Fallsammlung

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Prof. Dr. A. Scherzberg
Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht SoS 2016
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Fall 1:
Der Beschwerdeführer (Bf.) nahm im Jahr 1997 eine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit
der späteren Mutter seines Kindes auf. Die Beziehung dauerte bis Anfang 1999. Im Mai 1999
erfuhr er von der Schwangerschaft seiner früheren Lebensgefährtin, die ab Juli 1999 jeden
weiteren Kontakt zu ihm ablehnte. Am 25. August 1999 gebar sie einen Sohn und erklärte
alsbald die Freigabe des Kindes zur Adoption. Das Jugendamt wurde zum Amtsvormund
bestellt. Der Bf. erfuhr erst im Oktober 1999 von der Geburt des Kindes und der
beabsichtigten Adoption. Mit Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 20. Juni 2000 wurde
seine Vaterschaft rechtskräftig festgestellt. Das AG Wittenberg übertrug ihm im Jahre 2001
die elterliche Sorge. Das OLG Naumburg wies in der Berufung den Sorgerechtsantrag ab und
schloss ein Umgangsrecht mit dem Kind befristet aus, weil die Trennung des Kindes von
seiner Pflegefamilie, zu der es eine tiefe soziale und emotionale Bindung entwickelt habe, zu
schweren irreversiblen psychischen Schäden für das Kind führen würde.
Der EGMR entschied auf eine Individualbeschwerde des Bf., dass der von ihm angegriffene
Beschluss des OLG Naumburg, durch den ihm das Sorge- und Umgangsrecht versagt wurde,
eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt. Daraufhin übertrug das AG dem Bf. das Sorgeund Umgangsrecht durch einstweilige Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Sorgerechtsverfahrens. Auf Antrag des Amtsvormundes hob das OLG Naumburg diese
Entscheidung auf, vor allem weil das Kind voll in die Pflegefamilie integriert sei. Auch
bestünde für das Gericht keine Bindung an die Entscheidung des EGMR. Hiergegen wendet
sich der Bf. mit der Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG.
BVerfG Beschluss vom 14.10.2004 2 BvR 1481/04, BVerfGE 117, 307 ff. – „Görgülü“
Fall 2:
Der Beschwerdeführer (Bf.) betrat mit fünf weiteren Aktivisten im Jahre 2003 den Terminal 1
des Flughafens Frankfurt und verteilte Flugblätter zu einer bevorstehenden Abschiebung. Die
Bekl. im Ausgangsverfahren, die Fraport Aktiengesellschaft, die den Flughafen betreibt und
in deren Eigentum auch das Flughafengelände steht, erteilte ihm daraufhin ein
„Flughafenverbot“ und untersagte es ihm auf Dauer, den Flughafen ohne deren Erlaubnis für
Meinungskundgaben und Demonstrationen zu nutzen. Sie stützt sich dabei auf eine vom Land
Hessen genehmigte Flughafenbenutzungsordnung, nach der Sammlungen, Werbungen sowie
das Verteilen von Flugblättern auf dem Flughafengelände der Einwilligung des
Flughafenbetreibers bedürfen. Aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufs und der
Sicherheit würden „mit uns nicht abgestimmte Demonstrationen“ grundsätzlich nicht
geduldet. Die Zivilgerichte wiesen die hiergegen gerichtete Klage unter Berufung auf das
Hausrecht der Bekl. ab.
Mit Schreiben vom 10.3.2006 informierte der Bf. die Bekl., dass er am nächsten Tag im
Terminal 2 für einige Minuten seine Meinung zu den derzeit stattfindenden Abschiebungen
äußern werde, ohne den Flugbetrieb dadurch zu stören. Er habe auch beim Ordnungsamt eine
halbstündige Versammlung zum gleichen Thema in Terminal 1 angemeldet. Für beide
Aktionen bitte er die Bekl. um Erlaubnis. Dieses wurde unter Verweis auf das im Jahre 2003
ausgesprochene Verbot versagt. Die Bekl. kündigte an, im Falle einer Aktion Strafantrag
wegen Hausfriedensbruch zu stellen.
