Impr. Italien - Casa Angelina

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Impr. Italien - Casa Angelina
titelstory
italiens süden
Europas schönste Küstenstraße schlängelt sich mal malerisch,
mal verwegen an der steilen AMALFIKÜSTE entlang.
Südöstlich von Neapel warten spektakuläre Ausblicke
hinter jeder Kurve. Unser Reporter befuhr die Amalfitana
stilgerecht im Schwingsattel einer Oldtimer-Vespa 125 aus dem
Jahr 1954. Und im „Anschluss“ stellt seine Kollegin den
weiter südlich gelegenen Geheimtipp CILENTO vor.
!
Göttlich
kurven
Fotos:
Frank Heuer
Text:
Frank Heuer und Stefanie Sonnentag
Wichtig: Beim Tanken
den Caffè nicht vergessen
Auf Vespas Baujahr
1953 geht es von
Praiano nach Amalfi
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Nostalgisches Fahrvergnügen und
beste Küche lautet das Rezept
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1 Blick übers Hinterland des Cilento
bei Bellosguardo, wo sich der Naturpark Cilento e Vallo di Diano erstreckt
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2 So sehen Gäste des Luxushotels
„Le Sirenuse“ das Städtchen
Positano mit der bunten Kirchkuppel
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Der Deutsche Bob bietet
Sterneküche mit Capri-Blick
Der Hauptort Amalfi schmiegt
sich an die dramatisch steil
abfallenden Hänge der Felsküste
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1 Weltberühmt ist der
Blick von der Villa
Rufolo aus bis Maiori
2 Sorgsam gepflegt
sind Oldtimer-Vespas
des Anbieters
Meridianosedici
3 Gasse im CilentoFischerdorf Acciaroli.
Hier soll Hemingway
1953 einige Wochen
verbracht haben
Sinnliche Formen prägen
die Vespas der 50er Jahre
4 Vor der großzügigen Treppe des
Doms von Amalfi
geht es immer lebhaft
zu, auch zur
Freude des Wirts der
„Bar Francese“
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1 Die Terrazza dell’Infinito
des „Hotel Villa
Cimbrone“ in Ravello
wird ihrem
Namen voll gerecht
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2 Die kleine Bucht der
Marina di Praia
lädt zu einem Zwischenstopp und
einem kurzen Bad …
3 … ebenso ein wie der
lange Strand
von Velia im Cilento
4 Ricotta-Torte der
„Pasticceria De Riso“
in Minori
5 Pool des „Hotel Caruso
Belvedere“ in Ravello
Naima von De Conciliis ist
unser Weintipp fürs Cilento
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Z
ugegeben: Spartanisch ist die Ausstattung meiner Ur-Vespa schon.
Den Tacho sucht man vergebens.
Die unscheinbare Drei-Gang-Schaltung
verbirgt sich im linken Lenkergriff. Rechts
ist neben dem Bremshebel nur ein Bordinstrument. Ein grauer Druckknopf. Es
ist die Hupe. „Du musst nach Gehör schalten“, hatte man mir eingeschärft. Denn
die Wespe kann auch Zicke sein, zumal
bei der Suche nach dem ersten Gang.
Zwar bewegt sich mit gezogener Kupplung die gestanzte Kerbe des Schalthebels in Richtung der Markierung 1. Was
aber nicht bedeutet, dass das fünf PS starke Gefährt schon abfahrbereit wäre. Weiterdrehen mit roher Gewalt würde die
Mechanik wohl ruinieren.
Die Kurven der Amalfitana
und die der Vespa. Dio mio!
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1 Blick von Massa
Lubrense auf Capri
2 Verschnaufpause für
die Vespas, Positano
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3 Fischer der
Kooperative von
Positano
mit dem Tagesfang
4 Zahlreiche Boutiquen
in Positanos Via
dei Mulini warten auf
potente Kundschaft
Was hilft, ist sanftes Hin- und Herschaukeln, bis metallisches Klacken meldet, dass die Getriebezahnräder ineinandergerastet sind. Setzt sich die Signora
dann fauchend in Bewegung, ist das Fahrgefühl allerdings von unvergleichlicher
Grandezza. Mit jugendlicher Leichtigkeit
schwingt sich die alte Dame würdevoll
von einer Kurve in die nächste.
