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ICON
FEBRUAR 2015
Februar 2015
HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940
HUGOBOSS.COM
DPA/STEPHEN CHERNIN
Von wegen Modepuppen!
D
MARIO TESTINO
er Designer Thom Browne provoziert gern mit subtilem Humor. Und er hat ein Händchen (oder Stylisten) dafür, seine
Schauen mit kleinen Szenen zu ergänzen, die sich für kunstvolle Fotos eignen. Natürlich geht es ihm darum, die anwesenden Gäste zu unterhalten, er weiß aber auch um die (Werbe-) Kraft von Bildern, die über den rein modischen Aspekt
hinausgehen und schon deswegen gute Chancen auf Verbreitung haben. Die beiden Schaufensterpuppen, die bei der
Präsentation der nun aktuellen Frühjahrskollektion in der ersten Reihe saßen, sind, klar, echte Models. Ohne die Inszenierung dramatisch zu überhöhen, könnte man im Subtext die Aufforderung lesen, stets genau hinzuschauen. Nicht jede Puppe
ist ein Püppchen! Und dass Mode auch im gesellschaftlichen Kontext steht, ist hinlänglich bekannt. Wir haben diese erste Ausgabe
im neuen ICON-Jahr deswegen einer Tugend gewidmet, die heute oft genug skeptisch betrachtet wird: Persönlichkeit. Die nicht mit
Egoismus zu verwechseln ist. Persönlichkeit hat mit Erfahrung, Freiheit, Wahrhaftigkeit, Courage, Empfindsamkeit zu tun. Und in
dieser Saison wieder mit dem wunderbaren 70er-Jahre-Cordsamt. Nehmen Sie also bitte ganz entspannt Platz in unserer Front Row.
JULIA FREITAG
Seit fast 20 Jahren arbeitet die gebürtige Berlinerin in der Fashionbranche: als Stylistin in Paris und München, als Modechefin bei den Zeitschriften „Glamour“ und der deutschen „Vanity Fair“. Für Letztere zog die ausgebildete Modedesignerin vor bald neun Jahren zurück in die Hauptstadt, wo sie bis heute lebt und von wo aus sie auch das eigene Online-Magazin „styleproofed.com“ betreibt. Und wenn die 41-Jährige mal gerade nicht auf den internationalen Modeschauen unterwegs ist, Models und Prominente einkleidet, Marken
berät oder Trendvorträge hält? Dann liebt sie es, von der Mode eine Pause einzulegen, indem sie Zeit rund um ihr Häuschen „im Grünen“ verbringt
– beim Gärtnern oder mit ihrem Hundewelpen „Rettich“. Erdverbundenheit zeigte sie auch bei der Wahl des Ortes für ein Shooting dieser Ausgabe: In der texanischen Prärie inszenierte sie für uns Leder, Luxus und – vor allem – Lebenslust. Lassen Sie sich unbedingt anstecken. Ab Seite 66
AUF DEM COVER: Bikerjacke und Hose aus Samt von Louis Vuitton. Ohrringe, Clutch, Stiefelletten ebenfalls. Westernhut von The Kooples. Ring von Camille Enrico
TITEL: CLAUDIA GRASSL; DIESE SEITE: MARTIN U.K. LENGEMANN; CHARLIE DE KEERSMAECKER; SANDRA SEMBURG
CHARLIE DE KEERSMAECKER Eigentlich ist er für seine Schwarz-Weiß-Porträtfotos bekannt. Für unsere Antwerpen-Reportage fing
er die Facetten der hiesigen Nachwuchsdesigner in Porträts und Detailaufnahmen ein. Gerade heraus, ohne digital auf die Spitze getriebene Perfektion. Er ist ein Kind der Neunziger. De Keersmaecker studierte Fotografie am Sint-Lucas Campus
in Brüssel und am Cleveland College of Art & Design in England. Unser Shooting, für ihn ein Heimspiel. Denn Charlie De Keersmaecker pendelt
für seine Arbeit zwischen Antwerpen und Paris. Nach Hause, in die kleine Hafenstadt an der Schelde, kommt er gern: „Antwerpen bietet eine Menge Vorzüge, die an das Leben in der Großstadt erinnern; aber ohne die Härte und Herausforderungen, die mit Metropolen wie London, New York
oder Paris einhergehen... das gute Leben eben.“ Ab Seite 80
Ihre erste Reise nach Antwerpen zum Interview mit der Designerin Véronique Branquinho vor zwölf Jahren wird Heike
Blümner stets in schlechter Erinnerung behalten: Das Aufnahmegerät ging während des Gesprächs kaputt, was sie allerdings erst im Zug auf dem Weg nach Hause bemerkte. Vielleicht ist es Traumabewältigung, vermutlich aber Liebe – seitdem ist die Autorin und
Mutter von drei Kindern immer wieder in diese Stadt zurückgekehrt: „In den meisten Modestädten muss man sich erst durch das Einerlei der globalisierten Marken kämpfen bevor man etwas Besonderes findet. In Antwerpen ist auf engstem Raum viel Platz für das Individuelle.“ Für ICON lief
Heike Blümner drei Tage lang bei Weltuntergangswetter kreuz und quer durch Stadtviertel, Ateliers, Shops und Galerien. Sie porträtiert junge,
selbstbewusste Designer, die Antwerpen bewusst als Standort wählen. Und auch die Technik ließ sie diesmal zum Glück nicht im Stich. Ab Seite 80
HEIKE BLÜMNER
IMPRESSUM ICON
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Heike Blümner, Caroline Börger, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Silvia Ihring, Sarah Lehnert, Mira Wiesinger. Mitarbeit: Jennifer Hinz,
Ligia Tudorica. Praktikantinnen: Linda Leitner, Nina Schmidt, Sarah Lafer.
Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. In Paris: Silke Bender. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath , Andreas Toelke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver
Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Katja Schroedter, Maria Christina Agerkop Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb, Emina Hodzic Bildbearbeitung: Liane Kühne-Kootz, Thomas Gröschke, Tom Uecker
Verlagsgeschäftsführung: Jan Bayer (Vorsitzender), Dr. Stephanie Caspar General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stephan Madel; Anzeigen ICON: Roseline Nizet ([email protected])
Objektleitung: Carola Curio ([email protected]) Verlag: WeltN24 GmbH Litho: Imagepool Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 22. März 2015. Sie erreichen uns unter [email protected]
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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ICON
Alpaka-Hirte: Ledermantel:
Prada. Pulli: Joseph. Jeans:
Citizens of Humanity
FEBRUAR 2015
Weiche Wolle, wohin das Auge sieht.
Wildlederbluse und Stola: Marlene
Birger. Sandalen: & Other Stories.
Kette: Wempe. Hut: Hermès
AUSGEWÄHLT
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AUFWAC HEN!
Das Leben beginnt wieder vor der Tür –
unsere Lifestyle-Weisen sagen, wie das am
meisten Spaß macht
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CANDICO NA
Unsere ICON-Stilikone genießt mit ihrer
kleinen Candicönchen das süße Leben in
Pastellfarben
MODE
DIE KRAFT DER STRAS SE
Die neuen Powerfrauen sitzen nicht im
Anzug im Büro – sie gehen raus und bewegen was. Wir haben die Looks dazu
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HE RMÈ S’ STI LLE MACHT
Bali Barret ist die Kreativdirektorin der
Frauenmode beim Pariser Haus. Kaum
jemand kennt sie - aber wir jetzt schon
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GE SCHICKT GES TRICKT
Das deutsche Label Allude konzentriert
sich vor allem auf Kaschmir - und wird
damit in Paris sehr ernst genommen
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KE E P C ALM AN D SHOP ON
Genauso entspannt wie die Entwürfe von
Frauke Gembalis ist das Erlebnis, ihre Kollektion anzuprobieren
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JA Z U NADJA
In den Neunzigern stieg sie zur globalen
Ikone auf: Nadja Auermann. Nun ist sie
zurück im Model-Business. Ein Gespräch
mit einer sehr starken Frau
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NIX LOS...
...ist das nicht herrlich? Unser Shooting führt
uns in die Uckermark, wo selbst Berliner
Oberhektiker sanft zur Ruhe kommen
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HAUPTSACHE HAUP TS TADT
Der Store im Soho House ist das Maß der
neuen Dinge in der Berliner ShoppingLandschaft - mit Trager Delaney und Rosetta Getty stellen wir zwei der ungewöhnlichen Marken dort vor
SCHMIDT UND GORGES
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Bei unserem
Uckermark-Shooting
wird es kuschlig.
Japok: Hemd von
Salvatore Ferragamo.
Uhr von Hermes.
Lisa: Seidentop von
Dries Van Noten
Auf einen Morgenspaziergang:
Trenchcoat: Burberry. T-Shirt: American
Apparel. Seidenhose: Dries Van Noten.
Kette: Bottega Veneta. Sandalen: Prada
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ICON
FEBRUAR 2015
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GE H DOC H I N DIE P RÄRI E
...aber mit Vergnügen! Unser großes Shooting in Texas führt uns in die Weite - satteln
Sie doch einfach mit uns auf. Die Looks
stehen auch Großstadtcowgirls
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NUR NIC HT VERF RANSEN
Jacken, Blusen und Schuhe - in diesem
Frühjahr geht man besser nicht ohne diesen
Designklassiker aus dem Haus
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RE IC HT UM AM ARM
Paula Cadematori entwirft Taschen, die sich
in so ziemlich allem von der Konkurrenz
abheben - wir griffen natürlich zu
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BOMBASTI SCHE BELGIER
Antwerpen brachte schon Designlegenden
wie Dries Van Noten und Raf Simons hervor – nun wächst eine neue Generation
heran. Plus: schönste belgische Accessoires
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ST ILLE R STILIST
Es gibt sie wirklich, die leisen Italiener: Wir
trafen Caruso-Chef Umberto Angeloni
zum lehrreichsten Lunch des Jahres
CLAUDIA GRASSL
MODE
Ein Shooting in der texanischen Wüste: Model Polina in OversizedBluse und Haremshose von Wunderkind, Fransenkragen und Gürtel
von Dolly Python Dallas. Gladiatorensandalen von Pucci
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GESCHICHTEN
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DESIGN
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BI-MOBILIA R
Ein Kratzbaum in Mops-Form? Eine Bank
wie ein Baum? Wir lieben Möbel mit multiplen Persönlichkeiten
KOSMETIK
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ECHT BUNTIF UL
Unsere Kosmetikexperten bringen schon
mal etwas Farbe ins Leben, bevor die Natur
dann hoffentlich bald nachzieht
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BRUMME NDES GESCHÄF T
Lang lebe reine Haut – wie Clarisonic
sich mit seinen Geräten ums Aussehen
verdient macht
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NICHT NU R SAUBER...
...sondern rein, soll’s schon sein. Wir fanden
Kosmetikprodukte für den Haut-Frühjahrsputz, den Ihre Haut jetzt dringend braucht
WEISSES GO LD
Bei Jo Malone London spielt Weihrauch
eine wichtige Rolle. Deswegen entführten
sie Caroline Börger für einen Tag in die
Welt des Oman, mitten in der City
KnallroteTasche
von Charlotte
Olympia. Mehr
Fransiges auf
Seite 76
WELCO ME TO BRITAIN
Seit 160 Jahren unübertroffen, wenn man
sich in England umsorgt fühlen will: Ein
Blick hinter die Kulissen des Claridge’s
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GLO BA L DIA RY
Unsere Postkarten erreichen uns dieses Mal
aus Zürs, Budapest und Tokio und führen
uns in ein Spa und zwei spektakuläre Hotels
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DER BAUPLAN
Zwei links, zwei rechts und dann immer
geradeaus. Wir zeigen, wie Handgestrick
von Iris von Arnim entsteht
Und natürlich digital:
Auf dem iPad in der WELT
sowie online auf welt.de/icon
Entwerfen können sie, die Belgier: Sneaker
wie von Rombaut oder den Sessel „Moor“
von Sylvain Willenz. Mehr über Möbel gibt
es in unserem Online-Portal iconist.de
ICON
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STILISTEN
WAS KOMMT, WAS BLEIBT? UNSERE LIFESTYLEWEISEN GEBEN MODISCHEN RAT
In Your
Pretty Face
MARIO TESTINO
Model Tasha Tilberg sieht auf den
ersten Blick aus wie ein Geschenk.
Oder? Piercings, Tattoos, rote
Lippen, trotziger Blick in die Kamera. Die Schleife wirkt verspielt,
scheint ihr aber die Luft zum Atmen abzuschneiden. Provokante
Widersprüche, Eleganz und Respektlosigkeit stehen im Mittelpunkt von Mario Testinos aktueller Ausstellung „In Your Face“.
„Jeder von uns hat viele verschiedene Seiten, nicht immer dürfen
wir sie alle zeigen, schon gar nicht
gleichzeitig ausleben,“ so der
Weltstar-Fotograf . Die spannende Ausstellung läuft bis 26. Juli im
Berliner Kulturforum.
ES LIEGT WAS IN DER LUFT
„Ich seh dir in die Augen,
Kleines“ – die Micro Baguette
von Fendi möchte gern
geliebt werden.
Übrigens: Bis 13. März sammelt
das Label online mit seinem
„Fendi 3 Baguette Project“ und
prominenter Unterstützung für
seriöse Hilfsprojekte.
Aufbruch – diese Stimmung lag erstmals während der Berliner Fashion Week in der Luft. Nach öden
Saisons, die Qualität vermissen ließen und deren Höhepunkte aus Boulevard-Getöse bestanden, war nun
zusammengekommen, was zusammengehört: Deutschlands einflussreichste Modejournalisten, die relevantesten Designer, die mächtigsten Einkäufer. Sie versammelten sich im Kronprinzenpalais, um ein
Zeichen zu senden: Hier sind wir, wir sind gut, und Ihr werdet noch von uns hören. Adressat ist die
internationale Modeszene, die Deutschland zwar als hochpotenten Abnehmer prestigereicher Luxusprodukte schätzt, nicht aber als Herkunftsland begehrenswerter Mode. Dies soll sich ändern, beschlossen allen voran Vogue-Chefin Christiane Arp und ein Inner Circle wohlmeinender Experten, die
in nie dagewesenem übergeordneten Interesse die Sache in die Hand nahmen und das „German Fashion
Johnny Talbot Council“ gegründet haben. Nun gilt es die Idee weiterzutragen! Dorothee Schumacher, Andrea Karg, Jörg
& Adrian
Ehrlich, Otto Drögsler und Iris von Arnim, lasst uns unsere jüngeren Kollegen coachen und ihnen zeigen, wie
Runhof
wir uns auf dem internationalen Parkett durchgebissen haben. Christiane Arp, Kerstin Schneider, Petra Winter,
Designer-Duo
Sabine Nedelchev, zeigt in Euren Modestrecken, wie Mode aus Deutschland aussieht, inszeniert sie, zelebriert sie, sodass
des Münchner
wir auch international Eindruck machen können! Tillmann Prüfer, Alfons Kaiser, Tanja Rest, Inga Griese schreibt, was nicht gut ist und nicht
Modelabels
mithalten kann, aber auch, womit wir uns sehen lassen können! Joseph Voelk, André Maeder, Florian Braun, Marion Heinrich, Markus
Talbot Runhof
Höhn, Mario Eimuth, gebt deutschen Designern Foren in Euren Läden, lasst sie neben den internationalen Marken glänzen, stellt sie in Konkurrenz zu den Großen, damit sie weiterkommen, zu dem werden, wovon wir leben: Must-haves! Was könnte ein schöneres Motto für diese neue
Gemeinsamkeit sein, als ein deutsches Wort, für das es in anderen Sprachen keine Übersetzung gibt: Aufbruch.
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FLANIEREN MIT HERMÈS
Informationen unter:
Tel. 089/55 21 53-0
Hermes.com
BLIESWOODS
BLUES
Ich sitze im „China Club“ über Berlin. 18 Uhr. Ich
bestelle Zapf-Bier „Warsteiner“. Mein Freund, mit
Beats-Kopfhörern am iPhone ordert: „Jasmin Tee!“
Wir sind beide 59 plus. Aber Freund Micky sieht aus
wie 49, hat Muskeln wie 39 und lacht wie 29 – und
wird wohl 99! Er macht Cardio-Training (wie „007“Daniel Craig) – für die Herz-Ausdauer: „Das ist
lebensverlängernd!“
Mein Projekt 2015: nicht sterben! Trotz Sechzig. Was
tun? Zu Silvester treffe ich einen Milliardär (70) – er
lächelt: „Ach! Sie haben zehn tolle Jahre vor sich!“
Mit Legende Udo Lindenberg (68) rauche ich eine
„Trinidad“-Kuba-Castro-Zigarre – er trinkt schwarzen
Kaffee: „Ich mache jeden Monat zehn Tage Abenteuer-Wellness-Ferien – zum Beispiel Istanbul. Balance für die Seele. 60 ist sexy!“
Liam Neeson (62, „Taken 3“) schwört auf FliegenFischen und Power-Walking im Central Park (zwei
Stunden) und Tee statt Rotwein. Musik-Mogul Peter
hat Golf entdeckt, den Sport-Elektro-Anzug (2 x 20
Minuten pro Woche) und alle drei Monate Blut-Tests:
„Wir haben vielleicht noch 30 Jahre vor uns!“
Mein Lieblings-Psychiater schwört auf Mittagsschlaf
– wie Churchill (starb mit 91).
Ich bin gerade in meiner Geburtsstadt Regensburg –
das New York des Mittelalters. Hier gibt’s heute noch
mehr Buchhandlungen als in Manhattan! Vom Hotel
Bischofshof führt durch den Biergarten ein Geheimgang in den Dom. Hier zünde ich Kerzen an für
meinen Bruder, dem es nicht so gut geht. Der liebe
Gott wird’s schon richten. Darauf einen Schweinebraten mit zwei Knödeln!
Mode als
Balanceakt
MA
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Modekritik meint mehr als nur
die Differenzierung von schön
bis hässlich. Die Ausstellung
„Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“ zeigt das mögliche Ungleichgewicht von Konsum, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Auch Lösungsansätze präsentiert das
Hamburger Museum für Kunst
und Gewerbe ab dem 19. März.
KANNSTE NICHT MECKERN
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David Blieswood
Connaisseur aus Hamburg
IO AR
MANI
UND SONST NOCH
GIORG
Ich freue mich immer, meinen Koffer für Berlin zu packen. So schnappte ich mir
eine ganze Mappe voller Einladungen. Von Designern, von denen ich noch nie in
meinem Leben gehört hatte. Das gerade fertig gestellte Hotel am Zoo begrüßte
uns in Lila: der letzte Versuch, dachte ich etwas argwöhnisch. Nach einer Führung durch das Zimmer und den Hinweis auf die Steckdose im Tresor – etwa für
ein diamantenbesetztes Vertu Handy – fiel mir die Knef ein und ich summte leise
„Von nun an ging’s bergab (...)“. Doch hey! Es wurde wider Erwarten eine muntere Zeit an der Spree, Totgesagte leben länger. Die Premium-Messe spendierte
frische Energie, gut gelaunte Pressevertreter und aufgeschlossene Kunden. Die
Eröffnung einer Ausstellung von Starfotograf Mario Testino und seine Leidenschaft für Modefotografie wirkte bemerkenswert belebend auf den Spirit der Fashion Week. It-Instagram-Girl Chiara Ferragni schneite in die Stadt und das ist
schon so etwas wie eine Sensation, kostet doch ein einzelner Hinweis von ihr auf
eine Marke so viel wie ein Familienurlaub. Umso glücklicher war ich, dass ich sie
in der Hotellobby in unserem Poncho traf, den sie kurz vorher einfach so gepostet hat. Manchmal hat man eben auch mal Glück! Ich mochte Augustin Teboul mit ihren sexy Bondage-Kreationen, ebenso René Storck,
der wie die Jungs von Achtland ein tiefes Gespür dafür hat, was
Frauen tragbar finden und sie trotzdem couragiert erscheinen lässt.
Und wieder habe ich zahlreiche deutsche Talente bewundern dürfen,
Bobby Kolade etwa mit seiner Show im Berghain war Berlin in Reinkultur, seine Hybrid Patchwork-Kreationen waren ein Highlight. Die
Stadt sollte sich einfach auf seine Talente konzentrieren, um vor den
Sue Giers
internationalen Schauen eine Premieren-Bühne für UnkommerzielPR-Chefin
les, Unverbrauchtes zu bieten. Das Avantgarde-Feeling ist von jeher
von Closed
eine Stärke Berlins und wird von Künstlern aller Genres und modernen Nomaden geliebt und gerühmt. Eine Rückbesinnung auf dieses Potential
könnte helfen. Wer Berlin abschreibt, hat hier noch nie die Nacht durchgemacht.
Und wer Berlin unterschätzt, ist zu satt.
MODE MIT KINO: Für ihre Rolle in dem Kinofilm „A Most Violent Year“ wurde Schauspielerin Jessica Chastain exklusiv von
Giorgio Armani (Illustration) ausgestattet. Filmstart ist am 19. März. ———
MODESCHUSTER: Erik Frenken launcht ab
März eine eigene Schuhlinie für seine
Marke Avelon. ——— MODE FÜR KÖNIGE: Im britischen Onlineshop mrporter.com gibt es
nun das Männerlabel „Kingsman“. Das hat
nichts mit Prinz Charles zu tun sondern
mit dem gleichnamigen Spionagefilm vo
Claudia Schiffers Ehemann, Regisseur Matthew Vaughn.