In der Verhandlung weist der Bf. darauf hin, dass der Flughafen neben seiner eigentlichen
Funktion zunehmend auch als Einkaufsmall fungiere, so werbe die Fraport AG mit dem
Slogan „Airport Shopping für alle!“ „Auf 4000 qm zeigt sich der neue Marktplatz in neuem
Gewand und freut sich auf Ihren Besuch.“ Ferner seien im öffentlichen Teil des Flughafens
schon häufiger Versammlungen und öffentliche Aktionen durchgeführt worden, u.a. ein
Public Viewing anlässlich der Fußball WM 2010. Schließlich besäßen die Bundesrepublik
Deutschland, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt a.M. etwa 70 % der Aktien, nur der
Rest befinde sich in privater Hand. Deshalb müsse die Bekl. die Meinungsfreiheit gem. Art. 5
Abs. 1 S. 1 GG und die Versammlungsfreiheit achten.
BVerfG Urteil v. 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 – „Versammlungsfreiheit
am Frankfurter Flughafen“
Fall 3:
Am 13.02.2012 veranstaltete die Stadt Dresden auf einem Friedhofsgelände eine
Veranstaltung zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs sowie des Bombenangriffs
auf Dresden vom 13.02.1945. Die Beteiligung stand der gesamten Bevölkerung offen.
Einige Meter vom Gedenkzug entfernt standen der Beschwerdeführer und drei weitere
Personen mit einem Transparent mit der Aufschrift: „Es gibt nichts zu trauern - nur zu
verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen
Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion“.
Die Stadt Dresden meint, das Verhalten des B störe die Friedhofsordnung, die eine über die
Bestattung oder Totenfeier hinausgehende Auseinandersetzung verbiete. Die Hinterbliebenen
und Gedenkenden hätten ein Recht darauf, dass sie ohne Einwirkung von Dritten auf dem
Friedhof trauern und gedenken könnten. Durch das Entrollen des Transparents habe B eine
grob ungehörige Handlung gem. § 118 OWiG begangen, das er objektiv jenes Minimum an
Regeln grob verletzt habe, welches unabdingbar sei, um innerhalb einer offenen Gesellschaft
ein Zusammenleben zu ermöglichen. Die Stadt setzte einen Bußgeldbescheid in Höhe von
150 € fest.
§ 118 OWiG lautet: Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt,
die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche
Ordnung zu beeinträchtigen.
B sieht im Bußgeldbescheid eine Verletzung seiner Grundrechte.
BVerfG v. 20.04.2014 – 1 BvR 980/13 = Kingreen, JK 2015, 883.
Fall 4:
Im ersten Ausgangsverfahren machten Eltern gegenüber ihrem Arzt Unterhaltszahlungen für
ein Kind und Schmerzensgeld wegen einer ungewollten Schwangerschaft geltend, weil eine
bei ihrem Ehemann aus Gründen der Familienplanung vorgenommene Sterilisation
fehlgeschlagen war.
Im zweiten Fall hatten die Eltern eines geistig und körperlich behinderten Kindes von dem
beklagtem Arzt auf ihre Anfrage die Auskunft erhalten, dass ihnen nicht von einer weiteren
Schwangerschaft abgeraten werden müsse, weil eine vererbbare Störung äußerst
unwahrscheinlich sei. Die Ehefrau brachte dann erneut ein behindertes Kind zur Welt.
Von den Zivilgerichten einschließlich dem BGH (BGHZ 124, 128) wurde den Eltern
Schadensersatz in Höhe des Kindesunterhalts wegen Vertragsverletzung und der Mutter
Schmerzensgeld zugesprochen. Hiergegen wenden sich die Bf. mit der
Verfassungsbeschwerde.
BVerfG Beschluss v. 12.11.1997, 1 BvR 479/92 und 307/94, BVerfGE 96, 375 ff.