Beflügelt vom heiteren Knattern ihrer Stimme schwebe ich vergnügt die
von Olivenhainen gesäumte Serpentinenstraße hinauf, die von unserem Hotel an der Spitze der Halbinsel von Sorrent nach Massa Lubrense führt. Milde
Oktoberluft streicht durch die Haare, die
vom minimalistischen Halbschalenhelm
kaum bedeckt sind. Der Morgen duftet
nach Meer und Pinie. Ein entgegenkommender Lastwagenfahrer winkt begeistert hupend zum Gruß.
Hinter San Pietro beginnt die eigentliche Amalfitana. Und sie entfaltet dort
sogleich ihre ganze dramatische Schönheit. Links erhebt sich steil das Massiv
der Lattari-Berge, rechts unten leuchtet
tiefblau der Golf von Salerno. Die folgenden 40 Kilometer schneidet sich die
SS 163 alias Amalfitana durch oft senkrechte Felswände, schlängelt sich auf
waghalsigen Viadukten über Schluchten
und führt an verwunschen schönen Dörfern vorbei. Genießerisch zirkeln wir mit
unseren Roller-Raritäten über die makellose Traumstraße, dass es eine wahre
Wonne ist. Kurven mit für die Vespa
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maßgeschneiderten Radien gibt es
zwischen hier und dem Dom von Amalfi mehr als genug. In einer Kehre hoch
über Positano, einem der spektakulärsten Küstenorte, steigen wir wieder einmal aus dem Schwingsattel.
Vor dem Bau der Amalfitana-Straße
1840 war Positano nur über enge Maultierpfade oder vom Meer aus zu erreichen. Wie in einem kubistischen Gemälde wachsen die pastellfarbenen Häuschen zu beiden Seiten der Bucht den
steilen Hang hinauf. Darüber türmen sich
mächtige Felszinnen. Im Zentrum des
Ensembles thront, wie der Nabel dieses
Mikrokosmos, die grüngelbe Kuppel der
Chiesa di Santa Maria Assunta.
Nachdem das verarmte Fischerdorf während des Naziregimes deutschen Künstlern und Intellektuellen Unterschlupf geboten hatte, zog es in den 50ern zunehmend internationale Prominenz aus Film,
Kunst und Politik an. Für die Filmwelt
aus Rom war die Ecke zu diesem Zeitpunkt längst kein Geheimtipp mehr.
Künstler wie Regisseur Roberto Rosselini, Schauspielerin Anna Magnani und
Pablo Picasso genossen das Dolcefarniente am Strand von Positano. Ein Jahrzehnt später folgten die Lebenskünstler.
Zeitgleich entstand eine flippige Modeszene, die schon bald mit ihrer leger ver-
1
2
Früher war Positano einfach
nur übers Meer erreichbar
1 Mode „made in Positano“
ist noch immer ein
Versprechen, aber auch …
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2 … der Strand des
Örtchens ist mehr als nur
einen Blick wert
nähten Fetzenmode über die Grenzen
Italiens hinaus bekannt wurde.
So wundert es wenig, dass heutzutage im Gassenlabyrinth Positanos neben
zahllosen Trattorien und Souvenirläden
auch jede Menge mondäner Boutiquen
mit Mode „made in Positano“ lockt –
dumm nur, dass die luftigen Kleidchen
in Zeiten der Globalisierung meist in Asien hergestellt sind. Sportliches Handicap für die zahlreichen Touristen aus aller Welt sind die steilen Treppengassen,
die mitunter in endlos scheinenden Stufen vom Meer aus hinauf ins Dorf führen.
Der verdientermaßen immer wieder gern
zitierte US-Schriftsteller John Steinbeck
brachte es 1953 im Urlaub auf den Punkt:
„Ich habe den Eindruck, dass die Welt in
Positano senkrecht steht.“
Die Ernennung der Costa d’Amalfi
zum Unesco-Weltkulturerbe zog einen
Baustopp für die Dörfer der Küste
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Grau war die Farbe
der Ur-Vespa von 1946
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1 Mit den Vespas kommt
man fast überallhin –
Buchtenstopp in Praiano
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2 Modernes Ambiente für
Romantiker, Restaurantterrasse des „Casa Angelina“
3 Die Steilküste zwischen
Praiano und
Amalfi ist besonders wild
4 Paccheri-Nudeln mit
Provolasoße und Trüffeln
im „Casa Angelina“
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nach sich. So konnte sich Positano
seine charismatische Anziehungskraft
bis in die Neuzeit bewahren. Am dunklen Sandstrand liegen neben relaxten
Sonnenanbetern noch immer die kleinen Fischerboote, an denen nachmittags
die Männer ihre Fangleinen und Netze
für die Nacht präparieren.
