So treffen wir uns da

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So treffen wir uns da
Towanda
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Vorbemerkungen
Copyright:
Die Geschichte ist frei erfunden, aber die Charaktere Xena, Gabrielle,
Eve, Virgil und Meg sind urheberrechtlich geschützt (ich konnte mich übrigens nicht dazu durchringen, die deutsche Verstümmelung des Namens von Xenas Sidekick zu übernehmen; für mich bleibt sie Gabrielle).
Sie gehören Studio USA/Universal & Renaissance Pictures. Die Götter
hingegen gehören nur sich selbst. Eine Urheberrechtsverletzung ist in
keinem Falle beabsichtigt.
Paar:
Xena/Gabrielle.
Die Geschichte ist kitschig, aber ich habe beschlossen, daß das der Serie
immanent ist und irgendwann aufgehört, es vermeiden zu wollen.
Rating:
Für diejenigen, die mit den amerikanischen Ratings vertraut sind: Diese
Erzählung liegt zwischen PG-13 und R.
Danke:
Eine dicke Umarmung für meine Beta-Readerin Patricia für ihre wertvolle Unterstützung und ihren großen Einsatz. Beta-Reader sind eine großartige Erfindung! Dann natürlich einen herzlichen Dank an Gabi, Karin,
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Moni und Sigi, die treuen Seelen, und an Christina, conditio sine qua
non.
Hintergrund:
Die Geschichte spielt nach dem Abschluß der Serie. Es wird nicht vorausgesetzt, die Serie in und auswendig zu kennen (zumal die letzte Staffel in
Deutschland noch gar nicht gelaufen ist), aber ein paar Grundlagen sollten vorhanden sein. Das Lesen ist einfach zu langweilig, wenn man keine
Beziehung zu den Charakteren hat. Für diejenigen, die das Ende nicht
kennen: Xena stirbt in der letzten Folge »A Friend in Need«, weil sie mit
ihrem Tod 40.000 Seelen aus der Verdammnis retten kann. Nun ist Xena
nicht das erste Mal in der Serie gestorben und bisher haben sie und Gabrielle immer einen Weg gefunden, wieder beieinander zu sein. Wird es
ein weiteres Mal gelingen? – Okay, rhetorische Frage. Aber es wird nicht
einfach.
Der Winter mag scheiden, der Frühling vergehn,
der Sommer mag verwelken, das Jahr verwehn.
Du kehrest mir zurücke, gewiß, du wirst mein,
ich hab’ es versprochen, ich harre treulich dein.
Ich will deiner harren, bis du mir nah
und harrest du dort oben, so treffen wir uns da.
(aus »Solveigs Lied«, Edvard Grieg/Henrik Ibsen)
1. Kapitel
F
est umschlossen die Hände der jungen Frau an der Reling das
Gefäß in ihren Händen. Ihre blonden Haare setzten sich auffällig ab von dem schwarzen Haupthaar der japanischen Schiffsbesatzung, die sich nun, da am Horizont Land in Sicht war, aufgeregt
am Bug versammelte. Über dem Wasser wehte nur ein leichter
Wind und so näherte sich das Schiff recht gemächlich dem griechischen Festland.
Schon bald waren aus der Ferne Kinder und Frauen am Ufer zu
erkennen. Die Abendsonne spiegelte sich in ihren Gesichtern und
tauchte den Strand in warmes Licht. Doch anders als sonst hatte
die Reisende keinen Blick für die Schönheiten ihrer Heimat, ihr
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Blick war auf den Strand gerichtet. Dort saß, etwas abseits von einer Gruppe spielender Halbwüchsiger, ein junger Mann in einer
Düne. Auf seinem Schoß lag eine Pergamentrolle, die er zusammenrollte, als er das Schiff erblickte. Er sprang auf und winkte der
Besatzung.
»Gabrielle!«
»Virgil!« Die Angerufene beugte sich über die Reling.
Sie hob ebenfalls den Arm und winkte in Richtung Ufer. Wie
gut tat es, endlich wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen. Gabrielle rief erneut seinen Namen, doch die Antwort des Freundes ging
unter in den Rufen der Matrosen, die sich gegenseitig Befehle erteilten, während das Schiff direkten Kurs auf den Thebener Hafen
nahm. Den Blick zum Wasser gerichtet, lief Virgil den Strand entlang und blieb dann direkt an der Anlegestelle stehen. Er winkte
wieder und sprang unruhig auf dem Steg hin und her.
Gabrielle blinzelte, als die Tränen in ihren Augen Virgils Gestalt
verschwimmen ließen und ihn eins werden ließen mit dem Hafen.
Xena, sieh doch, Virgil ist hier! Ich kann nicht glauben, daß er hier auf
uns gewartet hat!
Wenige Augenblicke später fing Virgil die Schiffstaue der Matrosen auf und befestigte sie am Steg. Eifrig streckte er Gabrielle seine
Hand entgegen. »Wo ist Xena?«
Gabrielle setzte einen unsicheren Schritt auf die Balken des
Stegs. Sie konnte ihn nur erahnen unter ihren Füßen. Die Zeit, als
sie noch die Kraft und den Willen aufgebracht hatte, die Tränen
aus ihrem Gesicht zu wischen, war lange vergangen. Nur undeutlich nahm sie wahr, wie Virgil auf das schwarze Gefäß in ihren
Händen starrte und taumelte.
Seinen fassungslosen Blick auf sich fühlend, fragte sie sich, wo
die körperliche Erschütterung blieb, die sie bei ihrer Ankunft erwartet hatte. Sie blieb aus. Zu erschöpft waren Körper und Seele
von der langen Reise, von den Strapazen der letzten Wochen, und
vom nächtelangen Weinen unten in der Koje des Schiffes. Der Zusammenbruch stand noch aus, noch war es nicht Zeit. Zunächst
mußte Xenas Asche nach Amphipolis gebracht werden, zum Grab
ihrer Mutter und ihres Bruders Lyceus. Erst dann durfte die Welt
zu Ende sein.
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»Was ist passiert?« Virgil griff haltsuchend nach einem Stegpfosten. Seine Finger umklammerten das spröde Holz, als seine Augen
im Gesicht seiner Freundin forschten. Er bekam keine Antwort.
»Herzlich willkommen daheim«, sagte er leise und wandte seinen
Blick von ihrem Gesicht. Sein Arm zitterte leicht, als er ihn um
Gabrielles Schultern legte.
»Bitte nicht, Virgil.«
Er wich zurück und beeilte sich, Gabrielles Gepäck aufzuheben.
Viel war es nicht, eine Tasche, in der Virgil Xenas Kleidung vermutete, und ein Rucksack, gefüllt mit einer Schlafdecke, verschiedenen Kochutensilien und einige offenbar zu lange aufbewahrten
Nahrungsmitteln, wie an ihrem Geruch unschwer zu erkennen
war. Virgil war im Begriff, den Rucksack zu öffnen, da fiel sein
Blick auf Gabrielles Rücken. »Heiliger Zeus! Was ist das?!«
Virgil streckte die Hand nach dem Tattoo aus, aber der offensichtliche Schmerz im Gesicht der Freundin ließ ihn in seiner Bewegung innehalten, ohne den Drachen berührt zu haben. Was
immer es damit auf sich hatte, Gabrielle würde es ihm erzählen,
wenn sie bereit war. »Laß uns gehen. Ich habe drei Pferde vor der
Stadt stehen.«
Gabrielle sah ihn erstaunt an. »Wie lange wartest du schon
hier?«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich habe die Tage
nicht gezählt. Ich hatte früher mit euch gerechnet, aber das Warten verging schnell, ich habe geschrieben.« Er lächelte verlegen
und deutete er auf die Schriftrollen, die aus seinem Rucksack ragten.
»Darf ich es irgendwann mal lesen?« Gabrielle fuhr mit dem Finger über das Pergament. Wie lange war es her, daß sie das letzte
Mal eine Feder in der Hand gehalten hatte. Xena, hättest du gedacht,
daß aus Virgil mal ein richtiger Barde wird? Joxer wäre so stolz auf ihn.
»Du wirst die erste sein«, versprach Virgil stolz.
Eine ganze Weile gingen die beiden wortlos nebeneinander her,
bis Virgil schließlich hinter einer Hauswand abbog. Der Weg wurde schmaler, der Abstand der Häuser zueinander größer. Endlich
gelangten sie an den Stall, in dem Virgil seine Pferde untergebracht
hatte. Er steuerte auf eine Box ganz am Rande des Stalles zu und
drückte Gabrielle die Zügel einer weißen Stute in die Hand. »Das
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ist Lila. Ich bin sicher, ihr werdet euch mögen. Ich habe sie selbst
für dich zugeritten.«
»Hallo Lila.« Gabrielle flüsterte leise Komplimente in das Ohr
ihres Pferdes und strich vorsichtig mit dem Handrücken über den
Hals des Tieres. Es wieherte zufrieden, als sie aufstieg und ihre
Fersen in die Flanken des Tieres drückte.
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Der
Weg war lang und beschwerlich, doch Gabrielle ließ sich
nicht anmerken, wie sehr ihr die Mittagshitze zu schaffen machte.
Jedes Angebot Virgils nach einer kurzen Rast lehnte sie ab. Zu
groß war ihre Angst, die Kraft würde sie endgültig verlassen,
wenn sie erst einmal zur Ruhe kam.
»Virgil, wie geht es Argo?«
»Sie frißt nicht so gut. Es ist offensichtlich, daß ihr ihr fehlt.«
»Ich wüßte keinen, bei dem Argo besser aufgehoben wäre als bei
dir.«
»Willst du sie mitnehmen nach Amphipolis?« Virgils deutete mit
den Augen auf die Urne in Gabrielles Arm.
»Ich wäre dir dankbar, wenn du Argo bei dir behieltest. Ich
weiß, daß sie es gut bei dir hat. Ich . . .« Gabrielle verstummte und
zurrte die Zügel in ihren Händen fester. Ihr graute vor dem Wiedersehen mit Xenas Pferd. Sie fürchtete sich vor seinem vertrauten
Geruch und vor den vergangenen Bildern, die unvermeidlich auftauchen würden.
Innerlich verfluchte sie ihre Gedanken. Xena würde nicht wollen, daß sie mit dieser Einstellung durch die Welt zog. Doch wo
waren die Entschlossenheit und die Tapferkeit hin, die sie in Japan
noch bis zur heiligen Quelle des Berges Fuji geführt hatten? All ihr
Mut hatte sie nun verlassen und Angst war an seine Stelle getreten.
Angst vor allem Vertrauten, vor allem, in dem ein Wir auftauchen
könnte. Angst vor den Nächten und vor den Tagen, vor den Menschen und vor dem Alleinsein. Gabrielle fürchtete sich davor, nach
Amphipolis zu kommen und noch viel mehr vor dem, was danach
kam.
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Noch konnte sie der alles verschlingenden Traurigkeit keinen
Raum geben. Sterben war einfacher gewesen als dieses hier. Sterben war viel, viel zu einfach. Sie trug die gefährlichste Waffe Griechenlands an ihrem Gürtel. Ein einfacher Schnitt und . . .
»Möchtest du, daß ich dich nach Amphipolis begleite?« fiel Virgil
in ihre Gedanken.
»Du bist ein wahrer Freund.« Gabrielle lächelte ihn dankbar an.
»Wie dein Vater«, fügte sie leise hinzu. »Ich schätze dein Angebot
sehr, aber ich hoffe, du verstehst, daß ich diesen Weg allein gehen
muß.«
»Dann komm wenigstens ein paar Tage zur Ruhe. Sieh, es ist
jetzt nicht mehr weit.« Er deutete auf eine Gruppe Häuser, die am
Fuße der Gebirgskette vor ihnen zu erkennen waren. »Alle Pferde
auf unserer Koppel habe ich selbst zugeritten. Wir könnten morgen einen Ausritt in die Berge machen und . . .«
»Ich will nicht zur Ruhe kommen, Virgil.«
»Gabrielle, du siehst aus, als ob du jeden Moment umfällst. Du
mußt dich ausruhen.«
»Virgil . . .«
»Als dein Freund befehle ich dir . . .«
»Schon gut. Ich bleibe eine Nacht, okay?«
»Gut.« Virgil nickte zufrieden. Er zweifelte sehr daran, daß
Gabrielle in ihrem Zustand überhaupt bis nach Amphipolis kommen würde.
Statt eines weiteren Kommentars drückte Gabrielle die Urne in
ihrem Arm fester an sich. Es wäre vernünftiger und bequemer, sie
in ihrer Satteltasche zu transportieren, aber Gabrielle wurde unruhig, sobald sie das Gefäß nicht mehr in ihren Händen fühlte.
Virgil unterdrückte ein Seufzen. Er hätte Gabrielle so gern noch
ein paar Tage bei sich gehabt. Er hatte aus seinen Gefühlen für sie
nie ein Geheimnis gemacht, aber sie hatte sein Werben stets beharrlich abgewehrt. Es hatte einige Zeit gedauert, bis er verstand,
wie tief das Band zwischen ihr und Xena war. Selbst über den Tod
hinaus würde sie ihr gehören. Ihm blieb nichts anderes übrig, als
ihr ein guter Freund zu sein und schwermütige Poesie über eine
schöne Amazonenkönigin zu verfassen. Unwillkürlich griff seine
Hand nach den Schriftrollen in seinem Rucksack. Irgendwann
würde er sie Gabrielle zu lesen geben.
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Das Wiehern seines Pferdes riß ihn aus seinen Gedanken, und er
ritt näher an seine schweigsame Weggefährtin heran. »Meg wird
sich freuen, dich zu sehen.«
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Wenig später saßen die Freunde am Feuer in Virgils kleinem Häu-
schen. Meg war gleich mit einem großen Topf Bohnensuppe herübergekommen und noch an der Türschwelle hatte Virgil seine
Mutter angehalten, keinen Kommentar zu Xenas Abwesenheit abzugeben und Gabrielle keine Fragen zu stellen. Nun war Feinfühligkeit noch nie Megs Sache gewesen, aber sie gab sich alle Mühe,
Gabrielle nicht mit neugierigen Fragen zu bedrängen. Sie begnügte
sich damit, theatralisch die Augen zu verdrehen über Gabrielles
mangelnden Appetit. Wie jemand, der so dünn war wie Gabrielle,
nur eine Tasse Tee trinken und ihre köstliche Suppe ablehnen
konnte, war ihr ein Rätsel.
Obwohl von lieben Menschen umgeben, hielt Gabrielle die Gesellschaft nicht lange aus. Sie erhob sich zeitig und ließ sich von
Virgil ins Gästezimmer begleiten.
»Möchtest du ein anderes Zimmer?« erkundigte er sich, die Augen auf die beiden Betten im Gästezimmer gerichtet.
Gabrielle schüttelte den Kopf. »Es wäre mir lieb, wenn du mich
jetzt allein lassen würdest.«
»Natürlich.« Virgil nahm eine zweite Decke aus dem Schrank
und legte sie auf das Bett. »Es wird kalt werden.« Er gab ihr einen
Kuß auf die Wange und drehte sich zur Tür. »Gute Nacht, Gabrielle.«
Sobald Virgil die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sich Gabrielle auf das frisch bezogene Bett fallen. Wie oft hatten sie und
Xena in diesem Zimmer übernachtet, wenn sie auf dem Weg nach
Athen gewesen waren. Gabrielle griff nach Virgils Decke und
preßte sie gegen ihr Gesicht. Die letzten Wochen auf dem Schiff
waren einfacher gewesen. Sie hatte mit niemandem reden müssen,
auf niemanden reagieren müssen. Und hier . . . Obwohl Virgil so
verständnisvoll war und selbst Meg sich zurückhielt, war die Situa© édition el!es
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tion unerträglich. Alles war zu viel. Gabrielle fühlte sich zu müde
zum Atmen.
Ihr Körper schmerzte, sehnte sich nach Berührung, nach der
Wärme, die von dem Menschen ausgegangen war, der ihr alles bedeutete. Warum habe ich dich nicht zurückgehalten? Warum?! Es war
so alles schnell gegangen, keine Möglichkeit, sich zu besinnen oder
bedacht zu handeln. Niemals würde sie noch einmal zulassen, daß
Xena sie einfach verließ. Sie hätte Xenas Asche in die heilige Quelle ergießen sollen, noch ehe die sich versah, und Xenas Bitten einfach in den Wind schlagen sollen.
Ich habe deine Bitte akzeptiert, weil ich nicht egoistisch sein
wollte, meine Wünsche nicht über deine stellen wollte. Aber jetzt
fühlt sich alles falsch an. Gabrielle ballte die Fäuste über der Decke. Warum hast du so schnell resigniert? Warum hast du nicht gekämpft?
›Es gibt immer eine Wahl.‹ Das sind deine Worte. Deine Worte.
Es konnte nur der Schock gewesen sein, sich für den Tod so vieler Menschen verantwortlich zu fühlen. Verglichen mit den letzten
Malen im Jenseits, wo Xena buchstäblich Himmel und Hölle in
Bewegung gesetzt hatte, um bei ihr zu sein, hatte sie sich jetzt geradezu begierig in den Tod gestürzt. War es Akemi gewesen?
Wollte sie bei Akemi sein? Der Gedanke fiel schwer in Gabrielles
Magengrube. Bedeutete ihr Akemi mehr als sie? War es das, warum Xena ihr nie von ihr erzählt hatte? Aber hätte Xena gegenüber
Akemi Gabrielle als ihre Seelenverwandte vorgestellt, wenn ihr die
Japanerin mehr bedeutete?
Seufzend legte sie die Decke zur Seite und tauchte ihre Hände in
die Wasserschüssel auf dem Nachtisch. Das Wasser kühlte ihre erhitzte Stirn, vermochte jedoch nicht die brennenden Fragen in ihrem Kopf zu vertreiben. Wozu erfanden die Götter das Konzept
der Seelenverwandtschaft, wenn sie trennten, was zusammengehört? Etwas war hier falsch. Grundlegend falsch. Xenas Entschlossenheit, sich bedingungslos für das Gute einzusetzen, ihre Sehnsucht nach Erlösung von der Schuld vergangener Tage hatten sie
direkt in den Tod geführt. Erlösung durch den Tod? Welche Götter konnten das wollen?
Xena?
Fast glaubte sie, die Stimme der Freundin antworten zu hören.
Aber es war nur der Wind, der klappernd über die alten Fenster
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des Hauses strich. »Ich werde immer bei dir sein«, hatte Xena versprochen, über den Tod hinaus.
Gabrielle ließ sich zurück auf das Bett fallen und schloß die Augen. Ein Hauch von Leder und Seife drang in ihre Nase. Ein herbsüßlicher Duft, nur schwach, aber so vertraut. Draußen klirrten
Fensterscheiben und es klang wie Xenas Schwerthiebe, wenn Metall auf Metall schlug. Ein Vogel zwitscherte eine Melodie immer
wieder von vorn und Gabrielle bildete sich ein, es sei der leise Gesang ihrer Partnerin, wenn sie sie in den Armen hielt.
Gute Nacht, Xena.
2. Kapitel
E
s war früher Morgen, als sich der nächtliche Sturm legte und
die Wolken der Sonne Platz machten. Gleißendes Licht fiel
durch die Scheibe auf Gabrielles Bett und senkte sich auf die Urne
an ihrer Seite. Gabrielle blinzelte, als der helle Strahl direkt in ihr
Gesicht fiel. Sie fuhr mit der Hand über die Urne und preßte ihre
Lippen auf das geschwungene Deckelmuster. Ich habe geschworen,
daß ich dich zu Lyceus bringe. Noch heute werde ich aufbrechen.
Ein Klopfen ließ Gabrielle hochfahren. Kurz darauf schob Meg
ihren grauen Haarschopf durch die Tür. »Wir dachten uns, daß du
bestimmt schon wach bist - falls du überhaupt geschlafen hast.« Sie
sah prüfend in das fahle Gesicht der jüngeren Frau. Ißt nicht, trinkt
nicht, schläft nicht. Wie sollte das noch werden?
»Möchtest du Frühstück, Gabrielle?«
»Nein danke, ich möchte so früh wie möglich aufbrechen.«
Meg schüttelte den Kopf. »Dachte ich mir. Das wird Virgil nicht
gefallen.«
»Ich weiß.«
»Soll ich dir nicht wenigstens etwas Brot einpacken?«
»Wirklich nicht, Meg. Ist lieb gemeint.«
»Ich packe dir etwas Nußbrot ein.«
Gabrielle mußte lächeln über Megs entschlossenen Miene, die so
sehr an Xenas erinnerte. Inzwischen sah Meg aus wie eine erheblich breitere Version von Xena, aber sie war noch immer mindes-
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tens ebenso starrsinnig, wenn es um Gabrielles leibliches Wohl
ging. »Danke, Meg. Nußbrot wäre großartig . . .«
»Das will ich meinen.« Virgil tauchte unter der Schulterbeuge
seiner Mutter auf, in den Armen einen Haufen Pergamentrollen.
Etwas verlegen schaute er auf die schöne Frau in seinem Gästebett.
»Ich dachte, die könntest du brauchen auf deiner Reise. «
Gabrielle sah unschlüssig auf die leeren Schriftrollen. »Ja, vielleicht hast du recht«, sagte sie schließlich und nahm ihm das Papier
ab. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Band einer Rolle. Sofort
drang ein vertrauter, leicht modriger Geruch in ihre Nase und mit
ihm eine Flut von längst vergangenen Bildern in ihr Bewußtsein.
»Eine Bardin muß schreiben, um zu überleben, meinst du
nicht?«
»Wofür?« entfuhr es ihr. Sofort bereute sie ihre Bemerkung und
sie legte beschwichtigend ihre Hand auf Virgils Arm. »Ich danke
dir, Virgil. Wahrscheinlich werde ich sie schneller brauchen als ich
denke.«
»Sehr wahrscheinlich«, antwortete er »Und weißt du, was du
noch brauchst?« Er zog ein braun-weißes Kleidungsstück hinter
seinem Rücken hervor. »Du brauchst deinen Mantel wieder, sonst
wirst du niemals wieder anonym durch Griechenland ziehen können.«
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Kurze Zeit später saß Gabrielle in ihrem Ledermantel auf Virgils
Lila und verabschiedete sich von ihren Freunden. Es dauerte nicht
lange, da waren Virgils Schafe nur noch so groß wie das kleine
Holzspielzeug, das Xena ihr einst geschenkt hatte. Der Gedanke
ließ Gabrielle tief durchatmen. Entschlossen preßte sie die Stiefel
in die Seiten ihrer Stute und beschleunigte ihren Lauf. Sie wollte
Amphipolis so schnell wie möglich erreichen.
Gabrielle wählte einen Weg fernab von der Route, die Xena und
sie üblicherweise zu nehmen pflegten. Zu groß war ihre Sorge, auf
Menschen zu treffen, die sie kannte, und auf deren Fragen keine
Antworten geben zu können.
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Die Sonne war schon weit in den Westen gewandert, als Gabrielle beschloß, in einem der Dörfer Halt zu machen. Sogleich
drang fröhliche Musik an ihr Ohr und sie folgte dem Lautenspiel in
eine Seitenstraße. Die kleine Schenke dort war sauber und gut gefüllt. Rechts von der Eingangstür befand sich eine Holzbühne, auf
der drei alte Musiker folkloristische Weisen spielten. Gabrielle
setzte sich an einen der hinteren Tische und lauschte den vertrauten Melodien. Der Wirt, ein hochgewachsener Mann mit einer tiefen Narbe über dem rechten Auge, hatte alle Hände voll zu tun. So
dauerte es eine Weile, bis er ihr das bestellte Glas Wasser auf den
Tisch stellte. Er sah etwas abschätzig in ihren Becher, verbeugte
sich aber höflich, als sie ihm einen Dinar Trinkgeld auf den Tisch
legte.
Im Hintergrund hatten die Musiker aufgehört zu spielen und ein
schmächtiger Mann in einem grünen Umhang betrat die Bühne.
»Mein Name ist Caduceus. Ich bitte um eine milde Spende für einen armen Barden, der nur für die Kunst lebt.« Er blickte aufmunternd die Runde. »Ich sehe schon, ihr wollt erst eine Geschichte.
Nun gut, hier habt ihr sie. Ich singe von Göttern und Menschen
und von dem, was sie trennt und verbindet.«
Gabrielle betrachtete den dürren Mann mit einer Mischung aus
Wehmut und Neugierde. Es war lange her, daß sie selbst diejenige
gewesen war, die in einer Schenke Geschichten erzählt hatte. Und
bei Zeus, sie könnte ein paar Dinare gut gebrauchen. Dennoch
verspürte sie keinen Impuls, sich zu dem Mann auf der Bühne zu
gesellen. Mit Xena hatte sie auch die Muse verlassen, eine besonders bittere Tatsache, bedachte man, daß es hier um ihren Lebensunterhalt ging.
Caduceus räusperte sich und schloß für einen kurzen Moment
die Augen. Gabrielle mußte lächeln bei seinem Anblick, sie kannte
diesen Augenblick der inneren Sammlung nur zu gut. Inzwischen
war es still geworden im Saal und alles sah erwartungsvoll auf die
Bühne. Endlich hob der Barde seinen Kopf, ein listiges Leuchten in
den Augen. Mit kräftiger Stimme begann er seine Geschichte:
»Es war einmal eine Zeit, vor vielen tausend Jahren, da hatten
alle Menschen zwei Köpfe, vier Beine und vier Arme. Alle Menschen waren glücklich. Und wie ihr euch denken könnt, gefiel das
Zeus nicht. Kein Mensch sollte glücklicher sein als die Götter.
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Und so ließ Zeus Blitz und Donner auf die Menschen herabfahren
und alle Menschen teilten sich in zwei Hälften. Ein großes Chaos
entstand. Und von da ab versuchten die Menschen . . .«
Der Rest der Erzählung entging Gabrielle. Sie war abrupt aufgestanden, hatte nach ihrer Tasche gegriffen und war aus der Gastwirtschaft gestürmt. Zurück blieben zwanzig verdutzte Tavernenbesucher und ein gekränkter Barde. Draußen schaffte sie es gerade
noch, ihre Tasche auf Lilas Sattel zu werfen, bevor sie sich übergab.
»Junge Dinger wie du sollten lieber die Finger vom Alkohol lassen«, kommentierte eine ältere Frau im Vorübergehen.
Ohne zu antworten, nahm Gabrielle die Zügel ihres Pferdes und
führte ihren Schimmel ein paar Straßen weiter an einen Wassertrog. Sie befand sich erneut vor einer Schenke, diese jedoch sah
weitaus heruntergekommener aus. »Poseidons Küche« stand in
vermoderten Buchstaben über der Eingangstür und Gabrielle hoffte, daß es drinnen nicht buchstäblich so aussah wie auf dem Meeresboden.
Einen kurzen Moment vergrub Gabrielle ihr Gesicht in Lilas
Mähne, bevor sie ihr einen zärtlichen Klaps gab und das Gebäude
betrat. Drinnen empfing sie ein muffiger Geruch von Alkohol und
Schweiß. Männliche Stimmen grölten aus der Ecke hinter dem
Tresen. Es war so dunkel, daß man die Gestalten an den Tischen
kaum erkennen konnte. Gabrielle hielt unwillkürlich den Atem an,
nicht länger als eine kurze Mahlzeit würde sie hier bleiben.
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, setzte sie
sich an einen Ecktisch und legte Megs ungeöffnetes Nußbrot vor
sich auf den Tisch. Wenn sie es nicht schaffte, endlich etwas zu
sich zu nehmen, würde sie die Reise nicht durchstehen. Doch allein der frische Geruch des Brotes ließ ihren Magen rebellieren. Ich
weiß, was du jetzt sagen willst. Aber sag mir, wie? Komm zu mir zurück
und ich esse an diesem widerlichen Ort alle Töpfe in der Küche leer.
Wie oft hatte sich Xena über ihren beachtlichen Appetit amüsiert. Und damals, als Xena ihr den Pinch gegen Seekrankheit gezeigt hatte . . . Gabrielle stützte die Ellenbogen auf den Tisch und
vergrub ihr Gesicht in den Händen. Nein, nicht hier. Nicht an diesem
Ort.
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Am Nebentisch ließen sich ein paar Bauern nieder und bestellten
lautstark ihre Getränke. »Immer mit der Ruhe«, drang die Stimme
der betagten Wirtin in Gabrielles Ohr. »Hier habt ihr euer Bier.
Seid ihr nicht Bauern aus Amphipolis, der Stadt Xenas?«
Gabrielles Kopf schoß hoch und sie sah den bärtigen Mann am
Nebentisch eifrig nicken. »Ja, ganz recht, Amphipolis. Das ist
längst keine Geisterstadt mehr. Xena hat die Stadt von Mephistos
Fluch befreit. Und inzwischen haben wir das beste Getreide in der
ganzen Gegend.« Der Bauer sah seine Kollegen Beifall heischend
an. Die beeilten sich, ihm zuzustimmen. »Er hat recht, und dieses
Jahr ist unser Korn besonders gut. Du solltest dir einen neuen
Bauern für deine Brote suchen, Mütterchen.« Der Mann neben
dem Bärtigen gab der Wirtin einen deftigen Schlag auf den Po.
Sie schüttelte unbeeindruckt seinen zudringlichen Arm ab.
»Nein danke, ich kaufe bestimmt für meine Gäste kein Getreide
von einer verfluchten Stadt.«
»Heh, heh, heh«, sagte der Bärtige. »Wenn ich es dir doch sage,
unser Dorf blüht und gedeiht. Das könnte deiner kleinen Wirtschaft hier gehörig Auftrieb verleihen.« Er deutete mit dem Daumen auf die leeren Tische neben dem Eingang.
»Ihr Bauern könnt mir viel erzählen, ihr wollt doch nur eure
verkommene Ernte loswerden. Wo soll sie überhaupt sein, eure
tollkühne Retterin?«
»Xena?« Der Bärtige neigte sich vor, ein verschwörerisches Funkeln in den Augen. »Sie ist in einem anderen Land im Osten.
Weit, weit weg von hier. So weit, daß du dich schon an der Sonne
verbrennst, so nah ist sie dir.« Er machte eine dramatische Pause.
»Dort ist noch eine verfluchte Stadt, die Xena retten muß, genau
wie unser Amphipolis. Ich wette, sie ist gerade dabei, sich mit deren Gott anzulegen. Wenn sie Mephisto erledigt hat, dann kann sie
es mit den Göttern dort allemal aufnehmen. Ich habe gehört, die
Götter sind dort eh kleiner als hier und gelb von der vielen Sonne.«
Die Wirtin lachte und stemmte die Hände in die Hüften. »Ihr
Amphipolitaner seid ganz schön verrückt. Warum setzt ihr der
Kriegerprinzessin nicht gleich ein Denkmal und betet sie an, wenn
ihr sie so toll findet.«
»Das haben wir.«
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Alle Blicke richteten sich auf einen dürren Mann, der an der
Theke stand. »Ich bin Bildhauer, ich habe selbst mitgewirkt an der
Statue.«
»Statuen macht man von Toten, nicht von Lebenden.« Die Wirtin schüttelte den Kopf und begab sich zurück hinter ihre Theke.