Fall 5:
Die in Afghanistan geborene Bf. besitzt seit 1995 die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihr
Antrag auf Einstellung in den Schuldienst an Grund- und Hauptschulen des Landes BadenWürttemberg wurde mit der Begründung abgelehnt, das von ihr auch während des Unterrichts
getragene Kopftuch sei Ausdruck kultureller Abgrenzung; deshalb fehle es ihr an der
erforderlichen persönlichen Eignung. Die Bf. macht demgegenüber geltend, das Tragen des
Kopftuches sei nicht nur Merkmal ihrer Persönlichkeit, sondern auch Ausdruck ihrer
religiösen Überzeugung. Ihre Klage auf Einstellung in den Schuldienst bleibt in den
verwaltungsgerichtlichen Instanzen ohne Erfolg. Hiergegen wendet sie sich mit der
Verfassungsbeschwerde an das BVerfG.
BVerfG Urteil v. 24.09.2003 2 BvR 1436/02 – BVerfGE 108, 282 ff.
Fall 6:
Der Kläger, ein Journalist, begehrte vom Bundesnachrichtendienst gestützt auf das
Pressegesetz des Landes Berlin Auskunft darüber, wie viele hauptamtliche sowie inoffizielle
Mitarbeiter der Bundesnachrichtendienst bzw. sein Vorläufer, die Organisation Gehlen, in
bestimmten Jahren zwischen 1950 und 1980 hatte und wie viele davon Mitglied der NSDAP,
der SS, der Gestapo oder der Abteilung „Fremde Heere Ost“ waren. Der BND hielt sich durch
einen im Landesrecht wurzelnden Anspruch nicht für verpflichtet und trägt weiterhin vor,
über die vorhandenen Informationen nicht zu verfügen. Zu umfangreichen Recherchen sei er
jedenfalls nicht verpflichtet.
BVerwG 6 A 2.12 – Urteil vom 20. Februar 2013
Fall 7:
Nach mehreren Presseberichten über Funde von Diethylenglykol (DEG), einem
Frostschutzmittel
und
chemischen
Lösungsmittel,
in
Weinen
führten
die
Lebensmittelüberwachung systematische Untersuchungen durch. Dabei wurde auch in einem
von der Kl., einer Weinkellerei, abgefüllten Wein DEG festgestellt. Nach dem damaligen
Erkenntnisstand war das Auftreten von Gesundheitsschäden nach dem Genuss von DEG nicht
ausgeschlossen. In der Öffentlichkeit herrschte erhebliche Besorgnis und Unsicherheit
darüber, welche Weine mit DEG versetzt und deshalb zu meiden waren.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) veröffentlichte deshalb
eine Liste DEG-haltiger Weine, die u.a. das Herkunftsland, die Lagebezeichnung, den
Jahrgang und die Bezeichnung des Produkts sowie die Namen der Abfüller enthielt. Er nahm
darin auch die Kl. auf. Diese erlitt daraufhin empfindliche Absatzeinbußen auch bei ihren
nicht in der Liste genannten, DEG-freien Erzeugnissen. Die Kl. begehrte vor den
Verwaltungsgerichten erfolglos die gerichtliche Feststellung, dass der BMJFG nicht
berechtigt gewesen sei, sie als Abfüllerin in die Liste DEG-haltiger Weine aufzunehmen. Die
beklagte Bundesrepublik bringt vor, dass die Information der Öffentlichkeit erforderlich
gewesen sei und auf die Kompetenz der Regierung zur Staatsleitung gestützt werden konnte.
Gegen die letztinstanzliche Abweisung der Klage wendet sich die Kl. an das BVerfG und
stützt sich dabei auf ihre Berufsfreiheit.
BVerwGE 87, 37; BVerfG 1 BvR 558/91, 1428/91 v. 26. Juni 2002 – BVerfGE 105, 252.