Der Blick in die im Fels versenkte Fischerei-Cooperativa zeigt, dass es sich
dabei keinesfalls um eine gefällige Inszenierung für Touristen handelt. Jeden
Morgen lagern dort in stattlicher Zahl
und Vielfalt die Fänge der Nacht auf eisbedeckten Schaukästen. Fangfrischer
Grongo, Doraden, Barben, Sepien und
sogar Bonito-Thunfisch wandern von
hier aus täglich in die Küchen der ortsansässigen Restaurants und die der benachbarten Dörfer.
Das macht Appetit! Wir schwingen
uns wieder in den breiten Ledersattel der
Vespa. Im nahe gelegenen Praiano werden wir fündig. Das „Ristorante Il Pino“
wartet mit einem Panoramablick in Richtung Li-Galli-Inseln und mit Linguine an
einem Sugo aus lokalem Weißfisch, Marzano-Tomaten, Oliven und Kapern auf.
„Eine für die Costiera Amalfitana typische Pasta“, versichert mir Wirtin Sandra, „aber nur dann wirklich gut, wenn die
Nudel in Gragnano, einem kleinen Ort
an der Nordseite der Lattari-Berge, hergestellt wurde.“ Im Vergleich mit herkömmlicher Industriepasta dauere der
Trocknungsprozess der im Biss festeren
Gragnano-Nudel viermal so lang. Einfach
köstlich ist der Sud, den man zum Schluss
mit hausgemachtem Olivenbrot aufsaugt.
Dazu schmeckt ein gutes Glas Weißwein
aus den Hochlagen von Furore.
Das auf den ersten Blick unscheinbare Praiano ist durchaus einen Rundgang wert. Das lang gestreckte Straßendorf liegt strategisch günstig zwischen
Amalfi und Positano. Man findet Ruhe
und Naturbelassenheit und ist doch nur
wenige Kilometer von den beiden turbulenten Touristenmagneten entfernt.
Unterhalb der Amalfitana, hinter dem
Kirchplatz, auf dem lachende Bambini
spielen, lassen sich zu Fuß traumhafte,
hoch über dem Meer gelegene Häuschen
entdecken. Das vom Touristentrubel abgeschirmte Dorfleben wirkt wohltuend
einfach und privat. In den friedvollen
Terrassengärten gedeihen Hibisken, Feigen, Zitrusfrüchte und Stechapfel. An
den Hauswänden hängen von der
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Sonne verwöhnte Tomatenzöpfe
zum Reifen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Küstenorten, wo nachmittags die Sonne hinter steilen Bergrücken
abtaucht, genießen die Praianer fantastische Sonnenuntergänge.
Über einen schmalen Steig gelangt
man für ein Bad hinab in eine intime Felsbucht. Auch die verschwiegene Bucht
Marina di Praia erreichen wir mit unseren Vespas in nur wenigen Minuten, ein
goldener Strand mit kleinen Booten und
einem steinernen Wehrturm. Im einfachen Strandlokal sitzt man ziemlich entspannt bei einem Cappuccino, mit Blick
auf die von Klippen umrankte Bucht, die
in den 1950ern öfter als Filmset herhalten musste. Von ihrem stillen Charme
hat sie über die Jahre nichts eingebüßt.
Der Begriff „Faro Basso“
macht Vespa-Fans hellhörig
1
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1 Amalfi schafft Strandurlaubsgefühle
wie in den 60er Jahren
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3
2 Zwei Italo-Klassiker
– Vespa und arabischnormannischer Stil
3 Knoblauch und
getrocknete Peperoncini
in Amalfi
Ganz anders das pulsierende Leben
im Herzen der Costiera, der geschichtsträchtigen Hafenstadt Amalfi. Einst war
sie eine der vier mächtigen Seerepubliken Italiens. 1343 versanken weite Teile
bei einer Sturmflut im Meer. Nach dem
Zusammenbruch des Römischen Reichs
war Amalfi die erste Stadt, die mit dem
Orient wieder Handelsverbindungen aufnahm. Auf hochseetauglichen Rudergaleeren importierte man exotische Waren
wie Teppiche, Papier und Kaffee. Einen
nicht unwesentlichen Beitrag dazu lieferte die Erfindung des Kompasses durch
den gebürtigen Amalfitaner Flavio Gioia.