Das sichtbare Zittern der blonden Frau am Ecktisch entging ihr.
»Macht doch, was ihr wollt. Die Welt ist einfach nicht mehr das,
was sie mal war, nachdem Xena die ganzen Götter getötet hat. Sie
waren sicherlich nicht die besten Herrscher, aber irgendwie hing
ich an ihnen. Woran soll man nun noch glauben?« Sie verdrehte
die Augen. »Jetzt machen die Leute schon Statuen von Lebenden.
Das ist nur, weil diese junge Bardin, die mit ihr reist, komische
Geschichten über sie verbreitet und sie in den Himmel hebt, als sei
sie eine Göttin.«
Die Bauern ignorierten die Wirtin und wandten sich aufgeregt
an den Bildhauer. »Du hast wirklich an der Statue mitgearbeitet?
Warum habt ihr sie denn noch nicht enthüllt?«
»Wir warten, daß die Kriegerprinzessin nach Amphipolis
kommt. In einer großen Zeremonie wollen wir ihr dafür danken,
was sie für unsere Stadt getan hat.«
Der Bärtige leerte sein Bier in einem Zug und stellt sich zu dem
Bildhauer. »Komm, erzähl schon. Wie sieht die Statue aus? Steht
Xena aufrecht oder sitzt sie auf ihrem Pferd? Hat sie ihr Chakram
in der Hand? Schneidet sie gerade einem Gauner die Kehle damit
durch? Ist die kleine Bardin auch dabei?«
Gabrielles Hand wanderten unwillkürlich zu der scharfen Waffe
unter ihrem Mantel. Ihre Finger umschlossen fest das kalte, runde
Metall. Erst Minuten später drang der Schmerz in ihrem Handballen in ihr Bewußtsein. Dickes, rotes Blut tropfte in ihren Schoß,
als sie ihre Hand von dem eisernen Ring zog. Gabrielle führte ihre
Hand an den Mund und schloß die Augen, als tränke sie kostbaren
Wein.
Warum bist du nicht hier?
»Ich darf es euch nicht verraten«, drang die Stimme des Bildhauers an ihr Ohr. »Aber ich kann euch versprechen, daß wir sie
ziemlich gut getroffen haben, unsere Kriegerprinzessin.«
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»Woher willst du wissen, wie sie aussieht?«, fragte der Bärtige.
»Hast du sie gesehen? Ich denke, sie weiß noch gar nichts von der
Skulptur.«
»Ihre Tochter hat uns geholfen. Sie ist in Amphipolis und baut
dort einen Tempel für irgendeinen Heiligen auf. Sie wird mit uns
feiern, wenn Xena in die Stadt kommt.«
Gabrielle ließ ihre blutende Hand auf den Tisch fallen und starrte auf den Bildhauer. Eve? Eve war in Amphipolis?
Die Wirtin nickte nur kurz, als Gabrielle mit ihrer unversehrten
Hand ein paar Dinare auf den Tisch warf. »Dank für Speis und
Trank«, murmelte sie im Vorbeigehen und atmete erst wieder ein,
als sie im Freien vor der Schenke stand.
Eve.
Eve würde nicht so zurückhaltend wie Virgil reagieren. Sie würde wissen wollen, was passiert war. Sie würde nicht eher ruhen,
als bis Gabrielle ihr alles erzählt hatte. Gabrielles Beine zitterten,
als sie sich auf Virgils Stute schwang und die Richtung nach
Amphipolis einschlug. Verlaß mich jetzt nicht, bitte verlaß mich jetzt
nicht. Ich stehe das sonst nicht durch.
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Die Bauern hatten nicht gelogen, Amphipolis hatte sich in der Tat
wieder in eine blühende Stadt verwandelt. Xena wäre so froh gewesen, hätte sie dies alles gesehen. Die neuen Häuser, die Marktstände, die Tempel, die neuen Straßen. Die Stadt sah aus, als wolle
sie persönlich dem Gott trotzen, der der Welt zwei Jahre zuvor
buchstäblich die Hölle auf Erden beschert hatte.
Gabrielle war froh, daß sie auf dem Rücken eines Pferdes saß,
als sie die Stadt durchquerte. Ihre Füße hätten sie nicht getragen.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie an dem alten Haus von
Cyrene vorbei ritt, auf der Suche nach dem Tempel Elis, von dem
der Bildhauer gesprochen hatte.
Sie fand ihn, ein wenig außerhalb der Stadt, gleich neben
Amphipolis’ Tempel für Aphrodite. Gabrielle stieg von ihrem
Pferd und griff nach der Tasche, in dem sich die Urne befand. Die
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verbundene Hand an die Stute gelehnt, kämpfte sie gegen die aufsteigende Übelkeit. Nur allmählich hörten die Wände des Tempels
vor ihr auf, sich zu drehen. Schließlich streckte sie ihren Rücken
und holte tief Luft. Dann betrat sie die kühlen Räume von Elis
Tempel.
Drinnen dauerte es eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Männer und Frauen saßen an verschiedenen Stellen auf dem Boden. Einige beteten, andere arbeiteten an
Gegenständen, die offenbar für den Tempel bestimmt waren: Bilder Elis, ein aus Holz gefertigter Fisch und noch einige andere
Symbole, die Gabrielle nicht kannte. Sie blieb stehen, als ein junger Mann mit einem langen, an den Spitzen gedrehten Bart auf sie
zueilte.
»Gabrielle!«
»Yannis!«
Der Mann schloß Gabrielle in eine herzliche Umarmung, ungeachtet des unförmigen Gepäcks, das sie mit sich trug. »Wo ist Xena? Ist sie nicht hier?«
Gabrielle ignorierte seine Frage. »Ich suche Eve.«
Der Prediger strahlte und hakte ihren Arm unter. Er führte sie
durch den Tempel und gab Erläuterungen zu jeder einzelnen Säule, nicht gewahr, daß die Frau neben ihm mit ihren Gedanken
nicht bei seinen Ausführungen war. Vor einem grünen Vorhang
stoppte er schließlich und verschwand dahinter. Kurz darauf trat
Eve heraus.
»Gabrielle! Oh, Gabrielle!« Eve zog sie fest an sich. »Wie geht
es dir? Seid ihr aus Japan zurück? Wo ist Xena?«
Als Gabrielle nicht antwortete, löste Eve ihre Umarmung. Sie
ging einen Schritt zurück und sah beunruhigt zwischen ihr und
Yannis hin und her. »Ist etwas passiert?«
»Können wir . . . können wir irgendwo reden?«
Eves vorher besorgter Gesichtsausdruck verriet jetzt aufkeimende Panik. Sie gab Yannis ein paar Anweisungen und führte Gabrielle aus dem Tempel heraus. »Was ist los?«
Gabrielle schüttelte stumm den Kopf und schloß die Augen. Sie
forschte nach etwas in sich, das ihr die Kraft gab, die nächsten
Momente durchzustehen. Eve mußte es erfahren, sie hatte ein
Recht darauf.
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Kraftlos sank Gabrielle auf eine der dicken Säulen, die bald den
Vorbau des Tempels zieren würden. Als sie sich setzte, gab ihr
Mantel den Blick auf das Chakram an ihrer Hüfte frei. Das plötzliche Flackern in Eves Augen brach Gabrielle das Herz. Als wäre es
nicht schon tausendmal gebrochen in diesen letzten Wochen.
Leise, stockend, manchmal unzusammenhängend, berichtete
Gabrielle von Japan. Sie erzählte von Yodoshi, dem »Herrn der
Finsternis«, der in der Lage war, die Seelen von Gestorbenen in
seine Gewalt zu bringen. Und von Akemi, der schönen Japanerin,
die Xena einst geliebt hatte. Sie erzählte, wie ein japanischer
Mönch Xena und sie in Griechenland aufgesucht hatte, geschickt
von Akemi, damit Xena das Dorf Higushi vor Yodoshi rettete. Wie
sie gemeinsam nach Japan gesegelt waren und dort erfahren hatten, daß Xena durch einen Unfall vor vielen Jahren dazu beigetragen hatte, daß die Stadt Higushi bis zu den Grundmauern abgebrannt war und 40.000 Menschen dabei gestorben waren. Gabrielle erzählte von Xenas tiefem Schmerz darüber und wie sehr sie unter ihrer Schuldgefühlen gelitten hatte.
Als Gabrielle an dem Punkt angelangt war, an dem Xena ihren
eigenen Tod beschlossen hatte, um Yodoshi in der Geisterwelt besiegen zu können, versagte ihre Stimme. Eine Weile starrte sie
stumm vor sich auf den Waldboden, Eves bangen Blick auf sich gerichtet. Schließlich hob sie einen Stock vom Boden auf und begann,
Buchstaben in den staubigen Boden zu malen.
So erfuhr Eve, daß Xena Gabrielle nicht in ihre Entscheidung
einbezogen hatte, aus Angst, diese würde sie nicht gehen lassen
und in der Schlacht gegen Yodishis Armee mit ihr sterben. Sie erfuhr, daß Gabrielle zu spät Xenas Plan durchschaut hatte und sie
Xena erst wiedersah, als die schon ins Geisterreich Yodoshis übergetreten war. Und daß Gabrielle alles versucht hatte, um rechtzeitig den Berg Fuji zu erreichen. Um dort noch vor Sonnenuntergang Xenas Asche in die heilige Quelle zu streuen und damit Xena
wieder in das Leben zurückholen zu können.
Eve erfuhr, daß Gabrielle wie eine Löwin um Xenas Leben gekämpft hatte. Doch letztlich war es die Kriegerprinzessin selbst
gewesen, die, nachdem sie Yodoshi besiegt hatte, Gabrielle daran
gehindert hatte, sie ins Leben zurückzuholen. Sie bestand darauf,
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daß die Seelen der 40.000 Menschen von Higushi durch ihr Opfer
gerächt und erlöst würden.
Weiter schrieb Gabrielle nicht. Die letzten Momente, die sie mit
Xena verbracht hatte, würde sie niemals jemandem erzählen, auch
nicht Eve. Die gehörten ihnen beiden ganz allein.
Eve war inzwischen aufgestanden und lief unruhig neben der
Säule hin und her. Die überwältigende Trauer, die sie im ersten
Moment ergriffen hatte, war verzweifelter Wut gewichen. »Das
ist nicht richtig, Gabrielle! Das ist nicht richtig! Das akzeptiere ich
nicht! Das ist gegen alles, wofür ihr gekämpft und gelebt habt!«
Gabrielle sah nur aus dem Augenwinkel, wie Eves Oberschenkelmuskulatur sich plötzlich anspannte. Da flog der Körper neben ihr
auch schon durch die Luft, begleitet von einem markerschütternden Schrei. Nach einem doppelten Salto landete Eve wieder sicher
auf dem Waldboden, den Blick auf Xenas Chakram gerichtet.
»Eve . . .«
»Wo ist dieses verdammte Land?«
»Eve . . .«
»Akemi! Die Frau kann froh sein, daß sie schon tot ist,
sonst . . .«
»Eve!«
Mit einem Ruck wandte sich die dunkelhaarige Frau an Gabrielle. Sie griff nach Gabrielles Stock und vollführte damit blitzschnelle Bewegungen in der Luft. »Das akzeptieren wir nicht, Gabrielle!«
»Eve.«
»Worauf wartest du, Gabrielle? Was ist in dich gefahren?«
Gabrielle schüttelte den Kopf. »Was würde Eli sagen, wenn er
dich so sähe?«
Eve hielt mitten in der Bewegung inne und sah entsetzt zu Gabrielle. Endlich ließ sie den Stock sinken und ließ sich seufzend neben sie fallen. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Aber was passiert ist, ist nicht richtig, und das weißt du
auch. »Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Warum gibst du
dich damit ab?«
»Weil ich es nicht noch einmal verkrafte.« Gabrielle verbarg ihren Kopf in den Händen.
»Was verkraftest? Xenas Rückkehr?«
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»Nein, zu hoffen. Um sie zu kämpfen, und am Ende ist alles umsonst. Ich schaffe das nicht noch einmal. Verstehst du? Ich kann
nicht mehr.«
»Aber sie war doch schon einmal tot und du hast sie wieder zurückgeholt!«
»Das war etwas anderes. Da wollte Xena zurück.«
Eve sah Gabrielle ungläubig an. »Und du meinst, daß sie dieses
Mal nicht will? Sie will doch nur nicht, weil Yodoshi ihr keine
Wahl gelassen hat. Das kann doch nicht das letzte Wort sein!« Eve
faßte Gabrielles Schultern mit beiden Händen und drehte sie energisch zu sich. »Was ist damals passiert? Sag’s mir! War es nicht genauso, daß Xena gedacht hatte, es sei richtig zu sterben? Warum
ist sie zurückgekommen? Warum?«
Gabrielle löste sich aus Eves Griff. »Das verstehst du nicht,
Eve.«
»Dann erklär’s mir. Warum?«
»Sie . . . hat mich gehört.«
»Was meinst du?«
»Du weißt doch, daß die Toten die Gedanken der Lebenden hören können. So hat Xena mitbekommen, was nach ihrem Tod geschehen ist. Ich hatte Iolaus gesagt, wie sehr ich sie liebe, und daß
sie nicht einfach von mir gehen kann. Und daß . . .« Gabrielles hielt
inne. Eve sah den Schauder, der durch ihren Körper wanderte und
legte ihre Hand auf Gabrielles Arm. Sie wußte, daß das Band zwischen Gabrielle und Xena in all den Jahren noch um so vieles fester
geworden war, der Verlust um so vieles unerträglicher.
»Sie wollte dich nicht allein lassen?«
»Nein, das war es nicht. Sie sagt, die Kraft meiner Liebe hätte
sie zurückgeholt, sie sei ihre Verbindung zum Leben gewesen.«
»Und warum geht das jetzt nicht? Liebst du sie nicht mehr?«
Ein bitteres Lachen war die Antwort. Gabrielle griff nach ihrer
Tasche und holte das schwarze Gefäß hervor, das sie die letzten
Wochen nicht aus den Augen gelassen hatte. »Liebe allein vermag
das nicht, Eve. Wir hatten Xenas Körper und wir hatten Ambrosia. Und wir hatten Glück, die Götter waren auf unserer Seite.«
Eve blickte entsetzt auf die Urne in Gabrielles Schoß. »Vielleicht
ist sie schon längst in einem anderen Körper wiedergeboren?«
»Nein, sie ist bei uns. Ich kann sie spüren.«
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»Was? Du spürst sie? Warum spüre ich sie nicht? Ich bin ihre
Tochter!«
Gabrielle mußte lächeln. »Weil wir Seelengefährtinnen sind,
Eve.«
»Das ergibt für mich alles keinen Sinn. « Eve schüttelte den
Kopf. »Wenn ihr Seelengefährtinnen seid, warum seid ihr dann getrennt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und wenn es nur eine Prüfung ist?«
»Welche Prüfung sollte das wohl sein?«
»Keine Ahnung. Wenn du es wüßtest, wäre es vielleicht keine.«
Gabrielle legte die Urne zurück in ihre Tasche. »Wer oder was
sollte uns prüfen, Eve? Xena hat alle Götter getötet, die uns prüfen
könnten. Und weder Aphrodite noch Ares würde sich so etwas
ausdenken.«
»Was ist mit dem Schicksal selbst?«
»Du meinst die Schicksalsgöttinnen?«
Eve zuckte mit den Achseln. »Könnte doch sein, oder nicht? Es
ist mir völlig egal, wer oder was es letztlich ist, aber irgendwas ist
hier faul, Gabrielle. Siehst du das nicht?«
»Sie kann nicht, meine Liebe.«
Die helle Stimme ließ die beiden Frauen herumfahren. »Aphrodite!« Gabrielle sprang auf und eilte der Liebesgöttin entgegen.
»Aphrodite! Was machst du hier?«
Die Göttin öffnete ihre Arme und ließ ihre sterbliche Freundin
hinein. »Es ist mein Tempel dort drüben, falls du das vergessen
hast.«
Gabrielle sank in Aphrodites Arme, und als die Göttin ihren
Körper fest an sich drückte, da geschah es. Die Wände fielen, die
Schleusen öffneten sich, und ihr Körper wurde geschüttelt von
Schluchzern, die nicht mehr aufzuhören schienen. Gabrielle schrie
und wimmerte, fluchte und weinte.
Glücklicherweise machte die Göttin keine Anstalten, ihre Umarmung zu lösen. Lange standen sie so, bis Aphrodite schließlich
vorsichtig ihren Arm hob und Gabrielle ein wenig von sich weg
schob. »Es tut mir so leid, meine Kleine. «
Eve, weniger überwältigt als Gabrielle, war immer noch wütend
und entschlossen, die Gunst des Augenblicks zu nutzen. »Aphrodi20
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te«, sagte sie bestimmt. »Du kannst uns sicher sagen, was hier eigentlich los ist.«
Die Göttin machte eine kreisende Bewegung mit dem Handgelenk und fischte ein weißes Stück Stoff aus der Luft. Sie wischte
Gabrielle die Tränen von den Wangen und führte sie zu der Säule
zurück. »Nein, das kann ich leider nicht«, sagte sie bedauernd.
»Aber vielleicht weiß ich doch ein wenig mehr als ihr.«
Eve sah sie mißtrauisch an. »Gabrielle, woher willst du wissen,
daß diese Frau tatsächlich auf unserer Seite ist. Schließlich hat Xena
all ihre Verwandten getötet und wenn es mich nicht gäbe, wären
noch alle Götter am Leben!«
Aphrodite hob abwehrend die Hände. »Ach, die Schwächlinge.
Um die tut es mir nicht leid. Die haben doch alle immer nur an
sich gedacht und die Menschen waren ihnen egal.«
Bevor Eve etwas erwidern konnte, fuhr Aphrodite fort »Ich
weiß, was du jetzt denkst, ich bin auch nicht anders gewesen. Aber
die Zeit als Sterbliche hat mich verändert. Ich weiß jetzt wie es
sich anfühlt, ein Mensch zu sein. Ich habe gelernt, welchen Mut
die Liebe kostet, wenn man ein Mensch ist. Und ich habe gelernt,
daß Ares und ich stärker zusammenarbeiten müssen, anstatt uns
ständig die Menschen zu neiden, die uns nachfolgen. Xena hat was
gut bei mir, weil sie mir meine Göttlichkeit zurückgegeben hat.«
Noch immer mißtrauisch sah Eve zwischen Aphrodite und Gabrielle hin und her. Gabrielle war ganz offensichtlich nicht in der
Lage, die richtigen Fragen zu stellen, also mußte sie die Sache in
die Hand nehmen. »Nun gut.« Sie setzte eine versöhnlichere Miene auf. »Was also hast du gemeint, als du vorhin gesagt hast, Gabrielle könne nicht. Was kann sie nicht?«
Aphrodite strich Gabrielle durch das zerzauste Haar, eine Geste,
deren Zärtlichkeit Eve überraschte. »Ich meinte damit nur, daß
Gabrielle handlungsunfähig ist, solange sie sich nicht mit ihrer Verletzung auseinandersetzt.« Sie hob Gabrielles Kinn und sah ihr direkt in die Augen. »Hast du Xena einmal gesagt, wie eifersüchtig
du auf Akemi warst? Hast du ihr einmal gesagt, wie es dich verletzt
hat, daß sie dich allein hat stehen lassen am Berg Fuji, nachdem du
alles gegeben hast, um sie zurückzuholen? Hast du ihr einmal gesagt, wie wütend es dich gemacht hat, daß sie sich von Yodoshis
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Anführer enthaupten ließ, ohne dir etwas von ihrem Plan zu sagen?«
Aphrodite erwartete keine Antwort, der Ausdruck in den Augen
ihrer Freundin war ihr genug. »Das ist es, was ich meine. Als Göttin der Liebe verstehe ich etwas von Eifersucht und Ärger, von
Verletzung und Versöhnung. Keine Liebe funktioniert ohne Arbeit. Solange du mit dir nicht im Reinen bist, Gabrielle, kannst du
nicht sehen, was richtig und was falsch ist.« Aphrodite tätschelte
Gabrielles Arm. »Na, komm schon, Gabby. Laß es raus.«
Gabrielle öffnete den Mund, aber ihr Hals war wie zugeschnürt.
»Mir ist schlecht«, preßte sie hervor.
»Na, das ist doch schon mal ein Anfang«, sagte die Göttin aufmunternd und zwinkerte Eve zu. Die lief ungeduldig vor der Säule
hin und her. Ihr dauerte das hier alles zu lange. Wer wußte denn,
wie viel Zeit ihnen noch blieb?
Aphrodite fing den drängenden Blick der jungen Frau unbeeindruckt auf und wandte sich wieder an Gabrielle. »Meine kleine
Amazonenkönigin«, sagte sie sanft und drückte sie an ihre volle
Brust. »Wir wissen alle, wie sehr du Xena liebst und daß ihr Glück
und Seelenheil dir wichtiger ist als dein eigenes. Das war ja auch
der Grund, daß du sie hast gehen lassen. Aber, meine Liebe, ist es
nicht so, daß du Akemi verfluchst für das, was sie Xena angetan
hat?«
Ein stummes Nicken.
»Und ist es nicht so, daß du dir auf einmal unsicher bist, ob du
Xena jemals mehr bedeutet hast als Akemi? Und bist du nicht vielleicht wütend, daß Xena dir nie von Akemi erzählt hat?«
Oh, Xena, ich wäre dir so gern eine loyale Freundin, aber ich kann
nicht. Auch wenn sie dir das Herz gebrochen hat, war ich es nicht wert,
daß ich davon wußte?
»Und ist es nicht so, daß du enttäuscht bist, daß Xena dich nicht
in ihre Entscheidung mit eingezogen hat? Nach all den Jahren eurer
Partnerschaft?«
Wieder ein Nicken.
Aphrodite faßte Gabrielle an den Schultern. »Und ist es nicht so,
daß Xena mal wieder nur ihrem übergroßen Schuldkomplex in den
Mittelpunkt gestellt hat und dich und eure Beziehung hintan gestellt hat?«
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»Das ist so unglaublich ungerecht!« schrie Gabrielle. »Wo bleibe
ich bei der ganzen Sache? Wo? Mir wurde alles genommen!« Sie
schlug ihre Hände vors Gesicht. »Sie ist alles, was ich brauche, alles was ich will. Xena ist mein Leben!«
Eve wollte auf Gabrielle zugehen, aber Aphrodites warnender
Blick hielt sie zurück. »Und ist es nicht so, daß du sowieso in eurer
Beziehung immer auf etwas gewartet hast, was du nie bekommen
hast?«
Gabrielle nahm ihre Hände vom Gesicht, das blanke Entsetzen in
den Augen. Doch Aphrodite ließ sich nicht beirren. »Fühlst du
dich gar nicht betrogen, Gabrielle? Du bist diejenige, die auf alles
verzichtet hat. Ihr zuliebe. Und jetzt läßt sie dich zurück.«
Gabrielle stöhnte leise. »Hör auf Aphrodite . . . Bitte . . .«
Eve starrte von der Göttin zu Gabrielle und wieder zu Aphrodite. »Ich warne dich, Aphrodite. Laß Gabrielle in Ruhe! Du hast
kein Recht, sie derart zu quälen.«
Die Liebesgöttin lächelte. »Manchmal muß man euch dummen
Sterblichen ein wenig auf die Sprünge helfen.« Helle Funken
sprühten durch die Luft und die Göttin war verschwunden.
»Götter sind so unsensibel«, fluchte Eve. »Es tut mir so leid,
Gabrielle.«
»Sie hat ja recht, Eve.« Gabrielle Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern. »Sie hat ja recht.«

Es war bereits Nachmittag, als Eve und Gabrielle von ihrer Wanderung durch den Wald zurückkehrten. Dreimal waren sie nun
schon den schmalen Pfad rund um Amphipolis entlang gewandert.
Die Bewegung schien Gabrielle gut zu tun, und Eve wartete geduldig, bis die Partnerin ihrer Mutter bereit sein würde, ihre Fragen zu beantworten.
In der Tat ließ Gabrielle sich Zeit. Es hatte den Anschein, als lägen zentnerschwere Lasten auf ihren Schultern, und Eve war es
zunehmend unangenehm, von Gabrielle die Wahrheit zu verlangen. Würde es nicht um das Leben ihrer Mutter gehen, so hätte sie
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Gabrielle längst mit ihren Gedanken allein gelassen. Das Mindeste,
was sie nun tun konnte, war Gabrielle die Zeit zu geben, die sie
brauchte.
»Vielleicht geht es mich ja nichts an«, startete sie einen neuen
Versuch. »Aber ich habe nicht viel verstanden von dem, was Aphrodite vorhin zu dir gesagt hat.«
Gabrielle runzelte die Stirn, als sie Eves fragendem Blick begegnete. Ihr war nur zu bewußt, daß sie im Moment nicht in der Lage
war, die Dinge klar zu sehen. Eves Perspektive konnte in der Tat
hilfreich sein.
Eve wischte sich ein imaginäres Insekt von ihrem Kleid. »Ich
meine, normalerweise würde ich dich das nicht fragen«, sagte sie
entschuldigend. »Aber Aphrodite hat sich verhalten, als wäre es
wichtig, und es könnte uns einen Schritt weiterbringen.«
»Einen Schritt weiter«, wiederholte Gabrielle leise. Noch vor
wenigen Stunden hatte sie nicht mehr an irgendwelche Schritte geglaubt, egal, in welche Richtung. Vielleicht hatte sie sich von Xenas Entschlossenheit wirklich blenden lassen.
»Ich weiß noch, wie wir in der Wüste mal in einen verheerenden Sandsturm geraten sind. Ich fragte Xena, wohin wir denn bloß
gehen sollen, wir könnten ja nicht einmal erkennen, in welche
Richtung wir gehen. Xena hat nur geantwortet, daß wir doch nie
wüßten, wohin wir gehen, und ist einfach in irgendeine Richtung
vorwärts gestürmt. Nicht stehen bleiben, das war das Wichtigste.«
Gabrielle schüttelte den Kopf bei der Erinnerung. »Ich bin wirklich froh, daß du da bist, Eve.«
»Wir drei haben uns wiedergefunden, Gabrielle. In einer Zeit,
als ich nicht wußte, wer ich war, noch, wo ich hingehörte. Ihr hattet die Stärke und das Vertrauen, zu mir zu stehen und das Beste in
mir zu sehen. Ihr habt nicht aufgegeben, und jetzt weiß ich, wo ich
hingehöre. Ich werde euch das nie vergessen. Du bist wie eine
Mutter zu mir gewesen, obwohl du allen Grund gehabt hättest, es
nicht zu sein.« Eve ergriff Gabrielles Hand. »Du bist jetzt nicht allein. Gib nicht auf. Du wirst sehen, es gibt immer einen Weg.«
Gabrielle mußte lachen, das erste Mal seit Wochen. »Das hat
Xena auch immer gesagt.«
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»Wie die Tochter so die Mutter.« Eve stimmte in ihr Lachen
ein. »Also, Gabrielle, laß uns versuchen, eine Richtung zu finden.
Was hat Aphrodite gemeint?«
Gabrielle schaute seufzend nach oben in die Wipfel des Waldes.
Der Wind pfiff so laut durch die Jahrhunderte alten Bäume, als
wolle er sie herausfordern, mit fester Stimme die Wahrheit herauszuschreien. Sie wagte nicht, Eve anzusehen, als sie fortfuhr.
»Ich glaube, Aphrodite meint, daß ich mit mir selbst und mit Xena
ins Reine kommen muß, um die Richtung erkennen zu können.
Und daß ich mir selbst im Wege stehe.«
»Also, das habe ich verstanden.«
»Ja, das dachte ich mir.« Gabrielle sah Eve scheu von der Seite
an. Mit keiner Regung verriet das junge Gesicht seine Ungeduld.
Sicher das Ergebnis jahrelangen, harten Trainings. Sie selbst hatte
das nie gekonnt. Für Xena waren ihre Züge immer ein offenes
Buch gewesen, sehr zu ihrem eigenen Unwillen.
»Warum hat Aphrodite so betont, daß du auf etwas gewartet
hast in eurer Beziehung, und daß du das jetzt nicht mehr bekommen wirst?«
»Ich glaube, Aphrodite hat alle Punkte aufgezählt, wo sie meine
Energie blockiert fand. Ich glaube, sie wollte meine Energie freisetzen, damit ich um Xena kämpfen kann.«
»Aber was meinte sie damit?«
Gabrielle warf Eve einen verzweifelten Blick zu. »Weißt du . . .
unsere Beziehung war anders als sie nach außen schien«, sagte sie
vorsichtig. »Wir . . . unsere Beziehung . . . wir waren nicht . . .«
»Was wart ihr nicht?«
»Nicht . . . wir waren nicht . . . körperlich zusammen.«
»Was?!« Eve zog abrupt ihre Hand weg. »Was meinst du damit?
Nicht zusammen? Wie . . . warum nicht? Ich meine . . . ich denke . . . Ihr seid doch Seelengefährtinnen, oder nicht?«
Gabrielle stöhnte leise. Sie kam sich selten dämlich vor, dieses
Thema ausgerechnet mit Xenas Tochter zu besprechen. »Es ist
nicht so wie du denkst . . .«
»Was gibt es da zu denken?« fragte Eve verwirrt.
»Weißt du, für deine Mutter war es nie einfach. Sie kommt noch
so oft an alte Gefühle heran aus ihrer Zeit als Kriegsherrin. Die
Lust an der Macht, die Lust am Kämpfen, am Töten. All das
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schlummert in ihr und es ist ihr täglicher Kampf, dies zu beherrschen. Es ist dieselbe Energie, die sie zur Heldin macht, aber es
war immer schwer für sie, ihre bösen und guten Kräfte in Balance
zu halten.«
»Tss, erzähl mir das«, kommentierte Eve mit unverhohlener Bitterkeit.
»Ja, ich weiß.« Gabrielle griff wieder nach ihrer Hand.
»Du meinst, sie hatte Angst, dich zu verletzen?«
»Ja, das auch, aber das war es nicht in erster Linie. Xena hat ihren Körper immer nur als Waffe benutzt, sie kennt ihren Körper
nur als Instrument der Macht, sie kennt Sexualität nur im Zusammenhang mit Beherrschung und Ausbeutung. Und sie hat es nie erlebt, daß jemand sie geliebt hat, einfach so. Ohne daß die körperliche Begegnung mehr war als ein Handel, ein Werkzeug, um an
anderen Ziele zu gelangen. Es war wichtig für sie, daß ich sie geliebt habe, ohne ihren Körper zu benutzen. Und daß sie mich lieben konnte, ohne die Angst . . . mich körperlich zu benutzen . . .
oder zu beherrschen. «
»Das ist krank.« Eve schüttelte heftig den Kopf. »Das ist total
verdreht in meinen Augen.«
Gabrielle lachte. »Es klingt nur so verdreht, wenn ich versuche,
es dir zu erklären . . .«
»Hast du denn nie versucht, dich über diese schwachsinnige Idee
hinwegzusetzen?«
»Nur einmal. Damals, kurz nachdem sie aus dem Land der Toten wieder ins Leben zurückgekehrt ist . . .«
Gabrielles Gedanken wanderten zurück in das seltsame Traumland, in dem sie sich befunden hatte, als Autolycus Xena seinen
Körper geliehen hatte. ›Warum hast du mich verlassen? Ich wollte
dir noch so vieles sagen!‹, hatte sie Xena vorgeworfen. ›Gabrielle,
du brauchst mir gar nichts zu sagen‹, hatte Xena geantwortet und
dann hatte sie sich zu ihr herabgebeugt und sie geküßt.