Fall 8:
Der Kl. ist Journalist einer überregionalen Tageszeitung und begehrte beim Deutschen
Bundestag Einsicht in Ausarbeitungen und Übersetzungen des Wissenschaftlichen Dienstes
bzw. Sprachendienstes des Bundestages nach dem Informationsfreiheitsgesetz, die diese für
den seinerzeitigen Abgeordneten Freiherr zu Guttenberg angefertigt hatten. Streitig ist, ob
diese Texte von vornherein für sein Dissertationsprojekt oder für seine Abgeordnetentätigkeit
angefordert worden waren; jedenfalls bezogen sich die Ausarbeitungen auf außenpolitische
Tätigkeiten. Der Deutsche Bundestag lehnt das Informationsersuchen ab. Ist die Klage
dagegen begründet?
BVerwG v. 25.06.2015 – 7 C 1/14 = MJW 2015, 3258.
Fall 9:
Die Kl. leidet an einer Autoimmunkrankheit und benötigte deshalb eine Spenderniere. Die
Bekl. ist das Universitätsklinikum Großhadern/München des Freistaats Bayern, geführt als
rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Diese unterhält ein Transplantationszentrum
i.S.v. § 10 TPG. Die Kl. wurde auf der dortigen Warteliste für Organspender geführt und war
bei Eurotransplant als potenzielle Organempfängerin gelistet.
Nach einer Auseinandersetzung zwischen dem Ehemann der Kl. und den Ärzten über Details
der Behandlung teilte der für die Bekl. zuständige Arzt in einem Brief mit: „Aufgrund Ihres
Verhaltens ist eine vertrauensvolle Behandlung Ihrer Ehefrau an unserem Zentrum nicht mehr
möglich. Eine Nierentransplantation wird deshalb an unserem Zentrum nicht durchgeführt.
Ihre Ehefrau wird ab sofort bei Eurotransplant als „nicht transplantabel“ gemeldet.
Die Kl., der in der Zwischenzeit andernorts eine Spenderniere transplantiert wurde, beantragt
die Feststellung, dass ihre Streichung aus der Warteliste und die Meldung an Eurotransplant
rechtswidrig waren.
VG München v. 26.06.2014 – M 16 K 13.808 = NJW 2014, 3467.
§ 10 TPG lautet:
(1): Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die
nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder nach anderen gesetzlichen
Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie für die
Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender zugelassen sind. Bei der
Zulassung nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind Schwerpunkte für die
Übertragung dieser Organe zu bilden, um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und
wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der
Organübertragung zu sichern.
(2): Die Transplantationszentren sind verpflichtet,
1. Wartelisten der zur Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen angenommenen
Patienten mit den für die Organvermittlung nach § 12 erforderlichen Angaben zu
führen sowie unverzüglich über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung
und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden und den behandelnden Arzt
darüber zu unterrichten, ebenso über die Herausnahme eines Patienten aus der
Warteliste,
2. über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der
Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach
Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung,
…
Fall 10:
Der Kl. ist ein Verein von Unternehmen, die Postdienstleistungen der Deutschen Post AG in
Anspruch nehmen. Er wendet sich gegen die Genehmigung von Entgelten der Deutschen Post
AG durch die Bundesnetzagentur.
Gem. § 19 PostG bedürfen „Entgelte, die ein Lizenznehmer auf einem Markt für
lizenzpflichtige Postdienstleistungen erhebt, … der Genehmigung durch die
Regulierungsbehörde, sofern der Lizenznehmer auf dem betreffenden Markt
marktbeherrschend ist.“
Gem. § 22 Abs. 4 PostG sind genehmigte Entgelte im Amtsblatt der Regulierungsbehörde zu
veröffentlichen.
Gem. § 23 Abs. 1 PostG ist „der Lizenznehmer …verpflichtet, ausschließlich die von der
Regulierungsbehörde genehmigten Entgelte zu verlangen.“ Gem. Abs. 2 sind „Verträge über
Dienstleistungen, die andere als die genehmigten Entgelte enthalten, … mit der Maßgabe
wirksam, dass das genehmigte Entgelt an die Stelle des vereinbarten Entgelts tritt.“
BVerwG v. 05.08.2015 – 6 C 8/14 = JuS 2016, 285.