Zwischen Amalfis opulentem Dom
mit seiner imposanten Treppe und der
Korbstuhlterrasse der „Bar Francese“ auf
der Piazza herrscht stets geschäftiges
Treiben und Menschengewimmel. Mit
Genehmigung des Dorfpolizisten dürfen wir die „Wespen“ ausnahmsweise auf
dem Domplatz parken. Reiseleiter Oskar
D’Ippolito ist beruhigt: Die Preziosen irgendwo unbeobachtet an den Parkplätzen des quirligen Hafenpiers abzustellen brächte er nicht über das Herz.
Nicht nur alte Männer lieben die
Vespa. Bewundernd bleiben sie stehen,
begutachten und diskutieren über Baujahr und Form unserer selten gewordenen „Faro Basso“-Modelle. „Sembra
una Vespa“ – „sieht aus wie eine Wespe“
–, sagte Enrico Piaggio, als er im Frühjahr 1946 die Neuschöpfung seines
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Konstrukteurs Corradino D’Ascanio
(der zuvor übrigens Italiens ersten Hubschrauber gebaut hatte) erstmals zu Gesicht bekam. In der Tat gleicht der schlanke Mittelteil zwischen dem wuchtigen
Heck und der Schmutz abweisenden
Blechfront einer Wespentaille. Auf eine
30.000 Priester fuhren in
den 50er Jahren eine Vespa
2
3
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1 Atrani mit seiner
Kirche Santa Maria
Maddalena
2 Abends an Atranis
Piazza Umberto I.
3 Abendliches Bad im
Küstenörtchen Minori
4 Knatternd unterwegs
zwischen San
Pietro und Positano
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Antriebskette aus Metall wurde aus Kostengründen verzichtet. Stattdessen montierte D’Ascanio den Motor direkt ans
Hinterrad. Während des Weltkriegs hatte Italien im großen Stil Reifen für Militärflugzeuge produziert, für die es nach
Kriegsende keinen Bedarf mehr gab. Kurzerhand bediente sich die von Bomben
zerschundene Fabrik in Pontedera an
den Restposten der Flugzeugindustrie.
So kam die Wespe zu ihren kleinen
Rädern, die bald zum Markenzeichen des
Rollers wurden. Offenbar war das grau
lackierte Insekt genau das Gefährt, auf
das die Welt gewartet hatte. In den folgenden zehn Jahren fertigten die Arbeiter über eine Million Vespas. Selbst die
Kirche gab ihren Segen. 30.000 italienische Priester nannten Mitte der 50er Jahre eine Vespa stolz ihr Eigen.
Als „Prinzessin“ Audrey Hepburn und
„Reporter“ Gregory Peck im legendären
Film „Ein Herz und eine Krone“ 1953 auf
einer Vespa wild durch Rom rasten, hatte es der kleine Motorino endgültig geschafft, sogar in Hollywood. Die Vespa
war salonfähig geworden.
„Ti amo Principessa“ hat einer in roten Lettern in einer Kurve auf die halbhohe Steinmauer geschrieben, die den
Amalfi-Reisenden vor einem Sturz in die
Tiefe bewahren soll. Ob er die Verlobte
oder doch eher die Costa d’Amalfi gemeint hat? Für mich gibt es nach einigen
Tagen nur eine geliebte Prinzessin: meine Faro-Basso-Vespa.
Im schnöden Bus die Amalfi-Küste
erkunden oder mit den Metrò-del-MareSchiffen? Nein danke! Ich bin verliebt in
den Duft von heißem Olivenöl, Knoblauch und Peperoncino beim Durchfahren enger Hausgassen. Verliebt in das
Gefühl göttlicher Freiheit, wenn man von
Agerola aus im luftig-leichten Zweitaktrhythmus die vielen engen Serpentinen
nach Furore hinabzirkelt. Das blaue Meer
dabei immer auf Augenhöhe.
