409— 10.
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Gespenster, Furien und Dåmonen. UnbewuBt projiziert der m editer­
rane Dichter die Vorstellungen einer nordischen Nebel- und Felsenlandschaft in dieses opernhaft gesehene Hollenbild.
Neben all diesem Rom antizism us durfen wir aber auch das Humanistische bei Gundulic nicht auBer Acht lassen. Der Hum anism us ist
wichtigster Bestandteil seiner Poesie. E r inspiriert ihn zu jenen ergreifenden Strophen, in denen er die antike Kultur, die altgriechische W elt verherrlicht und ihren Untergang betrauert. Im 7. Gesang
beschreibt er die Seefahrt des E unuchen am Sultanhof, Kizlar-aga,
auf dem Ågåischen Meer und schildert dabei m it schm erzlicher Liebe
die griechische Inselwelt. Dort liegen — heiBt es — Samos, Andros,
Ikaria: einst w aren die Schriften der Alten m it ihrem Ruhm voll,
jetzt weiden armselige Herden auf ihren Bergen. Das einst weltberiihm te Delos ist heute diister, leer und verlassen, kein Apollontempel steht m ehr, wohin einst die ganze W elt pilgerte. Naxos, wo
die Alten dem Gott des Frohsinns, Bacchus, einen Tempel errichteten, Paros, das den M arm or dem Kaiserhof lieferte, Ivvthere, das von
der schonen Liebesgottin den Namen erhielt: sie sind alle bloB Felsen und Gestriipp. Paphos und Knidos, wo einst der Gottin Venus
geopfert wurde, sind nunm ehr kaum Inseln zu nennen, bloB unfruchtbare Steinwiisten. Dort liegt auch Skiros, wo einst Achill in Frauenkleidern versteckt wurde, der Held, dessen Name spater von allen
Generationen m it Ruhm erw åhnt wurde. Und seine Nachkommen,
die Griechen aus der Gegenwart des Dichters pfliigen jetzt den k a r­
gen Boden, huten die Herden. So veråndert das unsichere Gliick
alles: gern m acht es den Konig zum Sklaven, den Sklaven zum
Konig.
Mit der Antike verkniipft Gundulic auch sein republikanisches
Bekenntnis. E r ist der erste poetische Verkiinder der republikanischen Idee in Siidosteuropa. E r erinnert den Leser an Pharsalos, wo
Caesar den Pom pejus und dam it die romische Freiheit schlug. Und
er setzt hinzu: Roms Schicksal w ar das einer m åchtigen Eiche, die
fest auf den Bergen stand, den Stiirmen trotzte, ihre W urzeln aber
fraBen die W iirm er, und so muBte sie stiirzen. Verflucht sei daher,
der Unfrieden in seiner Heimat såt und tyrannische Friedensstorung
wiinscht. In begeisterten Versen besingt er Frieden und Freiheit der
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Republik Dubrovnik: beides glorreieh im Auge der W elt und lieb
vor Gott.
Auch der Platonism us fmdet in seinem dichterischen Ideengut
Raum. Am Eingang der Suncanica-Episode besingt er in platonisch
inspirierten Strophen die Schonheit. E r nennt sie ein teures Geschenk
der Natur, einen edlen Schatz, einen Glanz gottlichen Lichtes, Harm onie und MaB, Quelle der Freude und der Lust, Trost und SiiBe
i nm itten der Bitterkeit.
Sehr eng w ird Gundulic m it dem italienischen und siidosteuropåischen H um anism us des l(j. und 17. Jahrhunderts durch die Idee der
Disciplin und der tragischen Geschichtsauffassung v e rk n iip ft1). Sul­
tan Osm an ist eigentlich Held und M artyrer der Disciplin-Idee. Schon
am Eingang des Epos beklagt er in einem langen Monolog das Nachlassen der alten tiirkischen Soldatenzucht und setzt sein Leben auf
das W iederherstellen dieser Zucht. Die Getreuen seines Hofes sind
gleichfalls T råger der Disciplin-Idee, m ussen jedoch durch die Masse
der Rebellen und durch ihre gemeine List den Untergang erleiden.