In diesem Moment war Gabrielle bewußt geworden, daß ihre
Liebe zu Xena mehr war als eine spirituelle Liebe, mehr als eine
freundschaftliche Liebe. Sie war mehr als alles andere auf der
Welt. Und ihr war im selben Moment klar geworden, daß Xena
dasselbe fühlte.
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Es hatte Wochen gedauert, bis sie darüber gesprochen hatten.
Beide hatten sich beeilt, ihren normalen Alltag wieder aufzunehmen. Zu schmerzlich brannte die Erfahrung in ihnen, daß der Tod
alles, was sie hatten, abrupt beendet hatte und dies jederzeit wieder geschehen könnte. Ihnen war nicht nur bewußt geworden, wie
viel sie einander bedeuteten, ihnen war auch bewußt geworden,
wie schnell sie einander verlieren konnten. Beide hatten sie Angst
vor der Macht ihrer Gefühle, die plötzlich so offensichtlich zutage
traten und die in jedem Blick, in jedem Wort, in jeder Geste für
sie spürbar waren.
Erst als sich der Alltag wieder eingespielt hatte und das Leben
sich wieder halbwegs normal anfühlte, so normal wie es sich für
Nomaden wie sie eben anfühlen konnte, da war Gabrielle eines
Nachts zu Xena gekommen.
Sie hatte sich zu ihr gelegt, ganz leise, wortlos. Sie hatte Xenas
Gesicht in ihre Hände genommen und ihre Lippen hatten sich berührt, erst sanft und fragend, dann mutiger. Stille Tränen liefen
über ihre Gesichter während sie sich gegenseitig auszogen, sich erforschten, liebkosten, sich einander zeigten. Die zärtlichen Worte,
die Xena in ihr Ohr flüsterte, ließen Gabrielle den Atem anhalten
und sie wagte es, die weichen Brüste unter sich zu berühren. Xena
wand sich unter ihren Fingern und stöhnte auf, als sie eine Brust
zwischen ihre Lippen nahm. Beide waren sie überwältigt von dem,
was in ihnen aufbrach. Gabrielle glaubte, auf der Stelle sterben zu
müssen, so laut klopfte ihr Herz. Bis Xena plötzlich zurückwich
und Gabrielle anflehte, wieder an ihren Platz zurückzukehren.
Sie war so verletzt gewesen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen,
hatte sie ihr Gewand wieder übergezogen und hatte sich zurück an
ihren Schlafplatz begeben. Sie hatte sich unter die Decke gelegt
und in die dunkle Nacht gestarrt, bis endlich die erlösende Dämmerung einsetzte.
Doch der nächste Morgen war schlimmer gewesen als die vorangegangene Nacht. Sie wichen einander aus, wo immer es ging, und
das war nicht einfach bei der Art ihres Zusammenlebens. Erst an
diesem Tag war Gabrielle aufgefallen, wie selbstverständlich die
kleinen Berührungen für sie geworden waren, die vielsagenden,
wortlosen Blicke, die manchmal belanglosen Unterhaltungen, die
kleinen Neckereien. Gabrielles Körper hatte sich angefühlt, als
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stände er inmitten von Flammen. Sie sehnte sich nach Xenas Nähe,
doch sie schien entfernt wie nie zuvor. Aber das Schlimmste war
das Schweigen.
Erst am übernächsten Abend hatte Xena Gabrielle auf die Nacht
angesprochen. Sie hatte ihr erklärt, wie tief ihre Furcht vor ihren
eigenen Dämonen war und sie hatte Gabrielle gebeten, ihre Beziehung auf einer freundschaftlichen Ebene zu halten, bis ihr ihre
Vergangenheit weniger im Weg stünde. Sie hatte Gabrielle das
Versprechen abgerungen, sie den ersten Schritt machen zu lassen.
Und Gabrielle hatte zugestimmt. Mehr noch als der eigene Verlust
schmerzte sie die Pein der Gefährtin. Natürlich würde sie warten.
Und sie hatte gewartet. Mehrere Jahre lang hatte sie gewartet.
Mit der Zeit gelang es ihnen, wieder zu ihrer ursprünglichen Nähe
zurückkehren. Mehr noch, Xena konnte es schließlich zulassen,
daß sie unter derselben Decke schliefen, Haut an Haut, in manchen Nächten eng umschlungen. Und an den Tagen dann und
wann, hier und da ein flüchtiger Kuß, so als täten sie etwas Verbotenes. Es gab Momente, da ging mehr, und Momente, da ging weniger. Aber es war nie mehr so gewesen wie in jener Nacht.
Manchmal war es Gabrielle unendlich schwer gefallen, die
Grenzen, die Xena setzte, zu akzeptieren. Wie oft hatte sie sich
zurückgewiesen gefühlt in ihrem Begehren, auch wenn sie Xena
verstehen konnte und wußte, daß diese ihren Kampf nicht mit ihr,
sondern mit sich selbst führte. Es tat nur so weh zu wissen, daß
Xena dasselbe fühlte, dasselbe wollte wie sie, und es doch nicht
möglich schien, die unsichtbaren Mauern zu durchdringen.
Aber Gabrielle hatte die Hoffnung nie aufgegeben. In tausend
kleinen Gesten signalisierte ihr Xena immer wieder ihre Liebe und
ihre Entschlossenheit, sich ihren inneren Dämonen zu stellen. Und
Gabrielle hatte Recht behalten. Im letzten Jahr war Xena aufgeschlossener geworden, zärtlicher. In ihren Augen hatte manchmal
ein Begehren gelegen, wie Gabrielle es nie zuvor an ihr gesehen
hatte. Und an ihrem letzten Geburtstag, zweieinhalb Monde war
dies nun her, als Xena ihr das Gedicht von Sappho zum Geburtstag
geschenkt hatte, da wußte Gabrielle, daß dies Xenas Art war, ihr
zu zeigen, daß sie bereit war.
Mit zittriger Stimme hatte sie die Zeilen gelesen, während sie
Xenas Blick auf sich ruhen fühlte. Sie beide wußten, was dieser
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Moment bedeutete. Es war das schönste Geburtstagsgeschenk gewesen, das sie je bekommen hatte. Ihr war so leicht ums Herz gewesen an diesem Tag, und sie war voll froher Erwartung gewesen
auf das, was die Zukunft für sie bereithielt.
Sie hatte Angst gehabt, daß es wieder etwas geben könnte, was
ihnen im Weg stehen würde, als sie Xena ein paar Tage später mit
einem romantischen Abend am See überraschte. Xena war so gerührt gewesen von der Mühe, die Gabrielle sich gemacht hatte und
hatte davon gesprochen, mit ihr weit weg gehen zu wollen, in das
Land der Pharaonen. Dies war der Abend gewesen, an dem der japanische Mönch zu ihnen gekommen war.
»Gabrielle?«
»Hm?«
»Hörst du mir zu?«
Gabrielle wandte sich an ihre Begleiterin. »Entschuldige, ich . . .
Was hast du gesagt?«
»Ich habe dich gefragt, warum du dich damit so einfach abfindest. Meinst du nicht, daß es für Xena eine wichtige Erfahrung wäre, sich von dir wirklich lieben zu lassen, ohne daß die eine die andere benutzt? Und meinst du nicht, daß ihr dieses Thema noch hier
in diesem Leben lösen müßt? daß das eure Pflicht ist, als Seelengefährtinnen?«
Gabrielle sah Eve erstaunt an. Vielleicht hatte Eve recht, vielleicht war es das, was Aphrodite ihr zeigen wollte.
Eve kickte einen Stein ins Gebüsch. Ihre Entscheidung war gefallen. »Dieses Thema ist noch nicht zu Ende«, sagte sie. »Mutter
wird leben. Die Frage jetzt ist: Was wird unser nächster Schritt
sein?«
3. Kapitel
G
abrielle lag auf dem Waldboden hinter Elis Tempel und betrachtete die Sterne. Neben ihr flackerte ein Feuer, dessen
leises Knacken Bilder aus längst vergangenen Tagen in ihr hervorrief. Sie hatte Eve gebeten, sie allein zu lassen, gleich nachdem sie
zu Elis Tempel zurückgekehrt waren. Sie brauchte Zeit und Ruhe,
um über Aphrodites Worte nachzudenken und ihre Gedanken zu
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So treffen wir uns da
sortieren. Stimmte es, daß sie aus Loyalität zu Xena ihre eigenen
Gefühle verleugnete? Und hielt dies sie davon ab, die Dinge klar zu
sehen? War es richtig, Xena zurückzuholen? Was geschah dann mit
den 40.000 Seelen?
Es war Wochen her, daß sie abends ihr Lager ausgebreitet und
im Freien geschlafen hatte. Aus Angst vor den Erinnerungen hatte
sie die routinierten Handgriffe gescheut. Doch heute fühlte sie
zum ersten Mal nicht mehr die tiefe Verzweiflung, die sich zuvor
wie ein Ring um ihr Herz gelegt hatte. Eves Fragen hallten in ihrem Kopf wider und Gabrielle spürte in sich etwas, zu dem sie
lange nicht mehr die Kraft gehabt hatte. Ein Gefühl der Hoffnung.
Hast du gehört, was Eve gesagt hat? Findest du sie nicht überzeugend?
Wir haben uns beide blenden lassen, Xena. Vielleicht, weil sich die Ereignisse so überschlagen haben, vielleicht aber auch - oder vor allem - weil wir
uns vor unserem eigenen Glück fürchteten. Wenn man so lange auf etwas
wartet, dann fühlt sich die Aussicht auf Erfüllung irgendwann wie eine
Unmöglichkeit an. Ging es dir nicht auch so? Als wir mit Hermes’ Helm
über das Meer flogen und später dann neben dem dichten Schilf des Ufers
unser Camp aufschlugen, da war mein Gefühl des Fliegens nicht nur im
buchstäblichen Sinne vorbei. Ich hatte plötzlich Angst, daß irgend etwas
dazwischen kommen könnte, daß ich dir niemals wirklich zeigen könnte,
wie sehr ich dich liebe. Und daß unser Glück die Götter erzürnen könnte.
Obwohl ja gar keine Götter mehr da sind, die zürnen könnten. Von Ares
mal abgesehen. Es ist so unsinnig, aber du weißt doch, was ich meine? Es
ging dir doch genauso, oder? Ich habe nur darauf gewartet, daß irgend etwas passiert, was alles zunichte macht. Und dann ist etwas passiert, und
ich habe es einfach geschehen lassen.
Gabrielle faßte in ihre Satteltasche und holte eine von Virgils
Schriftrollen hervor. Vorsichtig löste sie die Schleife der Rolle und
lauschte dabei dem leisen Knistern des Pergaments. Sie schloß die
Augen, während sie mit ihren Lippen darüber fuhr und seinen holzigen Duft einatmete. Virgil hatte ein gutes Gespür gehabt: Es
würde ihr gut tun, ihre Gedanken niederzuschreiben.
Es war längst nach Mitternacht, als Gabrielle die Feder aus der
Hand legte und ein paar Holzscheite für die Nacht ins Feuer warf.
Sie fühlte sich ruhiger und kraftvoller und sie wußte, wie dringend
sie Schlaf brauchte. Ein langer, anstrengender Weg lag vor ihr.
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Ein nervtötendes Hämmern ließ Gabrielle am Morgen hochfahren.
Als sie schlaftrunken die Lider öffnete, stellte sie fest, daß das
Hämmern aus Elis Tempel kam. Gabrielle sah ein paar Männer aus
dem Gewölbe treten, Werkzeug und Steine in der Hand. Sie ließ
sich stöhnend auf ihre Decke zurückfallen. War es helllichter Tag?
Es mußte Jahre her sein, das sie einmal so lange geschlafen hatte.
Normalerweise waren sie und Xena immer früh aufgebrochen, um
die Kühle des Morgens beim Reisen zu nutzen. Dem Sonnenstand
nach mußte es fast schon Mittag sein.
Gabrielle griff nach der Urne auf ihrer Decke. Guten Morgen, Xena. Sie küßte den fein geschwungenen Deckel und legte die Urne
dann vorsichtig an ihren Platz zurück. Wenige Augenblicke später
brach sie hastig ihr Lager ab. Es war Eile geboten, wahrscheinlich
wartete Eve längst auf sie.
In der Tat kam Eve ihr sofort entgegen, als sie Elis Tempel
betrat. Das Hämmern hatte aufgehört, statt dessen war das Schleifen von Stein auf Stein zu vernehmen. Eve hatte ihr gelbes Gewand
abgelegt, das sie als Botschafterin Elis auswies. statt dessen trug sie
eine bequeme rot-weiße Toga, die fast an ihre Zeiten als Livia erinnerte, wäre der Ausdruck in ihrem Gesicht nicht ein vollkommen anderer gewesen.
Eve führte Gabrielle in eine stillere Ecke im Tempel. »Wie sieht
es aus? Hast du einen Plan?«
»Noch nicht. Aber ich habe nachgedacht, und ich stimme dir zu,
daß wir etwas tun müssen, und zwar schnell. Mein Entsetzen hat
mich gelähmt und für das Offensichtliche blind gemacht: Wir dürfen Xenas Tod nicht akzeptieren, wir haben die Pflicht, sie zurückzuholen.« Sie sah zu Boden. »Ich habe die Pflicht, sie zurückzuholen. «
»Ich komme mir dir.«
»Das ist wirklich nicht nötig, Eve. Ich weiß doch, wie sehr du
hier gebraucht wirst.«
»Vielleicht gibt es eine Sache, wo ich noch nötiger gebraucht
werde?«
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»Das mußt du selbst wissen, Eve. Natürlich würde ich mich
freuen, wenn du mich begleitest.«
»Ich habe mich bereits entschieden.«
»Ja, ich sehe es.« Gabrielle deutete mit dem Kopf auf die elegant
um Eves Körper geschwungene Toga.
»Gut«, lächelte Eve. »Wann brechen wir auf? Und wohin brechen wir auf?«
Gabrielle runzelte die Stirn. »Das ist das dringendste Problem,
das wir lösen müssen. Wir müssen jemanden finden, dem es gelungen ist, seinen Partner aus dem Reich der Toten wieder zurückzuholen.«
Eve setzte sich auf die Steinstufen des Tempels und stütze das
Kinn auf ihre Knie. »Ich weiß nicht, wer das sein kann. Du bist die
Bardin, du kennst die Geschichten.«
Gabrielle dachte angestrengt nach. Seitdem sie mit Xena aus ihrem 25jährigen Schlaf in Ares’ eisigem Grabmal wieder erwacht
war, hatte sie den Anschluß an die Geschichten des Volkes verloren. Sie wußte immer noch viel, aber so manche an den Lagerfeuern erzählte neue Geschichten waren ihr unbekannt. »Was ist mit
Orpheus?«
Eve schüttelte den Kopf. »Orpheus lebt schon seit über zehn
Wintern nicht mehr.«
»Wirklich? Wie schade, er war ein so angenehmer Mann. Jedenfalls wenn er seine Harfe bei sich hatte.«
»Du hast ihn gekannt?«
»Ja, wir sind uns mal begegnet.« Gabrielle fuhr sich durch ihr
kurzes Haar. »Sag mal Eve, glaubst du, daß uns vielleicht Eli weiterhelfen kann? Wie Xena hat er sein Leben für eine bessere Welt
gegeben. Und wie Xenas Geist in Japan zu mir kommen konnte, so
konnte auch Eli zu uns sprechen, so als sei er auferstanden von den
Toten.«
Eve schüttelte erneut den Kopf. »Nein, Eli kann hier nichts ausrichten. Er hatte sich nach seinem Tod mit Euch in Verbindung gesetzt, um seine Botschaft des Friedens fortzusetzen. Deshalb hat er
Xena die Fähigkeit gegeben, die griechischen Götter zu töten.
Aber diese Aufgabe ist jetzt beendet. Eli ist ein Mensch, kein
Gott.«
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»Weißt du, manchmal bin ich mir nicht so sicher, wer oder was
Eli wirklich war.«
Eve lächelte. »Wie auch immer, er hat es für seine Lehre getan,
und allein dafür.«
»Er hat es auch getan, um dich vor den Göttern zu schützen,
Eve.«
»Ja, ich weiß. Und dafür werde ich ihm immer dankbar sein.
Aber seitdem haben wir nie wieder Zeichen von ihm bekommen.
Jetzt sind wir allein auf unseren Glauben gestellt.«
»Wenn nicht Orpheus, wenn nicht Eli, wer dann?«
»Ich verstehe nicht, warum Aphrodite sich nicht zuständig fühlt?
Fallen Seelengefährten nicht in ihre Zuständigkeit? Das hat doch
etwas mit Liebe zu tun, oder nicht?« Eve drehte sich von Gabrielle
weg. »Aphrodite!«, rief sie so laut, daß die Leute um sie herum
zusammenzuckten.
»Psst!« Gabrielle faßte sie am Arm. »Meinst du nicht, daß sie es
als Beleidigung empfindet, wenn wir sie vor Elis Tempel rufen? Ich
bin ja schon beeindruckt, daß sie euch so friedlich den Tempel neben ihrem errichten läßt . . .«
»Ach, in der Welt ist genug Platz für alle Götter«, erklang es einige Meter hinter ihnen. Der Stimme folgend eilten sie die Treppen des Tempels hinunter und fanden die Liebesgöttin lasziv ausgebreitet auf einer der Tempelsäulen liegend. Grazil hob sie ihren
Arm und winkte den beiden zu. »Gabby, ich bin stolz auf dich. Ich
hatte schon Sorge, du tauchst gar nicht mehr auf aus deinem Nebel. Du wirst sehen, bald bist du wieder die Alte.«
»Aphrodite.« Gabrielle setzte eine strenge Miene auf. »Warum
hast du uns nicht gleich gesagt, was wir nun tun sollen?«
»Weil ich es nicht weiß«, rechtfertigte sich die Göttin. »Die
Auferstehung von Toten fällt nicht in mein Ressort.«
»Und in wessen Ressort fällt dieses Thema?«
»Es sind keine Götter mehr da, in deren Gebiet dieses Thema
fallen könnte, das muß ich dir doch nicht sagen, Gabrielle.«
Die Bardin errötete unter dem gekränkten Blick der Liebesgöttin. Insgeheim machte sie sich große Vorwürfe, ihre göttliche
Freundin um ihre Familie gebracht zu haben. Sie senkte den Kopf
und nagte an ihrer Oberlippe. Was konnte bloß die Lösung sein?
Wer konnte ihnen jetzt noch helfen? Wer?
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»Aphrodite, meinst du, wir könnten in ein anderes Land gehen
und andere Götter um Hilfe bitten?«
Eve stöhnte. »Schöner Gedanke. Nachdem ihr hier alle Götter
entthront habt? Na, den Gott möchte ich sehen, der uns seine Hilfe
anbietet. Die stecken doch alle unter einer Decke.«
»Nein, das tun wir nicht«, unterbrach sie Aphrodite beleidigt.
»Jeder Gott hat sein Reich. Was die Götter in China machen, geht
mich nichts an. Es ist schwer genug, auf die Griechen und Römer
auszupassen. Sterbliche beaufsichtigen ist wie der reinste Kindergarten.« Sie machte eine theatralische Handbewegung. »Solange es
Menschen unter der Sonne gibt . . .«
»Die Sonne! Das ist es!« Gabrielle schlug sich mit der flachen
Hand an die Stirn. »Wie konnte ich das vergessen? Ich hatte Xena
sowieso gesagt, ich würde nach Ägypten reisen, sobald ich Xenas
Asche nach Amphipolis gebracht habe!«
»Was willst du denn in Ägypten?« Eve sah sie verständnislos an.
»Und wieso Sonne?«
»Das Volk hat Probleme mit den Pharaonen, es wäre unser
nächstes Reiseziel gewesen«, erklärte Gabrielle. »Und Isis . . .«
». . . ist die ägyptische Frauengöttin«, ergänzte Aphrodite. »Und
eine Sonnengöttin. Und nicht nur das, sie hat es fertig gebracht,
den völlig zerstückelten Körper ihres Gatten wieder zum Leben zu
erwecken.«
»Weil sie Seelengefährten sind«, erklärte Gabrielle. »Das ist es!
Oh, Eve, das ist es! Ich muß Isis dazu bringen, mich anzuhören!«
Ein leises Zischen erklang in der Luft und dort, wo Aphrodite
gelegen hatte, waren nur noch ein paar goldene Funken zu sehen.
»Ich deute das jetzt mal als Zustimmung«, murmelte Eve. daß
Götter sich nie höflich verabschieden konnten.
Gabrielle ging auf ihre Bemerkung nicht ein. Sie fühlte endlich
wieder die Energie in sich aufsteigen, die sie gehabt hatte, als sie
diesem elenden Hauptmann von Yodoshis Armee das heilige Katana um die Ohren gehauen hatte. Sie, Gabrielle, Amazonenkönigin
und kämpfende Bardin aus Poteidaia, würde ihre Partnerin zurück
ins Leben holen. Und im Namen der Liebe würden sie vollenden,
was sie angefangen hatten. Koste es, was es wolle!
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4. Kapitel
E
ve benötigte etwas Zeit, um ihre Leute in die Arbeit einzuweisen, ehe sie nach Ägypten aufbrechen konnten. Obwohl
Yannis sich bereiterklärte, die Aufsicht über den Tempelbau stellvertretend zu übernehmen, fiel es ihr schwer, die Männer und
Frauen so unvermittelt allein zu lassen. Sie fühlte sich verantwortlich für das Wohl ihrer kleinen Gemeinde. Vielleicht wäre ihr die
Abreise leichter gefallen, hätte sie geahnt, daß Yannis insgeheim
plante, den Bau des Tempels bis auf kleinere Nebensächlichkeiten
beendet zu haben, wenn Eve zu ihnen zurückkehrte. Wie auch
immer ihre Reise ausging, er wollte ihr eine schöne Überraschung
bereiten, wenn sie zurückkam.
Während Eve die letzten Vorkehrungen traf, begab sich Gabrielle zum Grab von Lyceus und Cyrene. Ihre Stute schnaufte unwillig, als Gabrielle sie den schmalen Bergweg hinauftrieb. Der Weg
war schwer zugänglich und wäre Gabrielle nicht in Eile gewesen,
sie hätte Lila unten im Tal gelassen und den Berg zu Fuß erklommen. Da sie mit Xena schon öfter hier gewesen war, hatte sie wenigstens keine Mühe, den Weg durch das wilde Gestrüpp zu finden. Es war durchaus beabsichtigt, daß nur ein Ortskundiger zu
den Grabstätten der Amphipolitaner, die im Kampf gegen Cortese
gefallen waren, gelangen konnte.
Gabrielle ließ ihr Pferd am Rande des Mausoleums grasen und
nahm die Urne aus ihrer Satteltasche. Dann betrat sie die kleine
Gruft, in der sich die Sarkophage befanden. Sie stellte die Urne
zwischen die beiden Särge von Cyrene und Lyceus und kniete sich
vor ihnen nieder. Dies war der Ort, wo Xenas Schicksal sich vor so
vielen Jahren entschieden hatte. Hier lagen die Menschen, deren
Todesqualen sie zur der gefürchteten Kriegsherrin gemacht hatten,
die sie später so sehr in sich bekämpfen sollte.
Wie oft hatte sie Gabrielle gesagt, daß die Abkehr von diesem
grausamen Weg ohne sie nie möglich gewesen wäre. Gabrielle bezweifelte das. Sie war davon überzeugt, das Xena ihren Weg auch
ohne ihre Hilfe gefunden hätte. Aber das änderte nichts daran, daß
das Schicksal sie zusammengeführt hatte, und daß sie Seelengefährtinnen waren.
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Siehst du, ich habe Wort gehalten. Aber noch ist es nicht Zeit. Ich werde
nach Sais reiten, zu dem Ort, an dem Isis ihren Gatten Osiris wieder zum
Leben erweckt hat. Meinst du, es ist Zufall, daß diese Stadt genauso heißt
wie meine Waffen? Vielleicht wird Isis es als Zeichen sehen. Vielleicht wird
sie mir helfen. Und vielleicht gibt es einen Weg, wie du zurückkommen
kannst, ohne die 40.000 Seelen wieder in die Verdammnis zurückzuschicken. Ich verspreche dir: Wenn ich scheitern sollte, bringe ich deine Asche
hierher zurück.
Gabrielle legte frische Blumen auf die beiden Sarkophage und
machte sich dann auf den Rückweg. Eve würde sicher schon abreisebereit sein.
Wie Gabrielle vermutet hatte, war Eves Pferd bereits gesattelt
und bepackt, als sie in die Stadt zurückkehrte. Yannis stand neben
Eve und machte plötzlich den Eindruck, als ob er lieber von Octavius gekreuzigt würde als hier ohne sie zurückzubleiben. »Ich werde für euch beten«, sagte er. Dann küßte er Eves Stirn und schloß
Gabrielle in eine herzliche Umarmung. Widerstrebend gab er die
Zügel frei und wartete, bis Eve die letzten Anweisungen unter die
Gefolgschaft gebracht hatte.
Obwohl die Sonne bereits tief stand, als die beiden Frauen endlich Xenas Heimatort verließen, brannte sie mit unverminderter
Kraft auf ihre Gesichter. Gabrielle hatte den Ledermantel ausgetauscht gegen einen weißen Umhang aus Leinen. Beide Frauen
stöhnten bei dem Gedanken, daß es in Ägypten noch wesentlich
heißer sein würde. Doch es war nicht nur die Hitze, die den Reisenden zu schaffen machte. Der erste Teil des Weges war gebirgig
und steil. An anderen Stellen wiederum fanden sich ausgedehnte
ebene Landschaften, die es fast unmöglich machten, die Orientierung zu behalten.
Gabrielle dauerte die Reise viel zu lange. Eine alte Ungeduld,
die sie längst abgelegt zu haben glaubte, gewann Oberhand und
ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Es war Eve, die immer wieder
für die notwendigen Pausen sorgte. Ihr war bewußt, daß sie nicht
völlig entkräftet in Sais eintreffen konnten.
Es wurde wenig gesprochen auf dieser Reise, besonders Gabrielle war ungewöhnlich schweigsam. Mit geradezu grimmiger Miene
trieb sie ihr Pferd voran, entschlossen, den Weg so schnell wie
möglich hinter sich zu bringen. Sie war sich jetzt ganz sicher, daß
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sie das Richtige tat, und sie konnte es nicht erwarten, der Göttin
Isis endlich ihre Bitte vortragen zu können. Was auch immer nötig
sein würde, um Xena zurückzuholen, sie war bereit, den Preis zu
zahlen.
Sie nutzten die morgendliche Kühle aus so gut es ging und ritten
bis tief in die Abende hinein. Hätten die Pferde nicht ihre Ruhephase benötigt, Gabrielle wäre auch die Nächte durchgeritten.
Mehr als einmal trafen sie unterwegs auf Wegelagerer, die in ihnen
eine leichte Beute sahen. Doch keiner der Männer war auch nur
näher als drei Meter an die Habseligkeiten der beiden Frauen herangekommen. Schneller als das Auge folgen konnte, hatte Gabrielle ihre Sais gezückt und die Wegelagerer entwaffnet. Wer nicht
am Boden lag, ergriff die Flucht.
Befriedigt stellte Gabrielle fest, wie gut es tat, sich wieder auf
den eigenen Körper verlassen zu können. In den letzten Wochen
hatte sie sich keine Zeit zum Training genommen, eine Nachlässigkeit, die lebensgefährlich sein konnte. Doch weder ihre Kraft noch
ihr Lebenswille hatten ausgereicht, die sonst tägliche Routine
durchzuführen. Beides schien plötzlich wieder möglich.
Gabrielle warf einen forschenden Blick auf Eve, die scheinbar
gelassen neben ihr ritt. »Ich weiß, wie es ist, jemand anderen für
sich kämpfen zu lassen«, sagte sie mitfühlend. »Es ist der Preis von
Elis Weg.«
Eve nickte. »Ich vermisse das Kämpfen nicht, aber wenn andere
sich für mich in Gefahr bringen, dann ist es schwer, bei Elis Weg
zu bleiben.«
»Ich weiß. In solchen Situationen verlangt es Stärke, den eigenen
Weg nicht zu verlassen.«
»Ich hoffe, du machst dir keine Vorwürfe, Gabrielle. Der Weg
Elis war einfach nicht dein Weg. Dein Platz war immer an Xenas
Seite. Für mich aber ist Elis Weg der Liebe der einzige Weg.« Eve
schwieg einen Moment. »Glaubst du, Xena hätte dich verlassen,
wenn du Elis Weg weiter gefolgt wärst?«
Gabrielle sah Eve erstaunt an. »Hat sie dir davon erzählt? Es
stimmt, wir haben darüber gesprochen, ob unsere Wege zu verschieden sind für ein gemeinsames Leben.«
»Aber?«
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»Aber letzten Endes war es immer das Wichtigste, daß wir zusammen sein konnten. Wichtiger als alles andere. Xena hat immer
gesagt . . .«
Das entfernte Wiehern eines Pferdes unterbrach ihre Unterhaltung. Gabrielles reflexartiger Griff an ihre Stiefel ließ ein paar Vögel von den Ästen hochfahren. »Es kommt drüben von den Bäumen. Warte hier.«
Das Wiehern ertönte erneut. Die Bardin versetzte ihre Stute in
einen leichten Trab und ritt zu der Waldlichtung ein paar hundert
Meter vor ihnen. Sie war noch nicht dort angelangt, da bog ein
übervoll bepackter Wagen um die Ecke. Zwei schwere Rappen
waren vor den Wagen gespannt. Oben auf dem Sitz thronte ein alter, weißhaariger Mann, ganz offensichtlich ein Händler auf dem
Weg nach Hause. Er war in edle, gelbe Seide gekleidet und nagelneue Stiefel blitzten unter seinem Umhang hervor. Seine ganze Erscheinung war ungewöhnlich vornehm für einen normalen Kaufmann.
Als der Mann Gabrielle erblickte, eine spitze Waffe in jeder
Hand, warf er die Arme in die Luft. »Bitte gute Frau, ich bin nur
ein alter Händler, ich will nur sicher in die nächste Stadt kommen.«
Gabrielle steckte ihre Sais zurück an ihren Platz. »Was verkaufst
du, Händler?«
»Alles, was du brauchst.« Der Mann hatte seine Furcht überwunden. Sobald er eine Kundin roch, geriet sein altes Händlerblut
in Wallung. Der arme Mann konnte nicht ahnen, daß Gabrielles
Blut in Kürze ebenfalls in Wallung geraten würde.