Ab 26. Februar mit Colin Firth im Kino ——— MODEPÜPPCHEN: Für die Herbst-/Winterkollektion schuf Escada
Fashion Director Daniel Wingate ein besonderes Abendkleid – und zwar für eine Porzellanfigur. Hergestellt
wurde sie von der Porzellan Manufaktur Nymphenburg
ETRO
Bitte, zu Tisch
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Das italienische Label Etro serviert in seiner aktuellen Herrenkollektion wahre Schmankerl. Anlässlich
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Mailands Weltausstellung zum Thema Essen ließ sich Designer Kean Etro von kulinarischen Kösttr iert
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lichkeiten inspirieren. So tummeln sich Meeresfrüchte und Gemüse als Fotoprints auf Hemd,
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Hose & Co. Milch und Bambus landeten nicht etwa im Mund, sondern wurden zu bunten
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e is ner i ck in
Stoffen verwebt. Ein Augenschmaus!
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FREIHEIT, FRÜHLING,
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ROTE SCHUHE
Dr. Maria
Schneider
GETTY IMAGES; LOOK VON MARC CAIN
Kreativdirektorin
der Autostadt
in Wolfsburg
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MOSCHINO ÜBER STYLEBOP.COM
CHIARA FERRAGNI ÜBER APROPOS
CONVERSE
10X10 ANINTALIANTHEORY
Noch ist der Winter nicht vorbei. Doch die ersten Vorboten des nahenden Frühlings sind mehr als willkommen: Tulpen, der Duft von Hyazinthen und die Mode der kommenden Saison sprechen von Leichtigkeit,
von viel Farbe und Freiheit. Meteorologisch sind wir derzeit im Vorfrühling und haben es im Garten noch eher mit Schneeglöckchen als mit
Narzissen zu tun. Und doch ist das Erwachen schon spürbar. Die Tage
werden länger, wir brauchen weniger Schlaf und haben wieder Lust an
Bewegung im Freien. Viele entscheiden sich, körperliches Gewicht
abzuwerfen, sich vorzubereiten auf die warme Jahreszeit. Die Natur hat
andere Gerüche, die wir schon früh in tiefen Hirnregionen abgespeichert
haben, als ein Versprechen „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“ (Hermann Hesse).
An den Stränden der Nordsee werden die dunklen Geister des Winters
mit hellen Feuern vertrieben und so dem freien Sinn Platz gemacht. In
diesem Jahr gibt es besonders viel Dunkles zu verbrennen: Die Freiheit
ist erschreckend in Frage gestellt worden. Das Privileg, in einem Land zu
leben, das uns die Freiheit im Grundgesetz garantiert, das uns Meinungs-, Pressefreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre in die
Verfassung geschrieben hat, ist in die Diskussion gekommen. Bin ich in
meiner Freiheit schon eingeengt, wenn ich darauf verzichte, mit meinen
Äußerungen andere in ihren Gefühlen zu verletzen? Darf ich meine
Meinung nur äußern, wenn sie kein Sicherheitsrisiko darstellt? Das
Nachdenken darüber hat gerade erst begonnen. Vielleicht hilft
dabei die Kraft des Frühlings mit Offenheit, Farbigkeit, mehr
Helligkeit, Freundlichkeit und Wärme. Und natürlich mit Lebensfreude. Dabei könnte dann die neue Mode helfen. So viel Farbe
wie in diesem Frühjahr war selten. Rot gibt es immer, aber in
diesem Frühling kommt keiner daran vorbei. Rot ist die Farbe
des Blutes und ist so mit dem Leben verknüpft. Sie steht für
Freude, Leidenschaft, Energie, Wärme, für die Liebe und für
Schönheit. Im Russischen bedeutet rot immer auch schön. So
ist der rote Platz in Moskau auch der schöne Platz. Gegen die
Farbe spricht nichts, außer wenn einer ‚rot sieht’, etwas ein
‚rotes Tuch’ ist oder man schamhaft errötet. Wem aber
gleich ein Kleid oder ein Pullover zu auffällig ist, der kann
in diesem Sommer mit roten Schuhen auf Verführungswegen
wandeln. Aber Vorsicht! Im Märchen ‚Die roten Schuhe’ von Hans
Christian Andersen hörten sie nicht mehr auf zu tanzen und auch
der Film ‚The red shoes’ hat kein Happy End! Dezent eingesetzt
hingegen entfalten sie ihre Magie und wer mag, hört dazu Tom
Waits „Red Shoes by the Drugstore“ und los geht’s....
UND SONST NOCH
FUTTERNEID: Gemeinsam mit der Andy Warhol Foundation
bringt Converse eine Kollektion mit Designs des berühmten
Pop Art-Vertreters heraus. Darunter die Campbell-Suppendosen-Schuhe. ——— APROPOS ESSEN: Soft Drink to go: Die Tasche ist von Moschino über stylebop.com. Burger, Hot Dogs
und Cola findet man auf den Sneakern von Bloggerin und Designerin Chiara Ferragni. Ihre Kollektion gibt’s bei Apropos. Wem nach Nudeln auf Taschen ist, wird bei „10x10 Anintaliantheory“ fündig. ——— FRÜHJAHRSPUTZ: Die Deutsche
Kleiderstiftung macht es uns leichter, alte Kleidungsstücke zu spenden und damit gemeinnützige Hilfsprojekte zu unterstützen: Einfach Kleidung in Kartons packen, bei kleiderstiftung.de Etiketten ausdrucken und die Pakete kostenlos verschicken. ——— DIE LIEBEN KOLLEGEN: Autor Andreas
Tölke fasste die letzten sieben Jahre des Zeiss Kalenders
in seinem Buch „Zeiss Art Calendar Vol I“ zusammen (teNeues
Verlag). ——— ERÖFFNUNG: In Berlin Mitte hat Tommy Hilfiger
in einem historischen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert
(Münzstraße 21-23) eröffnet. ——— GUTES TUN: Für seine Onefor-One-Philosophie ist Toms bekannt: Für jedes verkaufte
Paar Schuhe spendet die US-Firma ein Paar an ein bedürftiges Kind. Nun gibt’s eine Taschenkollektion,deren Erlös
Hilfsorganisationen zu Gute kommt, die sichere Geburten in
Bangladesch, Äthiopien, Haiti und Indien ermöglichen.
Being van Noten
Jede Kollektion folgt einem kreativen Leitmotiv. Wie
genau sich dieses verstofflicht, darüber wollen oder
können viele Designer nicht sprechen. Die Ausstellung
„Dries van Noten Inspirations“, die bis 19. Juli im Modemuseum in Antwerpen läuft, zeigt diesen Prozess
auf höchstem Niveau. Bilder von Francis Bacon, Branzino und Damien Hirst hängen gleichberechtigt neben
Postern aus der Punk-Ära, Bildern von David Bowie,
Filmstills aus Bollywood und historischer Couture. Die
dazu passenden Kollektionsteile van Notens glänzen
dazwischen als höchst individuelle Meisterstücke.
Keine Verschnaufpause! Kaum ist die frenetische Weihnachtszeit in
den Geschäften abgerechnet, dreht sich das Modekarussell erneut.
Pitti Uomo Florenz, Männer H/W-Saison 2015, London, Mailand, Paris, Pre-Kollektionen, Ordertermine, Haute Couture, Berlin... der Januar ist einer der intensivsten Monate in der Szene. Schauen, Cocktails, Showrooms, Markenlancierungen. Die internationale Melange
aus Kreativen, Einkäufern, Journalisten, CEO’s, Bloggern und Stars
feiert und misst sich gegenseitig. Pailletten, Budgets, Instagram – jeder wechselt von einem zum anderen sekundenschnell. Nirgendwo
lässt sich mehr wahrnehmen, wie sich das Tempo beschleunigt als in
der verrückten Modewelt. Alle sind auf der hektischen Suche nach
dem einmaligen neuen Produkt, dem magischen Moment.... Céline,
Saint Laurent, Dior, Chanel, Hermès. Die strahlenden, begehrten
Sterne am Modefirmament. Wir können ihnen
nicht entkommen! Man muss sie tragen. Man
muss sie haben. Alles Pariser Marken. Die vier
wichtigsten Luxuskonglomerate haben ihren Sitz
dort, 90 Prozent der wichtigsten Schauen laufen
dort. Selbst Valentino und Miu Miu, die im Moment intensivsten italienischen Marken, präsenEmmanuel de
tieren an der Seine ihre Kollektionen.
Bayser
Doch leider verfällt Paris nach dem Abzug der
Mitbesitzer von
Modekarawane wieder in einen leicht provinzielThe Corner Berlin
len Zustand. Die Energie lebt hier nicht mehr.
Trotzdem ist es nach wie vor schwer für neue
amerikanische Designer in Europa Fuß zu fassen. Von einer befreundeten Chefredakteurin eines großen amerikanischen Lifestylemagazins hörte ich: ‚Ja, die Kreativität sei in Paris, die Energie allerdings in
New York und anderswo.‘ Das stimmt.
Alle großen Agenturen, Fotografen und Stylisten sitzen heute fast
ausschließlich in New York und London. Und was ist aus Italien
und seiner absoluten Vormachtstellung in der Mode in
den Neuzigern geworden? Es produziert! Man ist
sich einig, dass es nach wie vor die Nummer eins
in dieser Branche ist. Qualität, Präzision, familiäres Know-how, unübertroffenes Handwerk. Doch wer kauft heute noch all den
Luxus? Waren Sie jüngst mal in einem der
großen Pariser Prachtkaufhäuser? Die
Hälfte der Lautsprecher-Durchsagen
sind auf Mandarin/Chinesisch. Man
ahnt, wie viel Prozent des Umsatzes von
dieser Klientel gemacht wird. Das gleiche in der Bond Street, Avenue Montaigne, Via Montenapoleone, Via Condotti... kein Luxusgeschäft ohne zumindest einen chinesischen Verkäufer. Auch in unseren Berliner Läden spüren wir den
kosmopolitischen Anspruch. Die Kunden suchen auch hier, angezogen vom internationalen
Nimbus Berlins, dieselben Marken.
Gute Laune: Macarons
von Ladurée in einer
limitierten
Geschenkbox von
Emilio Pucci
CENTRE POMPIDOU,MNAM-CCI,DIST. RMN-GRAND PALAIS / CHRISTIAN BAHIER / PHILIPPE MIGEAT
MODE MAKES
THE WORLD GO
ROUND
GLÜCKSKÄFERS
ZINFANDEL
Das Jahr ist nun rund zwei Monate alt. Noch jung und frisch, möchte man
sagen. Viele gute Vorsätze, die jetzt im gleichen Alter sein müssten, haben
es nicht so weit geschafft. Im „Survival of the Fittest“ unterlagen der Heimcrosstrainer, der Wunsch nach mehr Ruhezeit in der Waagerechten und
aus Tofu ist schon längst wieder saftiges Rind geworden. Besser hätte es vielleicht mit dem laut Umfragen häufigsten Vorsatz der Deutschen geklappt: weniger Stress im kommenden
Jahr. Der ergebe sich häufig aus einer unausgeglichenen
Work-Life-Balance, erklären Titel der Abteilung Selbsthilfe. Ein Lösungsansatz wäre, weniger selbst zu arbeiten und dafür mehr andere arbeiten zu lassen. Marienkäfer zum Beispiel. Auf dem kalifornischen Wein- Herbert Seckler
gut „Rutherford“ etwa haben die fleißigen Winzer Kultwirt vom
die Pestizidgiftspritzen beiseite gelegt und überlas- Sylter „Sansibar“
sen das Vertreiben von Blattlaus und Co. nun den
schwarz-roten Insekten. Das Ergebnis nennt sich „Predator“ und
ist eine klassische Kalifornische Fruchtbombe: dicht, konzentriert, aber ohne marmeladig zu sein. Zinfandel von seiner besten
Seite. Bleibt zu hoffen, dass die Kalifornier die Produktion vor lauter Entspannung nicht ganz einstellen. Ein Glas Predator ergänzt
sich nämlich ganz wundervoll mit den Früchten unserer verwelkten
Neujahrsvorsätze: der Couch, dem Steak und natürlich auch bald wieder der Sonnenliege.
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NIINA VATANEN
Was
guckst
du?
TRENDBAROMETER
VON WOLFGANG JOOP
Herr Haka
In dieser pseudomodernen Welt
ist man so komisch unberührt.
Schleichend hat sie uns mit
ihrer Unverbindlichkeit und
Unbildung gefangen genommen, es scheint unmöglich
auszubrechen. Wer erzählt
denn noch intellektuelle, zusammenhängende Geschichten? Vielmehr hat die Banalität
ungeahnte Bedeutung. Ich war
grad in Los Angeles bei einer
Party von Bernhard Willhelm.
Die Crowd dort war unglaublich. Aber so vielen ist die Panik
vor Dismorphologie ins Gesicht
getackert, die Angst, körperlich
nicht dem Standard zu entsprechen nimmt zu viel Lebenszeit in Anspruch.
Frau Dob
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Meinst Du, die bunten Farben der
aktuellen Mode, die Lust an Dekoration wollen uns
nur ablenken? Und sind die Pullis mit dem Brand
Bashing nicht auch eine Ansage? Wie dieser weiße
Céline Sweater, auf dem in Logoschrift Clemens
steht? Was mich mehr umtreibt, sind die pornösen
Auftritte von Sängerinnen wie Beyoncé. Noch
schlimmer: die stummen Frauen, die in Tubenkleidern auf sehr hohen Schuhen über Teppiche
stackeln, um sich bei wem eigentlich anzubiedern.
Was für Dekaden Nonstop-Befreiung haben wir
hinter uns! Nur, um eine Presswurst zu sein? No go!
Frau mit Fernglas sucht Blick
ins Weite. Noch bis zum
10. April lädt Fotokünstlerin
Niina Vatanen ins C/O Berlin
ein, mit ihr auf Wolkenjagd zu
gehen. In ihrer Ausstellung
„Beyond the Visible Surface“
lässt die Finnin den Besucher
lustvoll an der Oberfläche
ihrer Fotos abprallen, zeigt
ihm die Ambivalenz zwischen
Sichtbar und Nicht-Sichtbar.
Und ja, für Vatanen existiert
nicht nur über den Wolken
eine Leerstelle zwischen den
Dingen. Ihr Jetzt scheint ein
Raum aus Erinnerungen und
Wunschbildern zu sein.
GROSSES ORCHESTER
Mode ist wie eine Symphonie, zusammengesetzt aus vier Sätzen, die wiederum aus allerlei verschiedener Noten besteht. Die Kunst des Komponisten liegt darin, trotzdem Harmonie zu erzeugen. Ähnlich geht es mir als Einkäuferin, wenn es gilt, Trends und Tendenzen, Designer und
Sortimente passgerecht auf die Kunden und Läden zu zuschneiden. Was leicht erscheint, ist harte Arbeit und muss in relativ kurzer Zeit bewältigt werden.
Als Robert Schumann seine „Frühlingssinfonie“ (eines meiner Lieblingsstücke) in
nur vier Tagen schuf, musste alles auf Anhieb sitzen. So kommt es mir vor, wenn in
den Showrooms die Entscheidungen darüber fallen, was schließlich bis zum Endkunden vordringt. Wie in den verschiedenen Tempi der Sätze sind Mailand, Düsseldorf
oder Paris unterschiedlich vom Stil und Temperament und langsam forme ich daraus das, was jetzt Lust auf Neues im Kleiderschrank macht. Und besonders jetzt
Petra Fischer
Optimismus und die Freude auf die schönen Jahreszeiten voller Licht und Wärme in
Geschäftsführerin
Kleidung ausdrückt. Die neue Saison besticht durch Leichtigkeit und Lässigkeit. vom „Modehaus
Frauen wie ich, die Kinder, Beruf, Alltag und Glamour unter einen Hut bringen müs- Fischer“ in Singen
sen, stehen im Vordergrund. Gisele Bündchen steht für diesen Frauentypus und
wird das Gesicht vieler Modehäuser. Eine schöne Ouvertüre sind Metallic Horsebit-Loafer von
Gucci zu kurzen Röcken und knalligen Farben. Die Farbe Weiß als Inbegriff aller Mädchenträume und Frische – gegen malerische Blumenprints. Die neuen „Keypieces“ sind hellblaue Blusen
und Blouson Jacken. Ich hab noch viel auf der „Noten“-Einkaufsliste : 7/8 Hosen, Sommermäntel, Römer-Sandalen, Flared Jeans (Schlaghosen), Pilotenbrillen und Pastellfarben in allen Variationen – das Modekarussell dreht sich weiter wie die Musik, die ewig spielt.
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NikeLab und Lage:
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OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
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Sauer macht auch
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Im Uhrzeigersinn: Models bei der Chanel Frühjahr/Sommer 2015 Show. Romy Schneider, fotografiert von Robert Lebeck, mit lässiger Miene und Zigarette. Amerikanische Frauen
demonstrieren 1946 vor dem Weißen Haus gegen die Lynchjustiz. Ölgemälde „Die Freiheit führt das Volk“ (1830) von Eugène Delacroix. Deutsche Frauen beim Frauenstreiktag im
März 1994. Szene aus „The Dreamers“ von Bernardo Bertolucci. Die britische Frauenrechtlerin Christabel Pankhurst hält 1908 eine Rede in London
L
30
adies First“, „We can match the machos“, „Divorce pour tous“ – wer hätte gedacht, dass feministische Parolen so gut in den Kontext
Mode passen könnten, wie es Karl Lagerfeld vergangenes Jahr im schönsten Doppelsinn demonstrierte. Bei der Präsentation seiner
Frühjahr-/Sommerkollektion 2015 schickte er die Models samt Megafon und Schildern auf die „Straße“ im Grand Palais und bewies
wieder einmal seinen visionären Blick auf die aktuellen Geschehnisse. Der Feminismus hat also ein neues Gesicht. Waren es einst Romy Schneider mit Zigarette im Mund oder Jeanne d’Arc in Rüstung, trägt die starke Frau heute: alles, was sie will. In Militär-inspirierten Entwürfen fühlt sie sich nicht nur stark, sie sieht auch so aus. Power Dressing funktioniert aber auch in weit geschnittenen Hosen,
den sogenannten Culottes, die meist mit flachen Schuhen kombiniert werden. Selbst unschuldiges Weiß und Transparenz werden durch geradlinige
Schnitte zum Frauenpower-Look. Verspielte Details sind dabei durchaus gewünscht. In Rüschen lässt es sich schließlich genauso gut für sein Recht
einstehen wie in Nadelstreifen. Die Weiblichkeit zurücknehmen, um ernst genommen zu werden? Hat Frau schon lange nicht mehr nötig. Das macht
auch Emma Watson’s #HeforShe Kampagne deutlich, die propagiert, dass moderner Feminismus nichts mit Männerhass zu tun hat, und Gleichberechtigung Sache beider Geschlechter ist. „Sowohl Männer als auch Frauen sollten sich sensibel fühlen dürfen, sowohl Männer als auch Frauen sollten sich
stark fühlen dürfen“, sagte sie in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen. In diesem Sinne: Ob stark, ob zart – Hauptsache, Sie fühlen sich wohl.
PA/ AP PHOTO; PA/HERITAGE IMAGE; BETTMANN/CORBIS; SZ PHOTO; IMAGO; ARCHIV LEBECK/PICTURE PRESS; PA/ UNITED ARCHIV; MONTAGE: ICON; ARCHIV LEBECK; BRIDGEMANART.COM
POWER DRESSING
MONTAGE ICON; GETTY IMAGES (17); WIREIMAGE; PA (2)
Iris Van Herpen
Narciso Rodriguez
Giorgio Armani
32
Givenchy
Issey Miyake
Haider Ackermann
Dries van Noten
Ann Demeulemeester
L E S PA N T A L
POUR TOUT
FEMMES
Ralph Lauren
Saint Laurent
Marc Jacobs
Sonia Rykiel
Hermès
Chanel
Gucci
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Acne Studios
Tod’s
Céline
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER UND NINA SCHMIDT
ONS
ES LES
34
MONTAGE ICON; GETTY IMAGES (15); AKG-IMAGES
Christian Dior
Giambattista Valli
Michael Kors
Moncler
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Louis Vuitton
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Stella McCartney
ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER UND NINA SCHMIDT
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Balmain
Akris
Max Mara
Bottega Veneta
36
KAI JÜNEMANN; HERMÈS (3); LIZ COLLINS
Im Zentrum des HermèsUniversums steht Bali
Barret (rechts). Über ihren
Tisch geht jedes Carré von
abstrakt futuristisch (oben
links) bis naturalistisch
(unten links). Im Atelier
von Hermès finden sich
überall Spuren von Handarbeit (oben rechts)
BETUCHT
Der Punk in Seide
Sie ist die mächtigste Frau im Hause Hermès – und doch kennt sie
kaum einer: Bali Barret, Kreativdirektorin für alle Frauenkollektionen.
Silke Bender traf die Gralshüterin des Hermès-Stils in Paris
W
enn Pierre Hardy
seine Schuh- und
Schmuckkollektion für Hermès entwickelt, Couli Jobert die Handtaschen, oder im
März 2015 die junge Nadège Vanhee-Cybulski ihre erste Prêt-àporter-Damenkollektion für das Haus zeigt:
Bali Barret ist die Instanz, das Nadelöhr, durch
das alle Entwürfe der Designer müssen. Über
ihr steht nur noch Pierre-Alexis Dumas, Kreativdirektor des gesamten Hauses und Familienmitglied in sechster Generation des 177 Jahre alten Pariser Traditionsunternehmens. Die
mächtigste Frau bei Hermès ist gleichzeitig
eine der unbekanntesten Größen in der Modeszene. Selbst Insider bekommen sie nur selten zu Gesicht.