Fall 11:
Lehrer L ist Beamter des Landes Thüringen und unterrichtet dort an einer Hauptschule.
Nachdem er sich an einer Demonstration beteiligt hatte, die von einer radikalen, auch vor
Gewalttaten nicht zurückschreckenden religiösen Gruppierung organisiert worden war, wurde
er von der zuständigen Behörde auf seine Pflicht zur Treue zur Verfassung hingewiesen und
an einen Nachbarort versetzt. Nach erfolglosem Widerspruch hob das VG die Versetzung auf,
weil im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine weiteren Verbindungen von L zu der
religiösen Gruppierung zutage getreten waren. In seiner Personalakte verblieb jedoch der
Vermerk „Versetzt als Sympathisant potentiell gewaltbereiter Gruppen“. Die zuständige
Behörde lehnt eine Tilgung dieses Vermerks ab und ist allenfalls zu einer Berichtigung bereit.
Hat L einen Anspruch darauf, die Eintragung aus seiner Personalakte entfernen zu lassen, und
wie kann er diesen durchsetzen?
Aufgrund des Verdachts politischer Unzuverlässigkeit ordnete der Schulleiter an, das L nicht
mehr zum Unterricht in Oberstufenklassen, sondern nur noch in Klassen bis zum 9. Schuljahr
eingeteilt wird. Kann L nach dem Obsiegen vor dem VG im Prozess um die Versetzung
erreichen, dass er wieder Oberklassen unterrichten darf?
Fall nach Böhm/Gaitanides, Fälle zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2007 S. 282
ff.
Fall 12:
Der Ast. ist Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks, das an einen See
grenzt. In unmittelbarer Wassernähe errichtete er ohne Baugenehmigung – und damit
baurechtswidrig – ein Haus mit Isolierglasfenstern, einer Doppeleingangstür und einer
gepflasterten Terrasse. Die Bauaufsichtsbehörde verfügte gegenüber dem Ast. nach vorheriger
Anhörung die Beseitigung des Gebäudes. Sie ordnete die sofortige Vollziehung an und führte
zur Begründung aus, das von der baulichen Anlage des Ast. im Außenbereich die Gefahr
einer erheblichen Breitenwirkung ausgehe. Das Gebäude könne als Beleg dafür verstanden
werden, dass man sich zumindest vorübergehend mit Erfolg über das Gesetz hinwegsetzen
könne. Weitere Eigentümer der am See gelegenen Grundstücke, deren Anträge auf
Baugenehmigung bisher abgelehnt wurden, könnten so leicht zur Nachahmung verleitet
werden.
Der Ast. erhebt Widerspruch gegen die Verfügung und begehrt einstweiligen Rechtsschutz
vor dem VG. Er trägt vor, es handele sich bei dem Haus um eine Lagestätte für Heu, das an
die in den angrenzenden Stallgebäuden gehalten würde.
OVG Berlin-Brandenburg, v. 17.07.2015 = JK 2016, 116.
Fall 13:
Der Ast. möchte erstmalig mit einem Stand am Münsteraner Weihnachtsmarkt teilnehmen
und stellte einen Antrag nach § 70 Abs. 1 GewO. Sein Antrag wurde von der Stadt mit
Bescheid v. 02.06.2014 abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 70 lägen zwar vor, nach § 70
Abs. 3 i.V.m. den städtischen Vergaberichtlinien sei sein Antrag aber nicht prioritär.
Die Vergaberichtlinien orientierten sich nach den Kriterien „Weihnachtsmarkterfahrung,
Ortansässigkeit, Zuverlässigkeit, Attraktivität, Platzbedarf und Neuheit des Angebots“. Für
die ersten beiden Kriterien wurden beispielsweise bis zu 3 Punkte vergeben; 1 P. für Ast., die
noch nicht auf diesem Weihnachtsmarkt waren, 2 P. für solche mit 1 bis 15 Jahren Erfahrung
und 3 P. für längere Präsenz auf dem Münsteraner Markt. Der Ast. fühlt sich benachteiligt,
weil nach diesen Kriterien neue und nicht ortsansässige Bewerber keine Chancen hätten.