»Zeig doch mal her«, sagte sie in geschäftigem Tonfall. »Wir
könnten in der Tat ein paar warme Sachen für die Nächte in der
Wüste gebrauchen.«
Der Kaufmann stieg vom Wagen und schlug die Plane hinter sich
zur Seite. »Alles erste Qualität«, versicherte er.
Gabrielle beugte sich ins Wageninnere, um die Ware besser inspizieren zu können. Die Kleidungsstücke waren sorgfältig übereinander gelegt, die Stoffe ungewöhnlich edel und farbenprächtig.
Die meisten hatten eine goldene Borte am Saum, auf vielen waren
zwei ineinander übergehende Sonnen gestickt. Offensichtlich verkehrte der Händler mit reichen Leuten. Zwei warme Mäntel im
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hinteren Teil des Wagens weckten Gabrielles Aufmerksamkeit.
»Wie viel willst du dafür haben?«
»Dreißig Dinare für jeden, weil heute dein Glückstag ist.«
Gabrielle kräuselte die Nase und sah in herausfordernd an. »Du
denkst, nur weil ich eine Waffe trage, habe ich keine Ahnung von
Kleidern, stimmt’s? Dreißig Dinare für beide zusammen und wir
sind im Geschäft.«
Der Händler stemmte die Hände in die Hüften. »Dreißig Dinare
für beide? Da kann ich mich ja gleich meiner Familie zum Fraß
vorwerfen, denn sie wird sonst verhungern. Gute Frau, das ist
Kleidung, die normalerweise für den Pharao bestimmt ist.« Er hob
einen goldenen Teller in die Höhe, in den, wie bei den Kleidern,
zwei ineinander übergehende Sonnen geschmiedet waren.
Entgegen seiner Hoffnung zeigte sich Gabrielle wenig beeindruckt. Betont langsam ließ sie den weichen Stoff der Mäntel
durch ihre Finger gleiten. »Fünfunddreißig Dinare für beide, oder
du mußt deine Mäntel wieder mitnehmen. Ich glaube, sie sind sowieso zu groß für mich.« Sie zog ihren Umhang aus und schlüpfte
versuchsweise in das warme Fell.
Ein lautes Poltern ließ sie herumfahren. Der goldene Teller rollte auf dem Waldboden in Richtung der Bäume, der Händler starrte auf Gabrielles Hüfte.
»Keine Angst, alter Mann. Ich will dich nicht ausrauben, ich will
nur keine sechzig Dinare für zwei Mäntel bezahlen.«
»D-d-du du bist das Mädchen mit dem Chakram.«
»Ich? Nein, ich bin nicht Xena. Meine Name ist Gabrielle.«
»Gabrielle? Die kämpfende Bardin aus Poteidaia?«
»Manche nennen mich so.«
Der Mann fiel vor Gabrielle auf die Knie und preßte seine zersprungenen Lippen auf ihren Handrücken. »Gabrielle, dich schicken die Götter. Wir warten seit Monden auf dich.«
Verwirrt entzog Gabrielle ihm ihre Hand. »Ich glaube nicht, daß
ich es bin, auf die ihr gewartet habt. Xena . . .«
»Xena ist tot, ich weiß. Man erzählt es sich in den Tavernen.«
»In den . . .« Gabrielle sah ihn entgeistert an. »Was erzählt man
sich in den Tavernen?«
»daß Xena sich für vierzigtausend Seelen geopfert hat und du zu
uns kommen wirst, um unser Volk zu retten.«
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»So. Erzählt man das?« Die Bardin fragte sich, warum sie sich die
Mühe machte, Xenas Abenteuer aufzuschreiben, wenn der Mund
des Volkes schneller war als ihre eigene Feder.
»Hör mal zu, Händler. Deine Informationen sind richtig. Wir,
Xena und ich, haben gehört, daß ihr hier Hilfe braucht und ihr seid
ganz bestimmt auch mein nächstes Ziel, aber jetzt . . . jetzt . . . ich
habe gerade Wichtigeres vor, verstehst du?«
»Wichtigeres als zwanzigtausend Menschen zu retten?« Der
Händler ließ enttäuscht seine Hände sinken. »Du bist nicht die
Frau, von der sie sich an den Lagerfeuern erzählen.«
Gabrielle errötete. Es entsprach nicht ihrer Natur, die Bitte des
Mannes abzulehnen. Konnte sie ihre eigenen Wünsche über das
Leben von zwanzigtausend Menschen stellen?
»Warte bitte einen Moment.« Sie drückte dem verdutzten Mann
die beiden Mäntel in die Arme und stieß durch ihre Fäuste den Ruf
eines Kauzes aus.
Nur wenige Augenblicke später kam Eve aus dem Dickicht geritten. Sie lachte, als sie den Händler neben Gabrielle erblickte.
»Hätte ich mir denken können. Wenn du so lange wegbleibst,
können es nur zwei Dinge sein. Entweder du bist in einen Kampf
verwickelt oder in einen Handel.«
Gabrielle ignorierte die Anspielung. »Guter Mann, das ist . . .«
»Eve«, ergänzte er. »Xenas Tochter.«
Eve sah irritiert zu Gabrielle hinüber. Die zuckte nur die Achseln. »Man erzählt es sich in den Tavernen.«
»Nun ja.« Der Kaufmann lehnte sich an seinen Wagen. »Die Tavernen sind nicht meine einzige Quelle. Ich bin Händler des ägyptischen Königs, und glaubt mal nicht, daß es irgend etwas auf der
Welt gibt, über das er nicht informiert ist.«
»Du meinst Pharao Chaf-Ra? Sohn des Cheops?«
»Genau den.« Der alte Mann schlug mit der flachen Hand auf
seine Brust. »Darf ich mich vorstellen: Amon, Diener am Hof des
Chaf-Ra.«
»Es ist sehr angenehm, dich kennen zu lernen.« Eve gab Amon
höflich die Hand, um sich dann sofort wieder an Gabrielle zu wenden. »Meinst du nicht, wir sollten uns beeilen? Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit in Sais sein wollen . . .«
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»Ihr wollt nach Sais? Ach, dann kommt doch mit mir nach Gizeh. Ich besorge euch eine Unterkunft und zeige euch, worum es
geht.«
»Gabrielle, kann ich dich einen Moment sprechen?« Eve hakte
ihre Gefährtin unter und führte sie außer Hörweite. »Kannst du
mir mal sagen, was hier vorgeht? Ich glaube nicht, daß wir noch
viel Zeit haben. Wer weiß, ob Xena . . .«
»Diese Leute brauchen unsere Hilfe.«
»Jetzt?!« Eve sah Gabrielle entsetzt an. »Du denkst jetzt daran,
diesem Mann zu helfen? Wo vielleicht jede Sekunde zählt?«
»Das verstehst du nicht, Eve. Deine Mutter und ich . . . wir leben so. Es wäre in ihrem Sinne.«
»Das glaube ich dir sofort.« Eve machte keinen Hehl aus ihrem
Ärger. »Ich weiß sehr wohl, was du meinst. Aber so besessen, Gutes zu tun, kann auch nur meine Mutter sein. Begreifst du denn
nicht, Gabrielle, es wäre nicht in deinem Sinne. Ich sehe doch wie
es dir geht.«
Gabrielle ließ sich schwer ins Gras fallen. »Warum muß ich immer wählen in diesem Leben? Kannst du mir das sagen?« Sie wartete Eves Antwort nicht ab, sondern drehte sich zu Amon. »Gizeh
liegt auf unserem Weg und wir nehmen deine Gastfreundschaft
gern an. Aber wir können dir nicht versprechen, eurem Volk zu
helfen. Wir sind auf einer wichtigen Reise und wir haben es eilig.«
Amon nickte eifrig. »Hier nimm«, sagte er und reichte Gabrielle
die beiden Mäntel. »Sie sind für euch. Und bilde dir ja nicht ein,
du könntest mir etwas dafür bezahlen.«
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Die drei Reisenden setzten alles daran, Gizeh noch vor Einbruch
der Dunkelheit zu erreichen. Da es in der Wüste keine Dämmerung gab, war für Pausen keine Zeit geblieben. Die Nacht würde
innerhalb von Minuten einsetzen und ihr Weiterkommen unmöglich machen. Doch bevor Amon seine Gäste in sein Haus führte,
brachte er sie an den Rand der Stadt. Im Osten Gizehs lag eine
trockene, hügelige Landschaft, die den direkten Blick auf den Nil
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verhinderte. Als sie den Berg erklommen hatten, stockte ihnen der
Atem bei dem Anblick, der sich ihnen bot.
Unten am Fuße des Berges wimmelte es von Menschen. Tausende Männer nur mit weißen Tüchern bekleidet, schleppten tonnenschweren Granit, hämmerten und meißelten an steinernen Platten
oder betätigten Transportmaschinen. Ein endloser Zug aus Rollen
und Schlitten führte von dem Geschehen weg hin zum Nil, wo
schwer beladene Schiffe vor Anker lagen. Wie Ameisen bewegten
sich Menschen vom Nil zur Baustelle und zurück. Und wie bei
Ameisen schienen auch die Menschen von unsichtbaren Fäden gezogen, immer wissend, was und wo sie in all dem Gewimmel zu
tun hatten.
»Heiliger Eli«, entfuhr es Eve. »Was ist das?«
»Das wird Chaf-Ras Pyramide«, erklärte Amon.
»Davon habe ich gehört.« Gabrielle stellte sich neben den Händler. »Es wird das Grab von deinem König, richtig?«
»Ja, es wird sein Grab werden. Sein Vater, Cheob, hat über
100.000 Menschen für seine Pyramide beschäftigt. Dies hier«,
Amon schwenkte seinen Arm über das Tal, »sind weitaus weniger.
Es sind alles Sklaven. Alle drei Monate werden sie ausgetauscht,
weil die Sklaven früher oder später unter der körperlichen Arbeit
zusammenbrechen.«
Auf Gabrielles fragenden Blick fuhr er fort. »Mein Sohn arbeitet
dort unten. Und meine beiden Enkelsöhne. In drei Monaten kann
ich sie begraben.«
»Was meinst du?«
»Unter den Sklaven hat sich ein Aufstand formiert. Die Pyramide ist fast fertig, es ist völlig unnötig, daß der Chaf-Ra so viele
Menschenleben verschleißt, nur um sein Grab noch pompöser zu
gestalten, nur weil sein eigener Vater . . . Die beiden hatten immer
ein schwieriges Verhältnis.«
»Und du meinst, ihr wolltet Xena holen, damit sie Chaf-Ras
Sklaven befreit?«
Amon sah verlegen auf seine Füße. »Es ist kompliziert. Nicht alle Sklaven beteiligen sich an dem Aufstand. Es gilt als große Ehre,
am Grab eines Pharaos mitzuwirken und dafür sein Leben zu lassen. Es heißt, daß du über eine ausgezeichnete Redekunst verfügst,
Gabrielle. Wir hatten gehofft . . .«
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»daß ich die Sklaven überzeuge, einen Aufstand gegen ihren eigenen König zu inszenieren und daß Xena euch in diesem Kampf
unterstützt?« fragte Gabrielle ungläubig. »Wir sind vielleicht bekannt in eurem Land, aber wir sind keine Götter . . .«
»Es ist nicht alles Gold was glänzt«, rechtfertigte sich Amon.
»Die Pharaonen gelten bei uns als gottgleiche Wesen, es ist eine
Ehre, ihnen zu dienen. Aber ich bin mein Leben lang Händler am
Hof gewesen. Erst war Cheops mein Herr, dann Chaf-Ra. Und ich
sage dir, es hat dazu geführt, daß ich mit meiner Religion gebrochen habe. Pharaonen sind alles andere als göttlich. Sie sind so
menschlich wie wir alle und sie haben nicht das Recht, das Leben
meines Sohnes und seiner Familie zu zerstören. Das kann nicht im
Sinne der Götter sein. Und wir brauchen jemanden, der unsere
Sklaven davon überzeugt. Und jemanden, der den Aufstand koordiniert.«
Gabrielle warf einen fragenden Blick zu Eve. Die verdrehte nur
resigniert die Augen. »Amon«, wandte sie sich wieder an den
Kaufmann. »Dir ist doch aber klar, daß das, was ihr da vorhabt, eine Jahrtausende alte Tradition bricht und dazu noch die reinste
Blasphemie ist?«
Der Händler nickte traurig. »Natürlich ist uns das klar. Aber unsere Tradition rechtfertigt nicht den Verlust der vielen Menschenleben. Noch fünf Nächte, dann kommt Chaf-Ras höchster Feldherr
und sieht sich den Bau der Pyramide an. Immer wenn er kommt,
läßt er die zehn schwächsten Sklaven hinrichten, als Anreiz für die
Arbeiter. Was, wenn es mein Sohn ist?« Er sah Gabrielle flehend
an.
»Entschuldigt mich bitte einen Moment.« Gabrielle nickte Eve
zu und verließ schnellen Schrittes die Anhöhe.
Sie umrundete den Berg und machte schließlich Halt an einer
Stelle, von der aus man direkt auf den Nil sehen konnte. Blau und
erhaben lag er im Tal. Er durchschlängelte das karge Land so arrogant, als wüßte er, daß es ohne ihn hier kein Leben gäbe. Gabrielle
setzte sich in den Sand und legte Xenas Urne vor sich ab. Warum
mußte sie immer in solche Situationen geraten? Warum mußte sie
sich ständig entscheiden zwischen dem Leben anderer und ihrem
eigenen Glück?
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Ich weiß genau, was du jetzt von mir möchtest. Aber ich kann nicht. Du
selbst warst es, die mir einmal gesagt hat, daß jeder Mensch etwas hat, das
für ihn mehr bedeutet als der Kampf für das Gute. Ich sei es für dich. Aber
für mich bist du es, Xena. Ich weiß, daß ich diesen Leuten helfen müßte,
aber ich kann nicht. Sieh mich doch an, ich lebe schon nicht mehr. Ich habe nicht mal mehr die Kraft, mich auf meinem Pferd zu halten. Wie soll ich
diesem Volk in die Freiheit verhelfen? Für dich ist es leicht, du hast gesagt,
du würdest mich nie verlassen, auch nicht im Tod. Aber was habe ich davon? Du hörst meine Gedanken, aber höre ich deine? Was habe ich davon,
daß du hier bist, außer daß es mir das Herz bricht?
Heiße Tränen fielen auf den Deckel der Urne. Gabrielle wischte
sie vorsichtig mit dem Ärmel weg. Sie würde nicht denselben Fehler machen wie Xena und ihre Hilfsbereitschaft über ihre Beziehung stellen. Nicht nur, daß es das Beste für sie selbst war. Wenn
es gelang, Xena wieder zum Leben zu erwecken, dann erhöhten
sich die Chancen für die Ägypter um ein Vielfaches.
Gabrielle erhob sich und machte sich auf den Rückweg zu Eve
und Amon. Es würde nicht leicht sein, Amon zu erklären, daß sie
jetzt nichts für ihn tun konnte. Wie sollte er auch ahnen, wie tot
alles in ihr war. Aber sie würde hierher zurückkommen, so schnell
es ging. Mit oder ohne Xena.
Amon hatte ihre Rückkehr schon ungeduldig erwartet und reagierte aufgebracht, als Gabrielle ihm ihre Entscheidung eröffnete.
»In fünf Tagen wird Chaf-Ras erster Feldherr kommen und die
nächsten zehn Sklaven töten. Was ist, wenn mein Sohn darunter
ist? Wie willst du es schaffen, in fünf Tagen wieder zurück zu sein?
Wie kann ich mir überhaupt sicher sein, daß du wieder zurückkommst und uns hier nicht allein läßt?«
»Ich werde hier bei euch bleiben, bis Gabrielle zurück ist«,
schaltete sich Eve ein.
»Eve?« Gabrielle zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ich glaube, es ist das Beste, was ich tun kann. In der Überzeugungsarbeit für Götter bist du viel besser als ich. Und hier könnte
ich mich mit der Situation vertraut machen. Dann könnt ihr um so
schneller handeln, wenn ihr zurück seid.«
»Ihr?« Amon sah Gabrielle mißtrauisch an.
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»Ich meine, wenn Gabrielle wieder zurück ist«, verbesserte sich
Eve. Sie hatte nicht vor, die Situation noch mehr zu verkomplizieren.
»In Ordnung. Dann seid meine Gäste für diese Nacht und
kommt mit mir in die Stadt. Meine Frau wird glücklich sein, euch
dienen zu dürfen.«
5. Kapitel
D
as Leben im kleinen Gizeh hatte noch nicht wieder begonnen, da saß Gabrielle schon im Sattel. Sie war Eve dankbar
für ihr Angebot, aber es fiel ihr schwer, auf Eves Begleitung zu
verzichten. Ihre Anwesenheit hatte ihr gut getan. Die alles erdrückende Leere in ihr war seit einigen Tagen in den Hintergrund getreten. Eves eiserne Zuversicht, daß Gabrielles Plan gelingen würde - wie auch immer ihr Plan aussehen würde - fehlte Gabrielle
schon, sobald sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatte. Sie
selbst war wesentlich weniger zuversichtlich, was ihr Vorhaben
anging. Wie würde sich eine ägyptische Göttin einer griechischen
Sterblichen gegenüber verhalten, die die Auferstehung einer Person verlangte, die für das Töten von Göttern berüchtigt war? Es
würde sehr viel mehr brauchen als die Kräfte der Göttin Isis, um
Xena aus dem Reich der Toten zu holen. Es galt, die ägyptischen
Gottheiten zu überzeugen, womöglich sogar ein paar japanische.
Und zu allem Überfluß hatte sie nur vier Tage Zeit, wollte sie die
Hinrichtung von Chaf-Ras Sklaven verhindern.
Trotz ihres knappen Zeitplans machte Gabrielle unterwegs
mehrfach in Dörfern Halt, um Erkundigungen über Isis und Osiris
einzuholen. Sie konnte sich keine Fehler erlauben, wenn sie auf die
beiden Götter traf. Leider waren ihr die ägyptischen Gottheiten
ziemlich unbekannt. Von Isis und Osiris hatte sie nur in einigen
wenigen Geschichten gehört, die auf einem Bardenwettbewerb in
Athen erzählt worden waren. Zum Glück wurden die Männer in
den Schenken gesprächig, sobald man ihnen einen Krug Wein ausgab. Sie erklärten Gabrielle, daß die ägyptischen Götter ihren griechischen Kollegen nicht gerade freundlich gesinnt waren, und
Gabrielle hoffe, das vielleicht zu ihrem Vorteil nutzen zu können.
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Schon aus weiter Entfernung ragte der große Tempel der Isis
über die Dächer von Sais. Als Gabrielle näher heranritt, erkannte
sie drei mächtige Säulen vor dem Tempel. Hinter den Säulen befand sich ein breites Tor, und an jeder der Säulen stand ein Mann
in einem langen weiß-gelben Gewand, offenbar alles Priester.
Gabrielle stieg von ihrem Pferd und führte es an den Platz vor
dem Tempel. Sie holte Xenas Urne aus ihrer Satteltasche, fuhr Lila
noch einmal durch die helle Mähne und marschierte dann auf den
Tempel von Isis und Osiris zu. Die beruhigenden Worte, die sie
der Stute noch eben zugeflüstert hatte, waren mehr an sie selbst als
an ihr Tier gerichtet gewesen. Ihre Knie zitterten, als sie sich dem
riesigen Gebäude näherte.
Der hochgewachsene weißhaarige Priester vor der mittleren
Säule, ein beleibter Mann mit weisen, dunkelbraunen Augen, trat
einige Schritt vor. Er ließ Gabrielle dicht an sich herankommen,
bevor er sie ansprach.
»Fremde, ich muß dich bitten, nicht näher zu treten. Unbefugten ist der Zugang zum Tempel von Isis und Osiris verboten.«
Gabrielle verneigte sich vor dem großen Mann. »Verehrter
Herr, ich muß zu Isis. Ich bin bereit, alles zu tun, was dafür notwendig ist, und wenn es mein Leben kostet.«
»Dein Leben zählt hier nicht viel, Fremde.«
»Dann sag mir, was zählt.«
»Tugend. Verschwiegenheit. Wohltätigkeit.«
»Nichts davon ist mir fremd.«
»Du willst dich unseren Prüfungen unterziehen?«
»Prüfungen?«
Der Priester hob die Augenbrauen. »Du stehst hier vor dem
Prüfungstempel von Isis und Osiris. Was also könntest du anderes
wollen, als geprüft werden?«
»Ich brauche die Hilfe eurer Göttin.«
»Wenn du die bekommen willst, dann mußt du erst die Prüfungen bestehen und dich ihrer würdig erweisen.«
»Dann sag mir, was ich tun muß.«
Mit einem Anflug von Mitleid sah der Mann auf die zierliche
junge Gestalt herab. Die Fremde mußte eine weite Reise unternommen haben, ihr Akzent war zweifellos griechisch. Die tiefen
Ringe unter ihren Augen zeugten von wenig Schlaf, ihr Körper
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wirkte erschöpft und müde. Dennoch schien sie von einer seltsamen Kraft beseelt. Er räusperte sich. »Du hast es ziemlich eilig,
Fremde. Ungeduld ist nicht eben eine Tugend.«
»Ich habe es eilig, weil mir nicht viel Zeit bleibt. Das, was du
Ungeduld nennst, ist Entschlossenheit.«
»Ja, entschlossen bist du, das sehe ich«, stellte der Priester lächelnd fest. »Wie ist dein Name und was ist dein Begehr?«
»Mein Name ist Gabrielle aus Poteidaia. Ich bin gekommen, weil
mir meine Seelengefährtin entrissen wurde. Ich weiß, daß dies
nicht im Sinne des großen Schicksals ist.«
»Es tut mir leid für dich, daß du den ganzen Weg hierher geritten bist. Hier kommen viele Menschen her, die möchten, daß Isis
ihnen hilft, einen verlorenen Angehörigen zurückzubringen. Seit
Jahrhunderten ist hier kein Mensch aus dem Tempel herausgekommen und hat seinen Angehörigen zurückbekommen. An deiner Stelle würde ich meine Kräfte sparen und wieder zurück reiten.«
»Xena und ich sind nicht wie andere Menschen.«
»Xena, ist das der Name der Frau, die du Seelengefährtin
nennst?«
»Ich nenne sie nicht so, sie ist es.«
Der Priester fuhr sich durch seinen weißen Bart. »Das haben
schon viele gesagt. Jeder kennt die Legende der Seelengefährten,
aber keiner, der hierher gekommen ist, hat es je im eigenen Leben
erfahren. Es scheint den Göttern vorbehalten.«
»Wir haben es erfahren.«
»Du bist hartnäckig, Gabrielle.«
»Nur ohne Zweifel.«
»Ich nehme an, dir hat noch niemand erzählt, wie hart diese Prüfungen sind? Du wirst dir wünschen, nie geboren zu sein.«
»Sag mir, wie ich mich prüfen lassen kann.«
Der Priester nickte würdevoll und zeigte hinter sich auf die drei
Säulen. »Dieser Tempel steht für Weisheit und Liebe. Beides mußt
du haben, um zu Isis und Osiris vorzudringen. Du brauchst Mut,
Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit, ein reines Herz und Selbstbeherrschung. Bringst du all dies mit, wirst du es weit bringen. Aber
nichts wird es dir nützen, wenn ihr nicht wirklich Seelengefährten
seid wie du sagst.«
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Gabrielle griff in ihre Tasche und holte Amons goldenen Teller
mit den zwei ineinander verschmelzenden Sonnen hervor. Befriedigt registrierte sie wie der Priester ehrerbietig zurückwich.
»Du bringst Gaben von Chaf-Ra.«
»Ja, und ich habe noch andere Gaben für Isis mitgebracht. Wo
kann ich sie ablegen?«
»Geh an den Säulen vorbei durch das Tor. Dort wirst du einen
Altar vorfinden. Sei darauf gefaßt, daß das Betreten des Tempels
der Beginn der drei Prüfungen ist. Und die hier«, er wies mit dem
Kopf auf die Urne in Gabrielles Hand. »Die behalte ich hier.« Als
der Priester die aufkeimende Panik in den eben noch so tapferen
Augen der Griechin bemerkte, zog er seine Hand zurück. Gabrielle hatte unbewußt ihren Griff um die Urne verstärkt und sah unschlüssig auf das Tempeltor. Konnte sie dem Priester trauen? Was,
wenn er nur auf die Überreste Xenas aus war wie so viele andere?
»Du kannst dich den Prüfungen nicht unterziehen, wenn du mir
die Urne nicht überläßt. Ich verspreche dir, du wirst sie unbeschädigt zurückbekommen. Bei Isis und Osiris verspreche ich es.«
Etwas an der Art, wie der alte Mann mit ihr sprach, ließ Gabrielles Zweifel sinken und sie reichte ihm tapfer die Urne. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wenn du dein Versprechen nicht
hältst, wirst du bereuen, je ein Wort mit mir gesprochen zu haben.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte der Priester höflich. »Und
noch etwas: Verschwiegenheit ist eine wichtige Tugend. Du darfst
während der zweiten Prüfung nicht sprechen, egal, was passiert.«
Er wies ihr den Weg zum Eingang des Tempels. »Viel Glück, Gabrielle. Du bist ein guter Mensch. Ich wünsche dir, daß du findest,
was du suchst.«
Gabrielles Magen krampfte sich zusammen bei den Worten des
alten Mannes. Einen Moment lang lehnte sie sich an die Säule am
Fuß der Tempeltreppe. Hier nun würde es sich entscheiden. Sie
dachte an Xena und an all die Menschen, die sie kannten und denen sie es schuldig war, Xena zurückzuholen. Noch einmal atmete
sie tief durch, dann stieg sie entschlossen die steilen Treppen zum
Eingang des Tempels hinauf.
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Im Innern des Gemäuers war es kühl und feucht. Die Luft roch
leicht modrig und vermischte sich mit dem süßlichen Duft von
Früchten, die auf dem Altar lagen. Gabrielle legte ihren goldenen
Teller zu den anderen Gaben. Den Menschen hier mußte der Frieden mit den Göttern sehr viel wert sein: Kostbarer Schmuck aus
Gold und Edelsteinen lag neben frischen Nahrungsmitteln. Die
Bewohner dieser Gegend waren nicht wohlhabend, also konnte es
nur große Verehrung oder Furcht sein, die die Menschen dazu
trieb, ihren Göttern derart wertvolle Geschenke zu machen.
Vor dem Altar kniete sich Gabrielle auf den kalten Steinfußboden. »Isis, höre mich an. Ich bin von weit hergekommen, um mich
prüfen zu lassen. Dein Ruf eilt dir voraus in alle Welt, selbst in
meinem Land singt man deine Geschichten. Ich komme, weil meiner Partnerin großes Unrecht widerfahren ist. Sie glaubte, sterben
zu müssen, aber ich weiß, daß die Erlösung nur hier im Leben zu
finden ist. Wir sind Seelengefährten, wie du und Osiris, wir sind
mehr als einmal in den Tod hinabgestiegen und die Kraft unserer
Liebe hat uns ins Leben zurückgeführt. Kann es der Wille der Götter sein, daß Menschen, die nur miteinander vollständig sind,
durch Tod und Leben getrennt werden? Ich bin bereit für deine
Prüfungen, ich bin bereit für alles, was du mir auferlegst. «
Gabrielles Worte hallten in den Mauern wider. Dann setzte Stille ein. Sie wagte nicht, sich zu erheben. Unbeweglich verharrte sie
in ihrer knienden Haltung bis ihre Oberschenkel zu zittern begannen. Die griechischen Götter waren nicht eben menschenscheu,
aber mochte man den Leuten in den Tavernen glauben, war es bei
den ägyptischen Göttern anders. Sie überließen es gern den Pharaonen, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, vergnügten
sich lieber untereinander und lenkten die Geschicke der Menschen
aus der Ferne. Wie sollte sie also Kontakt zu Isis aufnehmen? Sie,
eine Fremde, die nie zuvor zu Isis gebetet hatte. Die Last ihres
Körpers drückte unentwegt auf ihre Knie. Sie wußte nicht mehr,
ob ihre Beine von dem Gewicht oder von der Kälte im Tempel
bebten. Vielleicht war die erste Prüfung ein Test ihrer Beharrlichkeit?
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Gabrielles Füße begannen allmählich taub zu werden. Vielleicht
wartete sie vergeblich auf ein Zeichen. Vielleicht warteten die Prüfungen woanders auf sie. Doch als Gabrielle ihren Blick zu der
Sonnenscheibe über dem Altar hob, bemerkte sie, daß ihr goldener
Teller vom Gabentisch verschwunden war. Ohne einen Laut.
Erleichtert atmete sie auf. Zumindest hatte Isis ihre Gaben nicht
verweigert. Das war ein Anfang. Als sich Gabrielle langsam auf ihre gefühllosen Füße stellte, entdeckte sie hinter dem Altar ein Tor,
das sie zuvor nicht bemerkt hatte. Offenbar führte es in den hinteren Teil des Tempels.
War dies das Tor zur ersten Prüfung? Vorsichtig, die Sais in den
Händen, bewegte sich Gabrielle auf den Torbogen zu. Dahinter
erschloß sich ein schmaler, gewölbter Gang. Die ersten Meter waren schnell zurückgelegt, aber je länger Gabrielle lief, desto mehr
hatte sie den Eindruck, daß der Gang kein Ende nahm. Hätten sich
nicht rechts und links brennende Fackeln an den Wänden befunden, Gabrielle hätte geglaubt, hier wäre noch nie eine Menschenseele gewesen. Endlich, als sie schon umkehren wollte, entdeckte
sie in einiger Entfernung eine Holztür, die rechts vom Gang abführte. Die Tür war geschlossen, aber Stimmen und Gelächter ließen darauf schließen, daß sich Männer und Frauen hinter der Tür
befanden. Tiefe und helle Stimmen drangen an ihr Ohr und . . .
Xenas Stimme? Konnte das sein?
Gabrielle hielt den Atem an, als sie vorsichtig die schwere Tür
öffnete. Ein prunkvoll geschmückter Saal offenbarte sich ihr, in
dem die Menschen in Gruppen dicht gedrängt beieinander standen
oder um große Tische herum saßen. Am Boden lagen achtlos hingeworfene Weinbecher, die Tische waren mit halb aufgegessenen
Früchten übersäht, über aufwendig geschnitzten Stühlen hingen
verschmierte Kleider und Tücher. Auf Sofas und Kanapees saßen
oder lagen Männer und Frauen, die sich lachend unterhielten oder
sich gegenseitig Früchte in die Münder schoben.
In der Mitte des Saales, mit dem Rücken zu Gabrielle, stand Xena. Sie trug ein weißes Gewand, das sich scharf von ihren dunklen
Haaren absetzte. Gabrielle spürte, wie ihr die Knie weich wurden
bei dem unvermittelten Anblick der Gefährtin. Ihr schien es, als
strahle die Schönheit ihrer Gefährtin über den gesamten Saal.
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Stolz, in ihrer typischen aufrechten Haltung stand sie mitten im
Raum.