Wer wissen will, wer sie ist, muss sie also
selbst treffen. Und so sitzt sie da, bei der Eröffnung des ersten Maison in Shanghai – zierlich
und brünett – und für eine typische Pariserin
reichlich leger: weiß-graues Hermès-Sweatshirt, weiße Jeans und flache Loafer. Kein Nagellack, kaum Make-up. Doch schüchtern
wirkt die 48-Jährige nicht. Ihr fester Blick auf
ihr Gegenüber strahlt eine natürliche Autorität aus. Sie ist ein Kumpeltyp, aber einer, mit
dem man sich besser nicht anlegen sollte. „Ich
weiß nicht, ob ich wirklich so diskret bin. Ich
bin einfach da, um im Dienste des Hauses zu
arbeiten, nicht um in den Medien präsent zu
sein“, sagt sie. Und fügt hinzu: „Bevor ich bei
Hermès anfing, führte ich zehn Jahre lang
mein eigenes Modehaus, und da musste ich in
der ersten Reihe spielen. Da habe ich wohl
mein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ausreichend ausleben können.“
Als sie 2003 zu Hermès kam, ging eine veritable Erschütterung durch die Flure an der Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré: „Ich entwarf eine erste Seidentuchkollektion für das
Haus und wagte es, die legendären Carrés mit
Laser Cut zu durchlöchern. Für manche im
Haus galt ich von da an als Punk“, sagt sie lächelnd.
Sie ist lange befreundet mit der Frau von
Pierre-Alexis Dumas, mit dessen Cousin Barret zusammenlebte. So wurde der HermèsChef auf den puristischen, minimalistischen
Stil ihrer Mode aufmerksam. „Er sah etwas in
mir, was ich selbst nicht vermutet hätte: nämlich meine grafische und farbenfrohe Seite. Es
ist sein großes Talent, die Talente anderer zu
entdecken“, erzählt sie. „Als Dumas eines Tages in meine Boutique kam, um mir sein Angebot zu unterbreiten, war ich ziemlich baff.
Was für eine merkwürdige Idee! Nichts an
meinen bisherigen Kollektionen, die meist
unifarben waren und auf Muster fast gänzlich
verzichteten, erschien mir dafür naheliegend.“ Doch 30 Minuten später sprudelte bereits ihre Fantasie. Und sie biss an. „Mein Label lief damals gut und viele andere Marken
kamen auf mich zu, um mir vorzuschlagen,
mehr oder weniger das gleiche für sie zu machen. Pierre-Alexis überzeugte mich, weil er
mir etwas vollkommen Neues anbot.“
Auch seine Bedingungen gefielen ihr: Du
kannst machen, was du willst. Die einzige Person, mit der du sprichst, bin ich. „Das war sehr
klug von ihm. So konnte ich mit einem fast
unschuldigen Nichtwissen loslegen. Hätte ich
mir vorher die Archive angeschaut, hätte ich
mich vermutlich nie getraut, die Entwürfe so
zu machen, wie ich sie schließlich machte. Natürlich waren mir Hermès-Carrés vertraut,
aber eben nur in meinem kleinen, persönlichen Fokus.“ Was Dumas nicht wissen konnte:
Barret machte in ihrer Jugend gerne Party.
„Hermès-Carrés waren damals total out, das
war etwas für ältere, bürgerliche Damen. Ich
hatte jedoch von meiner Mutter einige im
Schrank und wenn ich damals loszog, mit Lederjacke, Stiefeln und Netzstrumpfhosen,
band ich mir aus zwei Carrés einen Minirock
zusammen. Das hat wirklich niemand sonst
getragen.“
Bali Barret heißt übrigens eigentlich MarieAmélie. Den Spitznamen Bali trägt sie seit Babyzeiten mit sich herum. „Meine ältere
Schwester konnte meinen Namen nicht richtig aussprechen – und weil sie total erkältet
war, wurde aus Mali schlicht Bali“, erzählt sie.
Die erste Carré-Kollektion wurde ein voller
Erfolg, und Barrets Stern stieg im Kosmos
Hermès immer höher. Bald übernahm sie die
kreative Leitung „Seide“ im Haus und schließlich bat ihr Chef Dumas sie, auch die des gesamten Frauen-Universums zu übernehmen.
„Für mich ist die Arbeit für Hermès heute eine
fast organische Fortführung dessen, was ich
damals für mein eigenes Label gemacht habe.
Dass ich heute in dieser Position bin, ist eine
Verkettung von glücklichen Umständen, die
sich ganz ohne mein aktives Streben entwickelt hat. Die Chemie zwischen uns stimmte
und setzte einen natürlichen Prozess in Gang.
Wenn man mir das vor zehn Jahren erzählt
hätte, hätte ich es vermutlich nicht geglaubt“,
sagt sie.
Aktiv am Design beteiligt ist sie immer noch
bei den Seidencarrés. Sie trifft die Illustratoren, besucht die Fabriken, überwacht die Kolorationsprozesse und greift auch oft selbst
zum Stift, um ihre eigenen Entwürfe zu zeichnen. Das Hauptthema der letzten Winterkollektion: Metamorphose. Eine Steilvorlage für
Bali Barret, die den Stil von Hermès mittlerweile zu hundert Prozent absorbiert hat. Heu-
te muss sie täglich entscheiden, was Hermès
ist und was nicht. Eine Faustregel kann sie
nicht geben: „Ich arbeite komplett intuitiv,
manchmal sogar irrational. Da gibt es keinen
Masterplan und Stilcode. Ich versuche, mit jeder Kollektion, dem Stil des Hauses treu zu
bleiben und gleichzeitig etwas Neues zu wagen. Wie eine Köchin, die aus der Hand eine
Mayonnaise zusammenrührt. Es geht um Zutaten und vor allem Dosierungen.“
Ihre nächste große Aufgabe steht bereits an:
Nachdem
Damen-Prêt-à-porter-Designer
Christophe Lemaire das Haus verlassen hat,
ist sie nun für die Einarbeitung der Nachfolgerin Nadège Vanhee-Cybulski zuständig. Die
36-Jährige wird im März ihre erste Kollektion
für Hermès vorstellen – und sie war die erste
Wunschkandidatin von ihr und Pierre-Alexis
Dumas. „Wir mochten beide ihre Arbeit für
The Row, ihre Sensibilität für Materialien.
Aber genauso wichtig ist auch ihre Persönlichkeit: Sie ist sehr zeitgenössisch, hat Finesse und einen starken Charakter.“ Ob sich die
Designer manchmal von ihr bevormundet
fühlen? „Ich nehme meine Aufgabe nicht autoritär wahr“, sagt sie. „Eher wie ein beratender Freund. Nicht als Besserwisser. Da ich
selbst Designerin bin, weiß ich, wie subtil
man dabei vorhergehen muss, ohne die Leute
vor den Kopf zu stoßen. Doch auch, wenn es
manchmal nötig ist.“
Sie lacht und fügt hinzu: „Ich bin dafür da,
dass keiner umsonst arbeitet, keine unnötigen
Prototypen produziert werden, zu denen
Pierre-Alexis, mein Chef, schließlich sagt:
‚Mais non, ist das hässlich’. Mein Ziel ist es,
dass er sagt: ‚J’adore‘.“ An eine wirklich
schwere, kreative Enttäuschung in all den
Jahren mag sie sich nicht erinnern. Sie nimmt
einen Schluck Wasser, überlegt noch einmal,
schaut an die Decke und dann mit festem
Blick zurück: „Nein, die kleine Wahl-Cousine
der Familie hat keine Traumata.“
Tuch an Tuch an Tuch: Das HermèsArchiv in Pantin nahe Paris beherbergt
unzählige Seidencarrés
ALLUDE (9); PA/DPA (1)
KARRIERE
„Man ist
nie selfmade...
Transparenz trifft auf grafische Muster und
detailverliebten Sommerstrick - so sieht sie aus
die Frühjahr/ Sommerkollektion von Allude
.. denn ohne Mitarbeiter ist man nichts.“
mixen. Auch Turnschuhe mit der Edelwolle
gab es schon. Was genau sie präsentiert, verrät
sie nicht: „Es wird wieder viel voluminösen
Strick geben, aber ganz anders als bisher.“
Nun ist es ja nicht so, dass jede Frau, die vergeblich etwas zum Anziehen sucht, gleich ein
eigenes Unternehmen gründet. Man benötigt
schon viel Unerschrockenheit und den Mut,
sich in unbekanntes Terrain zu wagen. Beides
besitzt Andrea Karg, dazu kommt ein Gespür
für Stil, das sie in ihrer Zeit als Eiskunstläuferin und Model verfeinert hat. Nicht von ungefähr hat sie ihr Label „Allude“ getauft, angelehnt an das französische „allure“. Dass sie früh
– mit Mitte 20 – Mutter von Zwillingen wurde,
hat sie nicht abgehalten, Karriere zu machen:
„Ich liebe meinen Job, und die Kinder waren
ein Geschenk des Himmels, beides hat mir unheimlich viel positive Energie gegeben.“
Die Gründungsphase ihres Labels beschreibt
sie so: „Ich wusste genau, was ich wollte. Also
habe ich mich hingesetzt und erst mal eine ToDo-Liste geschrieben, das hat mir als Neuling
sehr geholfen.“ Dabei kam ihr die juristische
Nüchternheit zugute. Auf der Suche nach Herstellern fuhr sie zunächst nach Italien. „Als Seiteneinsteigerin wurde ich eher skeptisch begutachtet.“ Niemand wollte mit ihr Geschäfte
machen. In China wurde sie fündig – unerschrocken reiste sie durch das Land, auf der
Suche nach den richtigen Partnern. Bis heute
unterhält sie enge Beziehungen zu ihren Herstellern und ist mehrmals pro Jahr vor Ort.
Neben Kaschmir und Kochen liebt Andrea
Karg Kunst. „Mode nimmt so viele unterschiedliche Einflüsse in sich auf, Kunst ist das ,
mit dem ich mich besonders gerne auseinandersetze.“ Privat umgibt sie sich mit Arbeiten
von Thomas Ruff oder Georgia Russell, sie verehrt die Südafrikanerin Marlene Dumas oder
den Briten Chris Ofili. Überhaupt gilt ihre Begeisterung besonders jenen Künstlern, die
Frauen porträtieren. Sie selbst ist jetzt 53, der
Zukunft sieht sie entspannt entgegen. Allude
gehört ihr und ihrem Mann Christian, in der
Modewelt ist das eine Seltenheit. „Wir sind inhabergeführt, das hüten wir wie einen Schatz.“
Beide hätten nichts dagegen, wenn die Söhne
eines Tages das Unternehmen übernehmen
würden. Im Moment sieht es allerdings nicht
danach aus, der eine ist Maschinenbauer, der
andere Wirtschaftsingenieur. Mutter Karg
bleibt gelassen und pragmatisch: „Dann finden
Jenny Hoch
wir eben eine andere Lösung.“
Ein typischer Satz von Andrea Karg. Und
ein erfolgreiches Strickmuster. Ihr Label
Allude wird auch in Paris ernst genommen
D
38
Die erste Begegnung mit dem
Garn, das ihr Leben prägen sollte,
hatte Andrea Karg als Schülerin.
Ihr Vater nahm sie mit zu einem
Herrenausstatter, um sich einen
Pullover zu kaufen. Gedankenverloren strich der Teenager
über die ausgelegte Kaschmirware – und war fasziniert. Der
Strick schmiegte sich
samtweich an ihre
Haut. „Das kam mir
vor wie ein Wunder“,
erinnert sich die gebürtige Düsseldorferin, „so ganz anders,
als die kratzigen Wollpullover, die ich damals trug.“
Jahre später, sie hatte
gerade ihr Jurastudium
abgeschlossen,
dann der zweite Schlüsselmoment: Sie wollte
sich einen Pullover kaufen, aus Kaschmir natürlich, aber sie fand nur Twinsets in Beige,
Dunkelblau, Grau. Ihr Traumteil aber sollte
zeitgeistig sein, tailliert, dekolletiert und in
knalligen Farben leuchten. „Es war vielleicht
naiv, aber ich dachte, wenn ich das möchte,
geht es anderen Frauen auch so.“ 1993 gründete sie kurzerhand ihre Firma.
Ihre Idee kam an, heute ist Allude ein erfolgreiches Modeunternehmen, das einzige deutsche im offiziellen Kalender der Pariser Modewoche. Im März laufen die Allude-Models
dort im dritten Jahr. Gezeigt wird – noch eine
Besonderheit der Firma – eine gesamte Kollektion aus Kaschmir. Das Label ist bekannt
für raffinierte Schnitte und die experimentelle Art, Kaschmir mit anderen Materialien zu
Designerin Andrea Karg winkt zum
Picknickausflug, mit kuscheliger
Decke und luftigem Fransenoberteil
Unter Freundinnen
Ihre Kundinnen empfängt Frauke Gembalies in privaten
Modesalons. Sie genießen das stressfreie Einkaufen – und
lieben die ebenso entspannten Entwürfe der Designerin
M
40
anche
Menschen
schwärmen
vom
Schaulaufen berühmter Frauen in Abendkleidern bei der Oscar-Verleihung. Frauke Gembalies schüttelt
bei
dem
Gedanken daran den Kopf. Nicht, weil es sie
nicht interessiert. Aber immer diese BustierRoben, diese Tüllröcke! „Ich verstehe nicht,
warum sich so wenige Frauen in einem coolen Smoking auf den roten Teppich trauen.“
Darüber sei man doch längst hinaus, dass eine
Frau nur in einer langen Abendrobe als elegant durchgeht. Die Designerin selbst ist der
Beweis dafür: Zum Interview trägt sie eine
graue Hose mit geschlitztem Schlag und passender Wollflanelljacke, darunter ein graubeige schimmerndes Hemd mit extralangen,
offenen Manschetten und weiße Sneaker. Ihre
blonden Haare sind bis zu exakt dem Grad zerzaust, dass sie nicht unordentlich, sondern
mädchenhaft ungekämmt aussehen. Sie mag
es unkompliziert. Aber sie beherrscht die
Kunst, Lässigkeit teuer aussehen zu lassen:
Durch einen luxuriösen Stoff, einen Schlitz,
besondere Knöpfe, eine auffällige Tasche.
An diesem verregneten Januar-Nachmittag
serviert sie in ihrer großzügigen Altbauwoh-
nung im Westen Berlins griechische Plätzchen, die an Vanillekipferl erinnern, und Lindenblütentee aus dem Berliner Concept-Store
für Edel-Tees „P & T“. Sie habe sich für einen
Gala-Abend mal einen Anzug mit einer extralangen Schlaghose schneidern lassen, aus einem Brokatstoff, der nach der Produktion einer ihrer Kollektionen übrig geblieben war.
„Dazu kamen aber hohe Schuhe“, betont sie.
Es ist ihr persönlicher Stil, aus dem die in
Mülheim an der Ruhr geborene Designerin
seit 2012 die Inspiration für die Kollektionen
ihres eigenen Labels „Gembalies“ schöpft.
Und es ist dieser Stil, von dem sich vor allem
Frauen, die viel arbeiten und reisen, so sehr
angesprochen fühlen, dass sie für die zwei Mal
jährlich in verschiedenen deutschen Städten
arrangierten Modesalons immer einen Platz
finden in ihren übervollen iPhone-Kalendern.
Bei diesen Präsentationen können die Kundinnen, die vorher dazu eingeladen werden,
die neuen Entwürfe sichten und anschließend
in der benötigten Größe und mit bestimmten
Farb- oder Materialwünschen bestellen.
Statt Schweißausbrüchen in der Umkleidekabine erwartet sie eine Atmosphäre wie bei einem Treffen unter Freundinnen: Man führt
Gespräche, trinkt einen Tee. Realisiert werden
die Teile in einem Produktionsbetrieb bei Paris, der auch für Modehäuser wie Céline und
Saint Laurent schneidert. Etwa zehn bis zwölf
Wochen später bekommt die Kundin ihre Bestellung dann zugeschickt.
Von der ersten Kollektion an hatte Gembalies
Erfolg. Sie startete aber auch unter vielversprechenden Bedingungen: Die gelernte
Schneiderin und studierte Designern verantwortete an der Seite von Akris-Kreativdirektor Albert Kriemler die Hauptlinie des Hauses,
arbeitete als Chefdesignerin von Rena Lange
und beriet anschließend andere Modehäuser.
Die Teile, die sie für sich selbst und ihre Auftraggeber anfertigte, riefen bei vielen Freundinnen Begeisterung hervor. „Ich wurde immer gefragt, ob ich das nicht auch für sie machen könnte.“ Ekatharina Iliadis, ebenfalls eine
Freundin
und
ihre
heutige
Geschäftspartnerin (die auch private Verkaufstreffen für Strickdesignerin Sabine Parenti organisiert), schlug das Vertriebskonzept vor und überzeugte sie damit, gemeinsam etwas Eigenes zu starten.
Heute wird man mit großer Wahrscheinlichkeit bei internationalen Kunstevents und Dinnerpartys der Berliner Haute Volée mindestens eine Frau antreffen, die den EggshapeMantel aus Wolle oder eines der gerade geschnittenen, weichen Lederkleider ausführt.
Eingeweihte erkennen ihre zu Klassikern
avancierten Stücke sofort. Weite Tuniken,
Kaschmirjacken mit dreiviertellangen Ärmeln, Midi-Röcke mit Schlitz, Herrenhemden
und Oversize-Pullover.
„Wir hatten von Anfang an eine ganz klare
Kundin vor Augen“, sagt die Designerin. Nämlich eine anspruchsvolle Frau, die Kleider
dann am meisten liebt, wenn sie darin ohne
viel Anstrengung perfekt aussieht, und wenn
diese anstandslos ihr turbulentes Leben mitmachen. „Diese Frauen reisen sehr viel, da
kann kein Mensch zehn Looks mitnehmen.“
Gembalies macht es ihnen so leicht wie möglich. Stücke aus älteren Kollektionen lassen
sich problemlos mit neuen Entwürfen kombinieren, und einige Teile sind leicht abgewandelt jede Saison wieder zu haben. „Unsere Teile muss man fühlen. Sie müssen unbedingt
noch was anprobieren!“ Wie zur Ermunterung wirft sie kurzerhand selbst eines ihrer
neuen Mantelmodelle über den schmalen
Körper. „Als würde man eine Decke um sich
Silvia Ihring
wickeln.“ Schon überzeugt.
BORIS KRALJ; SM MORRISON (2)
Frauke Gembalies (ganz links) schöpft die Inspiration für
ihre Kollektionen aus ihrem eigenen Look. „Es sind alles
Teile, die ich selbst gerne anziehen würde“, sagt sie
PORTRÄT
18 Karat Gold, 925 Sterling Silver, Edelsteine und Diamanten.
Exklusiv erhältlich in unseren Flagship Stores – London . Zürich . Frankfurt . Stuttgart . Wien
W W W. T H O M A S S A B O . C O M / F I N E J E W E L L E R Y
Frau Auermann, starke Frauen sind gerade
sehr in Mode. Joan Didion macht Werbung für
Céline, Karl Lagerfeld ließ die Models bei Chanel für mehr Gleichberechtigung demonstrieren, Madonna wirbt für Versace und auch Sie
sind wieder häufiger in Magazinen zu sehen...
...was daran liegen könnte, dass ich wieder arbeite. Zwischenzeitlich war Modeln bei mir ja
eher schwierig, ich habe vor zwei Jahren noch
ein Kind bekommen, da ist die Taille nicht so,
sagen wir: ideal. Danach will man auch ein
bisschen Zeit mit dem Kind verbringen.
Und jetzt?
Habe ich das Gefühl, dass es wieder gut ist zu
arbeiten. Für einen selbst, aber auch für die
Familie. Ich finde es schön, wenn beide Eltern
arbeiten. Das ist jedenfalls meine Meinung.
Aber es ist ja nicht selbstverständlich, mit Anfang 40 noch als Model aktiv zu sein. Nur wenige Kolleginnen wie Claudia Schiffer, Naomi
Campbell oder Linda Evangelista sind ebenfalls noch im Geschäft. Woran liegt das?
Wir hatten das Glück, in einer Zeit arbeiten zu
dürfen, wo man gerne Models mit Persönlichkeit nahm. In den Neunzigern war doch kein
Mädchen wie das andere. Linda, Cindy, Claudia – jede stand für sich selbst.
Sie waren die coole, selbstbewusste Nadja.
Der Helmut Newton-Stil, das passte zu mir.
Kürzlich wurde ich für die deutsche „Vogue“
fotografiert. Als ich am Set ankam, dachte ich
noch: „Oh, gar nicht so viel Stoff...“ Aber am
Ende sind das sehr sinnliche Bilder geworden.
Und obwohl wir viel Haut zeigen, ist die Geschichte – jedenfalls in meinen Augen – überhaupt nicht vulgär. Man sieht eine starke Frau,
die sexy ist, aber trotzdem alle Fäden in der
Hand hält. Es ist eben nicht das kleine Mädchen, kein Opfer, nicht die schwache Frau. Ein
guter Kontrast zu dem, was ich zuletzt häufig
in der Mode gesehen habe.
Sie waren Stargast im Publikum bei der großen Modeschau von Mango in Barcelona. Alle
schauten wieder auf ihre endlos langen Beine
in der ersten Reihe. Würden Sie auch noch einmal auf den Laufsteg gehen?
Kommt auf die Umstände an. Ausschließen
will ich das nicht.
Sie sind auch selbstbewusst genug, Fotografen
ganz nah an Ihre Lachfältchen heranzulassen. Das machen weder Models noch die meisten anderen Frauen Ihres Alters.