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1
2
1 Die Marmorbüsten
im Garten der Villa
Cimbrone zieren eine
atemberaubende
Panorama-Terrasse
2 Die Pizzeria „Da
Nino“ in Ravello macht
erstklassige Pizza
zu Niedrigpreisen …
3 … während das
„Hotel Caruso“ in
der Liga „Top Of The
Range“ spielt und
seine Gäste mit Luxus
und schönen
Aussichten verwöhnt
3
Herrliches Gefühl, spontan einer engen Seitenstraße zu folgen, ohne einen
Gedanken daran zu verschwenden, ob
man dort jemals wieder wenden kann.
Und verliebt, intuitiven Eingebungen augenblicklich nachzugeben. Wie etwa den
süßen Versuchungen der „Pasticceria De
Riso“ hinter der Strandpromenade des
entzückenden Örtchens Minori, wo ich
die Vespa kurzerhand direkt vor der CaféTerrasse parke. Belohnt werde ich mit
einer Torta Ricotta e pere des an der
Accademia Maestri Pasticceri Italiani ausgebildeten Meisterkonditors Salvatore.
Seine deliziösen Kunstwerke verdienen
ein lautes Bravissimo!
Kurventrunken rollen wir über die
Via Castiglione im Bergdorf Ravello ein.
Zu fortgeschrittener Nachmittagsstunde
haben die Kinder den ausladenden Domplatz mit ihrem Spiel fest im Griff. Nirgendwo sonst ragen die Schirme der
Pinien derart hoch in den süditalienischen Himmel wie in den Gärten der
feudalen Villen, die sich die mächtigen
Adelsfamilien der Seerepublik Amalfi im
14. Jahrhundert an der 350 Meter über
dem Meer schwebenden Felskante gegönnt haben. Die meisten der herrschaftlichen Palazzi werden unterdessen als
Luxushotels genutzt und die Gäste des
„Hotel Caruso“ etwa profitieren von der
einmaligen Adlerperspektive, die sich
vom spektakulär gelegenen Infinity-Pool
des Fünf-Sterne-Hauses bietet.
Von der öffentlich zugänglichen und
berühmten Terrazza dell’Infinito im Park
der Villa Cimbrone bietet sich eine Aussicht, die auch ohne Edel-Pool ihresgleichen sucht. Auge in Auge mit einer obskuren Reihe marmorner Büsten stürzt
der Blick hinab ins Bodenlose, fällt über
die lichtdurchfluteten Silhouetten der
von Bergrücken zerfurchten Gestade auf
ein Meer voller Poesie. Selten fühlt man
sich dem Irdischen so entrückt wie an
diesem magischen Punkt.
Krönender Abschluss mit
Christoph Bobs Gerichten
An der Spitze der Halbinsel von
Sorrent findet die Zeitreise auf den
nostalgischen Vespa-Rollern ihr würdiges Finale. Im Restaurant „Relais Blue“
wirkt seit Kurzem der deutsche Chef
Christoph Bob. Mit auffallender Ruhe
und Gelassenheit zelebriert Bob, der
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sich zuvor im Pariser Drei-SterneRestaurant „Alain Ducasse“ den letzten
Schliff holte, Kochkunst auf höchstem
Niveau. Credo: „Der Gast soll sich am
nächsten Morgen leicht und gut fühlen.“
In nur drei Jahren hat Bob es geschafft,
sich mit seinem Lokal unter die 30 besten Restaurants Italiens zu kochen.
Einzigartig ist auch die Lage an der
Punta Campanella – mit Panoramablick
auf Capri und den Golf von Neapel. Auf
der modernen, ganz in Weiß gehaltenen
Lounge-Terrasse des „Relais Blue“ heben
wir, als tatsächlich hinter Capri die rote
Sonne im Meer versinkt, die Gläser auf
Erhard Rudolf Hans Schuricke, den Schöpfer der „Capri-Fischer“, und auf Italiens
schönste Kurven.
Kulissenwechsel: Weiter
nach Süden, in den Cilento!
Mit „endlos langen, karibisch anmutenden Traumstränden“ versuchte ein
italienischer Freund über Jahre, mich in
den Cilento zu locken, den Süden Kampaniens. Dabei gab es, so glaubte ich bisher, für mich in dieser Region Italiens
nichts mehr zu entdecken, denn ich liebte diese Gegend bereits. Jedenfalls den
nördlichen Teil, den ich kannte; Campania war für mich ohnehin seit Jahren der
Inbegriff von „bella Italia“.
