Anne M. Schüller Das Touchpoint-Unternehmen

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Anne M. Schüller Das Touchpoint-Unternehmen
Anne M. Schüller
Das Touchpoint-Unternehmen

Anne M. Schüller
touchpointunternehmen
das Mitarbeiterführung
in unserer neuen
Businesswelt

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ISBN 978-3-86936-550-3
Lektorat: Anke Schild, Hamburg
Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen I www.martinzech.de
Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg I www.buch-herstellungsbuero.de
Druck und Bindung: Salzland Druck, Staßfurt
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Inhalt
Einblick ................................................................................................. 9
Unsere schöne neue Businesswelt ........................................................... 10
Touchpoint-Unternehmen und Touchpoint-Manager ................................. 12
Was ist eigentlich ein Touchpoint? ........................................................... 14
Touchpoints zwischen Bewerber und Arbeitgeber ..................................... 15
Wie Arbeitgeber zu einer »Lovemark« werden ......................................... 16
Touchpoints zwischen Mitarbeiter und ­Führungskraft ............................... 17
Digital Natives: die »neuen« Mitarbeitenden ........................................... 19
Das interne Touchpoint-Management: ein ­Navi­gationssystem
für den Unternehmenserfolg ................................................................... 21
Teil 1 Unter­n ehme­r ische Rahmen­bedingungen
für ­u nsere neue ­B usiness­welt .................................. 25
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen ................................. 27
Schwarmintelligenz integrieren .................................................... 30
Digitalisierung begünstigt das Schwärmen ............................................... 31
Das Internet hat keinen Boss ................................................................... 33
Kollaborative Strukturen implementieren ................................. 34
Hybride Organisationen bevorzugt ........................................................... 36
Organigramme – ganz neu gebaut .......................................................... 37
Gefühlte Hierarchien reduzieren .................................................. 40
Macht und Angst sind ein Paar ................................................................ 43
Wie sich Hierarchie zurückbauen lässt .................................................... 44
Regelwerke dezimieren .................................................................. 46
ISO-Rausch erzeugt Isomorphie ............................................................... 47
Kill a stupid rule! .................................................................................... 49
Silodenke demontieren .................................................................. 50
Silos erzeugen Win-lose-Situationen ........................................................ 52
Wie Alphaorganisationen von Betahäusern lernen .................................... 53
Sich digital transformieren ............................................................ 54
Chancen warten nicht auf Budgetierungstermine ..................................... 55
Wie Corporate-Social-Software funktioniert ............................................. 57
Den Kundenfokus forcieren ........................................................... 61
Kundennähe in der Chefetage ................................................................ 64
Externes Crowdsourcing: der Kunde als ­Mitentwickler .............................. 66
Ein neues Berufsbild: der Touchpoint-Manager ......................................... 69
Touchpoint-Manager in der Praxis ........................................................... 72
Teil 2 ­Leadership in ­u nserer ­n euen ­A rbeitswelt ...... 75
Die wunderbaren »neuen« ­Mitarbeitenden ............................... 77
Sind Ihre Mitarbeiter auch »Porsche«? ..................................................... 79
Virtuell und real: dem Kunden ganz nah ................................................... 83
Dem Mitarbeiter-Individuum auf der Spur ................................................ 87
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie ................................... 91
Die neue Workforce: Digital Natives ......................................................... 92
Die alten Hasen: Analog Seniors .............................................................. 97
Die Inbetweens: Digital Immigrants ......................................................... 99
Die neue Mehrheit: Kollaborateure ........................................................ 101
Freelancer und Knowledge-Worker ........................................................ 102
Erfahrung zählt: Senior Consultants ....................................................... 104
Mehrklassengesellschaft am Arbeitsplatz ............................................... 107
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss ......................................... 112
Was Loyalität heute bedeutet ................................................................ 114
Wem wir loyal verbunden sind .............................................................. 120
Ein neues Phänomen: die fünfte Loyalität ............................................... 122
Warum Loyalität immer wichtiger wird .................................................. 124
Die schlimmsten Loyalitätszerstörer ....................................................... 126
Illoyalität und die Folgen hoher Fluktuation ........................................... 128
Mitarbeiterengagement und M
­ otivation .................................. 134
Dringend gesucht: die intrinsische Motivation ........................................ 135
Die richtige Dosis entscheidet ................................................................ 142
Wie Lust auf Leistung entsteht .............................................................. 145
Die Mitarbeiter als Botschafter .................................................. 160
Mitarbeiter-Fans: die neuen Promotoren ................................................ 165
Die Mitarbeitenden als Recruiter ........................................................... 170
Arbeitgeberbewertungsportale: Noten für den Chef ................................ 176
Das Reputationssicherheitsnetz ............................................................. 181
Die »neue« Führungskraft ........................................................... 186
Führen unter neuen Bedingungen .......................................................... 190
Die Funktionen einer Führungskraft von heute ....................................... 196
Wertschöpfend: der kundenfokussierte Leader ....................................... 204
Pragmatisch: der Möglichmacher ........................................................... 207
Virtuos: der Katalysator ......................................................................... 211
Teil 3 Führungstool für ­u nsere neue Arbeitswelt:
Das Colla­borator ­Touchpoint
Management ........................................................................... 217
Das Collaborator Touchpoint M
­ anagement ............................. 219
Schritt 1: Die Ist-Analyse .............................................................. 224
Das Auflisten der internen Touchpoints .................................................. 224
Die Ist-Situation an den einzelnen Touchpoints ....................................... 231
Die Analyse des öffentlichen Feedbacks ................................................. 232
Die Selbstanalyse der Führungskraft ...................................................... 236
Die Analyse durch die Mitarbeiter .......................................................... 238
Schritt 2: Die Soll-Strategie ......................................................... 256
Der Zielfindungsprozess ........................................................................ 256
Die Zielgruppenwahl ............................................................................. 258
Rahmenbedingung Unternehmenskultur ................................................ 259
Rahmenbedingung Begeisterungsführung .............................................. 269
Schritt 3: Die operative Umsetzung ........................................... 279
Touchpoints, an denen die Führungskraft arbeitet ................................... 280
Lob oder Tadel? Die neue Feedbackkultur .............................................. 284
Gut oder schlecht? Die Mitarbeiterevaluierung ...................................... 290
Touchpoints, an denen Touchpoint-Manager ­arbeiten ............................ 296
Touchpoints, an denen die Mitarbeiter arbeiten ...................................... 298
Schritt 4: Monitoring und Optimierung .................................... 317
Das Touchpoint-Kennzahlen-Cockpit ...................................................... 319
Mitarbeiterfluktuationsrate und Fluktuations­kosten ............................... 320
Loyalitätsindex und Empfehlungsbereitschaft ......................................... 322
Die Optimierungstools .......................................................................... 325
Helikopter-Rundflug über das eigene Tun ............................................... 326
Hilfe von außen: die kollegiale Beratung ................................................ 332
Von scheidenden Mitarbeitern lernen .................................................... 336
Ausblick ............................................................................................ 342
In eigener Sache ............................................................................ 346
Anmerkungen ................................................................................ 348
Literaturhinweise ........................................................................... 355
Stichwortverzeichnis .................................................................... 360
Über die Autorin ............................................................................. 367
Einblick
»Sie können hier mit niemandem telefonieren, schicken Sie eine
Mail!« – Um Unternehmen, die so mit ihren Kunden hantieren,
muss man sich wohl Sorgen machen. Ich werde sie in diesem Buch
die alten, analogen Unternehmen nennen. Sie sind nicht unbedingt alt an Jahren, sondern alt im Kopf, zu alt, um die Zukunft
erreichen zu können. Denn etwas Großes ist im Gange. Wir leben
in einer neuen, sich unaufhaltsam digitalisierenden Businesswelt.
Und wir stecken mittendrin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Die Macht ist zu den Mitarbeitern gewandert. Und die Kunden haben, von vielen nahezu unbemerkt, die Macht schon längst
übernommen. Was das bedeutet? Heute entscheiden vor allem die
eigenen Kunden darüber, ob neue Kunden kommen und kaufen.
Und die eigenen Mitarbeiter entscheiden maßgeblich mit, wer die
besten Talente gewinnt. Passende interne Rahmenbedingungen
und eine auf diesen Wandel ausgerichtete Führungskultur sind
unausweichlich, damit es gelingt, in volatilen Märkten auf immer
neue Weise verlockend zu sein.
Doch während sich draußen unumkehrbar alles verändert, vertrödeln sich drinnen in den Unternehmen die Manager mit »gängigen« Verfahren und verbrauchten Ritualen aus dem letzten
Jahrhundert: Top-down-Formationen, Silodenke, Insellösungen,
Abteilungsegoismen, Hierarchiegehabe, Budgetierungsmarathons,
Anweisungskultur, Kontrollitis, Kennzahlenkult. Dies wie auch ein
antiquiertes Führungsverständnis und der kundenfeindliche Standardisierungswahn sind die größten Bremsklötze auf dem Weg in
eine neue Business- und Arbeitswelt. Mit Werkzeugen von vorvorgestern ist die Zukunft nun mal nicht zu packen. Die Unternehmen
sind in ihren eigenen Systemen gefangen. Und sie werden nicht am
Einblick
9
Markt, sondern an ihren Strukturen scheitern. Deshalb sind Innovationen zunächst drinnen, im firmeninternen Zusammenspiel,
dringendst vonnöten. Vernetzung und Kollaboration heißen die
zentralen Schlüssel zum Ziel. Wie dies erreicht werden kann und
welche Tools dabei helfen, zeigt dieses Buch.
Unsere schöne neue Businesswelt
Die Hochzeit zwischen dem Social Web und dem mobilen Internet hat uns mit Höchstgeschwindigkeit in die Web-3.0-Welt katapultiert. Ihr vielleicht wichtigstes Plus: eine digitale Informationsschicht, die sich per Fingerwisch über unsere Offline-Landschaften
legt. Hierdurch werden die Menschen mit dem kompletten Online­
wissen praktisch überall auf der Erde in Echtzeit vernetzt. Diese
neue Konstellation hat das Kräfteverhältnis zwischen Anbietern
und Nachfragern endgültig auf den Kopf gestellt. Denn das Internet spielt den »kleinen Leuten« zu. Es begünstigt »die vielen«. Es
verachtet Zentralisierung. Und es liebt Kollaboration.
Doch in den Schaubildern der Unternehmen sieht es noch immer
aus wie anno dazumal. Sie verdeutlichen – vielleicht mehr als alles
andere – die wahre (fossile) Gesinnung: Der Chef thront ganz oben,
darunter, in Kästchen eingesperrt, seine brave Gefolgsmannschaft.
Die Mitarbeiter kommen in solchen Organigrammen nicht einmal
vor. Sie werden wie Fußvolk verwaltet und in Abteilungsschubladen organisiert. Ja, und die Kommunikation zu den Kunden läuft
über Kanäle. Bei Licht betrachtet sind Werbekanäle nichts als das
externe Gegenstück interner Silos und veralteter Top-down-Hierarchien: unvernetzt nebeneinanderher agierend. Denn ein Kanal
dient der Datenübermittlung von einem Sender zu einem Empfänger.
Demgegenüber zeigt die Welt der Kunden ein völlig anderes Bild:
Sie schwirren in Outernet- und Internet-Sphären um Unterneh-
10
Das Touchpoint-Unternehmen
mensgebilde herum, die wie Netzwerke agieren (sollten). Sie kaufen an Touchpoints nach Gusto mal offline, mal online. Bei der
Entscheidungsfindung lassen sie sich vor allem von ihresgleichen
leiten. Von unersättlichen Konsumenten wandeln sie sich zu verantwortungsvollen Weltenbürgern. Manche sind schon »Sharer«
und »Maker« geworden, das heißt, sie kaufen nicht neu, sondern
sie teilen sich das, was sie brauchen, mit Dritten. Oder sie produzieren es selbst. Die meist webbasierte »Share-Economy« wird
das ohnehin dürftiger werdende Wachstum auf ganz neue Weise
bedrohen. Und der Selbermachen-Trend, der durch die aufkommenden 3-D-Drucker begünstigt wird, wird völlig neue Geschäftsmodelle kreieren.
Web 2.0 | Web 3.0
© Anne M. Schüller
Analog | Web 1.0
Abb. 1: Die alte und die neue Businesswelt
Es ist also höchste Zeit für einen neuen Typus von Organisation. Ich
nenne es das Touchpoint-Unternehmen.
Einblick
11
Touchpoint-Unternehmen und Touchpoint-Manager
Niemals zuvor waren die Kunden einem Unternehmen so nahe
wie heute. Spätestens jetzt muss sich jede Führungskraft in jedem
Bereich neben ihrer Kernaufgabe intensiv mit den Kunden befassen. Denn über die sozialen Medien kann heute jeder Externe
praktisch mit jedem Mitarbeiter direkt in Verbindung treten, ganz
egal, in welcher Abteilung der sitzt, und egal auch, ob das dem
Management passt oder nicht. Die Zahl der Kontaktpunkte
zwischen drinnen und draußen ist explosionsartig gestiegen; sie ist jetzt schon unüberschaubar geworden. Dies ist Risiko und Chance zugleich.
Früher wurde das, was die Öffentlichkeit über
ein Unternehmen erfahren sollte, über sorgsam formulierte Pressemitteilungen und gut
geschulte Vorstandssprecher gesteuert. Was
sich hinter den Firmenfassaden aber tatsächlich begab, gelangte nur vereinzelt nach
draußen: wenn jemand in seinem persönlichen Umfeld von einem Vorfall erzählte oder
wenn es über persönliche Kontakte bis zu den
Medien drang. Heute sieht das völlig anders aus:
Die Mitarbeiter berichten über Interna im Web.
Sie sind zu Botschaftern ihrer Arbeitgeber geworden. Und die Unternehmen haben keinerlei Kontrolle
­darüber, was sie dem Cyberspace alles anvertrauen.
Die Unter­
nehmen haben
die Informations­
hoheit verloren.
Wer führt, behandle seine Leute also besser gut und halte ethische
Werte ein, denn im Internet kommt es irgendwann raus. Vorbild­
liches wird dort vergnüglich gefeiert und Gutes kräftig gelobt, Übles
hingegen herbe bestraft. Wer lügt und betrügt, wer seine Leute wie
ein Berserker behandelt oder sich eigennützig Vorteile verschafft,
wird geteert und gefedert und dann an den Onlinepranger gestellt.
Das lesen dann nicht nur alle Kollegen, nein, die gesamte Öffentlichkeit liest das auch. Schon längst wird das zweifelhafte Innen­
12
Das Touchpoint-Unternehmen
leben eines Anbieters durch kollektive Nichtkäufe bestraft. Und die
besten Bewerber kehren Reputationsschwachen den Rücken, noch
ehe es zu einer ersten Annäherung kommt. Denn bevor man hört,
was ein Unternehmen selbst über sich sagt, lauscht man denen, die
aus erster Hand berichten.
In dieser neuen Realität werden Kunden kaum mehr den vorgezeichneten Kanälen altehrwürdiger Ablauforganisationen folgen.
Sie lassen sich auch nicht mehr an Service, Sales und Marketing
wegdelegieren – und schon gar nicht von provisionssüchtigen Verkäufern zum LEO, einem leicht erlegbaren Opfer, machen. Vielmehr
steuern sie die direkten und indirekten Touchpoints spannender
Anbieter selbstbestimmt an. Deshalb folgen Touchpoint-Unternehmen dem Outside-in-bottom-up-Weg, das heißt, sie bewegen
sich vom Kunden her nach drinnen und dann vom Mitarbeiter her
in Richtung Führungsebene. Denn nur so herum kann der Erfolg
künftig gelingen. Dabei wird es im Unternehmensorchester schon
bald auch ein neues Berufsbild geben: den Touchpoint-Manager.
Er steht wie ein Advokat für die Kundeninteressen ein und setzt
sie kraftvoll durch. Und er weiß: Wer lange Strecken laufen will,
braucht geduldiges Geld.
Analoge Unternehmen
Alte Unternehmenskultur
Top-down-inside-out-Weg
© Anne M. Schüller
Führungsspitze
Mitarbeiter
Touchpoint-Unternehmen
Neue Unternehmenskultur
Outside-in-bottom-up-Weg
Führung
Kundenkreis
Mitarbeitende
Kundenkreis
Abb. 2: Der alte und der neue Unternehmensweg
Einblick
13
Was ist eigentlich ein Touchpoint?
Ein Touchpoint wird im Deutschen gern als Kontaktpunkt bezeichnet. Doch dies ist ein unterkühlter und versachlichter Begriff. Das
Wort »Berührungspunkt« drückt sehr viel besser aus, wie Beziehungen in Social-Media-Zeiten nun zu gestalten sind. Wer nämlich
Menschen erreichen will, der muss sie »berühren« – und Emotionalität zum Schwingen bringen. Wenn dann noch ein Hauch von
Magie und eine Brise »Sternenstaub« hinzugefügt werden, dann
weckt dies ein heftiges Habenwollen.
Nicht was in ambitionierten Businessplänen und aufwendigen
Handbüchern geschrieben steht, sondern was der Kunde in den
»Momenten der Wahrheit« (Jan Carlzon) an den einzelnen Touchpoints tatsächlich erlebt, entscheidet über hopp oder top. Diese so
virtuos zu bespielen, dass Transaktionen für kaufwillige Kunden
immer wieder begehrenswert sind und ein engagiertes Weiterempfehlen bewirken, das ist die neue große Herausforderung. Und sie
geht jeden im Unternehmen an, egal, ob er direkt an der Kundenfront tätig ist oder etwa in der Buchhaltung, in der Produktion oder
im Lager wirkt.
All dies verlangt ein kundennahes Management und auch einen
neuen Führungsstil: die kundenorientierte Mitarbeiterführung.
Basis dafür ist das Meistern der internen Touchpoints, also der
Interaktionspunkte zwischen den Mitarbeitenden, den Führungskräften und der Organisation. Kollaborative Prozesse, bei denen
man die »Ideenfunken« aller Mitarbeitenden einfängt und die
»Weisheit der Vielen« nutzt, werden dabei, wie wir gleich sehen,
aus gutem Grund zu bevorzugen sein.
14
Das Touchpoint-Unternehmen
Touchpoints zwischen Bewerber und Arbeitgeber
Der demografische Wandel, der Kampf um die Besten und der
Glashauseffekt, den das Social Web mit sich bringt, halten ganz
neue Anforderungen parat: Personaler müssen das Verkaufen lernen. Dabei sind die Ressourcen, die bereits jetzt für das effiziente
Suchen, Finden und Gewinnen passender Talente in den Markt
geworfen werden, ganz enorm.
Doch nicht die Firmenwebsite und deren Karriereteil, sondern das
Eingabefeld der Suchmaschinen ist zunehmend der Startpunkt für
eine potenzielle Mitarbeiterbeziehung – und oftmals gleichzeitig das
Ende. Dabei spielen die indirekten Touchpoints wie zum Beispiel
Meinungsportale, User-Foren, Blogbeiträge, Presseartikel, Mundpropaganda und Weiterempfehlungen eine zunehmend wichtige
Rolle. Diese werden auch als »Earned Touchpoints« bezeichnet,
denn man kann sie sich nicht wie eine Stellenanzeige kaufen, man
muss sie sich stattdessen verdienen.
Bewerbungsphase
JA
Arbeitsverhältnis
Mundpropaganda
© Anne M. Schüller
Mundpropaganda
Abb. 3: Der Ablauf im Rekrutierungsprozess von heute
So werden von veränderungswilligen Bewerbern immer öfter zuerst die O-Töne der Mitarbeiter im Web angesteuert. Google nennt
sie die »Zero Moments of Truth« (ZMOT).1 Dies sind die Momente
Einblick
15
der Wahrheit vor dem ersten direkten Kontakt, die schonungslos
sichtbar machen, was die Versprechen eines Unternehmens tatsächlich taugen. Insofern werden Firmen schon bald allein deshalb
zumachen müssen, weil es keine qualifizierten Mitarbeiter mehr
gibt, die für sie arbeiten wollen.
Anstatt also weiter in teuer bezahlte Recruiting-Tools zu investieren, sollten Organisationen viel mehr dafür tun, dass es drinnen
bei ihnen stimmt. Denn jenseits schöner Sonntagsreden über Leitbilder, Werte und Corporate Social Responsibility (CSR) liegt dort
eine Menge im Argen. Selbst den wortgewaltigsten Beteuerungen
aus der eitlen Managementwelt glaubt heute kaum jemand mehr.
Die Unternehmenskommunikation hat sich in einen gigantischen
Vertrauensverlust hineinmanövriert. Zu oft sind wir belogen und
betrogen worden. Hier Beispiele zu listen, erübrigt sich. Jeder
kennt eine Vielzahl von Fällen.
Wie Arbeitgeber zu einer »Lovemark« werden
Die Einzigen, die in einer vernetzten Gesellschaft glaubwürdig für
Vertrauen sorgen und sogar Vertrauensverluste wiedergutmachen
können, sind die, die wissen, wie es hinter den Firmentoren tatsächlich läuft: die Kunden und die Mitarbeiter. Sie wollen, dass
all diese Menschen draußen als Fürsprecher für Ihr Unternehmen
fungieren? Dann sorgen Sie für ein positives Beziehungskonto!
Und sorgen Sie insbesondere auch dafür, dass die Leute tollen Gesprächsstoff haben, den sie gerne mit ihren Netzwerken teilen.
»Sei wirklich gut, und bring die Leute dazu, dies vehement weiterzutragen.« So lautet das neue Businessmantra. Und »wirklich gut«
bedeutet hier zweierlei: einmal exzellent und einmal nicht böse.
Das Internet ist wie eine gigantische öffentliche Podiumsdiskussion. Die »Leichen« vermodern heute nicht mehr im Keller, man
findet sie in den Weiten des Webs. Daher muss neben dem Zahlen-
16
Das Touchpoint-Unternehmen
werk auch die moralische Bilanz stimmen. Denn
Unternehmen haben nicht nur eine wirtschaftDas neue
liche, sondern auch eine soziale Funktion, die
­Businessmantra:
von der Öffentlichkeit immer vehementer
Sei wirklich gut,
eingefordert wird. Der Wettbewerb der Zuund bring die
kunft wird auf dem Marktplatz der UnterLeute dazu, dies
nehmenskulturen geführt.
vehement weiter­
zutragen.
Fakt ist: Jenseits aller Sozialromantik braucht
es Renditen, um am Leben zu bleiben. Doch
das ist nur das Pflichtprogramm. Entscheidend
ist die Kür. Um schließlich zu den großen Gewinnern zu zählen, gibt es nur einen einzigen Weg:
eine Lovemark (Kevin Roberts) zu werden. Eine Love­
mark ist eine (Arbeitgeber-)Marke, in die sich die Kunden
und die Mitarbeitenden verlieben können. Eine Lovemark ist Kult.
Die braucht sich nicht mithilfe teurer Werbung selbst zu erklären.
Weil ihre Fans das für sie tun. Die greift man auch nicht an. Weil
eine Phalanx von Fürsprechern sie vor allem Ungemach schützt.
Und das Ergebnis? Loyalität jenseits der Vernunft. Sobald das geschieht, wird die Konkurrenz bedeutungslos.
Touchpoints zwischen Mitarbeiter und
­Führungskraft
Die Arbeitsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren grund­
legend gewandelt. Sie sind globaler, digitaler und auch weiblicher
geworden – und all das auf hohem Niveau. Sie sind von einer neuen
Buntheit gekennzeichnet, kleinteiliger und vielschichtiger geworden und auch stärker nach außen vernetzt. Immer mehr Menschen
werden neben einer Festanstellung schon bald einen (Mini-)Zweitjob haben, in dem sie erwerbstätig sind. Oder sie werden zeitweilig
selbstständig sein. Die lebenslange Anstellung existiert nur noch in
den Geschichtsbüchern der Arbeitswissenschaft. Die Beschäftigten
Einblick
17
werden aus dem befriedeten Gelände der Firmengebäude in die
freie Wildbahn entlassen.
Neben einer Kernbelegschaft in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen gibt es zunehmend eine Zusammenarbeit ohne klassischen
Arbeitsvertrag: in Projekten, mit Freelancern, mit Zeitarbeitsfirmen, mit Interimsmanagern. Es gibt mehr befristete Arbeitsverträge, höhere Teilzeitquoten, mehr outgesourcte Bereiche wie auch
eine größere Zahl an mitarbeitenden Spezialisten, Zulieferern und
Businesspartnern. Der stationäre Arbeitsplatz und das eigene Büro
werden im Zuge dessen zurückgedrängt. Fernanwesenheit, eine
mobile Arbeitskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, virtuelle Teams
und das Home­office haben Hochkonjunktur.
In Zukunft wird vornehmlich für Denkleistung bezahlt. Gutes Wissen, das noch fehlt und kurzfristig verfügbar sein muss, wird über
Externe zugekauft. Man umgibt sich mit den jeweils besten Leuten für einen bestimmten Job. So werden Unternehmen zu
Drehkreuzen, zu Oasen für digitale Nomaden und von
»Kollaborateur-Satelliten« umkreist. Letzteres ist
auch der Grund, weshalb ich mich bei der Namensgebung für das In­strument, das Kern dieses Buches ist, für den Begriff »Collaborator«
entschieden habe. Kollaboration steht, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags,
Für Führungs­
für ein effizientes Miteinanderarbeiten. Der
karrieren kommen Kollaborateur im heutigen Sinne ist also ein
ausschließlich
auf konstruktive Weise Mitarbeitender.
Menschen­
spezialisten
Bei all dem werden Führungskräfte in Zu­infrage.
kunft vor ganz neue Herausforderungen gestellt: Die Oberen müssen lernen, auch die
neuen Arbeitsmodelle zu meistern, also nicht anwesende und nicht angestellte Mitarbeitende zu führen und so schnell wie möglich produktiv zu machen.
Ganz neue Touchpoints werden dabei entstehen. Alles wird
18
Das Touchpoint-Unternehmen
zunehmend modular organisiert. Anfallende Arbeitsaufträge werden mehr und mehr über Projekte gesteuert. Hierzu werden vor
allem Netzwerk-Organisatoren und projektleitende Moderatoren
benötigt. Macht- und Kontrollverlust ist eine unausbleibliche Folge. Ganz andere Führungsstile rücken nach vorn: Möglichmacher,
Katalysatoren und kundenfokussierte Leader werden von nun an
gebraucht. Und für Führungskarrieren kommen ausschließlich Menschenspezialisten infrage. Manche machen das auch schon ganz
ausgezeichnet. Den anderen ist die Führungslizenz zu entziehen.
Digital Natives: die »neuen« Mitarbeitenden
Digital Natives? Das sind die im Internet-Zeitalter aufgewachsenen
und durch digitale Medien sozialisierten nach 1980 Geborenen,
oft auch Millennials, Generation Y, Gen Y oder Ypsiloner genannt.
Sie prägen eine humanisierte Führungskultur und bringen die
Menschlichkeit in die Unternehmen zurück. Und sie schaffen die
Rahmenbedingungen für einen kollaborativen Managementstil.
Der Chef als Ansager und Aufpasser? Für sie ein Auslaufmodell.
Sie stehen für Autonomie und Gestaltungsraum, für Gleichrangigkeit und Selbstorganisation – und für das Teilen. Der Aufbau von
Herrschaftswissen ist ihnen fremd. Machtgelüste haben sie kaum.
Die klassischen Statussymbole reizen sie wenig. Bevormundungsmodelle sind gar nicht ihr Ding.
Diese Gen Y folgt – welch interessanter Zusammenhang – der
Theo­rie Y von Douglas McGregor, seinerzeit Managementprofessor am MIT.2 Das Y steht für die Hypothese vom grundsätzlich engagierten Mitarbeitenden, der durch befruchtendes, einfühlsames
Führen noch engagierter wird. »Schmusekurs« wird dieser Weg
von den harten Brocken genannt. Und die, die ihm folgen, werden als Betabuben, Warmduscher und Beckenrandschwimmer
verlacht. Denn da, wo mit der Brechstange gearbeitet wird, wo es
keine Kennzahlen für Achtsamkeit und Wertschätzung gibt, wo
Einblick
19
nur Maximal­ergebnisse zählen und Exceltabellen das
Sagen haben, ist für »weiche Faktoren« kein Platz.
Vielerorts wird immer noch derjenige (heimlich)
bewundert, der bereit ist, Unternehmenswerte
zu zerstören und Mitarbeiter zu opfern, um
kurzfristige Gewinnziele erreichen zu könDie Zeiten, in
nen. »Wer das nicht verträgt, der kann sich
­denen ­Mitarbeiter ja von unserem tollen betrieblichen Genichts als Spiel­
sundheitswesen wieder aufpäppeln lassen«,
figuren des
hat mir kürzlich so einer gesagt. Doch die
­Mana­gements
Zeiten, in denen Mitarbeiter nichts als Spiel­waren, sind
figuren des Managements waren, sind end­endgültig
gültig vorbei. Der Mitarbeiter 3.0 verlangt ein
vorbei.
ganz neues Führungsverständnis.
Denn die Social-Media-affine Smartphone-Elite hat
längst begonnen, eine ethischere Tätigkeitskultur zu entwickeln: werteorientiert, selbstbewusst, verspielt, autonom. Der versierte Umgang mit Onlinemedien ist ihr wichtigstes Kapital. Das
Meistern von Bits und Bytes nennt sie Arbyte (Peter Glaser). Die
Aussicht, bei einem Arbeitgeber wieder in die analoge Steinzeit
zurückzufallen, ist entsetzlich für sie. Wer kein passendes Arbeitsumfeld bieten kann, kommt für sie nicht in Betracht. Millennials
erwarten lebenswerte Büros und ein lockeres Miteinander, so wie
sie es aus ihrer vernetzten, digital transformierten Freizeit kennen.
Und wenn sie mehrere Jobangebote haben, entscheiden sie sich für
das mit dem Sinn-Plus. Diese Grundeinstellung befruchtet inzwischen den kompletten Arbeitsmarkt. Die Menschen wollen nicht
einfach nur noch mehr Geld verdienen. Sie wollen bei ihrer Arbeit
glücklich sein. Ein Dasein, bei dem Leben und Arbeit, wenn überhaupt, so einigermaßen in Balance ist, reicht ihnen nicht. Sie wollen, dass alles Berufliche zu einem befruchtenden und in hohem
Maße befriedigenden Teil ihres Lebens wird. Das wird das »New
Normal« sein. Ich nenne es Work-Life-Integrität.
20
Das Touchpoint-Unternehmen
Das interne Touchpoint-Management: ein
­Navi­gationssystem für den Unternehmenserfolg
Das interne Touchpoint-Management betrachtet die »Reise« eines Mitarbeitenden durch das Unternehmen und geht von dessen
Standpunkt aus. Es berücksichtigt die Anforderungen an unsere
neue Arbeitswelt. Und es ordnet deren zunehmende Komplexität
in ein Gesamtsystem.
Ziel des insgesamt vierstufigen Prozesses ist die Koordination aller
Berührungspunkte zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden,
um die Interaktionsqualität zu verbessern, inspirierende Arbeitsplatzbedingungen zu gestalten und – im Rahmen eines wertschätzenden Klimas – ansprechende Leistungsmöglichkeiten zu schaffen. Hierbei kann jede Interaktion als Chance genutzt werden, die
Exzellenz der Mitarbeitenden zu erhöhen, ihre emotionale Verbundenheit zum Unternehmen zu stärken und positive Mundpropaganda nach innen und außen auszulösen.
Dazu arbeitet die Führungsmannschaft abteilungsübergreifend
vernetzt und mit Blick auf den kontinuierlichen Wandel. Alle Mitarbeitenden werden auf das Wohlergehen der Kunden ausgerichtet. So erhöht die intensive Auseinandersetzung mit jedem einzelnen internen Touchpoint nicht nur die Mitarbeiterperformance, sie
führt auch zu einer Ressourcenoptimierung, zu Zeit- und Kosteneinsparungen, zu einer Stärkung der Arbeitgebermarke, zu einer
höheren Kundenloyalität, zur Neukundengewinnung durch Weiterempfehlungen und damit zu gesunden Erträgen. Am Ende des
Weges steht eine Organisation, die hocheffizient ist – und zutiefst
human.
Um alle skizzierten Themen nun zu vertiefen, habe ich das Buch in
drei Teile gegliedert:
Teil 1 zeigt mit Blick auf unsere sich zunehmend digitalisierende
Businesswelt, an welchen sieben internen Rahmenbedingungen
Einblick
21
vordringlich zu arbeiten ist, um wettbewerbsfähig die Zukunft erreichen zu können.
Teil 2 befasst sich mit der neuen Arbeitswelt und den »neuen« Mitarbeitenden, mit einer digitalitätsbasierten Mitarbeitertypologie,
mit der »neuen« Führungskraft und passenden Führungsstilen für
heute und morgen.
Teil 3 veranschaulicht den CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess. Detailliert wird gezeigt, wie im Rahmen dieses neuen Managementmodells die Interaktionspunkte zwischen
Mitarbeitenden, Führungsverantwortlichen und Arbeitgeber zu
strukturieren und zu gestalten sind. Und: Der interne TouchpointManager wird postuliert.
Dabei will dieses Buch mehr als nur zeigen, wohin die Reise geht.
Schlaue Bücher über die Zukunft gibt es genug. Doch in diesen
Umbruchzeiten wollen vorausschauende Unternehmer vor allem
eins: so viel Konkretes wie möglich, also Beispiele, Anregungen,
Hinweise und Tipps auf ihre brennende Frage »Und wie mach ich
das nun?«. Denn bekanntlich sollten Worten ja auch Taten folgen.
So schlägt dieses Buch die Brücke von der Metaebene der Strategie
zur tagtäglichen operativen Praxis. Was auch immer Sie davon auf
Ihre geschäftliche, berufliche und persönliche Reise mitnehmen
wollen: Zunächst wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen. Und
dann den denkbar größten Erfolg bei der Umsetzung. Schreiben
Sie mir doch bei Gelegenheit, wie es Ihnen damit ergangen ist. Ich
bin gespannt.
Ihre
Anne M. Schüller
Im goldenen Oktober 2013
22
Das Touchpoint-Unternehmen
Der CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess
© Anne M. Schüller
Ist
Soll
Aktion
Monitoring
Identifizieren
der Mitarbeiterkontaktpunkte
Was würden
die Mitarbeiter
denn wollen?
Planen von
relevanten
Maßnahmen
Erfolgskontrolle:
Wie war’s?
Analysieren
der jeweiligen
Ist-Situation
Was können /
müssen wir
zukünftig tun?
Umsetzung
prioritärer
Maßnahmen
Prozessoptimierung:
Was nun?
Abb. 4: Die vier Schritte des CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozesses
(Mitarbeiter-Kontaktpunkt-Management)
Drei Dinge, die ich noch sagen wollte:
1.Wenn ich hier über Führungskräfte, Mitarbeitende und Kunden
schreibe, sind natürlich immer Männer und Frauen gemeint.
Nur, wenn es den Unternehmen gelingt, das Beste ihrer männlichen Mitarbeitenden und das Beste ihrer weiblichen Mitarbeitenden optimal zusammenzuführen, ist wahre Exzellenz und
damit die Zukunft zu schaffen.
2.Durch die zunehmende Globalisierung sind Anglizismen verstärkt in die Wirtschaftswelt vorgedrungen – ob man das will
oder nicht. Dort wo ich weniger gebräuchliche englische Worte
benutze, habe ich sie ins Deutsche übertragen. Falls mir das einmal nicht gelungen sein sollte, schreiben Sie mir.
3.Den CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess, dessen Erfinderin ich bin, habe ich im letzten Teil meines Bestsellers
Touchpoints bereits ansatzweise vorgestellt. In diesem Buch habe
ich dieses Konzept auf vielfachen Wunsch hin vertieft und maßgeblich erweitert. Unverzichtbare Aussagen habe ich hier noch
einmal zitiert. Mehr zum Thema Kunde und alles zum Kundenkontaktpunkt-Management wartet in Touchpoints auf Sie.