Ich habe kürzlich auch wieder mit Peter Lindbergh gearbeitet, der kaum retuschiert. Aber
es kommt immer auf den Stil des Fotografen
an. Wie viel hinterher bearbeitet wird, ist ein
Stilmittel, das man als Model nicht wählt. Es
wird auch bei 17-Jährigen teilweise retuschiert, weil das zur Ästhetik unserer Zeit gehört. Die Bilder zeigen eine Traumwelt.
42
Sie wurden im Jahr 1994 bekannt. Wie war
das damals?
Genauso, da wurde zwar weniger retuschiert,
aber viel mit Make-up gemacht, das ist ja auch
nicht wirklich realistisch. Da ging es genauso
darum, Träume abzubilden. Wenn wir alles
ganz realistisch haben wollten, müssten wir
alle im Kartoffelsack durch die Gegend hüp-
fen. Wir sind doch in diesem Geschäft, um alles
überdimensional schön zu machen.
Wie hat sich die Modebranche im Vergleich zu
Ihren Anfängen verändert?
Ein Unterschied ist sicher, dass wir früher noch
ein bisschen naiver waren, dafür aber auch wilder. Alles war noch nicht so durchkommerzialisiert. Wir sind in Sachen über den Laufsteg spaziert, die zu einem Großeil nie produziert wurden, weil kein Mensch sie hätte tragen wollen.
Eine Modeschau war eher ein Happening. Heute habe ich den Eindruck, dass es mehr um Verkaufszahlen geht. Es werden also eher Sachen
gezeigt, die sich hinterher gut verkaufen lassen,
und das ist ja auch in Ordnung.
Viele der aktuellen Topmodels teilen ihr halbes
Leben auf Instagram. Könnten Sie das?
Das finde ich ganz schwierig. Ich bin froh, dass
ich nicht heute Model bin. Andererseits, wenn
ich jetzt 19 wäre, würde ich das wahrscheinlich
ganz anders sehen und könnte ohne mein Instagram, Whatsapp oder was auch immer nicht
glücklich sein. Aber wer weiß. Selbst Karl Lagerfeld hat vor ein paar Jahren entschieden,
sich doch einmal ein Handy zuzulegen.
PETER LINDBERGH
IM GESPRÄCH
N
A
Karl Lagerfeld nannte Sie die neue Marlene
Dietrich. Nicht nur Ihrer Ähnlichkeit wegen, Sie
sollen auch immer freiheraus gesagt haben, was
Sie denken.
Na ja, vielleicht nicht immer. Ein bisschen diplomatisch bin ich schon auch. Aber ich glaube,
in den Neunzigern war es eher ein Plus, eine
Meinung zu haben. Ich weiß nicht, wie es heute
ist, ob man als Model sagt, was man denkt, oder
besser nicht. Bei dieser Caren, nein Carla Dele,
Dele – wie heißt sie? Ich kann den Namen nicht
aussprechen.
...Cara Delevingne...
Genau, bei ihr habe ich zum Beispiel das Gefühl,
dass sie auch ein starker Charakter ist, ein biss-
Vom Supermodel zur
Supermum und
zurück. Nadja
Auermann geht ihren
eigenen Weg. Und ist
genau deswegen wieder
gut im Geschäft.
Andrea Morales traf sie
in Barcelona
?
A
chen frech, unangepasst. Da kann ich gut verstehen, dass Karl sie so toll findet. Aber ich
glaube, das ist nicht unbedingt typisch für die
Branche dieser Tage.
Sie haben damals auch selbst entschieden, sich
die Haare von Mittel- in helles Platinblond zu
färben. Danach ging es mit der Karriere steil
nach oben.
Mit langen Haaren bis über die Brust habe ich
auch schon viel gearbeitet. Aber ich fand
plötzlich, die Fotografen machten mich immer gleich. Dabei bin ich doch in diesem
Business, weil ich Mode liebe, die Transformation, die Veränderung! Ich wollte sie herausfordern, dass sie mich anders sehen und anders darstellen können. Abschneiden wollte
ich meine Haare damals noch nicht, also dachte ich: warum nicht Weißblond? So sah ich als
Kind aus und mochte das immer.
Mittlerweile haben Sie selbst vier Kinder –
welche Werte geben Sie ihnen mit? Sollen sie
auch einmal so selbstbewusste Charaktere
werden wie ihre Mutter?
Nadja Auermann, fotografiert von Peter Lindbergh. Der Fotograf begleitet Auermann seit den
Anfängen ihrer Karriere. Sie schätzt an ihm unter anderem, dass er seine Arbeiten kaum retuschiert
Auf jeden Fall. Aber noch wichtiger ist mir
Respekt. Das Eine hat meiner Meinung nach
mit dem Anderen zu tun. Wenn man sich
selbst liebt, kann man auch die anderen Menschen besser respektieren.
Ihr erstes Kind haben sie 1997 bekommen, auf
der Höhe Ihres Erfolgs. Haben da nicht viele
gesagt: „Bist du verrückt? Danach ist alles
vorbei!“
Darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Mir war es damals auch egal, ob
meine Karriere weitergeht. Ich hatte alles erreicht, was ich mir erträumt hatte. Wenn es
danach vorbei gewesen wäre – für mich vollkommen in Ordnung.
Schauspielerei war für Sie auch einmal ein
Thema. 2004 spielten Sie in dem Fernsehfilm
„Dörnröschens leiser Tod.“ Das verfolgen Sie
nicht weiter, oder?
Tja, du musst gute Angebote bekommen, da
ist man ein bisschen ausgeliefert. Aber hey –
wenn ein super Drehbuch kommt, überlege
ich es mir noch mal.
Angeblich wollten Sie auch einmal Therapeutin werden.
Ja, ich habe vor ein paar Jahren angefangen,
Psychologie zu studieren.
Mit vier Kindern, Anfang 40...
Deshalb habe ich auch nicht fertig studiert.
Ich habe Respekt vor Frauen, die Kinder haben, Karriere machen, studieren und das alles
verbinden. Ich habe das nicht geschafft und
dann entschieden, dass es so wie es jetzt läuft,
eigentlich sehr in Ordnung ist.
Sie leben fernab des Modezirkus in Dresden.
Heute der große Auftritt in Barcelona, morgen
wieder im Einfamilienhaus in Dresden?
Das würde für mich gar nicht mehr anders gehen. Diese Woche lief fast wieder wie früher,
alles war durchgetaktet, erst Paris, kurz zurück nach Dresden, dann nach Barcelona. Danach brauche ich erst mal wieder Zeit mit
meiner Familie. Für mich ist die Balance zwischen Aufregung und Entspannung, zwischen
Arbeit und Familie, das Geheimnis des Glücklichseins. Zu viel von allem ist nicht gut.
43
MODISCH UNTERWEGS
FOTO: LYDIA GORGES & JENS SCHMIDT C/O HILLE; STYLING & PRODUKTION: DANIEL SARTORE;
FOTOASSISTENZ: ARNE VOSSELT; HAARE & MAKE-UP: MARCO HÜLSEBUS C/O KLAUS STIEGEMEYER. MIT
PRODUKTEN VON CHANEL UND KEVIN MURPHY; MODELS: LISA VERBERGHT C/O IMM MODELS BRÜSSEL, JAPOK
C/O M4; LOCATION: DAS SCHWARZE HAUS UND LANDHAUS AM SEE, BEIDE IN PINNOW (GERSWALDE)
DIE MARK DES
NORDENS
BISMARCK SOLL EINST GESAGT HABEN, ES GEHE IN DIESEM LANDSTRICH SO LANGSAM
ZU, DASS AUCH DIE WELT HIER DEREINST HUNDERT JAHRE SPÄTER ALS ANDERSWO
UNTERGEHEN WERDE. WIR FINDEN: DAS SPRICHT FÜR DIE UCKERMARK, EIN PAAR
KILOMETER NÖRDLICH VOM HEKTISCHEN BERLIN GELEGEN. STATT GRAUER
HÄUSERFASSADEN GIBT ES HIER GRÜNE HÜGEL UND MYSTISCHE SEEN. FÜR DIE
BERLINER SEIT GENERATIONEN DAS, WAS FÜR NEW YORKER LONG ISLAND IST: DAS
REFUGIUM ZUM DURCHATMEN. FOLGEN SIE UNS AUF EINEM MODISCHEN
SPAZIERGANG. GANZ ENTSPANNT, VERSTEHT SICH
44
Top und Rock: Tory Burch. Parka: Lempelius
Diese Seite: Bestickter Mantel und Hose: Dries van Noten. Pullover: Ermenegildo Zegna. Stiefel: Hunter. Rechts: Kleid: Agnona. Armband: Wempe
46
Diese Seite: Japok im Pullover von Hermès.
Hose: Giorgio Armani. Sandalen: COS.
Gürtel: Filippa K. Armband: Wempe.
Rechts: Lisa im Cape von Salvatore Ferragamo
48
ER: Anzug: Brunello Cucinelli. Hemd: Dries van Noten.
Schuhe: Giorgio Armani. Socken: Falke.
SIE: Lederblouson: Hermès. Tüllrock: Rika.
High Heel-Sandalen: Christian Wijnants. Armband: Hermès
50
52
Links: Anzug: Herr von Eden. Strickjacke: Fred Perry. Stiefel: Hunter.
Diese Seite: Brokat-Anzug: Joseph. Top: 7 for all Mankind. Stiefel: Hunter
53
Diese Seite: Kleid: Sportmax. Ohrringe: Wempe. Rechts: SIE: Pullover: Ganni. Rock: Brunello Cucinelli.
Schal: Johanna Michel für Rubin Chapelle. High Heel-Sandalen: Miu Miu. ER: Pulli mit Hemd-Ärmeln: Giorgio Armani.
Hose: Louis Vuitton. Schuhe: Dries van Noten. Tasche: Burberry
54
55
Der
Adler ist
gelandet
CONCEPTSTORE
Was nach
Geheimdienst
klingt, ist
(noch) ein
Geheimtipp.
Die Britin
Alex Eagle hat
in Berlin
ein Geschäft
eröffnet, das
zum Maßstab
werden dürfte.
Inga Griese sah
sich um,
Oliver Mark
fotografierte
58
Ein guter Typ mit guten
Ideen: Alex Eagle, Kreativdirektorin von The STORE
W
as ist wirklich urban? Eine von vielen
möglichen Antworten auf diese Frage
findet sich in der
Berliner Torstraße.
An der großen Kreuzung im ehemaligen
Osten steht ein riesiges, nicht zu perfekt renoviertes helles Gebäude, das jenen Stil verkörpert, von dem internationale Besucher vermuten, dass er typisch Berlin sei. Kreativ, geräumig, international, polyglott. Die jungen
Frauen und Männer an der Rezeption sprechen Englisch, bisweilen mit der Hochnäsigkeit, die man in Luxusboutiquen erlebt. Das
Soho House ist Hotel und begehrter privater
Club zugleich, ein Prinzip, das Gründer Nick
Jones mit großem Erfolg in angesagten Städten errichtet hat. Man braucht den Membership-Status oder wenigstens eine Einladung,
um hinein zu dürfen. Es schadet nichts, wenn
man dabei ein MacBook Air mit sich führt, eine Entourage oder wenigstens ständig Mails
zu checken hat. Mit dem Betreten der Halle
des Soho Houses lässt man schlagartig die
graue Masse hinter sich, die Berlin auch und
besonders in dieser Gegend sein kann.
Seit Kurzem kann man sich sogar noch ein
bisschen weltgewandter fühlen. Denn gleich
rechterhand betritt man nun ein Geschäft, das
ohne Überheblichkeit tatsächlich den Titel
„The Store“ tragen darf. Ein Geschäft ist gar
nicht der richtige Ausdruck. Es ist ein Lebensgefühl, das sich auf 2800 Quadratmetern zwischen Holzdielen und Betondecke mit Nischen, Ebenen, Grünpflanzen und viel Freiraum ausbreitet. Kunst, Mode, Design, Bücher,
Musik, Essen, Friseur – alles gehört zusammen. Für Sie und Ihn. Eben ein Concept Store
im Wortsinn, in dem man glatt einziehen würde, weil er so großzügig und doch heimelig ist.
Und nebenbei einkauft. Oder auch nicht. Man
könnte sich mit seinem Laptop auch einfach
an einen der Mosaiktische setzen oder auf das
blaue Samtsofa lümmeln und Getränke von
der Bar ordern, oder irgendetwas sehr Gesundes mit Produkten aus der Region – und dabei
das Sofa auch gleich kaufen. Denn auch das
gehört zum Konzept.
Man könnte sich am Regal mit den Schallplatten von Jeremy Deller aus der Vinyl Factory
ärgern, dass der Plattenspieler von Braun bei
einer von vielen Aufräumaktionen längst aussortiert wurde. Um sich dann zurückzuziehen
in den Bibliotheksbereich, der mit den langen
Tischen und mittig angebauten Messingleuchten die schöne Illusion eines Studienplatzes in Oxford oder Cambridge vorgaukelt.
Man könnte überlegen, eine Packung „Kishu
Binchotan Charcoal“ zu erwerben, ein Stück
Kohle zum Reinigen von Wasser. Ein Musthave der globalen Mover. Oder mal die Kosmetikprodukte von „#27“ ausprobieren, ich sag
nur: Hashtag Körperöl.
Zwischendurch zieht es einen dann vielleicht
wieder zu einem der Kleiderständer hier und
da, behängt nach der Devise: weniger ist
mehr. Mit Marken, die nach Kate Moss, Dree
Hemingway und Cara Delevingnes Clique
klingen. Wer in London zum Beispiel keines
der Hemden von Trager Delaney ergattert, ist
schon mal raus. (Wir stellen das Duo auf den
nächsten Seiten ebenso wie Rosetta Getty
vor). Die raue Ware von Christophe Lemaire,
dem bisherigen Hermès-Designer, findet sich
hier, die Seidenpyjamas von Poplin, dem Label von Lulu Guinness, aber auch The Row
von den amerikanischen Olsen-Zwillingen
oder die Surferklamotten von Baja East aus
New York. Think local mit der Berliner Modistin Rike Feuerstein. Es locken auch Jil Sander,
Balenciaga, Proenza Schouler, Jun’ya Watanabe, Issey Miyake. Oder Alex Eagle.
Als Wäschelabel und als Person. Die Engländerin ist die Erfinderin dieser Einkaufslebenswelt, die eben wie ein Club und, das muss
man nicht betonen, nichts für Schäppchenjäger ist. Aber für Leute, die ihre Persönlichkeit
gern mit Understatement kleiden, ohne dabei
an Twinset mit Bluse zu denken. Stiller, individueller Luxus, wie er heute angesagt ist als
Gegenentwurf zur „Fash Fashion“ .
Alex Eagle, eine einnehmend aufgeschlossene
Frau, wusste schon als kleines Mädchen, dass
sie einmal in der Mode Erfolg haben wolle.
Aufgewachsen in London, absolvierte sie nach
der Schule ein Praktikum bei der Sunday Times, ging zum Tank Magazine, das sich quartalsweise mit Kultur, Mode, Architektur und
Musik beschäftigt. Wechselte zu Harper’s Bazaar, übernahm die PR-Leitung der Marke Joseph, war in alle Abläufe involviert und bekam
endgültig den „360-Grad-Blick auf die Branche“, wie sie mit ihrer rauchigen Stimme erzählt. Das würde schon reichen für eine gute
Karrierebilanz in der Fashionszene, doch für
Alex war das wohl eher ein „Warm up“.
Mit Ende 20 war ihr klar: „Ich eröffne mein eigenes Geschäft.“ Keinen Shop, eher eine Kreativebene, einen Showroom für den Lifestyle,
der ihr selbst nah ist. Und so betritt man in der
Londoner Walton Street in bester ChelseaNachbarschaft eine Art Apartment, eingerichtet mit (Verkaufs-) Objekten von Ettore Sottsass, Fotos von Robert Mapplethorpe oder David Bailey und einem üppigen Lüster aus dem
19. Jahrhundert. Dazwischen Kollektionen,
Bücher, Kosmetik. Der Prototyp für Berlin,
quasi. Und eigentlich Aufgabe genug, würde
man denken. Doch die umtriebige Britin, ge-
rade mal 31 Jahre, ist liiert mit dem Investor
Mark Wadhwa, unter anderem Mit-Besitzer
des Plattenlabels Vinyl Factory und auch der
Soho House Immobilie in Berlin. Nick Jones,
der Betreiber, ist sein Freund. Und da war diese riesige ungenutzte Fläche im Erdgeschoss.
Galerie, Fotostudio, Kino, Shop, Restaurant,
Büros – was macht man damit? So ähnlich
muss man sich die Gespräche zwischen den
kreativen Geistern Mark und Alex vorstellen.
Die Antwort: „Alles. Ein Experiment.“ Nun
pendelt Alex Eagle also zwischen London und
Berlin. Und es ist hoffentlich kein Zweckoptimismus, wenn sie schwärmt: „ Die Leute kommen nicht mehr nur, um Party zu machen.“
Lebensgefühl mit angeschlossener Kauflust: „The Store“ im
Soho House Berlin will mehr sein
als ein Geschäft - eher ein
Aufenthaltsraum für eine internationale „crowd“. Kinder und
Hunde sind willkommen.
Kaufen kann man auch alles,
unter anderem von oben nach
unten: Klamotten von Jonathan
Sounders, Kosmetik von REN
(den Tisch gleich mit),
Accessoires wie die Tasche
von Jil Sander, Ohrringe von
Delfina Delettrez
59
„Kleider, die unsere
Freunde sein wollen”
Dass experimentelle Mode
nicht immer ein Fall für’s
Museum, sondern durchaus
tragbar sein kann, beweisen
die Kreationen des jungen
Londoner Labels Trager
TRAGER DELANEY, OLIVER MARK, MONTAGE: ICON
Delaney. Mira Wiesinger hat
das Duo in Berlin getroffen.
Oliver Mark fotografierte
D
60
er Volksmund sagt: Gegensätze ziehen sich an.
Im schönsten Doppelsinn lässt sich dieses
Sprichwort auch auf Mode übertragen. Werden
Kleidungsstücke
doch
häufig erst dann interessant, wenn man sie
mit vermeintlich Unpassendem kombiniert.
Liest man den Beschreibungstext des jungen
Londoner Labels Trager Delaney, stolpert man
über eine Formulierung, die ähnlich widersprüchlich klingt: „functional luxury“. Funktionaler Luxus? Ist das nicht strenggenommen ein Paradoxon? Funktionales ist in der
Regel schlicht, schnörkel- und schmucklos.
Vor allem aber ist es zweckmäßig. Luxus hingegen ist per Definition ein kostspieliger, verschwenderischer, nicht notwendiger und nur
zum Vergnügen betriebener Aufwand.
„Funktionales und Luxus scheinen sich tatsächlich gegenseitig auszuschließen“, sagt
Kim Trager, die eine Hälfte des Designerduos,
„der Begriff Luxus verändert sich aber im Moment. Man konzentriert sich gerade auf das
Wesentliche – ob es nun um Einrichtung, Essen oder Mode geht. Und alle wollen doch nur
noch tragbare Mode kaufen. Nicht solche für
den Kleiderschrank.“ So entwerfen seine ehemalige Kommilitonin Lowell Delaney und er
seit 2012 Kleider für jeden Tag. „Kleider, vor
denen man keine Angst haben soll, die unsere
Freunde sein wollen“, so Delaney. Ihre Kollektionen würden sich vor allem durch Understatement und Qualität auszeichnen, was einen starken „Look“ nicht ausschließt. „Wir
sind nicht sexy oder glamourös. Alle Frauen,
die ich kenne, arbeiten in Büros und wenn sie
abends noch ausgehen wollen, dann ziehen
sie sich dafür nicht extra um. Unsere Kleider
sollen zu jeder Tageszeit funktionieren und
uns das gute Gefühl von Stärke und Eleganz
vermitteln, ohne dabei einzuengen“, erklärt
Delaney.
Wie das konkret aussieht? In der aktuellen
Frühjahr-/Sommerkollektion zeigt das Label
vom russischen Konstruktivismus inspirierte
Muster, zart Blau auf weißem Grund oder flächig in sattem Orange, Yves-Klein-Blau und
Grasgrün. Schaut man näher hin, erkennt man
in den Mustern kleine Figuren und Abbildungen von Nahrungsmitteln. Schaut man noch
genauer hin, dann auch den Einfluss der Häuser, bei denen die beiden Erfahrung gesammelt haben: Trager war unter anderem bei
Henrick Vibskov und Haider Ackermann, Delaney bei Céline und Sonia Rykiel.
„Wir haben für diese Kollektion in Richtung
Russland geschaut. Und zwar nicht auf das aus
den Nachrichten, sondern auf das echte Russland, die einfachen Leute vom Land. Wir haben uns vorgestellt, wie sie barfuß über die
Felder laufen, den Sommer auf dem Land verbringen, zurück zu den Wurzeln eben“, beschreibt Delaney die Inspiration der Kollektion. Und so sind auch die Schnitte reduziert, ja,
geradezu ländlich. Da gibt es lange, vorn
durchgeknöpfte Röcke, mit Kordeln geraffte
Bündchen, geknotete Blusen und Jacken.
2006 lernten sich Trager und Delaney, jeweils
29 Jahre alt, während des Studiums am renommierten „Central Saint Martins College of
Art and Design“ in London kennen. Beide waren sie dort gegen ihren Willen im Fach „Knitwear“ gelandet. „Am Central Saint Martins stecken sie dich einfach in den Kurs, von dem sie
glauben, dass er am besten zu dir passt“, erklärt Trager und verdreht genervt die Augen,
„wir wussten das vorher nicht, hätten natürlich lieber ‚Womens Wear’ studiert.“
Sie begannen also, zunächst aus Trotz, mit
dem Thema Strick experimentell umzugehen:
„Wir waren die Einzigen in der Klasse, die
überhaupt keine Lust auf Strick hatten, haben
Garne geschmolzen oder aus unkonventionellen Materialien gestrickt“, erinnert Delaney.