Meine Rundreise durch den Cilento
startete ich in Paestum, einer griechischen Ruinenstätte 100 Kilometer südlich von Neapel. Wirklich spektakulär
sind die drei dorischen Tempel, die nur
deshalb so gut erhalten sind, weil sie jahrhundertelang tief im Morast steckten.
Carmine, mein italienischer Freund,
hatte immer von einem „Geheimtipp“
gesprochen, der Cilento sei noch ein von
Touristen im Vergleich zu anderen Gegenden Italiens ziemlich unberührtes
Land und erwache gerade aus einer Art
Dornröschenschlaf. Caro Carmine, dachte ich beim Blick auf die Tempel. Paestum zählt dazu ja wohl kaum, schließlich waren diese antiken Bauten bereits
zu Zeiten der Grand Tour bewundert
worden. Bereits der gute Goethe hatte
sich 1787 auf seiner Italienreise von den
„kegel-förmigen, enggedrängten Säulenmassen“ beeindrucken lassen.
Auch dem Küstenstädtchen Agròpoli konnte ich noch nichts Besonderes abgewinnen. Sicher, die verwinkelten
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1 Als seien sie erst
vor 100 oder 200 Jahren
verlassen worden, wirken die gut erhaltenen
Tempel in Paestum
2 Blick über die Dächer
Castellabates auf
die Berge des Cilento
1
3
2
4
3 Blue Hour im CilentoStädtchen Agnone
4 Strand von Santa
Maria di Castellabate
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Gassen des historischen Kerns haben ihren Reiz, aber die Uferpromenade gleicht denen in allen anderen italienischen Badeorten: Auf drei Modeboutiquen kommt eine Eisdiele.
Ein paar Autominuten weiter südlich
gibt es dagegen wirklich etwas zu entdecken. Castellabate, das im frühen Mittelalter angelegte Dorf, dominiert eine
Hügelspitze in Küstennähe. Seine Häuser schmiegen sich an eine Burg, die einst
von einem Abt zum Schutz vor Piratenangriffen angelegt worden war. Daher
rührt auch der Name, Castello ist die
Burg, Abate der Abt.
Während es in Agròpoli keinen ruhigen Winkel gibt und die Gassen vom geschäftigen Alltagstreiben erfüllt sind,
scheint Castellabate die vergessene Ku-
Castellabate bietet alle
italienischen Dorfklischees
1
2
1 Der Dorfkern von
Pisciotta ist umgeben
von Olivenhainen
42
3
2 Schöne Brandung
am Strand von Velia
3 Frühstück auf der
prächtigen Terrasse
des „Hotel Mariluvo“
lisse eines mittelalterlichen Films zu sein.
Aber nicht nur, weil Autos und Mopeds
der engen steilen Gassen wegen unten
vor den Stadtmauern bleiben müssen.
Dicht an dicht stehen hier die gerade zwei Stockwerke hohen Flachdachhäuser am Hang, alle liebevoll renoviert
und in sanften Pastellfarben getüncht;
die gepflasterten Gassen und Treppen
sind blitzsauber. Von so manchem Balkon tropft nasse Wäsche, unter so manchem weiß gekalkten Torbogen trocknen aufgefädelte frische Feigen. Vor den
Fenstern, auf den Balkonen und in den
entzückend kleinen Innenhöfen, überall
grünt und blüht es in Terrakottavasen.
In den Treppengassen, die wohl alle
auf die Hügelspitze hinaufführen, ist es
trotz sommerlicher Hitze auch an diesem Morgen angenehm kühl. Bisher bin
ich noch niemandem begegnet. Viele der
Haustüren stehen einladend offen. Plötzlich kommt aus einer besonders hübschen alten Holzpforte vor mir ein Pudel herausspaziert. Das kurz darauf folgende Herrchen grüßt freundlich. Während ich nach einer steilen Treppe eine
Verschnaufpause einlege und er und sein
Pudel aufs Frauchen warten, kommen
wir ins Gespräch. Das Trio stammt aus
Neapel, ihre Ferien verbringen sie regelmäßig hier. Tagsüber baden sie an einem
der Strände unten bei Santa Maria di Castellabate und abends genießen sie hier
oben die Stille und vor allem die kühle
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Brise, die keine noch so drückende Augusthitze vertreiben könne.