Einblick
23
Teil 1
Unter­
nehme­r ische
Rahmen­
bedingungen
für ­u nsere
neue ­B usiness­w elt
Die sieben Schlüsselaufgaben
für morgen
Etwas Großes ist im Gange. Es wird ein neues Spiel gespielt. Und
Chancen werden neu verteilt. Wir stecken mittendrin im größten
Change-Prozess aller Zeiten. Doch wir bemerken es kaum, weil
wir so sehr mit dem Augenblick beschäftigt sind. Dabei ist ein paradigmatischer Wandel der Lebens-, Kauf- und Arbeitsstile längst
unübersehbar. Mutige neue Anbieter mit ihren frischen, frechen
Ideen treiben den Markt mit atemberaubender Geschwindigkeit
voran. Alles wird immer schneller alt. Jeden Tag wird die Welt ein
wenig digitaler. Und komplexer. Und auch sozialer.
Die Menschen rücken näher zusammen, die Solidarität wächst. Der
Ton wird informeller, die Kommunikation direkter. Statt »Haben«
spielt »Sein« eine größere Rolle. Eine Entwicklung vom Ich zum
Wir zeichnet sich ab; statt Abgrenzung rückt Teilhabe nach vorn.
Ein riesiger Demokratisierungsprozess ist die Folge. Wissen schlägt
Macht. Nicht der Shareholder-Value, sondern die Kundenwünsche
steuern heute die Unternehmen. Und eine neue Form von Verbundenheit, die fünfte Loyalität nenne ich sie (und erkläre das später),
ist im Kommen. Virtuelle Netzwerke sind die Auffangbecken für
erodierende klassische Sozialstrukturen – und Geburtshelfer für
eine neue Kultur des physischen Miteinanders. Die Digital N
­ atives
sind ihre Protagonisten.
Diese Zeitenwende betrifft nicht nur den Einzelnen als Mitglied einer Gemeinschaft sowie die Gesellschaft als Ganzes. Sie betrifft die
Wirtschaft gleichermaßen und – spiegelbildlich betrachtet – auch
das Innenleben einer Organisation. Die wichtigsten Schlagworte
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
27
heißen: öffnen, verflachen, verbreitern. Dabei
werden »weiche Faktoren«, die sich in der Reputation eines Unternehmens manifestieren,
Die Reputation
fortan von ausschlaggebender Bedeutung
wird zu einem
sein. Und die Reputation selbst wird zu eientscheidenden
nem wesentlichen Bestandteil des UnterErfolgsfaktor.
nehmenswerts.
Doch Reputation kann – im Gegensatz zum
Image – nicht einseitig von den Anbietern
gesteuert werden. Denn Reputation entsteht
nicht durch das, was man selbst über sich sagt,
sondern durch das, was Dritte denken und sagen.
Kontrolle findet nunmehr öffentlich statt. Wo ein
Empörungswille ist, schlägt dieser schnell Wellen. Unternehmenslügen werden ruckzuck in Shitstorms verwandelt. So
sorgt die Weisheit der Vielen dafür, dass sich die Spreu vom Weizen
trennt. Und das Böse wird zunehmend aussortiert: Im Web läuft
das größte Empfehlungsprogramm aller Zeiten.
Ein solches Szenario kann nicht länger mit verkalkten Konzepten
aus prädigitalen Wirtschaftszeiten gemeistert werden. Was die Unternehmen am meisten lähmt, sind zu viel Management – und zu
wenig Mitarbeiterfokus, zu viel Hierarchie – und zu wenig Kollaboration, zu viel Regelkorsett – und zu wenig Möglichkeitsraum,
zu viel Zahlenwerk – und zu wenig Emotionalität, zu viel Selbstgefälligkeit – und viel zu wenig Kundenliebe.
Um für die neue Businesswelt fit zu sein, muss es genau umgekehrt
laufen:
28
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Mehr
Weniger
Mitarbeiterfokus
Management
Kollaboration
Hierarchie
Möglichkeitsräume
Regelkorsetts
Emotionalität
Zahlenwerk
Kundenliebe
Selbstgefälligkeit
Ein zaghaftes Auffrischen von Bestehendem reicht dabei nicht aus.
Eine Neuausrichtung ist vielmehr gefragt. Vieles muss einer schöpferischen Unruhe und manches einer schöpferischen Zerstörung
(Joseph Schumpeter) preisgegeben werden, um Raum für Neues,
Passenderes zu schaffen und sich für den Wettbewerb der Zukunft
zu rüsten. Weitermachen wie bisher ist keine Option. Ein Neustart
ist angesagt. Noch vor den technologischen und produktbasierten
Innovationen sind zuallererst Managementinnovationen dringend
vonnöten. Nur zu. Die Spielregeln werden nie mehr die alten sein.
Sieben Schlüsselaufgaben sind dabei in Angriff zu nehmen:
{{ Schwarmintelligenz integrieren
{{ Kollaborative Strukturen implementieren
{{ Gefühlte Hierarchien reduzieren
{{ Regelwerke dezimieren
{{ Silodenke demontieren
{{ Sich digital transformieren
{{ Den Kundenfokus forcieren
Mit diesen Aufgaben wollen wir uns nun detaillierter befassen. Sie
sind das Fundament, auf das die Mitarbeiterführung in neuen Businesszeiten baut.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
29
Schwarmintelligenz integrieren
Die Digital Natives und die Start-up-Gründer unter ihnen sind in
einer digital vernetzten Lebenswelt groß geworden. Sie bewegen
sich ständig in Schwärmen, die in den Weiten des Webs ihre Heimat haben. Damit sind sie etablierten Unternehmen um Meilen
voraus. Wollen Letztere nicht den Anschluss verlieren, müssen sie
baldigst verstehen lernen, wie soziale Netzwerke effektiv funktio­
nieren und wie sich Schwarmintelligenz erfolgswirksam nutzen
lässt. Unter Schwarmintelligenz versteht man die Weisheit der Vielen, eine sich mehr oder weniger selbst organisierende kollektive
Intelligenz, die jenseits von Administration und Bürokratie eine
Vielfalt von innovativen Ideen hervorbringen kann.
Natürlich ist, um Innovationen im Sinne echter Durchbrüche zu
erzielen, zudem die Expertise von Spezialisten vonnöten. Und bisweilen braucht es die strategische Hand eines energischen Chefs.
Doch einsame Entscheidungen können auch leicht in den Abgrund
führen. Tödlich für die Innovationskraft einer Organisation ist es
indes, wenn alles wie erstarrt auf das Brüllen des Silberrückens
harrt. Klar, auch in Netzwerken gibt es Autoritäten, denen man
folgt. Doch den blinden Gehorsam, der in geschlossenen Organisa­
tionen immer noch ausgeprägt ist, den gibt es hier nicht. Leadership-Kunst wird zukünftig heißen, positive Leittiereffekte und
Mitarbeiter-Schwarmintelligenz zielführend zu kombinieren – und
ein Miteinander zu finden, das auch die Kunden in alle Stufen der
Wertschöpfungskette aktiv integriert.
Bereits vor Jahren hat der Soziologe James Surowiecki in seinem
Weltbestseller The Wisdom of the Crowds anhand vieler Beispiele gezeigt, dass eine Gruppe in aller Regel »klüger ist als ihr gescheitestes Mitglied«. Allerdings nur dann, wenn ihre Zusammensetzung
inhomogen ist. Denn homogene Gruppen, also solche mit gleichartigen Mitgliedern, neigen zur Konformität, zum Konsens, zum Griff
nach Routinen – und nur selten zum Erkunden von Neuem. Der
Zugewinn einer inhomogenen Gruppe ergibt sich aus den unter-
30
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
schiedlichen Denkweisen ihrer Mitglieder und einer damit verbundenen Experimentierfreudigkeit. Kluge Entscheidungen kann die
Gruppe aber immer nur dann treffen, wenn sie in ihrer Meinungsbildung unabhängig ist, wenn jeder Teilnehmer Zugang zu allem
entscheidungsrelevanten Wissen hat und wenn er seine Meinung
frei äußern kann. Ferner muss sich die Gruppe auch treffen können – virtuell und real.
Digitalisierung begünstigt das Schwärmen
Skype, Wikis, Blogs, Apps, Activity-Streams und DokumentenSharing: Diese und viele weitere Webtools haben die Zusammenarbeit von realen Orten entkoppelt und ein virtuelles »Ausschwärmen« möglich gemacht. Allerdings wird zunehmend erkannt, dass
Menschen am allerbesten zusammenwirken, wenn sie sich sehen
können. Warum das so ist? Die wahre Gesinnung zeigt sich in Gestik und Mimik. Die meisten von uns haben ein gutes Intuitions­
radar für richtig und falsch. Entsprechende Signale können aber
nur dann entschlüsselt werden, wenn man sich physisch nahe ist.
Doch auch dafür stehen digitale Lösungen parat. Videokonferenzen gibt es schon. Membrane Wände, die wie Touchscreens funktionieren und per Fingerwisch – wie bei einem Touchscreen am
Tablet-PC – den Weg ins Internet bahnen, sind im Kommen. Und
schon bald werden wir unseren Schwarmmitgliedern als 3-D-Telepräsenz oder als Hologramm3 in Lebensgröße erscheinen können.
Darauf warten müssen wir allerdings nicht. Führungskräfte können schon jetzt »eine Reihe von Voraussetzungen schaffen, damit
sich Schwarmintelligenz zügig entfalten kann«, schreibt Jochen
May in seinem Buch Schwarmintelligenz in Unternehmen.4 Er nennt
diese drei:
{{ Informationsfluss: Kompetenzvernetzung erfordert, dass jedes
Schwarmmitglied jederzeit über alle notwendigen Informatio-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
31
nen verfügt. Zugleich muss sichergestellt sein, dass man seine
Zeit nicht mit unnützem Informationsmüll vergeudet.
{{ Innovationsdruck: Hierzu müssen Instrumente verfügbar sein,
mit deren Hilfe die nutzwertigen Ideen einzelner Schwarm­
mitglieder aufgegriffen, gesichert und bei Bedarf zügig
­um­gesetzt werden. Einige davon werden wir weiter hinten
­kennenlernen.
{{ Verhaltensabstimmung: Die schwarmimmanente Meinungs­vielfalt
ist so zu kanalisieren, dass man sich autoritätsfrei auf ein einheitliches Vorgehen einigen kann. Denn in aller Regel stört
­Hierarchie den Schwarm, anstatt ihm zu dienen.
Allerdings muss die Basis für die Entwicklung von Schwarmintelligenz in vielen Fällen überhaupt erst gelegt werden. Institutionalisierte Informationskaskaden und sorgsam gepflegte Entscheidungsmonopole, die vor allem dem Machterhalt dienen, sind dabei
nur hinderlich. Und natürlich müssen die Mitarbeiter zu einem
schwarmintelligenten Verhalten befähigt werden, denn die damit verbundene Ergebnisverantwortung kann Ängste schüren. Es
braucht also Mut, etwas Zeit und Geduld. Auf Knopfdruck funk­
tioniert so was nicht.
Um gut voranzukommen, sind umfangreiche Freiheitsgrade, kurze
Entscheidungswege, ein Höchstmaß an Flexibilität und eine kollaborative Vernetzung vonnöten. Lineare Strukturen sind dazu wenig geeignet. Weil diese nämlich nur in eine Richtung zeigen, verbauen sie den Blick auf andere, womöglich bessere Wege zum Ziel.
Wenn, so wie jetzt, die Komplexität zunehmend steigt, sind sich
selbst organisierende Strukturen viel tauglicher. Bestes Beispiel dafür ist das erfolgreichste Businessmodell aller Zeiten, die Mutter der
Digitalisierung: das Internet.
32
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Das Internet hat keinen Boss
Im Internet vernetzen sich die Menschen zu Schwärmen, die mal
in die eine und mal in die andere Richtung ziehen, immer auf der
Suche nach Neuem, Anderem, Besserem. Dabei geht es nicht nur
um eine Vernetzung von Daten, sondern auch um die Vernetzung
von Wissen. Wie das funktioniert? Im Social Web ist dies ein sich
selbst steuernder Prozess, der sich über Plattformen, Portale und
soziale Netzwerke organisiert. Viele sollen etwas davon haben,
nicht wenige alles. Das Crowdfunding, manchmal auch Schwarmfinanzierung genannt, ist ein interessantes Beispiel dafür. Hierunter versteht man die Finanzierung förderungswürdiger Projekte
durch eine große Zahl von Kapitalgebern mit kleinen Mitteln über
Plattformen wie Startnext, Kickstarter & Co. Solche Formen des
Teilens werden durch webbasierte Technologien erleichtert beziehungsweise überhaupt erst möglich gemacht.
Auch das menschliche Gehirn funktioniert ohne Boss. Dessen zerebrale Verschaltungen laufen über Knotenpunkte, etwa 20 an der
Zahl. So kann es auf mehr als einem Weg zu guten Ergebnissen
kommen – und die Kapazität, zu lernen und qualitativen Output
zu liefern, ist nahezu unerschöpflich. Doch was nicht benutzt wird,
verwildert. »Use it or lose it« heißt das Prinzip. Beim Wissen ist es
genauso. Es multipliziert sich bekanntlich, wenn man es teilt. Und
es verflüchtigt sich, wenn man es hortet. Wenn sich Wissen aber
vernetzt, kann dies an die erstaunlichsten Zielpunkte führen. So
steigt zum Beispiel die Innovationskraft mit der Anzahl gleichberechtigt involvierter Personen. Und damit wiederum steigt auch
die Chance auf den sogenannten Serendipitätseffekt: das Stolpern
über glückliche Zufälle, das durch eine Beteiligung vieler begünstigt wird.
Deshalb brauchen Unternehmen im Touchpoint-Management auch
keine solchen Consultants, die ihre »exklusiven« Weisheiten über
monolithische Führungsspitzen einschleusen, um sie dann herun­
terschwappen zu lassen. Vielmehr brauchen sie Knotenpunkte, die
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
33
Pyramidale
als Weichensteller für optimale Verschaltun­gen
Top-down-Or­
sorgen. Und sie brauchen (externe) Inputganigramme sind Bringer, die als Katalysatoren fungieren, um
ein reines Selbst­
die kollektive Intelligenz der besten Ratverherrlichungs­
geber zu wecken, die es da draußen gibt:
programm der
die eigenen Mitarbeiter und die sozial verFührungsspitze.
netzten Kunden. Überall im U
­ nternehmen
müssen »Möglichkeitsräume mit Innova­
tionspflicht« geschaffen werden, in denen eigeninitiatives und selbstverantwortliches Handeln den Vorzug vor Direktiven erhält.
Kollaborative Strukturen ­
implementieren
Kollaboration heißt miteinander statt gegeneinander – über alle
Abteilungsgrenzen hinweg. Wir brauchen inspirierende Freunde,
verlässliche Verbündete und helfende Weggefährten in einer sich
zunehmend vernetzenden Welt. »Überkreuzbefruchtung« wird
das bei Apple genannt. Wenn Unternehmensorganisationen hingegen auf Konkurrenz statt auf Kollaboration aufgebaut sind, dann
werden »die anderen« zwangsläufig als Wettbewerber, wenn nicht
gar als Feinde gesehen. Man schottet sich ab, gibt falsche Informationen weiter, verweigert Hilfe unter fadenscheinigen Gründen und lässt vermeintliche Gegenspieler ins offene Messer laufen. Nur damit diese keinen Vorsprung gewinnen. Jeder kämpft
um das fetteste Stück vom Ressourcenkuchen, um den nächsten
Karriere­schritt – und um Status natürlich auch. Appelle zur Zusammenarbeit bringen rein gar nichts, solange solche Systeme
durch Rennlisten, eingleisige Incentive-Programme und Profitcenter-Denke auf Trab gehalten werden.
34
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Ein flottes, reibungsloses Zusammenspiel der internen Leistungskette verlangt, von Ressortdenken und innerbetrieblichen Rivalitäten endlich Abschied zu nehmen. Denn dies fördert nur den Abteilungsegoismus und dient nicht dem Kunden. Der merkt jedenfalls
sehr schnell, wenn ein Unternehmen nicht wie aus einem Guss
funktioniert. Das Gestrüpp aus Standards und Normen muss ausgedünnt, der verfilzte Zuständigkeitsrasen vertikutiert und das innenpolitische Machtgefälle eingedämmt werden. Leitbilder müssen
neu gedacht und Organisationsstrukturen umgebaut werden. Zum
Beispiel hat bis heute kaum ein Unternehmen, das sich Kunden­
orientierung in großen Lettern auf die Fahnen schreibt, den Kunden überhaupt im Organigramm. Wer aber von »Customer Centricity« spricht, den Kunden also in den Mittelpunkt stellt, der muss
dies auch optisch sichtbar machen. Und zwar in Form eines kundenzentrierten Beziehungsnetzwerks.
Pyramidale Top-down-Organigramme hingegen sind ein reines
Selbstverherrlichungsprogramm der Führungsspitze. Sie konzentrieren sich auf Macht und nicht auf den Markt. Sie zementieren
Hierarchiedenke, Starrheit und Konformität. Formal in Reih und
Glied aufgestellte Organisationsmitglieder sind wie die Monokulturen in unseren Wäldern: ungesund und auf Dauer nicht überlebensfähig. Solche mehr oder weniger toten Ordnungssysteme
haben im digitalen Sturm nicht den Hauch einer Chance. Bringen
Sie deshalb Lebendigkeit in die Bude! Und Schwarmintelligenz in
Ihr Organigramm! Lassen Sie Ihre Leute aus den Kästchen frei!
Machen Sie aus eckig und kantig rund und bunt! Scharen Sie Ihre
Leute um Kundengruppen und um Kundenprojekte. So bilden Sie
moderne Netzwerke nach. Und wissen Sie was: Netzwerkstrukturen gibt es in jedem Unternehmen bereits. Es sind die höchst lebendigen inoffiziellen Beziehungsnetze. Sie sind die wahren Machtstrukturen jeder Organisation.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
35
Hybride Organisationen bevorzugt
In Netzwerken gibt es kein oben und unten. Und schon gar keine
auffälligen Hierarchien. Die dort gängige Kultur des Teilens lässt
Abgrenzungen kaum zu. »Meins« und »deins« rücken
­enger zusammen und vermischen sich. Netzwerke
sind dezentral organisiert, sie sind schnell, anpassungsfähig und flexibel. Und sie sind ein Brutkasten für Kreativität. Im unternehmerischen
Leben jedoch können Strukturen, in denen
alles sich selbst überlassen wird, auch schon
Zu empfehlen:
mal im kreativen Chaos versinken. In solso viel Schwarm­
chen Fällen schaffen Führungssysteme Ordintelligenz wie
nung und sichern Funktionsfähig­keit. Denmöglich und nur
ken wir nur mal an die Feuerwehr. Wenn
so viel Hierarchie
es brennt, muss alles auf Kommandos hören
wie unbedingt
und akkurat nach einem vorgegebenen Plan
nötig.
funktionieren. Wenn dann der Einsatz vorüber
ist, sollte der Chef mit seiner Truppe zusammen
sondieren, wie man das Ganze beim nächsten Mal
noch weiter optimieren kann. So viel Schwarmintelligenz wie möglich und nur so viel Hierarchie wie unbedingt
nötig, das scheint mir ein praktikables Modell zu sein. Hybrid werden solche Organisationen genannt. Sie verbinden das Beste aus
beiden Welten.
Ein Erfolgsbeispiel für ein hybrides System, das Kollaboration, also
die Weisheit der Vielen, mit hierarchischen Strukturen verknüpft?
Das ist Google, 1998 gegründet, 2013 nach Apple die zweitwertvollste Marke der Welt.5 Google hat eine minimale Hierarchie, ein
breites Netzwerk kleiner, selbstständig agierender lateraler (Entwicklungs-)Hochleistungsteams, ein verspieltes Arbeitsumfeld und
eine Philosophie, die von den Mitarbeitern verlangt, immer zuerst
an den Nutzer zu denken. Doch nicht nur das Unternehmen selbst,
auch sein Suchmaschinen-Konzept ist hybrid. Wenn Sie welchen
Begriff auch immer in die Suchzeile eingeben, fordert Google so-
36
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
zusagen das gesamte World Wide Web auf, zu entscheiden, welche
Informationen die nützlichsten sind. Diese landen dann in etwa
0,2 Sekunden auf der Trefferliste an vorderster Stelle. Dabei zählt
aber nicht jede Stimme, also jeder Link, von dritten Websites gleichermaßen. Seiten, die selbst von Bedeutung sind, sprich »Website
Authority« besitzen, haben größeres Gewicht und tragen dazu bei,
andere Seiten bedeutsam zu machen.
Organigramme – ganz neu gebaut
Weil also ein wenig Autorität hie und da notwendig und sinnvoll
ist, zeichne ich Organigramme nicht kreisrund, sondern oval. Jedes
Oval bietet dem Leittier die Möglichkeit, sich in das gleichmachende Rund eines Netzwerks zu integrieren und dennoch – an der
breiten, nicht an der hohen Seite – einen hervorgehobenen Platz
einzunehmen. Diese Konstellation passt übrigens auch für Konferenzraum und Sitzungszimmer sehr gut. Und genau wie im Organigramm geben Sie dort den Kunden (symbolisch) einen Platz in der
Mitte. Wie das konkret geht? Platzieren Sie Laptops mit Kundenporträts im Vollbildmodus. Oder fragen Sie Ihre Leute. Irgendwer
hat immer eine Idee.
Im Organigramm wie auch im Boardroom gibt der Chef denen, die
ihm besonders wichtig sind, die Positionen rechts und links von
ihm selbst. Das sollten – im Gegensatz zur heutigen Praxis – ganz
klar die Marketing-, Vertriebs- und HR-Verantwortlichen sein.
Denn sie kümmern sich um das wertvollste Vermögen eines Unternehmens: hochengagierte Mitarbeitende und hochloyale Kunden.
Auf diese Weise wird dann auch alles unternommen, was unternommen werden kann, um die Wertschöpfung zu steigern. Haben
hingegen Finance & Controlling das Sagen, wird alles unterlassen,
was unterlassen werden kann mit dem Ziel, Kosten zu sparen. Und
entseelte Zahlen erlangen die Macht. Doch Menschen über Zahlen
steuern zu wollen, ist immer nur die zweitbeste Wahl. Gute Gefühle stehen an erster Stelle.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
37
COLL
COLL
CEO
Marketing
HR
COLL
Finance
© Anne M. Schüller
COLL
COLL
Vertrieb
Kunden
COLL
Einkauf
F&F
IT
COLL
COLL
Abb. 5: Beispielbild eines Organigramms, in dem jeder netzwerkartig und offen mit
jedem kollaboriert, um den Interessen des Kunden zu dienen (die kleinen Kreise in
den großen stehen für die selbstbestimmten Mitarbeiter, die Kreise im Außenrund für
­mitarbeitende externe Kollaborateure)
Wenn Sie nun den Umbau lostreten wollen, dann mein Appell:
Sie brauchen ein Bild! Kein schriftliches Leitbild, nein, das ist
Kommunikationsprosa für die Firmenwebsite, zumal die LeitbildGlaubwürdigkeit meist längst zerlegt worden ist. Sie brauchen ein
echtes, visuelles Abbild, wie Sie – weit weg von Top-down-Strukturen – Ihre Organisation in Zukunft aufstellen wollen. Erst wenn
die Menschen ein Bild vor Augen haben, können sie sich auch eine
Vorstellung machen – und dann dementsprechend agieren. Nachdem Konsens darüber besteht, wie wertvoll Schwarmintelligenz
ist, kann das neue Organigramm dann der Startpunkt für den Aufbau eines Touchpoint-Unternehmens sein. Wie dieses Bild im Einzelnen aussehen kann, das ist von Fall zu Fall verschieden. Jürgen
38
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
und Holger Fuchs bieten in ihrem Buch Schluss mit Hierarchie eine
Darstellung an, bei der sich die Führung, die Mitarbeiter und die
Kunden auf einer horizontalen Ebene bewegen.6 In einem früheren Buch habe ich einmal ein Organigramm in Form eines Baums
vorgeschlagen: die Führung als Basis und Stamm, die Mitarbeiter
als Blattwerk und die Kunden als Früchte der gemeinsamen Arbeit,
die den Samen für neue Kunden schon in sich tragen.
Egal, wie Ihr Bild am Ende auch aussehen mag, ein solcher Ansatz tritt dann hoffentlich die richtigen Fragen
los: Was bedeutet das alles für uns? Was wollen
und müssen wir organisatorisch, hierarchisch,
menschlich verändern, damit sich dieses Bild
nun mit Leben füllt? Wie können wir uns
Lassen Sie Ihre
abteilungs- und hierar­
chieübergreifend in
Leute »fliegen«,
Schwärmen organisieren, die schnell und
damit sie sich
wendig aufblitzende Marktchancen er­entfalten können.
kennen und ertragbringend nutzen? Welche neue Art von Führung wird dazu gebraucht? Und sollten wir unsere Teams gar
als Schwärme bezeichnen, die ähnlich wie
­Vogelschwärme effizient und sicher ihre Reiseziele erreichen? Von Vogelflug-Formationen
kann man übrigens einiges lernen. Zumindest mal
dies: Lassen Sie Ihre Leute »fliegen«, damit sie sich
entfalten können.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
39
Gefühlte Hierarchien reduzieren
Treffen sich zwei Menschen, dann werden sie – und das passiert
völlig unbewusst – zunächst ihren Status sondieren: Ist der andere
mächtiger, attraktiver, einflussreicher, intelligenter und wohlhabender oder dümmer und ärmer als ich? Ist er in der Lage, mir die
Frau / den Mann wegzunehmen? Wie hoch ist sein gesellschaftliches Ansehen? Bedroht er mein Territorium oder meinen Arbeitsplatz? Woran erkenne ich, ob er über oder unter mir steht? Meist
verläuft ein solcher Statusabgleich auf subtile Weise und ist kaum
wahrnehmbar: durch die Form des Begrüßungsrituals, die Inten­
sität des Blickkontakts, das Ausladende in der Gestik, den Anteil an
Redezeit. Hohe Stimmlagen bezeugen Ergebenheit, der »Brustton
der Überzeugung« beansprucht Respekt. Bässe verdienen im Job
übrigens durchschnittlich mehr als Tenöre. Piepsige Stimmen, sagt
sich unser Gehirn, wollen nur spielen, strenge Gesichter und sonore Stimmen meinen es ernst.
Hochstatus weist an, ohne zu fragen. Niederstatus hört zu, ohne etwas zu sagen. Und wenn »Niedere« reden, sind deren Hinweise irrelevant. Obere benötigen Zeichen der Macht und gleichfalls
Zeichen der Ergebenheit, um sich ihrer Statushoheit
jederzeit sicher zu sein. Zur Unterwerfung gehören
eine leise Stimme, ein ausweichender Blick, ein
Es gibt eine
seitlich geneigter Kopf, das Sich-klein-Machen,
helle und eine
ein unterwürfiges Lächeln, eine zaghafte Entdunkle Seite der
schuldigung. Solche Gesten erzeugen BeißMacht. Sie macht
hemmung. Untersuchungen haben gezeigt,
die Guten besser
dass beim Sieger eines Kampfes dessen Tesund die Schlech­
tosteronspiegel weiter steigt, während er
ten schlechter.
beim Unterlegenen sofort in den Keller geht.
Damit Gruppen handlungsfähig bleiben, gibt
es diesen Unterwürfigkeitsautomatismus –
auch heute noch. Erst wenn die Statusfrage
geklärt ist, kehrt Ruhe ein. Und erst dann kann
man sich um Sachthemen kümmern.
40
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Natürlich brauchen Gemeinschaften gemäßigte Ordnungssysteme und unvermeidliche Hierarchien. Aber sie brauchen keinen
Wasserkopf. Hierarchieausdünnung als buchhalterischer Trick, um
Kosten zu sparen und den Druck zu erhöhen, ist auch nicht mein
Ding. Mir geht es hier vor allem um die gefühlte Hierarchie, die
Hierarchie im Kopf und ihre gefährlichen Folgen. Entscheidende
Fragen sind die: Wie wird Hierarchie bei Ihnen gelebt? Oben Klasse, unten Masse? Wie viele rein formelle Statussymbole, die sogenannten Krücken der Macht, gibt es noch? Welche verbalen und
nichtverbalen Überlegenheitszeichen werden wie zelebriert? Und
von wem? Werden Unterwürfigkeitssignale rechtzeitig erkannt?
Und wie wird damit umgegangen? Wer spielt immer noch Herr und
Knecht? Mit welchen Folgen? Und Achtung dabei: Diejenigen, die
das tun, tun es geschickt, und sie wählen ihre Worte trefflich, denn
sie sind ja seminarerfahren. Doch ihre Einstellung, die spürt man
auch zwischen den Zeilen. Am Ende läuft das alles auf eine Frage
hinaus: Wie wird bei Ihnen mit Macht umgegangen?
Wer Machtansprüche rein durch Hierarchie sichern will, riskiert
(heimlichen) Widerspruch. Gerade von den Digital Natives wird
Autorität erst dann anerkannt, wenn sie durch Taten gerechtfertigt ist. Institutionalisierte Autorität »von Amts wegen« wird sofort
hinterfragt. Und die klassischen Statussymbole haben viel von ihrer Strahlkraft verloren. Eine junge Freundin von mir, der Rangmerkmale nicht so wichtig waren, hatte sich entschlossen, nach
ihrer Beförderung in eine leitende Position weiter ihr schickes Cabrio statt eines fetten Dienstwagens zu fahren. Schon bald wurde
sie von ihren Mitarbeitern gebeten, sie möge sich doch bitte das ihr
zustehende Fahrzeug zulegen, weil die ganze Abteilung in den Augen der anderen schon als minderwertig galt. In dieser Firma wurde Hierarchie noch immer über Quadratmeter Bürofläche, Länge
der Fensterfront, Anzahl der Blumentöpfe und über den fahrbaren
Untersatz definiert. Doch solches Machtgeplänkel ist gefährlich. Es
kostet Zeit und belastet das Klima.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
41
Macht an sich ist ja weder gut noch böse. Es kommt vielmehr darauf
an, wie man sie nutzt. Es gibt nämlich eine helle und eine dunkle
Seite der Macht. Sie macht die Guten besser und die Schlechten
schlechter. Der Grat ist schmal und die Verlockungen sind riesig.
»Dem ist sein neuer Job zu Kopf gestiegen«, sagt der Volksmund
dazu. Wie recht der hat! Hirnforscher berichten von einem sich
verändernden Hormongemenge, vor allem der Testosteronspiegel
steigt. Man wird zu einer High-T-Person, vielleicht sogar zu einer aus der »dunklen Triade« von Psychopathen, Narzissten und
Machiavellisten. Die möglichen Folgen: Skrupellosigkeit, übersteigertes Geltungsbedürfnis, Positionengeschacher und Selbstbedienungsmentalität. Die Company wird umgebaut, um den Investoren zu imponieren, der Wirtschaftspresse zu gefallen und Boni
einzuheimsen, ganz unabhängig davon, ob dies unternehmerisch
sinnvoll ist und dem Wohl aller dient.
Die Machtdroge Testosteron dämpft auch Empathie, was früher im
Einzelfall sinnvoll war, denn im Kampf musste man notfalls töten
können. Ganz klar kann Testosteron auch ein wunderbarer Antreiber sein, es sorgt für Wachstum und Fortschritt und bringt uns
mächtig voran. Doch in den falschen Hirnen ist es ein Teufelszeug.
Es befeuert Eskalation, lässt über zulässige Grenzen springen und
fabriziert den gefürchteten Tunnelblick. Höllisch aufpassen muss
also jeder, der Macht erlangt, denn Macht verändert die Persönlichkeit. Der zunehmend sorglose Umgang mit Machtbefugnissen
führt zur blinden Selbstüberschätzung, zu Gewissenlosigkeit, zu
pathologischem Größenwahn und womöglich in die Kriminalität.
Soziale Kompetenzen verkümmern. Gefühlskälte setzt ein. Und die
selbstkritische Einsicht versiegt. Oft ist niemand mehr da, der nach
Einhalt ruft. Denn Autoritätshörigkeit verbietet Widerworte. Übrigens besteht eine enge Beziehung zwischen einem beruflichen
Aufstieg und dem Verschweigen von Fehlern und Schwierigkeiten
gegenüber dem Chef.
42
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Macht und Angst sind ein Paar
Wo Macht ist, ist immer auch Angst. Die
Angst derer, die nach oben drängen, ist es,
Wo Angst
den Anschluss zu verpassen. Und die Angst
regiert, hat
derer, die schon oben angekommen sind, ist
­Kreativität
es, die mit Macht einhergehenden Privile­
keine Chance.
gien wieder zu verlieren. So kommt es, dass
Machtbesessene ihren Zuständigkeitsbereich
hermetisch abriegeln, im Silodenken verharren und ihr Wissen wie einen Schatz hüten,
anstatt es zu teilen. Verstehen sich Führungs­elite
und Belegschaft als »wir da oben« gegen »die da
unten«, dann ist der Bruch vorprogrammiert. Zwischenmenschliche Kälte ist in einem solchen Kontext noch
das kleinere Übel. Vor allem werden in großem Stil menschliche
Ressourcen verschwendet, denn es baut sich ein Szenario aus Drohungen, Intrigen, Missgunst und Kontrollwahn auf. Der Fokus ist
nach innen gerichtet. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Für Kunden bleibt da wenig Zeit. Das Ärgste: Wo Angst regiert, hat Kreativität keine Chance.
Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Das Denken gegen die Regel gehört zu den maßgeblichsten Erfolgsfaktoren, um
sich von Durchschnitt und Mittelmaß abzuheben. Denn Mittelmaß
will niemand mehr kaufen. Aber wie bitte soll Außergewöhnliches,
ja geradezu Einzigartiges entstehen, wenn stromlinienförmige Mitarbeiter und eine maultote Meute von Mitläufern ein Unternehmen bevölkern? Und alle immer nur abwartend nach oben schauen, anstatt nach draußen zum Kunden? Das Machtwort des Chefs
lässt wertvolle Initiativen einfach versanden. Die guten Mitarbeiter
mit hohem Potenzial lernen auf diese Weise, dass ihre Meinung
nicht zählt. Und sie wandern in Scharen ab.
Führungskräfte täten also gut daran, ihr Hierarchiegehabe auf ein
Minimum zu reduzieren und den gefühlten sozialen Abstand zwi-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
43
schen sich und ihren Leuten zu mäßigen. Da kann es schon helfen,
die Mitarbeiter regelmäßig besuchen zu gehen, statt sie im eigenen Büro antanzen zu lassen. Dies ist ein Baustein von vielen, um
das Ungleichgewicht so klein wie möglich zu halten. Das schaffen allerdings nur gefestigte Individuen mit natürlicher Autorität
und funkelndem Charisma: mitarbeiternahe, souveräne, integre
Führungspersönlichkeiten. Sie werden von ihren Leuten verehrt,
selbst wenn sie kleine Schwächen haben. Für sie geht man bis ans
Ende der Welt.
Wie sich Hierarchie zurückbauen lässt
Hierarchie manifestiert sich zum Beispiel über die Kleiderordnung. So sieht eine Krawatte bei genauer Betrachtung aus wie ein
Schwert. Unser Unterbewusstsein liest solche Symbole wie Signale
aus. Interessanterweise wird, sobald es ernst und geschäftlich wird,
eine Krawatte angelegt. Ist das Klären der Vertragsbestandteile
vorbei und der Sieg eingefahren, macht man sich sogleich wieder ­locker, der Griff geht zum Krawattenknoten. Und dort, wo um
große Beute gerungen wird, in den Zentren der Macht, da tragen
die Herren auch Westen, wie einen Panzer, quasi als zusätzlichen
Schutz. Frauen tragen beides übrigens nicht. Zumindest für unseren zerebralen Autopiloten – und jeder weiß, wie stark der ist –
heißt das wohl übersetzt: Wer kein Schild und kein Schwert hat,
spielt bei Businessspielen nicht mit.
Mal ganz unabhängig von dieser Thematik: Wer auf Augenhöhe
mit seinen Leuten agieren und alles Verbissene herausnehmen
will, dem sei geraten, die Management-Verkleidung auch mal abzulegen und sich ein wenig locker zu machen, damit die Leute
ihre Scheu verlieren. Sodann befreie man seine Organisation vom
Schlipszwang und lasse Farbe in die Büros, damit sich das uniformierende Einheitsgrau der Anzugträger endlich verflüchtigt. Von
Soldaten, die in Reih und Glied marschieren, bekommt man nichts,
44
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
was aus der Reihe tanzt. Nur das Besondere, das Bemerkenswerte
im wahrsten Sinne des Wortes, wird am Markt mit stetem Habenwollen belohnt. Wie erfolgreich ein niedrighierarchisches System
funktioniert und welche Vorteile die Abkehr von der Silo­denke
bringt, darüber hat Detlef Lohmann, Geschäftsführer
des (Automobil-)Zulieferers Allsafe Jungfalk, übrigens ein großartiges Buch geschrieben. Der Titel:
… und mittags geh ich heim.