So sei ihre Obsession für Strukturen entstanden. Unterschiedlichste Materialien wie ge-
schorenen Nerz, Neopren, Nappa- und Rentierleder, Samt und Hightech-Textilien wie
„Kevlar“ oder Funktionsfasern der Firma
„Schoeller“ haben sie schon nebeneinander
verarbeitet. Gegensätzlichkeit also auch hier.
Am liebsten aber erzählen die beiden mit ihren Kollektionen abseitige Geschichten. Etwa
die von dem verwaisten Mädchen aus dem
Schwarzwald, das einen viel älteren Mann heiratet. Oder jene von dem skurrilen Teenager,
der von seinen Eltern zum letzten Mal mitgeschleppt wird in den Skiurlaub. Dort kombiniert das Mädchen die alten Kleider ihrer
Großmutter zur Hightech-Skigarderobe. Hört
sich auf Anhieb wild an, wirkt am Ende aber
doch stimmig. Das Geschichtenerzählen helfe
dem Duo auf den gleichen Pfad zu gelangen.
Denn auch sie seien letztlich sehr verschieden: Während Lowell Delaney in London groß
wurde und dort vor dem Studium Erfahrung
als Stylistin sammelte, wuchs Kim Trager auf
einem Bauernhof in Dänemark auf und verbrachte ein Jahr im „Gardehusarregimentet“,
im dänischen Heer zu Pferd.
Oft beginne das Brainstorming für neue Ideen
mit Erinnerungen aus der Kindheit. Da, wo es
Berührungspunkte gibt, beginnen dann die
Geschichten hinter den Kollektionen. „Wir
sind wie zwei Kreise, die sich überschneiden“,
veranschaulicht es Trager, indem er mit dem
Zeigefinger die geometrische Form auf dem
Tisch zeichnet, „aus der gemeinsamen
Schnittmenge entspringen die Inspiration für
unsere Arbeit.“
Trotz aller Andersartigkeit fände man eben
auch eine Menge Parallelen. Vor allem teile
man den selben Humor aber auch Kindheitshelden: den Basketballspieler Dennis Rodman
etwa oder den Skateboarder Tony Hawk. Sie
liebten beide die Fernsehserie „The Crystal
Maze“ und den Golden Retriever sowieso –
ganz recht, den ultimativen 90er-Jahre-Hund.
Klar, dass ihre Kleider irgendwie stets 90erJahre Appeal versprühen. Womit sie momentan nichts falsch machen können. Im Gegenteil, gehört ein gewisser Pre-Millenium-Chic
doch momentan zum guten Ton.
Es wundert also kaum, dass Trager Delaney
spätestens seit vergangenem Herbst, als sie
das erste Mal auf der Londoner Modewoche
ihre Kollektion präsentierten, auf der „Ones to
watch“-Liste der internationalen Moderedakteure stehen. Auch ihr Händler-Verzeichnis
lässt sich sehen: Edelboutiquen wie „Matches“, „Browns“ und „Joseph“ in London, zwei
Geschäfte in den USA und seit einigen Wochen nun auch der Conceptstore „The Store“
im Berliner Soho House führen das Label.
Ein rasanter Erfolg, von dem die beiden selbst
manchmal überrumpelt sind: „Wir hatten immer schon eine Menge Selbstvertrauen, trotzdem müssen wir uns hin und wieder hinsetzen und einfach mal durchatmen“, erklärt die
elfenhafte Delaney. So wie jetzt, als sie nebeneinander auf einem plüschigen Sofa sitzend
über ihre kometenhafte Karriere reflektieren.
Und sieht man die beiden dabei aufmerksam
an, kommt man nicht umhin, eine gewisse
Ähnlichkeit festzustellen: das rötlich-blonde
Haar, die hellblauen Augen, die beinahe
durchscheinende Haut. Kein Zweifel, Lowell
Delaney und Kim Trager, deren Geburtstag
nur fünf Tage trennen, sind Seelenverwandte.
„Ich glaube nicht an Astrologie“, sagt Trager,
„aber wir sind auf jeden Fall irgendwie miteinander verbunden. Trotz der unterschiedlichen Hintergründe. Aber vor allem machen
wir beide einfach gerne schöne Kleider.“ Kleider, die so sind, wie sie selbst: Freunde eben.
Lowell Delaney und Kim Trager sind nicht nur Geschäftspartner. Sie sind auch Seelenverwandte
61
R
unter anderen die Schauspielerin Patricia Arquette. Angesichts des Hollywood-Trubels, der
sie umgibt, überrascht der Mensch Rosetta
Getty: eine in sich ruhende, ehrliche und leise
Frau, die still nachdenkt bevor sie redet, ihre
Familie über alles schätzt und gleichzeitig mit
Leidenschaft ihre Modekarriere verfolgt.
Im vergangenen Jahr lancierte sie ihr eigenes
Label. Die Kollektion erinnert an die praktischen und sehr minimalistischen Designs, mit
denen einst Marken wie Calvin Klein oder
Donna Karan den guten Ruf der USA als Modenation etablierten: weite Silhouetten, neutrale Farben, gerade Schnitte, Layering. Teile,
die ebenso viel Ruhe ausstrahlen wie die Designerin selbst, und durch eine bis ins letzte
OLIVER MARC, MONTAGE: ICON; ROSETTA GETTY
osetta Getty führt alles
andere als ein durchschnittliches Leben. Sie
ist verheiratet mit Balthazar Getty, Schauspieler, Musiker und Urenkel des legendären amerikanischen Ölmagnaten und Industriellen John Paul Getty. Mit
seinen vier Kindern bewohnt das Paar ein Anwesen am Mulholland Drive in Los Angeles,
360-Grad-Blick auf den Pazifik und eine
Kunstsammlung mit Werken von Wolfgang
Tillmans bis Olympia Scarry inklusive. Die
Sommermonate verbringt die Familie meist
in Italien, zum engeren Freundeskreis zählt
Es bleibt in
der Familie
Sie ist Mutter von vier Kindern und trägt einen Namen,
der Türen öffnet. Mit ihrem Modeunternehmen beweist
die Amerikanerin Rosetta Getty jedoch, dass sie
niemand ist, der sich auf seiner Herkunft ausruht.
Schon der Kinder wegen. Silvia Ihring ist angetan
kuratierte Stoffauswahl beeindrucken. „Ich
bin ein echter ‚fabric geek’ und habe sehr viel
Zeit damit verbracht, die besten Stofffabrikanten auf der ganzen Welt aufzutreiben“,
sagt Getty. Ein flatterndes, knöchellanges Trägerkleid aus Seidensatin kann man – nein,
will man – von morgens bis abends tragen.
Umso mehr, wenn man wie Getty vier Kinder,
einen Ehemann, einen Job und gesellschaftliche Verpflichtungen miteinander verbinden
muss. „Ich denke viel darüber nach, wie ich
Mode entwerfen kann, die mir das Leben erleichtert. Die nicht an Saisons gebunden ist
oder an Tageszeiten.“
Die 45-Jährige führt das Label nicht, um sich
die Zeit zwischen Charity-Galas und KunstAuktionen zu vertreiben. Selbst ein ehemaliges Model hat sie zudem Modedesign studiert. Bereits zwei eigene Labels stehen in
ihrem Lebenslauf: Unter ihrem Mädchennamen Rosetta Millington entwarf sie Kindermode, die Marke Riser
Goodwyn stand für
Abendkleider. In beiden Fällen gab Getty
die Arbeit auf, um sich
auf die Familie zu konzentrieren. Aber die
Liebe zur Mode ließ sie
nie los. „Meine Mutter
würde sagen, dass ich
damit geboren wurde.“
Getty wuchs im Stadtviertel Silver Lake in
Los Angeles auf, ihre
Eltern lebten in einer
Kommune. „Sie waren
richtige Hippies. Spiritualität ist ein schwieriges Wort, aber in dieser
Gemeinde wurden Spiritualität und Liebe
sehr hoch gehalten. Es
waren offene Menschen, jeder durfte er
selbst sein. Ich glaube,
am Ende hat mir dieses
Umfeld eine gute Basis
mitgegeben.“ Diese Art
Kindheit verbinde sie
auch mit ihrem Mann,
den sie mit Ende 20
über
gemeinsame
Freunde kennenlernte.
„Wir hatten so viel gemeinsam, wir haben
uns gleich verstanden.“
Balthazar Getty wuchs
in San Francisco bei
seiner Mutter Gisela auf, die einst zur 68er Bewegung und der Clique um Rainer Langhans
gehörte und mittlerweile in München lebt.
Beide hätten sie außerdem in sehr jungen
Jahren angefangen zu arbeiten. Getty, die mit
sichtlicher Freude über ihre Kinder spricht,
möchte ihnen in dieser Hinsicht ein Vorbild
sein. „Gerade mit diesem Nachnamen hätten
sie viele Entschuldigungen, warum sie nicht
zu arbeiten bräuchten. Aber ich möchte ihnen
zeigen, dass, egal, was man tut, ob man Zuhause arbeitet, ein Hobby zum Beruf macht: Man
sollte eine Leidenschaft hegen, motiviert sein
und arbeiten.“ Man muss die Getty-Kids nicht
unbedingt um ihren Nachnamen beneiden.
Um ihre coole Mum schon eher.
V I S I T O U R NE W W E BS I T E A I G N E R M U N I C H . C O M
C E L E B R AT I N G 5 0 Y E A R S
Superhero-Qualitäten
hat „Light Forest“.
Das Leuchtensystem
von &tradition kann sich
endlos an Wand und
Decke verzweigen
DESIGN
Unaufdringlich,
flexibel, elegant: „Voilà“,
ein stummer
Diener von
Ivano Redaelli
Probier’s
mal mit
Persönlichkeit
Multiple Individuen lieben wir,
allerdings nur in Form von
Möbelstücken mit zweifachem
Nutzwert. Esther Strerath fand
schöne Beispiele
Kratz mich! „Dog“
von Soonsalon ist
gutmütig und ein
gut aussehender
Kratzbaum
Ein Frosch als Beuteltier: Hocker „Daisy“
von Petite Friture
S
Sie funktionieren nur im Team: Die fünf Elemente des Sideboards „Friends“ stützen
und halten einander, auf sich allein gestellt würden die einbeinigen Einzelteile umkippen. Die Idee, aus Freundschaft ein Möbelstück zu machen, hatte der Berliner Designer Mark Bendow (gemeinsam mit Albertine Baronius und Fine Böhm). Die niederländischen Produkt-Designer „Ontwerp-Duo“ erfinden mitunter Märchenhaftes
wie zum Beispiel einen Vogelkäfig als Schaukelstuhl oder das Leuchtensystem „Light
Forest“, das streng oder spielerisch durch Räume mäandern kann. „Wir dachten an
Kletterpflanzen, die in einen Raum dringen und langsam über Wände und Decken
wachsen und wie Blumen des Lichtes aufblühen“, erklärt Tineke Beunders.
Der Künstler Cléon Daniel zitiert mit seinem qietschgelben Billardtisch „Banana“ die
Pop-Art und spielt mit dem Spiel – in London fanden während des Design Festivals im
September vergangenen Jahres die ersten „Banana Pool“-Meisterschaften statt.
Es gibt Möbel mit Charakter! Ob der stumme Diener „Voilà“ von Ivano Redaelli, der sich
dank seiner zierlichen Glieder räumlichen Gegebenheiten anpasst oder die tierischen
Hausfreunde von Petite Friture, in denen man seine Füße vergraben kann, die Designs spielen mit den Erwartungen des Konsumenten, übertreffen sie, interpretieren sie neu, machen
Spaß. Und sie können was: Als der französische Grand Seigneur des Designs, Pierre Paulin
(1927-2009), in den 50er-Jahren Skandinavien entdeckte, fühlte er sich „wie ein Fisch im Wasser“. Er entwarft ein Daybed, das sich mit wenigen Handgriffen in eine Bank samt Ablagefläche
verwandelt und mit seinen bunten Kissen an ein Mondrian-Gemälde erinnert. Das New Yorker
Dreamteam Yabu Pushelberg, die zuletzt auch das Interieur des „Waldorf Astoria“ in Peking gestalteten, untersucht die Beziehung von Menschen, Möbeln und ihrer Umgebung – mit „Blink“
realisierten sie eine verschmitzt-elegante Möbel-Kollektion. Auch das: Teamwork.
Halb sitzt, halb liegt man – nein, eigentlich
schwebt man im Sessel „Mart“ von B&B Italia
Alles Banane?
Eben nicht.
„Banana Pool
Table“ von
Cléon Daniel
Harte Schale,
weicher Kern:
Drehstuhl „Leya“
von Freifrau
Was bin ich? Daybed? Sofa? Ablage?
Pierre Paulin für Ligne Roset
Keine Himmelsleiter,
sondern eine RegalSchreibtisch-Kombi von
Muller Van Severen
Alleine kippen sie um, gemeinsam sind die
Elemente stark: Sideboards „Friends“ von
Mark Bendow (über rmxinteriors.com)
Anlehnungsbedürftig:
Stableuchte
„T-light“ von
Roomsafari
Bank vom Baum: Designer Benjamin
Graindorge bringt Natur nach Hause
(über ymeretmalta.com)
Ein Hoch auf diesen
Schrank: KabinettStück von Yabu
Pushelberg (über
stellarworks.com)
ITEM-M6.COM
HIGH-TECH KOMPRESSION
LEICHTE, SCHLANKE BEINE
PERFEKTES SHAPING
MADE IN GERMANY
COMPRESS
TO
IMPRESS
DIE REV OLUTION A U S D ER
M E DIZI N FÜR D IE MOD E
GRENZERFAHRUNGEN
VIEL HIMMEL, VIEL PRÄRIE,
VIEL HITZE, VIELE PFERDE,
VIELE RINDER, WENIG MENSCHEN.
SO SIEHT’S AUS IN PRESIDIO
COUNTY, AN DER GRENZE
ZWISCHEN TEXAS UND MEXIKO. EIN
ORT, AN DEM DER TREND ZU
FRANSEN UND LEDER
NATURGEMÄSS BESONDERS GUT
ZUR GELTUNG KOMMT. BEREIT ZUM
AUFSATTELN?
FOTOGRAFIN: CLAUDIA GRASSL
STYLING: JULIA FREITAG
MODEL: POLINA C/O ONE
MANAGEMENT
HAARE/MAKE-UP: SHANE MODEN C/O
WALLFLOWER MANAGEMENT
PRODUKTION: GISELA BORGHI
FOTOASSISTENZ: DANIEL SIMPSON &
DOMINIC JONES
STYLINGASSISTENZ: DANIELA
SCHMITZ & MARC SPECOWIUS
66
Jeansjacke: Levi’s
(über mytheresa.com).
Vintage Sombrero:
Dolly Python (SecondhandLaden in Dallas)
67
68
Links: Auf „Dotty“ trägt
Polina Plisseerock und -Top,
einen Body mit Metallringen
besetzt sowie OverkneeStiefel. Alles von
Givenchy. Westerngürtel:
The Kooples. Armspangen:
Camille Enrico.
Diese Seite: Lederhose:
Sly 010. Spitzentop: The
Kooples. Fransenlederjacke
und Gürtel: Schacky.
Plateausandalette: Saint
Laurent. Armspangen:
Camille Enrico.
Lederstirnband:
Dolly Python Dallas
69
70
Bestickte Lederhose mit Fransen
und Seidenhemd von Pucci
71
Trägerkleid: Stella
McCartney. Fransenweste: Sly 010.
Body mit Metallringen:
Givenchy. CowboyKrawatte:Theaterkunst.
Socken: Prada. Mules:
Christian Louboutin.
Clutch: Saint Laurent.
Armschmuck und Ring:
Camille Enrico
72
Kleid: Dolce & Gabbana.
Overknee-Stiefel:
Givenchy. Armreifen aus
Leder (rechter Arm):
Saint Laurent.
Der restliche Schmuck ist von
Camille Enrico. Langer Ohrring: Dolly Python Dallas
73
74
Bestickter Ledermantel
und -Trägerkleid
mit Fransensaum:
Valentino. Gladiatorsandalen: Pucci. Ohrringe:
Camille Enrico. Lederkette: privat. Goldener
Haarkamm: Uriel Salas
75
ASPHALT-COWGIRLS
Armfreiheit: Das Kleid ist aus der
„Devided“-Kollektion von H&M
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Handlich: Clutch von Valentino
über mytheresa.com
ZUSAMMENGE
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Elegante All-overFransen: Jäckchen
von Brunello Cucinelli
Franstastisch!
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In der kommenden Saison ist es
ausdrücklich erlaubt, sich mit
Für die Western-Lady:
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Wildlederjacke von Ikks
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seinem Look zu verfransen.
Zumal es einfach Spaß macht,
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Accessoires munter Fransen
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Für die GroßstadtIndianerin: Stiefel von Etro
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L ed er ja ck e vo
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unterstreichen – eine fröhliche
Flotte Flechtung:
Fransen-Tasche
von Tory Burch
Heitere Heels: Die Peep-Toes
sind von Christian Louboutin
Stark er Strei fen: Die Tasch e im Boho Chic ist von Salva tore Ferra gamo
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An einem sonnigen Montagmorgen in ihrem
Studio in Mailand entschlüpft der Taschendesignerin Paula Cademartori ein Gähnen. „Bitte entschuldige, ich funktioniere erst nach
dem achten Kaffee so richtig“, sagt sie und
schaut auf das leere Espresso-Tässchen, das
vor ihr auf dem Tisch steht. Die Designerin
mag vielleicht noch mit Müdigkeit kämpfen,
doch direkt neben ihr befindet sich in einer
Regalwand der Beweis dafür, dass man es mit
einem sehr wachen Geist zu tun hat. Hier reihen sich die Taschenmodelle aus ihrer neuen
Frühjahr- und Sommerkollektion aneinander. Viereckige Henkeltaschen, Clutches und
Shopper, die so gute Laune machen wie das
Obstsortiment auf einem italienischen
Marktstand. Sie sind bestickt mit Lederpatches in verschiedenen geometrischen Formen und Farben von Blassrosa über Vanille
bis Papaya-Orange, verziert mit kleinen Nieten, Federn, Lochmustern und sichtbaren
Nähten. Auf jedem Modell glänzt eine große
Schnalle in der Form des Buchstaben „Pi“ –
das wichtigste Markenzeichen von Paula Cademartori.
Die 31-Jährige entwirft die auffälligsten Taschen der Branche. Seit der Gründung ihres
Labels 2010 hat sie sich vom Nachwuchstalent
zum Innovator der Mailänder Accessoire-Szene entwickelt – und das auch noch als Brasilianerin. 166 Stores weltweit führen ihre Kollektionen, 2014 erwirtschaftete sie mit ihren
14 Mitarbeitern einen Umsatz von 2,2 Millionen Euro. Ein immenser Erfolg für ein
Newcomer-Label. Die Taschen sind mutig gestaltet und werden in Italien in gut 32 Stunden Handarbeit pro Stück hergestellt, das
hilft beim Überleben im gesättigten Markt
der Luxus-Accessoires. Wirklich abheben
von allen anderen tun sich die Objekte durch
ihre Malkasten-bunten Designs – und diese
Individualität überzeugt Kundinnen heute
davon, bis zu 2000 Euro für ein Modell zu bezahlen.