Zum Symbol der tragischen Geschichtsauffassung w ird beim Dichter —- åhnlich anderen spåthum anistischen Schriftstellern — die fo rtuna. In sehr charakteristischer Weise beginnt das Epos m it einer
B etrachtung iiber die Unbestandigkeit des Gliickes. Auch spåter wird
in den Gang der Ereignisse der Fortuna-G edanke hineingetlochten.
In Osmans Sturz fiihlen w ir die schicksalhafte Athm osphåre der
groBen Barocktragodien, eines Andreas Gryphius, Carlo Dottori,
Federico Della Valle.
Die schicksalsschwangere Athm osphåre der For tuna-W elt fmdet
ihren schonsten Ausdruck im 17. Gesang. Der ganze Gesang spielt
zur Nachtzeit, wie die Tragodien des Gryphius. Der Abend kommt,
die Sonne geht unter, die Tone der Stadt und des Hofes ersterben,
alles w ird von der Nacht umhiillt. In Glanz und Reichtum sitzt der
Sultan noch am Thron, beråt sich m it seinen Feldherren, doch im
H intergrund droht schon das Verhångnis, wirbelt schon m it unbrem sbarer Gewalt der Aufruhr. Die ruhm siichtige M ustafma und Dautx) Die Bedeutung dieser Ideen im Spåthumanismus schildert T. Kardos: Adatok a magyar irodalmi barokk keletkezéséhez (Beitråge zur Entstehung des un­
gar. Literaturbarock). Magyarsågtudomåny (Ungarnkunde), Jg. 1943.
IVAN GUNDULIC
Pascha entfalten schon ihre niedrigen und bosen Plane. Und in dieser
ganzen fortunaschw angeren W elt waltet die Stim m ung der Nacht.
Dåmonische Leidenschaften w irbeln herum : HaB, hem m ungsloser
GroBenwahn, Rachsucht, Påderastie, Renegatentum, Verrat. Das Lebensschicksal des D aut-Pasclia w ird von diesen dåm onischen K raf­
ten bestimm t. E r ist kroatischer Abkunft, w urde aber schon als Kind
von den Tiirken geraubt und kam, dank seiner Schonheit, als Lustknabe in den Hof des Sultans Murat. Der Nachfolger Murats, Ahmet,
gab ihm seine Scliwester zur Gemahlin, entkleidete jedoch spater den
allzu Ruhm begierigen seines fiihrenden Amtes. Daut råcht sich
dadurch, daB er nach Ahmets Tod nicht den Thronerben Osman,
sondern den Nebenbuhler M ustafa zur H errschaft liilft. Nach Mustafas Sturz fållt er wiederum aus der Gnade des Hofes, docli seine
F rau versohnt ihn m it Osman: er w ird sogar Reglerbeg von Rumelien. Sein W ille zur Macht k an n aber dadurch nicht gestillt werden,
daher sclilieBt er sich den Rebellen an. Nach dem Sieg des Aufstandes ist er derjenige, der den Befehl zur Erw iirgung Osmans gibt. Und
diesen dåm onischen Menschen hetzt M ustatina im groBen nåchtlichen Dialog des 17. Gesanges noch m ehr gegen Osman. Sie fordert
ihn auf, m utig den Weg weiterzuschreiten, wo das Gliick und die
gunstige Gelegenheit, srieca i sgoda ihn fiihren. Diese W orte zeigen
klar, wie sehr die dåm onischen Helden, die ganze schicksalhafte
Stim m ung des Gesanges ein Ausdruck des Fortuna-W eltbildes, der
tragischen Geschichtsauffassung sind.
In seinem H um anism us kann sich Gundulic auch den Fragestellungen der hofischen K ultur nicht verschlieBen, umso weniger, da ein
bedeutender Teil seines Epos in hofischer Umwelt spielt. Ali-Pascha,
der Friedensbote von W arschau w ird zum Typus des Hofm anns und
Diplom aten der Staatsråson. HonigsiiB sind seine W orte, ein Låcheln
spielt auf seinen Lippen. E r ist hoflich und glatt, aber auch listig.
Mit seiner Kluglieit besiegt er alle. E r versteht es, m it seinem Wissen, seiner Rede die Menschen zu gewinnen und zu bezaubern. Seine
W arschauer Friedensrede ist eine Glanzleistung barocker diplomatischer Kunst.