Noch ein paar Worte zur Ausdrucksweise
des Führungskreises: Ist dessen Kommunikation empfängerorientiert und zielgrupMachen Sie eine
pengerecht? Oder ist sie vage, umständlich,
Kommunikations­
nichtssagend, akademisch, floskelhaft und
inventur – und
fremdwortgespickt? Genau damit öffnet
misten Sie alles
sich eine vergiftende Kluft zwischen oben
Negative
und unten – und dies verhindert Erfolg. Ist
­gnadenlos
die Sprache hingegen klar und deutlich, konaus!
kret und verbindlich, anschaulich und motivierend, bildhaft und für jeden verständlich, dann
sorgt dies für Nähe und Leistungswillen. Vernebeltes
Geschwafel und Managerslang trennen aber nicht nur, sondern be­inhalten auch Risiken: allgemeine Verwirrung, Fehlinterpretationen und Missverständnisse, die zu falschen Schlüssen und
Fehlentscheidungen führen. All das kann sehr, sehr teuer werden.
In einer Kolumne für das Handelsblatt hat Stefan Kolle, Mitinhaber
einer Hamburger Werbeagentur, festgestellt, dass »die Kommunikation nach außen ständig perfektioniert wird«, während sie nach
innen oft völlig lieblos sei.7 Eins zu eins werden die für Werbung,
Medienvertreter und Fachjournalisten hochgeschraubten Texte
auch intern verwendet. Man macht sich nicht einmal die Mühe,
die Sprache einer Pressemeldung in Mitarbeitersprache zu übertragen. Umgekehrt würde man das niemals so machen. Nun ja, ein
solches Verhalten zeigt klar, wie »viel« Wertschätzung man gegenüber »Untergebenen« hat. Wie ein Geheimcode grenzt Fachjargon
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
45
aus und degradiert andere zu Laien. Das darf ja wohl nicht das Ziel
einer Führungskraft sein! Eine mitarbeiternahe Kommunikation
kann Gräben schließen und verbindende Brücken bauen. Davon
mehr in Teil 3.
Regelwerke dezimieren
Eines ist sicher: Auf der Reise in die Zukunft braucht man leichtes
Gepäck, weil die Märkte, wie die Hasen, immer neue Haken schlagen. Für Planzahlspiele, Budgetierungsexzesse und ExcelsheetOrgien bleibt keine Zeit. »Planung kann nie schneller sein als die
nächste Veränderung« heißt es im Turboland China. Deshalb muss
zunächst der bleischwere Ballast aus alten Businesstagen über Bord:
Traditionen, die nie hinterfragt worden sind, heilige Kühe,
die keiner schlachten wollte, Managementmoden, die
schon eine rostige Patina tragen. Interne Sperren
müssen gelockert, Bremsklötze weggeräumt und
anweisungsorientierte Kontrollsysteme schnell
entsorgt werden. Denn daran kann ja wohl
kein Zweifel sein: Mit den Waffen von gestern sind die Gefechte von morgen nicht zu
Standards
gewinnen.
­bewirken nur
Standard­
Viel Zeit bleibt auch nicht. Und die Liste
leistungen –
veralteter Methoden und Prozesse ist lang.
und damit
Doch festgezurrte Systeme neigen per se zur
langweiliges
Kontinuität anstatt zum forschen Handeln.
­Mittelmaß.
Und Kontrolle ist ein zurückblickendes Instrument, das nur Fehlentwicklungen zeigen kann,
die bereits stattgefunden haben. Durch Bürokratie
und Administration werden Entscheidungen verzögert,
verhindert oder in die falsche Richtung gelenkt. Und Standards
bewirken eben nur Standardleistungen – und damit langweiliges
46
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Mittelmaß. Sie geben Planungssicherheit? Ein Widerspruch in sich!
Was den Unternehmen heute im Markt begegnet, ist permanente
Vorläufigkeit. Die einzige Gewissheit ist die, dass Plan und Wirklichkeit bereits am zweiten Tag des neuen Geschäftsjahrs auseinanderdriften. Und was macht ein braver Manager dann? Er folgt nicht
der Wirklichkeit, sondern dem Plan. Das ist absurd!
Klar: Regelwerke und Funktionsroutinen sichern ein Leistungsniveau, sie tragen zur Arbeitsentlastung bei, und sie helfen, böse
Fehler zu vermeiden. Doch sie sorgen auch für einen schleichenden Verkrustungsprozess. Die Frage »Wie mache ich das jetzt am
besten?« wird irgendwann nicht mehr gestellt. Wenn ein Handbuch zum Gesetzbuch wird, sind die Mitarbeiter vor allem damit
beschäftigt, den vorbestimmten Abläufen akribisch zu folgen, ganz
egal, ob sie sinnvoll oder sinnlos sind. Und die ihnen Vorgesetzten
begreifen sich als Hüter der Vorschriftensammlung. Deren Einhaltung wird streng überwacht. Abweichungen werden mit aller Härte
bestraft. Und jeder Verbesserungsvorschlag wird zum versuchten
Normverstoß. Ein evolutionärer Stillstand ist damit vorprogrammiert. Initiativlosigkeit und Konformität stellen sich ein. Aus Meinungsvielfalt wird Einfalt, die, von der Realität abgekoppelt, am
Ende auch für einfältige Entscheidungen sorgt.
ISO-Rausch erzeugt Isomorphie
Ein junger Mann, der bei der Bahn als Schlafwagen-Steward gearbeitet hatte, erzählte mir dies: »Manchmal kam es vor, dass bei
uns aufgrund einer technischen Störung die Toiletten ausfielen.
Folgendes stand dazu im Service-Handbuch: In dem Fall, dass es
zu Störungen im Betriebsablauf der Bordtoiletten kommt, ist den
Fahrgästen ein kostenloses Getränk anzubieten.« Hier zeigt sich
wie so oft, dass nicht die Kundenerwartungen der Maßstab für die
Serviceleistungen eines Unternehmens sind, sondern das Funktionieren nach ISO. Dabei ist, wie es scheint, manchem Manager der
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
47
gesunde Menschenverstand abhandengekommen. Und schlimmer
noch: ISO erzeugt Isomorphie. Das heißt: Alles gleicht sich immer
mehr an. Doch nur das Besondere, Faszinierende, Bemerkenswerte
hat eine Zukunft.
»Sie können sich den größten Schwachsinn einfallen lassen«,
schreibt Serviceexperte Vinzenz Baldus entrüstet, »zum Beispiel
Schwimmwesten aus Beton. In diesem Fall kommt es nur darauf
an, dass Sie, wie bei allen sinnigen Produkten und Prozessen auch,
Ihre Leitlinien und die Umsetzungsschritte genau dokumentieren,
die Schritte, wie Sie diese spezielle Dienstleistung herstellen, vermarkten und über einen speziellen Kundendienst warten lassen
wollen. Und dann werden Beauftragte des TÜV oder des DEKRA zu
Ihnen kommen, vier Wochen den Betrieb lahmlegen – und wenn
die angegebene Betondichte überprüfbar stimmt, dann erhalten Sie
Ihr Zertifikat. … Sie können sich wirklich den größten Schwachsinn einfallen lassen – Hauptsache, Sie machen ihn regelmäßig und
überprüfbar – dann erhalten Sie auch regelmäßig Ihre Nachzertifizierung.«8
Natürlich ist das Sichern einer Basisqualität richtig und in manchen
Fällen sogar lebensnotwendig. Wer aber bei jedem Auftauchen eines Problemchens eine weitere Regel erschafft und für jeden Vorgang ein Formular erfindet, ist prozessbesessen und züchtet geistige
Krüppel. Er macht seine Organisation langsam und dumm. Und
wenn mit dem Festmachen einer neuen Regel nicht gleichzeitig
eine Regel an anderer Stelle gestrichen wird, dann wird die Arbeitslast mit jedem Mal mehr. Am Ende verwandelt die Zwangsjacke
starrer Normen die Mitarbeiter in Marionetten, die sich selbst den
blödesten Anweisungen willenlos beugen und den Kunden ihre industrialisierten Serviceprozesse aufzwingen (»Das ist bei uns Vorschrift!«). Wie Aufziehpuppen reden sie mit einem am Telefon oder
an der Theke im Schnellrestaurant.
48
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Kill a stupid rule!
»Ändern Sie Strukturen und nicht Menschen. Intelligente Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance«, sagt
der Führungsexperte Reinhard K. Sprenger.9 Genau so ist es! Die
Verantwortung zum Kunden-glücklich-Machen darf nicht länger
auf dicke Wälzer abgewälzt werden. Sie muss direkt bei den kundennahen Mitarbeitern sein. Der erste Schritt? »Entregeln« Sie!
Packen Sie dazu folgenden Tagesordnungspunkt fest in Ihre Meeting-Agenda: Kill a stupid rule! Oder auf Deutsch: Von welchen
dummen Regeln und von welchem administrativen Schwachsinn
können wir uns diese Woche trennen? Zwei Schlüsselfragen sind
dabei zu stellen:
{{ Was will das Unternehmen? Daraus ergeben sich die Basisstan-
dards und die nicht verhandelbaren Normen, die als Leitplanken (Guidelines) fungieren. Denn Mitarbeiter und Kunden
brauchen absolute Klarheit darüber, was geht – und was keinesfalls toleriert werden kann. Dies markiert die Nulllinie der
Kundenzufriedenheit.
{{ Was will der Kunde? Daraus ergeben sich Möglichkeitsräume
fürs Kundenbegeistern, die von den Mitarbeitern situativ ausgeschöpft werden können. Natürlich braucht es dazu auch ein
paar wenige Spielregeln und Grenzlinien, doch das Spielfeld
selbst sollte ein möglichst großes sein. Denn erst oberhalb der
Nulllinie der Kundenzufriedenheit, also dort, wo sich Flexibilität, Individualisierung und Improvisationstalent zeigen, setzt
Begeisterung ein.
Was sich oberhalb der Nulllinie alles machen lässt? Fragen Sie die
Kunden! Fragen Sie vor allem aber die kundennahen Mitarbeiter!
Die sind am nächsten dran und haben die genialsten Ideen, wenn
man sie nur öfter mal machen ließe. »Die da oben« entscheiden
nämlich vielfach über Dinge, von denen sie weit weniger verstehen als »die da unten«. Und genau deshalb braucht es ein Klima,
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
49
das Schwarmintelligenz möglich macht. Leider
glauben viele Manager ja immer noch, an den
Viele Manager
Rändern ihrer Organisation gäbe es kein inglauben, an den
telligentes Leben. Doch das Gegenteil ist der
Rändern ihrer
Fall. Das wertvollste Wissen für ein Unter­Organisation gäbe nehmen befindet sich genau dort.
es kein intelligen­
tes Leben – doch
Allerdings geben Mitarbeiter ihre Gedanken
dort findet sich
nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese
das wertvollste
auch Wertschätzung erfahren. Und wenn sie
Wissen.
wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn
Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Wer Neues ausprobiert, der muss auch scheitern dürfen. Fehler machen heißt: üben, um siegen
zu lernen. Eine proaktive, achtsame Fehler-Lern-Kultur
ist also unumgänglich. Deshalb sollte zumindest ein Standard
im Unternehmen bleiben. Und dieser heißt: »Widersprechen Sie
Ihrem Chef!« Schon allein hierdurch lassen sich viele kleine Innovationen erzielen, die das tagtägliche Arbeitsleben aller erleichtern
und – wer weiß – den Kunden richtig viel Freude machen.
Silodenke demontieren
Ich bin ja viel als Businessredner unterwegs, das ist meine Berufung.
So war ich kürzlich auf der Managementtagung eines MobilfunkAnbieters. Im Verlauf des Events wurde der neue Marketingleiter
vorgestellt: als »der natürliche Todfeind der Callcenter-Einheit«.
Ich war ganz perplex, da doch beide Bereiche für die Kundenseite
arbeiten. Erst meine Nachfrage ergab, warum das dort so gesehen
wurde: Das Marketing versprach Dinge, die dann im Shop nicht
eingehalten wurden – und die Callcenter-Mitarbeiter hatten den
Frust der enttäuschten Kunden ständig im Ohr.
50
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Solche Unkoordiniertheit ist beileibe kein Einzelfall. In der Auftragsabwicklung können viele ein Lied davon singen, wie sie in
die Bredouille geraten, weil der Vertrieb unhaltbare Versprechen
macht, um ein scheinbar lukratives Geschäft an Land zu ziehen
und / oder attraktive Gratifikationen zu ergattern. In der Fertigung
kommt man ins Schleudern, weil es auf der Webseite und im Prospektmaterial immer noch Produkte gibt, deren Produktion schon
längst eingestellt ist. Und jeder schiebt dem anderen die Schuld
­daran zu. Bei einem Premium-Autobauer »gehört« der Autokonfigurator dem Marketing, wenn er auf der Internetpräsenz angeklickt wird, und dem Vertrieb, wenn dies vor Ort in der Niederlassung passiert. In dessen Händlerorganisation nutzen die Verkäufer
ein anderes CRM-System als der Service. Mit der Folge, dass man
dort nichts von dem weiß, was Verkäufer und Kunde besprochen
haben – und alles noch einmal neu aufnehmen muss. »Wir wissen
alles über das Auto, aber fast nichts über den, der es fährt«, klagte
mir ein Mitarbeiter sein Leid.
Im Fall einer Bank wurde der Bereichsleiter Neukundengewinnung
wie ein Held gefeiert, weil das Neugeschäft sprunghaft angestiegen war. Der Bereichsleiter Alt kunden hingegen (so despektierlich
nennt man die Stammkunden dort) musste sich einiges an Vorwürfen gefallen lassen, weil es mehr oder weniger plötzlich eine
erhöhte Fluktuationsrate gab. Was war passiert? Im Rahmen eines
Aktionsangebots war all denen ein Startguthaben von vierzig Euro
versprochen worden, die ein Konto neu eröffneten und mindestens ein Jahr lang Kunde blieben. Bestehende Kunden hingegen
bekamen – nichts. Und was taten diese, nicht dumm? Sie kündigten ihr Konto, liefen hinten zur Tür heraus, um vorne wieder fröhlich hereinzuspazieren und als Neukunde den Bonus abzugreifen.
Dies sind jetzt nur einige wenige Beispiele von vielen, die so oder
ähnlich tagtäglich passieren. Mitarbeiter beißen sich daran die Zähne aus. Und Kunden sind solchem Tun ohnmächtig ausgeliefert.
Die Ursache hat einen gemeinsamen Namen: Silodenke. Silos sind
röhrenförmige Speicher, da schüttet man oben was rein, und un-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
51
ten kommt, wenn es nicht inzwischen verdorben ist, das Gleiche
wieder raus. Stehen mehrere Silos nebeneinander, vermischen sich
die Inhalte nicht. Jedes Silo macht quasi sein eigenes Ding. In der
analogen Industriekultur und in Schornsteinunternehmen mag die
Siloorganisation von Vorteil gewesen sein, doch in einer vernetzten
Welt ist sie ein Rohrkrepierer. Silos stehen für den Monolog der Arbeitsteilung, Netzwerke für den Dialog der Zusammenarbeit. Silos
sorgen für den gefährlichen Tunnelblick, Netzwerke für eine reiche
Rundumperspektive. Wirklich Neues entsteht an Schnittstellen, in
Randbezirken und dort, wo flexible Einsatztruppen agieren – aber
niemals in Silos.
Silos erzeugen Win-lose-Situationen
»Ganz bewusst stehen bei uns Online und Offline im Wettbewerb«,
sagte mir kürzlich der Vorstand einer Händlerorganisation. »Und
wem gehört der Umsatz, wenn die Kunden zwischen den Kanälen
mäandern?«, fragen sich dort beunruhigt die Channelvorsteher.
»Hauptsache, sie kaufen bei euch, und nicht bei der Konkurrenz«,
ist meine Antwort darauf. Doch in siloorganisierten Strukturen will
jede Abteilung für sich die beste sein. So entsteht eine Win-loseMentalität, die Sieger und Besiegte produziert. Im fortwährenden
Kampf um Budgetressourcen und die Aufmerksamkeit von ganz
oben reibt man sich beim internen Schaulaufen auf, statt gemeinsam den Kunden zu dienen. Talente werden gebunkert und auf
Sparflamme gehalten, damit nur ja keine andere Abteilung auf sie
aufmerksam wird. Der Austausch zwischen den einzelnen Fachbereichen ist nicht nutzenbestimmt, sondern vorrangig politisch
getrieben. Es herrscht eine ausgedehnte Absicherungsmentalität.
Alles braucht ewig, während es die Silos rauf und runter wandert.
Niemand darf bei den Abstimmungsprozessen übergangen werden.
Eine nie enden wollende Flut von CC-E-Mails ist die Folge. Und
zur Sicherheit wird das informelle Netzwerk mit einer Blindcopy
versorgt.
52
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Mit der Silodenke einher geht auch eine große Zahl von Projekten,
die rein der Selbstpositionierung dienen. Um das eigene Profil zu
schärfen, wird die gesamte Organisation missbraucht. Oft genug
geht es dabei mehr um Dimensionen als um Inhalte. Vor allem
groß soll es sein! Und während im Zuge eines generalstabsmäßig
vorbereiteten Rollouts weit unten die Letzten gerade eingeweiht
werden, schwappt oben schon die nächste Projektwelle los. Oder
aber der Profilschärfer ist auf der Karriereleiter weitergeklettert,
und sein Nachfolger spielt das Löwenspiel: Beiß alles tot, was von
deinem Vorgänger stammt. Und dann beginne mit eigenen Projekten von vorn.
Wie Alphaorganisationen von Betahäusern lernen
Durch die freiberufliche Wissenselite sind sie bekannt geworden:
Coworking-Spaces und Betahäuser. Deren unkonventionelle Bürolandschaften verbinden virtualisierte Kommunikation und flexible
Arbeitszeiten mit dem Wunsch nach menschlichen Beziehungen
in einer kreativen Umgebung. Sie sind Biotope für Kollaboration.
Und Prototypen für die Büros von morgen. Der Beta-Begriff ist für
mich auch deshalb so treffend, weil er zum einen die ständigen
Veränderungen mit ihren Test- und Lernphasen beschreibt. Zum
anderen steht er für die Abkehr von der Alphatierchen-Kultur tradierter Organisationen.
Das Coworking-Konzept, ursprünglich gedacht als Begegnungsort für die digitale Boheme, begeistert inzwischen auch größere
Firmen. Selbst Konzerne schicken ihre Leute in Betahäuser, um
sie aus den Routinen ihrer Arbeitskontexte zu lösen. »Genau so
wollen wir arbeiten«, sagen die, die in ihre Büroschluchten zurückkehren (müssen). Daraufhin hat die TUI einen eigenen OpenProject-Workspace geschaffen, das Modul 57 in der Nähe der Uni
Hannover. »Ein perfekter Ort, um kreative Energie zu tanken«, sagen die, die dort tätig sind. Anderswo wird der Betahaus-Stil bereits
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
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in die Unternehmen geholt. So werden die tristen »Schreibtisch­
farmen« ehemaliger Großraumbüros – in denen Abarbeiter ihr
Tagwerk zu verrichten hatten – zu flexiblen, farbenfrohen, heiteren, inspirierenden, marktplatzähnlichen Arbeitslandschaften umfunktioniert. »Neue Raumkonzepte müssen vorhandene Blockaden, die wir uns mit unseren Räumen selber geschaffen haben,
lösen«, erklärt Stefan Rief, Projektleiter »Office 21« beim Fraunhofer Institut IAO, in ManagerSeminare.10 Dabei entstehen Begegnungsorte, an denen weder Silos noch Machtgefüge eine Chance
haben.
Coworking-Spaces sind wie Fenster in die Zukunft der Arbeit. Und
sie sind Laboratorien für die Geschäftsmodelle von morgen. »So
wäre es vorstellbar, sie auch für Externe zu öffnen – beispielsweise
für Kunden, die ohnehin zunehmend erwarten, dass Unternehmen sie an der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen
beteiligen«, schreibt Lynda Gratton, Managementprofessorin an
der London Businessschool, im Harvard Business Manager.11 Ja, unbedingt! Jedes Kundeninvolvieren kann helfen, sich aus der Enge
von Silos zu lösen. Davon hören wir später noch mehr.
Sich digital transformieren
Mit den Computerleuten müssen wir uns wirklich gut vertragen.
Denn im Zuge des anschwellenden Datenstroms kommt ihnen
eine immer größere Bedeutung zu. Und die digitale Revolution
hat schon nahezu alle Unternehmensbereiche erfasst. »Ohne Anschluss von Menschen und Maschinen an das globale IT-Netzwerk
lässt sich die Zukunft kaum mehr vorstellen«, meint der Trendforscher Peter Wippermann in einem Interview mit dem IT-TrendBlog von Capgemini.12 Umfassende digitale Kompetenz wird zunehmend für jeden im Unternehmen zur Pflicht.
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Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Die hauseigenen Informatiker haben gar keine Wahl: Sie müssen
ihre ehemals geschlossenen firmeninternen IT-Dienste öffnen –
und gleichzeitig für Sicherheit und Datenschutz sorgen. CloudComputing, Big Data und BYOD (Bring your own Device) sind
wesentliche Bausteine in dieser Entwicklung. Das ist Fakt. Doch
entscheidend ist immer, was man aus all dem dann macht. Wippermann warnt: »Big Data ist nicht nur eine technologische, sondern
auch eine kulturelle Herausforderung. Denn Daten sind noch kein
Wissen. Erst wenn die richtigen Fragen gestellt und die richtigen
Verknüpfungen installiert werden, entstehen aus Daten vorteilhafte Erkenntnisse.«13 Big Data (die Echtzeitverarbeitung großer Datenmengen für analytische Zwecke) erfordert mithin nicht nur ein
Heer an Servern, sondern vor allem Big Brain, also eine intelligente
Herangehensweise.
Chancen warten nicht auf Budgetierungstermine
Ein Zuviel an Daten ist heute die Norm. Zahlenautismus ist eine
bedrohliche Folgegefahr. »Es wird immer leichter, an Informationen zu gelangen, aber es wird immer schwieriger, in der wachsenden Flut der Informationen sicher zu navigieren«, bekräftigt Axel
Gloger in seinem Buch Über_Morgen.14 Wissen habe nichts mit der
Anhäufung von Informationen zu tun, da diese immer und überall
abrufbar seien, ergänzt Yvonne Ortmann in einem Beitrag für das
Technologie-Magazin t3n, sondern mit der Fähigkeit, »Informationen sinnvoll umzuwandeln und anzuwenden«.15 Oft genug wird
jedoch übersehen, dass das eigentlich Wichtige nicht in Zahlenkolonnen passiert, sondern an den Touchpoints zwischen Mitarbeitern, Unternehmen und Kunden. Wer indes auf (Zahlen-)Fried­
höfen sucht, der wird nur Leichen finde­n. Weil es aber möglich ist,
aus den Trilliarden von Bits und Bytes immer neue Einsichten zu
aggregieren, wird dies auch gemacht.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
55
Natürlich sind Kennzahlen wichtig. Und Messbarkeit hilft, die
Spreu vom Weizen zu trennen. Doch die Zahlenhörigkeit vieler
Führungsgremien ist geradezu abstrus. Oft genug wird ganz fanatisch das Falsche getan, Hauptsache, es kann gemessen werden.
Übervolle Exceltabellen aus den Managementinformationssystemen bauen eine Scheinwelt aus willkürlich festgelegten Quartalen
auf, die in den abgeschirmten Zentren der Macht für die Realität
gehalten wird. Dem Kennziffernjoch kann niemand entkommen.
Selbst die Mitarbeiterperformance wird nun über Dashboards und
Cockpits gesteuert, so als ob Menschen Maschinen wären, bei
denen man die Anzahl der Umdrehungen misst. Reportings und
Budgetierungsverfahren, durch die ab September die halbe Firma
in Lähmung verfällt, fressen jetzt noch mehr Ressourcen. Bisweilen kommt mir das wie ein Beschäftigungsprogramm für Sozial­
analphabeten vor. Denn solange man mit Zahlenklauberei zugange
ist, muss man sich nicht mit den Menschen befassen.
Wenn man also die Computer schon rechnen lässt, dann doch bitte auch einmal dies: Der Budgetprozess und die ganze Kontrolle –
welchen Return on Investment (ROI) bringt eigentlich das? Und
die Opportunitätskosten, also all die Aufmerksamkeit, die man den
Mitarbeitern und Kunden nicht schenken kann, während man in
der Welt der Daten versinkt, wie hoch sind eigentlich die? Schließlich kann man auch die ganz große Frage mal stellen: Wenn das
Management ein Drittel aller Kosten im Unternehmen verursacht,
sich mindestens fünfzig Prozent seiner Zeit mit sich selbst beschäftigt und vor allem Bürokratie produziert, auf wie viel summiert
sich denn dies? Die jungen Wilden (Unternehmer) haben all das
notabene längst verstanden. Gegen ihr schlankes, flottes Vorgehen
und ihre disruptiven Innovationen (Clayton M. Christensen) haben die aufgeblähten Old-School-Apparatschiks nicht den Hauch
einer Chance.
Beziffern lässt sich auch die Zeitverschwendung, die aus der Präsenzpflicht beim Zahlenbegaffen erwächst. Auf größeren Meetings
und Konferenzen entrollt sich das immer gleiche Ritual: Als ­Erstes
56
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
präsentiert die Geschäftsleitung Ergebnisziffern –
auf Folien, die ab der dritten Reihe schon niemand mehr lesen kann. Egal! Sich mit sich
selbst beschäftigen steht auf dem Programm.
Im wahrsten Sinne des Wortes. Während
Manager sollten
nämlich vorne einer mit der Leinwand
besser den Kun­
spricht, wird im Publikum fleißig mit Handen hinterher­
dys hantiert. Werden dann die Budgets für
laufen statt den
die Zukunft verkündet, überlegt sich jeder
Budgets.
vor allem, welche (schmutzigen) Tricks wieder mal nötig sind, um die Planzahlen zu sichern. Und jeden Freitag ist dann Märchenstunde. Der Wochenbericht muss geschrieben werden.
Am Ende honorieren die Unternehmen nicht maximale Machbarkeiten, sondern List, Lug und Trug. Zumal
heutzutage »Schwarze Schwäne« (Nassim Nicholas Taleb), also
höchst unwahrscheinliche Ereignisse, an jeder Ecke lauern. Dafür sollten Wenn-dann-Szenarien, flexible Ziele und Optionen für
verschiedene Zukünfte auf Abruf in der Schublade liegen. Denn
»Schwarze Schwäne« warten nicht auf Budgetierungstermine.
Und »Weiße Schwäne« schon gar nicht.
Wie Corporate-Social-Software funktioniert
Gott sei Dank schenkt uns die fortschreitende Digitalisierung nicht
nur Zahlensalat, sondern auch Unterstützung, wenn es um den
innerbetrieblichen Wandel geht. Die entsprechenden Tools sind
schon lange verfügbar, werden aber noch viel zu selten genutzt.
Sie sind Spiegelbild der öffentlich zugänglichen Social-Media-Tools
und als firmeninterne soziale Netzwerke auch unter dem Begriff
Social Intranet bekannt. Sie werden zur Projektkoordination, zum
Wissensmanagement und zur interaktiven Kommunikation eingesetzt. Sie ermöglichen das Hinwenden zu einer freien, offenen,
kollaborativen Unternehmenskultur. So können alle Mitarbeiten-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
57
den an einem kontinuierlichen Ideensammeln, Bereichern und
Bewerten teilhaben und auf breiter Basis mitentscheiden, wo es in
Zukunft langgeht.
Digital Natives sind von Haus aus mit dem Gebrauch solcher Software vertraut. Und die übrige Belegschaft wird sie schnell lieben
lernen, weil alles spielerisch einfach ist. Organisiertes Wissen wird
so für jedermann verfügbar gemacht. Das zeitfressende Mailen
kann eingedämmt werden. Allein das Erstellen einer MeetingAgenda wird, wie Dirk Hellmuth von beyond email berichtet, von
durchschnittlich 83 Minuten auf 26 Minuten reduziert.16 Langweilige (Verbesserungsvorschlags-)Formulare braucht es nicht mehr.
Gremien, die alles koordinieren und überwachen, sind auch überflüssig. Die Produktivität seiner Mitarbeiter habe sich seit der Einführung von Corporate-Social-Software um das Vierfache erhöht,
wird Frank Roebers, Vorstand des IT-Händlers Synaxon, im Harvard
Business Manager zitiert.17
Die gängigsten Tools aus der Palette der kollaborativen Software
sind:
{{ Unternehmenswikis: Wikis sind, so ähnlich wie die Wikipedia,
ideale Portale, um das gesamte Wissen eines Unternehmens
zentral zu sammeln und wie ein Schlagwortverzeichnis zur
­Verfügung zu stellen. Jeder mit Autorenberechtigung kann
aktiv daran mitarbeiten, neues Material einstellen sowie
Bestehendes ergänzen und aktualisieren. Die zunehmende
Wissenskomplexität wird strukturiert und konserviert. Die
­Gesamteffizienz steigt, weil Doppelarbeit vermieden wird.
Und der Wissensschatz ausscheidender Mitarbeiter bleibt dem
­Unternehmen endlich erhalten. Ist alles Organisatorische erledigt, der Start geglückt und das System ausreichend befüllt,
dann sollte »Schau ins Wiki!« zu einem geflügelten Wort in der
Firma ­werden.
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Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
{{ Internes Microblogging: Dienste wie Yammer, Communote oder
Social Spring funktionieren nach dem Twitter-Prinzip und
kanalisieren den unternehmensinternen Nachrichtenfluss in
einem Kurzformat. Sie sind so etwas wie eine Mischung aus
Schwarzem Brett und Flurfunk, wobei jeder, der dort ein Konto
eröffnet und Zugang hat, selbst posten, mithören, weiterleiten
und kommentieren kann. Ein weiterer Vorteil: Weil intern alles
öffentlich ist, wirkt dies auch einer unguten Gerüchteküche
entgegen.
{{ Kollaborationsblogs: Für die Zusammenarbeit von internen und
externen Mitarbeitern im Rahmen eines Projekts sind Kollaborationsblogs geradezu ideal. Sie dienen zum Erfahrungsaustausch, zur Ablage von Dateien, zur Dokumentation von
Arbeitsverläufen, zur Erfassung des Status quo sowie zur Kommentierung all dessen. So kann zum Beispiel in einem internen
Vertriebsblog das komplette verkäuferische Wissen gesammelt
und kontinuierlich weiterentwickelt werden.
{{ Digitale Ideenbanken: Sie ersetzen das verstaubte betriebliche
Vorschlagswesen und sind idealerweise eine Mischung aus
Wiki, Blog und Bewertungsportal. Die einzelnen Ideen werden
beschrieben, verschlagwortet und mit Dokumenten, Fotos,
Audios und Videos angereichert. Unter jede Idee kommt ein
Kommentarfeld, in dem die Verwender ihre Meinung zu und /
oder ihre Erfahrungen mit der Idee einstellen können. Außerdem gibt es eine Fünf-Sterne-Bewertungsfunktion sowie die
Ja/Nein-Frage, ob die Idee hilfreich war. Ferner wird ein Zähler installiert, der anzeigt, wie oft diese Idee angeklickt wurde.
Schließlich braucht es originelle Anreizsysteme, um die effi­
zientesten und am besten gevoteten Ideen wie auch die kreativen Köpfe dahinter zu feiern.
{{ Mitarbeiterentwicklungsportale: Sie enthalten Bildungsangebote
in kleinen, leicht verdaulichen Paketen (Microlearning, Learning Nuggets), Weiterbildungsvideos, interaktive Themenforen
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
59
sowie sich ständig aktualisierende Handbücher für die Einarbeitung und Fortbildung. Wichtig auch hier, sich von dem
überholten Prinzip »Alles wird top-down vorgegeben« zu l­ösen.
Vielmehr geht es um eine Social-Learning-Plattform, auf der
man ganz im Sinne des Gamification-Prinzips spielerisch miteinander und voneinander lernt. Und natürlich ist diese mit
internen Blogs, dem Wiki usw. vernetzt.
{{ Interne Unternehmensblogs: Hier kann jeder mit Zugangsberechti-
gung, egal ob Unternehmensleitung, Führungskraft, Mitarbeiter
oder Azubi, all das einstellen, was ihn bewegt. Die Kommentarfunktion ermöglicht lebendige Diskussionen. Ein Administrator
sorgt dafür, dass hierbei nichts ausufert. Damit so ein Blog auch
lebt, sollte sich das Management regelmäßig mit Beiträgen beteiligen, offen und ehrlich agieren und ungeschminkt Rede und
Antwort stehen.
{{ Mobile Apps: Bei zunehmender Fernanwesenheit eines größe-
ren Teils der Belegschaft wird den Social-Software-Apps, die
sich von mobilen Geräten aus nutzen lassen, wohl die Zukunft
gehören. Mobiles Lernen, Kollaboration und Interaktion sind
so von jedem Punkt der Welt und zu jeder Zeit möglich. Über
Augmented-Reality-Technologien werden virtuelle Informa­
tionen in die per Kamera auf dem Handy-Display (oder Google
Glass) gezeigte Wirklichkeit eingeblendet.
Schon dieser kleine Überblick zeigt: Die Auswahl ist groß. Wählen Sie also die Tools, die Ihren Zwecken dienlich sind, weise aus.
Egal, für welche Form Sie sich dann entscheiden: Das Miteinander
im gesamten Unternehmen wird eine neue Qualität erreichen. Die
­Effizienz wird erhöht, das Wirgefühl wird steigen, der Zusammenhalt wird wachsen, alles Trennende wird zurückgedrängt. Das Teilen von Wissen fördert die Kreativität und hebt die gesamte Organisation auf ein erhabeneres Niveau. Erfolge können jederzeit
sichtbar gemacht und angemessen gewürdigt werden. Schließlich
steigert das aktive, engagierte Mitgestalten die Mitarbeiterverbun-
60
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
denheit und erzeugt am Ende den »Mein-Baby-Effekt«. Und sein
Baby lässt man bekanntlich nicht im Stich.
Der Führungscrew erschließen sich Schwachpunkte schon durch
einfaches Mitlesen fast wie von selbst – auch wenn das machmal
wehtun kann. Sie erhält einen Gradmesser dafür, wie die Organisation als Ganzes drauf ist und wo es gerade brennt. Sie bekommt
Zugang zur Weisheit der Vielen und kann ihre Entscheidungen so
auf eine breitere Basis stellen. Sie kann Schnellumfragen starten
und Abstimmungsprozesse einleiten. So lässt sich auch das Delta
zwischen Eigenwahrnehmung und innerbetrieblicher Wirklichkeit
Schritt für Schritt reduzieren. Niemand ist mehr auf Zuträger angewiesen, die Informationen gefiltert – mit welchen Absichten auch
immer – nach oben reichen.
Den Kundenfokus forcieren
»Mich interessiert nicht die Bohne, ob der Brief bei Ihnen von ein
oder zwei Personen unterschrieben werden muss. Mich ärgert,
dass das Ganze mal wieder mehr als eine Woche gedauert hat. Andere schaffen das in zwei Tagen.« Solche Beschwerden, die vom
hilflosen Ärger der Kunden zeugen, gibt es tagtäglich. Folgt man
den Episoden, die Tom König in seinen Spiegel-online-Kolumnen
so trefflich beschreibt18, ist dies hier ein vergleichsweise harmloser Fall. Eingezwängt in ein Vorschriftenkorsett, dürfen engagierte Mitarbeiter die Probleme ihrer Kunden nicht mal dann lösen,
wenn sie es wollten. Das Web ist voll von solchen Episoden, und
das schon seit Jahren. Wieso schauen denn die Manager da nicht
endlich mal hin?
Blind und taub für die Belange der neuen Kundengeneration, glauben die Oberen doch tatsächlich, schon ganz schön weit zu sein.