Ausgerechnet ein paar Deutsche sollen es gewesen sein, die Castellabate vor
wenigen Jahren wiederentdeckt haben.
Seit sie sich einige der alten Palazzini gekauft und aufwendig renoviert haben,
um sie dann als Ferienapartments zu vermieten, sind die Immobilienpreise über
Nacht explodiert.
„Die Deutschen waren die Ersten“,
erinnert sich auch Antonietta. Die junge Frau steht hinterm Tresen in der Bar
oben auf der Piazzetta, dem Dorfplatz.
Ich hätte hier gar keine Bar vermutet,
schließlich sind mir noch keine drei Einwohner begegnet. Aber das ist Italien:
Sobald irgendwo mehr als fünf Häuser
stehen, gibt es auch eine Bar. Irgendwo
muss der obligatorische Morgen-Espresso ja gepresst werden.
Die Route durch den Cilento führt
mich an der Küste entlang. Carmine hat
mich doch neugierig gemacht auf diese
tropisch anmutenden Strände. Je stärker die Sonne an diesem Sommertag
brennt, desto mehr bekomme ich beim
Im Cilento lässt sich Italien
in die Karten sehen!
andauernden Blick
vom Auto aus auf die
fast weißen Sandbänke
und die türkisblau funkelnden
Wellen Lust auf ein kühlendes Bad
im Meer. Auf dem Weg in die Küstenstadt Pisciotta reiht sich eine Bucht an
die andere. Mal fällt der Blick von oben
aufs klare Wasser, mal wird der Strand
von einer mediterranen Pineta gesäumt.
Carmine hatte recht: alles traumhafte
Strände. Einer idyllischer als der andere.
In Pisciotta erwartet mich der Herrscher über mehr als 100.000 Olivenbäume. Carlo Sacchi, groß, stattlicher Bauchumfang und respektierlicher Händedruck, ist der Besitzer der zum Teil bis
zu 2.000 Jahre alten Baumriesen, die an
den Hängen um Pisciotta und bis zur
Küste hinunter auf über 400 Hektar Land
wurzeln. Er ist
ein geborener
Marquis und als
Großgrundbesitzer in das Geschäft mit dem Olivenöl hineingewachsen. Mit in die Wiege
gelegt wurde ihm vor einem halben Jahrhundert auch
der Sinn für Geschäftliches: „Wir
müssen mit unseren einzigartigen
Pfunden hier wuchern“, verkündet er
und meint damit das milde Klima und
die fruchtbare Erde seines geliebten Cilento. Diese ortstypischen Gegebenheiten machten das Olivenöl aus dieser Gegend zu einem kostbaren Exportgut.
Bernsteinfarben und einzigartig süß im
Geschmack, kostet ein einziger Liter davon im Ausland bis zu 50 Euro.
Einst studierte Carlo Sacchi Medizin
in Rom, dann wurde er Chirurg. Diesen
Beruf hat er vor Jahren bereits eingetauscht. Heute befasst er sich als Großbauer mit dem Anbau von Oliven, als
Geschäftsmann mit der cleveren
italiens süden
Vermarktung seines exklusiven Produkts und betreibt dazu noch ein Agriturismo. Dazu hat er das seit dem 17.
Jahrhundert familieneigene Herrenhaus
mit der alten Olivenpresse aus Holz, das
wenige Kilometer vor Pisciotta an einer
Landstraße liegt, zu einem schmucken
Ferienhaus umbauen lassen.
Zwischen Pisciotta und Palinuro liegt
eine knappe Autostunde – und Welten.
Pisciotta ist ein kleines mittelalterliches
Örtchen auf einem Felsvorsprung überm
Meer, umgeben von grüner Landschaft
voller Olivenbäume. Palinuro dagegen
ist eine entzückende Hafenbucht mit
Sandstrand, die dem positiven Klischee
eines mediterranen Fischerörtchens voll
und ganz entspricht.
Auf dem Rückweg von der Grottentour um das Kap von Palinuro kann ich
dem glasklaren türkisblauen Meer um
mich herum nicht länger widerstehen.