Er fragt nach Möglichkeiten des Eilrechtsschutzes.
VG Münster v. 24.09.2014 – 9 L 617/14 = Kingreen JK 2015, 1395.
§ 70 GewO
(1) Jedermann, der dem Teilnehmerkreis der festgesetzten Veranstaltung angehört, ist nach
Maßgabe der für alle Veranstaltungsteilnehmer geltenden Bestimmungen zur Teilnahme an
der Veranstaltung berechtigt.
(3) Der Veranstalter kann aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur
Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller, Anbieter oder Besucher von
der Teilnahme ausschließen.
Fall 14:
Der Kl. errichtete im Jahr 1972 im Gebiet der Bekl., der Gemeinde W, ein Haus. In der Folge
kam in der Verwaltung der Bekl. der – objektiv nicht zutreffende – Verdacht auf, der Kl. habe
den nach der ihm von der Bekl. erteilten Baugenehmigung einzuhaltenden Straßenabstand um
1,50 m unterschritten. Die Gemeindevertretung der Bekl. fasste am 03.06.1976 und am
21.03.1978 zwei Beschlüsse, in denen sie zum Ausdruck brachte, der Kl. habe die ihm erteilte
Baugenehmigung nicht eingehalten. In gleicher Weise äußerte sich der Bürgermeister der
Bekl. in Schreiben vom 10.06.1976 und 29.03.1978. Der Kl. beantragt mit seiner Klage vor
dem VG festzustellen, dass die Behauptung, er habe die ihm erteilte Baugenehmigung nicht
eingehalten, falsch sei, ferner die Bekl. zu verpflichten, diese Behauptung zu widerrufen und
die Kosten für eine Veröffentlichung der Widerrufsverpflichtung in der örtlichen
Tageszeitung zu übernehmen.
VGH Hessen – Urt. v. 20.10.87 – 9 OE 24/83 – NJW 1988, 1683 – DÖV 1988, 468 –
Erichsen, JK 88, Allgemeines VerwR, Folgenbeseitigungsanspruch/6
Fall 15:
Der Kläger (Kl.) stellte seinen PKW am 27.04.1992 auf einer öffentlichen Straße in K. ab.
Anschließend begab er sich für eine mehrwöchige stationäre Behandlung in ein Krankenhaus.
Am 12.05.1992 stellte die Beklagte (Bekl.) in dem betreffenden Straßenabschnitt zur
Vorbereitung eines Straßenfestes mobile Halteverbotsschilder (Zeichen 283 nach § 41 II Nr. 8
StVO) auf. Der am 16.05.1992 beauftragte Bedienstete der Bekl., ein privates
Abschleppunternehmen, wurde mit der Entfernung des Fahrzeuges des Kl. beauftragt. Der
Wagen wurde auf den Betriebshof des Unternehmens transportiert, wo ihn der Kl. später
gegen Zahlung von 175,56 DM abholte. Mit der Klage vor dem VG begehrt der Kl. die
Erstattung dieses Betrages.
BVerwG Urt. v. 11.12.1996 – 11 C 15.95 – NJW 1997, 1021 f.: Erichsen, JK 97, VwVfG NW
§ 41/1
Fall 16:
Im Land L können nach einer ministeriellen Richtlinie (RL) Vorhaben zur spürbaren
Emissionssenkung und zur Verbesserung der lufthygienischen Situation gefördert werden;
allerdings dürfen vor Erteilung des schriftlichen Zuwendungsbescheids keine Lieferungsoder Leistungsverträge abgeschlossen werden (Verbot des vorzeitigen Vorhabensbeginns).