Dabei liegen Selbstbild und Fremdbild bisweilen so weit auseinan-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
61
der wie die Licht- und die Schattenseite des Mondes. So meinen
einer Studie von Bain & Company zufolge 80 Prozent aller Unternehmen, ein herausragendes Kundenerlebnis zu bieten, aber nur
8 Prozent ihrer Kunden stimmen dem zu.19
Wunschdenken, Selbstüberschätzung und ein verstellter Blick des
Managements für die Realität findet sich in allen Bereichen, so
auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern:
{{ Einer Untersuchung der Rochus Mummert Consultants zufolge
glaubten 63 Prozent der befragten Unternehmenschefs, über
eine hohe moralische Integrität zu verfügen und dafür in der
Belegschaft auch geschätzt zu werden. Bei den Mitarbeitern sahen dies aber nur 16 Prozent so.20
{{ Eine Stepstone-Untersuchung aus dem Jahr 2011 brachte zu-
tage, dass 94 Prozent der befragten Personalverantwortlichen
annehmen, dass die Angestellten ihre Firma als Arbeitgeber
empfehlen, wohingegen dies nur 45 Prozent tatsächlich tun.21
{{ Einer IKuF-Studie zufolge bewerteten 70 Prozent der befragten
Manager ihre Fähigkeit, angemessen und konstruktiv Feedback
zu geben, als sehr gut oder gut. Nur 45 Prozent der befragten
Mitarbeiter sahen das genauso.22
{{ Viele Arbeitgeber halten ihre Angestellten für glücklicher, als
diese in Wirklichkeit sind. Auf einer Skala von null bis zehn
schätzten sie deren Glücksstatus auf 7,2, während ihn die Mitarbeiter mit 5,1 angaben. Dies ergab eine weitere StepstoneUntersuchung aus dem Jahr 2012.23
Eine zentrale Erkenntnis aus der Glücksforschung ist außerdem
die, dass Menschen weniger glücklich sind, wenn sie sich in Gegenwart ihres direkten Vorgesetzten befinden. Wer aber weniger
glücklich ist, dessen Leistung ist eingeschränkt. Der kann nicht die
optimale Performance erbringen. Wie sich das ändern lässt, dar­
62
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
über wird in diesem Buch noch sehr viel zu lesen sein. Doch zunächst zurück zu den Kunden.
»Steht bei euch der Kunde denn wirklich an erster Stelle?«, frage
ich gern. Da nicken alle fleißig und brav. Wiewohl schon ein kleiner Schnelldurchlauf zeigt: Die Realität sieht völlig anders aus.
{{ Bei Vertriebspräsentationen, da geht das eine halbe Stunde
lang so: Wir sind … Wir haben … Wir können … Wir wollen …
Wir bieten …! Mit anderen Worten: Ich erzähle jetzt erst mal,
wie toll wir sind. Auf der allerletzten Seite dann endlich: der
Logofriedhof mit den bestehenden Kundenbeziehungen. Aha,
der Kunde kommt zum Schluss.
{{ Die öffentlichen Bereiche produzierender Unternehmen? Ein
reines Egoprogramm: Maschinenteile, Miniaturen von Fertigungsanlagen, Luftbildaufnahmen, Gründerporträts, Urkunden
und Pokale. Ganz groß an der Wand: eine Weltkarte voller
Fähnchen, Symbole für ein territoriales Eroberungsprogramm.
Von Kunden keine Spur.
{{ Der erste Navigationspunkt auf vielen Websites heißt »Wir über
uns«. Hört euch an, was wir zu sagen haben, ist die Botschaft,
und dann lasst uns in Ruh. Eine Kontaktmöglichkeit zu finden, ist oft wie das Suchen von Eiern zu Ostern. Viele Firmen
wollen offensichtlich gar nicht mit Kunden reden. Das kostet
nämlich Geld!
»Ein zukunftsfähiges Unternehmen richtet sein Augenmerk und
seine Energie statt nach innen, also auf Pläne, Politik, Verhandlung
und interne Leistungsdemonstration, verstärkt nach außen – auf
Markt, Wettbewerb und Kunden«24, sagt der Managementberater
Niels Pfläging, der dafür den Begriff Beta-Organisation nutzt. Tja,
die knappste Ressource eines Unternehmens ist nicht das Kapital,
sondern es sind die Führungskräfte, die kundenfokussiert denken
und handeln. Denn erst wenn das passiert, werden die Mitarbei-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
63
tenden das Gleiche tun. Customer first! So sollte
Die knappste
also der Schlachtruf lauten. Der Kunde gehört
­Ressource eines
an die erste Stelle. Theoretisch kein Thema.
Unternehmens
Und praktisch? Da brauchen die Chefs öfter
sind Führungs­
mal Kundenkontakt …
kräfte, die kunden­
fokussiert denken
und handeln.
Kundennähe in der Chefetage
Von Kunden können Manager eine Menge lernen. Doch vom Schreibtisch aus fällt das sehr
schwer. Tauchen Sie also ein ins Konsumenten­
getümmel, entfliehen Sie dem internen Abschirm­
programm, den Limos mit getönten Scheiben, dem Getto
der Senator-Lounge. Betreiben Sie Feldforschung am eigenen
Leib. Ein Kunde, der Ihnen mal so richtig die Meinung sagt, kann
mehr bewirken als jedes Repräsentativ-Ergebnis aus der Sterilität
eines Marktforschungslabors. Repräsentativität ist sowieso Blödsinn, weil man nur nichtssagende Durchschnittswerte erhält. Konzentrieren wir uns lieber auf die Ausreißer. Gerade von denen
erfährt man die nützlichsten Dinge: was bei Ihnen absolut klasse
läuft und wo es lichterloh brennt. So können gerade »schwierige«
Kunden als Leistungstreiber nach innen dienen. Denn da, wo die
größten Kundenprobleme sind, schlummert die höchste Rendite.
Also: Woher rühren die Berührungsängste, die viele Manager haben, wenn es um fundierte Gespräche mit Kunden geht? Ich kenne
Führungskräfte, die heilfroh sind, seit ihrer Beförderung »endlich
den täglichen Kleinkrieg mit diesen Nullcheckern los zu sein«. Sie
betrachten es als Rückschritt in ihrer Karriere, wieder mit Kunden konfrontiert zu werden! Ein Großteil der Personaler war noch
nie mit Kunden in Kontakt. Ich kenne aber auch Marketingleiter,
die lieber an gekünstelten Zielgruppendefinitionen basteln, als den
Leuten mal aufs Maul zu schauen. Ich kenne Vertriebsleiter, die
man eigentlich nur als Verwalter bezeichnen kann. Sie haben zu
64
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
keiner Zeit selbst verkauft. Um ihre Callcenter machen sie einen
weiten Bogen, aus lauter Angst, mal ans Telefon gerufen zu werden. Und dann wiederum gibt es die, die täglich im Kundenservice
vorbeischauen und Gespräche selbst führen. So kann man den Mitarbeitern ein kundenorientiertes Vorbild sein.
Topmanagern fehlt es im Alltag fast immer an offenem und ehrlichem Feedback. Da wüsste ich was: Spielen Sie doch mal Undercover-Boss. So erhalten Sie die Chance, die eigene Firma live zu
erleben, ohne ständig hofiert zu werden. »Ich wollte wissen, an
welchen Stellen sich Prozesse und Arbeitsbedingungen optimieren lassen, um Mitarbeitern das Leben leichter und dem Gast das
Leben angenehmer zu machen. Und das war tatsächlich möglich,
weil beim Dreh alles echt ist und nichts inszeniert wird«, erzählt
mir Marcus Smola, Geschäftsführer der Best Western Hotels, der
das Experiment vor laufenden Fernsehkameras wagte. Ja, Unternehmer müssen am eigenen Leib in Erfahrung bringen, was die
Kunden wirklich wollen, um in Rekordgeschwindigkeit auf Marktveränderungen reagieren zu können. »Go and see for yourself!«
nennen die Amerikaner diesen Kurs.
Doch wie erleben die Mitarbeiter einen solchen Undercover-Boss,
wenn die Sache am Ende aufgedeckt wird? Dazu gab es im Personalmarketing-Blog ein Interview mit Jan Zilske, Regionalvertriebsleiter beim Tiefkühl-Heimservice Eismann, das ich hier gekürzt
wiedergebe:
»Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfahren haben, dass
›Rico Meissner‹ in Wirklichkeit Ihr Chef Mika Ramm ist?«
»In dem Moment, als ich den Zusammenhang realisiert habe,
sind mir wahnsinnig viele Dinge durch den Kopf gegangen.
Man fängt dann unweigerlich damit an, die gesamte Szenerie
noch einmal durchzuspielen.«
»Kam Ihnen nie der Gedanke, dass es sich um Ihren Chef
­handeln könnte?«
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
65
»Man ist als Laie vor einer Fernsehkamera so stark auf seine
­eigene Person konzentriert, dass überhaupt keine Zeit für solche
Zweifel bleibt.«
»Hatten Sie, nachdem die Undercover-Aktion aufgedeckt wurde,
nicht das Gefühl, kontrolliert worden zu sein?«
»Absolut nicht. Wenn man den ganzen Tag von einer Fernseh­
kamera begleitet wird, sollte einem klar sein, dass diese Bilder
später jeder sehen wird.«25
Seine TV-Erfahrungen konnte Jan Zilske später dann in einen
Workshop einbringen, in dem neue Inhalte für das Eismann-Firmenfernsehen erarbeitet wurden.
Externes Crowdsourcing: der Kunde als
­Mitentwickler
Nicht alle intelligenten Leute arbeiten bereits bei Ihnen. Da wäre es
doch gut, ein paar helle Köpfe ausfindig zu machen, die Ihnen beim
Innovieren helfen, ohne dass sie gleich auf die Gehaltsliste müssen.
Die Kunden sind die besten Experten! Bei ihnen schlummert das
bislang am wenigsten genutzte Kreativpotenzial. Von progressiven
Unternehmen werden Konsumenten schon längst in alle Stufen
des Wertschöpfungsprozesses aktiv involviert. Für manche ist das
nur ein Marketinggag. Andere haben erkannt, dass sie durch Kundenintegration tatsächlich besser werden. Die Flopraten sinken.
Und größere Erfolge stellen sich ein. Kundentreue wird quasi einprogrammiert. Und Gesprächsstoff entsteht so ganz wie von selbst.
Kunden lieben und loben Produkte umso mehr, je intensiver sie
beim Entwicklungsprozess mitreden dürfen. Marktforscher kennen diesen Effekt längst: Wenn man Menschen zeigt, dass man
sich für ihre Meinung interessiert, verändert sich deren Haltung
zum Unternehmen positiv.
66
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
Deshalb muss das externe Crowdsourcing, also das Nutzen der
»Weisheit der Kunden«, alle Bereiche im Unternehmen durchdringen. Und dies ist in zahlreichen Varianten möglich: Umfragen,
Abstimmungen und Ratings, Prognosebörsen, Diskussions­
foren und Feedbacksysteme, Ideencamps und Innovationsworkshops, Kundenbeiräte, Community-Plattformen und User-Groups. Aber kommt sich der
Kunde bei all dem nicht ausgenutzt vor? Nein,
wie es scheint, ist das nicht der Fall. Menschen
lassen sich gerne fürs Helfen gewinnen. So
Bei den Kunden
wünschen sich 87 Prozent der deutschen
schlummert das
Konsumenten, dass Marken sie stärker einbislang am we­
binden. Dies hat 2013 die Markenstudie
nigsten genutzte
brandshare der PR-Firma Edelman herausKreativpotenzial.
gefunden.26 Es macht eben viel mehr Spaß,
selbst mitzuspielen, als immer nur anderen
zuzuschauen. Zum Beispiel haben bei einer
Co-Creation-Aktion auf der Facebook-Seite
von Joey’s Pizza die User über 8500 Rezepte mithilfe eines Konfigurators kreiert. Acht Fan-Pizzen
schafften es in die Produktion. Hierfür erhielten die
Schöpfer eine Prämie von 5 Cent pro verkaufter Pizza. Dabei verdiente die Gewinnerin Anja 2777 Euro.
Auf seine Weise kann jedes Unternehmen Ansatzpunkte finden,
um die Menschen mitentscheiden zu lassen, wohin es sich in Zukunft bewegt. Und dieser neue Weg macht vor niemandem halt.
So hat die NASA, die US-Weltraumagentur, die ganze Welt aufgerufen, ihr zu helfen. Sie will Vergleiche darüber anstellen, wie
sich die Körper der Menschen verändern, je nachdem ob sie auf
der Erde und im Weltraum leben. Hierzu hat sie AstronautenZwillinge ausgewählt, die eineiigen Brüder Scott und Mark Kelly.
Der eine soll 365 Tage in der Schwerelosigkeit der Raumstation ISS
verbringen, der andere bleibt auf der Erde. Beide sollen zeitgleich
identische psychologische Prüfungen und physische Ausdauertests absolvieren. Was sich dabei so alles experimentell vergleichen
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
67
lässt, dazu gibt es eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten. So bat
die NASA in einem Aufruf die Öffentlichkeit, hierzu Ideen und
Testvorschläge einzureichen.27
Natürlich kann man sich auch seine eigene Innovationsplattform
bauen. Zu den Vorreitern zählt MyStarbucksIdea.com. »Du weißt
besser als irgendjemand sonst, wie Starbucks für dich sein soll.
Also, erzähl uns davon. Was ist deine Starbucks-Idee? Revolutionär
oder einfach, wir möchten sie hören.« Mit diesen Worten lädt der
Kaffeespezialitäten-Anbieter seine Fans ein. Über 150 000 ­Ideen
wurden bislang eingereicht. Zum Beispiel hatte kein Mensch bei
Starbucks daran gedacht, Sojamilch ins Programm aufzunehmen,
bis die Kunden entsprechende Vorschläge machten. Einer der Fans
hat vorgeschlagen, die Eiswürfel aus Kaffee herzustellen, damit der
Eiskaffee nicht so verwässert.
Doch nicht nur bei kleinen Eiswürfel-Fragen, sondern auch bei
großen Goldgruben-Themen kann Crowdsourcing eine Hilfe sein.
»Rob McEwen, ein Investor von Goldminen, hatte ein Problem«,
berichtet Tristan Horx von der TEDGlobal-Konferenz 2012 in
­Edinburgh. »Seine Geologen konnten in seiner neuen Goldmine
kein Gold finden. Er ahnte, dass er eine völlig neue Herangehensweise brauchte. Also veröffentlichte er alle bisher gesammelten
geologischen Daten im Internet und setzte einen üppigen Finderlohn aus. Hunderte von Menschen aus allen möglichen Berufen
und Fachrichtungen machten sich auf die Suche. Computergrafiker bauten die Mine als dreidimensionales Objekt nach, durch
das man virtuell navigieren konnte, und in Kombination mit dem
Fachwissen der Geologen war es dieses Modell, das den Durchbruch brachte.«28 Wenn man solche Crowdsourcing-Aktivitäten
startet, damit Kunden Ideen für neue oder bessere Produkte einbringen, kann natürlich auch jeder Konkurrent die öffentlichen
Vorschläge einsehen. »Er sieht aber nicht, wie das Unternehmen
die Informationen be- und auswertet, welche Auswahlprozesse
es entworfen hat, um die Vorschläge zu verarbeiten, und welche
­Ideen später realisiert werden«, erläutert Heike Simmet, BWL-Pro-
68
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
fessorin an der Hochschule Bremerhaven, in einem Interview mit
der Computerwoche.29
Übrigens finden Sie auf www.touchpoint-management.de ein
kostenloses E-Book zum Thema Crowdsourcing und Co-Creation
mit vielen weiteren Beispielen.30 Und wenn es bei Ihnen mal gar
nicht weitergeht, dann stellen Sie Ihre brennenden Fragen doch
einfach der ganzen Welt! Open Innovation nennt man das dann.
Auf Webseiten wie brainr.de, atizo.com, neurovation.net oder
brainfloor.com kann man zum öffentlichen Brainstorming einladen. Auf der internationalen Großplattform InnoCentive stehen
aktuell über 300 000 registrierte Ideengeber aus knapp 200 Ländern für kreative Hilfe bereit. Wer sie nutzt, versorgt sich mit der
kollektiven Intelligenz quirliger Querdenker von überallher. Niemand kann sich nun noch länger in den Expertenturm zurückziehen und verzaubert von seinem Genius vor sich hin basteln. Denn
die wertvollsten Ideen entstehen nicht im behüteten Drinnen, sondern an den Rändern einer Organisation und im wilden Draußen.
Ein neues Berufsbild: der Touchpoint-Manager
Heute werden Unternehmen von außen, also von den Kunden her,
nach innen gebaut. Outside-in statt inside-out heißt der Kurs. Die
entscheidenden Impulse kommen von draußen. Nicht der hypothetische Businessplan, sondern das, was an den Touchpoints tatsächlich passiert, entscheidet über Top oder Flop. Deshalb brauchen
Unternehmen nicht nur ein internes und ein externes TouchpointManagement, sondern auch (einen) Touchpoint-Manager.
Kernaufgabe des Touchpoint-Managers ist es, an den externen
Touchpoints des Unternehmens eine einhundertprozentige Kundenfokussierung zu ermöglichen. Diese Funktion hat sowohl strategische als auch operative Komponenten. Grundsätzlich geht es
um eine Transformation des gesamten Unternehmens hin zu ei-
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
69
ner tatsächlich kundenorientierten Organisation. Hierfür
muss der vielfach unkoordinierte und nichtsynchrone
kundenbezo­gene Wildwuchs, der sich in den einzelnen Abteilungen breitgemacht hat, zunächst
Kernaufgabe
entflochten werden. Danach geht es um die
des Touchpoint-­ Hinführung zu einem synchronisierten, ganzManagers: an
heitlich und dauerhaft kundenzentrierten
den externen
Wertschöpfungsprozess. Insofern unterTouchpoints eine
scheidet sich der Touchpoint-Manager auch
hundertprozen­
von den Customer-Experience-Verantworttige Kunden­
lichen, die vor allem punktuell für eine Verfokussierung zu
besserung der Kundenerlebnisse sorgen.
ermöglichen.
Ein Touchpoint-Manager soll in Sachen Kunde der erste und oberste Anlaufpunkt sein. Er
ist mit den kundenrelevanten Entwicklungen
draußen und drinnen im Unternehmen bestens vertraut. Er ist derjenige, der intern als Advokat des Kunden agiert. Er nimmt immer dessen Perspektive ein, und das
wird so akzeptiert, auch wenn es schon mal unbequem ist. Geht
es um kundenbezogene Entscheidungen, hat er das erste und das
letzte Wort. Und er hat ein Vetorecht. Er setzt sich mit Herzblut für
die Kundeninteressen ein und koordiniert deren Belange. So stellt
er auch sicher, dass das unproduktive Silodenken zwischen den
einzelnen Abteilungen – zumindest was die Kundenperspektive
betrifft – endlich ein Ende hat.
Organisatorisch gesehen ist ein Touchpoint-Manager Knotenpunkt und Drehkreuz für alle Touchpoints, die er vertritt. Er ist
also keine Randfigur, sondern steht mitten im Unternehmen. Da
jede Ab­teilung, unabhängig von ihrer Kernaufgabe, auch in Kundenthemen involviert ist, arbeitet der Touchpoint-Manager crossfunktional mit allen eng und gleichberechtigt zusammen. Er benötigt die absolute Rückendeckung der Geschäftsleitung, da sein
Weg holprig ist und er sich nicht immer nur Freunde macht. Denn
wer als Interessenvertreter des Kunden agiert, deckt zwangsläu-
70
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
COLL
COLL
CEO
Marketing
HR
COLL
Touchpoint
Manager
Finance
© Anne M. Schüller
COLL
COLL
Vertrieb
COLL
Einkauf
F&F
IT
COLL
COLL
Abb. 6: Die Position des Touchpoint-Managers als Interessenvertreter des Kunden –
er ist mit allen Unternehmensbereichen sowie Externen vernetzt
fig Missstände auf. Seine internen Botschafter sitzen im mittleren
Management. Vor allem diese muss er für das Bewältigen seiner
Aufgabe gewinnen. Mit deren Hilfe und einem fortwährenden Einbeziehen aller Mitarbeiter kann er sich an das nötige Neudesign des
Touchpoint-Mixes machen.
So kann das Touchpoint-Management zum maßgeblichen Treiber
eines unternehmensweiten Kulturwandels werden: hin zu einer
Vernetzung und hin zu den Kunden von heute und morgen.
In Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe bekleidet der
Touchpoint-Manager abteilungsübergreifend eine eigene Funk­
tionsstelle, die an die Geschäftsleitung angedockt ist. In Großorga­
nisationen ist ein neuer Posten im Boardroom gefordert: der Chief
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
71
Touchpoint-­
Touchpoint Officer (CTO). Und nachdem das
Management
Marketing, das ursprünglich für eine auf den
statt Marketing –
Markt ausgerichtete unternehmerische Geund die Kunden­
samtstrategie stand, sich immer mehr zu eiorientierung ist
ner reinen Werbeschleuder degradiert und
garantiert.
zum Datensammelbecken verkommt, kann
der CTO den inzwischen an oberster Stelle
oft verwaisten Platz übernehmen. Das bedeutet: Touchpoint-Management statt Marketing.
Kundenorientierung wäre dann garantiert.
Touchpoint-Manager in der Praxis
Nun die spannende Frage: Gibt es Touchpoint-Manager bereits?
Die Antwort ist Ja, einige wenige schon. Eine davon ist Katharina
Büeler. Sie leitet das Touchpoint-Management der Basler Versicherungen und ist Mitglied der Direktion. Die Bâloise, viertgrößte Versicherung in der Schweiz, hat europaweit 9000 Mitarbeiter, 3500
davon arbeiten in der Zentrale in Basel. Seit 2010 gibt es im Unternehmen das Touchpoint-Management, eine fünf Personen umfassende Abteilung, die sich gemeinsam mit vierzig Multiplikatoren
in allen Geschäftsbereichen um die Optimierung der Kunden­
beziehungen kümmert. »Hierarchien und Silodenken wollten wir
bewusst aufbrechen«, erzählt mir die Pionierin, die selbst 25 Jahre
im Vertrieb tätig war und so manches Mal mit ihren Kunden bei
schlechten Erlebnissen mitgelitten hat. Startpunkt ihres Vorgehens
war die Frage: Was sollen die Kunden über uns sagen? In der Folge wurden Instrumente und Methoden aufgebaut und eingeführt,
um die Kundenbrille ins Unternehmen zu bringen, einen Kulturwandel zu bewirken und ein systematisches Touchpoint-Redesign
umzusetzen.
Auch die mittelständische Softwarefirma doubleSlash aus Friedrichshafen hat einen Touchpoint-Manager: Alexander Strobl. Sei-
72
Teil 1: Unternehmerische Rahmenbedingungen für unsere neue Businesswelt
ne Aufgabenstellung? »Einerseits führe ich Touchpoint-Analysen
bei unseren Kunden durch. Andererseits unterstütze ich meine
Kollegen in Sales und Marketing in enger Abstimmung mit der
Geschäftsführung. In dieser Rolle bin ich an keiner konkreten
Stelle im Organigramm verortet, sondern helfe den Abteilungen
projekthaft bei der Ausarbeitung kundenbezogener Maßnahmen.
Dabei beschränken sich meine Aufgaben in der Regel auf den analytischen und organisatorischen Teil. Die eigentliche Durchführung
geschieht in den jeweiligen Abteilungen.«
Was war der Grund, weshalb diese Position geschaffen wurde, frage ich ihn. »Auch wir kämpfen mit der wachsenden Anzahl an
potenziellen Kanälen und Touchpoints, die gepflegt und betrieben werden müssen. Für uns war es wichtig zu erkennen, welche
Touchpoints wirklich relevant für uns sind, um unsere Budgets gezielter einzusetzen. … Die eigene Betriebsblindheit zu überwinden,
ist eine der schwierigsten Hürden. Eine wesentliche Aufgabe des
Touchpoint-Managers ist es, einen Brückenschlag zwischen den
Abteilungen zu schaffen.«
Da drängt sich jetzt geradezu eine weitere Frage auf: Gibt es auch
interne Touchpoint-Manager, solche also, die sich explizit um das
Wohlergehen der Menschen innerhalb einer Organisation kümmern, um deren Performance auf Höchststand zu halten? Noch
nicht, aber hoffentlich bald. »Was sollen die Mitarbeitenden über
uns sagen?« – Mit Blick auf die sich wandelnden Arbeitnehmermärkte kann dies eine geradezu brillante Ausgangsfrage sein. In
Schritt drei des CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozesses werden wir dieses ganz und gar neue Berufsbild näher betrachten.
Ganz klar ist in jedem Fall eins: Unternehmen, Mitarbeiter und
Kunden rücken immer näher zusammen. Sie vernetzen sich zu einer interaktiven Gemeinschaft. Und nichts darf dieses Dreiecksverhältnis zerrütten.
Die sieben Schlüsselaufgaben für morgen
73
Teil 2
­Leadership
in ­u nserer
­n euen
­A rbeitswelt
Die wunderbaren »neuen«
­Mitarbeitenden
Jede Unternehmensführung ist nur so gut wie die Mitarbeiter, die
diese umsetzen. Deshalb brauchen Unternehmen couragierte, motivierte, kundenorientierte, unternehmerisch mitdenkende, loyale,
begeisterte, ja geradezu glückliche Mitarbeiter. Mit solchen Mitarbeitern lässt sich Großes vollbringen. Sie sind nicht nur engagierter, sondern auch überzeugender. Und vertrauenswürdiger. Und
kreativer. Mit solchen Mitarbeitern erreicht man eine Alleinstellung
im Markt – und einen deutlichen Vorsprung im Wettbewerb der
zunehmend gleichartigen Angebote. Ihr größtes Erfolgspotenzial steckt in den Mitarbeitern, die ihre Arbeit
und die Kunden lieben. Sie sind die wahren Helden
eines Unternehmens.
Mitarbeiter
Solche Mitarbeitenden gilt es zu suchen, zu
wollen nicht ge­
finden und so lange zu halten, wie es irmanagt werden.
gendwie geht. Neben der Attraktivität des
Kunden übrigens
Arbeitgebers spielt dabei eine passende, auf
auch nicht.
die unterschiedlichen Mitarbeitertypologien ausgerichtete Führungskultur eine entscheidende Rolle. Deshalb muss nun endlich
das Führen in den Vordergrund und das Managen in den Hintergrund rücken. Was hingegen die Talente der Manager betrifft, so sagt
schon der Name: Sie verstehen viel von Managen
und (zu) wenig von Führen. Angesichts der sich zunehmend digitalisierenden und virtualisierenden Arbeitswelt könnte sich dieses Dilemma sogar noch verschärfen. Doch
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
77
ist dieses Problem hinreichend erkannt? Theoretisch möglich. Aber
in der Praxis kaum sichtbar. Doch zumindest keimt Hoffnung auf.
Denn welche Themen die Personaler in den nächsten Jahren vor
allem beschäftigen, zeigt die HR-Trendstudie 2014 / 2015 des Bundesverbandes der Personalmanager.31 Sie brachte folgende Top­
prioritäten zutage:
{{ Führung stärken (55,4 %)
{{ Veränderungen meistern (48,8 %)
{{ Fachkräftemangel begegnen (44,6 %)
{{ Mitarbeiter an das Unternehmen binden (44,0 %)
Genau mit diesen Themen wollen wir uns in diesem Buchteil befassen – allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Getreu dem Outside-in-bottom-up-Ansatz sind nach den Kunden nun die Mitarbeitenden dran.
{{ Zuallererst wollen wir die Rolle der Mitarbeiter von heute
­ eleuchten und dann eine neue, digitalbasierte Mitarbeiter­
b
typologie betrachten.
{{ Danach werden wir erörtern, warum Mitarbeiterloyalität mehr
ist als Bindung, warum sie gerade heute so wichtig ist und wie
man sie erhält.
{{ Im Anschluss daran stellen wir die Frage, wie ein dauerhaftes
Mitarbeiterengagement sichergestellt werden kann, denn dann
braucht man weniger neue Leute zu suchen.
{{ Danach geht es um die Mitarbeitenden als Botschafter und
darum, wie sie helfen können, neue exzellente Mitarbeiter zu
finden.
{{ Schließlich geht es um die gegenwärtigen und zukünftigen
Veränderungen am Arbeitsmarkt, welches neue Führungs­
verständnis dies erfordert und welche neuen Führungstypen
es dazu nun braucht.
Also dann, legen wir los.
78
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Sind Ihre Mitarbeiter auch »Porsche«?
Die Hälfte aller Arbeitnehmer tappt in Hinblick auf die Ziele »ihres« Unternehmens völlig im Dunkeln. Dreißig Prozent kennen sie
vage. Nur bei zwanzig Prozent werden sie regelmäßig kommuniziert, sagt eine Stellenanzeigen-Studie aus dem Jahr 2013.32 Um
Himmels willen! Wie in aller Welt sollen die Mitarbeiter bei solchen
Zuständen unternehmerisch mitdenken, mithandeln und in die
richtige Richtung laufen? Und wie sollen sie am Ende für die Kunden Großes vollbringen? Zumal deren Erwartungen höher sind als
jemals zuvor! In jedem »Moment der Wahrheit« muss es an den
Touchpoints tipptopp laufen.
So sollen die Mitarbeiter bitte heute sein:
{{ Könner (als Fachkraft und Experte)
{{ Woller (mit der richtigen Einstellung)
{{ Menschenversteher
{{ Kundenbegeisterer
{{ Botschafter des Unternehmens (nach innen und außen)
Jeder Mitarbeitende? Ja, jeder! Ganz egal, ob die Person in einem
direkten oder »nur« in einem indirekten Kundenkontakt steht,
und egal auch, ob die Person am Montageband, in der Buchhaltung, als Fahrer oder in der Werkstatt ihre Arbeit tut: Draußen
kann man sich treffen. Über die sozialen Netzwerke kann heute
jeder Kunde mit jedem online aktiven Mitarbeiter direkt in Verbindung treten. Und egal, ob virtuell oder real: Schon wenn ein
einziger Mitarbeiter unfreundlich oder inkompetent ist, überträgt
sich dies auf die Firma. Und wird auch nur an einer einzigen Stelle
gepatzt, war für den Kunden »dieser Saftladen« schuld.
Um hier im grünen Bereich zu sein, braucht es dreierlei: erstens
das Wissen, wohin die Firma will, zweitens fachliche Expertise und
drittens eine eUSP. Die eUSP (Emotional Unique Selling Proposi-
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
79
tion) ist die emotionalisierende Alleinstellung, für
die die Unternehmensmarke steht. Sie ist nicht
nur in die Produkte fest eingebaut, sondern
manifestiert sich auch in allem, was die MitarUnternehmens­
marken brauchen beiter sagen und tun. Und genau so wird dies
in den »Momenten der Wahrheit«, wenn
eine eUSP, eine
es an einem Touchpoint zu einer »Berühemotionalisieren­
rung« zwischen Kunde und Marke kommt,
de Alleinstellung.
dann auch wahrgenommen. Nehmen wir
etwa Porsche. Die Marke steht für sportliche
Perfek­tion. Und wie wird das gelebt?
Dazu ein (leicht gekürztes) Beispiel, das meine
Kollegen Anja Förster & Peter Kreuz in ihrem Buch
Spuren statt Staub erzählen: Wir standen im Foyer von
Porsche in Leipzig. Richtig cooles Ambiente. Super Architektur. Businessvolk strömte rein und gönnte sich noch einen
Schluck Prosecco vor der Veranstaltung. Alles war entspannt. Bloß
dieser Wackelkandidat von Stehtisch trieb uns zum Wahnsinn! Wie
gut, dass gerade ein Mitarbeiter von Porsche vorbeikam, den wir
nach einem Bierdeckel fragten. Nach gefühlten 30 Sekunden war
der junge Mann wieder da. Er warf sich vor uns auf die Knie und
begann, den dreiteiligen Tischfuß mit einem Inbusschlüssel zu justieren. Zwischendurch schaute er immer wieder hoch auf ein Glas
mit Wasser, das auf dem Stehtisch stand. Der Eichstrich diente ihm
als Wasserwaage. Er war erst zufrieden, als der Tisch nicht mehr
wackelte und die Tischplatte in einer exakt horizontalen Position
war. Wow!, sagten wir. Herzlichen Dank! Da schaute uns der junge
Typ einen Augenblick lang schweigend an. Dann sagte er einen
einzigen Satz: »Wir bei Porsche arbeiten nicht mit Bierdeckeln.«33
In der Tat: Wow! Unbezahlbar, ein solcher Moment.
80
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Und? Wie leben Ihre Leute Ihre Marke?
Jetzt sind Sie dran: Wann, wo und wie verschenken Ihre Mitarbeiter solche Momente der Faszination?
Grundvoraussetzungen dafür sind:
1.Sie haben eine eUSP, eine emotionalisierende Alleinstellung.
2.Ihre Mitarbeiter kennen diese genau – und verstehen die
­Marke.
3.Sie ermöglichen es Ihren Mitarbeitern, den Geist der Marke
zu leben.
Höchst exemplarisch macht dies auch die Fünf-Sterne-Hotelkette
Ritz-Carlton. Das Produzieren von Wow-Momenten ist dort Programm. »Ausnahmslos jeder Mitarbeiter in jedem unserer 77 Hotels weltweit hat die Aufgabe, nach Anlässen zu suchen, bei denen
er die Erwartungen der Gäste übertreffen kann«, erzählt mir Silvia
Kahler aus dem Ritz-Carlton in Wien. »Die Gelegenheit dazu ist
immer dann besonders günstig, wenn die Gäste ein Problem haben,
das nicht ursächlich mit unserem Service zu tun hat. Denn dass
dieser perfekt ist, das ist im Premiumbereich selbstverständlich.«
Hauptziel ist es, die Gäste zu überraschen, ihnen ein unvergessliches Erlebnis zu bereiten und so ihre lebenslange Loyalität zu gewinnen. Und das Nebenziel heißt Mundpropaganda.
So passierte im Ritz-Carlton Amelia Island in Florida folgende Geschichte, die sich über die sozialen Netzwerke schnell verbreitet
hat: Ein kleiner Bub vermisste sein Lieblingsstofftier, eine Giraffe
namens Joshie. Ganz schlimm so was, wie jeder weiß, der Kinder hat. Sie war versehentlich in der Hotelwäscherei gelandet. Ein
paar Tage später kam Joshie per Päckchen wohlbehalten wieder
nach Hause, zusammen mit einem liebevoll zusammengestellten
Fotoalbum. Was für eine Überraschung! Es zeigte die Abenteuer
der kleinen Giraffe bei ihrem ungeplanten Ausflug: Joshie mit Sonnenbrille auf einem Liegestuhl am Pool, Joshie bei einer Massage
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
81
im Spa, Joshie zusammen mit dem Hotelpapagei Amelia, Joshie,
wie sie ein Golfcart fährt, und Joshie, wie sie im Hotel ein bisschen
mitarbeitet. Mit wenigen Mitteln und einer tollen Idee haben die
Hotelmitarbeiter nicht nur dem kleinen Gast, sondern der ganzen
Familie ein einzigartiges Erlebnis geschenkt – und sicher auch eine
Menge Spaß gehabt.
Rituale, damit alles in Fleisch und Blut übergeht
Jeder Tag im Ritz-Carlton beginnt für die Mitarbeiter mit dem Erzählen einer Wow-Story. Insgesamt 40 000 Mitarbeiter erfahren so,
wer auf ganz besondere Weise zum Erfolg der Kette beigetragen
hat. Jedes Hotel hat die Aufgabe, pro Woche eine Wow-Story in
die Zentrale zu melden. Die besten gehen dann um die Welt. In
Summe entsteht so ein ganz besonderer Spirit – und eine einzigartige Form von Gastlichkeit. Sie hat Ritz-Carlton berühmt gemacht.
Und man spürt sie gleich in dem Moment, in dem man ein Hotel
der Marke betritt. Damit aber noch nicht genug. Sollte nämlich
tatsächlich einmal etwas vorfallen, das sich nicht durch eine kleine
Geste beheben lässt, hat jeder Mitarbeiter pro Gast 2000 US-Dollar
zur freien Verfügung, die er ungefragt investieren darf, um
die Sache wiedergutzumachen. Und siehe da: Mit dieser Verantwortung gehen die Mitarbeiter sehr, sehr
weise um. Vor allem aber legen sie sich mächtig
ins Zeug, damit es gar nicht erst zum Ernstfall
kommt.