„Ich glaube, Frauen kaufen schöne Schuhe,
um von Männern gesehen zu werden. Mit Taschen wollen sie jedoch Frauen beeindrucken“, sagt Cademartori. Die Tochter einer
Ärztin und eines Unternehmers studierte Industriedesign in ihrer südbrasilianischen
Heimatstadt Porto Alegre. Ihren Abschluss
machte sie ein Jahr früher als ihre Kommilitonen – und mit 21 Jahren erklärte sie ihren
Eltern, dass ihre Zukunft nur in Italien liegen
könne. „Für mich ist es das einzige Land, das
Luxus und Accessoires auf hohem Niveau
herstellen kann.“ Sie schrieb sich am Modeinstitut Marangoni für einen Master in Accessoire-Design ein. „Ich wusste von Anfang an:
Ich bin Brasilianerin, hier kennt mich kein
Mensch. Also muss ich die Beste sein, wenn
ich vorwärts kommen will.“ Nach acht Monaten und vielen Nächten mit nur drei Stunden
Schlaf schloss Cademartori den Master mit
dem Prädikat „Magna Cum Laude“ ab. Es folgte ein Job in der Accessoire-Abteilung von
Versace. Cademartori lernte das System eines
internationalen Modeunternehmens kennen
– und dessen Grenzen. Als sie am Nachwuchs-
wettbewerb der italienischen „Vogue“ teilnehmen wollte und ihr Arbeitgeber es ihr untersagte, kündigte sie die Stelle. Sie entwarf
eine Schuhkollektion für den Wettbewerb
und ein Jahr später debütierte ihre Taschenlinie. Cademartori ging von Boutique zu Boutique um ihre Kollektion vorzustellen, fertigte Kontaktlisten der wichtigsten Einkäufer
und Journalisten an und telefonierte sich
durch: „Buongiorno, hier spricht Roberta, die
Assistentin von Paula, darf ich Ihnen ein
Lookbook schicken?“, äfft die Designerin mit
Mädchenstimme nach, wie sie sich damals als
ihre eigene Assistentin ausgab. Sie lacht und
wirkt plötzlich sehr bewegt. „Ich habe so viele
‚Neins’ gehört, du kannst es gar dir nicht vorstellen.“
Eine sagte sofort ja. Die Stylistin Anna dello
Russo gehörte zu den ersten Fans, die während der Modewochen die Kameras der
Streetstyle-Fotografen auf Cademartoris Taschen lenkte. Von da an stand dem Erfolg des
Labels nichts mehr im Weg. „Es gibt zwei
Möglichkeiten, wie man mit Problemen umgeht: mit guter oder mit schlechter Laune.“ Es
steht außer Frage, für welchen Weg Paula Cademartori sich entschieden hat. Silvia Ihring
Geht meist mit zwei Taschen aus
dem Haus: Paula Cademartori
www.juvia.com
CAPARA
80
Die Designerinnen Vera und Olivera Capara
UNTERWEGS
Vorteil Antwerpen
In den vergangenen Jahren hat die Stadt Modeschöpfer hervorgebracht, die zu
Legenden aufgestiegen sind. Nun profiliert sich eine neue Generationen junger
Designer. Heike Blümner traf sie, Charlie de Keersmaecker fotografierte
E
Es gibt viele Möglichkeiten, dem Lebensgefühl der
Antwerpener auf die Spur
zu kommen. Der berühmteste Modedesigner der
Stadt, Dries van Noten,
schickt Besucher dazu gerne in die Vergangenheit. Im Museum PlantinMoretus geht es an die Wurzeln des Großbürgertums der Handels- und Hafenstadt. In dem
Gebäudekomplex aus dem 16. Jahrhundert befindet sich sowohl die älteste erhaltene Buchdruckerei der Welt als auch die Privatgemächer einer Verlegerfamilie aus dem 19. Jahrhundert sowie ihre Bibliothek und Kupferstichsammlung. In einer Art historischem
Destillat lässt sich besichtigen, worauf die
Antwerpener bis heute stolz sind: auf ihren
Innovationsdrang, ihre Weltoffenheit und ihre Schöngeistigkeit zum Beispiel.
Doch vor der Tür des Plantin-Moretus sieht es
ganz anders aus. Der Vrijdagmarkt ist von
kleinen Cafés umrundet, bei schönem Wetter
sitzen leicht bekleidete Menschen entspannt
in der Sonne. Dazwischen liegt eine der besten Second-Hand-Boutiquen für lokale Herrendesignermode. Jeden Freitag treffen sich
hier zudem die Schnäppchenjäger der Stadt,
um bei der Versteigerung von so gut wie wertlosen Überbleibseln aus Wohnungs- und Geschäftsauflösungen doch noch ein Kleinod zu
ergattern. Dann türmt sich auf den Pflastersteinen das Gerümpel – und auch für vornehme Zurückhaltung ist kein Platz mehr. Alle
überschreien sich gegenseitig.
Antwerpen ist eine Stadt mit vielen Widersprüchen, die oft gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit miteinander harmonieren. Die
„Skyline“ der Stadt, bestehend aus drei Gebäuden, bestätigt diesen Eindruck: Da steht die
Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert neben
einem Art déco-Bankenturm à la Gotham City
und dem brutalistischen Polizeigebäude, das
an einen hochgeschossenen Bunker erinnert.
Im standesgemäß angeschmuddelten Bahnhofsviertel wird in Hochsicherheitsgebäuden
ein Großteil des weltweiten Diamantenhandels abgewickelt.
Ob Antwerpen eher eine Groß- oder doch
eine Kleinstadt ist, darüber scheiden sich die
Geister. Offiziell hat die Stadt eine halbe Millionen Einwohner. Außenbezirke großzügig
eingerechnet. Die Antwerpener selbst reden
sich jedoch eher klein. Höchstens die Hälfte
der Einwohner wollen sie dem relevanten
Kern der Stadt zugestehen. Understatement
gehört hier offenkundig dazu. Internationale
Aufmerksamkeit holt sich die Stadt ohnehin
jede Saison aufs Neue ab. Das „Fashion Flanders Institute“ (FFI) spuckt seit den 80er-Jahren immer neue Generationen an Designern
aus. Es begann mit den „Antwerp Six“, zu denen Dries van Noten, Walter Van Beirendonck
und Ann Demeulemeester gehören. Raf Simons, Chefdesigner von Christian Dior, hat
ebenfalls am „FFI“ studiert und lebt trotz
Weltruhm und französischem Arbeitgeber
nicht in Paris, sondern immer noch hier. Und
in van Notens „Het Modepaleis“ oder Dirk van
Saenes „DVS“-Boutique pilgern Einheimische
genauso wie japanische Hipster.
Einer, der den Aufstieg Antwerpens zum Modezentrum mitverfolgt hat und inzwischen
selbst zu den Protagonisten zählt, ist der deutsche Designer Stephan Schneider. Schon in
den 80er-Jahren fuhr er von Duisburg mit seiner Vespa hierher, weil es dort damals schon
einiges mehr zu sehen gab als in Duisburg
oder der Modestadt Düsseldorf: Yamamoto
hatte in Antwerpen einen Flagshipstore genauso wie Vivienne Westwood, und auf den
Straßen spazierten Menschen umher, die sich
von Kopf bis Fuß und mit großer Sorgfalt diesen neuen Kleidungskonzepten widmeten.
Heute verfolgt Schneider, der zwischenzeitlich auch als Professor an der Berliner Universität der Künste lehrte, sein eigenes Konzept.
In einer Gasse mitten in Die Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert ist
der Innen- eines der Wahrzeichen Antwerpens
stadt besitzt
er sein eigenes, handtuchschmales Haus aus dem 17. Jahrhundert. Sechs windschiefe Etagen werden
nur durch eine halsbrecherische Treppe verbunden, die Schneider leichtfüßig hoch und
runter läuft. Hier hat er seit 1996 sein Büro,
von dem aus seine Kollektionen in die ganze
Welt verschickt werden, und seine eigene
Boutique. Bekannt ist Schneider für seine geradlinigen Silhouetten in gedeckten Farben,
gern akzentuiert durch saisonale Prints. Die
aktuelle Sommerkollektion heißt „smells like
soft“ – und neben weichen fließenden Kleidungsstücken in Blau- und Grautönen werden
die Looks von goldfarbenen ParfumflakonPrints eingerahmt. Strick-Pullover und Jacken werden seit jeher in Antwerpen von
einer älteren Dame vom Fach handgefertigt.
Der Deutsche hat sich bestens assimiliert,
denn in Belgien steht Qualität über allem:
„Das ist das Tolle an Antwerpen, dass Mode
und Handwerk hier generationsübergreifend
als Wert geschätzt werden“, sagt Schneider.
„Und wir sprechen hier nicht von Mode als
Luxus- oder Labelfetischismus.“ 3
81
82
3 Äußere Signets sucht man bei den meisten
belgischen Designern vergeblich. Die Botschaft von Exklusivität ist subtiler und eher in
der Verarbeitung, den kunstfertigen Prints,
den Materialien oder dem Nahtverlauf zu finden. „Es gibt nicht einen Stil, aber eine gemeinsame Einstellung“, sagt Tim Van Steenbergen, Modemacher, Kostümbildner und
ebenfalls Absolvent des FFIs. „Kreativität ist
unabdingbar“, so Van Steenbergen, „aber darauf folgt immer der zweite Schritt, nämlich
sie so zu lenken, dass die Kleidung tragbar
wird.“ Während van Steenbergens Kollektionen kommerziell orientiert sind, kann er sich
in seinem zweiten Berufsfeld austoben, dem
Kostümdesign. Beim Besuch sitzt er im Backstagebereich des Antwerpener Stadttheaters,
wo er gerade die Kostüme für ein Kinderstück
vorbereitet. Vor ihm liegen Federn, Perlen
und Spielzeugsoldaten. Auf den Kleiderstangen drängen sich die Outfits für menschlichanimalische Hybridwesen – alle von ihm
selbst entworfen. Van Steenbergen war auch
für die Kostüme von Daniel Barenboims Inszenierung des „Ring der Nibelungen“ verantwortlich und hat in der Scala und in der
Staatsoper Unter
Das „Museum am Fluss“ wacht über den Linden geardie Gentrifizierung im Hafenviertel beitet. Seine Modelinie aber hat er
ganz bewusst für den belgischen Markt aufgebaut, seine Schauen finden nicht in Paris, sondern beispielsweise im Rathaus von Antwerpen statt. Diese „stabile“ Herangehensweise
und ein gutes Maß an „Bodenständigkeit“ seien sein Erfolgsrezept, sagt der Designer.
Wer erleben möchte, wie Antwerpen vom Boden in den Himmel wächst und handstreichartig
Stadtentwicklungsgeschichte
neu
schreibt, sollte sich Richtung Hafenviertel begeben. Bis vor wenigen Jahren noch eine der
räudigsten Gegenden der Stadt, entsteht hier
derzeit eine Art belgische Hafencity: Lofts
und Neubauapartments werden im großen
Stil hochgezogen, in die ehemaligen Spelunken und Hafengebäude sind kleine Läden und
Cafés eingezogen. Etwas weiter draußen baut
Zaha Hadid ein riesiges Gebäude, das noch
hinter Baugerüsten versteckt ist, und in der
ehemaligen Anlaufstelle für Tagelöhner residiert nun eines der exklusivsten Restaurants
der Stadt, das „Cielo“. Statt Henkelmann
kommt jetzt Wolfsbarsch in Muschels0ße auf
den Tisch. Über allem thront der 60 Meter hohe dekonstruktivistische Neubau des „Museum am Fluss“: Von dessen Aussichtsterrasse
bekommt man einen noch besseren Überblick über die Wucht dieser Sanierungswelle.
Im Stadtteil Seefhoek hingegen ist von Gentrifizierung bisher noch nichts zu sehen. Die
Voraussetzungen dafür scheinen allerdings
ideal: Hier treffen die zahlreichen Einwanderer der Stadt – angeblich leben in Antwerpen
mehr Nationalitäten beieinander als in New
York – auf eine junge Künstlerszene. Restaurants und Imbisse der unterschiedlichsten
Küchen, blinkende Spätkäufe, Lebensmittelmärkte und Friseure reihen sich aneinander. Dazwischen liegt das „Atelier Solarshop“. In diesem alternativen Mini-Concept Store werden neben den Accessoires
der Kleinstlabels „Hui Hui“ und „Daniel Andresen“ vor allem Vintage-Designobjekte verkauft. Im Zentrum stehen jedoch die Kollektionen von Jan-Jan Van Essche.
Der gebürtige Antwerpener ist selbst in diesem nicht reizarmen Umfeld eine Erscheinung. Er trägt Schichten von schwarzen Gewändern und sein Haar ist zu einem imposanten Turban aus Dreadlocks drapiert. Damit ist
er selbst ein wandelnder Repräsentant seines
eigenwilligen Stils. Er verfolgt das, was man
heute einen ganzheitlichen Ansatz nennt:
„Wir spinnen die Wolle, wir stricken und weben selbst“, sagt Van Essche. In seinem Studio
– im Zentrum steht eine weitläufige Kochund Esszeile, die so aussieht, als wäre sie im
Dauereinsatz – steht unter anderem ein großer Webstuhl. Hier lebt und arbeitet er.
Van Essches Teile in Schwarz- und Grautönen
sind weit und locker geschnitten: „Es interessiert mich, wie man Luft und Stofflagen so
einsetzt, dass sie das Optimum an Offenheit
und Komfort bieten“, sagt Van Essche. Und obwohl seine Kollektionen und Modeprojekte
für den Herren deklariert sind, sind die meisten Sachen vom Prinzip her unisex. So verwandelt sich ein weites, fast schon kaftanartiges Herrenhemd an Frauen in ein strenges,
elegantes Kleid: „Ich biete Teile, die die Leute
selbst interpretieren können.“ Mit seiner
Ästhetik ist er unter den jüngeren belgischen
Designern derzeit sicher der radikalste.
Leichter und luftiger geht es bei Christian
Wijnants zu. Er ist auf Expansionskurs. Seitdem ein lokaler Investor bei ihm eingestiegen sei, liefen die Geschäfte besser denn je,
sagt er. Konzentriert sitzen mehr als ein Dutzend Mitarbeiter in der offenen Etage eines
Bürogebäudes über ihrer Arbeit. Die aktuelle
Sommerkollektion hat tropische Anleihen: Es
gibt Blättermustertexturen, beschichtetes
Leinen und auch Latex kommt zum Einsatz.
Wijnants schätzt einen Look, „der wie nach
einem Regenguss in den Tropen“ daherkommt. Einige Kleider, Bolerojacken und
Oberteile sind aus zerrissener Seide gestrickt
worden. Grün-, Blau und Rosatöne dominieren. Wijnants’ nächstes großes Vorhaben ist
eine eigene Boutique in Antwerpen. Er, der
eigentlich aus dem französischen Teil Belgiens stammt, sieht die Stadt als den idealen
Standort: „Es gibt eine hohe Lebensqualität
und sowohl Paris als auch Amsterdam sind
innerhalb kürzester Zeit zu erreichen.“ Und:
„Hier gibt es nicht nur viele Designer, die als
Vorbilder taugen sondern auch echte Modekonsumenten.“
Genug Platz, bezahlbare Mieten und ein interessiertes, kaufkräftiges Umfeld. Alle Designer
beschwören stets diese Standortvorteile. So
auch die Zwillinge Vera und Olivera Capara –
geboren in Bosnien, aufgewachsen bei Stuttgart, ausgebildet am FFI. Sie arbeiteten unter
anderem bei Dries van Noten als Designassistenten, später für die Artisanal Line von Margiela und für Raf Simons bei Jil Sander: „Als
wir nach Antwerpen kamen, fühlten wir uns
wie früher die Einwanderer in Amerika. Alles
schien möglich“, erzählt Vera – in dieser Umgebung klingt ihr schwäbischer Singsang exotisch. 3
CHRISTIAN WIJNANTS
Der Designer Christian Wijnants und ein
Look aus seiner Sommerkollektion (oben);
Kollektionsteile in Arbeit (rechts)
VAN STEENBERGEN
Tim Van Steenbergen ist Modedesigner und
Kostümbildner
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JAN-JAN VAN ESSCHE
Die Kollektionen
von Jan-Jan Van
Essche gibt es im
„Atelier Solarshop"
im Stadtteil Seefhoek
zu kaufen
STEPHAN SCHNEIDER
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Der Duisburger Stephan
Schneider verbindet
belgisches Qualitätsempfinden
mit klaren Formen. Ein Look aus
der aktuellen Sommerkollektion
(rechts)
3 Die Schwestern gründeten 2009 ihr eigenes Label „Capara“. Diesen Januar zeigten sie
zum ersten Mal ihre Kollektion auf der Berliner Fashion Week. Bei Capara dreht sich alles
um Mäntel und Jacken. Gedacht und entworfen wird von den Schultern abwärts. Die elaborierten Stücke, teilweise mit aufwendigen
Prints und Siebdruck, sind eine Art Multifunktions-Couture. Sie lassen sich als lässig
übergeworfene Mäntel zu Jeans und Turnschuhen genauso tragen wie mit High Heels
und Gürtel als Kleid: „Wir entwerfen für Frauen wie uns, die viel arbeiten, aber auch ab und
zu repräsentieren müssen“, sagt Vera.
Es ist Abend geworden in Antwerpen. Und die
Frage Groß- oder Kleinstadt fällt
um diese Zeit recht eindeutig
aus: Ab halb sieben ist hier nur
noch wenig los. Wer bis dahin
seine Mode-Einkäufe nicht
beisammen hat, kann danach
nur noch seinen Magen in
einem der spannenden Restaurants der Stadt füllen. Das
Nachtleben ist ebenfalls sehr
überschaubar. Aber derartig
gut gekleidet und gesättigt,
ist der Antrieb für derlei Aktivitäten sowieso eher gering. Oder wie Vera Capara
sagt: „Es ist toll hier zu leben, weil das Wetter oft
etwas grauer und es insgesamt ruhiger ist. Da ist
man nicht so abgelenkt.“
ACCESSOIRES
Belgische Kleinigkeiten
Das Königreich spricht viele Sprachen. Auch die der Mode ist hier eine mit vielen
Akzenten. Mal laut, mal leise, aber immer mit eigenwilligen Ausdrucksformen
Vielschichtig: Taillengürtel von Maison
Martin Margiela über net-a-porter.com
Wenn es mal so richtig knallen darf und soll:
sonnengelbe Clutch von Delvaux
Durchblick an goldenen Diventagen: Sonnenbrille von theo by Tim Van Steenbergen
Königsblau und steinreich: Ring mit eingefasstem Mineralstein von larafrankl.be
Mockingjay? Revolutionär schön ist es
allenfalls: Medaillon von Heaven Tanudiredja
Sündig-rot im sommerlichen Disco-Fieber:
Metallic-Sandale von Dries Van Noten
Wir klopfen auf Holz: Tasche mit Goldkette von nelemaroquinerie.com
Ziemlich bunt getrieben und handgewebt:
Patchwork-Schal von Monsieur Maison
Für erwachsene Lolitas: Rucksack
mit Schleife von Niels Peeraer
ZUSAMMENGESTELLT VON LINDA LEITNER
Von Meerjungfrauen
emporgehoben:
Brosche von 21-12.be
Läuft – wenn auch
weit oben: PlateauSandalette von
emmanuellelebas.com
The Bling Swing Ring: goldener Ring mit
Diamanten von Kim Mee Hye
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CARUSO (11); MONTAGE ICON
Männer weltweit nach italienischen Maßstäben gut einzukleiden –
das ist das Anliegen, das Caruso-Chef Umberto Angeloni hat
S
paghetti mit Tomatensoße. Umberto Angeloni verleiht den
drei Worten eine beinahe sakrale Tiefe, indem er sie so leise
ausspricht, dass man genau zuhören muss. Sein markanter
Schädel lugt am Tisch im Halbprofil aus dem gestreiften blauen Dreiteiler hervor, die Lippen umspielt der
Anflug, eher der Anflug eines Anflugs eines
Lächelns. „Spaghetti pomodoro e basilico“.
Darüber lohne es sich nachzudenken. Die
schwere Tischdecke, die livrierten Kellner,
das ganze Edelholz im Speisesaal des „Four
Seasons“ in der Mailänder Via Gesù passen, so
denkt man zunächst, zu seinen Worten wie
Trüffel auf einen Hotdog. Aber dann erzählt er
folgende Geschichte: Als Mann, der viel in
Asien unterwegs sei, suche er dort ab und an
ein italienisches Restaurant auf. Die Küchenchefs präsentierten ihm dann Fisch, Fleisch,
ausgefallene Spezialitäten des Hauses. „Aber
das will ich nicht“, sagt er, man hört es kaum.
„Ich will Spaghetti mit Tomatensoße. Das
Schlichteste. Aber es ist so schwer, die wenigen Zutaten ins optimale Verhältnis zu setzen.“ Viele Lokale hätten sie gar nicht mehr
auf der Karte. Da gehe er dann nicht mehr hin,
flüstert Angeloni und nimmt eine Gabel Spaghetti von seinem Teller im „Four Seasons“. Die
Portion ist ihm zu groß: „Wer soll das bloß alles essen?“ Das dazu.
Auf die Frage, wie man im Luxusgeschäft für
Männer besteht, gibt es zwei Antworten: Die
einen glauben, dass bisher Moden und Trends
eine zu geringe Rolle gespielt haben. Deswegen solle sich nun auch bei den Herren die
Einsicht durchsetzen, dass Saison für Saison
etwas Neues her muss. Die anderen denken,
dass die kaufkräftige Kundschaft nach wie vor
eher die behutsame Evolution bevorzugt:
Neue Looks und technische Neuerungen gern,
aber erst, wenn sie wirklich ausgereift sind.
Es ist wohl überflüssig zu sagen, welcher
Schule Umberto Angeloni angehört. Bevor er
vor gut fünf Jahren Chef des Labels Caruso
wurde, stand er mehr als 15 Jahre lang Brioni
vor und verhalf dieser Marke bis zur Trennung 2007 an die Weltspitze. Unter seiner
Ägide gelang den Römern das Undenkbare:
Von 1995 bis 2006 trug der Brite James Bond
einen italienischen Anzug. An der Londoner
Savile Row, wo man dem Selbstverständnis
nach handwerklich den Italienern noch immer voraus ist, und wo Angeloni gelegentlich
beim Haus Henry Poole arbeiten lässt, sprechen sie voller Respekt von ihm.
Wer ihn trifft, merkt schnell, warum. In einer
Welt, die etliche Großsprecher kennt, beschäftigt sich der 62-Jährige leise mit jedem
Detail. Fragt man ihn nach den Knopflöchern
seiner Anzüge, erhält man die Antwort: Handgefertigt, pro Stück 18 Minuten Arbeitszeit,
die Konkurrenz brauche zwischen 12 und 15
Minuten. Die drei Minuten mehr lägen am besonders elastischen Seidenfaden, der schwer
zu greifen sei; dazu sehe ein Caruso-Knopfloch hinten beinahe aus wie vorn.