Eine Gruppe von Leuten hatte sich um die Kriegerprinzessin
versammelt. Links von ihr entdeckte Gabrielle Markus und Akemi,
ebenfalls in weißen Gewändern. Der Mann, der rechts neben
Akemi stand, war aller Wahrscheinlichkeit nach Borgias. Gabrielle
erkannte es an der Ähnlichkeit mit seinem Sohn Belach, den sie vor
einigen Monden kennengelernt hatte. Nur wenige Meter weiter
hinten saß ein junges, dunkelhäutiges Mädchen, deren Verzierungen auf ihrem Gewand an das Muster von Xenas Brustplatte erinnerte. Das Mädchen sah exakt so aus, wie Xena ihr M’Lila damals
beschrieben hatte. Neben ihr, etwas abseits von der Gruppe, stand
eine atemberaubend schöne Chinesin, deren Augen beständig auf
Xena ruhten.
Gabrielle steckte die Sais zurück in ihre Stiefel und trat einen
Schritt nach vorn. Sie scheiterte an einer unsichtbaren Wand, die
sie von der Szenerie trennte.
»Xena?«
Niemand in dem Saal nahm Notiz von ihrem Ruf. Die kleine Gesellschaft um Xena lachte über irgendeine Bemerkung von Markus.
Akemi stand auf und ging zu der Kriegerin herüber. Sie küßte ihre
Wange und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Gabrielle
konnte nicht verstehen, was Xena sagte, aber sie sah wie die Japanerin lächelte und sich dann an einen Nebentisch begab.
Borgias hatte einen Becher mit Würfeln auf den Tisch geworfen,
offenbar forderte er Xena zu einem Duell auf. Ohne ihr Gesicht zu
sehen, wußte Gabrielle, daß Xenas Augen herausfordernd in Borgias’ Richtung blitzen. Die Gesellschaft rückte etwas auseinander,
um den beiden Platz zu machen.
Gabrielle starrte regungslos auf die konzentrierten Bewegungen
ihrer Freundin, die sich nun anschickte, den ersten Wurf zu tun.
Jeglicher Impuls, durch die unsichtbare Wand zu dringen, war von
ihr gewichen. Noch Sekunden zuvor hätte sie ihr Leben gegeben,
nur, um Xena noch einmal zu sehen. Nun schallte Xenas triumphierendes Lachen durch den Saal und sie rührte sich nicht. Sein
vertrauter Klang schmerzte in ihrer Brust. Das Lachen, die Stimme, all die Sprüche, mit denen Xena wie üblich versuchte, ihre
Gegner einzuschüchtern, sie kannte das alles so genau.
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Gabrielle ließ sich auf den Marmorfußboden fallen und lehnte
sich an den Türrahmen. Den Kopf in die Hände gestützt beobachtete sie, wie die Chinesin auf Xena zuging und ihr etwas ins Ohr
flüsterte. M’Lila legte fünf Dinare auf den Tisch. »Auf Xena!«
»Auf Xena!« rief die Gruppe.
Der Ruf hallte in Gabrielles Kopf wider. Wie hatte sie nur davon
ausgehen können, Xena würde nichts lieber wollen als ein Leben
mit ihr? War es nicht nur ihr eigener, egoistischer Wunsch gewesen, sie zu sich zurück zu holen, weil sie ohne sie nicht leben konnte? Warum war sie nie auf die Idee gekommen, daß Xena nun endlich bei den Menschen war, die sie liebte und die sie immer so
schmerzlich vermißt hatte? Nur in den Augenwinkeln nahm Gabrielle wahr, wie die schöne Chinesin eine unauffällige Handbewegung machte und sich Xenas Würfel überraschend in eine andere
Richtung bewegten. Lao Ma!
Vor Gabrielles Augen entstanden unwillkürlich Szenen, wie das
Wiedersehen zwischen Xena und ihren Freunden abgelaufen sein
mochte. Es mußte eine unglaubliche Erleichterung für Xena gewesen sein. Bis zuletzt hatte sie gefürchtet, in den Tartarus zu kommen, weg von allen Menschen, die sie liebte, zusammen lediglich
mit Menschen, die das Böse in sich hatten und die sie wohlmöglich
persönlich ins Jenseits befördert hatte. Es war so wohltuend und
erleichternd zu sehen, daß es Xena gut ging und daß ihr Kampf für
das Gute sie hierher geführt hatte, zu ihren Freunden.
So sehr sich Gabrielle für Xena freute, so sehr kochte ein anderer Teil in ihr vor Eifersucht. Die Freundin so unbeschwert zu sehen, zerriß ihr das Herz. Sie selbst war es gewesen, die Xena diese
Unbeschwertheit beigebracht hatte, und niemand sonst. Wie
selbstverständlich war sie immer davon ausgegangen, daß Xena
genauso wenig ohne sie sein könnte, wie sie ohne Xena. Doch hier
wirkte sie so ausgeglichen und entspannt, und wer mochte es ihr
verdenken?
Gabrielle schloß die Augen, um die Szene nicht weiter verfolgen
zu müssen. Ein plötzlich einsetzender Schwindel brachte sie aus
dem Gleichgewicht und ihr Oberkörper fiel auf den kalten Boden.
Das Chakram an ihrer Hüfte klirrte leise. Lao Ma hob bei dem Geräusch ruckartig den Kopf und sah forschend in ihre Richtung. Ihre
dunklen, durchdringenden Augen blieben an Gabrielle haften.
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Der Schmerz in ihrer Schulter ließ die Bardin aufstöhnen. Sie
suchte Halt an der unsichtbaren Wand, doch ihr Griff ging ins Leere. Erneut fiel sie auf den Fußboden.
Ein paar Anwesende drehten sich erstaunt zu ihr um, wandten
sich dann aber wieder ihren Gesprächspartnern zu. Nur Lao Mas
Blick verharrte unverwandt auf Gabrielle. Ihre Züge verrieten keine Emotionen, aber Gabrielle hatte das sichere Gefühl, daß Lao
Ma sie erkannte. Die Geräusche in dem Raum waren nun deutlicher, unverwechselbar stach Xenas dunkle Stimme aus dem
Stimmengewirr hervor. Nach wie vor stand sie mit dem Rücken zu
Gabrielle, vollkommen vertieft in den Wettbewerb mit Borgias.
Gabrielle schien es plötzlich, als sei nicht Xena, sondern sie
selbst diejenige, die gestorben war. Die letzten Wochen waren eine einzige Qual gewesen, lediglich der Wunsch, Xenas Asche nach
Amphipolis zu bringen, hatte sie auf den Beinen gehalten. Die Vorstellung, Xena vielleicht noch ein einziges Mal zu sehen, hatte sie
durch ganz Griechenland getrieben. Und nun stand sie hier, verloren, allein unter Xenas Freunden. Naiv und egozentrisch war sie
gewesen. Bedeutete Seelenverwandtschaft wirklich, daß man immer zusammen sein mußte? Ganz offenbar nicht. Die Versprechen,
die sie sich im Leben gegeben hatten, offenbar waren sie bedeutungslos im Tod. Aber etwas war seltsam. Noch nie hatte der Tod
ihrer Beziehung die Bedeutung genommen. Was war los?
Verlangten die Götter etwa von ihr, daß sie ein weiteres Mal
Xenas Wünsche über ihre eigenen stellte? Sollte sie Xena erneut
ziehen lassen? War der Preis der Liebe, daß man sie immer wieder
und wieder opfern mußte?
Ohne den Blick von Xena zu wenden, trat Gabrielle einen
Schritt zurück zur Türschwelle. Ihre Seelengefährtin war glücklich. Das war es doch, was sie sich immer für sie gewünscht hatte.
Es war Zeit zu gehen. Mit zitternden Fingern tastete sie nach der
Tür hinter sich.
Ein unterdrücktes Schluchzen drang an ihr Ohr. Zu spät bemerkte sie, daß es aus ihrer eigenen Kehle entwichen war.
Xenas Kopf fuhr herum. »Gabrielle?«
Oh Götter.
»Gabrielle?«
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So schnell es ihr möglich war, verschwand Gabrielle im Gang
des Tempels. Xena durfte sie nicht sehen. Wenn sie ihre Verzweiflung bemerkte, würde sie hier alles stehen und liegen lassen und
ihren eigenen Seelenfrieden für sie aufgeben. So schnell ihre Füße
sie trugen, rannte Gabrielle den langen Gang hinunter. Xenas
Schritte waren dicht hinter ihr.
»Gabrielle!«
Zum Glück war der Gang zu niedrig für Flips oder Sprünge,
doch auch unter diesen Bedingungen hatte Gabrielle noch jeden
Wettlauf gegen die Kriegerprinzessin verloren. Ihr kam zu Hilfe,
daß der Weg sich nach wenigen Metern zu verzweigen begann. Je
weiter Gabrielle lief, desto mehr entwickelten sich die Gänge zu
einem unüberschaubaren Labyrinth.
»Gabrielle! Warte!«
Xenas Stimme war immer noch dicht hinter ihr. Das Herz schlug
ihr bis zum Hals, als sie in einem der Gänge verschwand und sie
Xena Schritte an sich vorbeilaufen hörte. Mit letzter Kraft warf sie
sich dem Lichtstrahl entgegen, der aus der Tür hinter ihr drang.
Als sie aufsah, bemerkte sie, daß das Licht vom Ausgang des Tempels kam. Etwa dreißig Meter von ihr lag das Tor in die Freiheit.
Wie von selbst flogen Gabrielles Füße dem Tageslicht entgegen.
Die Prüfung der Göttin war eine bittere Lehre gewesen. Sie mußte
lernen, Xenas Tod anzunehmen und ihre Freundin mit ihren egoistischen Wünschen in Ruhe zu lassen.
Doch warum bloß hatte der Priester von drei Prüfungen gesprochen? Um ihre dem Ausgang entgegeneilenden Füßen zu stoppen,
zog Gabrielle mitten im Lauf ihre Sais und warf sie vor sich auf den
Boden. Ihre Füße stolperten über das Hindernis und sie fiel hart
auf den Steinfußboden. Ihre Schläfe blutete, aber sie würde diesen
Ort nicht verlassen, ohne vollständig verstanden zu haben. Als sie
ihre Hand nach ihren Sais ausstreckte, gab der Boden unter ihr
nach.
Noch einmal schlug ihr Körper schmerzend auf hartem Boden
auf, die Sais landeten klirrend neben ihr. Gabrielle unterdrückte
ein Stöhnen. Ihre Kniescheibe fühlte sich an, als sei ein Zentaurus
darauf getreten. Vorsichtig hob sie ihren rechten Arm. Zum Glück
schien nichts gebrochen zu sein, nur ein paar Prellungen an Ellenbogen und Knien.
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Die Dunkelheit um sie herum machte es unmöglich zu erkennen, wo sie gelandet war. Da entzündeten sich wie von selbst zwei
Fackeln an der Mauer und Gabrielle sah, daß sie sich inmitten eines
geräumigen Schlafgemachs befand. An der hinteren Wand stand
ein großes, mit feinen Stoffen überspanntes Bett, vorn am Fuß des
Bettes waren ein Kuhgehörn und eine Sonne in dunkles Ebenholz
graviert. Die Symbole der Isis.
Neben dem Bett befand sich ein Tischchen mit demselben Emblem, darauf verstreut lagen verschiedene Nachtutensilien. Gabrielle identifizierte eine Haarbürste und einen Kamm, sowie verschiedene Schalen mit Cremes und getrockneten Kräutern. Die Schubladen enthielten wunderschöne Nachtgewänder, die, wie Gabrielle
schnell feststellte, genau ihre Größe hatten. Man konnte meinen,
sie seien extra für sie gefertigt. Als Gabrielle ihre Wange an die
tiefblaue Seide schmiegte, entdeckte sie zwei Sais auf beiden Ärmeln. Die Stoffe waren für sie gefertigt. War dies die zweite Prüfung?
Eine plötzlich einsetzende Erschöpfung ließ ihre Knie einknicken. Die restliche Energie, die sie in den letzten Stunden, ja in
den letzten Wochen auf den Beinen gehalten hatte, zerfiel innerhalb von Sekunden, ebenso wie zuvor die Hoffnung, ihre Freundin
zurückholen zu können. Fühlte es sich auch noch so falsch für sie
selbst an, das einzige, was zählte war, daß es Xena gut ging. Jetzt,
da sich alles so hoffnungslos anfühlte, kam die Rechnung für die
vielen schlaflosen Nächte und die unregelmäßigen Mahlzeiten in
den letzten Wochen. Ihre Beine fühlten sich bleischwer an, ihr
Kopf war dumpf und leer.
Wozu das Bett? Sollte sie sich hier ausruhen? Was, wenn sie die
zweite Prüfung verschlief? Gabrielles Verstand kämpfte gegen die
Müdigkeit, aber sie konnte nichts dagegen ausrichten, daß sich ihre
Lider schlossen, als hätte Morpheus persönlich seine Hände auf sie
gelegt. Wie von einer fremden Macht gesteuert legte Gabrielle ihre Kleider ab und streifte sich das blaue Nachtgewand über. Die
Sais auf dem Stoff blitzten golden durch die Dunkelheit. Erschöpft
sackte sie auf das Bett.
Sie war bereits in tiefem Schlaf, als ein scharrendes Geräusch sie
plötzlich hochschrecken ließ.
Xena?
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Vergangen war die Müdigkeit. Gabrielle saß kerzengerade im
Bett und starrte zur Tür. Eine dunkle Gestalt, vollständig verhüllt,
steuerte auf ihr Bett zu. Instinktiv griff Gabrielle nach ihren Waffen auf dem Nachttisch, doch die Bewegung rief nicht einmal ein
Zögern bei ihrem Gegenüber hervor. Unbeirrt ging die Gestalt
weiter und stoppte erst, als sie unmittelbar vor ihr stand.
Gabrielles Finger schmiegten sich kampfbereit um ihre spitzen
Waffen, da öffnete die Gestalt ihren Umhang und streifte ihre Kapuze vom Kopf.
Perdicus!
Mit einem Schwung entledigte sich der Eindringling seines Umhanges und warf sich vor seine Ehefrau auf die Knie. »Gabrielle!«
Gabrielle öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kräftige
Arme zogen sie herab und Perdicus drückte seine Lippen stürmisch
auf ihre. »Gabrielle«, flüsterte er und bedeckte ihr Gesicht mit
Küssen. »Gabrielle. Oh, meine Gabrielle. Ich habe dich so vermißt.«
Heilige Artemis! Wie oft hatte sie gehofft, Perdicus noch einmal
sehen zu können. Es gab so vieles, was sie ihm nicht mehr hatte sagen können, nachdem Callisto ihrer Ehe ein Ende gesetzt hatte.
Und jetzt, da Perdicus vor ihr kniete, war ihr Kopf wie leergefegt.
Überwältigt drückte sie ihren Ehemann an sich und suchte nach
den Worten, die sie ihm innerlich schon so oft gesagt hatte. Da fiel
ihr die Warnung des Priesters ein: Während der zweiten Prüfung
durfte sie nicht sprechen. War dies die zweite Prüfung?
Perdicus löste sich aus ihrer Umarmung und sah sie erwartungsvoll an. »Freust du dich nicht, mich zu sehen?«
Gabrielle biß sich auf die Lippen. Das Bedürfnis, mit ihm zu
sprechen, sich endlich von der Last ihrer jahrelangen Schuldgefühle
zu befreien, war überwältigend. Unzählige Male hatte sie gebetet,
daß Perdicus sie hören könnte. daß sie ihm versichern könnte, wie
leid ihr alles tat. daß sie ihm sagen könnte, wie dankbar sie ihm
war, daß er in ihrer Hochzeitsnacht zärtlich zu ihr gewesen war.
Auch wenn er von Anfang an gewußt hatte, daß ihr Herz nicht ihm
gehörte. Aber sie hatte ihn geliebt. Auf eine besondere, kindliche
Weise.
»Ich habe dich gehört, weißt du«, murmelte Perdicus in ihren
Brustkorb.
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Sie nickte stumm und ließ es zu, daß er sie weiter mit seinen
Küssen bedeckte. Wie sollte sie ihm klarmachen, was sie empfand,
ohne ihn gleichzeitig zurückzustoßen? Sie durfte kein Risiko eingehen. War dies die zweite Prüfung und sie äußerte auch nur ein
Wort, dann war Xena verloren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als
seine Zärtlichkeiten über sich ergehen zu lassen. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und versuchte, all ihre Dankbarkeit in ihren
Blick zu legen.
»Gabrielle, warum bist du hier?« Perdicus schmiegte seinen
Kopf an ihre Brust. »Ach, ich weiß nicht einmal, warum ich hier
bin. Weißt du noch in Poteidaia, als wir uns im Wald verlaufen
hatten und das gesamte Dorf uns suchte?«
Sie nickte wieder. Ihre Hände strichen sanft über seine Wangen,
und sie spürte, wie er sich enger an ihren Oberkörper preßte.
»Gabrielle, du duftest so gut.«
Ein Geräusch an der Tür ließ beide herumfahren.
Xena.
Gabrielle stieß Perdicus von sich. Mit Schrecken begriff sie die
Szene, die sich Xena darbieten mußte. Sie im blauen Nachthemd,
auf dem Bett sitzend. Auf ihrem Schoß, fest an sie geschmiegt, ihr
Ehemann.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde sah Gabrielle den Schmerz
in den stahlblauen Augen, dann wurde das Gesicht vor ihr hart und
unnahbar. Xena trat vor das Bett und betrachtete Perdicus abschätzig. Borgias’ Würfel, die sie immer noch in der Hand hielt, stießen
hörbar aneinander, als sie nervös ihre Finger an ihrem weißen Gewand rieb. »Willst du mir vielleicht erklären, was hier vor sich
geht, Gabrielle?«
Die erhoffte Erklärung blieb aus. Weit geöffnete grüne Augen
starrten Xena entgegen, aber kein Laut war zu hören. Bis auf Perdicus’ aufgeregten Atem war es totenstill im Saal.
»Ich verstehe.« Die Kriegerin warf stolz ihren Kopf in den Nacken und steckte die Würfel in ihre Tasche. »Ich geh’ dann mal
wieder. Alles Gute, Gabrielle.«
Wäre der Bardin ihre Freundin nicht vertrauter als alles andere
auf der Welt, dann wäre ihr die Verzweiflung in der Stimme entgangen. Doch obwohl sie die Verletzung wie ihre eigene spürte,
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konnte sie in diesem Moment nichts anderes für sie tun, als nicht
zu sprechen und nichts zu erklären.
Xena schaute zu Boden und lachte ein kurzes, bitteres Lachen.
Dann wandte sich um und begab sich zur Tür. An der Schwelle
drehte sie sich noch einmal zu Gabrielle. »Warum bist du vorhin
weggelaufen?«
Als keine Antwort kam, fuhr sie fort: »Du hast gedacht, ich wäre
glücklich, nicht wahr? Ich bin es nicht. Ist das nicht verrückt? Ich
bin in den Elysischen Feldern und . . .« Sie hielt inne und forschte
in Gabrielles Gesicht. Keine Regung verriet ihre Gedanken. Das
war ungewöhnlich. Etwas stimmte nicht.
Ungeachtet des verzweifelten Kampfes in ihr stand Gabrielle da
wie eine griechische Statue. Machte sie auch nur einen Schritt auf
Xena zu, nur eine Geste, die Worte würden aus ihr herausströmen
wie eingesperrte Fluten. Sie schlug die Augen nieder vor Xenas
fragendem Blick. Und dann tat sie das, was ihr in diesem Moment
am unmöglichsten erschien, aber doch der einzige Weg war. Sie
schloß die Augen, horchte nach innen und blendete alles andere
aus. Höre nicht nur auf die Geräusche, höre das, was hinter den Geräuschen liegt.
Xena starrte ungläubig in das Gesicht ihrer Freundin. Auch wenn
Gabrielle verletzt darüber war, daß sie sich für den Tod entschieden hatte, so rechtfertigte das nicht, daß sie jetzt so mit ihr umging. War Gabrielle nur ins Reich der Toten hinabgestiegen, um
ihr zu demonstrieren, wie wunderbar sie ohne sie zurecht kam?
Wenn sie ihre Entscheidung in Japan als gegen sie gerichtet verstanden hatte, dann war dies ein furchtbares Mißverständnis.
»Gabrielle, wenn du glaubst, daß ich ohne dich glücklich sein
kann, dann . . . dann . . .«
Höre nicht nur auf die Geräusche, höre das, was hinter den Geräuschen
liegt.
Warum ignorierte Gabrielle sie so hartnäckig? Hatte der Tod das
Band zwischen ihnen zerstört? Nein, das konnte nicht sein, das hatte er noch nie vermocht. Was ging hier vor sich?
Was hinter den Geräuschen liegt . . .
Plötzlich hatte Xena das seltsame Gefühl, als würden ihre Worte
nicht durch den Raum schallen, sondern zu ihr zurück drängen,
sich in ihrem Kopf ausbreiten und durch ihre Adern hallen.
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Ihre Augen schlossen sich und der Raum verschwand aus ihrem
Bewußtsein. Statt Perdicus’ ängstlichem Atem hörte sie ein Rauschen. Ihr war, als hörte sie ihr eigenes Blut durch ihre Adern fließen. Ein dumpfes Pochen legte sich über das Rauschen, wie ein
Herzschlag. Noch ein Pochen, ein zweiter Herzschlag. Immer
wieder. Endlos. Poch. Poch. Poch.
Es war vollkommen still im Raum, als sich die beiden Freundinnen regungslos gegenüber standen, die Augen geschlossen, die
Haltung nach innen gekehrt. Ihre Herzschläge hatten sich verlangsamt, waren gleichmäßiger geworden, legten sich allmählich übereinander, verwoben sich miteinander. So lange, bis sie klangen wie
ein einziger Schlag.
Xena öffnete die Augen und sah in das Gesicht ihrer Seelengefährtin. Sie trug nicht mehr das blaue Nachtgewand sondern ihre
vertraute Kleidung und einen weißen Umhang. Xena konnte sehen, wie Gabrielles Brust sich hob und senkte unter ihren regelmäßigen Atemzügen. Das bleiche Gesicht war naß von Tränen unter geschlossenen Lidern, aber ihre Züge waren entspannt und
konzentriert.
»Verzeih mir.« Xena ergriff Gabrielles Hand. Ganz langsam, um
die Freundin nicht zu erschrecken, führte sie die Hand an ihre Lippen. »In Japan habe ich dir beigebracht, wie man hinter die Geräusche hört, die das Ohr wahrzunehmen gewohnt ist. Du lernst so
schnell. Hab keine Angst, ich höre dich.«
Ein fast unmerkliches Lächeln war die Antwort, kaum wahrnehmbar, wäre es nicht das Gesicht, das Xena besser zu lesen
verstand als alles andere auf der Welt.
Jetzt war es mit Xenas Selbstbeherrschung vorbei. Mit einer
schnellen Bewegung schlang sie beide Arme um die noch immer
bewegungslose Gabrielle. »Du mußt nichts sagen, Gabrielle. Ich
weiß nicht, was hier los ist, aber du mußt mir nichts sagen.« Der
Körper ihrer Gefährtin entspannte sich merklich unter ihren Worten. Ganz fest preßte Xena sie an sich. »Ich weiß nicht, was die
Götter mit uns vorhaben, aber eines steht doch fest: Du bist gekommen.« Sie küßte das helle Haar. »Du hast mir gefehlt.«
Ein dumpfes Schluchzen bei Xenas Brustkorb signalisierte das
Ende von Gabrielles tranceartigem Zustand. Die Augen noch immer geschlossen, hob sie den Kopf.
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Xena zog Gabrielle fester an sich. Eng umschlungen standen sie
beieinander. Unbeweglich, sich der Zerbrechlichkeit des Augenblicks bewußt. Keine wagte eine Regung, aus Angst, sie könnte
mit leeren Armen aus diesem Traum erwachen.
Es war Xena, die sich schließlich aus der Umarmung löste. Als
sie sich umsah, hatte der Raum sich vollständig verändert. Das Bett
war verschwunden, ebenso Perdicus. statt dessen befanden sich ein
Tisch und sieben Stühle im Raum. Die steinernen Wände waren
mit fremdartigen Höhlenmalereinen verziert.
»Heilige Artemis!« Gabrielle sank erschöpft auf einen der Stühle.
»Gabrielle!« Xena war sofort an ihrer Seite. »Was ist hier los?
Warum bist du überhaupt hier? Bist du tot?«
»Nein, ich . . .Xena, ich durfte nicht reden und auf einmal war
da Perdicus und ich . . .ich . . .« Gabrielle faßte Xenas Hände.
»Wieso sind deine Hände so kalt?«
»Ich bin tot.«
»Aber . . . Warum schlägt dann dein Herz?«
Xena zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Auf einmal hatte ich
wieder einen Herzschlag.« Sie deutete auf ihre Brust. »Fühlt sich
prächtig an, nebenbei bemerkt.«
»Bist du sicher, daß du noch tot bist?«
»Ganz sicher. Leben fühlt sich anders an. Glaub mir.« Xena faßte
die Freundin an den Schultern. »Ich konnte auf einmal deine Gedanken nicht mehr hören. Was war denn los?«
»Vielleicht weil ich zu dir gekommen bin.« Gabrielle runzelte
die Stirn. »Xena, hör mir zu, wir haben uns geirrt. Japan war . . .«
Ihr letzter Satz ging in einem lauten Grollen unter. Eine Erschütterung ging durch die Wände des Raumes. Die Möbel fielen polternd auf den Boden und eine Wand riß ein. Beide Frauen wurden
von dem herabprasselnden Geröll zu Boden gerissen. Gabrielle
griff geistesgegenwärtig nach einer Stuhllehne und hielt sie schützend über sich.
»Gabrielle! Bist du okay?«
»Xena?«
Nur wenige Sekunden später war der Spuk wieder vorbei. Gabrielle warf die Stuhllehne auf den Boden und kroch mühsam hinter
den zersplitterten Möbeln hervor.
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»Xena?«
Von der Freundin war nichts zu sehen. Gabrielle sprang auf die
Füße und lief zu dem Loch in der Wand, das durch den riß entstanden war. Ihr Blick fiel auf schmale Türen, die rechts und links
von dem Gang hinter der Wand abgingen. Alle ähnelten sich wie
ein Ei dem anderen. Hatte Xena hinter einer der Türen Schutz gesucht? Vorsichtig öffnete Gabrielle die erste Tür.
Erleichtert atmete sie auf. In der Tat, da stand die Freundin.
»Bei den Göttern! Ich hatte solche Angst, ich verliere dich wieder
. . .« Sie warf sich stürmisch in die ersehnten Arme.
»Du weißt, daß man mich so schnell nicht erwischen kann . . .«
Xena zog Gabrielle fest an sich.
»Ja, ich weiß.« Gabrielle gehorchte dem sanften Druck der starken Arme und schmiegte ihren Kopf an Xenas Schulter. Wie hatte
sie dieses Gefühl vermißt. Diesen unverwechselbaren Herzschlag
zu hören, den ureigenen Duft nach . . . Halt! Hier stimmte etwas
nicht. Gabrielle hob ihren Kopf und sah mißtrauisch in die stahlblauen Augen ihres Gegenübers. »Weißt du«, sagte sie gedehnt
und trat einen Schritt zurück. »Weißt du, seitdem du auf der anderen Seite bist, geht es mir genauso wie damals nach dem Tod von
Perdicus. Ich träume immer und immer wieder die gleiche Szene . . .«
»Du brauchst Zeit, meinen Tod zu verarbeiten, Gabrielle. Laß
alles ein bißchen ruhiger angehen, du bist viel zu hart zu dir . . .«
»Und du bist nicht Xena.« Gabrielles spitze Sais befanden sich
direkt unter dem Hals der Frau vor ihr. »Ich weiß nicht, was hier
gespielt wird, aber du bist mit Sicherheit nicht Xena. Die weiß
nämlich, daß ich nach dem Tod von Perdicus wochenlang nicht geträumt habe.«
Die Frau begann zu lachen. Das Lachen breitete sich in dem
Gemäuer aus und wurde lauter und lauter. Gabrielle hielt sich die
Ohren zu, als der Schall die Steine in den Wänden zum Vibrieren
brachte. Der Körper vor ihr zerplatzte und gelbe Staubpartikel
sanken zu Boden. Dann war es wieder still im Raum. Als Gabrielle
aufblickte, stand in der Tür eine große, schwarzhaarige Frau in
weißgoldenem Gewand. Zwei kleine Kuhhörner waren in die Ärmel des Gewandes gewebt und über ihrem Kopf schwebte eine
strahlende Sonnenscheibe.
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»Isis!« Gabrielle fiel unverzüglich auf die Knie. »Ehrwürdige Isis,
ich danke dir, daß du mich angehört hast. Ich erwarte meine dritte
Prüfung.«
Die Göttin lächelte mitfühlend. »Meine Liebe, du bist mittendrin.«
»Aber . . .«
»Widersprich mir nicht, Sterbliche. Das mag üblich sein in dem
Land, aus dem du kommst, aber hier ist man höflich zu den Göttern. Menschenkind, dies hier ist deine dritte Prüfung: Wenn du
und deine tote Freundin wirklich Seelengefährtinnen seid, dann
kann ich etwas für dich tun. Aber nur dann. Also zeige mir, ob du
Xena erkennst. Gleich wirst du verschiedenen Frauen begegnen,
sie alle sehen aus wie Xena und benehmen sich wie deine Freundin. Aber nur eine ist es wirklich. Töte alle, die nicht Xena sind.«
»Töten? Warum denn töten? Reicht es nicht, daß ich sie erkenne?«
»Dann ist es keine Prüfung. Du mußt dir todsicher sein.«
»Ich kann nicht einfach so töten, Isis. Es tut mir leid. Auf diese
Bedingung kann ich nicht eingehen.«
»Du tötest nicht wirklich, Menschenkind. Die unechten Xenas
sind nur Halluzinationen deines Geistes. Nur wenn du fälschlicherweise deine Freundin triffst, dann tötest du.« Mit dem letzten
Satz öffnete Isis die nächste Tür.
Der Raum war dunkel und karg eingerichtet. Nur ein Tisch und
zwei Stühle befanden sich in dem Zimmer, sonst nichts. Eine Frau,
die aussah wie die Kriegerprinzessin, stand lässig an die Wand gelehnt und sah zu ihr hinüber.
Xena?
»Du bist gekommen.« Die Frau wirkte erleichtert. »Ich konnte
diesen Raum nicht verlassen, aber ich wußte, du würdest mich
überall finden.«
Gabrielle trat näher heran. »Hat dich das Geröll getroffen, Xena?
Bist du verletzt? Du hast Blut an deinem Arm.«
»Wo?« Die Kriegerin untersuchte die blutende Schramme an ihrem Arm. Ein hohes Sirren klang durch den Raum, verursacht
durch Gabrielles Chakram, das in Sekundenschnelle den Hals seines Opfers durchsägte. Der Körper vor Gabrielle zerplatzte in einer grellen Wolke. Gelber Staub rieselte zu Boden.