Die Problem e der hofischen K ultur und die Idee der Staatsråson
fiihren Gundulic zu jenem Fragenkom plex, der den hofischen H u­
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m anisten des 16. und 17. Jahrhunderts, vor allem den gro Ben Spa­
niern, Saavedra und Graciån an der Spitze, so viel zu denken gab.
Dies ist die groBe Antinomie von H errscher und Volk, Fiihrung und
Masse. Verbunden erscheint diese Antinomie m it der Gefåhrlichkeit,
m it der ståndigen Fortuna-N åhe des hofischen Lebens und der groBen
Politik. Der fiihrende Mensch — heiBt es bei Gundulic — wacht iiber
dem Volk, will sein Bestes: trotzdem em pfångt er nur Neid und HaB
als Lohn. Sei er noch so gutherzig, m an will sein Blut, und wenn er
der W ahrheit Geltung verschafTt, nennt m an ihn einen Tyrannen.
W enn er das Gemeinwohl sucht, schilt m an ihn als einen Geizigen,
wenn er seine Getreuen belohnt, heiBt er der Verschwender. Das Volk
ist blind, halt die Luge fiir W ahrheit, es schenkt nur den Eitelkeiten
und den Geriichten Glauben. In ihm ist kein razbor. Dieser razbor
ist nichts anderes, als die von den hofischen H um anisten so oft genannte discretio, die groBe Gabe des Unterscheiden-Ivonnens.
Gundulic ist der Oberzeugung, die Masse sei schwach und unbeståndig. Hier liebt sie, dort haBt sie: einmal will sie den Krieg, anderm al den Frieden. Sie wiinscht stets die Abwechslung und Verånderung, ergreift etwas, um es bald wieder fallen zu lassen. Das Volk
gleicht dem Meere: wie das Meer vom Sturm , so muB auch das Volk
von einer åuBeren Kraft in Bewegung gesetzt werden. W er also herrschen will, lerne niem andem zu vertrauen, wenn er sich zu einer
groBen Tat entschlieBen will. L auter W orte, in denen die tragische
Geschichtsauffassung — m an m ochte heute sagen „KrisenbewuBtsein“ — des Spåthum anisten Gundulic sich wiederspiegelt.
W ir m ussen noch der naturphilosophischen Einstellung unseres
Dichters eingedenk sein. Die Jahre um 1600 bringen einen groBartigen Aufschwung der N aturphilosophie m it sich. Aus dem Averroismus der italienischen Universitåten, in erster Linie Paduas entfaltet
sich diese Naturphilosophie: sie verkiindet die Einheit von Mensch
und Kosmos und m undet in den pantheistischen Kosmismus, in die
Beseelung und Vergottlichung der schaffenden N a tu rx). Bei Gundulic
finden wir auch viele Spuren einer kosmischen Betrachtungsweise.
Gern låBt er die T rennungsw and zwischen Mensch und N atur fallen,
1)
Zum W eltbild des Renaissance-Averroismus vgl. G. Toffanin: Che cosa fu
l’umanesimo, Firenze, 1928. S. 4-1— 7.
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gern beschreibt er m enschliche H andlung m it den Bildern der Natur.
In einem W ettkam pf der Jugend kåm pft Dilaver mit dem persischen
Helden H ajdar. W ie Stiere aus den Bergen rennen sie aufeinander,
und als H ajdar seinen Gegner verwundet, erdrohnt das Briillen Dila­
vers wie das m åchtige Rauschen sturm gepeitschter Bergeichen. Båume
im Gebirge, stiirmendes Meer, wilde Tiere: das sind die beliebten
Vergleiche unseres Dichters, das ist seine pantheistische Naturm ythologie. Kosmisches Pathos, pantheistische Begeisterung gliiht auch in
der Szene, wo Sokolica m it ihren G efåhrtinnen in einem W aldsee
badet. Båume, Biische, Blumen neigen sich ihnen zu, und ihre Schonheit w ird eins m it der m åchtigen Natur.