Der Zuschnitt? Lange stand die Branche vor
dem Problem, dass Maschinen, die mit Laser
arbeiteten, nur sehr viele Stofflagen übereinander durchtrennen konnten. Das ging auf
Kosten der Präzision. Nun haben sie bei Caruso ein Modell eingeführt, das auch zwei Lagen
präziser als die Hand schneidet. Deshalb fließt
Angeloni zufolge bei Caruso mit 15 Stunden
weniger Zeit in einen Anzug als bei manchem
Konkurrenten – große Maßschneider rechnen ab 50 Stunden aufwärts für einen Zweiteiler; diese gesparten Kosten könne er ohne
Qualitätsverlust an den Kunden weitergeben,
IMMER MANNHAFT BLEIBEN
Mit der Evolution
gegen den Strom
Die Herrenmode wird immer rasanter. Das ist ihr gutes
Recht. Caruso-Chef Umberto Angeloni widersetzt sich
dem ganz bewusst. Philip Cassier aß mit ihm sehr
lange zu Mittag – und glaubt nun fest an leise Italiener
sagt Angeloni in seinem leisem, perfekten
Englisch und nippt vollendet am Sauvignon.
In der Via Gesù – einer Straße, die sieben exklusive Labels, zwei Maßschneider und drei
Schuhmacher für Herren beheimatet – hat
Caruso im Januar zur Modewoche einen neuen Flagshipstore eröffnet; übrigens genau neben Brioni. Das Geschäft sieht aus wie der
Backstage-Bereich einer Oper, viel Luft und
warmes Holz, der Kunde soll sich als Darsteller fühlen. Es hat gedauert, bis das möglich
war, länger als Angeloni kalkuliert hatte, als er
bei Caruso begann. Es war die Zeit unmittelbar nach der Finanzkrise – und er, der studierte Ökonom, war erstaunt. Darüber, wie viele
Labels sich gerade jetzt dazu entschieden, auf
mehr Mode zu setzen; in einem Moment, als
bei den Konsumenten weniger Geld zur Verfügung stand. Er jedenfalls entschied sich, bei
Caruso von Anfang an genau ein Konzept konsequent zu verfolgen: Bekleidung für den
„Good Italian“ herzustellen. Der Titel einer
der letzten Geschichten Ernest Hemingways
gebietet es, nicht lange darüber zu sinnieren,
was Russen, Araber oder Chinesen für guten
italienischen Stil halten, sondern die gebildete, kosmopolitische Elite Italiens selbst. Es ist
gut vorstellbar, dass ein so langfristig angelegtes Unterfangen bei einem weltweit präsenten
Unternehmen wie Caruso seine Zeit braucht.
Brioni dagegen hatte sich bald nach Angelonis
Abgang nicht ohne Erfolg entschieden, den
Modeaspekt ernster zu nehmen und durch
große Produktvielfalt auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. Ausdruck davon ist
zum 70-jährigen Jubiläum die Tatsache, dass
man seit Langem wieder eine Schau in Mailand zeigte. 55 Looks zu harten Beats in acht
Minuten, für die man das mächtige Stadtschloss mietete. Der Designer Brendan Mullane zitierte, bemüht um eine Aussöhnung von
Tradition und Moderne, besonders bei den
Mänteln für den Winter 2015/16 die Tradition
der Spanischen Hofreitschule Wien. Hoch
aufgeschlossen und sehr tailliert ging es auch
bei den Jacketts der Anzügen zu, die wieder
längere Rockschöße ausweisen. Aber auch
farbenfrohe Pullover und kurze Lederblousons waren zu sehen. In ihrem Flagshipstore
in der Via Gesú haben die Römer eines der
drei Stockwerke für diese legerere Freizeitlinie reserviert. Ebenfalls auf jüngere Käufer ist
das riesige Display im VIP-Raum ausgerichtet. Hier wird der Kunde digital vermessen
und kann sich dreidimensional ansehen, wie
der Anzug in seinem Stoff aussehen wird.
So etwas wird man bei Caruso unter Angeloni
vergeblich suchen. Es widerspräche seiner
Vorstellung von Evolution. Er sitzt nun im
„Four Seasons“ vor seinem Espresso, der Anzug sieht selbstverständlich so makellos aus
wie vor dem Essen (wie
geht das?). Nein, sagt er
entschieden und noch
ein bisschen leiser, Dinge wie ultrakurze Jacketts, wie sie in den vergangenen Jahren überall
zu sehen waren, hätten
doch nichts mehr mit
Balance zu tun. Einerseits habe sich der
männliche Körper verändert, weg vom gedrungenen Arbeiter hin
zum hochgewachsenen, mehr oder minder
trainierten Büromenschen. Um ein genaues
Bild zu bekommen, ließ Angeloni sogar Tausende Männer für sein Herzensprojekt Uman,
ganz blauer Herrenkleidung gewidmet, elektronisch vermessen. Nun hat er für Beine,
Brust und Schultern Lösungen, die seinen Ansprüchen genügen. Das Ergebnis lässt sich in
der Via Gesù betrachten.
Bestimmte Dinge aber, erläutert Angeloni
zum ersten Mal vernehmlich atmend, könne
man für eine gelungene Silhouette nicht außer Kraft setzen. Und dazu gehöre eben, was
angelsächsische Schneider seither mit den
Buchstaben CYA abkürzen (für alle, die nicht
ganz so bewandert sind wie Angeloni: Die Lettern stehen für „Cover your arse“. Zu Deutsch:
„Bedecke deinen Arsch“). Wohl deswegen gibt
es bei Caruso auch keinen Designer, sondern
einen Lifestyle Director namens Sergio Colantuoni. Der stellte die Kollektion für den
nächsten Winter unter das Motto Reisen. Und
folgte der Idee, dass derjenige, der von einer
Reise zurückkehrt, nicht mehr derjenige ist,
der aufbrach. So steht Angeloni bei der Präsentation in seinem blauen Anzug zwischen
am Bund hohen Flanellhosen, Mänteln aus
Harris Tweed – Caruso arbeitet nicht ausschließlich mit italienischen Stoffen – zwischen Capes, Persianern und Kreidestreifen
und spricht leise. Über neue Flagshipstores –
den in New York, den es schon gibt, und den in
Deutschland, der kommen soll. Über das Qualitätsversprechen Made in Italy. Und auch darüber, dass es in Sachen Bekleidung ein Äquivalent zu Spaghetti mit Tomatensoße gebe:
„Wenn Sie wissen wollen, wie gut ein Label
ist, lassen Sie sich einen Anzug aus Gabardine
zeigen“, sagt er mit dem Anflug eines Anflugs
eines Lächelns. „Ein unscheinbarer Stoff, der
unglaublich schwer zu verarbeiten ist.“
Er wird geahnt haben, dass wir im Geschäft
nachsehen – hat Store-Manager Pino Faraone
nicht sogar ein wenig unter seiner Glatze gefeixt? Egal. Sechs Stücke hängen auf der Stange. Und es ist zum Verzweifeln: Es gibt nichts
zu bemängeln. Einfach gar nichts.
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BEWARE OF ANGEL S
G E O R G I A M AY J A G G E R
E R FA H R E N S I E M E H R Ü B E R
I H R PA R F U M A U F M U G L E R . C O M
BEAUTY
STILISTEN
HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT
„Bunt
ist meine
Lieblingsfarbe“
WUNSCHKONZERT
Als Kind wurde mir erklärt, dass
jede ausgefallene Wimper,
vorausgesetzt sie wird vorsichtig
gen Himmel gepustet, für einen
freien Wunsch steht. Als Erwachsene wurde mir jedoch
schnell klar, dass man mit jeder
verlorenen Wimper etwas vom
großen Augenaufschlag einbüßen würde. Einer Zufallsentdeckung der Augenmedizin
jedoch sei Dank, dass Wimpern
auch wieder üppig nachwachsen
können. Denn ein Mittel gegen
zu hohen Augendruck entpuppte sich als wahrer WimpernWachstumsanreger. Besonders
schnell (4-6 Wochen) wachsen
sie mit dem klaren, geruchlosen
„RevitaLash“-Advanced Serum.
Abends auf den gereinigten
Wimpernkranz auftragen, schlafen gehen und sie in aller Ruhe
erneuern lassen.
Dieses Bekenntnis von Walter Gropius scheint auch das
Credo von Make-up-Künstler Andrew Gallimore zu
sein. Bekannt wurde der
Brite durch seine extremen
Schmink-Fantasien: So zaubert er schon mal einen halben Regenbogen ins Gesicht, verwendet neben Concealer und Co. gern Nieten,
Fäden oder Metallplättchen.
Die schräg-schöne Masquerade von abschminkbaren
Kunstwerken zelebriert sein
Landsmann Fotograf Rankin
jetzt im vierten Band seiner
„Beauty Books“ auf 160 Seiten. „Andrew Gallimore by
Rankin“, Rankin Publishing,
über boutiquemags.com
ANDREW GALLIMORE BY RANKIN
Nicole Oswald
Mitinhaberin des
„Parfumhaus
Hangelar“ in
Sankt Augustin
DRUNTERDRÜBER
Intelligent: der „Joli
Baume Eclat du Jour“
von Clarins (limitierte
Edition) sieht hübsch
aus, kann aber auch was.
Beim Auftragen reagiert
ein Molekül mit dem
pH-Wert der Lippen
und verstärkt die eigene
Farbe. Kussecht!
Fünf Freunde: Für Diana Vreeland, einst legendäre Chefredakteurin von Harper’s Bazaar, wurde
nun eine eigene Parfüm-Reihe
kreiert. Sieht nicht nur gut aus,
duftet auch so. Über Apropos
Kunst am
Handy: Damit
Ihr iPhone genauso dufte
aussieht, wie die
Besitzerin riecht,
gibt’s von Iphoria
Handyhüllen in
Flakon-Form
90
Auf den zweiten Blick: In gewisser
Weise geht es auch um den Designklassiker „Victoria Ghost“. Die italienische Kosmetikmarke Collistar offeriert eine kleine Make-up-Kollektion
im Kartell-Design. Den Stuhl muss
man leider separat erwerben. Gibt’s
exklusiv bei Karstadt und douglas.de
Kunstvoll: Isabel und Ruben Toledo,
das kubanische Künstler-Ehepaar,
haben für Mac Cosmetics die Verpackung von Lidschatten, Mascara
und anderen in Weiß gehüllt und mit
Zeichnungen verziert. Ab März
Haben Sie mal in Ihrer Handtasche nachgeschaut? Unzählige Lippenstifte, diverse Handcreme-Tuben, Mascara – alles
dabei. Doch wenn frau wirklich
mal einen kleinen KosmetikHelfer in der Not braucht, dann
hat sie ihn nicht parat. Aber nun
gibt es ein SOS-Sofort-RoteFlecken-Weg-Helferlein von
Shiseido. Das frische Gel-Konzentrat „Ibuki Solution Gel“ der
japanischen Kosmetikmarke
kann bei Bedarf nämlich einfach
auf wie aus dem Nichts erscheinende kleine Pickel oder
rote Flecken (die oft nach einem Glas Rotwein auftauchen..)
aufgetragen werden und die
Haut schaut ebener aus. Funktioniert übrigens unter und über
dem Make-up. Der 30 ml-Tiegel
passt sogar in die angesagten
Mini-Bags.
Sandra Schleip
Ebenfalls Mitinhaberin „Parfumhaus
Hangelar“ in
Sankt Augustin
MARKENGESCHICHTE
CLARISONIC
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Doktor Brummer
Von der Zahn- zur Gesichtsbürste: Schalltechnik ist das Geheimnis der
Produkte von Clarisonic. Von Seattle aus erobern sie die Welt und
polieren das Ego ihres Erfinders gleich mit auf, sagt Susanne Opalka
D
er Mann hat eine Mission. Dr. Robb Akridge,
der Miterfinder der Reinigungsbürste Clarisonic, will die ganze Welt
zum Brummen bringen.
Er ist angetreten, unsere Haut zu befreien – von Unreinheiten, Irritationen, verstopften Poren. Seine Firma aus Seattle gehört inzwischen zu den 500 am stärksten wachsenden Unternehmen weltweit. In
den USA hängen inzwischen 15 Prozent aller
Frauen an der Bürste, in Deutschland benutzen 100.000 Menschen das Basismodell „Mia
2“: „Da ist bei 40 Millionen deutschen Frauen
noch Luft nach oben“, sagt Akridge.
Auch seine Firmengeschichte strotzt vor
Selbstbewusstsein und Optimismus: Im Jahr
2000 saßen fünf Männer zusammen, die sich
nach neuen Herausforderungen sehnten. Gerade hatten sie ihre Firma „Optiva“, die
die Zahnbürste „Sonicare“ mit
Schalltechnologie erfunden hatte,
an Philips verkauft. Akridge, der
Doktor der Mikrobiologie ist,
und seine Kollegen, darunter
auch ein Fluggeräte-Entwickler
für das Space Shuttle der NASA,
waren überzeugt, dass was die Zähne reinigt auch für die Haut funktionieren könne. Zunächst wurden Prototypen gebastelt, die noch schwer nach Ladyshave-trifft-Elektroschocker aussahen.
Und auch so wirkten: „Ich war der Jüngste
und damit das Versuchskaninchen“, erinnert
sich Akridge, „die ersten Versuche kniffen in
die Wangen, sogar auf meiner Glatze wurde
getestet. Es war sehr schmerzhaft“. Das Team
aus Ingenieuren und Wissenschaftlern gab
nicht auf, gründete 2001 Clarisonic und fand
erste Investoren. Drei Jahre und mehr als 40
Patentanmeldungen später kommt das erste
Clarisonic-Produkt auf den Markt. Dermatologen, Kosmetikerinnen und Spas werden
ausgestattet. Die Rückmeldungen sind voller
Begeisterung, das Gerät wird euphorisch weiterempfohlen. Über Mund zu Mund-Propaganda verbreitet sich von der Washington Bay
aus langsam aber stetig der Sauber-Sound in
den Staaten. Doch erst 2007 folgt der UrSchall-Knall. „Nach vergeblichen Versuchen
unsererseits, bringt schließlich eine enge
Freundin Oprah Winfrey dazu, selbst einmal
die Bürste anzusetzen“, so Robb Akridge. Da
Mrs. „O“ zum Glück für die Konsumbranche
keinen guten Tipp für sich behält, sagt sie in
ihrer Millionen-Publikum-Sendung die Zauberformel: „Es ist eine Wundermassage für
das Gesicht. Ihre Hauttextur wird sich verändern.“ Acht Stunden später gibt es landesweit
kein einziges Gerät mehr zu kaufen.
Angeblich reinigt der kleine Brummer sechsmal gründlicher als herkömmliche Methoden. BürstenAnhänger schwärmen stets von
diesem frischen, glatten Teint,
gleich nach der ersten Runde. Anders als rotierende Geräte oszilliern die Clarisonic-Produkte mit
mehr als 300 Schwingungen pro Sekunde und fördern somit die natürliche
Elastizität der Haut, ohne sie zu reizen. Inzwischen ist eine ganze Serie entstanden: Das Modell „Air“ für den Körper mit verschiedenen
Geschwindigkeitsstufen, andere für die Füße
sowie zahlreiche Sondereditionen.
Und mittlerweile verfolgt Akridge seine Mission im Alleingang – allerdings unter der Ägide von L’Oréal, die sich 2011 einkauften. 50
Länder sind erobert. Akridge bereist sie alle
regelmäßig. Überhaupt ist aus dem selbst ernannten Streber eine Art Rampensau geworden. Nach anfänglichen Ohnmachtsanfällen
liebt er es heute, „sein Baby“ in den Shoppingshows von QVC anzupreisen. Zu Hause entspannt er sich dann mit Hundedame Lily in
seinem Garten. Oder er blickt über den Pudget Sound nach Downtown Seattle und sieht
den pendelnden Fähren zu. Ganz in der Nähe
experimentierten Akridge und seine Kollegen
in einem kleinen Büro an der ersten Schalltechnik; im „Historic District“ gleich neben
der ersten Filliale von Starbucks.
Von dort ist es ein weiter Weg zu den Gebäuden von „Pacific Bioscience Laboratories Inc.“
wie die Firma heute heißt, etwas außerhalb, in
Redmond. Die Fertigungshallen befinden sich
hinter einer leuchtend gelben Fassade. Ständig muss angebaut werden. Hier wird das
„Beautytool“ in Minuten zusammengesetzt
und geschweißt. Die Fertigungskolonnen
wetteifern um die schnellste Zeit, die per Digitalanzeige an der Wand aufleuchtet. „Das ist
kein Druckinstrument, nur zur Statistik und
Motivation gedacht“, beteuert Bill Bryant, der
das Product Engineering leitet und stolz
durch die Hallen führt. An einer Wand ein gemalter Baum, dessen Blätter aus den Handabdrücken der Mitarbeiter bestehen.
„Anfangs war ich darauf gefasst, mich rechtfertigen zu müssen, warum man so viele Dollar für diese eine Bürste ausgeben soll“, sagt
Akridge. Inzwischen plant er Zeit für Umarmungen ein, Raum für Storys wie: „In New
York fiel mir eine Frau um den Hals und weinte: ‚Sie haben mein Leben verändert, mein
Sohn und ich hatten beide schwere Akne.‘“
Und auch die Haltbarkeit der Apparate ist eine
saubere Sache. Die Dinger brummen und
brummen. Nur die Bürstenköpfe mit bis zu
34000 Seidenfasern sollte man schon mal waschen oder erneuern. Wahlweise mit Kaschmir-Aufsatz. Bei L’Oréal weiß man um die momentan wichtigste Kategorie in der Hautpflege, den sogenannten „Devices“.
Clarisonics Vorsprung scheint uneinholbar.
Niemand anders kann die Technologie nutzen, ablaufende Patente werden stets erneuert. Es gibt ihn eben doch noch, den arg strapazierten, aber Ur-amerikanischen Traum.
Robb Akridge jedenfalls scheint gar nicht
mehr aufzuwachen.
91
johnfrieda.de
Gemeinsam sagen wir good-bye zu Frizz.
Die John Frieda® Mission ist die Bekämpfung von Frizz. Jetzt wird Frizz sogar eliminiert.*
Neu: Unendliche Geschmeidigkeit. Greift Frizz im Ursprung an. Die Formulierung dringt
in das Haar ein und wirkt von innen heraus. Das Haar wird immun gegen Frizz.
Me & John & Frizz Ease. Together we can.
*Bei regelmäßiger Anwendung
Entspricht nicht tatsächlicher Produktgröße
No Schaumschläger
Selbst wer im Chemie-Unterricht nicht
aufgepasst hat, weiß, dass ein pH-Wert im
mittleren Bereich gut ist. Für vieles. Auch
für die Haut. Doch viele Waschgels etwa
zerstören die Fett- und Säureschicht.
Darum hat Guerlain nun „La Mousse
Nettoyante“ für seine Über-Luxus-Pflegelinie Orchidée Impèriale entwickelt. Dessen Geltextur entwickelt sich mit Wasser zu
einem dicken Schaumkissen und soll
gründlich reinigen, ohne anzugreifen. Und,
noch ein wichtiger Fakt für alle HobbyChemiker: das bei einem ph-Wert von 6,3.
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Vier auf einen Streich
Sie haben’s gern aufgeräumt im Badezimmer, lieben
Produkte, die mehr als nur eine Funktion haben?
Dann werden Sie das „Blue Plasma Cleansing Treatment“ von Dr. Perricone zu schätzen wissen. Es ist, ta
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noch selbst reinigen.
Kennen Sie diesen Wunder-Putz-Stein, der
schier endlos scheint? So ähnlich ist das auch
mit der „Phyto-Pâte Moussante“ von Sisley.
Der Reinigungsschaum, mit einem Bürstchen
aufgetragen, reinigt wundersam ohne Seife
und hält ziemlich lange vor. Passen Sie gut
auf den „Putz-Stein“ auf: Denn auch Männerhaut verträgt sich gut mit ihm.
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Die Kamelie war die liebste Blume
von Coco Chanel. Nun ist es dem
Chanel eigenen Kosmetiklabor
gelungen, die kapriziöse Blume
(wird in Schattenhäusern in Südfrankreich angebaut und von
Hand gepflückt) gepaart mit
blauem Ingwer aus Madagaskar in
das neuartige „Hydra Beauty
Micro Sérum“ zu stecken. Gemeinsam sollen sie die Haut mit
Non-Stop-Feuchtigkeit versorgen.
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PARFUM
Bei Jo Malone London beginnt
jeder neue Duft mit einer Reise.