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»Das war leicht, Isis«, murmelte Gabrielle. »Xena fängt ihr
Chakram selbst mit geschlossenen Augen.«
Sie verließ den Raum und öffnete die nächste Tür. Auch dieser
Raum war komplett verdunkelt, das einzige Fenster mit einem
Tuch verhängt. Nur ein leises Klirren, als ob Eisen gegen Eisen
schlug, ließ Gabrielle vermuten, daß noch jemand anderes im
Raum sein mußte.
»Xena?«
»Gabrielle?«
Eine kalte Hand legte sich auf Gabrielles Schulter. »Xena? Bist
du das?«
»Was wird hier gespielt, Gabrielle? Was ist los? Du warst plötzlich weg . . .«
»Isis sagt, hier sind mehrere Xenas unterwegs, aber nur eine bist
wirklich du. Und ich muß alle töten, die nicht Xena sind.«
Xena ging zu dem verdunkelten Fenster und zog den Vorhang
zurück. »Ich verstehe. Was kann ich tun, um dir zu helfen? Mußtest du denn schon eine töten?«
»Oh, du hast mir schon geholfen. Xena weiß, daß ich mich niemals darauf einlassen würde, unschuldige Menschen zu töten, und
sie würde schon gar nicht zulassen, daß ich es ihretwegen tue.«
Während der letzten Worte durchstachen Gabrielles Sais die Brust
ihres Gegenübers. Eine gleißende Flamme erhellte für einen Moment den Raum, dann wirbelte gelber Staub durch die Luft und an
ihren Sais herunter. Sekunden später war das Lichtspiel vorbei und
alles wieder ruhig. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ
Gabrielle den Raum und öffnete die nächste Tür.
Sie führte direkt ins Freie, in eine blühende Parkanlage. Palmen
und Säulen umsäumten eine großzügig ausgebaute grüne Anlage,
in der sich eine Gruppe bunt gekleideter Menschen aufhielt. An
einer der hinteren Säulen lehnte Xena und betrachtete das Treiben. Falls es Xena war.
Das Gesicht der Kriegerin leuchtete auf, als sie Gabrielle auf sich
zukommen sah. »Ich wollte dich nicht im Stich lassen, ich habe
keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin«, sagte sie entschuldigend. »Es muß Teil von Isis’ Prüfung sein.«
»Wieso meinst du, daß dies Teil der Prüfung ist?«
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»Die Kleider, die die Menschen tragen, gibt es in dieser Gegend
nicht, ganz zu schweigen von grünen Rasenflächen und Palmen.
Wir stehen noch in der Macht von Isis.«
»Was schlägst du vor?«
»Isis hat uns nicht ohne Grund hierher geführt. Wir können nur
abwarten.«
Gabrielle nickte. »Dann Laß uns eine Weile ausruhen.« Sie hob
den Schleifstein vor ihren Füßen auf und reichte ihn Xena.
»Ein Schleifstein zur Verkürzung der Wartezeit.« Xena ließ den
Stein zufrieden durch ihre Finger gleiten. »Isis hat an alles gedacht.«
Die beiden Frauen machten es sich im Gras gemütlich. Xena
lehnte sich an einen Baum und begann ihr Schwert zu schärfen,
während Gabrielle die Zeit nutzte, um über ihre Situation nachzusinnen. »Xena«, wandte sie sich an ihre Freundin. »Warum läßt du
dir nicht von mir eine Geschichte erzählen, wie wir es sonst auch
tun, wenn du dein Schwert schärfst.«
»Gute Idee. Um der alten Zeiten willen.« Xena klopfte neben
sich auf den Rasen und Gabrielle folgte der unausgesprochenen
Einladung.
Sie drückte Xenas Hand. »Ich singe von Sisyphus, dem Mann,
der dazu verdammt war, auf Ewigkeit einen Stein bergaufwärts zu
rollen.« Die Bardin hob hörbar die Stimme, als sie ihre Erzählung
begann. Ihr lebhafter Erzählstil riß auch die umstehenden Leute im
Park in seinen Bann. Auch wenn Gabrielles Darbietung nur ein
Schatten dessen war, wie sie sonst zu erzählen pflegte, so erfüllte
sie doch ihren Zweck. Ehrerbietig lauschten alle ihren Worten.
Nachdem Gabrielle geendet und die Menschenmenge sich wieder aufgelöst hatte, wandte sich Gabrielle an Xena. »Weißt du«,
sagte sie nachdenklich. »diese Geschichte habe ich dir schon unzählige Male erzählt. Ich glaube sogar, öfter als jede andere, denn ich
habe sie dir immer erzählt, wenn du nachts nicht einschlafen konntest. Ich weiß nicht, was es ist, aber wo auch immer du sitzt oder
liegst, spätestens bei der dritten Strophe von Sisyphus bist du eingenickt. Und deswegen«, sie strich mit dem Finger über das
Schwert ihrer Freundin. »deswegen muß ich dich töten.« Sie stach
Xenas Schwert mitten in den Bauch der Person, von der sie betete,
daß es nicht ihre Seelengefährtin war.
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Zu ihrer Erleichterung zersprang die Figur neben ihr in tausend
kleine gelbe Staubteilchen, die auf den nun plötzlich wieder steinernen Fußboden sanken. Wieder stand sie in einem komplett leeren Zimmer, das demjenigen glich, das sie zuerst betreten hatte.
Von irgendwoher kam ein scharrendes Geräusch, das sie nicht orten konnte.
Die Tür hinter ihr wurde aufgerissen und eine Frau in weißem
Gewand stürzte herein. Xena?
Xena war mitten im Raum stehen geblieben, den Blick zur Decke gewandt. Jetzt sah auch Gabrielle, daß das scharrende Geräusch, das durch den Raum drang, eine sich herabsenkende Decke
war.
»Das ist ein ungemütlicher Ort hier«, bemerkte Xena. »Komm,
wir gehen.« Sie wandte sich zur Tür.
Die Tür war verschlossen. Gabrielle schaute beunruhigt nach
oben. Wollte Isis sie prüfen oder töten? »Xena, gib mir dein
Schwert.«
»Warum? Wozu? Gabrielle, was soll das?«
»Vertrau mir, okay? Mach schon!«
Xena rollte die Augen, warf Gabrielle aber gehorsam das
Schwert zu. Die befestigte es an ihrem Umhang, so daß der stumpfe Teil direkt an ihrem Hals lag. Die Decke über ihr hatte sich bereits auf eine Höhe von weniger als 1.70 Metern herabgesenkt, so
daß Xena schon nicht mehr aufrecht stehen konnte. Gabrielle versuchte, ihre einsetzende Panik zu ignorieren und legte beide Hände
an ihren Hals. Mit einer präzisen Bewegung stachen ihre Fingerspitzen in das weiche Fleisch an ihrem Hals. Die Lähmung setzte
sofort ein, Blut quoll aus ihrer Nase.
»Bist du wahnsinnig, Gabrielle? Du kannst doch jetzt nicht aufgeben! Wir müssen einen Weg hier raus finden!«
Xena sprang auf die kopfabwärts gelähmte Gabrielle zu und riß
sie vom Boden. Das Blut rann über ihre Hände. »Komm jetzt endlich! Wir müssen zum Fenster, das ist der einzige Weg!« Mit einem einzigen Satz sprang Xena zum Fenster und rüttelte an den
Griffen. Tatsächlich gaben die Griffe nach und das Fenster öffnete
sich quietschend. »Beeil dich, Gabrielle!«
Mit letzter Kraft schlug Gabrielle ihren Hals gegen den Griff von
Xenas Schwert und löste damit die Lähmung. Nur Sekundenbruch© édition el!es
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teile später griff ihre Hand nach dem Rumpf des Schwertes, drehte
es und warf es direkt in den Rücken der Frau am Fenster. Ein helles, gelbes Licht schoß durch den Raum und Gabrielle sprang
durch den Staub hindurch hinaus ins Freie.
Das war knapp. Gabrielle rang nach Luft. Als sie sich umsah,
bemerke sie, daß sie sich erneut in dem Park von vorhin befand.
Wollte Isis sie mürbe machen? Labte sie sich vielleicht wie manch
andere Götter nur am Leid der Menschen und hatte gar nicht die
Absicht, ihr Xena zurückzubringen? Doch was auch immer Isis’
Plan war, Gabrielle konnte jetzt nicht aufgeben.
»Deine Xenas können nicht mal den Pinch!« rief sie in den
Himmel und ballte die Fäuste. Sie folgte einer sandigen Straße am
Rand des Parks, die zu einer kleinen Anhöhe führte. Oben auf dem
Berg stehend erkannte sie Xena. Hoffentlich.
Gabrielle sah über Xenas Schulter. »Ares!«
Die Kriegerprinzessin fuhr herum. Hinter ihr schwirrte ein
Chakram auf ihren Hals zu. Ihr Körper zerplatzte vor Gabrielles
Augen und das Chakram sirrte durch die Staubwolke zurück in
Gabrielles Hand.
»Nicht die feine Art, ich weiß.« murmelte sie entschuldigend zu
dem gelben Staub vor ihren Füßen. »Aber mir geht die Geduld
aus. Und ehe ich Ares sehe, hat ihn Xena zehnmal gespürt.«
»Gabrielle?«
Die Bardin fuhr herum. »Xena?«
»Wer sonst?«
»Das haben schon so manche behauptet«, Gabrielle betrachtete
sie skeptisch. »Können wir uns einen Moment setzen?«
»Natürlich. Bist du müde?«
»Ein bißchen. Falls du es noch nicht gemerkt hast, ich bin mitten
in einer Prüfung, und sie scheint kein Ende zu nehmen.«
»Was für eine Prüfung? Was ist los?«
»Isis will wissen, ob wir Seelengefährtinnen sind.«
»Oh.« Xena schwieg einen Moment und kaute nachdenklich auf
dem Grashalm in ihrer Hand. »Woran will sie das erkennen?«
»Ich weiß nicht.« Gabrielle schüttelte den Kopf. »Wann hast du
es zum ersten Mal erkannt?«
»Ich weiß nicht, irgendwann wußte ich es.«
»Na, prima. Das hilft ungemein.«
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»Na ja, wie soll jemand von außen erkennen, was innen ist? Ich
glaube nicht, daß wir anders wirken als andere Menschen.«
»Es gibt Anhaltspunkte, meinst du nicht?«
»Ja, die gibt es. Zum Beispiel die, daß wir uns immer gefunden
haben, egal in welcher Zeit, egal in welchem Körper, egal, in welcher Realität.«
»Genau. Zum Beispiel, damals als Callisto uns verfolgt hat und
wir uns in diesen seltsamen Heldenkörpern der Zukunft wiedergefunden haben.«
Xena sah sie erstaunt an. »Callisto? Wie kommst du auf Callisto?«
»Oder war es Alti? Wie auch immer. Da wußte ich es jedenfalls.
Oder weißt du noch damals, als Lyceus auf einmal nicht tot war
und ihr zusammen Cyrenes Taverne betrieben habt? Und ich dann
eines Tages als Bäuerin in dein Dorf geschneit bin, so als wäre es
Bestimmung.«
»Als Bäuerin?« Xena tippte mit dem Finger an Gabrielles Stirn.
»Ich glaube, es tut dir nicht gut, ohne mich durch die Gegend zu
ziehen, du bringst alles durcheinander. Ich wünschte, du wärst eine Bäuerin gewesen und nicht Mezentius’ Sklavin.«
»Ich bin nur müde«, Gabrielle schob Xenas Hand weg. »Aber
weißt du noch, wie Caesar uns trennen wollte und uns in diese
gottverdammte Alternativwelt geschickt hat?«
»Natürlich. Gleich als ich dich zum ersten Mal sah, damals, als
du auf die Bühne kamst, da wußte ich, daß uns etwas verbindet,
das stärker ist als alles auf der Welt.« Xena lächelte und legte den
Arm um Gabrielle. Doch die entzog sich ihr und erhob sich.
Gabrielle wandte Xena den Rücken zu. Einen kurzen Moment
stand sie regungslos da, dann schloß sie die Augen und zog mit einer bedächtigen Bewegung ihre Sais aus den Stiefeln. Und dann,
schneller als das Auge folgen konnte, wandte sie die Spitzen der
Waffen gegen ihre eigene Brust.
Doch der erwartete Schmerz blieb aus. Als Gabrielle die Augen
wieder öffnete, sah sie in Xenas besorgtes Gesicht. »Ich weiß, es
ist schwer für dich. Aber genieße die Zeit auf der Erde, die dir
noch bleibt. Du hast keine Ahnung, was du dir nimmst.« Xena
schob die Sais zurück in Gabrielles Stiefel.
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»Isis!« Gabrielle schrie so laut, daß Xena einen Schritt zurückwich. »Dies hier ist Xena. Du hast mein Leben, wenn sie es nicht
ist!!!«
Die Angerufene ließ nicht lange auf sich warten. Ein lautes Grollen tönte über die Landschaft und wenige Augenblicke später stand
die schöne Göttin direkt vor den beiden Freundinnen. In Isis’ Gesicht spiegelte sich Erstaunen.
»Ihr seid die ersten Menschenkinder, die hierher gekommen sind
und wirklich Seelengefährtinnen zu sein scheinen.«
»Wieso scheinen?« frage Gabrielle unsicher. Was wollte die
Göttin noch?
Isis wiegte den Kopf hin und her. »Wir müssen leider ganz sicher gehen. Du mußt dich noch einer letzten Prüfung unterziehen,
Gabrielle.« Die Göttin machte eine elegante Handbewegung, die
sofort einen dichten Nebel über die Straßen legte.
Als sich der Rauch wieder verzogen hatte, war die Göttin verschwunden und Gabrielle stand nicht mehr auf einer Straße, sondern mitten in einer Gefängniszelle. Zehn Frauen, die alle aussahen wie Xena, standen an die Wand gekettet, Hände und Füße in
eisernen Fesseln, den Mund geknebelt. Isis stand, freundlich lächelnd, direkt neben Gabrielle.
»Mein liebes Kind«, sagte sie sanft. »Du siehst hier zehn Frauen
vor dir und jede könnte Xena sein. Aber nur eine ist es. Kein Wort
darfst du sprechen, keine Sais zücken und keine Chakrams dürfen
geworfen werden. Und außerdem«, sie zog ein schwarzes Stück
Stoff aus der Luft. »Außerdem wirst du nichts sehen können.« Sie
legte das Tuch über Gabrielles Augen. »Ich werde dir etwas verraten, Menschenkind. Diesen Test, haben nicht einmal Osiris und
ich bestanden. Und wahrlich, wir sind Seelengefährten. Es ist eigentlich schade, denn du hast viel Mut bewiesen. Aber du verstehst hoffentlich, daß wir ganz sicher gehen müssen. Immerhin
seid ihr nicht einmal Ägypterinnen.« Ein leises Rauschen verriet
Gabrielle, daß sie nun allein war mit all den Xenas.
»Ich soll mich dem stellen, was ich am meisten fürchte?« rief
Gabrielle der Göttin hinterher. Sie erhielt keine Antwort mehr,
aber die erwartete sie auch nicht. Wenn nur Xena ihre Frage gehört hatte. Gabrielle zog ihren Umhang aus und verharrte einen
Moment im Raum, den Rücken zu den Gefangenen gewandt.
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Dann drehte sie sich um zu der Wand, an der die Doppelgängerinnen angekettet waren.
Langsam, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, schritt
sie an der Wand entlang und wieder zurück. Insgesamt ging Gabrielle dreimal hin und her, erst dann geschah endlich, worauf sie
gehofft hatte. Auf halbem Wege begann ihr Rücken zu brennen
wie Feuer und ein grelles Leuchten erfüllte den Raum. Die scharfen Farben des Drachens auf ihrer Haut waren so grell, daß das
Licht selbst durch ihre schwarze Augenbinde drang.
Gegen den beißenden Schmerz ankämpfend trat Gabrielle einen
Schritt vor und berührte den angeketteten Körper vor sich. »Isis!
Dies hier ist Xena!« Fest umklammerte sie die kalte Hand vor sich.
Sie stieg auf die Zehenspitzen, entfernte tastend den Knebel und
küßte die Stirn der Gefangenen. »Was täten wir ohne deine dunkle
Seite, Xena?«
»Wahrscheinlich ein Haus bauen und Hühner züchten«, kam die
mürrische Antwort.
Der Schmerz auf ihrem Rücken brachte Gabrielle an den Rand
der Ohnmacht. Ihre Beine versagten und sie fiel zu Boden. Dabei
löste sich ihre Augenbinde und gab den Blick frei auf die Umgebung. Alle Xenas waren verschwunden. Isis lehnte an der Mauer,
wo zuvor die Ketten gehangen hatten, und lächelte sie verzückt an.
»Du glaubst gar nicht, was für eine Wohltat es ist, andere Seelengefährtinnen kennenzulernen.« Sie reichte Gabrielle die Hand.
»Leider ist dein Weg hier noch nicht zu Ende.«
»Was denn noch?«
»Ich kann deine Freundin zurückbringen, aber ich kann nicht gegen den Beschluß der japanischen Götter handeln. Xena hat sich in
Japan für 40.000 Seelen geopfert und wenn sie jetzt zu dir zurückkehrt, werden die Seelen wieder in der Verdammnis sein.«
»Das wird sie nicht zulassen«, stöhnte Gabrielle. »Eher kommt
sie nicht zurück.« War alles umsonst? Es mußte einen Weg geben!
»Was geschieht jetzt?«
Isis neigte den Kopf zur Seite und sah sie nachdenklich an. »Der
Enma wird das zu entscheiden haben.«
»Wer oder was ist Enma?« fragte Gabrielle verwirrt.
»Der Enma ist der Gerichtshof der toten Seelen in Japan. Er
wird ihre schlechten mit ihren guten Taten vergleichen. Freue dich
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aber nicht zu früh. Er ist ein strenger Richter. Wehe dem, der gerichtet wird.«
Gabrielle sah verzweifelt zu Boden. Sie wußte, daß Xena eine
gute Seele hatte. Aber würde das der Enma auch so sehen?
»Kann ich für sie sprechen bei der Gerichtsverhandlung?«
»Du bist keine Japanerin, Gabrielle.«
»Xena ist es auch nicht.«
»Es ist kompliziert«, seufzte Isis. »Es geht nicht, aber Akemi
könnte für sie sprechen. Und ich könnte ein Wörtchen mit Amaterasu wechseln.«
»Wer ist das nun wieder?« Gabrielle konnte es nicht fassen, daß
alle möglichen Götter meinten, bei Xenas Schicksal mitreden zu
müssen.
»Amaterasu ist eine Jugendfreundin von mir. Wie ich ist sie eine
Sonnengöttin, daher kennen wir uns. Amaterasu ist machtlos,
wenn eine Seele den falschen Weg eingeschlagen hat, aber da Xena
bereit war, sich für 40.000 Seelen zu opfern, muß der Enma Amaterasu anhören.«
»Was passiert, wenn der Enma meint, ihre bösen Taten überwiegen?«
»Gegen das, was Xena dann erwarten wird, ist euer Tartarus ein
gemütlicher Ort.«
Gabrielle rang nach Luft. "Und was passiert, wenn er befindet,
daß ihr Leben gut war?«
»Dann wird sie vermutlich drei Möglichkeiten haben: Entweder
er erlaubt ihr, hier zu bleiben, schließlich sind die Elysischen Felder ihre Heimat, oder sie kann ins Gokuraku gehen, das japanische
Paradies. Letztlich ist das nicht so wichtig, weil man sich in den
verschiedenen Paradiesen gegenseitig besuchen kann, sonst hättest
du Akemi vorhin nicht gesehen. Die zweite Möglichkeit ist, daß
Xena wiedergeboren werden kann. Und die letzte Möglichkeit ist,
daß der Enma ihr erlaubt, in ihr früheres Leben zurückkehren und
die vierzigtausend Seelen bleiben trotzdem erlöst. Die Rückkehr
aber kann nicht der Enma bewirken. Doch ich bin ja auch noch
da.« Isis lächelte.
»Und ich kann wirklich nichts für sie tun?« Gabrielle umklammerte Isis' Handgelenk. Sie war froh, daß Götter keinen Schmerz
kannten.
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»Du hast hier wirklich genug getan. Ich wünschte, meine ägyptischen Landsleute wären so tapfer und so voller Liebe wie ihr beide
es seid. Laß mich nur machen. Ich rede mit Amaterasu und sorge
dafür, daß Akemi bei der Verhandlung angehört wird.«
Mit diesen Worten entschwand die Göttin und ließ eine benommene Gabrielle zurück. Als der Schmerz in ihrem Rücken abzuklingen begann, formte sie ihre Hände zum Gebet. Sie wußte
nicht, zu wem sie beten konnte, also betete sie zu allen Gottheiten
der Welt, die sie hören konnten. Sie betete und betete, bis ihre
Augenlider schwer wurden.
Als sie wieder erwachte, befand sie sich wieder in der Halle mit
dem Altar, auf den sie ihre Gaben gelegt hatten. Hinter dem Altar
standen in würdiger Haltung Isis und Osiris.
Gabrielle verbeugte sich vor Osiris. Die Götter schätzen Höflichkeit, das schien überall auf der Welt gleich zu sein.
»Du hast sicher inzwischen Hunger, Menschenkind.« Isis nahm
einen Apfel vom Gabentisch und warf ihn Gabrielle zu.
Gabrielle sah irritiert auf die Frucht in ihrer Hand. Wie konnte
Isis in so einer Situation an Essen denken? Götter waren ein seltsames Volk. »Gibt es schon ein Ergebnis?«
»Ja.« Isis nahm jetzt ein paar Trauben vom Gabentisch und
steckte sie sich in den Mund. »Wir konnten den Enma überzeugen, daß Xenas gute Taten überwiegen. Der Tod der japanischen
Seelen bleibt gesühnt, egal, wie Xena sich jetzt entscheiden wird.«
»Habt Dank!«, rief Gabrielle aus. Ihre Erleichterung war so
groß, daß sie den beiden Göttern beinahe um den Hals gefallen
wäre. »Und jetzt? Wird sie zurückkommen?«
»Erstaunlich«, drang Osiris tiefer Baß durch die Gemäuer. Er
beobachtete Gabrielle mit unverhohlener Neugierde. »Wahrlich,
diese beiden sind seelenverwandt . . .«
». . . und sollen nicht getrennt sein«, ergänzte Isis. »Gabrielle,
wie du selbst gesagt hast, bist du hier fremd und wir sind eigentlich
nicht für dich zuständig. Aber du hast gezeigt, daß du mutig und
tapfer bist, tugendhaft und verschwiegen. Du hast gezeigt, daß dir
das Wohl anderer wichtiger ist als dein eigenes. Deine Liebe
strahlt heller als jede Flamme, und es ist der Wille der Götter, daß
du und deine Gefährtin zusammen sein sollt. Der Tod soll nicht
zwischen euch stehen.«
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Towanda
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Osiris hob die Hand. »In diesen heil’gen Hallen kennt man die
Rache nicht. Und ist ein Mensch gefallen, führt Liebe ihn zur
Pflicht. Dann wandelt er an Freundes Hand, vergnügt und froh ins
bess’re Land.« Er führte Gabrielle hinter den Altar, wo ein kleiner
Brunnen befand. An seinem Fuße stand Xenas Urne. Der Priester
hatte sein Versprechen gehalten und gut auf sie acht gegeben.
»Nun nimm die Urne deiner Freundin. Du wirst wissen, was zu
tun ist.«
»Warte!« Gabrielle faßt den Arm des Gottes. »So einfach ist das
nicht. Ich will nicht, daß sie nur aus Mitleid zu mir zurückkommt.
Ihr geht es gut hier, ich will mir sicher sein, daß . . .«
»Das wird sich alles finden, Menschenkind.« Osiris tätschelte
Gabrielles Hand. irgend etwas an der Sterblichen wärmte sein altes
Götterherz. »Xena hat die Chance zu wählen.«
Gabrielle nickte erleichtert. Ja, sie war bereit.
So leise wie sie gekommen waren, verschwanden die beiden
Götter und Gabrielle blieb allein zurück. Sie kniete sich vor die
Urne und zog sie an ihre Brust. Jetzt würde endlich alles gut werden. Hoffentlich.
»Xena . . .«
Gabrielles Stimme zitterte so, daß sie mehrfach ansetzen mußte.
»Xena, höre mich an. Ich möchte, daß du weißt, daß die Entscheidung bei dir liegt. Ich habe dich in Japan gehen lassen und ich
werde dich noch einmal gehen lassen. Ich weiß, daß meine Zeit
noch nicht gekommen ist, ich weiß, daß es noch viel zu tun gibt im
Namen des Guten. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde unseren Weg weitergehen und ich verlange nicht von dir, daß du dich
mir anschließt. Aber wenn es du es wirklich möchtest, dann . . .
dann . . . bitte . . . oh, bitte komm zurück zu mir.« Die letzten
Worte waren nur ein Flüstern, die im stetigen Plätschern des
Brunnens untergingen.
Mit klammen Fingern hob Gabrielle die Urne über den Brunnen
und nahm den Deckel ab. Sie kippte das Gefäß leicht zur Seite, so
daß die herausquellende Asche direkt in das Wasser des Brunnens
fiel. Der graue Staub vermischte sich mit dem klaren Wasser des
Brunnens und verdunkelte die Oberfläche. Bald war der gesamte
Inhalt der Urne im Wasser aufgegangen.
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Ihre Hände zitterten als sie den Deckel auf die nun leere Urne
klappte. Als sie sich umdrehte, lag Xena auf dem Altar, wo sich
vorher noch die Gaben für die Götter befunden hatten.
Gabrielle schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Schluchzend lehnte sie sich über den schlafenden Körper. All die Anspannung brach aus ihr heraus und sie konnte nicht
mehr aufhören zu weinen. Die Arme um Xenas Oberkörper geschlungen, barg sie ihr Gesicht in den nun warmen, pochenden
Hals der Geliebten.
Da endlich regte sich der Körper unter ihr. Gabrielle wischte
sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte, eine gefaßtere
Miene aufzusetzen. Der Blick, der ihr begegnete, war eine Mischung aus zärtlicher Besorgnis und Amüsiertheit. »Wie konntest
du annehmen, es gäbe einen besseren Ort für mich als an deiner
Seite?«
Gabrielle lachte durch den Tränenschleier und mußte den Kopf
über sich selbst schütteln. Jetzt schien alles wieder so klar. Wie
vor einigen Tagen, nachdem sie mit Aphrodite und Eve gesprochen hatte. Natürlich gehörten sie zusammen. Überall.
Xenas Daumen streichelten zärtlich ihre nassen Wangen und
Gabrielle ließ es geschehen. Mit geschlossenen Augen spürte sie
zarte Fingerspitzen über ihr Gesicht fahren, ihr verklebtes Haar
wurde sanft aus der Stirn gewischt. Niemals wieder wollte sie etwas anderes spüren als diese Hände.
»Ich wußte, daß du kommen würdest.« Xenas Stimme zitterte
ein wenig. »Früher oder später würdest du kommen, das wußte
ich. Im Reich der Toten hatte ich keine Möglichkeit, zu dir zurückzukehren, ich war darauf angewiesen, daß du es selbst versuchen würdest. Aber ich hatte Angst, daß du zu spät kommen würdest. Du schienst so gelähmt, so verwirrt und verzweifelt. Ich
wußte nicht, ob du rechtzeitig aufbegehren würdest gegen unser
Schicksal. Mehr als einmal hat Michael mir zu verstehen gegeben,
daß ich endlich zum Enma gehen müßte, um dort gerichtet zu
werden. Viel länger hätte ich es nicht aufschieben können.«
Gabrielle drehte eine schwarze Locke um ihren Zeigefinger. »Ich
hatte Hilfe.«
»Ja, ich weiß. Eve und Aphrodite.«
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Gabrielle errötete unter Xenas amüsierten Blick. Sie boxte Xena
unsanft in die Seite. »Das hast du dir schön ausgedacht. Amüsierst
dich hier mit deinen Freunden im Totenreich, während ich mit
deiner Tochter unser Sexualleben diskutieren muß.«
Xena beugte sich lächelnd über sie und drückte ihr einen Kuß auf
die Lippen. »Ja, ich weiß. Apropos Se. . .«
»Ähem.« Ein tiefes Räuspern ließ die beiden herumfahren. Isis
und Osiris blickten sichtlich pikiert auf die beiden Sterblichen auf
ihrem Altar. »Dies ist ein Tempel«, sagte Osiris streng. »Kein
Freudenhaus.«
»Oh, selbstverständlich.« Xena rappelte sich vom Altar hoch.
»Darf ich mich vorstellen? Xena.« Sie gab den beiden Göttern kräftig die Hand. »Ich danke euch beiden für alles, was ihr für mich
und meine Freundin getan habt.«
»Sie ist mutig, deine Freundin.« Osiris blickte anerkennend zu
Gabrielle. »Mut und Liebe werden hier belohnt.«
»Ja, ich weiß.« Xenas Blick folgte dem des Gottes. »Aber sag es
ihr nicht zu oft, sie hat einen Hang zum Größenwahn.«
»Im Gegensatz zu Frau Ich-muss-die-Welt-retten-weil-ich-sievorher-vollkommen-zerstört-habe«, murmelte Gabrielle. »Isis«,
wandte sie sich an die Göttin. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken
soll. Du hast mir mein Leben zurückgegeben.«
»Oh, ich hätte da sogar eine Idee«, schmunzelte die Göttin.
»Wirklich? Ich tue alles, was in meiner Macht steht.«
Isis umrundete Gabrielle mit ausladenden Schritten. »Deinen
Drachentrick fand ich sehr beeindruckend. Ich habe so etwas noch
nie gesehen. Gib mir den Drachen und wir sind quitt.«
Xenas Blick wanderte besorgt zu Gabrielle, aber die machte keinerlei Anstalten eines Protestes. Im Gegenteil, sie schien froh zu
sein, daß Tier auf ihrem Rücken loszuwerden.
»Er ist dein«, sagte Gabrielle, bemüht, das Geschenk als ein Opfer erscheinen zu lassen. Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen,
da legte Isis schon die Hand auf ihren Rücken und im nächsten Augenblick prangte ein bunter Drachen auf dem Rücken der Göttin.
»Sehr schick«, lobte Osiris in seinem tiefen Baß. »Und jetzt raus
aus unserem Tempel und findet euer Glück.«
»Schon unterwegs.« Gabrielle schloß den überraschten Gott in
eine herzliche Umarmung und hakte ihre Gefährtin unter. Xena
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brummelte etwas Unverständliches, ließ sich aber bereitwillig zum
Tempelausgang führen. Vor der Tür drehte sich Gabrielle noch
einmal um. »Wir werden nicht vergessen, was ihr für uns getan
habt. Wann immer wir uns noch mal revanchieren können . . .«
»Oh, so wie ich das sehe, ist das schon in zwei Tagen der Fall«,
rief Isis und verschwand mit ihrem Gemahl in einer hellen Rauchschwade.
»Was meint sie damit?« Xena sah verständnislos zu Gabrielle.