Die Verwaltungspraxis in L entspricht diesen Vorgaben. K beabsichtigt, das Heizsystem in
seinem Wohnhaus von Kohle auf Fernwärme umzustellen und beantragt eine
Projektförderung nach der RL. In dem Antrag erklärt er, dem Verbot des vorzeitigen
Vorhabensbeginns zu genügen. In Wirklichkeit hat er der Firma F bereits einen Auftrag für
Heizungsinstallationsarbeiten erteilt. Das zuständige Ministerium von L bewilligt K eine
Projektförderung i.H.v. 61.000 €, nimmt diesen Bescheid aber drei Monate später nach
Kenntniserlangung vom vorzeitigen Vorhabensbeginn zurück, ohne K zuvor anzuhören. K
wendet sich mit einem umfangreichen Schreiben an L und legt seinen Standpunkt dar, worauf
L den Bescheid erneut überprüft, aber nichts veranlasst. Nunmehr klagt K gegen die
Rücknahme des Bewilligungsbescheids.
OVG Thür. v. 27.04.2004 – 2 KO 433/03; DÖV 2005, 36; Schoch, JK 2/05, VwVfG § 48/27
Fall 17:
Der Landesverband Hamburg der NPD beabsichtigte, den Bundesparteitag 1988 der NPD
auszurichten. Er beantragte deshalb bei der Stadt Hamburg, ihm für den fraglichen Termin
den großen Saal des Kongress Centrums Hamburg (KCH) zu überlassen. Die Stadt Hamburg
hatte den Saal in der Vergangenheit bereits mehrfach politischen Parteien für die
Durchführung von Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Das KCH wird von der A-GmbH
betrieben, deren einzige Gesellschafterin die B-GmbH ist. Alleinige Gesellschafterin der BGmbH ist die Stadt Hamburg. Die Stadt Hamburg lehnte den Antrag des Landesverbandes
Hamburg der NPD ab. Dieser erhob daraufhin Klage vor dem VG mit dem Antrag, die Stadt
Hamburg zu verpflichten, die A-GmbH durch Erteilung von Weisungen zu veranlassen, ihm
den großen Saal des KCH zu überlassen.
BVerwG – 7 B 184.88 – NJW 1990, 134 ff – Erichsen, JK 90 PartG § 5/1
Fall 18:
In Vertretung seiner Ehefrau B beantragte E eine Baugenehmigung zur Errichtung eines
Wohnhauses im unbeplanten Außenbereich der Gemeinde G. Das Bauamt von G verneinte in
der Beschlussvorlage für den Gemeinderat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit
des Vorhabens, weil die Entstehung einer Splittersiedlung zu befürchten sei, so dass der
Gemeinderat zunächst die erforderliche Zustimmung zur Baugenehmigung verweigerte. Nach
der Bestechung eines Bediensteten durch E (ohne Wissen der B) und dessen Fürsprache für
das Vorhaben änderte das Bauamt jedoch sein Votum, so dass die Zustimmung erteilt wurde.
Daraufhin erhielt B die Baugenehmigung. Nachdem die Bestechung bekannt geworden war,
nahm die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung zurück. Hiergegen wendet sich B mit
ihrer Klage. Sie trägt vor, sie habe vom Verhalten ihres Mannes nichts gewusst. Mit Erfolg?
OVG NW – Urt. v.14.07.2004 – 10 A 4471/01 – BauR 2005, 696 – NWVBl 2005, 71
Fall 19:
Die Beigeladene hat in der Stadt S. (Nds.) eine nach dem BImSchG genehmigte
Reststoffverwertungsanlage errichtet. Dafür gewährte die Bekl. nicht zurückzahlbare
Zuwendungen nach den Richtlinien des Landes Nds. aus dem Wirtschaftsförderungsfonds –
ökologischer Bereich, um umweltfreundliche Technologien zu fördern. Der Kläger ist
Ortsverband einer politischen Partei und begehrt gestützt auf das Umweltinformationsgesetz
(UIG) Akteneinsicht. Diesen Antrag lehnte die Bekl. mit der Begründung ab, die
Förderungsakte enthalte keine Umweltinformationen i.S.d. UIG, außerdem seien die
fraglichen Informationen schon bei der Genehmigung der Anlage nach dem BImSchG
bekannt gegeben worden. Auch lasse der Antrag des Kl. nicht erkennen, auf welche Daten er
genau gerichtet sei. Im Übrigen könnte aus Geheimhaltungsgründen allenfalls Auskunft, aber
keine Akteneinsicht verlangt werden. Dagegen hat der Kl. Klage beim VG mit dem Antrag
erhoben, die Beklagte zu verurteilen, ihr Einsicht in die Unterlagen zu diesem Vorgang zu
gewähren. Schließlich handele es sich bei der Förderung um Umweltsubventionen.