Übertragen Sie
Solche Dinge können allerdings nur dort
Ihren Mitarbeitern passieren, wo man die Mitarbeiter entfesdie notwendi­
selt und aus dem Regelkorsett befreit. Und
gen Mittel – und
nur dort, wo man an die gewaltige Kraft ihdie Ergebnis­
res kreativen Wollens glaubt. Ferner muss,
verantwortung!
ganz wichtig, zusammen mit den notwendigen Mitteln auch die Ergebnisverantwortung übertragen werden. Und damit das Ganze
82
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Schule macht, braucht es schließlich ein verstärkendes Ritual: das
kontinuierliche Teilen der besten Storys und das ausgiebige Weiter­
erzählen der größten Erfolge.
»Die wichtigste Form der Markenführung ist die Markenführung
über die eigenen Mitarbeiter«, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin Antonella Mei-Pochtler.34 Wenn Sie diese Basis geschaffen haben, dann ermitteln Sie den Anteil der Mitarbeiter in Ihrer Belegschaft, die direkten Kundenkontakt haben. Und nun verdoppeln
Sie diese Zahl. So verdoppeln sich auch die Chancen, Kunden zu
begeistern, zu loyalisieren und zu aktiven Empfehlern zu machen.
Virtuell und real: dem Kunden ganz nah
Wer echte kundenfokussierte Problemlösungen verkauft, verabschiedet sich von seiner selbstzentrierten Sichtweise und taucht tief
ein in die Kundenwelt. »Was ist Ihr brennendstes Problem?«, wird
er fragen, und: »Wovon träumen Sie?« Und sich selbst: »Welche
Lösungen bieten nur wir diesem Kunden – und was können wir
deutlich nachvollziehbar besser als alle anderen?« Das Ziel: Differenzierungsleistungen parat zu haben und bester Problemlöser
für seine Kunden zu sein. Und weil ein solcher Lösungsanbieter
als langfristig wertvoller Partner gesehen wird und nicht als austauschbarer Lieferant, fördert der Lösungsverkauf die Kundenloyalität und das Weitererzählen.
Dazu wird gemeinsam betrachtet, wie man die Touchpoint-Inter­
aktionen mit seinen Kunden besser gestalten, ihr Leben vereinfachen und ihren Nutzen vergrößern kann. Oder wie man sie emotional berühren, ihr Dasein versüßen, ihnen Zeit schenken und sie
immer wieder neu überraschen kann. Nicht Geld, sondern Zeit und
Vergnüglichkeit, Sicherheit und Geborgenheit, Ruhe, Freiraum
und Wohlergehen sind für viele der größte Luxus. Kunden bezahlen die Unternehmen für die Fähigkeit, genau das zu verstehen.
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
83
Wie die Kunden zu den Mitarbeitern kommen
Wer Kunden verstehen will, muss diesen begegnen. Also gilt es,
zu planen, wie man die eigenen Mitarbeiter zu den Kunden und
die Kunden zu den Mitarbeitern bringt. Hierzu können zum Beispiel die Werksleiter, Techniker und Ingenieure ihre Zelte beim
Kunden aufschlagen oder sich dort anstellen lassen und mitarbeiten, um zu erleben, was Sache ist. Kunden können in die Forschungs- und Entwicklungslabore des Anbieters kommen, um
Hinweise zu geben und Anliegen zu äußern. Oder Leute aus dem
Vertrieb, dem ­Service und dem Callcenter treffen sich regelmäßig
mit ihren K
­ ollegen aus der Produktion, dem Personalwesen und
der Verwaltung bei einem ausgiebigen Frühstück, um sich darüber
auszutauschen, wie es den Kunden geht und was sich gemeinsam
optimieren lässt.
Überlegen Sie auch im Kreis der Kollegen, wie man die Kunden vor
allem dort stärker präsent machen kann, wo es von Haus aus keine
persönlichen Kontakte gibt. So können Sie täglich die schönsten
Kundenstimmen aus dem Web auf Bildschirmen im Mitarbeiterbereich zeigen. Sie können Kunden zum Geschichtenerzählen einladen und diese der Belegschaft als Videobotschaften vorspielen.
Dann geben die Bilder den Vorgängen nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht. All dies wirkt jedenfalls viel glaubwürdiger
als ein Chef, der die immer gleichen Motivationspredigten hält.
Und die Belegschaft erhält im wahrsten Sinne des Wortes lebendige
Beweise dafür, welche Wirkung ihre Arbeit hat und wofür sie von
den Kunden geschätzt wird. Solche Begeisterung ist ansteckend
und spornt zu immer neuen Heldentaten an. Außerdem lernt man
mit jeder Kundenstimme mehr darüber, was gut funktioniert und
wovon man besser die Finger lässt.
Wie Marken, Mitarbeiter und Kunden sich auf amüsante Weise näher kommen können, zeigte im Sommer 2013 die Mühlen Allstars
Tour des Wurstherstellers Rügenwalder Mühle. Dabei tourten zehn
Angestellte der Firma sechs Wochen lang durch die Republik und
84
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
maßen sich mit Fans bei lustigen Wettkämpfen wie dem Wurstwahnsinn im Wurstwasser-Flieger, dem Frikadellen-Sumo oder
dem Schinken-Spicker-Twister. Das Ganze wurde mit aufwendigen
Social-Media-Aktivitäten verknüpft.
Die Mitarbeiter wurden vorher durch ein Trainingslager geschickt
und für ihre Aufgabe »gedrillt«.35 »Wie haben Sie denn den direkten Kontakt zum Kunden erlebt?«, will ich von Nevzet, einem
Mitarbeiter aus der Produktion, wissen. »Ich fand den Kontakt zu
den Kunden sehr gut. Es gab viele Fragen über das Unternehmen,
und als Mitarbeiter konnten wir die direkt beantworten. Mir hat
das sehr viel Spaß gemacht.«
»Und wie fanden das die Kunden, mal echte Mitarbeiter einer Marke kennenzulernen, einer Marke, die man ja sonst nur aus dem
Fernsehen oder aus dem Kühlregal kennt?«, frage ich Daniela aus
dem Innendienst. »Manche fanden es super, wenn man gesagt hat,
dass man wirklich bei der Rügenwalder Mühle arbeitet und was
man genau dort macht. Andere sagten: ›Ihr seid doch gekauft‹, aber
die konnten wir ja gut überzeugen.« »Und hat das geholfen, die
Produkte noch besser machen zu können?« Da erklärt Nadine aus
der Personalabteilung: »Ich denke, wir haben schon sehr gute Produkte, und es ist schwer, die besser zu machen. Aber die Hinweise,
die da waren, hab ich weitergegeben.«
Über Kundenbegegnungen im Cyberspace
Auf modernen Websites reden nicht nur die Unternehmen; die
Kundschaft und die eigene Mannschaft reden ebenfalls mit. Auf
der Startseite geht es gleich los: Die Mitarbeiter erzählen selbst,
wie sie mit den Wünschen der Kunden umgehen. Und die Kunden
berichten darüber, wie die Zusammenarbeit klappt. Neuen Bewerbern erklärt nicht die Personalabteilung, sondern ein Mitarbeiter
an seinem jeweiligen Arbeitsplatz, wie alles funktioniert und was
es mit der Stelle so auf sich hat. Kein Profisprecher, sondern eine
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
85
Fachkraft aus dem Versand erläutert den Verpackungsprozess und
die lückenlose Lieferkette. Nicht durch die Presseabteilung, sondern über einen eingebundenen Azubi-Blog wird Interessantes aus
dem Betriebsalltag nach draußen getragen.
Hat jemand in sozialen Netzwerken Fragen zur Funktion einer Maschine, kann einer direkt aus dem Konstruktionsteam im Kommentarfeld Auskunft geben. Geht es um den Fertigungsprozess,
wird veranlasst, dass ein Arbeiter per Video direkt vom Montage­
band aus Rede und Antwort steht. Und will jemand etwas über
die chemische Zusammensetzung eines Produktes erfahren, dann
kommt die Laborfachkraft zu Wort. Keine Sorge dabei! Die Fähigkeit, sich in einer netzwerküblichen Sprache zu äußern, bringen
die Jüngeren schon von Haus aus mit. Und den anderen, die mitmachen wollen, bringt der Social-Media-Manager, den wir weiter
hinten näher kennenlernen, die notwendigen Kenntnisse bei. Wie
er zu Freiwilligen kommt? Er macht einen Mitmach-Aufruf und
führt entsprechende Castings durch. Solche Auswahlverfahren
sind durch die vielen Fernseh-Castingshows inzwischen weitläufig
bekannt. Und Spaß machen sie auch.
Die Eins-zu-eins-Kommunikation über Social-Media-Präsenzen
hat viele Vorteile. Bei den beteiligten – und auch bei vielen nicht
unmittelbar beteiligten – Mitarbeitern führt sie zu einem Plus an
Wertschätzung, Motivation, Engagement und Loyalität. Wer auf
solche Weise »offiziell« für sein Unternehmen sprechen darf,
wird es nicht hinterrücks sabotieren. Darüber hinaus gibt jeder
Mit­arbeiter, der auf diese Art eingebunden wird, dem Unternehmen auch Persönlichkeit. In jeder Firma gibt es »Originale«, die
uns zum Schmunzeln und zum Staunen bringen. Sie sagen mehr
über den Spirit eines Anbieters, als jede Hochglanzbroschüre das
­könnte.
So lassen Sie Ihr Unternehmen endlich offener, freundlicher,
menschlicher, vertrauensvoller und glaubwürdiger erscheinen.
Dies stärkt nicht nur Ihre Reputation in der Öffentlichkeit und
86
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
bei (potenziellen) Kunden, sondern auch den Wert Ihrer Arbeitgebermarke (Employer Brand). Ganz nebenbei erhöhen Sie Ihre
Suchmaschinen-Sichtbarkeit wie auch den Traffic auf Ihrer Seite.
Die ganze Welt kann nun erkennen: Ein anonymes Unternehmenskonstrukt mit seinen sterilen Verlautbarungen hat sich in
ein lebendiges Ensemble voll greifbarer, authentischer Menschen
verwandelt, mit denen man klasse reden kann. Und das ist auch
gut so. Denn Menschen kaufen von Menschen – und nicht von
Unternehmen.
Dem Mitarbeiter-Individuum auf der Spur
{{ »Also, ich kann gar nicht verstehen, wie man auf eine so
absurde Idee kommen kann.«
{{ »Mir würde so was jedenfalls nicht gefallen.«
{{ »Das ist doch kein Grund, sich so anzustellen.«
So oder ähnlich tönt es von Führungskräften, wenn sie über ihre
Leute reden.
Ja, wir alle neigen gerne dazu, zu glauben, andere sähen die Welt
ein wenig wie wir. Und sind dann bass erstaunt, wie jemand eine
so völlig andere Sicht haben kann. Doch die Menschen sind alle
verschieden. So wie jedes Gesicht einzigartig ist, so ist auch das
Gehirn bei jedem Individuum anders gebaut. Deswegen denkt,
fühlt, handelt und entscheidet jeder Mensch auf seine einzigartige
Weise. Und eben oft ganz anders als Sie. Doch das ist okay, sogar
eine Chance. Diversität erweitert nämlich den Blickwinkel. Und
sie bereichert. Sie professionalisiert eine Gruppe. Und sie lässt ganz
neue Kompositionen entstehen.
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
87
Die Menschen sind alle verschieden
Wie wird man aber zu dem, der man ist? Manches hat mit Erziehung zu tun, anderes mit der Kultur, die einen sozialisiert. Und
auch in der eigenen Verantwortung liegt so manches, was uns als
Persönlichkeit ausmacht. »Use it or lose it«, so funktioniert unser Gehirn. Was immer wieder gedacht und gemacht wird, bewirkt
zerebrale »Trampelpfade«, die vorzugsweise begangen werden. So
verfestigt sich Verhalten. Schließlich, und das scheint der Hauptgrund zu sein, gibt es eine genetische Disposition. So sehen manche in jedem »Neu« eine Verheißung. Andere sehen darin nicht
Chance, sondern Gefahr. Derartige Grundeinstellungen werden im
Wesentlichen durch Neurochemie dirigiert. Sie ist die übermächtige Mitgift einer jahrmillionenlangen Vergangenheit.
Übrigens verändert sich im Laufe des Lebens die Struktur des Gehirns. Dabei wird mit fortschreitendem Alter die Ausschüttung des
aktivierenden Botenstoffs Dopamin dezimiert, wohingegen die
Ausschüttung des Stresshormons Cortisol steigt. Dies alles sorgt für
mehr Vorsicht, begünstigt Routinen und erweckt das, was wir beschaulich als Altersmilde erkennen.
Auch geschlechterspezifische Aspekte sind zu betrachten. So verstärkt das »weibliche« Östrogen die Sozialmodule Fürsorge und
Bindung. Das »männliche« Testosteron hingegen ist mehr auf Eroberung aus. Dieser Hinweis sagt viel über das, was in den Tep­
pichetagen passiert, und auch über die fehlende Weiblichkeit dort.
Und er ist wichtig für einen weiteren Aspekt: die Genderführung.
Damit ist nicht gemeint, wie Männer und Frauen führen, sondern
wie männliche und weibliche Mitarbeiter zu führen sind. Die Unterschiede können erheblich sein. Sie wurden allerdings in der
Praxis bislang noch so gut wie gar nicht ausführlich betrachtet. In
meinem Buch Touchpoints habe ich meine Gedanken dazu niedergeschrieben.
88
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Über Menschen und verschlagwortete Datenpakete
Seit Jahren sind in der Wirtschaft die verschiedensten analytischen
Persönlichkeitsstrukturmodelle bekannt. Auf Basis der modernen Hirnforschung kamen die »limbischen Typen« des Neuropsychologen Hans-Georg Häusel hinzu. Die Wissenschaftlerin Sylvia
­Löhken hat uns mit den Extros, den Intros und den Neutros näher vertraut gemacht. Und Marktforscher setzen dem Ganzen die
Krone auf, indem sie die Menschen clustern und auf immer neue
Weise verschlagworten. So spricht das Zukunftsinstitut aus Kelkheim im Trend-Update zum Thema Workstyles unter anderem vom
Corporate Highflyer, vom kreativen Downshifter, vom Working
Middle, von der digitalen Boheme, den Intermediären und von
Prekaristen.36
Auch in der einschlägigen Führungsliteratur gibt es die unterschiedlichsten Raster, nach denen die Mitarbeiter eingeteilt werden.
Beim Vergleichen mit Tieren mag man ja noch schmunzeln. Andere sind da weniger zimperlich. So tauchen,
meist in Zusammenhang mit Mitarbeiterbefragungen, neben den Leistungsträgern gern folgende
Worte
Begriffe für Beschäftigte auf: Verweigerer, Vererzeugen
irrte, Bewohner, Gefangene, Mitläufer, SöldDenke.
ner, Verräter, Terroristen, Saboteure. Solche
Und Denke
Begriffe sind nicht nur entwürdigend – sie
­erzeugt
sind auch gefährlich. Man sollte seine WorVerhalten.
te besser etwas weiser wählen, denn Worte
erzeugen Denke. Und Denke erzeugt Verhalten.
In manchen Unternehmen sind Mitarbeiter
nichts als Datenpakete – und »heißen« so: FXRES-SHM-SAL-R3-BER oder MC-CEB-CUC-RCCCH-ODM-1. Anderswo nennt man sie Untergebene,
Kleinvieh oder – völlig entmenschlicht – Humankapital.
In der Temporärindustrie spricht man gar abfällig von Body-
Die wunderbaren »neuen« ­M itarbeitenden
89
leasing. Ein besser nicht namentlich genannter
Abteilungsleiter berichtete mir, dass sein Chef
Menschen
die versammelten Führungskräfte im Meeting
­verstärken Ver­
schon mal als »augenlose Würmer« bezeichhalten, für das sie
net. »So was Idiotisches habe ich lange nicht
Aufmerksamkeit,
mehr gehört! Bin ich denn hier von lauter
Anerkennung und Deppen umgeben«, tobt ein anderer herum.
Wertschätzung
»Und mit solchen Nieten muss ich mich ab­erhalten.
geben«, klagt ein Dritter während der Vorstandssitzung.
So sehen die Reaktionen schwacher Chefs aus,
die Angst um ihren Status haben und andere erniedrigen und fertigmachen müssen, damit ihre eigene Kleinheit nicht so auffällig ist. Doch wer seine Mitarbeiter zu kleinen Würstchen macht, wird von ihnen nichts
Großes erwarten können! Und wer nicht loben kann, wird feststellen, dass es in seinem Bereich bald keine lobenswerten Leistungen mehr gibt. Das sollte doch ganz offensichtlich sein: Menschen
verstärken Verhalten, für das sie Aufmerksamkeit, Anerkennung
und Wertschätzung erhalten.
90
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Die digitalbasierte Mitarbeiter­
typologie
Um sich von jeder psychologisierenden Wertung und allen damit
verbundenen Gefahren zu lösen, möchte ich hier eine neue Mitarbeitertypologie einbringen, die auf Arbeitsverhalten basiert. Sie
ist für das Führen in neuen Businesszeiten insofern von hohem
Belang, als sie sich an der fortschreitenden Digitalisierung und den
neuen Arbeitsformen orientiert.
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© Anne M. Schüller
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Abb. 7: Mitarbeitertypologie in unserer neuen Businesswelt – mit Blick auf die
­Digitalisierung und neue Formen der Zusammenarbeit
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
91
Die drei Grundtypen sind die:
{{ Digital Natives
{{ Analog Seniors
{{ Collaborators
Hinzu gesellen sich drei Zwischenstufen:
{{ Digital Immigrants
{{ (Junior) Freelancer
{{ (Senior) Consultants
Mit all diesen Typen kommen Organisationen und ihre Führungskräfte, unabhängig von Unternehmensgröße und Branche, bereits
heute und in Zukunft noch mehr in Berührung. Aus diesem Grund
ist es gut zu wissen, wie sie ticken, um profitabel mit ihnen zusammenarbeiten zu können.
Die neue Workforce: Digital Natives
»Ich bin hier sehr zufrieden, aber natürlich sondiere ich den Arbeitsmarkt regelmäßig. Ich habe auch Angebote mit besserer Bezahlung auf dem Tisch. Aber ich bleibe erst mal noch hier, weil ich
hier einfach mehr lernen kann«, erzählt mir Jan, 26, den ich in
einer Softwareschmiede treffe. Profilierte Digital Natives sind latent
immer auf der Suche nach Jobperspektiven, und ihnen flattern
auch ständig Angebote ins Haus. Doch sie sind wählerisch. Sie streben nicht vorrangig nach hohen Verdienstmöglichkeiten, sondern
nach Entfaltungsperspektiven, individueller Freiheit und Selbst­
organisation. Vordefinierte Karrierewege sind für sie nicht attraktiv.
»Lebenslang beim gleichen Arbeitgeber? Das ist spießig«, erklärt
mir mein Neffe Alexander, 24. Er ist in Landsberg geboren, hat Abi
in England gemacht, dann ein Jahr bei Disney in Florida gearbeitet,
92
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
in Wien studiert, und gerade macht er ein Praktikum in Peru. »Die
Generation Y ist die erste wirklich vernetzte, globalisierte Generation und hat ein tiefes Verständnis für kulturelle Unterschiede.
Dies versetzt sie eher in die Lage, sich in andere hineinzudenken
und auf breiterer Basis mitmenschliche Solidarität zu entwickeln«,
schreibt Lynda Gratton in einem Beitrag für GDI Impuls.37
Die Gen Y favorisiert wechselnde Positionen, in denen sie sich genauso intuitiv ausprobiert, wie sie es mit digitalen Anwendungen
tut. Wohlergehen sei ihnen wichtiger, als wohlhabend zu sein, sagt
der Zukunftsforscher Horst Opaschowski.38 Lernen, leisten, leben,
so laute ihre Wertewelt. Sie haben für alles ein offenes Ohr, sind
wissbegierig und konsensbereit. Sie »verkaufen« sich selbstbewusst
bis zur Selbstüberschätzung. Gute Selbstdarstellung – das haben sie
auf ihrer Profilseite bei Facebook gelernt. Kollaborative Selbstorganisation ist ihr Weg. Und Selbstoptimierung das Ziel.
»An Bedeutung gewinnen Fragen zu Sinn, Spaß, Weiterentwicklung und Weiterbildung. Anforderungen an den Arbeitsplatz sind
Abwechslung, Mitbestimmung, keine Langeweile, ein spannendes
Unternehmen, mit dem man sich identifizieren kann«, erläutert
Iris Gordelik, CEO der Gordelik AG, in einem Interview mit der
Kommunikationsfachzeitschrift Intre. Sind diese jungen Leute
denn faul und dumm, wie manche meinen? Sie habe nicht das Gefühl, dass diese Generation weniger leisten will. Sie sehe eher, dass
die Unternehmen für diese Young Professionals mehr leisten müssen,
sagt die renommierte Personalberaterin.39
Wie sie sind und warum
Qualifizierten Digital Natives geht es vor allem um spannende Aufgaben, experimentelle Freiräume und bereichernde Erfahrungen,
jedoch kaum darum, wie viele Mitarbeiter man unter sich hat.
­Hierarchische Unternehmenslandschaften mit Drill und Order sind
für sie unattraktiv. Führungsverantwortung verliert bei ihnen an
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
93
Attraktivität. Autorität per se wird sofort hinterfragt. Altüblicher
Statuskram und Insignien der Macht sind von wenig Belang. Wertvoll ist nicht der, der einen dicken Dienstwagen fährt, sondern der,
der die Community durch seine Impulse bereichert. Wer den wertvollsten Content liefert, wird von ihnen am meisten geschätzt –
und findet sich im Zentrum ihrer Netzwerke wieder. Im Web hat
derjenige Einfluss, dem viele folgen. »Autorität« wird dort verdient
und nicht von oben ernannt.
Millennials sind es gewohnt, dass Informationen offen zugänglich
sind und von allen geteilt werden. Herrschaftswissen, das gefiltert
und ausgesiebt die Silos hinunterwandert, ist ihnen fremd. Werden Informationen benötigt oder muss Wissen aufgebaut werden,
um an eine neue Aufgabe heranzugehen, dann fragen die Digital
Natives nicht ihre Führungskraft, sondern sie starten eine Onlinerecherche. Denn wer ständig vernetzt ist, sucht auch im Web. Und
die, für die das Browsen, also das Herumstöbern im Web, ein
permanenter Zeitvertreib ist, sind im Finden sehr flott.
Warten, bis der Chef seine Sprechstunde hat oder
zwischen all seinen Meetings eine freie Minute
findet, kommt für sie nicht in Betracht.
Die zunehmende Komplexität des realdigitalen Lebens erfordert einen recht hohen
zeitlichen Aufwand. Privatzeit wird dabei zu
einem wertvollen Gut, das man nicht leicht»Command and
fertig dem Arbeitgeber opfert. Rund 56 Procontrol« ist für
zent aller Benutzer von sozialen Netzwerken,
Digital Natives
so eine Erhebung der Website MyLife.com,
­unattraktiv.
sind außerdem von einem Syndrom betroffen,
das als »Fear of Missing Out« (FOMO) bezeichnet wird.40 Darunter versteht man die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, den Anschluss zu verlieren oder nicht dauernd auf dem neuesten Stand zu sein.
So ist das Gehirn der Ypsiloner auf kurz und schnell kalibriert.
Sie lieben das Lernen in kleinen Einheiten. Ihr Arbeitsstil ist fluid,
94
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
das heißt, sie hüpfen gern von einer Aufgabe zur nächsten, und
dann, ohne frühere ganz beendet zu haben, schon zur übernächsten. Das Mehr von allem kann nur noch bewältigt werden, indem
man es auf Kürzelcodes zusammenstaucht. »Tl,dr« ist einer davon.
»Too long, didn’t read« heißt das ausgeschrieben, und es bringt die
ganze Thematik genau auf den Punkt.
Doch warum sind die Digital Natives so, wie sie sind? Oft sind sie als
Einzelkinder groß geworden und haben viel Aufmerksamkeit bekommen. In familiäre Entscheidungen waren sie gleichberechtigt
integriert. Wer auf diese Weise Kooperation und Dezentralisierung
von Macht erlebte, will sich nicht in betonierten Hierarchien einengen lassen. Viele von ihnen haben auch die Trennung der Eltern
erlebt oder die Fürsorge eines intakten Umfelds verloren. So haben
sie Selbstorganisation und Eigenverantwortung unausbleiblich gelernt. Ihr online organisiertes Netzwerk ersetzt nun die traditionellen Strukturen. Sie wollen soziale Bande mit vielen Menschen,
damit der einzelne Verlust nicht so schmerzhaft ist. Manche jungen Leute fahren allein deshalb kein Auto mehr, weil sie währenddessen nicht ins Internet können. Netzwerk-Reputation ist ihnen
wichtig, und sie wird penibel gepflegt. Digital Natives sind geradezu
feedbacksüchtig und können gar nicht genug davon bekommen, zu
erfahren, wie andere über sie denken.
Dass sie auch eine andere Art von Führung verlangen, versteht sich
fast wie von selbst. Dazu der »Vorstandsflüsterer« Philipp Riederle,
18, in einem Interview mit ChangeX: »Was uns vorschwebt, ist ein
Chef, der nicht direkt anweist, sondern die richtigen Rahmenbedingungen schafft, der nicht seine Autorität ausspielt, sondern motiviert, die Richtung weist, Feedback gibt – nicht ein- oder zweimal
im Jahr, sondern ständig. Die Dinge in die Hand nehmen – das tun
wir selbst.«41 Und in seinem Buch schreibt er auch: »Wenn Ihr uns
kriegen wollt, müssen wir erst Eure Fans werden können.«42
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
95
Transformer der Unternehmenskultur
Auch das hat sich inzwischen gewandelt: Heute bewerben sich die
Arbeitgeber bei den aussichtsreichsten Kandidaten. Eine Standardfrage im Einstellungsgespräch klang früher wie folgt: »Was wissen
Sie über unsere Firma?« Jetzt, so erzählen mir die Rekrutierer, drehen die Spitzenbewerber den Spieß einfach um, und das geht so:
»Ich habe mich über die Reputation Ihres Managements und das
Betriebsklima in Ihrem Unternehmen informiert, nun erklären Sie
mir mal, weshalb ich bei Ihnen arbeiten soll!«
Ohne Zweifel: Die Generation Y verändert unsere Arbeitswelt. Das
Web ist die Erweiterung ihrer Wirklichkeit und ein sozialer Lebensraum. Sie integrieren die dort geltenden Prinzipien der Zusammenarbeit in den Arbeitsalltag und fordern dies auch von der
Führungscrew ein. Sie lassen sich nichts befehlen, sondern wollen verstehen und angemessen beteiligt werden. Sie verlangen ein
hierarchiearmes Umfeld und Experimentierfelder anstelle eines
­
Regelkorsetts. Sie haben ihre Wertestrukturen selbst entwickelt,
und diese entsprechen ihrem dynamischen, mobilen Leben.
Sie engagieren sich stärker sozial und wollen Sinnstiftendes leisten. Und von ihrem Arbeitgeber erwarten
sie, dass er gesellschaftliche Verantwortung zeigt.
Auf ihre Weise transformieren die Millennials
auch die Unternehmenskultur und sorgen
dafür, dass die Businesswelt mit der soziaDie Digital Natives len Entwicklung Schritt halten kann. Dabei
zeigen den
geht es im modernen Miteinander vor allem
Analog Seniors,
darum, soziale Abstände zu reduzieren, Gewo es ab sofort
meinsamkeiten zu betonen und sich auf die
langgeht.
gleiche Stufe zu stellen. Peer-to-Peer-Kommunikation (P2P), Kommunikation unter
Gleichrangigen, nennen sie das. Die Werte, für
die sie also stehen, werden die Zukunft der Arbeit
maßgeblich prägen.
96
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Die Werte der Digital Natives
{{ Kooperation statt Konfrontation
{{ Gleichrangigkeit und Selbstorganisation
{{ Dialog und Interaktion
{{ Teilen und Partizipation
{{ Transparenz und Wahrhaftigkeit
{{ Kreativität und Schnelligkeit
So zeigen die Digital Natives den Analog Seniors, wo es ab sofort
langgeht. Gleichzeitig wird die nachrückende Generation dort, wo
ihr Leadership-Aufgaben anvertraut werden, unter anderem auch
lernen müssen, wie die »älteren Semester« zu führen sind.
Die alten Hasen: Analog Seniors
»Kürzlich haben wir einen Zwanzigjährigen eingestellt, der hat
noch nie eine E-Mail geschrieben«, hat mir neulich ein stark Ergrauter erzählt. Tja, da hatten die beiden etwas gemeinsam. Doch
während für manch einen Digital Native das Mailen schon Schnee
von vorvorgestern ist, weil er nur noch über WhatsApp & Co. kommuniziert, türmt sich in den Teppichetagen noch jede Menge ausgedrucktes Papier. Und ob man es glaubt oder nicht: Eine BitkomStudie von 2013 ergab, dass achtzehn Prozent aller Firmen keine
eigene Website haben.43
Die Kluft könnte derzeit größer nicht sein: Während die junge
Netzgemeinde ohne Internet gar nicht mehr kann und mit ihren
Smartphones förmlich verschmilzt, begeben sich andere gerade
erst auf Entdeckungsreise. So durchforsten derzeit viele »Silversurfer« ganz begeistert Facebook auf der Suche nach Jugendfreunden, die dort schon auf sie warten. Einigen sitzt der Schock noch
im Nacken, den der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher mit
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
97
seinem Buch Payback und 2012 der Hirnforscher Manfred Spitzer
mit Digitale Demenz ausgelöst haben. Beide Bücher versuchen einen Rundumschlag gegen alles, was die digitale Transformation
vermeintlich hervorgebracht hat, und erklären uns, wie wir dabei
angeblich den Verstand verlieren. Dazu gesellte sich im Sommer
2013 Angela Merkels Bemerkung, dass das Internet wohl »für uns
alle Neuland« sei. Damit hat sie mit hoher Medienwirkung und
­einer Menge #Neuland-Twittergeschrei in den Augen vieler mal
eben schnell ganz Deutschland zum digitalen Neandertal erklärt.
Also, neu ist das alles schon lange nicht mehr. Das Internet gibt es
seit den 1970er-Jahren, soziale Netzwerke seit Ende der 1990erJahre und das iPhone seit 2007.
Wie dem auch sei: Die digitale Transformation ist in vollem Gange,
doch die Analogen sind auch noch da, ob man das will oder nicht.
Das bedeutet für die jungen Führungskräfte der Generation Y: Sie
müssen lernen, auch diejenigen zu führen, die in der vordigitalen
Welt einer industriell geprägten Arbeitskultur sozialisiert worden
sind. Zu der Zeit wurde der Job noch als Pflichterfüllung gesehen.
Für alles und jedes gab es Arbeitsanweisungen, die ohne groß zu
fragen treu und brav zu erledigen waren. Geführt wurde nach
dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip: Auf der Schönwetterseite
gab es monetäre Anreize und Aufstiegschancen, an der Schlecht­
wetterfront Abmahnungen und Kündigung. Die Leute wurden
systematisch an extrinsische Motivationsauslöser gewöhnt. Und
über allem schwebte ein permanentes Drohpotenzial aus Druck
und Kontrolle.
{{ »Jeder ist hier ersetzbar.«
{{ »Wenn Ihnen was nicht passt, können Sie ja gehen.«
{{ »Das wird so gemacht, weil ich es sage.«
{{ »Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, und überlassen Sie
das Denken mal mir.«
Solche Sätze hörte man zu jener Zeit oft.
98
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Gewünscht waren Pflichtbewusstsein, Hierarchiehörigkeit, Gehorsam und Fleiß. Für acht Stunden hat man seine Selbstbestimmung
abgegeben und Dinge getan, die der Arbeitgeber verlangte. Die
Folgen: Dienst nach Vorschrift, ein generell unambitioniertes Verhalten und eine Motivationslage, die auf Angst beruht: auf Angst
vor Sanktionen und / oder vor dem Verlust von Sicherheit, Geld
oder Arbeitsplatz. Karrierewege wie auch Besoldung ergaben sich
vor allem aufgrund von Betriebszugehörigkeiten und weniger aufgrund von Können und Wollen. Man war »dran« und durfte nicht
übergangen werden. Ob fähig oder unfähig zu höheren Weihen,
diese Frage stellte sich kaum.
Die Krux an der Sache ist die: Viele Analog Seniors, die ihrerseits
so geführt worden sind, pflegen diesen Führungsstil heute aktiv
weiter. Und diejenigen, die heute noch so geführt werden, können
höchstens ganz langsam an selbstständiges Arbeiten und Eigenverantwortung gewöhnt werden. Sie haben es ja nie anders gelernt.
Die Inbetweens: Digital Immigrants
Als Digital Immigrants werden diejenigen bezeichnet, die vor 1980
geboren sind. Freiwillig oder notgedrungen haben sie sich mit der
fortschreitenden Digitalisierung vertraut gemacht. Sie sind die Brückenbauer zwischen Alt und Neu, weil sie beide Welten verstehen.
Sie können als Mediatoren fungieren, wenn das analog-digitale
Miteinander mal gar nicht klappt.
Natürlich gibt es nicht den Digital Immigrant, genauso wenig wie
es den Digital Native gibt. Es gibt jede Menge Ältere, die sind nicht
nur jung im Kopf, sondern digital auch topfit. Und es gibt reichlich Junge, da ist es genau umgekehrt. Schließlich spielt auch eine
Rolle, mit welcher Intensität man Digitales in sein berufliches und
privates Leben lässt. Allerdings erschließt sich den Immigrants das
Digitale nicht so leichtfüßig und intuitiv wie den Natives. »Sie ha-
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
99
ben immer noch den Klingelton auf dem Handy, der beim Kauf eingestellt war«, schreibt der
Fachkarriere
Ex-IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck in seiund Führungs­
nem Buch Professionelle Intelligenz.44 Und das
karriere müssen
»Pling« am Computer, wenn etwas Neues
in Zukunft als
kommt, lassen sie von einem Servicemitargleichwertig
beiter des Rechenzentrums ausschalten.
­gelten.
Die Angst, den (digitalen) Anschluss zu verlieren, kann zu zusätzlichem Stress, zur Abschottung, zum Rückzug und zwangsläufig
auch zum Burnout führen. Vor allem die Angestellten in mittleren Führungspositionen werden –
neben dem sowieso weiter steigenden Druck – auf
dreifache Weise zwischen zwei Welten aufgerieben:
{{ zwischen ganz oben und unten, also der Führungsspitze
und den Mitarbeitern,
{{ zwischen real und digital, wobei alles Digitale nicht ihr
a­ ngestammter Lebensraum ist,
{{ zwischen den unglaublich schnellen jungen Wilden und
der eigenen altersbedingten Verlangsamung.
Gott sei Dank erschließen sich den Digital Immigrants in immer
zahlreicheren Unternehmen zwei als absolut gleichwertig anerkannte Karrierewege: eine Führungskarriere oder eine Fachkarriere. Dieses auch als »Dual Ladder« bekannte Prinzip impliziert,
dass nicht jeder gute Fachmann zwangsläufig eine gute Führungskraft ist. Eigentlich logisch. Doch paradoxerweise heißt Beförderung vielerorts nach wie vor: Gute Leistungen werden mit einer
Führungsaufgabe belohnt. Da wird dann jemand besser bezahlt,
damit er etwas aufgibt, was er gut kann, um etwas zu tun, was er
weniger gut kann. Stellt sich dies erst im Nachhinein heraus, dann
muss der Betroffene ohne jeden Gesichtsverlust in eine Fachkar­
riere umsteigen können. Dies ist schon allein deshalb sinnvoll, weil
Spitzenfachkräfte immer dringender benötigt werden.
100
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Vor allem aber: Die Führungskarriere darf nicht länger zwangsläufig als der bessere Weg gelten. Sie sollte ausschließlich den Menschenspezialisten vorbehalten werden. Und sie darf nicht länger
der einzige Weg sein, der an die Spitze führt. Statt Aufstieg nach
oben ermöglicht man Fachspezialisten neue Herausforderungen in
der Breite der Unternehmenslandschaft. Zumal jeder Fachmann in
Projekten »sanfte« Führungserfahrungen sammelt, wenn er eine
Moderatorenrolle einnimmt. Der wichtigste Vorteil aber ist der:
Wo nicht um die knappe Ressource Beförderung gebuhlt werden
muss, hat man mehr Zeit für inhaltliche Arbeit und braucht keine
schmutzigen Tricks.