»Sag’ ich dir, wenn wir draußen sind. « Mit dieser Bemerkung
bugsierte die Bardin ihre Freundin aus dem Tempel und zerrte sie
an den drei verdutzten Priestern vorbei. Xena fluchte in Gabrielles
Kopfhaar. »Was haben sie gegen uns? Erst erwecken sie einen zum
Leben und dann können sie einen nicht schnell genug wieder loswerden.«
»Ich glaube, sie wollten nur verhindern, daß du auf ihrem Altar
über mich herfällst.«
»Du weißt, daß ich das nicht getan hätte.«
»Ja, ich weiß das, aber erkläre mal zwei göttlichen Seelengefährten, daß wir noch nie . . .«
»Schon gut. Also, jetzt sag schon: Was meinte Isis mit der Revanche?«
6. Kapitel
A
lso hast du mich nur zurückgeholt, damit ich dir helfe, den
Sklavenaufstand in den Griff zu kriegen?«
»Natürlich. Warum sonst?« Gabrielle vergrub ihr Gesicht tiefer
in Xenas Halsbeuge. »Die letzten Wochen waren sehr befreiend,
weißt du. Niemand, der einen frühmorgens aus dem Schlaf reißt,
weil der Tag sonst zu kurz wird. Keiner, der einem die Bratpfanne
ruiniert. Niemand, der einem Aale unter die Bettdecke steckt . . .«
»Gabrielle, bemüh dich nicht. Wir beide wissen, daß ich deine
Gedanken hören konnte.«
Statt einer Antwort zog Gabrielle ihre Decke hoch bis über beide Schultern und tauchte ihre Nase zurück in das Haar ihrer Partnerin. Xena schloß die Augen, als sie den warmen Atem der
Freundin so dicht an ihrem Hals vernahm. Sie drehte ihr Gesicht
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weg, überwältigt von Gefühlen, die sich jetzt, da es Nacht war und
sie zur Ruhe kam, ungehindert ihren Weg bahnten. Als wäre das
Leben an sich nicht schon überwältigend genug, fühlte sie sich zum
Bersten gefüllt mit lange vermißten Empfindungen. Frieden. Geborgenheit. Glück. Und über all dem, größer als alles andere, lag
ein Gefühl der unendlichen, unfaßbaren Liebe für ihre Partnerin
und für das Leben. Zwei Dinge, die für sie unauflösbar miteinander verknüpft waren. Die Liebe zu Gabrielle war ihr vertrauter als
alles andere, aber die Lust am Lebendigsein, das war neu.
Ein Finger strich sanft über ihre Wangen und wischte die Nässe
aus den Augenwinkeln. Überrascht sah Xena hoch. Sie hatte nicht
damit gerechnet, daß ihre emotionale Verfassung trotz der Dunkelheit für die Freundin so offensichtlich sein würde. Gabrielles
Gesicht war direkt über ihr. Ihre Augen schienen müde, aber sie
leuchteten mit einer Intensität, die nur Xena allein vorbehalten
war.
Gabrielle beugte sich zu ihr herab und küßte ihre Stirn. »Wie
soll ich meine Seele halten, daß sie nicht an deine rührt? Wie soll
ich sie hinheben über dich zu anderen Dingen?«
»Was?«
»Das kam mir eben in den Sinn. Ich muß es gleich aufschreiben,
bevor ich es wieder vergesse.«
»Aufschreiben? Heißt das . . .«
»Ja.« Gabrielle seufzte tief. »Das heißt es.« Sie legte ihren Kopf
auf Xenas Brustkorb. »Nicht nur du bist zurück, meine Muse ist es
auch.«
»Wie geht das Gedicht weiter?« Xena strich ein paar Strähnen
aus Gabrielles Stirn.
»Alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen
wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.«
Xenas leises Lachen ließ Gabrielles Ohr über ihrem Brustkorb
vibrieren.
Die Bardin stützte sich auf den Ellenbogen. »Zu schmalzig für
deine Kriegerinnenohren?«
»Warum schreibst du nicht ›Nimmt uns zusammen wie zwei Linien eines Mendhis’?«
»Weil das keine Poesie ist, Xena. Poesie ist wie Musik, sie muß
klingen. Also müssen es zwei Saiten eines Instruments sein. Und
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außerdem . . . außerdem klingt ein Instrument nicht mehr, wenn
eine Saite fehlt.«
Xena strich mit dem Handrücken über Gabrielles Wange. »Es
tut mir so leid«, sagte sie leise.
»Aber du würdest es wieder tun?« kam die bange Frage.
»Gabrielle . . .«
»Würdest du?«
»Das ist nicht . . .«
»Beantworte meine Frage.«
Xena wich ihrem Blick aus. »Ja, vermutlich«, sagte sie. »Es ist
nicht so einfach wie du denkst . . .«
»Oh, ich glaube, es ist sehr einfach. Dein ganzes Gerede, ich sei
dir wichtiger als der Kampf für das Gute, unsere Beziehung würde
dir mehr bedeuten als alles andere auf der Welt - das waren nur
Worte.« Gabrielle rollte ihren Körper von der Kriegerprinzessin
und setzte sich neben ihre Bettrolle. Ihre Stimme bebte. »Wenn
du wüßtest, was ich hier durchgemacht habe, wenn du wüßtest,
wie es sich anfühlt, wenn du nicht da bist, dann würdest du nie
und nimmer auch nur erwägen, so noch einmal zu handeln!«
»Du weißt sehr gut, daß ich das weiß. Das ist es doch gar
nicht . . .«
»Wenn es sich doch nur auch für dich so falsch anfühlen würde
wie für mich.« Gabrielle sprang auf. Mit einer trotzigen Bewegung
fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn und trat an das andere
Ende des Lagerfeuers. Sie verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und starrte in die zuckenden Flammen.
»Jetzt warte doch mal.« Xena setzte sich auf.
Aber Gabrielle hob abwehrend die Hände. »Das ist so ironisch,
daß es sich glatt die Götter ausgedacht haben könnten. Da gebe ich
fast mein Leben, um dich zurückzuholen, finde Gehör bei Göttern,
die mich nie zuvor gesehen haben, einfach nur, weil sie fühlen, daß
es falsch ist, uns zu trennen - und du sagst, daß du es wieder tun
würdest.«
»Gabrielle . . .«
»Warum kannst du mich nicht so lieben wie ich dich liebe?« Die
letzten Worte waren mehr hervorgepreßt als gesprochen. Noch
ehe Xena etwas erwidern konnte, drehte Gabrielle sich um und
schritt in die Dunkelheit.
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Xena schüttelte den Kopf. Warum ließ Gabrielle ihr keine
Chance, alles zu erklären? Gabrielle war aufgebracht und verletzt,
das war ihr gutes Recht. Es war einfach alles zu viel, bei ihnen beiden lagen die Nerven blank. Tief in ihrem Herzen verstand Gabrielle, warum Xena so handeln mußte, da war die Kriegerprinzessin sich sicher. Sie war nur jetzt zu verletzt, um das zuzugeben.
Xena kannte die Gedanken ihrer Partnerin in- und auswendig, kein
bitterer Satz war ihr in den letzten Wochen erspart geblieben.
Doch in all der Zeit hatte sie selbst nie die Gelegenheit gehabt, sich
Gabrielle zu erklären. Von den überstürzten Worten in Japan mal
abgesehen.
Sollte sie Gabrielle folgen? Die Freundin hatte es mehr als klar
gemacht, daß sie Abstand wollte. Aber wenn sie es jetzt nicht klärte, wann dann? Die nächsten Tage würden sie keine Sekunde zur
Ruhe kommen. Sollte das dann so aussehen, daß sie die ganz Zeit
lang stumm nebeneinander her arbeiteten? Die Vorstellung war
nicht zu ertragen. Nicht, nach alldem, was hinter ihnen lag.
Xena erhob sich von ihrem Nachtlager und nahm die Schlafdecke
an sich. Sie griff nach ihrem Schwert und entfernte sich mit schnellen Schritten vom Feuer. Im Dunkeln tastend, folgte sie Gabrielles
leisem Schluchzen, das aus der Ferne zu ihr drang. Es dauerte nicht
lange, da fand sie die Gefährtin auf einem Stein sitzend. Das Mondlicht ließ ihr Gesicht unnatürlich fahl erscheinen. Ihre Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, ihre Arme hatte sie um die Knie geschlungen. Den Blick dem Mond zugewandt flüsterte sie leise vor
sich hin. Xena konnte von ihrem Standort aus nicht verstehen, was
sie sagte, aber der Schmerz in Gabrielles Stimme ließ ihre Brust
zusammenkrampfen. Sie näherte sich geräuschlos, unschlüssig, ob
sie aus der Dunkelheit heraustreten sollte. Schließlich faßte sie sich
ein Herz.
»Gabrielle?«
Die Freundin fuhr zusammen. Sofort stand sie auf und ging einen
Schritt zurück. »Laß mich allein.«
»Bitte, Gabrielle. Hör mir zu.«
»Siehst du nicht, daß ich allein sein will?«
»Ich kann das nicht.«
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Gabrielle verzog das Gesicht. »Warum geht es immer nur danach, wonach dir gerade ist? Warum kann es nicht mal um mich
gehen und was ich will? Und ich will gerade meine Ruhe.«
»Okay. Gut.« Xena nickte, ging aber trotzdem einige Schritte
auf Gabrielle zu. Schweigend setzte sie sich auf den Stein. Sie rückte ganz nach links, so daß Platz für eine zweite Person frei wurde.
Seufzend folge ihre Freundin der Einladung und nahm neben ihr
Platz.
Xena lagen tausend Worte auf der Zunge. So vieles hatte sich in
ihr angesammelt, während sie im Jenseits war und den verzweifelten Gedanken ihrer Seelengefährtin lauschen mußte. Doch in diesem Moment konnte sie nicht diejenige sein, die den Anfang machte. Es lag allein in Gabrielles Hand.
Aber die störrische Bardin dachte gar nicht daran, das Schweigen
zu brechen. Sie hob statt dessen einen Stock vom Boden auf und
malte damit rechteckige Figuren in den Sand. Xena beobachtete
stumm wie die hellen Haare auf Gabrielles Armen sich aufstellten.
Natürlich würde sie jetzt nicht zugeben, daß ihr kalt war. Eher
würde der Tartarus gefrieren.
Auf die Gefahr hin, erneut abgewiesen zu werden, legte sie behutsam ihre Decke um Gabrielles Schultern. Die Freundin zuckte
zusammen bei der Berührung, wehrte sich aber nicht. Ihre verschlossene Gestalt erschien alles andere als einladend und Xena
fragte sich, wo sie beginnen sollte.
»Gabrielle, wie du dir denken kannst, hatte ich jede Menge Zeit,
mich mit deiner Sicht der Dinge auseinanderzusetzen. Ob ich
wollte oder nicht, ich war gezwungen, deine Gedanken zu hören,
unser Band ist zu eng, als daß ich mich hätte distanzieren können.
Bei allen anderen gelang es, nur nicht bei dir.«
»Du sagst das, als wäre es ein Fluch.« Gabrielles Stimme klang
gepreßt. »Wolltest du Abstand von mir?«
»Nein, natürlich nicht.« Xena beeilte sich, ihre mißverständliche
Formulierung wieder gut zu machen. »Nichts auf der Welt hat mir
mehr gegeben, als deine Stimme zu hören. Aber dir nicht antworten zu können, dich so leiden zu sehen und nichts dagegen tun zu
können, das war schwer.«
»Was ist mit Akemi?«
»Was soll mit ihr sein?«
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»War es schön mit ihr in der Unterwelt?«
»Was?«
»War es?«
»Ja, es war schön, sie wiederzusehen.«
»Freut mich.« Gabrielle war wieder in ihre verschlossene Haltung zurückgefallen und malte Kreise in den Sand.
Xena schwieg. Gabrielles Eifersucht war wirklich zu albern.
Wenn sie jetzt darauf antwortete, sagte sie garantiert Dinge, die
sie später bereuen würde. Dabei war das gar nicht Gabrielles Art.
Es war Jahre her, daß Xena sie so erlebt hatte. Damals bei dem
Desaster in China. Aber seitdem hatte sich ihre Beziehung mehr
und mehr gefestigt und sie wußten, was sie einander bedeuteten.
Xenas Verhalten in Japan mußte Gabrielle bis in die tiefsten Gründe verunsichert haben, wenn sie plötzlich alles in Frage stellte.
»Warum hast du mir nie von ihr erzählt, Xena?«
Die Kriegerprinzessin holte tief Luft. »Jedes Mal, wenn ich ihren
Namen auch nur dachte, habe ich gesehen, wie ein Schwert, von
meinem Arm geführt, ihr den Kopf abschlägt. Jedes Mal, wenn
jemand das Land der aufgehenden Sonne erwähnte, hatte ich nächtelang Alpträume. Ich konnte nicht, Gabrielle. Verstehst du? Es
hatte nichts mit dir zu tun. Und nichts damit, daß ich sie geliebt
habe.«
»Und wie ist es jetzt?«
»Jetzt ist es besser, weil ich sie gesehen habe, mit ihr gesprochen
habe. Ich weiß, daß es ihr gut geht.«
»Ich meinte, wie ist es jetzt? Liebst du sie noch?«
Xena zögerte. »Ja, ich liebe sie noch. Aber auf eine ganz andere
Weise als früher. Sie liegt mir am Herzen. Wie viele andere Menschen auch.«
»Das ist gut.« Gabrielle nickte. »vermißt du sie jetzt?«
»Ja, ich vermisse sie. Ich vermisse alle, die ich wiedersehen durfte. Aber ich werde nie jemanden so vermissen wie dich. Denn du
bist meine Luft zum Atmen, du bist mein Weg.«
Bei den letzten Worten huschte ein scheues Lächeln über Gabrielles Gesicht. Es ermutigte Xena, die Hand an ihrer Seite zu
nehmen und in ihren Schoß zu legen. Wenn sie Gabrielle nur
klarmachen könnte, daß sich nichts geändert hatte, daß sich gar
nichts ändern konnte, selbst wenn eine von ihnen es wollte. Ihr
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Band würde Bestand haben, Leben für Leben, Zeit für Zeit, in
welcher Welt auch immer.
Gabrielle betrachtete stumm ihre verschränkten Hände. »Und
warum würdest du es wieder tun?«, fragte sie schließlich.
»Es tut mir so leid, was ich dir angetan habe.«
»Warum, Xena?«
»Ich . . .«
»Es tut mir leid, daß ich dich vorhin so angefahren habe. Es geht
mir nicht darum, daß du dich für die Seelen geopfert hast, ich verstehe, warum du das getan hast. Es geht mir darum, wie du es getan hast. Du hast mich behandelt wie ein Kind. Du hast mir nicht
gesagt, daß du vorhattest, dich töten zu lassen, und du hast mir
keine Wahl gelassen, als du dich erneut für den Tod entschieden
hast. Du hast mich vor vollendete Tatsachen gestellt, so als wäre
ich an deinem Leben völlig unbeteiligt. Warum tust du so etwas?«
»Das weißt du doch. Ich wollte dich schützen, du hättest meinen
Plan niemals zugelassen. Du hättest diesen Tag nicht überlebt.«
»Und du meinst, am Leben zu bleiben ohne dich wäre für mich
die bessere Wahl? Warum läßt du mich das nicht entscheiden?«
Xena wich Gabrielles Blick aus. Dagegen konnte sie wenig sagen. Erst als sie vom Totenreich aus Gabrielles Gedanken hören
konnte, war ihr bewußt geworden, was sie ihr angetan hatte. »Ich
ertrage den Gedanken nicht, daß du meinetwegen stirbst«, sagte
sie leise.
»Ich weiß.« Gabrielles Stimme wurde weicher. »Aber begreifst
du, daß ein Leben ohne dich schlimmer ist als der Tod? Begreifst
du, wie furchtbar es für mich war, daß du mich nicht in deinen
Plan einbezogen hast? Meinst du nicht, daß ich ein Recht darauf
habe, als deine Partnerin?«
Xena nickte. »Es war egoistisch von mir und es tut mir leid.
Aber begreifst du, daß ich diese 40.000 Seelen nicht unerlöst lassen konnte? Ich kann nicht anders, ich würde das immer wieder
tun.«
»Ja«, seufzte Gabrielle. »Das verstehe ich. Aber ich möchte
auch, daß du verstehst, daß ich dich nicht noch einmal gehen lassen
werde. Die anderen Seelen sind mir egal.«
»Nein, das sind sie nicht.« lächelte Xena.
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»Nein, das sind sie nicht.« Gabrielle erwiderte ihr Lächeln.
»Aber du weißt, wie ich es meine.«
»Wer, wenn nicht ich.«
Gabrielle lehnte ihren Kopf an die Schulter ihrer Gefährtin. Ihr
war, als könnte sie zum ersten Mal seit Monden frei atmen.
Xena drückte ihre Hand. »Ich hätte dir gern alles erklärt, aber es
war alles so kompliziert und schwierig und ich mußte so schnell
handeln.«
Gabrielle schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, daß ich so wenig
Vertrauen in dich hatte. Ich dachte, es sei wieder nur deine verdammte fixe Idee mit der Erlösung gewesen, die dich dazu verleitet hat.«
»Fixe Idee?« Xenas Augenbraue schoß in die Höhe.
»Jawohl. Fixe Idee.« Gabrielle küßte Xenas Daumen. »Können
wir zurückgehen? Mir wird allmählich kalt.«
»Dir ist schon die ganze Zeit kalt, aber du warst zu stur, es zuzugeben.« Xena betrachtete das Gesicht vor sich. Wie hatte sie
diesen Anblick vermißt, es war ihr wertvoller als alles andere auf
der Welt. Gabrielle war so schön. Das Mondlicht ließ ihre Züge
noch weicher erscheinen.
»Weißt du, was Tod bedeutet?« Xena lehnte ihre Stirn an die
der Freundin. »Tod ist nicht die Unterwelt, ist nicht der Tartarus
oder die Elysischen Felder, ist nicht Himmel oder Hölle. Tod
ist . . .«
». . . ohne dich zu sein«, flüsterte Gabrielle.
»Ja.«
Xena beugte sich herab und ihre Lippen suchten die ihrer Seelengefährtin. Zögernd, fragend tastete sie über die weichen Erhebungen. So tief vertraut sie ihr waren, lag doch in dieser Berührung etwas Aufregendes, Unbekanntes, Neues. So verheißungsvoll, daß es Xena den Atem nahm. Einen Augenblick lang zögerte
sie, aber dann, als die Lippen sich öffneten, tauchte sie vorsichtig
ein in die so lange verbotene Frucht. Es dauerte nur Sekunden, da
brach die viel zu lange zurückgehaltene Leidenschaft an die Oberfläche. Ihre Körper fielen ineinander, getrieben von der Sehnsucht,
endlich zusammenzubringen, was füreinander bestimmt ist.
Erschöpfung, Müdigkeit, Kälte, alles war verflogen, als sie begannen, sich gegenseitig zu erforschen. Erst verhalten und zag,
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dann mutiger und drängender. Ihre Hände und Lippen tasteten
über nackte Haut und hinterließen heiße Feuerspuren. Ihre Körper
würden vollziehen, was ihre Seelen vor Urzeiten längst vollzogen
hatten.
Schließlich nahm Xena Gabrielles Hand und erhob sich. Stumm
und ohne Eile führte sie sie zurück zu ihrem Nachtlager. Xena
nahm die Decke von Gabrielles Schultern und breitete sie auf dem
Boden aus. Dann holte ein Fell aus der Satteltasche und warf es auf
die Decke. Während sie neues Holz auf das Feuer legte, schmiegte
sich Gabrielle unter das dichte Fell. Allein der Gedanke auf das,
was geschehen würde, jagte kleine Wellen durch ihren Körper.
»Ist dir noch kalt?«
»Ja«, log sie und schon Sekunden später fühlte sie Xenas warmen
Oberkörper an ihrem Rücken. Ein Arm schlang sich um ihre Hüfte, ein Oberschenkel schob sich zwischen ihre Beine, zärtliche Lippen verharrten an ihrem Hals.
»Ich brauche dich so.« Fast übertönte das leise Knacken des Feuers die zaghaft gesprochenen Worte. Aber Gabrielle hatte sie gehört. Sie drehte ihr Gesicht zu Xena und forschte in den Augen der
Freundin. »Bist du dir wirklich sicher?«
»Im Moment gibt es nichts auf dieser Welt, was sich richtiger
anfühlt.« Xenas Stimme klang brüchig, aber ihr Blick war fest und
warm.
Gabrielle lächelte zufrieden. »Ich weiß, was du meinst. Ich kenne dieses Gefühl seit Jahren.«
»Gabrielle?«
»Ja?«
Was ist, wenn ich aufhöre, dich zu sehen?«
Die Antwort auf die bange Frage war ein sanfter Kuß auf die
Stirn. »Hast du jemals aufgehört, mich zu sehen?«
»Aber was ist, wenn doch? Was ist, wenn ich dich verliere und
die dunklen Kräfte in mir hervorbrechen und . . .«
»Dann rufe ich Ares’ Namen und er wird mehr als bereit sein,
dich von mir zu loszueisen.«
»Bei den Göttern, das würdest du nicht wagen!« stöhnte Xena.
»Wenn du auch nur einmal seinen Namen rufst, wirst du bereuen,
jemals nach Sais gekommen zu sein.«
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»Desgleichen.« Gabrielles Augen funkelten herausfordernd.
Statt eines weiteren Wortes robbte Xena näher an sie heran, aber
die Freundin stemmte den Arm gegen ihre Brust und rollte sich
zur Seite. »Warte . . . ich weiß nicht, was du . . . Ich möchte dich
so gern glücklich machen, aber ich habe Angst, daß . . . Du weißt
doch, daß nur Perdicus . . .«
Xena schloß Gabrielles stammelnden Mund mit einem Kuß. »Ich
bin glücklich Gabrielle. Alles andere wird sich ergeben.« Ein weiterer Kuß. »Danke, daß du auf mich gewartet hast.« Noch ein
Kuß, drängender diesmal. »Ich weiß das zu schätzen.«
Gabrielle schmiegte sich in den großen, schlanken Körper und
schloß die Augen. Allein der so vertraute Geruch, gemischt mit
etwas Neuem, Fremdartigen, überwältigte sie. Ihr war, als wären
alle ihre Sinne empfindsamer, schärfer. Hungrig und überwältigt
zugleich. Mit geschlossenen Augen ließ sie ihre Finger über Xenas
Rücken tasten. Sie registrierten jede Unregelmäßigkeit. Jede Narbe, jede Unebenheit unter ihren Fingerspitzen war ihr vertraut. Sie
kannte Xenas Körper so gut. Aber das summende Vibrieren in ihren Fingern war neu, ebenso wie das leichte Zittern überall dort,
wo sich ihre Körper berührten.
Gabrielles Hände wanderten zu Xenas Schulterblättern und lösten vorsichtig die Ösen. Ihr Atem stockte, als sich das störende
Kleidungsstück widerstandslos von Xenas Schultern streifen ließ.
»Meine Prinzessin«, flüsterte sie.
»Meine Königin.«

Weit weg von ihnen, an einem Ort erhaben über alle Gebirge,
zürnte ein einsamer Gott. »Ich hätte ihr die Welt gegeben! Was
hat dieses Bauernmädchen, das ich nicht habe?!«
Aphrodite legte besänftigend eine Hand auf seine verspannte
Schulter. »Auch wir müssen uns dem Schicksal beugen, Bruderherz.«
Ares schüttelte unwirsch die Hand seiner Schwester ab. »Siehst
du nicht, wie uns die Schicksalsgöttinnen auslachen? Ich kann sie
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förmlich hören. Sie lieben es, uns in unsere Grenzen zu verweisen.
Sie triumphieren, wenn unsere Pläne nicht aufgehen!«
Aphrodite neigte den Kopf zur Seite und betrachtete nachdenklich die zwei verschlungenen Körper unten auf der Erde. »Wir
beide wissen, daß es noch viele andere Fische im Teich gibt. Und
wahrlich, wir beide haben so manchen Fisch gekostet. Warum
muß es ausgerechnet dieser sein?«
»Dieser Fisch ist besonders.«
»Ja, ich weiß, was du meinst«, seufzte sie und warf einen wehmütigen Blick auf die blonde Gestalt, die sich leidenschaftlich an
Xenas Körper rieb.
Im selben Moment, viele Tagesritte von den beiden Liebenden
entfernt, vermählte sich der König von Theben mit einer Frau, die
er nicht liebte, und der gefürchtete Feldherr Isokrates verlor in
Mazedonien überraschend eine Schlacht. Wütend stürmte er in
Ares’ Tempel und warf klirrend sein Schwert auf den Altar des
Gottes, der ihn unvermutet so schmählich im Stich gelassen hatte.
7. Kapitel
W
ie hast du es früher geschafft, nach solchen Nächten auf einem Pferd zu sitzen?« Gabrielle verzog schmerzhaft das Gesicht, als Lila sie über das unebene Gelände trug.
»Vielleicht solltest du doch später wieder neben Argo her laufen, ich habe nämlich Pläne für die nächsten Nächte.« Xena gab
dem braunen Hengst, den sie in Sais für sie erworben hatten, ein
paar freundschaftliche Schläge auf den Hals.
Gabrielle stöhnte über den Schalk in Xenas Augen. »Das ist nicht
lustig, ich leide Höllenqualen.«
»Wir besorgen dir eine Salbe, gleich im nächsten Dorf.«
»Dazu haben wir keine Zeit, wir sind jetzt schon viel zu spät
dran.«
»Wir besorgen dir eine Salbe und damit basta«, sagte Xena bestimmt. »Wenn du morgen nicht laufen kannst, nützt du deinem
Amon rein gar nichts.«
Sie einigten sich, daß Xena einen kurzen Umweg über das Dorf
nehmen würde, während Gabrielle ihre Route fortsetzte. Xenas
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Hengst war noch frisch und würde Gabrielle mühelos wieder einholen.
In der Tat dauerte es nur eine kurze Weile, bis Gabrielle wieder
die Hufe von Xenas Pferd hinter sich vernahm. Kurz darauf tauchte die Kriegerprinzessin neben ihr auf und hielt triumphierend eine
unangenehm riechende Paste hoch. In der anderen Hand hielt sie
einen frischen Wasserschlauch und einen Sack Feigen.
»Sag nicht, daß das die Salbe ist, von der du gesprochen hast.«
Gabrielle rümpfte die Nase.
»Sie ist es. Stinkt, aber hilft.« Xena griff in Lilas Zügel und
brachte beide Pferde zum Stehen. »Soll ich dir die Salbe auftragen?«
»Untersteh dich, dann kommen wir hier nie weg.«
Xena schob beleidigt die Unterlippe vor. Mit einer kraftvollen
Bewegung schwang sie sich von ihrem Pferd und half Gabrielle aus
dem Sattel. Sie verstaute Feigen und Wasserschlauch in den Satteltaschen, ohne Gabrielle loszulassen. »Ich kann nicht aufhören, dich
zu berühren«, flüsterte sie.
»Mein Reden.« Gabrielle griff ohne Umschweife nach der Salbe
und verschwand hinter zwei Palmen. Xena seufzte ergeben. Noch
nie waren ihr 20.000 Sklaven so egal gewesen.
Schon nach wenigen Momenten kam Gabrielle wieder hinter
den Palmen hervor, den Blick angeekelt auf ihre Finger gerichtet.
»Hoffentlich hilft’s«, brummte sie.
Ehe sie sich versah, hatte Xena die Lippen über ihren Zeige- und
Mittelfinger geschlossen und entfernte hilfsbereit die zurückgebliebene Salbe.
»Was mache ich bloß mit dir?« Gabrielle sah Xena in komischer
Verzweiflung an.
»Liebe mich.«
»Jetzt? Hier? Morgen früh kommt Chaf-Ras Feldherr nach Gizeh!«
»Aber die kleine Kuhle in deinem Schlüsselbein . . .«
». . . muß bis heute abend auf dich warten.«
Xena sah sie zerknirscht an. Mit hängenden Schultern trottete sie
zu ihrem Hengst zurück und schwang sich in den Sattel.
»Meine Kriegerprinzessin, der Tod hat dich nachlässig gemacht.«
»Nicht der Tod, Gabrielle.«
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Gabrielle ignorierte das warme Pulsieren in ihrem Unterleib und
stieg ebenfalls auf ihr Pferd. Nach wenigen Minuten verfielen sie in
einen schnellen Galopp und trafen ohne weitere Unerbrechung am
späten Nachmittag in Gizeh ein.

»Eve!«
Eve mußte sich an Amons Arm festhalten, als sie die Stimme ihrer Mutter hinter sich vernahm. Beim heiligen Eli, Gabrielle hatte
es geschafft! Eve stürmte aus Amons Hütte und lief den beiden
Ankömmlingen entgegen.
Gabrielle drückte Xenas Hand, als diese beim Anblick ihrer
Tochter leicht strauchelte. Die Finger waren schweißnaß, ihr Gesicht schneeweiß, als sich Eve in ihre Arme warf. »Eve.«
»Mutter«, stammelte Eve. Ihre Augen suchten Gabrielle, die
nun lächelnd neben den Pferden stand. »Danke, Gabrielle.«
Gabrielle nickte wortlos. Sie war es, die zu danken hatte. Eve,
dafür daß sie nicht locker gelassen hatte. Aphrodite dafür, daß sie
ihr den Weg gewiesen hatte. Isis dafür, daß sie einer Fremden ihr
Leben zurückgegeben hatte. Und Xena dafür, daß sie das Paradies
verlassen hatte, um mit ihr zusammen zu sein.
Die Arme eingehakt, Eve in der Mitte, betraten die drei Frauen
Amons Hütte. Sofort kam ihnen Amons Frau Eleni entgegen, bereit, jedem der drei Gäste den geringsten Wunsch von den Lippen
abzulesen. Ihr Unglück war, daß alle drei wunschlos glücklich waren, eine Katastrophe für eine ägyptische Gastgeberin.
Während Eleni eifrig versuchte, es ihren Gästen so gemütlich
wie möglich zu machen, versorgte Amon die Pferde und kam dann
eilig durch die Tür, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen.
»Xena?« Ungläubig berührte er den Unterarm der Kriegerin.
»Bist du ein Geist?«
»Lebendig und aus Fleisch und Blut.« Xena beschloß, sich nicht
gegen die neugierige Berührung zu wehren. Der alte Mann war ihr
auf Anhieb sympathisch.
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»Kein Wunder, daß in allen Tavernen über euch gesungen wird.
Ihr brecht alle Naturgesetze.« Amon zog ehrfürchtig seine Hand
zurück.
Es wurde nicht viel gesprochen in den nächsten Minuten. Alle
waren zu überwältigt von den letzten Ereignissen. Eleni war schon
dabei, ein kleines Mahl zu bereiten und drückte ihre Gäste auf
samtrote Kissen. Eve warf Gabrielle einen besorgten Blick zu, als
sie bemerkte, wie diese ungewöhnlich vorsichtig auf ihrer Unterlage Platz nahm. Als Gabrielle unter ihrem Blick errötete, grinste
die Botschafterin Elis über das ganze Gesicht. Xena, die die stille
Kommunikation der beiden Frauen nicht mitbekommen hatte, sah
Eve erstaunt an, erntete aber nur einen anerkennenden Klaps auf
den Rücken.