Mit dem Averroismus und der N aturphilosophie hångt in den
1600-er Jah ren eng die Magie zusammen. Als Symbol des „magischen
M enschen“, des faustischen Drångers erscheint im Epos die råtselhafte Mustafina, die groBe W idersacherin Osmans. Zur Nachzeit legt
sie ihre Kleider nieder, o tf net ihr H aar und zeichnet barfuB einen Zauberkreis um sich herum . Mit gellendem Ton ru ft sie die schrecklichen Gespenster. Man sagt von ihr, sie koche aus dem Fleisch der
Såuglinge eine Z aubertinktur und fliege auf einem blauen Bock zum
Bergdrachen. Dort versam m eln sich unter einem NuBbaum die Hexen
zu ihrem fiirchterlichen Mahl. Sie hat kein Gewissen, glaubt an
keinen Gott, n u r an die eigene Kraft.
Bei B etrachtung ilirer Gestalt m ussen wir wissen, daB das P ro ­
blem der Magie auch bei den N aturphilosophen des 16. und 17. J a h r­
hunderts ein zentrales Problem darstellt. Dies ist die Zeit Vaninis und
Cardanos, Paracelsus’ und Bolimes, der Alchimisten und A strologenx).
Auf diesem geistesgescliichtlichen H intergrund w ird erst die Gestalt
dieser dåm onischen Heldin verståndlich, ebenso die iibrigen naturphilosophischen Elemente des Epos.
In naturphilosophischer W eltbetrachtung w urzeln auch die Schåferspiele unseres Dichters, vor allem seine reizende Dubravka. Dieses
liebenswiirdige dreiaktige Spiel ist m it seinen Hirten, Vilen, Satyren
sozusagen ein siidslawischer Som m ernachtstraum . Es ist iibrigens
interessant zu wissen, daB ein V erwandter des Dichters, der Kaufx) H. Schaller: Die Renaissance. Leipzig, 19-13. S. 132—5.
Orbis Litterarum
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m ann Pavle Gundulic in London im Ivreise Shakespeares verkehrte!1)
Doch Shakespeare, Sohn der elisabethinischen Zeit und der sich entfaltenden W eltm acht England, låBt sein Stiick in der W elt des Adels
spielen: das Volk erscheint nur in der kom ischen Gestalt der tolpelhaften W erkleute. Anders Gundulic, der Dichter der Slawenrepublik
D ubrovnik: er schreibt ein sozusagen „dem okratisches“ Mårchenstiick. Hier sind die Helden keine nach Athen versetzten englischen
Aristokraten, sondern Leute aus den Bergen, Sohne und Tochter des
siidslawischen Volkes. Beiden gemeinsam ist jedoch der kosmische
Hint ergrund. Die Feenwelt bei Shakespeare, die Satyren und Vilen
bei Gundulic sind in gleicher Weise Sinnbild der verborgenen Naturkråfte.
E infach ist die H andlung des Mårchenspieles. Am Fest der Freiheit
gewinnt der H irte Miljenko die H and der schonen Vila Dubravka,
obgleich diese durch Bestechung und List schon fast die Gemahlin
des garstigen, doch reichen Grdan wurde. Vor AbschluB dieser Ehe
geschah aber im Tempel der Gottin Lero ein Himmelszeichen, und
das erschiitterte Volk urteilte: D ubravka muB die Gattin des einzig
ihr W iirdigen, des H irten Miljenko werden. Als N ebenhandlung sehen
w ir den låcherlichen MiBerfolg des Satyrs Divjak, der den Vilen zuliebe seine treue Gattin Jeljenka verlieB und aus dem Gebirge in die
Eichenau kam , wo die Ereignisse sich abspielen. Doch die H irten
schlagen ihn halbtot, und nur die Gattin verm ag ihn aus ihrer Hand
zu retten. Als Divjak befreit ist, kehrt er dann reum iitig zu seiner
Jeljenka zuriick. W eitere Gestalten des D ram as sind die beiden anderen Satyren, der gefråBige Vuk und der SpaBmacher Gorstak, der
m it seiner M utter zankende junge Hirte Zagorko, der weise alte Ljubdrag.
Das Lebensgefiihl des Festes waltet in den Versen des Mårchenstiickes. W ie einst in der Antike, erlebt auch hier das Volk in der
Freude des Festes die groBen W eltw irklichkeiten: das Gottliche des
S eins2). Schon beschreibt Miljenko das Frohlocken der N atur und
*) J. Horvat: Kultura Hrvata kroz hiljadu godina (Kroatische Kultur durch
ein Jahrtausend). Zagreb, 1939. S. 350— 1.