Die neue Mehrheit: Kollaborateure
Das Normalarbeitsverhältnis ist auf dem Rückzug. Schon bald wird
der größere Teil der arbeitenden Bevölkerung den Kollaborateuren zuzurechnen sein, Menschen also, die in zeitlich befristeter
Form bei einem Unternehmen mitarbeiten. Sie jonglieren zwischen Projekten, Auftraggebern und Arbeitsorten. Phasen intensiven Eingebundenseins wechseln mit Phasen ganz ohne Arbeit ab.
Man organisiert sich über eigens dafür geschaffene Plattformen, in
Netzwerken oder mithilfe von Agenturen. Virtuelle Agenten und
Stellvertreter-Avatare werden ihnen dabei schon bald zur Seite
stehen.
Auf die Unternehmen kommen damit ganz neue Managementund Führungsaufgaben zu. Sie werden lernen müssen, diese freien
Mitarbeiter auf Zeit einzubinden, zu motivieren und so zügig wie
möglich auf ein Performance-Hoch zu bringen. Dabei spielen ein
gutes Briefing sowie fest installierte Feedbackprozesse eine ganz
entscheidende Rolle. Für all das werden die Unternehmen bewertet werden. Wer bei Bezahlung, Fairness und Arbeitsatmosphäre
nicht punkten kann, wird die Spitzengarde der global agierenden
Projektarbeiter gar nicht erst anlocken können. Die mangelnde
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
101
Redlichkeit, die viele Unternehmen heute zum Beispiel im Umgang
mit kreativen Zulieferern zeigen, wird damit wohl (hoffentlich) so
langsam ein Ende haben. Denn alles wird in Zukunft öffentlich
gemacht.
Die Top-drei-Entscheidungskriterien der Projektarbeiter für oder
gegen einen Auftraggeber, so Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky, sind diese:
{{ Ist das Projekt eine persönliche Herausforderung?
{{ Hat das Projekt einen größeren Sinn für die Welt?
{{ Arbeite ich dort mit exzellenten Menschen zusammen?
Die Patchwork-Biografien guter Projektarbeiter sind der sicherste Weg, sich auf inhaltliche Brillanz zu konzentrieren. »Und sie
sind«, so bekräftigt Peter, 33, ein Hochbauspezialist, »ein idealer
Zufluchtsort, um sich den unfruchtbaren Machtspielen in klassischen Organisationen zu entziehen.«
Freelancer und Knowledge-Worker
Jenseits der klassischen freien Berufe wie Rechtsanwalt, Steuerberater, Architekt und Unternehmensberater hat sich eine neue
Klasse von Solo-Unternehmern etabliert: die Freelancer und selbstständigen Knowledge-Worker. Sie arbeiten vornehmlich in der
IT-Wirtschaft, als Softwareentwickler, im Onlinebusiness sowie in
kreativen und beratenden Berufen. Insofern können sie in gewisser Weise auch den Kollaborateuren zugerechnet werden. Viele
von ihnen haben das Innenleben eines Unternehmens über Praktikantenverträge oder kurze Festanstellungen kennengelernt. Und
oft haben sie während ihres Studiums ein erstes kleines Start-up
gegründet. So haben sie an beiden Seiten der Medaille geschnuppert und sich dann für die Selbstständigkeit entschieden. Auch im
Laufe ihres Arbeitslebens können sie sich immer mal wieder in ein
102
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
unbefristetes Arbeitsverhältnis begeben, doch ihr Herz schlägt für
Vielfalt, Freiraum und berufliche Autonomie.
Zu den neuen Freelancern zählen auch Frauen, die mit leichten
Nebenbei-Arbeiten für einen Zuverdienst sorgen oder sich das
­Leben verschönern. Doch zunehmend finden wir hier auch weibliche Professionals, die der Härte männerlastiger Management­
etagen entfliehen. Diese Frauen sind (sich) viel zu schade, um im
»Menschenschach« verheizt zu werden. Sie wollen keine Siebzigstundenwoche, kein Burnout, kein Mobbing und keine schlechtere Bezahlung. Bestens ausgebildet können sie sich als Selbstständige endlich entfalten und auf hohem Niveau unternehmerisch
tätig sein. Künftig werden das noch viel mehr Frauen als heute
sehr erfolgreich tun, unterstützt durch schlagkräftige Netzwerke.
Dieser selbst verschuldete Aderlass wird allzu männlich dominierte Organisationen zusätzlich schwächen. Denn leider kann
selbst die Quote nichts daran ändern: Da, wo Frauen der Preis
des ­Siegers sind, kommen diese als Ebenbürtige einfach nicht vor.
Schon für ein kleines Bubenhirn war es die schlimmste Schmach,
von einem Mädchen im Wettkampf besiegt zu werden. Und selbst
ein erwachsenes Männerhirn lässt sich nicht gern von Frauen belehren.
Egal, ob männlich oder weiblich: Knowledge-Worker, die hoch
qualifizierten Wissensarbeiter unserer fortschreitenden Netzwerk­
ökonomie, erschaffen gerade ein Paralleluniversum am Arbeitsmarkt. Auch sie gibt es in zwei Varianten: Auf der einen Seite die
technologieaffinen »Nerds«, die sich eher isoliert in seriellen Projekten bewegen. Auf der anderen Seite die kollaborativen Teamworker, die als spezialisierte Experten ihre Talente mit bedürftigen
Unternehmen auf Zeit verknüpfen. »Sie sind Träger, Verbreiter und
Vermehrer von Wissen, Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft«, schreibt das Zukunftsinstitut. Im Zentrum ihrer Motiva­
tion »steht die Idee der Selbstverwirklichung im kreativen Prozess,
wofür ein hohes Maß an Zukunftsunsicherheit und eine große
Volatilität beim Einkommen bewusst in Kauf genommen wer­
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
103
den.«45 Auch Selbstausbeutung ist eine Gefahr, der die freiberufliche Wissenselite ausgesetzt ist.
Sie organisiert sich, zusammen mit Mentoren, Investoren und Inkubatoren, in virtuellen Netzwerken und an Coworking-Orten,
wie wir sie eingangs schon kennengelernt haben. Kollaboration
statt Wettbewerb, also miteinander statt gegeneinander, heißt ihr
Erfolgsprinzip. Die zunehmende »Projektifizierung« der Arbeit
verspricht den Guten unter ihnen eine rosige Zukunft. Anbieter
und Nachfrager kommen auf den unterschiedlichsten FreelancerPlattformen zusammen, auf denen es vor Angeboten geradezu
wimmelt. Hier entstehen auch neue Bewertungsverfahren, die der
innerbetrieblichen Mitarbeiterevaluierung als Vorlage dienen können: Sterne, Punkte, Siegel und Rankings für erfolgreich durchgeführte Projekte. Der geschönte Lebenslauf von einst und das aufgehübschte Profil auf einschlägigen Portalen werden abgelöst durch
ein öffentlich sichtbares Portfolio mit mehr oder weniger positiven
Projektreferenzen. Der Aufbau einer positiven Reputation ist ein
unabdingbares Kernelement, um in einem solchen Umfeld erfolgreich zu sein. Sie wird zur neuen Businesswährung.
Erfahrung zählt: Senior Consultants
»Meine Bank beauftragt mich regelmäßig, die Grundstücke an
der Züricher Goldküste zu schätzen«, erzählt mir Urs, Mitte sechzig, einer dieser unruhigen Ruheständler, den ich im Urlaub traf.
»Kein Computerprogramm kann so präzise deren Wert ermitteln, wie mir das mit meiner Erfahrung möglich ist.« Und Digital
Natives können das auch (noch) nicht. Das liegt unter anderem
an der Differenz zwischen fluider und der kristalliner Intelligenz
(Raymond Bernard Cattell).46 Fluide Intelligenz umfasst Fähigkeiten wie schnelle Auffassungsgabe, flexibles Handeln und das
Hervorbringen origineller Problemlösungen. Diese fluide Intelligenz nimmt mit dem Alter ab. Die kristalline Intelligenz hingegen
104
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
nimmt zu. Zu ihr gehören ein breites Wissen, Erfahrung und der
Blick für Zusammenhänge.
Senior Consultants sind oft aus einem erfahrungsreichen Berufsleben ausgestiegen und haben sich selbstständig gemacht. Für
High Potentials und junge Führungskräfte können sie perfekte
Mentoren sein. Zum Beispiel können sie ihnen nahebringen, unter welchen Umständen die Analog Seniors gut »funktionieren«.
Übrigens: 33 Prozent der unter Dreißigjährigen wünschen sich
ein Mentoringprogramm, schreibt Birgit Gebhardt in der
Trendstudie New Work Order.47
Inzwischen werden in manchen Unternehmen
genau die älteren Menschen wieder eingesetzt,
von denen man sich noch vor wenigen Jahren überhastet und unbedacht mit einem
Erfahrungswissen
»goldenen Handschlag« getrennt hat. Eine
ist unersetzbar
gigantische Menge an unersetzbarem Erund manifestiert
fahrungswissen ist dabei verloren gegansich als Intuition.
gen. Nun fehlt es an allen Ecken und Enden. Denn Erfahrungswissen lässt sich selbst
in den Weiten des Webs nicht finden. Und
schon gar nicht in Datenpaketen. Es sitzt tief
im Oberstübchen derjenigen, die es haben. Und
es manifestiert sich als Intuition.
Intuition ist die Summe aller emotional markierten Erlebnisse, die im Laufe eines Lebens im episodischen Erfahrungsspeicher gesammelt wurden. Je größer das Repertoire an Erkenntnissen, Vorgehensweisen, Strategien, Methoden und Wegen, aus dem
unser Gehirn schöpfen kann, desto besser ist der Lösungsansatz,
den es uns dann präsentiert. Intuition ist wie eine Abkürzung, die
nur die Einheimischen kennen. Sie ist eine Schnellstraße zum Ziel.
In Zeiten, in denen Komplexität Tagesgeschäft und das Managen
des Ungewissen die Regel ist, können Senior Consultants deshalb
eine große Bereicherung sein. Und dort, wo die Zeit nicht reicht,
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
105
um ausschweifend zu analysieren, können sie für mehr Entscheidungssicherheit sorgen.
Senior Consultants, Experten und Spezialisten, die langjährige Erfahrungen haben und den Mut besitzen, Entscheidungen auch aus
dem Bauch heraus zu treffen, sollten deshalb in keinem größeren
Projekt fehlen. Sie sind ein wertvoller Gegenpart zu den bedingungslosen Empirikern, die sich durch eine rein zahlenbasierte
Faktenlage nicht selten in den Sumpf statt in die Zukunft leiten
lassen.
Intuition ist schneller als der Verstand, denn sie arbeitet simultan. Der Verstand hingegen arbeitet sequenziell und seriell, also
häppchenweise nacheinander und vergleichsweise langsam. Gerade komplexe Entscheidungen werden, wie Studien zeigen, besser,
wenn man nicht ewig darüber nachdenkt, sondern seinen Geistesblitzen folgt. »Große Entscheide fällt man im Bauch, kleine im
Kopf«, sagt der Philosoph Hans Magnus Enzensberger.
Es macht also Sinn, die Schleusen zu seinen emotionalen Zentren
weit offen zu halten. In einem gut funktionierenden Zusammenspiel zwischen sichtender Ratio und wertender Emotio liegen wohl
die größten Chancen. Doch selbst dann gibt es noch Stolpersteine
genug. Welche Denkfehler uns so alles passieren und in welche
Fallen wir ungewollt tappen können, darüber hat Rolf Dobelli zwei
sehr intelligente Bücher geschrieben: Die Kunst des klaren Denkens
und Die Kunst des klugen Handelns. Auch in den Schriften des Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman sowie bei Dan Ariely
und Robert B. Cialdini findet sich eine Fülle von Hinweisen darauf.
106
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Mehrklassengesellschaft am Arbeitsplatz
»Bist du nicht fest angestellt, dann bist du zweite Klasse!« Das sagte
mir einer, der’s wissen muss. Er verlor seine Festanstellung und
kam über eine Zeitarbeitsfirma an seinen alten Arbeitsplatz zurück.
Nicht nur das geringere Gehalt tat ihm weh. An vielen kleinen
Zeichen merkte er, dass er nicht mehr wirklich dazugehörte. Dieser
Verlust an Identifikation und Sozialprestige machte ihm mehr zu
schaffen als der Verlust von Geld.
Die Zerfaserung der Arbeitsmodelle bringt beiden Seiten V
­ orteile
und Nachteile zugleich. Soziologisch betrachtet entsteht so e­ twas
wie eine neue Mehrklassengesellschaft: auf der einen Seite die
Stammbelegschaft mit festem Arbeitsvertrag, auf der anderen
Seite die Truppe der externen Mitarbeitenden, die entweder sehr
gut oder sehr schlecht bezahlt wird. Der irische Wirtschafts- und
Sozialphilosoph Charles Handy hat diese Entwicklung schon vor
Jahren beschrieben. Er verwendete dafür als Symbol das irische
Nationalemblem, ein dreiblättriges Kleeblatt (Shamrock). Die
Shamrock-Organisation basiert auf drei wesentlichen Elementen:
der Kernmannschaft rund um das Management, externen Experten und outgesourcten Bereichen sowie bei Bedarf zugekauften
»einfachen« Mitarbeitern.48
In produzierenden Unternehmen wird das zunehmend die Regel
sein: Ein Festangestellter mit übertariflicher Bezahlung arbeitet
Hand in Hand mit einem Werkvertragler auf unterstem Vergütungsniveau. Das ist schon paradox: Derjenige, der das höchste
Kündigungsrisiko trägt und dem Unternehmen die größte Flexi­
bilität schenkt, wird am schlechtesten bezahlt. Mehr noch: Der
Feste hat Zugang zu allen betrieblichen Annehmlichkeiten, der Externe nicht. Schon durch seine andere Arbeitskleidung ist Letzterer
als »keiner von uns« zu erkennen. Vor allem Routinearbeiten werden, soweit sie nicht automatisierbar sind, an Dienstleister ausgelagert und billig zurückgekauft. Was sich Führungskräfte – ganz abgesehen vom Problem der Fairness – fragen müssen: Wie integriert
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
107
und motiviert man solche Mitarbeiter? Und wie stellt man sicher,
dass es im Team nicht zu einer unguten Hackordnung kommt?
Zündstoff pur: das interne »Kastenwesen«
»Mit zunehmender Volatilität in der Arbeitsgesellschaft wächst
der Anteil der Abrutschgefährdeten, Randständigen und Unterprivilegierten – mit einem Wort Prekären«, analysiert das Zukunftsinstitut. »Auch wenn sie sich mühen, als fleißige Mitarbeiter zu
erscheinen, sind sie die ersten, die bei Umstrukturierungen und
Rationalisierungsmaßnahmen auf der Abschussliste stehen. Und
die prekäre Situation reicht bis ins mittlere Management.«49 Alles,
was Computer erledigen können, wird systematisch wegrationalisiert. Nur das Schwierige, das Individuelle, das Maßgeschneiderte und das Spezielle verbleiben im Arbeitsbereich des Menschen.
Selbst ehemalige Experten, deren Wissen nun jeder im Internet
findet, werden zu Handlangern degradiert. So geht die Schere
zwischen beruflich gut und schlecht Situierten immer weiter auf.
Und während sich oben einer für sein pseudogelungenes Kostensparprogramm feiern lässt, entsteht ganz unten ein neues Kasten­
wesen. Wird jedoch die soziale Kluft allzu groß, sind Tumulte eine
mögliche Folgegefahr.
Eine zweite Kaste – neben den Prekären – ist die mit den befristeten Arbeitsverträgen, die bei Bedarf kurzfristig eingestellt und
wieder entlassen wird. Auf solchen Stellen herrscht ein ständiges
Kommen und Gehen. Diese Fluktuation belastet bald jeden in der
Abteilung. Dauernd müssen neue Leute eingearbeitet werden. Natürlich passieren denen allerhand Fehler, die von den Langjährigen
auszubügeln sind. Kunden werden vergrault, weil die Fachkompetenz fehlt oder weil es bei der Zuverlässigkeit hakt. Eine Übergabe zwischen denen, die nach kurzer Zeit wieder gehen, und den
jeweils Neuen findet nicht statt. Irgendwann hat niemand mehr
Lust, immer wieder die gleichen Sachen zu erklären. Und die zunehmend frustrierten Kunden wenden sich endgültig ab – von ei-
108
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
nem sich verschlechternden Ruf im Markt ganz zu schweigen. Bei
Licht betrachtet wiegen die kurzzeitigen Kostenspareffekte aus befristeten Arbeitsverträgen die langfristig zu kalkulierenden Opportunitätskosten meistens nicht auf. Haben Sie von den Verantwortlichen klipp und klar verlangt, dass das mit eingerechnet wird?
Und wie stellen Sie sicher, dass temporär Mitarbeitende möglichst
schnell produktiv werden können?
Eine dritte Kaste sind die externen Spezialisten, die sich ­zeitweilig
dazustöpseln und in Projekten mitarbeiten. Der Mehrwert, den sie
einbringen, ist teilweise enorm. Manche Altvordere haben mit solchen Leuten aber auch schlechte Erfahrungen gemacht. Da surrten Beraterhorden wie ein Hornissenschwarm durch die Firma und
haben alles auf Redundanzen, Prozessverschlankung und Kosten­
effizienz gecheckt. Hinterher musste doppelt so viel Arbeit mit halb
so vielen Leuten erledigt werden. Das wurde dann Arbeitsverdichtung genannt. Die Learnings aus solchen Fällen: Mit Externen
kann man nicht vorsichtig genug umgehen. Am besten gibt man
nur das Nötigste preis und hält sich mit Informationen bedeckt.
Angeforderte Zuarbeit wird zweitrangig und drittklassig erledigt,
Zeitlinien werden missachtet. Man kooperiert nur zum Schein und
hofft, dass der Spuk bald vorüber ist. Solche Vorerfahrungen können die Zusammenarbeit zwischen Internen und Externen massiv
belasten. Da muss also vorgesorgt werden.
»Wir hier« und »die da«
Beobachten Sie das mal bei einem nächsten Event: Sobald mehrere Menschen zusammenkommen, werden sie sofort eine Gruppe
bilden. Innerhalb einer Gruppe gibt es verschiedene Rollen: Laute,
Leise, Wortführer, Kontrahenten, Fürsprecher und neutrale Personen. Dabei kann es auch zu internem Gerangel kommen. Doch
tritt eine weitere Gruppe auf, formiert sich jede Gruppe als Einheit.
Und sofort beginnt ein Sondierungsprozess: Freund oder Feind?
Die Spielregeln sind immer die gleichen, und sie klingen generell
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
109
so: »Hilf den Leuten aus deiner Gruppe! Steh für sie ein! Sei stolz
auf sie! Sprich gut über sie! Sei loyal!«
Nach außen grenzt man sich ab, was nicht selten mit heftiger Aggression gegenüber anderen Kohorten verbunden ist. Doch im Innenverhältnis steht man verlässlich füreinander ein. Solange keiner von »oben« eingreift, findet soziale Kontrolle über die Gruppe
statt. Das Kollektiv ist das Korrektiv. Und Reputation ist die Valuta.
Wer die Gruppe verlässt, wird mit übler Nachrede bestraft. Er wird
»klein« gemacht, damit der Verlust nicht so schmerzlich ist. Je exklusiver die Gruppe, desto aufwendiger ist auch das Eintritts­ritual.
Und mit welchen Mitteln »Nestbeschmutzer« und »Verräter« geächtet werden, das ist bisweilen brutal.
Je stärker sich die eigene »Wir-hier-Gruppe« von der »Die-daGruppe« abhebt, desto intensiver ist das Gefühl sozialer Identifikation im eigenen Verbund. Manche Firmenfeindschaften
sind geradezu legendär, wie etwa die zwischen CocaCola und Pepsi oder die zwischen McDonald’s und
Burger King. Sie haben sicher viel Kraft an der
falschen Stelle gekostet, aber wahrscheinlich
auch eine Menge Energie mobilisiert.
Interne Feind­
bilder sind lebens­ Innerhalb einer Organisation hingegen sind
gefährlich. Und
Feindbilder lebensgefährlich. Und ausgeeine ausgeprägte
prägte Abteilungsdenke ist tödlich. Ränke­Abteilungs­denke
spiele und interne Dauerrivalitäten zerstören
ist tödlich.
das »Wir«. Das Pflegen großer Unterschiede
manifestiert sich durch Abstand, Abwehr und
ein Sichverschließen. Ähnlichkeiten hingegen
sorgen für Öffnung und Annäherung. Es ist also
gut, wenn Oben und Unten wie auch die einzelnen Bereiche zusammenrücken und sich auf gleicher
Ebene entlang der abzuarbeitenden Prozessschritte gemeinsam organisieren.
110
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Deshalb hier schon gleich ein ganz konkreter Tipp: Führen Sie
Zielvereinbarungsgespräche nicht mit allen Mitarbeitern einzeln,
sondern als Teamgespräch durch – auch über Abteilungsgrenzen
hinweg. Damit holen Sie alle ins Boot, und Zielerreichungsoptio­
nen können gemeinsam abgestimmt werden. So steigen die Erfolgsaussichten enorm. Denn einer Gruppe fällt auf dem Weg zum
Ziel mehr ein als einer Einzelperson – und alle rudern in die gleiche
Richtung. Gleichzeitig entledigen Sie sich einer aufgeblähten Zielvorgaben-Kontrollbürokratie und sparen somit viel Zeit. Zudem
beugen sie Egoismen vor. Werden nämlich Einzelziele an finan­
zielle Vorteile gekoppelt, geht es den Leuten vor allem darum, mit
geringstem Aufwand die höchstmögliche Vergütung zu ergattern,
selbst wenn dies auf Kosten anderer geschieht oder dem Unternehmen insgesamt schadet.
Gerade in unserer satellitenhaften und zunehmend virtuellen Arbeitswelt gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Führungsriege, Zugehörigkeit und Zusammenhalt unternehmensweit zu
fördern. Dass Konfrontation und interner Massenwettbewerb auf
Dauer die besten Ergebnisse bringen, das sind Kopfgeburten vereinsamter ­Alphatierchen im obersten Stock. Das Gegenteil ist der
Fall: Wissensarbeit kann nur durch Kollaboration reiche ­Früchte
tragen. Wer also ständig mit bunt zusammengewürfelten Projekt­
teams agiert, sollte besonders gut darin sein, eine konstruktive
Gruppendynamik zu fördern. Sind die Verbindungen nämlich zu
schwach, dann beginnen die Leute sehr schnell, sich stabilere,
besser funktionierende Gruppen zu suchen. Und zwar in einem
anderen Projekt, in einem anderen Team oder in einer anderen
Organisation.
Die digitalbasierte Mitarbeiter­typologie
111
Mitarbeiterloyalität:
heute ein Muss
»Loyale Mitarbeiter? Also, Frau Schüller! Das können Sie doch
nun wirklich vergessen!« Dies rief mir kürzlich ein Manager bei
einem Workshop zu. Ja, richtig, Loyalität ist inzwischen ein ­rares
Gut. Jahrzehntelange gute Beziehungen sind zu einer bestaunenswerten Rarität geworden. Tagesabschnittsbegleiter liegen im Trend.
Und über Festanstellungen schwebt eine permanente Vorläufigkeit.
Längst ist der ständige Wechsel Normalität. Die erwartungsfrohe
Lust auf Neues ist stärker als die erlahmende Freude am Alten. So
nähert sich in manchen Branchen die Fluktuationsrate schon der
eines typischen Schnellrestaurants: Komplettaustausch der Belegschaft einmal im Jahr.
Auch in den meisten Führungsetagen geht es zu wie im Taubenschlag. Die durchschnittliche Bleibezeit eines CEO beträgt weniger
als fünf Jahre. Sales- und Marketingleiter gehen im Schnitt schon
nach zwei Jahren wieder von Bord. Kein Wunder, dass bei solch
permanenten Veränderungen auch die Mitarbeiterloyalität auf der
Strecke bleibt. Denn Loyalität entsteht zwischen Menschen. Sie
braucht Zeit, um wachsen zu können. Sie ist keine Einbahnstraße,
sondern beruht auf Gegenseitigkeit. Und durch falsches Führungsverhalten ist sie in Sekunden zerstört.
Wenn das also alles so misslich ist, sollten wir über Loyalität dann
noch reden? Unbedingt! Ist sie denn noch zu bekommen? Klar,
wenn man weiß, wie das geht! Und wird sie überhaupt noch gebraucht? Ganz bestimmt! Denn wenn es immer schwieriger wird,
gute neue Mitarbeiter zu gewinnen, dann sollte man vor allem auf
112
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
diejenigen setzen, die man schon hat. »Personalentwicklung vor Neurekrutierung« heißt das
Prinzip. Auch mit Blick auf die Demografie
wird die Loyalisierungskraft eines Unternehmens in Zukunft eine herausragende Rolle
spielen. Dabei zeichnen sich bei den HRStrategien grundsätzlich zwei Richtungen
ab, wie das Fraunhofer-Institut und Sven
Gábor Jánszky zeigen: Organisationen werden sich entweder zu »Caring Companies«
oder zu »fluiden Unternehmen« entwickeln.50
Personal­
entwicklung
geht vor Neu­
rekrutierung.
{{ Caring Companies arbeiten mit einem hohen
­ nteil fest angestellter Mitarbeiter. Sie müssen
A
mit allen Mitteln versuchen, die Mitarbeiter, die sie behalten wollen, so lange wie möglich an das Unternehmen zu
binden. Gleichzeitig werden sie danach streben, die ungewollte
Mitarbeiterfluktuation auf ein Minimum zu reduzieren. Die
Kernfrage dabei ist die: Wie machen wir unsere Firma nicht
nur dauerhaft leistungsfähig, sondern auch lebenswert, liebenswert und loyalitätswürdig?
{{ Fluide Unternehmen arbeiten mit einer relativ kleinen Kern­
belegschaft und einem hohen Anteil an Mitarbeitenden in
befristeten Arbeitsverhältnissen. Auch hier gilt es, Loyalität für
die Zeit der Zusammenarbeit aufzubauen und die Besten dazu
zu bringen, bei Bedarf für weitere Projekte wiederzukommen.
Die Kernfrage hierbei ist die: Wie machen wir unsere externen
Mitarbeitenden nicht nur schnellstmöglich leistungsfähig, sondern auch zu Fans und zu Multiplikatoren am Markt?
Weil Loyalität also für die Leistungskraft eines Unternehmens immer wichtiger wird, will ich hier näher beleuchten, wie Loyalität
heute zu definieren ist, welche Formen es gibt, wie man sie erhält,
womit man sie zerstört und was sie den Unternehmen bringt.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
113
Was Loyalität heute bedeutet
Loyalität zählt zu unseren edelsten Werten. Sie ist nicht an einen
Arbeitsvertrag gebunden. Man kann sie nicht erkaufen, nicht einfordern und schon gar nicht erzwingen. Man bekommt sie aus freien Stücken geschenkt. Sie ist eine starke innere Haltung. Loyale
Mitarbeiter sind ihrem Arbeitgeber nicht nur physisch, sondern
vor allem im Herzen treu. Sie gehen engagierter und produktiver
zur Sache. Sie machen sich Gedanken um das Wohl und Wehe
der Firma. Sie identifizieren sich mit ihr und machen deren unternehmerische Interessen zu ihren eigenen. Sie sprechen oft, gut
und gerne über ihre Firma – drinnen und draußen. Sie empfehlen
deren Angebote und das Unternehmen als Arbeitgeber vehement
weiter. Solchermaßen tiefenloyalisierte Menschen sind zweifellos die wertvollsten Mitarbeiter. Und Achtung: Ihre Konkurrenz
wünscht sich diese am meisten.
Mitarbeiterloyalität bedeutet:
{{ freiwillige, anhaltende Treue
{{ hohes Engagement und Freude an der Arbeit
{{ Ambitionen und unternehmerisches Handeln
{{ Identifikation und emotionale Verbundenheit
{{ aktive positive Mund-zu-Mund-Werbung
Solche Loyalität entsteht durch Vertrauen und Anziehungskraft
und nicht durch Druck oder Zwang. Sie zeigt sich auf vielfache
Weise: Leistungsbereitschaft, Fairness, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit gehören genauso dazu wie Leidenschaft und Integrität. Dies
alles bekommt ein Arbeitgeber freilich nicht wie von selbst. Mitarbeiterloyalität muss man sich, genauso wie Kundenloyalität, immer wieder neu verdienen.
Falsch verstandene Loyalität hingegen beruht auf blindem Gehorsam – bis hin zur Selbstaufgabe. Sie deckt unlautere Machenschaf-
114
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ten und vertuscht unkorrektes Verhalten. Sie erduldet jede Mühsal
und sitzt alles aus. Unreflektierte Ja-Sager sind für jedes Unternehmen gefährlich. Solche Loyalität ist hier also nicht gemeint.
Der in unserem Sinne loyale Mitarbeiter tritt sogar für die Interes­
sen seines Arbeitgebers ein, wenn er dabei persönlich anecken
kann. Und er verzichtet auf das Verfolgen eigener, egoistischer Ziele, wenn diese dem Unternehmenszweck widersprechen.
Warum Loyalität mehr wert ist als Bindung
Bei der Mitarbeiterbindung, zunehmend auch Retention-Management genannt, geht es um Maßnahmen, die ein Unternehmen aktiv einleitet, um die Mitarbeiter, die man halten will, an das Unternehmen zu binden. Schon allein das Wort »Bindung« birgt in sich
etwas Erzwungenes, fast möchte man an Fesseln denken. Loyalität
hingegen ist ein ungeschriebener Vertrag, der auf ethischen Werten
basiert. Wird dieser Vertrag gebrochen, spricht man von innerer
Kündigung, die lange unsichtbar bleibt, während sie schon ihre
unheilvollen Bahnen zieht.
Gebunden werden kann ein Mitarbeiter grundsätzlich in drei Richtungen:
{{ emotional
{{ faktisch
{{ monetär
Eine emotionale Bindung kann auf zweierlei Weise entstehen: normativ und behavioral. Bei der behavioralen Bindung geht es um
äußere emotionale Aspekte wie etwa der kurze Weg zum Arbeitsplatz oder die flexiblen Arbeitszeiten. Nur die normative Bindung
entspricht der aus einer inneren Verpflichtung heraus entstehenden Loyalität, wie wir sie hier beleuchten.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
115
Schon die nächste in der Aufzählung genannte Bindungsform,
nämlich die über den juristischen Arbeitsvertrag geregelte faktische Bindung, kündet von Abhängigkeit und An-die-Kette-Legen.
Eine Unterform davon wird als kalkulative Bindung bezeichnet, bei
der sich der Mitarbeiter zum Beispiel Weiterbildungsmöglichkeiten
und Aufstiegschancen erhofft.
Bei der dritten Form, der monetären, stehen finanzielle Interessen
im Vordergrund. Klar kann man sich fast alles erkaufen, also auch
die Liebe und Treue seiner Mitarbeiter. Doch selbst die berühmten
goldenen Handschellen in Form von Boni, Optionen und Gratifikationen können am Ende keine Loyalität erzwingen. Diese funktioniert ja wie eine Freundschaft: Man bekommt sie von Herzen.
Und dazu muss es funken zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter.
Loyalität braucht also keine überflüssigen Geldgeschenke, sondern
vor allem ein positives Beziehungskonto. Für leistungsstarke Arbeitnehmer ist – eine vernünftige Bezahlung vorausgesetzt – das
rein Pekuniäre sowieso meistens zweitrangig. Zunächst werden
vielmehr zu den faktischen Gegebenheiten die emotionalen Werte,
die eine Arbeitsbeziehung besitzt, hinzuaddiert. Und beides zusammen bestimmt dann das Engagement, das man aufzubringen bereit ist. Fehlen faktische oder emotionale Alleinstellungsmerkmale,
dann muss das Arbeitsentgelt alleine begeistern. Denn dann macht
das Monetäre den einzigen Unterschied. Es ist dann unser emotionales Ersatzprogramm. »Schmerzensgeld« sagen wir auch.
Schließlich soll nicht vergessen werden, dass die unterschiedlichen
Mitarbeitertypen, die wir im vorherigen Kapitel kennengelernt
haben, auf unterschiedliche Weise zu loyalisieren sind. Dies trifft
ebenso auf die Geschlechter zu. Dabei haben Frauen tendenziell
ein höheres Verbundenheitspotenzial. Sie sind außerdem meist die
aktiveren Mundpropagandisten, geradezu personifizierte Schneeballsysteme.
116
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Die Mitarbeiterreise: kommen, bleiben, gehen
Loyalität fängt mit der Auswahl der richtigen Leute an. Wer Menschen mit niedrigem Loyalitätspotenzial rekrutiert, braucht sich
nicht zu wundern, wenn diese schnell wieder das Weite suchen.
Der für seine hohe Kundenorientierung bekannte US-amerikanische Onlinehändler Zappos klärt das zum Beispiel so: Nachdem
neue Mitarbeiter ihre Trainingswoche im Callcenter, dort übrigens
Kundentreueteam genannt, absolviert haben, bietet man ihnen
4000 Dollar an, wenn sie das Unternehmen verlassen wollen. So
wird sichergestellt, dass die Leute wegen der Liebe zum Job und
nicht des Geldes wegen bei Zappos arbeiten werden.
Tja, wer Leute wählt, die nicht zur Kultur des Unternehmens passen, und wer sich weigert, die Teammitglieder in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, der darf nicht klagen, dass bei ihm ein
ständiges Kommen und Gehen herrscht. Analysieren Sie deshalb
einmal genau, welches Ihre wertvollsten loyalen Mitarbeiter sind,
auf welchen Wegen Sie an diese gekommen sind, was sie auszeichnet und wie sie sich verhalten. Welche Muster sind zu erkennen?
Und welche davon lassen sich reproduzieren? So können Profile
und Prozesse erstellt werden, mit deren Hilfe man systematisch
auf die Suche nach neuen loyalen und engagierten Mitarbeitern
gehen kann. Man lernt dabei auch, solche zu meiden, bei denen
alle ­Loyalisierungsbemühungen zwecklos sind. Mit entsprechenden Programmen lassen sich zu all dem dann Kennzahlen bilden.
Doch Loyalität lässt sich nicht bei allen und jedem erreichen – und
schon gar nicht auf die gleiche Weise. Je nach Menschentyp und
auch nach Branche, Funktion und Hierarchieebene sind die persönlichen Verbundenheitsprioritäten verschieden. Nie darf man
dabei den Fehler machen, von sich selbst auszugehen. Passgenauigkeit ist vielmehr gefragt. Außerdem sind es nicht die gleichen
Faktoren, die einen Mitarbeiter jeweils dazu bewegen, in ein Unternehmen einzutreten, dort zu bleiben beziehungsweise wieder zu
gehen. Kreuzen Sie einmal spontan und intuitiv in der folgenden
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
117
Skala die Kriterien an, die Sie jeweils für relevant halten – und
ergänzen Sie die Liste um Kriterien, die bei Ihnen für ausgewählte
Leistungsträger oder bestimmte Hierarchiestufen besonders wichtig sind.
Kriterium
Kommen
Bleiben
Aufgabenstellung / Position
Arbeitsplatzausstattung
Wettbewerbsfähiges Gehalt
Geldwerte Vorteile
Karrierechancen
Weiterbildungsangebote
Arbeitgeberattraktivität
Verhalten des Vorgesetzten
Grad der Eigenständigkeit
Betriebsklima
Anerkennungskultur
Arbeitsumfeld
Arbeitszeitmodelle
Work-Life-Integrität
Gesundheitsprogramme
118
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Gehen
Frage ich Personaler, was man bei ihnen für die Mitarbeiterloyalisierung tut, so höre ich ständig das Gleiche: Gratisobst, Gratisgetränke, Essensgutscheine, Sportangebote, Gesundheitschecks.
Hey, Leute, niemand bleibt wegen Trivialitäten, die es inzwischen
fast überall gibt. Und auch Monetäres belegt keinen der vordersten Plätze. In Umfragen zu den Wechselgründen ausgeschiedener
Spitzenkräfte kam zum Beispiel das Einkommen als maßgebliches
Ausstiegsmotiv vergleichsweise selten vor. Ausschlaggebend waren
vielmehr das Betriebsklima, die Arbeitszufriedenheit und das Führungsverhalten des direkten Vorgesetzten. Bei vielen »einfachen«
Mitarbeitern hingegen ging es oft um mangelnde Wertschätzung
und eine fehlende Anerkennungskultur. Bei einer eigenen internen Analyse ist entscheidend, die wahren und nicht die vorgegaukelten Austrittsgründe zu finden. Gut gemachte, systematische
Exit-Interviews bringen diese zum Vorschein. In Teil 3 komme ich
darauf zurück. Dort finden wir außerdem eine Reihe von Kennzahlen, die auf die Motivation eines Mitarbeiters und damit auch
auf seine Loyalität rückschließen lassen. Ferner finden wir dort
eine Menge Konkretes zu den drängenden Fragen:
{{ Was können wir tun, um Loyalität und Engagement unserer
Mitarbeiter zu stärken?