BVerwG Urt. v. 25.03.1999 – 7 C 21.98 – BVerwGE 108, 369 ff.
Fall 20:
Die Klägerin begehrte seit Jahren die Erteilung einer Genehmigung für den Verkehr mit
Taxen im Gebiet der beklagten Stadt. Auf deren Vormerkliste hatte sie den 11. Rang unter
insgesamt 29 Bewerbern. Nachdem die Kl. um förmliche Bescheidung ihres Antrages gebeten
hatte, lehnte die Beklagte die Erteilung einer Konzession mit der Begründung ab, die
Ausübung eines weiteren Taxenverkehrs bedrohe die Funktionsfähigkeit des örtlichen
Taxengewerbes, da eine ausreichende Tilgung des Anlagekapitals sowie die Erzielung eines
angemessenen Gewinns nicht mehr gewährleistet sei. Konkrete Nachweise werden dafür
allerdings nicht erbracht.
Die Kl. erhob vor dem VG Klage gegen die Stadt K auf Erteilung der Genehmigung für den
Verkehr mit Taxen. Sie hält die Einschränkungen des PBefG für verfassungswidrig, weil sie
im Ergebnis den etablierten Unternehmen einen Schutz vor Konkurrenz gewähren. Außerdem
sei die Prognose der Bekl. unbegründet. Die Bekl. hält den Anspruch der Kl. schon deshalb
für unbegründet, weil diese erst auf Platz 11 der Warteliste stünde.
BVerwG Urt. v. 15.04.1988 – 7 C 94.86 – BVerwGE 79, 208 ff.
Fall 21:
Der Kläger erhielt für ein geplantes Bauvorhaben von der bayrischen Gemeinde G (Bekl.) die
beantragte Baugenehmigung. Dem Nachbarn N wurde diese Baugenehmigung nicht bekannt
gegeben. Dieser erfuhr vielmehr erst durch den Baubeginn 18 Monate nach Erlass der
Baugenehmigung von deren Bestehen. Wenige Tage nach Baubeginn legte N Widerspruch
gegen die Baugenehmigung ein. Während des Widerspruchsverfahrens nahm die Bekl. die
Baugenehmigung zurück, weil das Bauvorhaben – was zutrifft – gegen nachbarschützende
Baurechtsvorschriften verstoße, was ihr bereits unmittelbar nach Erlass der Baugenehmigung
bekannt geworden war. Nach erfolglosem Vorverfahren erhebt der Kl. Klage vor dem VG mit
dem Antrag, den Rücknahmebescheid aufzuheben.
BVerwG Urt. v. 10.02.1994 – 4 B 26.94; DÖV 1994, 570; Erichsen, JK 95, VwVfG § 50/2
Fall 22:
Die geschiedene Ehefrau des Kl. ist alleiniger Vorstand einer Familienstiftung in NRW. Mit
der vor dem VG erhobenen Klage begehrt der Kl., die Bezirksregierung in M als zuständige
Stiftungsaufsichtsbehörde zur Abberufung des Stiftungsvorstandes zu verpflichten. Zur
Begründung gibt er an, dass die Interessen der Familie und der Zweck der Stiftung durch
verschiedene Entscheidungen des Vorstandes verletzt worden seien. Ferner beantragt der Kl.
die Verurteilung zur Auskunft zum Stand des die Familienstiftung betreffenden
aufsichtsrechtlichen Verfahrens.
OVG NW Urt. v. 28.02.1992 – 15 A 2130 – 2132/90 – NWVBl. 1992, 360