2)
Vgl. die schone Analyse der Festidee bei K. Kerényi: Die antike Religion.
Amsterdam, 1942. S. 67.
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der Menschen am Morgen des Festtages. Alles naht sich zur Feier: die
Bauern, die Bergbewohner, die H irten und die Vilen. Auch horen wir
einen Chor der Hirten, der die Morgenrote ruft und das Erw achen
der N atur erw artet.
Gliihende Freiheitsliebe stroint in die festlich gesteigerte Stimm ung des Kosmismus herein. Aus den W octen des H irten Radmio
erfahren wir, daB das Volk der Eichenau sich zur Feier der Freiheit
bereitet. Ein alter Fischer erscheint Schutz in der Au suchend, seine
Sehnsucht ist die Freiheit, er fliichtet vor der T yrannei Venedigs, der
„Bestie am M eeresstrand“. Im m er wieder ertont im D ram a die Verherrlichung der Freiheit.
Und diese Freiheit w ird nicht nur von der Tyrannei, sondern auch
von Geld leicht bedroht. Bevor der Knoten gliicklich gelost wird,
sehen wir den alten Ljubdrag, der voll Bitterkeit iiber den reichen
Grdan sich auslåBt, den Unwiirdigen, der m it seinem Geld die Ehe
m it der schonen D ubravka erkaufen will. Gerade am Feste der F rei­
heit sollte der Reichtum die Freiheit besiegen? — fragt er.
Lebensgefiihl des Festes, Kosmismus, Freiheitsliebe verkniipfen
sich am schonsten in der SchluBszene des Spiels. Der Priester der
Gottin Lero und der Chor singen einen H ym nus der Freiheit. Satyren
und H irten opfern ihre Gaben am Freiheitsaltar. Der Priester segnet
den Bund zwischen D ubravka und Miljenko und verherrlicht in einem
lyrisch beschwingten Gebet den Frieden, den gesegneten UberfluB der
Fruchtbarkeit, die Freiheit und die E intracht.
Ein M årchenspiel ist dieses reizende Stiick, aber auch eine Allegorie: die Allegorie der Freiheit Dub rovniks. Ein barockes Quiproquo
waltet in der Dichtung: der Durchbrucli der G renzen1). Die W irklichkeit, das freie Leben der kleinen siidslawischen Republik wird
von der Allegorie gespiegelt, und die Allegorie erhålt die Einkleidung
des M årchendram as. Reales Leben und pantheistische Naturm ythologie verbinden sich. Diese Art erinnert uns in m ancher Hinsicht an
die groBe barocke Freskenm alerei, wo W irklichkeit und Oberwirklichkeit gleichfalls untrennbar ineinanderstrom en. Viel Opernhaftes
finden wir auch in der Dubravka. Es sei nur die Verkleidung des
J) Den BegrifT und seine Analyse finden wir bei D. Frey: Der Realitåtscharakter des Kunstwerkes. W olfflin-Festschrift, Dresden, 1935. S. 02 If.
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Divjak und der Jeljenka genannt. Der Satyr tritt als Vila, seine Gem ahlin als Hirte auf.
Barocker D urchbruch der Realitåtsgrenzen, pantheistischer Kosmismus, O pernhaftigkeit kennzeichnen auch die iibrigen Dram en
unseres Dichters, vor allem seine Proserpina ugrabljena (Die geraubte Proserpina). Mit seiner H irtenrom antik, seinen Szenen in der
Unterwelt, seinem Echo, seinem abwechslungsreichen M etrum ist
dieses W erk der erste Versuch eines Opernlibrettos in den slawischen
Literaturen.
W ir miissen noch die religiosen Dichtungen Gundulic’ erw åhnen.
Der Dichter erscheint hier sozusagen als „dialektischer Philosoph“ :
er erkennt die grofie Antithetik der W elt und gibt ihr dichterischen
Ausdruck. D arin ist er echter Barockmensch, ein Sohn der Zeit, wo
Jakob Bohme aus der dialektischen P olaritåt des gottlichen Zornes
und der gottlichen Liebe sein W eltbild aufbaut, gleichzeitig aber auch
eine echt slawische Erscheinung. Im m er neigte slawischer Geist zur
Dialektik.