Caroline Börger begab sich
auf eben solche, doch es kam
anders als erwartet
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or einem Townhouse im West
End hält das Black Cab plötzlich an. Die Taxitür wird geöffnet, der Duft von Weihrauch
weht um die Nase. Und das mitten in London. Ein junger
Mann namens Saif grüßt
freundlich, er trägt eine weiße bodenlange Tunika, auf dem Kopf einen bunten Turban und in den Händen einen Räuchertopf. Salam Maleikum statt Good Morning. Die vorbeieilenden Passanten wundern
sich nicht. Saif öffnet eine schwarze
Tür mit goldenen Türklopfern. Hereinspaziert in eine Welt wie aus
Weihrauchduft mitten im Londoner East End
1000 und einer Nacht. Unmengen
bunter Windlichter säumen den
Boden, auf dicken Perser-Teppichen erreicht Alles von zahlreichen Dekorateuren über
man den Flur. Eine Frau mit verschleiertem Nacht geschaffen, dort, wo ansonsten SchreibGesicht reicht ein Silberschälchen an. Rosen- tisch neben Schreibtisch steht, in der Kreativwasser zum Händewaschen, sei das. Eine Tra- zentrale der britischen Duftmarke Jo Malone
dition in ihrem Heimatland und ja, bitte auch London. An diesem Tag erinnert das Haus an
die Schuhe ausziehen und in die bunten, das kleine Sultanat, dem das Unternehmen
spitz-zulaufenden Pantoffeln schlüpfen. Will- nun ein eigenes Parfüm gewidmet. Beziekommen im Oman!
hungsweise, dem es eine Ingredienz verdankt,
ohne die es das neueste Produkt der Cologne
Intense Serie nicht gäbe. „Jeder Duft bei uns
beginnt mit einer Reise“, erzählt Celine Roux,
Fragrance Director des Hauses, das die Britin
Jo Malone Anfang der 90er Jahre gründete,
1999 an den Estée Lauder Konzern verkaufte,
aber bis 2006 noch als Kreativdirektorin betreute. „Vor etwa zwei Jahren stießen wir auf
den omanischen Weihrauch, der dort seit tausenden Jahren von Hand geerntet wird.“
Im Oman, zwischen Wüste, Gebirge und Meer
stehen aneinandergereiht Boswellia SacraBäume, aus deren papierartiger Rinde der
Weihrauch gewonnen wird. Yusra, die osmanische Botschaftsmitarbeiterin, die eingeladen wurde, um mehr über ihr Land zu erzählen, erklärt, dass die Bäume zum Weltnaturerbe der Unesco zählen und zweimal pro Jahr
geerntet werden. Omanische Familien, die in
der Region am Fuße des Dhafor-Gebirges leben, machen das seit Generationen, geben das
traditionelle Handwerk weiter. Der Ernteprozess ist zeitaufwendig: Der Stamm wird an
mehreren Stellen angeritzt, so dass der Baum
denkt, er werde verletzt und müsse seine
Wunde schützen. „Darum bildet er eine weiße
Flüssigkeit, die in der Sonne am Stamm trocknet und nach ein paar Wochen zu kleinen
Weihrauch-Tropfen wird.“ Weißes Gold. Nicht
zu verwechseln mit Porzellan. „Wir beduften
mit ihm unser Haus, unser Haar“, erklärt Youfra, nimmt das Räuchertöpfchen, auf dessen
Kohle der Weihrauch die ganze Zeit nebenher
dampft, lupft ihren Schleier, hält es darunter
und lacht schelmisch „und ja, auch uns selbst.“
Doch ein Inhaltsstoff allein macht noch keinen Parfüm. Es musste auch die passende Parfümeurin gefunden werden. „Ein Parfüm zu
entwickeln, ist eine sehr emotionale Angelegenheit und unser Konzept ist es, je nach Duft
mit einer anderen Nase zusammenzuarbeiten“, erzählt die Direktorin bei einer Tasse Rosenwasser-Tee. Die Wahl fiel auf Marie Salamagne, eine Mittdreißigerin aus Paris, die bereits an drei anderen Jo Malone Düften beteiligt war. „Wir arbeiteten praktischerweise
gerade mit Marie an ‚Tuberose & Angelica’
und ich fragte sie, ob sie einen Duft aus dem
Oman kenne?“. Die Antwort lautete nein. Sie
ließen den Weihrauch nach Paris einfliegen,
es war quasi Liebe auf die erste Nase. Und
weckte sogleich schöne Erinnerungen: „Während eines Griechenland-Urlaubs schleppte
meine Mutter uns von einer Kirche in die
nächste und überall roch es nach Weihrauch.“
Marie Salagmagne war gleichwohl skeptisch:
„Mir schien das dennoch eine Herausforderung zu sein, ein Weihrauch-Parfüm zu entwickeln. Jeder hat ihn als etwas Rauchiges,
Dunkles in der Nase. Für uns aber musste es
jünger, moderner sein.“ Deshalb kombinierte
sie ihn mit zitrisch-holzigen Noten. Dunkel ist
in diesem Fall nur die Flasche geblieben.
Da die von Hand geernteten Weihrauchmengen nicht ausreichen würden, um „Intense &
Cedrat“ zu produzieren und auch um die Bäume zu schützen, schickten Celine und Marie
die besten Tropfen, die sie finden konnten, in
ein Labor nach Grasse, um den Duft mithilfe
des Nature Print-Verfahrens einzufangen. Das
bedeutet, er wird analysiert und mit natürlichen Inhaltsstoffen reproduziert. Fast sechs
Monate vergingen, bis der perfekte Weihrauchersatz gefunden war, und nicht nur irgendein Riechstoff. Es sei ihnen vorgekommen
wie das Warten auf Weihnachten, erzählen die
Frauen heiter. Dann heißt es raus aus den Pantoffeln und zurück in den Londoner Verkehr.
Der hat eher kein Parfümpotenzial.
95
Alle waren da (v. l.):
Alfred Hitchcock,
Grace Kelly, das
Model Poppy Delevingne heiratete hier.
Und Cary Grant
liebte es, von seinem
Savile-Row-Schneider Kilgour durch
Mayfair zum „Cladridge’s“ zu gehen
UNTERWEGS
5 Sterne
Deluxe
96
Luxushotels gibt es viele, das „Claridge’s“ in London nur einmal.
Scherzhaft „Anbau vom Buckingham Palace“ genannt, beweist es seit
160 Jahren, wie viel Wärme ein wirklich exklusives Ambiente
ausstrahlen kann. Irina von Gagern blickte hinter die Kulissen
kurzer Plausch mit den vielen Stammgästen.
„Ich habe den besten Job der Welt“, sagt er.
Die ersten zwölf Jahre seines Lebens lebte er
in Polen, bis eine Flüchtlingsorganisation ihn
nach England schickte. „Heute,“ so erzählt Roman, „studiert mein Sohn in Oxford.“
Es folgt eine Führung durchs Haus. Vorbei an
den vielen Küchen, vorbei an der Wäscherei
(1.500 Handtücher täglich). Das spannendste
ist der Storage Room. Hier unten im Keller,
wo kein Gast jemals seinen Fuß hinsetzt, lagern die Butler das Gepäck der Stammgäste.
In den zweckmäßigen Eisenregalen stapeln
sich edle Kleidersäcke, prall gefüllte Golftaschen, Hutschachteln mit großen Initialen
und riesige Louis Vuitton-Schrankkoffer. Fast
unscheinbar und wenig elegant wirkt dagegen eine schwarze Nylontasche, bis das Namensschild ins Auge sticht: „D. Hirst. London.“ Ob hier Damien Hirst eines seiner millionenschweren Kunstwerke zwischenlagert?
Wenn die Besitzer der Koffer anreisen, holt
der Butler Michael Lynch das Gepäck aus dem
Lagerraum und verstaut die Kleidung in die
Schränke der Suite oder des Zimmers. Aus einem kleinen Dorf in Irland stammend, fing er
mit 16 Jahren in dem Hotel an. Heute ist er 54.
„Ich kümmere mich gerne um Menschen. Viele unserer Gäste kenne ich seit Jahrzehnten.“
Doch wie das so bei den wirklich Vermögenden ist – mancher Besucher bringt lieber sein
eigenes Personal mit. Eine arabische Prinzessin bucht schon mal den kompletten dritten
Stock für sich und ihre rein weibliche Entourage von 27 Personen. Das sind 40 Räume, die
innerhalb von zwei Tagen entsprechend der
Bedürfnisse der Prinzessin umgestaltet und
nach außen abgeschottet werden. Die Bibeln
und der Alkohol werden als Erstes aus den
Zimmern entfernt, manche Suiten werden zu
Essräumen und Küchen umfunktioniert. In
andere kommen meterweise Kleiderstangen,
um die Shoppingtrophäen der Prinzessin und
ihrer Hofdamen aufzubewahren. Im Bett stehen für die Prinzessin vier zusätzlichen Daunendecken zur Verfügung.
John Alves ist Herr über den letzten mannbetriebenen Lift Englands. Auf der ganzen Breite steht ein Sofa, das Kissen klopft er immer
wieder zurecht. Die verspiegelte Wand ziert
eine antike goldene Uhr. „Ich kenne sie alle,
die Mächtigen, die Schönen und Reichen dieser Welt“, sagt John Alves. „Hier im Lift sind
sie auch nur Menschen. Wir unterhalten uns.“
Madonna fläzt sich gern auf das Sofa und die
spanische Königsfamilie lachte mit Alves, weil
der vor Jahren Kronprinz Felipe – den jetzigen König – für einen Bodyguard hielt. Doch
die Wärme machen Leute wie Gerry Parker
aus: Stolze 88 Jahre ist er alt, seit 44 Jahren
frühstückt er jeden Morgen hier, immer am
gleichen Tisch. Geboren im Londoner East
End hat er sein Geld als Buchmacher verdient.
„Ich verbringe mehr Zeit hier als zu Hause“,
erzählt Gerry. „Neulich habe ich mit Henry
Kissinger geplaudert. Hier ist immer etwas
los.“ Wer eine Teatime bucht, erhält mit der
recht knusprigen Rechnung übrigens noch eine Tüte Bonbons. Nicht, dass einen die unbesiegbar machen würden. Aber über Niederlagen im Alltag helfen sie einem doch hinweg.
ILLUSTRATION: NANDA NAUMANN; CLARIDGE’S; UNITED ARCHIVES; DPA
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er auch nur einmal in dem großen
Saal eine Teatime zu sich genommen hat und bei Sandwiches und
Patisserie so umsichtig umsorgt
wurde wie ein Thronfolger von
seiner Nanny, der wird der Einsicht des Musikers Alex James zustimmen: „Im ,Claridge’s‘ aufzuwachen bedeutet, unbesiegbar in den Tag zu gehen.“ Und dieser Satz ist nur einer von unzähligen Lobpreisungen: Alfred Hitchcock stieg
immer hier ab, wenn er in London war, genauso wie Cary Grant, Elizabeth Taylor, Richard
Burton, Katherine und Audrey Hepburn.
Spencer Tracy wollte gar auf ewig einchecken:
„Wenn ich eines Tages sterbe, dann möchte
ich nicht in den Himmel, sondern ins Claridge’s“, soll der Hollywoodstar gesagt haben. Als
Winston Churchill 1945 die Parlamentswahl
verlor und aus der Downing Street ausziehen
musste, wohnte er fortan immer im Claridge’s
wenn er in London zu tun hatte. Zuerst waren
es jedoch die Royals, die das Hotel für sich
entdeckten.
Marianne Claridge, die mit ihrem Mann William das Hotel 1854 eröffnete, ist als Porträt
noch heute in der Hotellobby zu sehen. Ihr zuvorkommender Charakter muss sich bis in die
höchsten Kreise herumgesprochen haben. Im
Winter 1860 machte die Königin Eugénie von
Frankreich das Haus zu ihrem Winterquartier.
Die französische Monarchin lud ihre englische Cousine Queen Victoria und deren
deutschen Mann Prince Albert dorthin ein.
Die Verbindung lebt fort: Queen Elizabeth
war oft hier, genauso William und Kate. Während des Zweiten Weltkrieges lebten hier
gleich drei Könige im Exil: die Monarchen
von Griechenland, Norwegen und Jugoslawien. Als die Kronprinzessin von Jugoslawien
ihr erstes Kind bekam, ließ Churchill für die
Dauer der Geburt die Suite Nr. 212 der werdenden Eltern in jugoslawisches Territorium
umwidmen, damit das Kind den Anspruch auf
den Thron nicht verlöre.
Das ist alles Geschichte, aber auch heute noch
präsent, man muss nur durch die originale Art
déco-Drehtür von 1929 ins hohe Foyer mit
dem eleganten schwarz-weißen Marmorboden treten. Das wohl bekannteste Gesicht des
„Claridge’s“ ist Doorman Roman Probodziak.
Seit 38 Jahren empfängt er die Gäste. Ein
freundliches Lächeln ohne jedes Taxieren, ein
SONNTAG, 22. FEBRUAR 2015
Global Diary
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt SMS und E-Mail noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer
ILLUSTRATIONEN: TIM DINTER
ZÜRS
Im Urlaub hat man keinen Plan. Außer sich zu erholen. Einige tun das im aktiven Ski-Urlaub, andere am Strand von Rio. Doch wenn man, wie die
Autorin, zu der Spezies der Nicht-Skifahrer zählt,
dennoch aber gern Zeit im Schnee verbringt, ist
man nun auch in einem Ski-Total-Ort wie Zürs
richtig. Man kann sich schließlich auch abseits
der Pisten verausgaben. Und das nicht nur auf
Tanzpisten. Sondern zum Beispiel beim aktiven
Nichtstun, wie dem Herumlümmeln auf großen
Wasser-Daybeds im Ruheraum nahe des wohligen Kaminfeuers. Oder bei einer Kosmetikbehandlung, einer Massage und –
wenn’s etwas aktiver sein soll
– einer Runde im Pool,
den Arlberg und die
Skifahrer immer im
Blick. Die bodentiefen und (von
außen uneinsehbaren)
Fenster in den
Massage-Kabinen des neuen Spa im „Zürserhof" machen
das
möglich.
Selbst meterhoher
Schnee kann den Blick
nicht verbauen, der Weg
davor ist beheizt. Es fällt nicht
schwer, den Tag komplett im „Aureus“-Spa zu
verbringen. Oberstes Gebot: Handys bleiben
draußen und Zutritt nur für Menschen ab 16 Jahren (für die Kleinen wurde das alte Spa des Hotels im Hauptgebäude kinderfreundlich umgebaut – also darf auch das schlechte Gewissen der
Eltern vor der Spa-Tür bleiben...) Für das auf
1.700 Quadratmeter große Erwachsenen-Spa,
das direkt an das Traditionshaus der Familie
Skardarasy angebaut wurde, musste erst ein riesiger Felsen weggesprengt werden, um die zwei
Super-Luxus-Entspannungsetagen verwirklichen
zu können. Ein Hamam, ein großer „Infinity-Panorama-Whirlpool“ mit Pisten-Blick, eine Wasserfallgrotte, verschiedene Saunen, ein Aromadampfbad, Infrararotkabinen – alles will ausprobiert werden. Sogar an ein kleines Bistro wurde
gedacht – für die Stärkung zwischendurch.
Denn, das kann die Autorin aus Erfahrung sagen:
ein Tag „aktives Nichtstun“ macht hungrig.
Sollten Sie doch jemals vorhaben aus den Tiefen
des „Aureus“-Spa wieder aufzutauchen, machen
Sie einen kleinen Abstecher – selbstverständlich
im Bademantel – in den La Biosthétique-FriseurSalon. Lassen Sie sich die Haare richten, sich
ausführlich schminken, ziehen Sie sich um, und
ab zum Abendessen. Arbeiten Sie sich zum
Schluss durch das Käsebuffet mit 200 (!) verschiedenen Sorten, nehmen Sie einen Drink an
der gemütlichen Bar und gehen wieder zu Bett
und träumen vom nächsten Tag – im Spa...
Seit ihrer Abreise denkt Caroline Börger ständig darüber nach, wie sie es in Berlin schaffen
könnte, im Bademantel zum Friseur zu gehen.
BUDAPEST
Drehort für den neunfach Oscar-nominierten Film
„Grand Budapest Hotel“ war anderswo. Doch auch im
Corinthia Grand Hotel Royal in Budapest soll Regisseur Wes Anderson Inspirationen mitgenommen haben. 1896 war es Europas größtes Hotel, eine Generalrenovierung 2003 bringt es auf zeitgemäßen
Hochglanz. Im Grundriss wie ein „E“ sind die Gebäudeflügel auf allen sechs Stockwerken mit Glasübergängen verbunden. Filmreif von Beginn an ist der barocke Ballsaal des neoklassizistischen Baus. Welche bewegten Bilder hatte der Regisseur bei seinem Besuch
vor seinem inneren Kamera-Auge? Sah er bereits die
Verfolgungsjagd seiner Protagonisten Gustave (Ralph
Fiennes), Zero Moustafa (Tony Revolori) und Dmitri
(Adrien Brody)? Zum Hotel gehört das „Szamos Marcipán Royal Café“ – kam hier die Idee für das kuriose „Courtesan au Chocolat“-Gebäck der
Bäckerin Agatha (Saoirse Ronan)? Oder zog er das Menü in der Atrium-Brasserie vor, die
auch einige ungarische Speisen bereit hält? Faszinierten ihn beim Blick aus dem Fenster, vom
luxuriösen Fauteuil im Exclusive Club aus, die Häuserfassaden der Jahrhundertwende auf
dem Erzsébet-körút-Boulevard ? Beeindruckte ihn das Hotel-Spa mit dem Art déco-Bad? Alle Antworten bleiben Munkelei, die Hotel-Angestellten sind höchst diskret. Fest steht: Kürzlich wurde das Fünf-Sterne-Haus auch noch zu Ungarns Hotel des Jahres 2014 gekürt. Und so
träumte mir des Nachts im wolkenweichen King Size Bett: The Oscar goes to...
Uta Petersen erliegt wieder und wieder dem Charme von Grand Hotels
TOKIO
Auf der Dachterrasse des neuen „Andaz Tokyo“,
52 Stockwerke, 247 Meter über dem Meeresspiegel, höchste Outdoor-Fläche eines Hotels
in der japanischen Hauptstadt, schnappt man
nach Luft – vor Begeisterung. Der Blick reicht
über den Rand der Megapolis hinaus. Am Horizont erhebt sich der schneebedeckte Vulkankegel des Fuji. Wolkenkratzer-Konglomerate
türmen sich auf, nach Sonnenuntergang funkelt
und flammt die Stadt. Kreischende Neonfarben
buhlen um Shopper. So macht Reizüberflutung Spaß.
Beschwingt kommt mir eine junge Angestellte entgegen
und stellt sich vor – Andaz Host Mariko. Ihr Tablett hält sie
parat. Mit dem Andaz fand nämlich auch ein modernes Hospitality-Konzept Einzug in die Metropole: Dem Gast auf Augenhöhe begegnen anstatt zu dienern.
Und Mariko beweist sogleich, dass sie dieses Konzept verinnerlicht hat. Ich sitze mit dieser
fröhlichen Gastgeberin am großen Tisch, süffle einen erfrischenden Willkommens-Drink,
während sie mich eincheckt und anschließend fragt, ob ich Restaurant Reservierungen oder
Show-Tickets benötige. Ich entscheide mich jedoch zum Kräftesammeln erst mal im Haus zu
bleiben und genieße ausgiebig das Innenleben des Hotels. Traditionelles japanisches Kunsthandwerk aus Naturmaterialien wie Washi-Papier oder Hokkaido-Walnuss verbindet sich im
Interieurdesign mit zeitgenössischen Formaten. Restaurants und Bars wirken großzügig, harmonisch und lichtdurchflutet und erinnern mit ihren hohen Decken an Shinto Tempel. Die
Zimmer sind mindestens 50 Quadratmeter groß und haben bodentiefe Fenster. Ob ich nun
speise, trinke oder im Bett liege, der atemberaubende Panoramablick ist als Hintergrund stets
präsent. In der offenen Küche der Andaz Tavern gucke ich den Köchen buchstäblich in die
Töpfe. Herr am Herd ist der Österreicher Gerhard Passrugger, unter dessen Ägide westöstliche Kost den Weg auf meinem Tisch findet – herzhaft Handfestes mit lokalen Zutaten. Yamanashi Kräuterhuhn beispielsweise, im Tontopf gebacken mit Wurzelgemüse. Das Spa ist eine
halbe Wolkenkratzer-Etage groß, ganz in weiß, das Licht mit Papierlaternen sanft gedämpft.
Mittelpunkt ist der 20-Meter-Pool. Einziger Konkurrent für ein solches Schwimmbad mit Aussicht ist das Park Hyatt, berühmt als Kulisse von „Lost in Translation“. Vor zwanzig Jahren setzte es in Tokio neue Standards, jetzt sorgt das Andaz mit seinem Boutique-Lifestyle –Konzept
für frischen Blick in der Szene. Es bleibt ja gewissermaßen in der (Hotel-) Familie.
Kiki Baron stellt sich gern den Herausforderungen der Mega-Metropole – am liebsten von oben
97
CHRISTIAN ABEL UND LAO PAN
BAUPLAN
HANDGESTRICKTES
VON IRIS
VON ARNIM
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden
weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Rechte Maschen geradeaus ebneten ihren Weg: Designerin Iris von Arnim feiert(e) dieses Jahr ihren 70. Geburtstag – und das 35. Jubiläum ihrer Strickmarke. Mit Lust auf Farbe und legere Schnitte prägt die Selfmade-Designerin die Mode. Ihr Stil? Lässig-elegante Bohème, so wie das Stück „Betty“ aus ihrer aktuellen Cruise Collection. Die Strickanleitung haben wir nicht, dafür zeigen wir die wichtigsten acht Produktionsschritte. 1. Für den Entwurf sind Bleistift
und Papier nötig. 2. Sobald die Skizze im Hamburger Atelier entstanden ist, wird der Schnitt angefertigt. Die technische Zeichnung dafür erfolgt am Computer. 3. Das Bändchengarn aus Kaschmir wird in Handarbeit an einem Webstuhl hergestellt. 4. Auch das Aufzwirbeln des Garns zum Knäuel erfolgt per
Hand. 5. Masche für Masche wird mit einer Rundstricknadel aufgenommen. 6. Die außergewöhnlich dicken Stricknadeln geben dem Pullover seinen
Grobstrick-Charakter. 7. Danach wird die Passform an einer Puppe überprüft und wenn nötig werden einzelne Partien abgesteckt. 8. Schließlich wird der Pullover noch vorsichtig gedämpft. Übrigens: Ihre erste Boutique eröffnete Iris von Arnim am Hamburger Großneumarkt.
Heute verkauft sie ihre Kollektionen weltweit, seit 2013 gibt es auch einen Online-Shop und eine Herrenkollektion. Die Geschäfte führt nun ihr
Sohn Valentin, sie selbst kümmert sich uie Entwürfe. Und bis heute entstehen die Prototypen ihrer Kollektion in der Hansestadt.
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Exklusiv gestaltet von Anja Kroencke.