Bevor Alessandro, mein braun gebrannter Bootsführer, das kleine Holzboot
1
2
Die „Taverna del Porto“
serviert auf Tischen im Sand
wieder auf den Sandstrand zusteuert,
springe ich ins Meer. Herrlich. In diese
Wellen war, dem antiken Autor Vergil
zufolge, einst auch Palinuro, der Steuermann, gefallen, der dem Kap seinen Namen gegeben hat.
Direkt am Strand finde ich die „Taverna del Porto“ von Sergio. Barfuß sitze ich an einem der Tische und spüre
den weichen weißen Sand unter meinen
Füßen. Eigentlich ganz angenehm, ein
Gefühl von Freiheit und Sommerfrische
steigt in mir hoch.
„Bohnen mit Muschlen“ hat der Wirt
mir eben empfohlen, danach fangfrische
„Grabben“ oder einen leckeren „Tunefisch, einen Lambuca“. Irgendwie hat er,
wie er so vor mir steht, etwas von einem
Piraten. Sergio trägt einen goldenen Ohrring, seine dünnen schwarzen Haare stehen trotz Gel widerspenstig nach oben.
„Fast alle Reisenden kommen hierher, um unsere schönen Grotten zu sehen“, verrät er. Und danach landen sie
in seiner Taverne am Strand. Und wissen
meist vor dem Bestellen gar nicht, dass
Sergios feine Fischküche mittlerweile ein
absoluter Insidertipp im ganzen Cilento
ist. Es sind sicher nicht nur die Urlaubsstimmung hier und die aromatische
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4
5
3
1 Blick von Marina di
Pisciotta auf den
Hauptort am Berg
2 Morgen in Pisciotta
3 „Agriturismo San
Carlo“ in Caprioli
serviert selbst gemachtes Olivenöl und
Büffel-Mozzarella
4 Cilentos Strände sind
außerhalb der
Sommerferien fast leer
5 Küste bei Palinuro
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Meeresbrise in der Luft, die seinen Gerichten diesen einzigartigen Geschmack
geben. Dazu ist jeder Teller auch noch
schlicht und passend dekoriert, jedes
Gericht, ob Fisch, Nudeln oder Gemüse, geschmacklich bis auf die geringste
Zutat durchdacht.
Sein Lambuca, eine ortstypische Thunfischart, kommt bei ihm nicht etwa einfach gegrillt auf den Tisch. Er zaubert eigens für diesen Fisch eine feine Minzsoße mit einem Schuss Balsamico. „Dazu noch“, seine leise Stimme klingt jetzt,
als würde er ein Staatsgeheimnis an den
Feind verraten, „einen Spritzer Zitronensaft und ein paar Tropfen köstlich cremiges Olivenöl.“
Von Sergios Kochkünsten wunderbar
satt will ich zum Stift greifen, um mei-
Der Cilento hat sogar eine
Blaue Grotte zu bieten!
1
2
3
nem Freund Carmine für seinen Cilento-Tipp mit einer Postkarte zu danken.
Und ihm von meiner jüngsten und vielleicht aufregendsten Entdeckung zu berichten: Ich kenne jetzt den schönsten
aller Strände im Cilento überhaupt. Er
heißt La Spiaggia del Buondormire, der
„Strand des süßen Schlafs“, und liegt in
einer winzig kleinen Bucht neben Palinuro. Er ist, weil von einer 100 Meter hohen schroffen Felsklippe abgeschirmt,
eigentlich nur von See aus per Boot zu
erreichen. Alessandro, der Bootsführer
von heute Morgen, hatte ihn mir verraten. Doch auf die Postkarte an Carmine
schreibe ich nur ein „Tanti saluti dal Cilento!“ Manchmal sollte man ein süßes
kleines Geheimnis auch für sich behalten können. Schließlich soll der Cilento
mit all seinen Schönheiten noch ein Geheimtipp bleiben – un pocchettino, ein
ganz kleines Weilchen.
Fotograf Frank Heuer war
bei der Produktion im Cilento und an der Amalfiküste als
Multi-Tasker gefragt. Rollerfahren, Fotografieren, Recherchieren und Notieren, Essen, Wein verkosten,
Schwimmen. Das Leben kann schon hart sein!
1 Bootstouren führen
zur und in die Blaue
Grotte von Palinuro
46
2 Fritto misto di pesce
in Sergios „Taverna
del Porto“ in Palinuro
3 Zum Fisch von Sergio
gibt’s selbst gemachte
Minzsoße & Balsamico
g u i d e italiens süden
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