Die bekannte Parabel der Bibel gibt den Rahm en des Gedichtes
Suze sinci razmetnoga (Die T ranen des verlorenen Sohnes). In drei
„W einen“ werden Sundenbekenntnis, Reue und Bekehrung des siindigen Jiinglings dargestellt. In diesem Rahm en entfaltet sich dann die
Dialektik des Dichters m it barockem Oberschwang. Der verlorene
Sohn stellt seinem todlichen Elend von jetzt das Gliick der einstigen
Kindheit entgegen. Ebenso werden die verfuhrerischen Freuden der
Liebe und die Todesgefahr der Sunde, der Him mel und die Holle, die
Giile Gottes und die eigene Bosheit einander gegeniibergestellt. Auch
dort verwendet Gundulic dialektische Antithesen, wo er die alles umform ende K raft der gottlichen Gnade oder die Vergånglichkeit schildert.
Die Betraclitung der Vergånglichkeit zeugt davon, wie sehr diese
D ialektik von einer Dynam ik durchpulst wird. Alles bewegt sich,
åndert sich, gestaltet sich um. Wo sind die einst reichen H erren und
glånzenden Ivonige? W o sind die Helden und W elteroberer? Alle gin­
gen sie zugrunde, alle w urden sie von der Zeit aufgerieben. Diese Verånderlichkeit bedeutet indessen nicht nur den Untergang, sondern
auch die kosmische Dynam ik, das Stirb und W erde des W eltganzen.
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W ir m ussen sterben — schreibt Gundulic m it pantheistischer Akzentuierung — auf daB neues Leben aus dem Tode erbliihe.
Doch der Pantheism us ist n u r das eine Elem ent des Gundulicschen
W eltbildes. Unser Dichter ist christlicher Poet: das Christentum hil­
det einen organischen Bestandteil seines Schaffens. Die barocke Dia­
lektik von Kosmismus und Spiritualism us lost sich in Gott als letztem
Urgrund auf. Und Gott ist H err und Gebieter auch der Fortuna-W elt.
Schicksal, Gliick und Zeit, udes, srieca i vrieme stehen vor seinem
Thron. Die drei Bewegkråfte des dynam ischen barocken W eltbildes
dienen letzten Endes der gottlichen Vorsehung.
So gelangt unser Dichter in die W elt der Mystik, åhnlich so vielen
anderen Dichtern und Denkern des slawischen Barocks, dem Tschechen Bridel, dem Polen W oronicz, dem U krainer Skovoroda. In der
Ode Od velicanstva bozijeh (Von der M ajeståt Gottes) ertonen ihnen
verw andte Klange. Gott ist — heiBt es in der Ode — flammendes
Feuer, alles m it einschlieBender Kreis, ursachlose Ursache, alles
durchdringende Liebe und Vernunft. Uberall ist er anwesend, alles
sieht er voraus, denn alles ist ja in ihm. E r ist H err der Zeit und Gegenstand seiner eigenen Liebe, voll ewiger Glorie und Schonlieit. Der
Verstand muB sich ihm beugen, die Zunge verstum m en. Seine echte
W esenheit ist uns unbegreifbar: das menschliche Denken ist schwach,
und kann n u r soviel wissen, daB es nichts weiB. Mit der in die Unendlichkeit weisenden Geste des Barockm enschen eroffnet dieses
schone Gedicht die Perspektiven der Mystik, der Transzendenz und
des Irrationalism us.
Aus Barock und Hum anism us, aus lateinischer Rom antik und slawischem Patriarchalism us entsproB die Dichtung des Ivan Gundulic.
Nicht um sonst w ar Dalm atien seine Heimat, das Land, das m it einem
Auge auf das lateinische Mittelmeer, m it dem anderen auf die siidslawischen Berge blickt. An stim mungsvollen Plåtzen dalm atinischer
Stådte, in ihren engen GåBlein, in den vertråum ten Klosterliofen
fiihlen w ir den ganzen Zauber der m editerranen Welt, wir fiihlen
aber auch gleichzeitig den herb-erfrischenden Atem des slawischen
Volkslebens m it seinen kråftigen Farbtonen. Diese beiden groBen
Sphåren verkniipfen sich bei Gundulic zur gewaltigen Einheit: sie
beide nåhren den m enschlichen Reichtum und die kiinstlerische
Schonheit seines Schaffens.