{{ Was müssen wir meiden, damit ungewollte Fluktuation erst
gar nicht entsteht?
Hierzu sollten Betriebszugehörigkeit und Fluktuationsraten für
die verschiedenen Berufsgruppen, Abteilungen und Sparten, aber
auch für Geschlechter, Altersgruppen, Nationalitäten und so weiter
ermittelt werden. Schließlich lässt sich über entsprechende Parameter ein Frühwarnsystem installieren, das frühzeitig vor Wechselwilligkeit warnt.
Das ultimative Ziel lautet: null Prozent ungewollte Fluktuation. Sollte dies nicht immer gelingen, gibt es eine weitere Möglichkeit: die
Rückgewinnung der Mitarbeiter, die man wiederhaben will. Dies
gelingt aber nur, wenn die Trennung fair verlaufen ist. Dann sind
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
119
Das ultimative
Ziel lautet:
null Prozent
­ungewollte
­Fluktuation.
Mitarbeiter nicht verloren, sondern sie arbeiten
nur gerade woanders. Und ganz sicher ist: Die
sind nicht immer glücklich dort, wo sie gelandet sind. Also heißt es, in Verbindung zu bleiben und im rechten Moment ein passendes
Angebot vorzulegen. Im Vergleich zur Neurekrutierung ist es oft einfacher und fast
immer kostengünstiger, verlorene Mitarbeiter zurückzuholen. Danach geht es um den
Aufbau einer erneuten, tieferen Loyalität.
Und das muss dann sitzen. Eine dritte Chance
bekommt man so gut wie nie.
Wem wir loyal verbunden sind
Wer seine individuellen Werte, seine Bedürfnisse und seine persönlichen Ziele am Arbeitsplatz aufgeben muss und wer sich ständig verbiegen soll, kann keine Loyalität entwickeln. Loyalität zeigt
sich am ehesten, wenn die Werte eines Unternehmens und die persönlichen Werte seiner Mitarbeiter ein hohes Maß an Übereinstimmung zeigen. Sich voll und ganz mit einem Unternehmen identi­
fizieren zu können heißt auch, sich selbst treu zu sein.
Grundsätzlich können wir hier zwei Formen der Loyalität unterscheiden: die Loyalität gegenüber sich selbst, also nach innen, und
die Loyalität gegenüber anderen, also nach außen. Wenn wir dann
die Außensicht betrachten, lassen sich zunächst vier Loyalitäten
erkennen:
{{ Loyalität zum Unternehmen als solchem
{{ Loyalität zur direkten Führungskraft
{{ Loyalität zu Kollegen und Ansprechpartnern
{{ Loyalität zur eigenen Arbeit
120
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Das Karriereportal Monster hat dazu vor einiger Zeit eine Onlineumfrage gemacht, an der knapp 25 000 europäische Arbeitnehmer teilgenommen haben.51 Die Frage »Wem gegenüber sind Sie
bei der Arbeit am loyalsten?« erbrachte folgende Antworten:
{{ Mir selbst: 33 %
{{ Meinem Team: 32 %
{{ Meinem Unternehmen: 19 %
{{ Meinem Chef: 10 %
{{ Niemandem: 6 %
Vor allem die deutschen Arbeitnehmer zeigten einen auffallenden
Mangel an Loyalität gegenüber ihren Vorgesetzten. Mit sieben Prozent kommen sie auf den niedrigsten Wert in Europa. Ist aber doch
logisch: Wenn die Führungskräfte in schnellen Karriereschritten
durchs Unternehmen gejagt werden, wie soll da Loyalität nach
oben entstehen? Und wenn man Teams, die sich gerade erst zusammengerauft haben, zwangsweise immer wieder auseinanderreißt,
wie soll da Verbundenheit wachsen? Die unaufhörlichen Strukturveränderungen und die ständigen Change-Projekte, mit denen
die Leute oft ohne jede Wahlmöglichkeit konfrontiert werden, sind
Gift für den Loyalitätsaufbau. Nach Phasen der Hektik muss also
ausreichend Ruhe einkehren, damit die Leute sich aneinander gewöhnen können. Um eine Gruppe langfristig zusammenzuhalten,
müssen deren Mitglieder ihre sozialen Beziehungen zueinander
pflegen. Und das wird in Zukunft noch wichtiger werden. Denn
neuerdings kommt noch eine fünfte Loyalität hinzu: die Loyalität
zu den eigenen Netzwerken.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
121
Ein neues Phänomen: die fünfte Loyalität
Generell sind wir lieber eingebettet in die Gemeinschaft eines gut
geführten, renommierten Unternehmens, als ständig »auf der
Flucht« zu sein. Klar, in uns allen steckt der Wunsch nach Abwechslung, vielfach auch der unbändige Drang, zu neuen Ufern
aufzubrechen. Und die heutige Arbeitswelt macht für viele das »nomadische Jobben« unumgänglich. Gleichzeitig teilen wir aber auch
das tiefe Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe Gleichgesinnter. Die Massenattraktivität populärer Fußballklubs und die
Netzwerkbildung im Web sind sichtbare Zeichen dafür. Auch im
Onlinegaming setzt sich dies fort. Die populärsten Spiele sind Gemeinschaftsspiele. Und meist geht es nicht nur darum, Badges und
höhere Level zu erreichen, sondern es gilt auch, in renommierte
Gemeinschaften und Gilden aufgenommen zu werden.
Die Sippen und Stammesverbände von früher, das sind die Communitys von heute und morgen. Soziale Netzwerke sind nichts anderes als neue Zufluchtsorte und moderne Formen des Herdentriebs.
In Zeiten der Vereinzelung, der schleichenden Vereinsamung und
des sozialen Autismus können kollaborative Unternehmen die früheren Kollektive und auseinanderbrechenden Familienstrukturen
ersetzen und so den Menschen eine Heimat geben. Gerade die junge Generation, in der es so viele Schlüssel- und Patchworkkinder
gibt, sucht nach neuen Formen des Miteinanders. Und in digitalen
Netzwerken werden diese gefunden. Die Verbundenheit zu solchen
»Wahlverwandten« stellen Millennials über andere Werte. Mit
ihnen fühlen sie sich über gleiche Lebenseinstellungen, ähnliche
Weltanschauungen und gemeinsame Erfahrungen verbunden. Sie
helfen einander mit guten Ratschlägen und stehen füreinander ein.
Sie beeinflussen einander bei ihren Lebensentscheidungen und tun
die gleichen Dinge. Status ergibt sich aus dem, was man tut, und
nicht aus dem, wer man ist.
Früher gab es solche Loyalitäten auch, doch sie waren vertikaler
Natur. Man war zum Beispiel ein eingefleischter Siemensianer –
122
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ein Mitarbeiter der Firma Siemens also – und
dem Unternehmen ein Leben lang treu. Solche Top-down-Loyalitäten erodieren derzeit
massiv. Das Misstrauen gegenüber Institu­
tionen ist groß. Und die bedingungslose
Netzwerke haben
Obrigkeitsloyalität von einst gibt es nicht
­
die Hierarchie als
mehr. Horizontale Loyalitäten sind an ihre
Ordnungsprinzip
Stelle getreten. Netzwerke haben die Hieabgelöst.
rarchie als Ordnungsprinzip abgelöst. Und
sie werden überall da zum Sicherheitsnetz,
wo herkömmliche Sicherheitsnetze versagen.
Denn die sogenannten »strong ties«, zu denen
traditionelle Familienverbünde und lebenslange
Anstellungen gehörten, sind vom Aussterben bedroht.
An ihre Stelle sind die »weak ties«, die lockeren Bande
getreten. Unsere Loyalität gehört heute den Gleichrangigen, dem
Freundeskreis, den lockeren Beziehungen im beruflichen und privaten Bereich. Ihnen gegenüber sind wir verbundenheitssüchtig.
Insgesamt müssen alle fünf Loyalitäten entwickelt werden. Bleibt
eine auf der Strecke, dann wirkt sich dies auf das Treueverhalten
der Mitarbeitenden nachteilig aus. Welche dabei im Vordergrund
steht, das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Während zum
Beispiel die Loyalität der Analog Seniors vor allem der Firma gehört, gehört die Loyalität der Digital Natives ihrem Netzwerk. Für
sie ist der eigene Arbeitgeber nichts anderes als eines von mehreren Netzwerken, in denen man sich parallel bewegt. Oder so eine
Art Volksstamm, dem man sich anschließt oder eben auch nicht.
Firmen, die in der Lage sind, netzwerkartige Strukturen nachzubilden, sind für sie einen längeren Aufenthalt wert. Solche hingegen,
die ihnen verbieten, ihre Netzwerk-Loyalitäten zu leben, kommen
für Digital Natives nicht in Betracht.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
123
Warum Loyalität immer wichtiger wird
Noch nie war es so einfach wie heute, einen Überblick über das
Angebot auf dem Arbeitsmarkt zu gewinnen. Früher war man auf
den Stellenmarkt der Zeitungen und Zeitschriften angewiesen,
heute sucht man ganz einfach im Web. Vor allem die hoch qualifizierten Leistungsträger werden heftig umworben, und sie sind
ruckzuck absprungbereit, wenn ihnen etwas nicht passt. Sich für
einen scheidenden Mitarbeiter bei Bedarf einen neuen zu »kaufen« oder – wie bei einer Maschine – einen verschlissenen durch
einen unverbrauchten Leistungsträger auszutauschen: Die meisten
Firmen können sich solchen »Luxus« schon längst nicht mehr leisten. Seine Mitarbeiter als reine Ausführungsgehilfen zu sehen und
bis zum Burnout auszubrennen, auch das geht künftig nicht mehr.
Der beschleunigte Wandel und die zunehmende Komplexität stellen die Arbeitgebermarke vor ganz neue Herausforderungen. Loyalität und ihre kleinen großen Schwestern, die Reputation und das
Vertrauen, sind der Klebstoff, der alles zusammenhält.
Loyale Mitarbeiter sind viel eher bereit, die vom Markt geforderten
laufend notwendigen Veränderungsprozesse mitzutragen. Gerade bei kollaborativen Arbeitsverhältnissen geht es um eine innere Verpflichtung, also um Loyalität. Projektteams, die sich ständig
neu formieren, benötigen Loyalität von Anfang an. Sie muss quasi
aus dem Stand gelingen. Vor allem für das zunehmend virtuelle
Mit­einanderarbeiten braucht es eine loyalitätsbasierte Vertrauenskultur. Und es braucht Mitarbeiterpersönlichkeiten, die Loyalitätsintegrität in sich tragen. Loyalität wird auch deshalb in den Unternehmen so dringend gebraucht, weil Netzwerkstrukturen mehr
und mehr die einst linearen Anweisungsszenarien ersetzen. Und
für die Sinnsucher unter den Arbeitnehmern ist Loyalität unumgänglich.
124
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Die wichtigsten Vorteile einer hohen Mitarbeiterloyalität
{{ Arbeitswille, Engagement, Effizienz und Produktivität ­
steigen.
{{ Die Lern- und Weiterbildungsbereitschaft wächst.
{{ Es wird mehr Verantwortung übernommen.
{{ Mehr Ideen und Verbesserungsvorschläge werden
­eingebracht.
{{ Eine Vertrauenskultur kann entstehen.
{{ Es gibt positive Gespräche sowie Mundpropaganda drinnen
und draußen.
{{ Der Arbeitgeber wird weiterempfohlen.
Eine niedrige Fluktuation wirkt sich vor allem in kundennahen
Bereichen loyalitätsförderlich aus. Zu manch austauschbarem
Dienstleister geht man ja nur wegen dieses einen freundlichen
Ansprechpartners, der einen schon so lange kennt. Dementsprechend nehmen Verkäufer gerne ihre Kunden mit, wenn sie das
Unternehmen wechseln. Neue Kunden wird man schwerlich zu
Stamm­kunden machen, wenn diese immer nur auf Anfänger treffen. Langjährige, gut geschulte Mitarbeiter verstehen es viel besser,
Kunden zu loyalisieren. Und Kunden, die immer wiederkommen,
bestätigen den Mitarbeitern, im richtigen Unternehmen zu sein.
Schließlich weigern sich immer mehr Kunden gezielt, bei einem
Unternehmen zu kaufen, das seine Mitarbeiter schlecht behandelt
und mit miesen Arbeitsbedingungen »glänzt«. So hängen Mitarbeiter- und Kundenloyalität eng zusammen. Sie stärken oder schwächen einander. Mitarbeiterloyalität ist dabei die Vorbedingung.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
125
Die schlimmsten Loyalitätszerstörer
Wenn es immer schwerer wird, neue gute Mitarbeiter zu finden,
dann heißt es, sich stärker auf die zu konzentrieren, die man schon
hat. Doch leider liegt da eine Menge im Argen. Während vorne
die Recruiter ihr Möglichstes tun, um Kandidaten anderswo loszu­
eisen, laufen einem hinten die eigenen Leute weg. »Warum sollte
ich mich loyal verhalten«, fragen sich die, »wenn ich von meiner
Firma keine Loyalität erwarten kann?« Ja, Unternehmen müssen
loyalitätswürdig sein. Dies sind sie aber nur dann, wenn sie Loyalitätswerte gegenüber Mitarbeitern und Kooperationspartnern leben. Tun sie das nicht, haben sie auch kein Recht, deren Loyalität
einzufordern. Viele Unternehmen haben die Loyalität ihrer Mitarbeiter systematisch verspielt. Und immer dann, wenn es der Wirtschaft besser geht, bekommen sie die Quittung: Alte Rechnungen
werden beglichen. Die unzufriedenen, frustrierten und enttäuschten besten Mitarbeiter wandern in Scharen ab.
Okay, eine moderate Mitarbeitermigration ist in unserer neuen Arbeitswelt ganz normal. Und solange nur die weniger Guten gehen,
ist sie zwecks Blutauffrischung hie und da auch erwünscht. Doch
meistens sind die Ursachen für hohe Fluktuationsraten hausgemacht. Die Gründe sind vielfältig und reichen von einer schlechten
fachlichen Passung über zwischenmenschliche Unverträglichkeiten bis hin zu einer problematischen Führungskraft. Die größten
Loyalitätszerstörer aber sind:
{{ emotionale Kälte und Mangel an Menschlichkeit
{{ Vertrauensschwund und Kontrollitis
{{ ständige Wechsel und Umstrukturierungen
{{ ein schlechtes Trennungsmanagement
Wer nur allein an diesen Punkten ansetzt, kann die Verbundenheit
beträchtlich erhöhen. Doch vielfach werden die Mitarbeiter wie
Ware von einem Bereich in den anderen verschoben, neu zusammengewürfelt oder einfach abserviert. Gerade in den zurückliegen-
126
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
den Jahren hat ein Großteil der Arbeitnehmer mit ansehen müssen
oder am eigenen Leib erfahren: Loyalität lohnt sich nicht. Dass Mitarbeiterabbau manchmal unausbleiblich war und auch zukünftig
hie und da notwendig sein wird, sei unbestritten. Doch das Wie war
und ist bisweilen absolut inakzeptabel: Mancher hat aus der Presse
erfahren, was sein zukünftiges Schicksal ist. Im Intranet konnte
man nachlesen, wer bleibt und wer geht. Andere haben per E-Mail
einen Dreizeiler erhalten. Selbst Entlassungen per SMS vom Golfplatz aus kamen vor. So wird den Betroffenen ein Abgang in Würde
unmöglich gemacht. Und Menschlichkeit wird mit Füßen getreten.
Nur: Die Mitarbeiter haben bei so was ein Elefantengedächtnis.
Personalabbau ist für alle Beteiligten eine sehr belastende Situa­
tion. Jede Trennung hat ja Einfluss auf das Beziehungsgeflecht im
Unternehmen. Immer wird sehr genau beobachtet, wie die Firmenleitung mit gekündigten oder freigesetzten Kollegen umgeht.
Wird Wertschätzung ausgedrückt für das in der Vergangenheit gezeigte Engagement? Verhalten sich die Vorgesetzten souverän oder
zeigen sie unterkühlte Sachlichkeit? Schieben sie fadenscheinige
Gründe vor? Oder rechtfertigen sie die Trennungsmaßnahme mit
unbegründeter Kritik an der scheidenden Person? Werden Mitarbeiter, die von sich aus kündigen, in den Dreck gezogen oder zum
Tabuthema erklärt? Fairness im Umgang mit Scheidenden sorgt
­automatisch für eine größere Loyalität der Bleibenden.
Doch wie sollen Mitarbeiter, die nicht (länger) daran glauben können, dass ihre Firma vollstes Engagement verdient, volles Engagement für die Kunden bringen? Können »kleine« Angestellte
überhaupt Loyalität entwickeln, wenn sich ihre Chefs in Positionskämpfen öffentlich demontieren? Oder Besitzstandswahrung vor
dem Wohl der Firma steht? Oder der Boss der ganzen Welt erzählt,
wie schlecht seine Leute sind? Kann ein Mitarbeiter überhaupt
noch Loyalität schenken, wenn er selbst schon einmal, zweimal,
dreimal vom Unternehmen enttäuscht worden ist? Wer also Loyalität will, muss diese – beim Topmanagement beginnend – aktiv
leben, fördern und fordern. Von dort muss der Loyalitätsfunke auf
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
127
alle in der Firma überspringen. Denn Mitarbeitende orientieren
sich an der Führungsspitze.
Illoyalität und die Folgen hoher Fluktuation
»Es gibt Firmen«, hat mir einmal ein Headhunter gesagt, »da brauche ich es erst gar nicht zu versuchen. Und dann gibt es andere,
da sind die Leute froh, wenn man sie erlöst.« Da drücke ich die
Daumen, dass Ihr Unternehmen zur ersten Sorte gehört. Denn die
Fluktuationskosten, die ausscheidende Arbeitskräfte verursachen,
sind exorbitant hoch. Haben Sie diese überhaupt schon einmal berechnet? Außerdem wandert Experten-Know-how zum Wettbewerb ab – und es fehlt vorübergehend im eigenen Haus. Darunter
können Kundenbeziehungen sehr leiden. Oder sogar zerbrechen.
Noch teurer kann es werden, wenn Mitarbeiter emotional nicht
mehr gebunden sind und dennoch bleiben. Solche Kosten, die den
sogenannten weichen Faktoren zuzurechnen sind, werden nur selten beziffert, von Controllern meist übersehen und nie bilanziert.
Doch daran kann kein Zweifel sein: Unengagierte, im Herzen il­
loyale Mitarbeiter sind die größten Umsatzvernichter eines Unternehmens. Sie sind zwar physisch noch da, leben aber bereits in der
inneren Emigration. Sie sind nicht nur öfter krank, sondern auch
bummelig, unzuverlässig, gleichgültig und gedankenlos. Hierdurch
wird ihre Arbeit fehleranfällig. Die auf diese Weise entstehenden
Produktivitätseinbußen schätzt man auf mindestens zwanzig Prozent. Und weil solche Mitarbeiter durch ihr ständiges Klagen einen
Negativstrudel in ihrem Umfeld erzeugen, sinkt die Produktivität
der Kollegen, die dieses Gejammer erdulden müssen, um geschätzte zehn Prozent.
Illoyale Mitarbeiter halten auch ihre Verschwiegenheitsverpflichtung nicht ein. Sie tratschen über schlechten Service, über die Inkompetenz ihrer Kollegen und über Köpfe, die demnächst rollen
128
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
werden. Auch ungebetene Ohren hören solchen Lästermäulern
gern zu: einfach aus Neugier, um sich vor Schaden zu schützen oder
um ihr Wissen an passender Stelle vorzutragen und damit Pluspunkte zu sammeln. Egal! Anstatt in der Passivität zu bleiben,
schlagen frustrierte Mitarbeiter heute voll zurück. Ihr
Ziel: Vergeltung für (subjektiv) erlittene UngerechFrustrierte
tigkeit. Denn unser Hirn will immer im Gleichge(Ex-)Mit­wicht sein, was Mediziner Homöostase nennen.
arbeiter ­nutzen
Foren und Blogs,
Geht man nicht gut mit ihnen um, werden
um sich über das
Verärgerte und Verdrossene im Gegenzug
un­erträgliche
beginnen, ihre Chefs massiv zu mobben:
Betriebs­klima
Sie lügen und betrügen, sie intrigieren und
und die Machen­
sabotieren und werden so zum Racheengel.
schaften der
Dazu brauchen sie keine Gewerkschaften
Management­
und keinen Betriebsrat, im Web geht das
crew so richtig
viel wirkungsvoller. So nutzen sie Foren und
­auszutoben.
Blogs, um sich über das unerträgliche Betriebsklima und die Machenschaften der Managementcrew mal so richtig auszutoben. Tja, im Internet lassen sich frustrierte Mitarbeiter keinen Maulkorb
umhängen, selbst wenn es dafür Guidelines gibt. Zu beziffern ist also auch der Schaden, der Firmen durch üble Nachrede
entsteht, da auf diese Weise nicht nur potenzielle Bewerber verscheucht, sondern auch Kunden vom Kaufen abgehalten werden.
Ich bin dann mal weg
Illoyale Mitarbeiter sind vor allem dann destruktiv, wenn sie das
Unternehmen tatsächlich verlassen. Sensible Daten, die dabei mitgenommen werden, sind Legion. Diese landen nicht nur beim
Wettbewerb, sondern auch in grauen Kanälen. Und Fälle, bei denen verprellte ITler mal eben die Computer zum Abstürzen brachten oder einen schädlichen Virus einpflanzten, sind auch keine
Seltenheit mehr.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
129
Doch wo liegen die Grenzen zwischen Loyalität und illoyalem Verhalten? Ganz klar: Wer von Geschäfts wegen in seiner Freizeit berufliche Mails checken soll, dem muss auch erlaubt sein, in der
Firma für Privatzwecke zu surfen. Doch wie sieht das bei Firmen­
eigentum aus? Wann ist da der Rubikon überschritten? Ist schon
das Einstecken von Kugelschreibern als fehlgeleitetes Verhalten zu
deuten, oder wird es erst bei Vandalismus, Verrat und Veruntreuung ernst? Im Rahmen des Schweizer HR-Barometers 2012 haben
13 Prozent der Befragten angegeben, ab und an Firmeneigentum
zu entwenden. Schon 23 Prozent haben vertrauliche Firmeninformationen mit nichtautorisierten Personen geteilt.52
Die Versicherungsbranche redet von einem »Vertrauensschaden«,
wenn am Arbeitsplatz Dinge verschwinden, Spesenabrechnungen
frisiert werden oder Firmengeld unterschlagen wird. Auf drei Milliarden Euro jährlich schätzt die Kripo die Sachschäden, die deutschen Unternehmen durch die Betrügereien ihrer eigenen Mitarbeiter entstehen. Die Hermes Kreditversicherung hat 9000 der von
ihnen versicherten Vertrauensschäden genauer untersucht. Alter,
Geschlecht und Betriebszugehörigkeit der Täter wurden erfasst.
Zwei Drittel der Schadenstifter waren männlich, ein Drittel weiblich. Und je länger die Betriebszugehörigkeit, desto seltener die
Veruntreuung, so der Bericht.53
Als Auslöser für solche Fehlentwicklungen ist auch die mangelnde
Loyalität vieler Unternehmen gegenüber Kunden, Partnern und
Lieferanten zu nennen. Mitarbeiter sehen zwangsläufig zu oder
sind aktiv mitinvolviert, wenn Dritte über den Tisch gezogen werden. Schon Azubis in der Gastronomie werden gezwungen, bei
solchen »Spielchen« mitzumachen. Es sei »ein Horror«, zu sehen,
wie Firmen ihre Kunden ausnähmen, wird Matthias Uhrig, Gerichtsgutachter bei IT-Streitsachen, im Manager Magazin zitiert.54
In der Januar-Ausgabe 2013 befasst es sich unter der Überschrift
»Tatort Büro« mit einer Vielzahl von Fällen aus allen möglichen
Branchen. Wie außen, so innen, und wie oben, so unten, kann ich
dazu nur sagen. Was Unternehmen durch ihr unsauberes Verhal-
130
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ten am Markt gewinnen, wird ihnen von den eigenen Mitarbeitern
wieder abgenommen.
Die Managementriege hat nur eine Chance, aus all dem heil herauszukommen: indem sie ein ethisch korrektes Verhalten an den
Tag legt und ihr Führungsverständnis überdenkt. Für jeden Menschen gilt: Wem es an Positivem mangelt, wer also statt Aufmerksamkeit, Anerkennung und Respekt vor allem Desinteresse, Demütigungen und Enttäuschungen erlebt, und wer nichts mehr zu
verlieren hat, der mutiert schließlich zur tickenden Zeitbombe. Die
Gefahr ist übrigens dort am größten, wo es keine Fairness, keine
Nähe und aufgrund der ständigen Wechsel keine Bindungen gibt.
Ein schwieriger Fall: Loyalitätskonflikte
»Also, das ist noch gar nichts. Wenn Sie wüssten, was bei uns sonst
noch so alles …«, sagt die Mitarbeiterin, als sich ein Kunde über
schlechte Abläufe beschwert. Und dann werden munter w
­ eitere
Interna ausgeplaudert. »Ich war ja gleich dagegen, aber die im
obersten Stock wollten das so«, sagt der Abteilungsleiter bei der
Teambesprechung, als Zweifel an der Durchsetzbarkeit einer Entscheidung aufkommen. Und dann erzählt er ein paar pikante Details, wie das in den Führungssitzungen so läuft. Beide Personen
waren in einem Loyalitätskonflikt. Sie haben sich selbst aus der
Schusslinie genommen und mit dem Finger auf andere gezeigt.
Loyalitätskonflikte entstehen auf drei Ebenen:
{{ Introspektiv: mit sich selbst und seinem Gewissen
{{ Horizontal: gegenüber Kollegen
{{ Vertikal: zwischen oben und unten
Natürlich findet auch die Loyalität einer Führungskraft auf diesen
drei Ebenen statt. Immer muss sie deshalb die Frage beantworten,
worauf sich ihr Loyalitätsverständnis bezieht: Auf das Topmanage-
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
131
ment? Die Anteilseigner? Das Unternehmen? Die Verantwortung
für die Mitarbeiter? Auf das eigene Gewissen? Und wie gehe ich
mit dem Konfliktfall dann um? Einerseits ist Loyalität eine Prinzipienfrage, andererseits aber auch sehr konkret. Wie reagiert also
ein Vorgesetzter, wenn er unpopuläre Managemententscheidungen an die Mitarbeiter weitergibt? Und wie verteidigt er seine Mitarbeiter, wenn die ins Kreuzfeuer der Kritik geraten?
Loyalitätskonflikte entstehen vor allem auf offener Bühne. Gerade männliche Führungskräfte erwarten, dass die eigenen Leute
geschlossen zu ihnen halten. Stellt sich etwa ein Mitarbeiter im
Meeting gegen seinen Chef oder beweist diesem, dass er unrecht
hat, fürchtet dieser, dass seine Position beschädigt und seine Macht
geschwächt wird. Genauso problematisch ist es, wenn sich ein
Mitarbeiter am Vorgesetzten vorbei an dessen Chef eine Etage höher wendet, um seine Ziele erreichen zu können. Ebenso schlimm
kann es sein, wenn Leute aus den eigenen Reihen mit »Abteilungsfeinden« sympathisieren. So was grenzt schon
fast an Hochverrat. Vor allem Frauen tappen oft in
solche Loyalitätsfallen, denn sie sind in erster Linie der Sache zugetan. Positionenschach und
territoriales Gehabe sind ihnen oft fremd.
Gefragt ist keine
Nibelungentreue,
sondern eine
reflektierende
Loyalität auf
­Augenhöhe.
Doch neben der Leistungsebene gibt es immer auch eine Machtebene, die Loyalität
verlangt. So nehmen Katastrophen mit millionenschweren Schäden ihren Lauf: Jeder
weiß, dass der Chef auf dem Holzweg ist,
aber keiner hat die Traute, ihm das zu sagen.
In Krankenhäusern sterben Tausende von
Menschen, weil niemand dem behandelnden
Arzt die Leviten liest. Flugzeuge sind abgestürzt,
weil der Kopilot keinen Widerspruch wagte. Ja,
falsch verstandene Loyalität hat oft die übelsten Folgen.
Und das große Unheil beginnt meist bei den Details. Die sagenumwobene Nibelungentreue hat also in der heutigen Realität
132
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
nichts mehr zu suchen. Wir brauchen eine reflektierende Loyalität
auf Augenhöhe. Denn nur wer dem Unternehmen, wenn nötig,
auch mal die Meinung sagt, tut ihm gut.
Leider passiert es aber noch immer, dass bei der Aufdeckung von
Mauscheleien der »Verräter« in die Bredouille kommt, und nicht
der eigentliche Bösewicht. Vor allem dann, wenn der »Verräter«
ein Kleiner, der »Ertappte« aber ein Großer ist. Heute bezeichnet
man solche Enthüller als »Whistleblower«. Mit Petzen hat das
rein gar nichts zu tun. Denn Whistleblower decken inakzeptables
Fehlverhalten, gravierende Missstände und illegales Handeln auf.
Wenn sie dabei an das Allgemeinwohl denken, gehen sie sogar persönliche Risiken ein. Vor solcher Zivilcourage habe ich den größten Respekt. Um Übel einzudämmen und Schaden abzuwenden, ist
es ganz klar die Pflicht eines Unternehmens, solche überaus loyal
handelnden Mitarbeiter zu schützen. Hierzu muss es interne oder
externe Vertrauenspersonen geben, an die man sich wenden kann.
Alles in allem ist zu definieren, wie Loyalität im Unternehmen gesehen wird und gelebt werden soll. Diskutieren Sie miteinander,
was das für jeden bedeutet. Speziell da, wo es um ein besonderes
Vertrauensverhältnis geht, wie etwa zwischen Führungskraft und
Assistent, muss in beiderseitigem Interesse auch geklärt werden,
wo die Loyalitätsgrenzen liegen. Vornehmlich aber sollte gemeinsam erarbeitet werden, wie sich eine Loyalitätskultur im Unter­
nehmen entwickeln lässt. Denn Loyalität ist die Basis für eine
Hochleistungsorganisation, in die jeder Einzelne sein ganzes Engagement einbringt. Und zwar, weil er will – und nicht, weil er muss.
Mitarbeiterloyalität: heute ein Muss
133
Mitarbeiterengagement
und ­Motivation
Motivation! Dieser faszinierende innere Antrieb, etwas zu tun, weil
es notwendig, sinnvoll, unterhaltsam, spannend oder herausfordernd ist. Motivation scheint ein ausschlaggebender Aspekt zu sein,
wenn es um Mitarbeiterperformance und Unternehmenserfolg
geht. In der Literatur wird sie ständig beschworen. Und in Studien
wird sie akribisch gemessen. Jeder zweite Chef demotiviert seine
Leute, und nur jeder dritte sorgt für ein leistungsförderndes Arbeitsklima. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Hay-Befragung aus dem Jahr 2013.55 Der Hauptgrund? Laut Thomas Gruhle,
Geschäftsleitungsmitglied der Hay Group, dominiert nach wie vor
der direktive Führungsstil, bei dem der Vorgesetzte erwartet, dass
die Mitarbeiter seinen Anweisungen uneingeschränkt folgen. »Für
die Kreativität und die Eigeninitiative der Mitarbeiter ist ein ausschließlich direktiver Führungsstil Gift. Er killt jegliche Motivation.«
Auch das Gallup Institut erschreckt die Managerzunft jährlich aufs
Neue, weil in deren Untersuchungen die Mitarbeitermotivation immer so niedrig ist – und seit Jahren einfach nicht steigt. Tatsächliche
oder selbst erkorene Fachleute streiten trefflich darüber, ob Motivation nun intrinsisch oder extrinsisch sei, also im Inneren eines
Menschen in ausreichendem Maße vorkomme oder aber von außen zu befeuern sei. Die einen sind vehement für extrinsische Aktivitäten und zitieren flugs entsprechende Untersuchungen herbei,
die solches Tun untermauern sollen. Die anderen sind konsequent
dagegen und legen zum Beweis ihrer Meinung ebenfalls passende
Studien vor. Die L
­ ager sind also gespalten. Und die Wahrheit? Sie
liegt, wie so oft, in der Mitte. Und sie ist nuanciert zu betrachten.
134
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Dringend gesucht: die intrinsische Motivation
»Alles Motivieren ist Demotivieren.«56 Dieser oft zitierte Satz zählt
zu den Todsünden im Management, selbst wenn er von Reinhard
Sprenger stammt, von dem wir auch viel Schlaues kennen. Oft genug kommen Führungskräfte aus Seminaren zurück und plappern
unreflektiert solchen Unsinn nach. »Es reicht ja schon, wenn wir
nicht demotivieren«, papageien sie auch. Und wenn man einfach
mal die Zielgruppe fragt, um die es hier geht?
Wunsch Nummer eins der meisten Mitarbeiter an ihre Führungskraft ist es, öfter ein ehrliches, wertschätzendes Lob zu bekommen. Und die Praxis? Im Rahmen einer Stepstone-Studie unter
1500 Mitarbeitern gaben 42 Prozent an, dass sie für ihre Arbeit nur
sehr selten gelobt werden. 14 Prozent erhalten überhaupt keine
Anerkennung. Nur 16 Prozent finden ihre Leistungen angemessen
wertgeschätzt. Und nur drei Prozent der Befragten gaben an, dass
ihnen fehlendes Lob nichts ausmache.57
»Ein zentrales, neurobiologisch (!) begründetes Motiv für die Bereitschaft des Menschen zu arbeiten ist der Wunsch nach direkter
oder indirekter Anerkennung«, schreibt der Neurobiologe, Psychotherapeut und Arzt Joachim Bauer.58 Und auch das: »Geld kann
nur begrenzt leisten, was soziale Anerkennung, Wertschätzung
und ein gutes Arbeitsklima vermögen: das Motivationszentrum des
Menschen und die Ausschüttung seiner Motivationsbotenstoffe in
Fahrt zu bringen.«59
Das Motivieren hat viele Gesichter: Es kann Ansporn, Ermutigung,
Trost und Zuspruch sein. Es kann sich in Bestätigung, Beifall und
Bewunderung äußern. Es kann sich als gut oder schlecht gemachtes Lob verkleiden. Es kann emotionale und monetäre Belohnungsanteile enthalten, himmlischen oder teuflischen Zwecken dienen,
steuern, befruchten, ködern, manipulieren, verführen. Motivieren
manipuliert? An sich ist beides weder gut noch böse. Es kommt
vielmehr darauf an, welchen Zweck man damit verfolgt und wel-
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
135
cher Anlass dem Ganzen zugrunde liegt. Man kann jemandem aufrichtig Respekt zollen für einen klugen Gedanken oder eine mutige
Tat, ohne ihn dabei benutzen zu wollen. Jede Kommunikation,
egal ob verbal oder durch körpersprachliche Zeichen geäußert, und
sogar jede Nichtkommunikation manipuliert. So ist am Ende auch
ein hochverdientes, aber nicht ausgesprochenes Lob pure Manipulation.
In jedem Job gibt es (hoffentlich) viele Dinge zu tun, die uns von
Haus aus Freude machen, weil wir solche Aufgaben lieben. Oft
ist aber auch Arbeit da, die wir ein bisschen weniger mögen. In
beiden Fällen kommt es darauf an, wie stimulierend man uns das
dann serviert. Bei einer Mahlzeit ist es genauso. Wir müssen essen,
das ist intrinsisch. Was uns schmeckt oder auch nicht, das ist von
Mensch zu Mensch verschieden. Die Lust am Essen hat aber auch
damit zu tun, wie appetitlich es zubereitet wurde und wie ansprechend es auf den Teller kommt. Was uns ekelt, das rühren
wir nicht an, selbst wenn wir richtig Hunger haben.
Stimmt hingegen die Aufmachung, dann läuft uns
das Wasser im Munde zusammen – und unser
gemäßigter Appetit schlägt in Heißhunger um.
Der größte
­Motivierer ist
das Dopamin.