»Hey! Wofür war das?«
»Nur so.« Eves Grinsen wurde noch breiter.
Xena schüttelte den Kopf und wandte sich an Amon. »Es tut uns
leid, daß wir nicht eher kommen konnten. Wie ist die aktuelle Lage?«
Amon reichte Xena eine Schale mit Datteln und nahm dann
selbst eine Handvoll, bevor er die Schale an die übrigen Gäste weiterreichte. »Morgen Abend wird Chaf-Ra’s erster Feldherr hier
eintreffen und am nächsten Morgen wird er die Sklaven des Pharaos inspizieren.«
»Dann bleibt uns nicht viel Zeit. Wir sollten noch heute Abend
die ersten Vorkehrungen treffen.« Xena runzelte die Stirn. Sie
schob sich eine Dattel in den Mund und schloß unwillkürlich die
Augen, als der süßliche Geschmack sich auf ihrer Zunge ausbreitete. Wie köstlich war das Leben. Sie fühlte Gabrielles Blick auf sich
ruhen und wandte das Gesicht zu ihr. Sie wollte versinken in den
meergrünen Augen. Aber noch war nicht Zeit. Zunächst galt es,
zwanzigtausend Menschen zur Freiheit zu verhelfen.
Etwas unwirsch drehte sich Xena wieder zu Amon. Es ärgerte
sie, daß sie nicht in ihrer gewohnten Verfassung war. Sie kannte es
nicht anders, als jederzeit auf das Wesentliche fokussieren zu können, mühelos und unbeirrbar. Doch heute hatte sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Es war, als explodierte das Leben mitten in ihr. Der Geschmack einer Dattel konnte sie aus dem Konzept bringen und das Lächeln ihrer Partnerin vertrieb jeden Ge88
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danken aus ihrem Hirn. Verdammt noch mal, hier waren Menschen, die sich auf sie verließen!
Gabrielle spürte den Stimmungswechsel bei ihrer Partnerin und
strich ihr über den Unterarm. Es sollte eine beruhigende Geste
sein, aber der Körper der Freundin erschauerte unter der Berührung. Gabrielle zog ihre Hand zurück. »Amon, entschuldigst du
uns einen Augenblick?«
»Natürlich.« Amon nickte freundlich. »Wollt ihr euch vielleicht
erst ausruhen, bevor wir hier weitermachen? Ihr habt sicher eine
anstrengende Reise hinter euch.«
»Nein danke«, wehrte Gabrielle ab. »Wir müssen nur kurz etwas besprechen. Es wird nicht lange dauern.« Sie schob Xena aus
dem Raum. Erst als sie draußen bei den Pferden standen, ließ sie
los. Wortlos zog Xena sie an sich und preßte ihre Lippen auf Gabrielles nur allzu bereiten Mund. Beiden versagten die Knie und sie
sanken auf den staubigen Boden.
Als Gabrielle sich schließlich aus dem Kuß löste, schlug sich Xena die Hände vors Gesicht. Tränen rannen durch ihre Finger, ihr
Körper bebte unter hartem Schluchzen. Gabrielle zog sie zu sich
auf ihren schoß und wiegte sie in ihren Armen. Sie stricht durch
das schwarze Haar, verteilte zärtliche Küsse auf ihrem Gesicht und
flüsterte beruhigende Worte in ihr Ohr.
Nur langsam wurde das Schluchzen leiser, die Atmung wieder
ruhiger. »Es ist alles zu viel«, preßte Xena hervor.
»Ich weiß, meine Schöne, ich weiß.«
»Ich glaube, ich werde verrückt.«
»Nein, du fühlst nur das Leben, das ist alles.«
»Ich möchte immer nur bei dir sein, nur bei dir.« Xena schüttelte den Kopf. »Ich kann an nichts anderes mehr denken, an nichts.
Wie soll ich diesen Menschen hier helfen?«
»Wir werden noch so viel Zeit für uns haben, Xena.«
»Woher willst du das wissen? Du weißt, daß es jederzeit vorbei
sein kann. Jederzeit, Gabrielle.« Xena fuhr sich über die Stirn, als
wolle sie den Gedanken von sich abschütteln. »Ich will dieses Leben nicht mehr, das wir führen. Ich kann es nicht mehr. Ich habe
solche Angst, dich wieder zu verlieren.«
Gabrielle lehnte ihre Stirn an Xenas Schläfe. Sie wußte nur zu
gut, was Xena meinte.
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»Ich kann nur für das Gute kämpfen, wenn ich keine Angst habe
vor dem Tod. Ich hatte das nie. Aber jetzt . . . ich will leben, Gabrielle. Leben. Und bei dir sein.«
»Ich liebe dich.« Gabrielle verteilte kleine Küsse auf Xenas salzigem Mund. »Haben wir nicht gerade wieder erlebt, daß man uns
nicht trennen kann? Ich werde immer bei dir sein. Im Leben und
im Tod.«
Xena lächelte in Gabrielles Lippen. »Und im nächsten und im
übernächsten Leben.«
»Du sagst es, Prinzessin.«
»Na, jetzt stecken wir jedenfalls erstmal in diesem Leben fest.«
»Xena, was hältst du davon, wenn wir Lila und Sarah besuchen,
nachdem das alles hier vorbei ist? Wir könnten uns eine längere
Auszeit in Poteidaia nehmen, ein bißchen Zeit für uns haben.«
Gabrielle lachte verschmitzt. »Ich bin mir sicher, wenn wir erstmal
länger als zwei Monde in Poteidaia sind, wird dein altes Kriegerinnenblut schon wieder erwachen und du kannst es gar nicht abwarten, für irgendeinen bösen Buben, der es gar nicht verdient hat,
dein Leben zu riskieren.«
»Klingt sehr verlockend. Wir machen also noch einen kleinen
Sklavenaufstand, ärgern den Pharao ein wenig, retten ein paar
Menschenleben und danach machen wir uns eine schöne Zeit bei
deiner Familie?«
»Das wäre der Plan.«
»Großartig.« Xenas Miene heiterte sichtlich auf. »Dann nichts
wir ran an die Pyramiden.« Sie schüttelte sich den Staub aus der
Kleidung und griff nach Gabrielles Hand. »Komm, die anderen
werden schon warten.«
Auf dem Weg nach drinnen hielt Xena die Freundin noch einmal
zurück. »Noch ein letztes, Gabrielle.«
»Hm?«
»Hör bitte auf, mich dauernd anzusehen. Ich verliere den Fokus,
wenn du das tust.«
Gabrielle schüttelte Xenas Hand von ihrer Schulter. »Ich verliere
den Fokus, wenn ich es nicht tue. Besser, du gewöhnst dich daran,
daß ich dich ansehe.«
Xena küßte ihre Stirn. »Niemals.«
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8. Kapitel
A
ufgrund der einsetzenden Dunkelheit war es nicht mehr möglich, das Gelände rund um die Pyramiden zu inspizieren. So
beschränkten sich die Freunde darauf, gemeinsam einen Plan für
den morgigen Tag auszuarbeiten und früh zu Bett zu gehen, damit
alle am nächsten Morgen ausgeruht waren.
Noch vor Anbruch des Tages verließ Xena das warme Bett, sehr
zum Unwillen von Gabrielle, und begann, vor Amons Haus zu
trainieren. Es war so lange her, daß sie das letzte Mal ungestört ihre Übungen machen konnte. Entsprechend schwer fiel ihr das
Training. Das Chakram, das Gabrielle ihr noch vor Isis’ Tempel
zurückgegeben hatte, lag nicht richtig in der Hand, ihre Bewegungen waren schwerfälliger als üblich. Erst allmählich begann ihr
Körper, sich zu erinnern und ihrem Willen zu gehorchen.
Als sich die ersten Sonnenstrahlen über dem Wüstensand erhoben, gesellte sich Gabrielle zu ihr. Schweigend, um die noch Schlafenden nicht zu stören, vollzogen sie ihre Übungen. Auch bei Gabrielle machte sich die lange Pause bemerkbar. Es dauerte nur Sekundenbruchteile länger, bis sie ihre Sais gezogen hatte, aber diese
Bruchteile konnten im Kampf entscheidend sein. Doch beide Kriegerinnen wußten, daß Frustration der falsche Ratgeber war. statt
dessen übten sie mit unbeirrter Konzentration, und tatsächlich
stellte sich bald die alte Routine wieder ein. Noch bevor die ersten
Stimmen aus Amons Hütte ertönten, waren beide zufrieden mit
ihrem Ergebnis.
Nach einem hastigen, aber von Eleni liebevoll zubereiteten
Frühstück ritten Amon und Eve mit Xena und Gabrielle zu den Pyramiden. Schon von weitem waren das Klopfen von Steinen und
die Rufe der Sklaventreiber zu hören. Xena und Gabrielle umrundeten zunächst das gesamte Gelände und inspizierten die Gegebenheiten. Xena war erstaunt, daß die Pyramide so gut wie fertig war
und nur noch kleinere Schönheitsarbeiten zu erledigen waren. um
so unverständlicher schien es, daß Chaf-Ra nach wie vor auf dem
alten Ritual bestand, zehn weniger leistungsfähige Sklaven zu enthaupten.
Vor Chaf-Ra’s Pyramide befand sich eine riesige Statur aus Stein,
die aussah wie ein Mischung aus Löwe und Mensch. Amon nannte
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sie Sphinx und erklärte, sie sei der Versuch Chaf-Ra’s, seinen Vater Cheops zu übertrumpfen, dessen Pyramide unzweifelhaft noch
gewaltiger war.
Xena wies Amon an, die Arbeiter darüber zu informieren, daß
sie sich alle an der Sphinx einzufinden hatten, sobald die Sklaventreiber überwältigt waren. Dann trennten sie und Gabrielle sich,
um die etwa dreißig Wachen nacheinander auszuschalten. Während Gabrielle ins Innere der Pyramide vordrang, begab sich Xena
zu der Außenbaustelle unten am Nil. Routiniert und ohne einen
Laut erledigten beide ihre Arbeit. Sobald sich eine Wache von einem Kollegen absetzte, hatten die beiden Kriegerinnen leichtes
Spiel.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als sich die vier Freunde am
Fuße der Sphinx wieder trafen. Gabrielle blieb an Ort und Stelle,
um ihre Rede für die Arbeiter vorzubereiten, während Amon und
Eve das Gelände durchquerten und alle Sklaven informierten. Xena brachte die noch bewußtlosen Wachen in die Pyramide und traf
Vorbereitungen für die Ankunft von Chaf-Ra’s Feldherrn.
Es dauerte bis zum Nachmittag bis alles Nötige getan war und
sich die Sklaven um die Sphinx drängelten. Ein lautes Stimmengewirr erhob sich über der Ebene. Die Sklaven waren ängstlich und
unruhig. Sie wußten nicht, was sie erwartete und sie fürchteten,
die seltsamen Vorgänge im Arbeitslager würden schwere Konsequenzen für sie haben.
Mit einer Leiter erklomm Gabrielle das riesige Tier aus Stein.
Sie stellte sich auf seinen Rücken, um von allen gut gehört zu werden.
»Arbeiter Chaf-Ra’s«, rief sie in die Menge. »Mein Name ist
Gabrielle und dies hier«, sie deutete auf die Kriegerprinzessin, »ist
Xena.«
Ein lautes Gemurmel erhob sich in der Menge. »Xena ist tot!«
rief ein Mann. »Gabrielle ist in Athen!« rief ein anderer.
Gabrielle machte eine autoritäre Bewegung mit ihrem Arm. Sie
war es gewohnt, eine Horde schwatzender Amazonen zum
Schweigen zu bringen, da würde sie mit diesen Arbeitern auch fertig werden. In der Tat wurden die Stimmen ruhiger und alles
starrte gebannt auf die Fremde, die auf dem Rücken des Tieres
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saß, das sie für ihren Pharao erbaut hatten. In ihrer würdigen Haltung sah sie aus wie eine Pharaonin.
Gabrielle hob beide Hände und die Geräusche verebbten endgültig. »Arbeiter Chaf-Ra’s! Xena und ich sind gekommen, um euch
zu helfen. Wir wollen euch kein Unrecht tun, wir wollen euch
nicht beherrschen, wir wollen euch zur Freiheit verhelfen.«
»Ich brauche diese Arbeit! Wie soll ich meine Familie ernähren?«
rief ein Arbeiter. »Die Götter werden mich verfluchen, wenn ich
dem Pharao nicht diene«, meuterte der Mann neben ihm.
Gabrielle deutete auf Amon. »Dieser Mann hier ist der Vater einer eurer Männer. Und er hat Angst, daß sein Sohn der nächste
sein wird, der von Chaf-Ra’s Leuten enthauptet wird. Zwei Neffen
hat er schon verloren. Die Pyramide ist so gut wie fertig, kein
Gott wird euch zürnen, wenn ihr euch gegen das Unrecht wehrt,
das euch angetan wird. Im Gegenteil, ich habe persönlich mit Isis
und Osiris gesprochen.«
Die Menge brach in Gelächter aus. Einige reagierten auch zornig. »Erzähl uns keine Lügen! Die Götter zeigen sich nur den Pharaonen!«
Gabrielles Augen suchten Xena. Die nickte ihr aufmunternd zu.
Also warf sie die weiße Toga ab, die sie vor der gleißenden Sonne
schützte. »Manche von euch haben von Xena und mir gehört«, rief
sie in die Menge herab. »Ihr habt erfahren, daß Xena tot ist und ich
einen Drachen auf dem Rücken trage. Nun seht ihr, daß Xena am
Leben ist und mein Rücken unversehrt.« Gabrielle drehte sich
einmal um ihre eigene Achse, um ihren Punkt zu verdeutlichen.
»Wer, wenn nicht die Götter selbst, könnten dies ausgerichtet haben?«
Gabrielle wechselte einen kurzen Blick mit Xena, dann schwirrten zwei Sais durch die Luft und landeten zielsicher in Amons weißem Turban. Als er von seinem Kopf fiel, surrte Xenas Chakram
durch die Luft und durchschnitt den Turban in zwei gleiche Hälften. Es prallte an den Fuß der Sphinx, dann an das Tor der Pyramide, traf auf einen Steinbrocken und nahm schließlich Kurs auf
die Sphinx. Die Menge schrie auf, als die tödliche Waffe auf Gabrielles Hals zuraste, aber die fing das Chakram sicher in ihrer
Hand. Lässig warf sie es zu Xena zurück, die es wieder an ihrer
Hüfte befestigte.
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Die Sklaven fielen nieder und neigten die Köpfe tief zu Boden.
Amon klammerte sich an Eve, den Schock noch in den Knochen.
Gabrielle lächelte zufrieden. Sie hatte die Menge in der Hand. Nun
galt es, sie von der Richtigkeit ihrer Mission zu überzeugen.
Und um dies zu erreichen, tat Gabrielle das, was sie schon immer getan hatte, nämlich Geschichten erzählen. Zunächst erzählte
sie von ihrer Begegnung mit Isis und Osiris und daß beide Götter
mit Skepsis beobachteten, wie ihre menschlichen Stellvertreter mit
ihrem Volk umgingen. Dann erzählte sie von Amon und seine Erfahrungen am Hof der Pharaonen. Der Bericht machte nur allzu
deutlich, daß die Pharaonen durchaus nicht immer im Auftrag ihrer Götter handelten.
Zu guter Letzt erzählte Gabrielle eine Geschichte von einer jungen Sklavin aus Poteidaia, die mit ihrem Schicksal längst abgeschlossen hatte, als plötzlich eine hochgewachsene Frau mit langen,
schwarzen Haaren in ihr Leben trat. Die unbekannte Frau bezeichnete sich als Freundin und riskierte ihr Leben, um der Sklavin zur
Freiheit zu verhelfen. Besagte Sklavin wehrte sich mit Händen und
Füßen, sie hatte keine Hoffnung mehr, daß sich irgend etwas in ihrem Leben zum Guten wenden könnte. Aber als der Plan schließlich doch gelang, da spürte sie, daß es nichts Wichtigeres auf der
Welt gab als die Freiheit.
Es war eine Erzählung, die Gabrielle selbst nicht erinnerte, aber
Xena hatte ihr berichtet, wie es in der parallelen Welt gewesen
war, die die drei Schicksalsgöttinnen damals erschaffen hatten, um
Xena zu prüfen. Letztlich war es auch eine Prüfung für die Gabrielle gewesen, die Xena in dieser Welt kennengelernt hatte. Beide
machten die Erfahrung, daß es sich immer lohnt, die Hoffnung
nicht aufzugeben.
Xenas Bericht hatte Gabrielle damals tief bewegt und sie hoffte,
daß sie mit ihrer Geschichte nicht nur den Verstand, sondern auch
die Herzen der Arbeiter erreichen konnte. Ihre Hoffnung wurde
nicht enttäuscht. Während der Erzählung hatten die Männer sich
auf den Boden gesetzt und lauschten Gabrielles Stimme. Die hielt
Xena den Rücken zugewandt, sie wußte, daß nur ein Blick der
Freundin sie aus dem Takt bringen würde. So bemerkte sie nicht,
daß Xena sich im Laufe der Erzählung von der Menschenmenge absetzte und den langen Körper der Sphinx erklomm.
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Etwas überrascht registrierte sie die warme Hand auf ihrer
Schulter, die andere Hand schob zwei Sais in ihre Stiefel. Xena
wartete geduldig das Ende der Geschichte ab, dann erklärte sie der
Menge ihren Plan. Die Sklaven bräuchten nichts zu befürchten.
Niemand würde gezwungen, sich an dem Aufstand zu beteiligen.
Nur diejenigen, die sich kräftig genug fühlten, sollten den Feldherrn und seinen Männern entgegentreten.
Ein paar Männer riefen, sie würden nichts lieber tun, als diesen
grausamen Ort zu verlassen. Andere zeigten von Peitschenhieben
zerklüftete Rücken und Schultern. Sie sagten, eher würden sie
sterben, als ihre geschundenen Körper noch länger dem Pharao zur
Verfügung stellen. Viele nickten zustimmend. Schon bald war
klar, daß die Arbeiter Xenas Einschätzung der Lage teilten. Sie alle
wollten frei sein, sie wußten bloß nicht, was sie gegen Chaf-Ra’s
mächtige Armee ausrichten sollten.
Xena teilte die Sklaven ein in Schwache und Kranke, die Schutz
in der Pyramide suchen sollten, und in Kampffähige, die Stöcke
und Steinpickel in die Hand bekamen. Ein paar ältere Sklaven
wurden zu Wachtposten ernannt und sollten ein Signal geben, sobald Chaf-Ras Feldherr erschien.
Am späten Nachmittag entwickelte sich das Arbeitslager zur
Geisterstadt. Keine Menschenseele war mehr zu sehen. Nur ein
paar Wachposten waren am Horizont zu erkennen und Xena und
Gabrielle saßen auf dem Rücken der Sphinx, um die Ankömmlinge
willkommen zu heißen.
Alle spürten, daß es nicht mehr lange dauern würde und tatsächlich gaben die Wachposten bald das Signal. Die Arbeiter verschanzten sich hinter Steinquadern und Xena stellte sich für jedermann sichtbar auf den Kopf der Sphinx. Ein beleibter Feldherr ritt
auf einem ebenso beleibten Rappen durch das Lager, hinter sich
etwa 150 bis an die Zähne bewaffnete Männer. Er sah irritiert nach
links und rechts, seine Körperhaltung verriet seinen aufkeimenden
Ärger.
Die Luft war zum Bersten gespannt, als die Armee direkt vor
Xena Halt machte. »Was ist hier los?« brüllte der Anführer.
»Mein Name ist Xena. Dies hier ist Gabrielle. Mit wem habe ich
die Ehre?«
»Alius!« brüllte der Feldherr. »Was soll das Ganze hier?«
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»Hallo Alius«, grüßte Xena höflich. »Wie du siehst, sind die Arbeiten an der Pyramide eures Pharaos kurzfristig eingestellt worden.«
»Wo sind die Sklaven?!« Alius’ Miene machte deutlich, daß ihm
an Höflichkeiten nicht gelegen war.
Xena nahm eine lässigere Haltung ein. »Sie haben beschlossen,
sich euren Grausamkeiten nicht mehr zu unterwerfen.«
Alius drehte sich zu seinen Männern. »Holt mir die beiden
Weibsbilder von der Sphinx!«
Die Männer zögerten. Nicht wenige hatten von der legendären
Kriegerprinzessin gehört. Die ganze persische Armee sollte sie bei
Marathon aufgehalten haben.
»Wird’s bald!« Alius war inzwischen knallrot im Gesicht. Er
schäumte vor Wut. Er konnte nicht glauben, daß seine Männer
sich von zwei Frauen einschüchtern ließen.
»Alius.« Xena wandte sich wieder an den Feldherrn. »Es gibt
zwei Möglichkeiten wie wir hier verfahren. Entweder ihr zieht
wieder ab und du sagst dem Pharao, daß er den Rest seiner Arbeiten selbst erledigen muß, oder es wird hier ein Blutbad geben - das
du im Übrigen nicht überleben wirst.«
»Ha!« Alius’ Augen blitzten. »Du bist nicht in der Situation, Bedingungen zu stellen.« Ein Messer flog in Xenas Richtung, doch
die Kriegerprinzessin fing es lässig auf. »Bin ich nicht?« setzte sie
die Unterhaltung fort. »Laß deine Messer lieber in deinen Stiefeln.
Ich würde fast meinen, du weißt nicht, mit wem du es zu tun
hast.« Ihr Lächeln täuschte. Sie hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen arrogante Feldherrn. Sie erinnerten sie zu sehr an ihr
früheres Selbst.
»Attacke!« Zwanzig Pfeile schossen in Xenas Richtung. Nicht einer erreichte sein Ziel. »Nicht schon wieder«, murmelte sie. Pfeile
hatte sie in keiner besonders guten Erinnerung. Doch damals hatte
sie sterben wollen, um Yodoshi zu besiegen. Dies hier war etwas
anderes. Die Pfeile der Soldaten strapazierten ihre Geduld.
Auch Alius’ Speer war in zwei Hälften zersplittert, noch eher er
Xenas Herz durchbohren konnte. Er lachte überheblich, als Xenas
Chakram haarscharf an seinem Kopf vorbei zischte. Es sollte sein
letztes Lachen sein. Das Chakram prallte dreimal zwischen Steinquadern und Pyramidenwand hin und her und schoß dann gegen
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die Sphinx. Ein riesiger Gesteinsbrocken löste sich aus der Nase
der Sphinx und begrub Alius und seine Gefolgsleute unter sich.
Die Armee geriet in Panik. Unkoordiniert versuchten die Krieger, die Sphinx zu stürmen, aber jetzt gab Xena das Zeichen für die
Arbeiter. Innerhalb von Sekunden waren Alius’ Krieger von wütenden Sklaven umringt, die sie mit Stöcken und Steinpickeln von
den Pferden holten. Ein großer Tumult entstand. Xena und Gabrielle warfen sich von oben in die Menge und kämpften mit all ihrer Kraft für die Freiheit der Arbeiter.
Es war ein kurzer Kampf. Alius’ Soldaten begriffen schnell ihre
Unterlegenheit. Mit fliegenden Hufen flohen die Krieger des Pharaos aus der Grabstätte.
Sofort organisierte Xena die Versorgung der Verwundeten. Die
Männer wurden in die Pyramide zu den gefangenen Wachposten
transportiert und erhielten erste Hilfe so gut es ging.
Ein junger Mann, der kaum mehr als ein zerfetztes Stück Stoff
um den Leib trug, lief auf Xena zu und fiel vor ihr auf den Boden.
»Mein Name ist Aneas. Ich bin der Sohn von Amon. Du hast gerade mein Leben gerettet.«
»Du hast dein Leben selbst gerettet, ich habe nur etwas Unterstützung geleistet.« Xena half dem Mann vom Boden auf. »Du
kannst deinem Vater danken, daß er sich so für dich eingesetzt
hat.« Sie wandte sich an Gabrielle. »Fast alle Arbeiter sind unterernährt. Wir brauchen ein riesiges Lazarett in der Nähe von Gizeh,
wo die Kranken und die Verwundeten erst einmal unterkommen
können.«
»Ich kümmere mich darum.« Eve gesellte sich an die Seite ihrer
Mutter. »Ich helfe den Menschen hier, ein Lazarett zu errichten.«
Gabrielle schüttelte den Kopf. »Eve, meinst du nicht, daß jemand in Amphipolis auf dich wartet?«
»Amphipolis? Wieso Amphipolis? Und wer wartet da auf dich?«
Xena kniff die Augen zusammen, als Eves Wangen sich bei ihren
Fragen röteten. »Was ist da vorgefallen, während ich tot war?«,
fragte sie streng. »Ich bin deine Mutter.«
»Eben.« Eve hakte sich bei Xena ein. «Mütter erfahren immer
erst alles als letzte.”
Xena drehte sich zu Gabrielle. »Hast du das gehört? muß ich mir
so etwas sagen lassen?« Als der erhoffte Beistand nicht kam, mur© édition el!es
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melte sie ein paar unverständliche Worte. »Ihr steckt doch beide
unter einer Decke«, zischte sie Gabrielle zu.
»Es reicht völlig aus, wenn du und Gabrielle unter einer Decke
stecken.« Eve zwinkerte Gabrielle zu.
Jetzt war es Xena, die errötete. Woher wußte Eve . . .
»Die Amphipolitaner haben dir ein Denkmal gebaut«, wechselte
Gabrielle das Thema. »Eve wurde eingeladen, an dem Denkmal
mitzuwirken. Und da sie schon mal da war, ist sie jetzt dabei, mit
ein paar Leuten einen Tempel für Eli zu errichten.«
»Ein Denkmal?« Xena wich das Blut aus dem Gesicht. »Sind die
wahnsinnig? Eve, und du hast die Leute auch noch unterstützt? Du
weißt doch, daß ich nichts von solchem Firlefanz halte – schon gar
nicht, wenn es um mich geht.«
»Xena, du hast selbst mal gesagt, daß Menschen etwas brauchen,
was ihre Hoffnung symbolisiert«, kam Gabrielle Eve zur Hilfe.
»Und für die Amphipolitaner verkörperst du die Hoffnung. Willst
du ihnen das nicht zugestehen?«
Xena ließ sich schwer auf einen Steinquader fallen. Sie konnte
nicht glauben, daß sie, die so viel Elend in die Welt gebracht hatte,
für Menschen Hoffnung symbolisieren konnte. Sie hatte das nicht
verdient.
Gabrielle setzte sich neben sie. Sie ahnte, was ihn ihrer Gefährtin
vorging. »Es wird Zeit, daß du dich in einem anderen Licht
siehst.«
Xena seufzte. »Wenn ein Mensch Hoffnung symbolisiert, dann
bist du das, Gabrielle. Du warst es immer für mich. Im Leben und
im Tod.« Sie lehnte ihren Kopf an die Freundin.
Gabrielle schmiegte sich enger an ihre Partnerin. »Und du warst
es für mich. Es ist also eine Frage der Perspektive.«
Eve hatte die Szene aus der Entfernung beobachtet und trat nun
zu ihnen. »Ich wußte natürlich, daß du damit nicht einverstanden
sein würdest, aber ich habe es für die Amphipolitaner getan. Ihre
Stadt ist schon so oft dem Erdboden gleichgemacht worden und
immer wieder mußten sie sie wieder aufbauen. Sie brauchen Hoffnung wie die Luft zum atmen. Warum sollte ich sie ihnen verwehren?«
Xena faßte sich an die Stirn. »Dann müssen wir da wohl bald mal
vorbei, was?«
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»Erst ist Poteidaia dran.« Gabrielles Tonfall ließ keine Widerworte zu.
«In Ordnung «, nickte Xena. »Erst Poteidaia, dann Amphipolis.
Und dann besuchen wir Varia.«
»Wieso Varia?«
»Gib dir keine Mühe, ich weiß, daß du dein Volk vermißt. Ich
konnte deine Gedanken hören. Schon vergessen?«
Nun errötete die Dritte im Bunde. In der Tat hatte Gabrielle
heimlich gehofft, daß die Amazonen ihr nächsten Ziel sein würden.
Sie warf Xena einen dankbaren Blick zu, bevor sie mit Eve ins
Freie trat. »Eve, du mußt das selbst wissen«, knüpfte sie an das ursprüngliche Thema wieder an. »Natürlich wäre es für diese Leute
hier großartig, wenn du sie unterstützen könntest, aber deine Gemeinde braucht deine Hilfe genauso dringend.«
»Ich glaube nicht, daß es hier lange dauern wird. Ich helfe ihnen
bei den Basisarbeiten und dann kehre ich zurück nach Amphipolis
zu meinen Leuten.«
»Zu Yannis.« Gabrielle sagte es ganz sachlich, aber ihr Tonfall
ließ keinen Zweifel daran, daß sie wußte, wie es um Eves Herz bestellt war.
Eve senkte den Blick zu Boden. »Richtig.«
»Er vermißt dich bestimmt sehr.«
»Wer vermißt wen?« klang es hinter ihnen.
»Ich dich. Komm her.« Gabrielle hakte ihre Partnerin ein und
steuerte auf ihre Pferde zu. »Was ist jetzt der Plan?«
»Wir bleiben noch eine Nacht bei Amon und seiner Familie.
Dann brechen wir auf nach Griechenland.«
»Endlich allein.« Gabrielle schickte einen Blick in den Himmel.
»Gabrielle?«
»Ja?«
«Ich liebe dich. Hatte ich das schon mal erwähnt?”
»Na ja, vielleicht hast du es ein-, zweimal fallengelassen, aber ich
erinnere mich nicht mehr genau.«
»Aha.« Xena schloß sie in die Arme. »Was erinnerst du denn
noch?«
»Gar nichts mehr.« Gabrielle biß in ihr Ohr. »Du mußt mir alles
ganz neu zeigen.«
»Alles?« Xena sah sie entgeistert an. »Bist du sicher?«
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«Ja. Ganz sicher.”
«Das wird harte Arbeit.”
»Du wirst sie wohl auf dich nehmen müssen. Denkst du, ich habe dich umsonst zurückgeholt? Ich habe meine Bedingungen.«
»Wenn’s denn sein muß. Wann fangen wir an?«
«Gleich morgen, sobald wir Gizeh verlassen haben.”
«So spät? Warum nicht schon heute?”
«Weil deine Tochter nebenan schläft, Xena.”
»Und wenn wir ganz leise sind?«
»Ich erwähnte doch, daß du mir alles noch mal zeigen mußt.
Oder nicht?«
»Morgen ist aber doch erst morgen. Bis dahin werde ich alles
vergessen haben.«
»Was meinst du denn, was du bis morgen alles vergessen haben
wirst?«
»Darf ich dir das zeigen? Gleich jetzt?«
ENDE
»The Sphinx was harmed during the writing of this fanfiction. Any similarities between The Magic Flute, several historical incidents and this story
are purely coincidental. The poem Gabrielle recited is today attributed to
Rainer Maria Rilke.«
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