Der größte Motivierer sitzt übrigens in unserem eigenen Kopf. Mächtige zerebrale
Strukturen und biochemische Prozesse motivieren uns ohne Unterlass, alles Unangenehme penibel zu meiden und Angenehmes
engagiert in Angriff zu nehmen. Wir sind die
Nachfahren von Menschen, deren Hirn besonders gut darin war. Biologen nennen das
Evolution. So werden wir für Leistung, Lernen
und das Meistern von Herausforderungen ständig
belohnt: mit der süßesten Droge, die die Natur je erfunden hat. Ihr Name? Dopamin. Dopamin ist der Freudentaumel, das aufgekratzte Beflügeltsein, der siebte Himmel,
Glückseligkeit pur.
136
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Im Reigen mit weiteren zerebralen Substanzen befeuert Dopamin
unter anderem Arbeitsfreude, Wagemut und Leistungskraft. Außerdem stärkt es unser Immunsystem und schützt die Firmen so
vor hohen Krankenständen. Dazu hat der Schweizer Soziologe
Johannes Siegrist nachweisen können, dass eine Dysbalance zwischen Verausgabung und Wertschätzung am Arbeitsplatz zu erhöhten Gesundheitsrisiken führt.60 Anerkennungsgespräche explizit
in die Zielvereinbarungen einer Führungskraft aufzunehmen, ist
also eine gute Sache. Doch einige Firmen haben inzwischen damit
begonnen, Lobtage einzuführen: Freitag, 10 Uhr – Loben auf der
Agenda! So wird Lob zur Pflichterfüllung. Und genauso kommt das
dann bei den Mitarbeitern an – was einen bitteren Nachgeschmack
weckt und kontraproduktiv ist.
Übrigens wird Dopamin, wie jeder andere Botenstoff auch, je nach
Anlass und Menschentyp in unterschiedlicher Dosis erzeugt. Was
uns motiviert, das eine zu tun und das andere zu lassen, ist bei jedem verschieden. Und nicht in jedem Genpool ist intrinsische Motivation en masse eingebaut. Vielfach reicht das innere Quantum,
doch bisweilen tut ein wenig Aufmunterung gut. Einerseits kann
es hilfreich sein, wenn von außen beharrlich bestärkt und mit Eifer
ermutigt wird. Vom Sport wissen wir alle, welche Leistungswunder das nicht selten bewirkt. Andererseits wird man Übermotivierte
mitunter auch bremsen müssen, damit kein Unheil geschieht. Den
größten Fehler, den Führungskräfte bei all dem machen können,
ist der, von sich selbst auszugehen.
Extrinsische Motivation
Es gibt Menschen, die laufen vor allem dann zur Hochform auf,
wenn der Applaus von außen kommt. Wir finden sie in den Teppichetagen der großen Konzerne, auf Bühnen in Scheinwerfer­
kegeln – und in Stadien auf dem Siegerpodest. Zu ihren Lebens­
zielen gehört es, auf die Titelbilder wichtiger Medien zu gelangen,
denn ihre Herrlichkeit soll sichtbar sein. Sie wollen beklatscht, um-
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
137
jubelt und vergöttert werden. Sie sonnen sich selig im Rampenlicht der bewundernden Öffentlichkeit. Wird dieses ausgeknipst,
verkümmern sie kläglich. Das kraftvolle »Porschehormon« Testosteron ist die Dampfmaschine, die sie im Großen und Ganzen
befeuert.
Ein hoher Testosteronwert scheint sich gut anzufühlen, weshalb die, die das brauchen, ständig auf der
Suche nach passender Außenstimulation sind.
Möglichkeiten dazu gibt es genug, das braucht
Bewunderung
hier nicht vertieft zu werden. Wo Testosteronmacht süchtig.
gesteuerte das Sagen haben, gibt es überall
Und Sucht ist
Rankings, Rennlisten, Pokale, Statussymbo­stärker als Moral.
le und Zeichen der Macht. Gratifikationen
und dicke Bonuszahlungen sind für sie wie
kapitale Zwölfender, die es, Halali, zu erjagen gilt. Weil sich nur die Besten mit solchen
Trophäen schmücken können, sind sie eine
faszinierende Beute. Dabei sind Auszeichnungen oft so begehrenswert, dass legale Grenzen
keinen Einhalt bieten. Denn Bewunderung macht
süchtig. Und Sucht ist stärker als Moral.
Menschen dieses Schlags, nennen wir sie Alphas, sind sehr leistungsbetont. Sie sprechen mit lauter Stimme, meist in der IchForm, effekthaschend und durchsetzungsstark. Sie wirken arrogant, aggressiv, selbstsicher und hart. Ohnmacht, also im wahrsten
Sinne des Wortes ohne Macht zu sein, macht solche Typen ganz
krank. Sie wollen beherrschen und kontrollieren. Ihre emotionale
Kompetenz ist gering. Sie sind sachorientiert und kennen nur ein
Ziel: nach oben! Sie ziehen in den Kampf und wollen den Sieg.
Sie brauchen möglichst viele Leute unter sich und locken Ja-Sager
geradezu an. An vielen kleinen Zeichen lässt sich erkennen, dass
die ganze Firma ihre Eitelkeit pflegt. Huldigen-Programme nenne
ich das. Sie hassen andere Götter neben sich, lieben Mitarbeiter als
»Dekorationsmaterial« und verachten jene mit geringem Wider-
138
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
stand. So hemmen sie die Entwicklung all ihrer Leute. Weil nur
ihre eigene Meinung zählt, wird fast nie die bestmögliche Entscheidung getroffen. Und wenn sie einen falschen Plan im Kopf haben,
läuft das ganze Unternehmen in Richtung Untergang.
Daraus folgt: Die monetäre Anreizgläubigkeit in den Führungs­
etagen hängt ursächlich mit der eigenen Motivationsdisposition
zusammen. Leider übersehen solche Alphas, bei denen Wettbewerb wie ein Turbo wirkt, dass nicht jeder tickt wie sie selbst. Weil
ein Alpha niemanden gern neben sich hochkommen lässt, drängt
es ihn, andere zu demütigen und ihre Minderwertigkeit sichtbar zu
machen. Lob und Anerkennung sind deshalb auch überhaupt nicht
ihr Ding. »Meine Mitarbeiter machen einfach nichts Gutes. Wofür
soll ich sie denn loben?«, sagte mir so einer kürzlich.
Treten Fehler auf, werden Schuldige gesucht und vor aller Augen
bestraft. So sind Alphas zwar auch von Helden, vor allem aber von
einem Schlachtfeld Demotivierter umgeben, die sich nichts trauen
und höchstens ihre Standardleistungen abrufen können. Deshalb
ein Tipp: Wenn Sie von Bestenlisten nicht lassen können, dann
zeigen Sie die drei ersten Plätze, nicht aber den Rest, damit man
die Verlierer nicht sieht. Was es bedeutet, sein Gesicht zu verlieren,
das weiß doch wohl jeder. Unerfreulicherweise brauchen Testosterongesteuerte solche Triumphe.
Intrinsische Motivation
Intrinsisch gesteuerte Menschen brauchen keinen funkelnden Zuspruch von außen, denn sie tragen ein Maximum an Motivation
wie ein loderndes Feuer genetisch in sich. Schon als Kinder sind
sie fast nicht zu halten vor lauter Bewegungsdrang. Neugierde
und Abenteuerlust, Optimismus und Unbekümmertheit sind ihre
Markenzeichen. Sie sind experimentierfreudig, lösungsorientiert,
unkompliziert, flexibel, tolerant, kreativ. Sie sind Frohnaturen
mit quasi eingebauter Glücksfähigkeit. Und fast ständig in einem
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
139
Zustand, den der Verhaltensforscher Mihály Csíkszentmihályi als
Flow bezeichnet. Ihr Hirn arbeitet schnell. Sie suchen nach Abwechslung und nehmen das Leben leicht. Ihre Disposition sorgt
für Pioniergeist, Innovationen und Spaß, aber auch für unkalkulierbare Risikobereitschaft und Chaos. Sie sind ungeduldig, flatterhaft, rastlos, unzuverlässig. Für ruhigere Zeitgenossen können sie
deshalb recht anstrengend sein.
Sie sind Visionäre, Bekehrer, Heiler, aber auch Menschenfänger.
Sie tragen den Funken der Begeisterung bis ans Ende der Welt. Mit
ihrem Überschwang gelingt es ihnen, selbst müde Krieger wieder
hochzureißen. Sie werden von einem Hormoncocktail befeuert,
der vor allem aus dem schon erwähnten Dopamin besteht. Dopamin-Euphorie sorgt für Vitalität, für einen hochgradigen Energielevel und für den Chancenblick. Sie macht uns unternehmungslustig, leistungsfähig, wagemutig und siegesgewiss. Kommt eine
motivierende Befeuerung von außen hinzu, dann wachsen solche
Charaktere über sich selbst hinaus. Allerdings werden in diesem
Zustand hirninnere Kontrollzentren zurückgefahren, weshalb eine
Überdosierung gefährlich sein kann. Eine Notbremsung ist dann
­lebensnotwendig. Und mitunter muss man sie vor sich selbst retten.
Alles in allem sind Dopamingesteuerte wie wilde Pferde, manchmal geradezu besessen von einer Idee und anderen schnell um
Meilen voraus. Leider übersieht der derart Gestrickte, dass bei Weitem nicht jeder so begnadet ausgestattet ist wie er selbst. Schlimmer noch: Er merkt nicht einmal, dass viele nicht den Hauch einer
Chance haben, bei seinem Tempo mitzuhalten. Und er übersieht,
dass sich andere bei der Hatz, die für ihn ein Leichtes ist, bis zum
Burnout zerreiben – oder entmutigt das Handtuch werfen.
140
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Gemischt gesteuerte Motivation
Schließlich gibt es eine dritte Spezies. Eigenmotivation, Antrieb
und Willenskraft sind bei ihnen eher gering. Sie neigen zu Pessimismus, Selbstmitleid, Phlegma und mangelnder Resilienz. Manche verlöschen bis an den Rand der Depression. Um auf volle Drehzahl zu kommen, benötigen sie Zuspruch von außen. Zuwendung
und Akzeptanz sind zwar für jeden von uns elementar, für diesen
Typ aber ein biologisches Grundbedürfnis. Im Grunde wollen diese Menschen stolz sein können auf das, was sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu leisten in der Lage sind. Und das ist oft ganz
schön viel. Vor allem sind sie zuverlässig, fürsorglich, beharrlich
und penibel genau.
Doch ihr Selbstbewusstsein leidet und sie sind von Zweifeln geplagt. Deshalb können sie nicht immer zeigen, was in ihnen steckt.
Sie neigen zur Vorsicht und sind zögerlich, wenn es um Entscheidungen geht. Routinen und ein vertrautes Umfeld geben ihnen
Sicherheit. Sie mögen Schritt-für-Schritt-Aufgaben – und leisere
Varianten der Anerkennung. Bei aufgesetzten Lobattacken werden
sie misstrauisch. Begeisterungsstürme machen sie skeptisch. Und
öffentlicher Beifall ist ihnen peinlich.
Manche Führungskräfte würdigen nur herausragende Verdienste
und vergessen dabei die vielen kleinen Performancesteigerungen
solcher Mitarbeiter im Leistungsmittelfeld und darunter. Vor allem,
wem der Glaube an sich fehlt, braucht wohldosiertes, begründetes,
regelmäßiges Lob. Es ist das Elixier, das gerade stille, zurückhaltende und weniger talentierte Menschen beseelt, endlich Mut zu
fassen und vollen Einsatz zu bringen. Für den Chef, der ihre Leistungen würdigt, ohne gleich überschwänglich zu werden, werden
sie kleine Heldentaten vollbringen. Und für das Wohl der Kunden
wachsen sie dann über sich selbst hinaus.
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
141
Die richtige Dosis entscheidet
Eine Führungskraft muss dieses Gefüge verstehen, um Motivation
typgerecht zu befeuern. Das Feedback anderer Menschen ist eine
Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt ein Gefühl für die eigene Identität bekommen können. Deshalb fordern wir mit unserem
Verhalten unser Umfeld immer zu Reaktionen auf. Positive beziehungsweise negative Verstärkungen sorgen dann dafür, dass das
gezeigte Verhalten entweder fortgesetzt oder aber eingestellt wird.
Und unabhängig davon, wie hoch die intrinsischen und extrinsischen Anteile sind: Ein Mitarbeiter erbringt seine Leistungen (fast)
nie nur für sich selbst, sondern auch für die Menschen in seinem
Umfeld, also zugleich für den Chef. Und er will, dass der das nicht
nur sieht, sondern am Ende auch würdigt. Tut er dies nicht, beginnt
der Mitarbeiter, herumzueiern, probiert mal dieses, mal jenes, um
doch noch eine Reaktion zu ergattern. Und das kann leider durchaus in die falsche Richtung laufen. Oder man zieht sich völlig zurück. Denn Anstrengungen müssen lohnenswert sein, sonst fällt
unser Hirn sofort in den Energiesparmodus.
Sowohl Lob als auch Kritik kommen übrigens bei Menschen immer
auf zwei Ebenen an: auf einer Sachebene und einer Beziehungsebene. »Der Chef schätzt meine Arbeit (nicht)« heißt dann auch:
»Er schätzt mich (nicht)«. Und die Beziehungsteile lassen sich aufrechnen. »Man kann sich das vorstellen wie ein Beziehungskonto.
Jedes Lob ist eine Einzahlung, jede Kritik eine Abbuchung«, erklärt
die Diplom-Pädagogin Heidrun Vössing in einem Beitrag für das
Fachmagazin ManagerSeminare. »Ist das Konto im Minus, ist die Beziehungsebene gestört. Dann wird selbst die konstruktivste Kritik
sofort persönlich genommen.« Deshalb rät die Trainerin den Führungspersonen zum Drei-zu-eins-Sparen: »Wer pro Kritik dreimal
lobt, hat immer ein ordentliches Polster.«61 Setzen Sie also öfter
die Fehlersuchbrille ab und die Lobsuchbrille auf. Wer Gutes sucht,
wird Gutes finden. Zu viel des Lobs soll es aber auch wieder nicht
sein, sonst tritt ein Gewöhnungseffekt ein, und das Belohnungssystem springt nicht mehr an.
142
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Der Schriftsteller Daniel Pink weist in seinem
Buch Drive darauf hin, dass belohnendes Motivieren je nach Aufgabenstellung unterschiedWenn-dann-­
lich ausfallen muss.62 Dabei unterscheidet er
Belohnungen
zwischen algorithmischen und heuristischen
sind nicht in
Aufgaben. Bei Ersteren handelt es sich um
allen ­Situationen
einfache Routinearbeiten mit vorgezeichnesinnvoll.
tem Lösungsweg. Hier können vorauseilende Wenn-dann-Belohnungen (»Wenn Sie bis
morgen …, dann …«) sinnvoll sein, da sie die
Aufmerksamkeit auf die Zielverfolgung lenken. Sie erzeugen allerdings Abhängigkeit und
müssen deshalb immer wieder dargeboten werden.
Heuristische Aufgaben sind komplexer. Eine passende Lösung muss erst noch gefunden werden. Hier sind
vorab in Aussicht gestellte Belohnungen kontraproduktiv, da sie
den Fokus verengen und deshalb das kreative Denken blockieren.
Ferner können sie die intrinsische Motivation auslöschen oder zu
unkorrektem Verhalten verleiten, da nun der Bonus zum eigentlichen Ziel wird. Deshalb sind in diesem Fall Nun-da-Belohnungen
(»Nun, da das Projekt so erfolgreich umgesetzt wurde, …«) sinnvoller, solche also, die unerwartet kommen und erst angeboten
werden, nachdem eine Aufgabe erfüllt ist. Inhaltliches Feedback ist
dabei wertvoller als Geld.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch der Verhaltensökonom Dan
Ariely in seiner Forschung. In einem Test ging es um Geld als Bonus für Leistung. Kleine Beträge waren durchaus ein Ansporn.
Hohe Boni hingegen führten zu einer deutlichen Verschlechterung
der Ergebnisse, weil die Studienteilnehmer sich aus Angst vor einem möglichen Scheitern und dem damit verbundenen Geldverlust völlig verkrampften. In einem weiteren Fall ging es um drei
Versuchsgruppen, die auf vollgeschriebenen Blättern ­bestimmte
Buchstaben anzustreichen hatten. Die Teilnehmer der ersten Gruppe sollten ihren Namen auf jedes Blatt schreiben. Sobald eines
fertig war, übergaben sie es dem Versuchsleiter, der es von oben
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
143
bis unten durchsah, anerkennend nickte und es auf einen Stapel
legte. Diese Gruppe bearbeitete durchschnittlich 9,0 Blätter. Die
Personen aus der zweiten Gruppe beschrifteten die Blätter nicht.
Der Versuchsleiter legte sie beiseite, ohne einen Blick darauf zu
werfen. Diese Gruppe gab durchschnittlich 6,8 Blätter ab. Bei den
Teilnehmern der dritten Gruppe wurden die ausgefüllten Blätter
sofort in einen Reißwolf gegeben, ohne sie vorher durchzusehen.
Diese Gruppe schaffte durchschnittlich 6,3 Blätter. Ja, es ist ganz
erstaunlich, wie viel mehr an Motivation schon ein klein wenig
emotionale Anerkennung bringt.63
Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Carol Dweck untersuchte
verschiedene Arten des Lobens und kam zu folgendem Schluss:
Wer für seine Intelligenz gelobt wurde, mied in der Folge anspruchsvolle Aufgaben eher, um nicht hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Wer jedoch für seine Anstrengungen gelobt worden
war, verstärkte bei Folgearbeiten seinen Einsatz. Die Teilnehmer
der zweiten Gruppe meisterten schließlich die Aufgaben um dreißig Prozent besser als die der ersten Gruppe.64
Schließlich hat ein Experiment am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gezeigt, dass eine Arbeitsgruppe Auftrieb
erhält und ihre Leistungen deutlich steigert, wenn drei Personen
aus ihrer Mitte gelobt werden. Nur eine Person lobend herauszuheben, brachte wenig. Ein Lob an alle steigerte den Gruppenoutput
leicht. Mehrere Topleister zu würdigen, motiviert offensichtlich am
meisten.65 Das Wie ist also wie immer entscheidend. Und eines ist
klar: Eine maßgeschneiderte Motivation ist die unerlässliche Vorstufe zu dem, was im Touchpoint-Management und für den Erfolg
eines Unternehmens noch sehr viel wichtiger ist: nämlich Lust auf
Leistung und damit Engagement. Schauen wir uns also nun die
fünf wesentlichen Faktoren, die Lust auf Leistung bewirken, mal
an.
144
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Wie Lust auf Leistung entsteht
Viele Berufstätige arbeiten gar nicht – sie gehen ihrem Vergnügen nach! Denn wir Menschen, so der Verhaltensbiologe Felix von
Cube, sind nicht auf Schlaraffenland programmiert, sondern auf
Leistung.66 Der eine oder andere, der einer Theorie vom grundsätzlich faulen Menschen anhängt, mag jetzt ungläubig staunen.
Weil er an all die Mitarbeiter denkt, die von Leistung nicht allzu
viel zu halten scheinen. Da wäre es doch gut, die Stellschrauben
zu kennen, unter denen Lust auf Leistung und Mitarbeiterengagement und damit schließlich Spitzenergebnisse entstehen können.
Hier sind sie:
{{ Sinnhaftigkeit
{{ Wertschätzung
{{ Vertrauen
{{ Begeisterung
{{ Verbundenheit
Ein ergebnisorientiertes Management wird also stets danach streben, im innerbetrieblichen Miteinander diese fünf elementaren
Faktoren zu fördern und miteinander zu verknüpfen. Dies kann in
Form eines Diagramms sichtbar gemacht werden, wobei auf einer
Skala von null bis hundert die Führungskraft und die Mitarbeiter
getrennt dargestellt werden. Doch alle Werte unterliegen einer gemeinsamen Verantwortung. Miteinander wird auch überlegt, was
konkret zu tun ist, um erstens Selbstbild und Fremdbild besser anzugleichen und zweitens alle Werte gemeinsam Schritt für Schritt
zu verbessern.
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
145
Sinnhaftigkeit
10
8
6
Verbundenheit
4
2
Wertschätzung
0
Begeisterung
Vertrauen
Abb. 8: Wie die Führungskraft (dunkelgrau) und der Mitarbeiterkreis (hellgrau)
den Istzustand der Kriterien für Lust auf Leistung bewerten
Sinn in der Arbeit bieten
Wer Engagement fordert, muss Sinn bieten. Denn Menschen arbeiten, um etwas zu bewirken. Sinn und das damit verbundene
Glückserleben entstehen, wenn befähigte Mitarbeiter möglichst
konkrete Aufgaben erledigen können, bei denen sie sich als wesentlich erleben. Wir sind beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag
zu leisten, und fürchten die Vorstellung, ein bedeutungsloses Leben gelebt zu haben. Es gibt Menschen Genugtuung, sich auf eine
im Rahmen ihrer Fähigkeiten liegende Art und Weise weiterent­
wickeln und entfalten zu können.
146
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Hierzu benötigen Mitarbeiter immer wieder neue Aufgaben – seien
es andersartige oder schwierigere –, um sich diesen mit Kreativität,
Konzentration und Hingabe eigenverantwortlich widmen zu können. Sie brauchen dabei mehr oder weniger hohe, vor allem aber
sinnvolle Ziele und eine Rückmeldung über die Qualität ihrer Arbeit. So macht man sich mit Neuland vertraut, und aus Unbekanntem wird schließlich Bekanntes. Dies verschafft uns die Sicherheit,
eine Situation zu beherrschen – und das wiederum gibt uns ein
gutes Gefühl. Ein weiteres Plus: Woran man selbst beteiligt ist, das
unterstützt man mit Engagement und Zielstrebigkeit.
Ohne sinnvolle Herausforderungen hätten wir keine
Möglichkeit, uns zu bewähren, auf uns stolz zu sein
und die so wertvolle wie notwendige Aufmerksamkeit und Anerkennung unserer MitmenWir brauchen
schen zu erlangen. Unsere Motivationssystesinnvolle Heraus­
me werden erst hochgeschaltet, wenn wir
forderungen, um
uns um eine Sache verdient gemacht haben.
uns bewähren
Und bei jedem Lernerfolg schüttet unser inzu können, auf
neres Belohnungssystem eine kleine Dosis
uns stolz zu sein
Glückseligkeit aus. Für das aber, was uns
und Aufmerk­
einfach so in den Schoß fällt, gibt es keine
samkeit sowie
Momente des Glücks. Herausforderungen
­Aner­kennung
hingegen beflügeln.
zu ­erlangen.
Die Evolution belohnt uns vor allem dann, wenn
wir uns als wertvolles Mitglied einer Gruppe zeigen, wenn wir Sinnhaftes und Wertstiftendes tun und
dabei unsere Sache möglichst immer noch ein wenig besser
machen. Der kurzzeitig damit verbundene Stress hat keine negativen Auswirkungen, ganz im Gegenteil, er bringt uns in Hochform.
Der Lohn dafür ist eine mächtige Droge: das erhabene Gefühl,
über sich selbst hinausgewachsen zu sein. Dies gilt nicht nur für
körperlich agierende Menschen, sondern insbesondere auch für
Kopfarbeiter: Geistesblitze und Schöpferkraft werden ebenfalls mit
Dopamin belohnt. Dies führt zu einer weiteren Aktivierung des
Gehirns, zum Mehr-machen-Wollen, zum Aufbau von Millionen
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
147
von Hochleistungsneuronen und zu einer stärkeren Vernetzung
der Lerninhalte.
Führungskräfte, die von ihren Mitarbeitern Großes wollen, versorgen sie also am besten mit derartigen Kicks. Sie stellen ihre Mitarbeiter vor immer neue Herausforderungen. Sie delegieren auf
richtige Weise und lassen die Mitarbeiter dann machen – ohne sie
freilich alleine zu lassen. Sie fordern viel und bringen ihre Mitarbeiter immer wieder dazu, sich selbst zu übertreffen. Am Ende
ist es wirkungsvoller, mit herausfordernden Zielen zu führen, statt
mit der Geißel des Scheiterns zu drohen. Anhaltende Frustration
sorgt nämlich dafür, dass Menschen ihren Ehrgeiz verlieren, weil
die Dopaminproduktion verebbt.
Nur wer frei ist, kann sich entscheiden. Wer sich hingegen überfahren oder in eine Statistenrolle gedrängt fühlt, reagiert darauf mit
einem lähmenden Ohnmachtsgefühl. Ohnmächtig, also fremdbestimmt und ohne Macht zu sein, das macht uns ganz klein. Hingegen blühen die Mitarbeitenden auf und beginnen, eigenverantwortlich zu handeln, wenn man ihnen Spielraum im wahrsten
Sinne des Wortes gibt. Spielräume sind Territorien zum beruflichen
Überleben. Und jeder Mensch braucht – so wie auch jedes Tier – ein
Territorium, auf dem er sich sicher und heimisch fühlt.
Wir alle sind als einzigartige Individuen mit einem mächtigen Gestaltungswillen geboren worden, um ein Leben voller Sinn zu führen. Und nicht, um im Menschenschach verheizt zu werden. Sinn
ist die ruhige, besonnene Schwester der Begeisterung. Während
Begeisterung eine lustvolle, extrinsische, maximierende Färbung
trägt, steht Sinn für einen intrinsischen Zustand autonomer Gelassenheit. Sinn trägt weder einen Maximierungszwang noch eine
Konkurrenzkomponente in sich. Sinn ist sich selbst genug. Und
Sinn macht uns frei.
Gerade die Elite der Digital Natives sucht verstärkt danach, ihre
Individualität zu leben und Fremdbestimmung zu minimieren. Sie
148
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
will Selbstwirksamkeit spüren und nicht zum Spielball Dritter, der
Umstände oder des Schicksals werden. Sie hat sich an ein eigenverantwortliches Leben sehr frühzeitig gewöhnt. Sie lässt sich nichts
willenlos auferlegen. Und sie fragt (sich) ständig, ob das, was sie
tut, sinnvoll ist. Die Arbeitswelt der Zukunft muss also vor allem
eines ermöglichen: durch Selbstbestimmung zu Selbstverwirklichung und zu Sinn gelangen.
Wertschätzung zeigen
Um es noch einmal mit Joachim Bauer zu sagen: Kern aller menschlichen Motivation ist es, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Zuneigung zu finden und zu geben. Die Motivationssysteme schalten
ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht, und sie
springen an, wenn Anerkennung oder Liebe im Spiel sind. Berufliche und persönliche Wertschätzung, gegenseitiger Respekt und
situative Erkenntlichkeit sind maßgebliche Treiber für Mitarbeiterengagement und Spitzenperformance. All dies verschafft nicht nur
ein gutes Gefühl, sondern verhindert auch negative Formen von
Aggression wie Niedertracht, Mobbing und Verweigerung. Heike
Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement der Uni St. Gallen, hat den empirischen Nachweis erbracht:
In Organisationen, in denen Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen,
sind die Burnout-Quoten gering.67
Wertschätzung ist somit eine permanente Führungsaufgabe. Sie
drückt sich auf vielfältige Weise aus: durch einen Dank, den freundlichen Augenkontakt, ein interessiertes Hinhören, ein wohlwollendes Kopfnicken, ein anteilnehmendes Lächeln, eine liebenswürdige Bitte, eine ehrliche Entschuldigung, eine wissbegierige Frage,
ein immer neues Verstehen. So wollen Mitarbeiter als Fachkraft
und als Mensch wahrgenommen werden.
Durch Tadel macht man die Menschen klein. Durch Wertschätzung
macht man sie groß. Selbst der Größte fühlt sich klein, wenn er
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
149
keine Zuwendung erfährt. Staunende Beachtung, bewundernde
Aufmerksamkeit und tobender Applaus sind wie reiner Sauerstoff.
Sie lassen Leistungen katapultartig nach oben schnellen. »Wenn
jemand Anerkennung bekommt für eine Leistung, die ihm schon
Flow beschert hat, dann ist das eine zusätzliche Motivation, sich das
nächste Mal wieder voll anzustrengen«, ergänzt Felix von Cube.68
Das Gegenteil von solcher Aufmerksamkeit? Einschüchterung,
Entwürdigung und Missachtung oder – schlimmer noch – manipulative Lobhudelei und verbal oder nonverbal gezeigte Verachtung.
All dies erstickt jedes Wollen im Keim.
Wertschätzung ist einer unserer stärksten Motivatoren. Nach
Wertschätzung als Mensch und als Profi – und nicht nach Geld –
trachten wir ohne Unterlass. Vor allem die Manager an der Spitze
und High Performer mit einem reichen Talenteschatz heizen ihren
Energiehaushalt, wie wir schon sahen, durch Anerkennung von
außen an. Wen wir am meisten schätzen, dessen Beachtung brauchen wir übrigens am dringendsten. Diese nicht zu bekommen, das
tut besonders weh. Wenn dies passiert, dann kann Bewunderung
in Verbitterung umschlagen. Rachegefühle und Bösartigkeiten stellen sich ein, wenn die Hassliebe Einzug hält. Mit übler Nachrede
zahlen wir’s denen heim, die uns die ersehnte Aufmerksamkeit
verwehren. Ist doch klar: Wer andere kleinredet, macht damit sich
selbst groß. Und schon ist alles wieder im Lot. Jede Form von Wertschätzung ist wohl letztlich ein Tauschgeschäft: Wir teilen Komplimente aus, in der Hoffnung, welche zu erhalten.
In »Wertschätzung« steckt »Schatz«. Zeigen Sie den Menschen
um sich herum, welchen Wert, ja welchen Schatz sie darstellen.
Wertschätzung sich selbst und anderen gegenüber ist der Schlüssel zur Führung. Wer Wertschätzung erhält, verändert sich. Und
wer Wertschätzung gibt, führt die Menschen überall hin. Wenn die
Wertschätzung für Kunden und Mitarbeiter bei Ihnen ganz oben
auf der Werteskala steht, haben Sie die Basis für den unternehmerischen Erfolg schon in der Tasche.
150
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Vertrauen aufbauen
Menschen wollen und müssen vertrauen. Gerade in Zeiten lockerer Bindungen nimmt die Bedeutung von Vertrauen als Basis
tragfähiger Beziehungen zu. Die einzige Chance im Umgang mit
Komplexität, so der Soziologe Niklas Luhmann, sei Vertrauen.69
Dort, wo Führungspersonen mit ihren Mitarbeitern vorwiegend
per Mail kommunizieren, weil Distanzen nur noch virtuell überbrückbar sind, verbindet sie vor allem Vertrauen. Wo die Zeit nicht
reicht oder das Wissen fehlt, um eine Sache zu durchleuchten, ist
Vertrauen der beste Kitt. Und dort, wo wir von Fremden auf dem
globalen Marktplatz Internet kaufen, gibt es nur eine Chance: Vertrauen.
Vertrauen steigert das Tempo, sein feiger Gegenspieler, die kleinliche Kontrolle, verlangsamt es. Aus diesem Grund sind
Bürokratien und Hierarchien auf verlorenem Posten.
Sie werden den Wettlauf um die Zukunft verlieren. Vertrauen macht Unternehmen kreativ,
schnell und gut. Denn für Innovationen und
konstruktive Verbesserungsprozesse braucht
es den Austausch von Wissen. Mitarbeiter
teilen ihr Wissen aber erst dann, wenn sie
einander vertrauen. »Zentrale VoraussetVertrauen macht
zungen für die optimale Arbeit von HochUnternehmen
leistungsteams sind vor allem frei verfügba­kreativ, schnell
res geistiges Eigentum und ein hohes Maß an
und gut.
Vertrauen«, diagnostiziert der Organisations­
psychologe Michael Kastner von der Technischen Universität Dortmund. Nur in Vertrauenskulturen können ganz große Würfe gelingen.
Vertrauen ist ein Tauschgeschäft. Vertraust du mir, dann
vertrau ich dir. Doch eine Vertrauensspirale beginnt – wie Geben
und Nehmen – mit einem Vertrauensvorschuss. Man traut dem
anderen. Und man traut ihm etwas zu. Zutrauen ist eine gegen-
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
151
seitige Bringschuld, aus der sich, wenn es gut läuft, Vertrauen verdichtet. Wer den Schritt ins Vertrauen wagt, hat die Angst vor der
eigenen Verwundbarkeit besiegt und zeigt damit Selbstvertrauen.
Wer vertraut, wirkt vertrauenswürdig. Wer hingegen zu Misstrauen neigt, weckt Misstrauen bei den Menschen in seinem Umfeld.
Diese nehmen sich nun selbst in Acht. Deshalb sollte die folgende
Regel gelten: Jedem ist so lange zu vertrauen, bis er bewiesen hat,
dass er es nicht verdient.
Selbstverständlich kann Vertrauen nur in angstfreien Räumen gedeihen. »Wo das Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht«, hat schon
Laotse gesagt. In Misstrauenskulturen regieren Unsicherheit, Argwohn und Kleinmütigkeit. Vorsicht macht sich weitläufig breit.
Und ein Absicherungswettrüsten beginnt. Da sieht man den Feind
um jede Ecke kommen, wittert überall böse Machenschaften und
ist permanent auf der Hut. Wer also Lebensqualität bei der Arbeit
will, sollte den Sprung ins Vertrauen wagen. »Wenn wir andere ängstlich überwachen, überwachen wir uns schließlich selbst,
weil die Mauern, die wir für andere bauen, uns selbst umgeben«,
schreibt Reinhard Sprenger.70
Vertrauen schenken ist nicht ohne Risiko, erfordert also Mut. Doch
damit meine ich nicht Blauäugigkeit und blindes Vertrauen. Denn
blindes Vertrauen ist naiv. Dem wachsamen Vertrauen eine Chance zu geben, das ist klug. Spieltheoretische Analysen zeigen, dass
am erfolgreichsten mit anderen zusammenarbeitet, wer zunächst
vertrauensvoll in eine Beziehung investiert – und sich danach immer so verhält wie das Gegenüber. Das bedeutet aber auch: Je größer das Vertrauen, desto feindseliger reagiert, wer sich getäuscht
oder betrogen fühlt. Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen. Es braucht
­lange zum Wachsen und ist in Sekunden zerstört. »Für verlorenes ­Vertrauen gibt es kein Fundbüro«, sagt der Aphoristiker Ernst
Ferstl.
Vertrauen bedeutet sich trauen, neues Terrain zu betreten. Es entsteht durch kleine Schritte der Annäherung und durch ausbleiben-
152
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
de Enttäuschungen. Wir tasten uns vor, um zu sehen, wer unser
Vertrauen verdient. Dazu stellen wir andere auch auf die Probe.
Am Ende erwächst Vertrauen aus Vertrautheit, aufgebaut durch
Nähe, gute Gespräche, gemeinsame Arbeit und positive Resultate.
Auch Sympathie fördert Vertrauen. Geheimnisvolles Getue hingegen, vorenthaltene Informationen, versteckte Kontrollen und Absprachen in Hinterzimmern zerstören Vertrauen.
Vertrauen wird gewonnen durch
Vertrauen wird verspielt durch
Einklang von Reden und Handeln
Worte, denen keine Taten folgen
Einhalten gegebener Versprechen
Nichteinhalten von Zusagen
offene, ehrliche Kommunikation
Verschweigen, Lügen, Taktieren
Geradlinigkeit und Verlässlichkeit
Sprunghaftigkeit, Ungerechtigkeit
Fairness und Respekt im Umgang
Bloßstellen vor Dritten
Vertrautheit und Sympathie
Undurchsichtigkeit, Antipathie
Glauben an Kompetenz und Wille
Misstrauen, versteckte Kontrollen
Anerkennung für Geleistetes
ständige Fehlersuche, Drohungen
Zugeben eigener Fehler
Verschleiern eigener Fehler
Ahnden von Vertrauensbrüchen
Tolerieren von Vertrauensbrüchen
Wer Vertrauen will, sollte vor allem selbst vertrauenswürdig sein.
Die partnerschaftlich orientierte Form des Vertrauens geht vom
Stärkeren, also von der Führungskraft aus. Sie lebt Vertrauen vor.
Die allermeisten Mitarbeiter reagieren darauf mit Vertrauensbeweisen und nicht mit Vertrauensbruch. Die Furcht vor Vertrauensmissbrauch ist allerdings groß. So wird in vorauseilender Angst alles eingepfercht, anstatt dem guten Willen Freiraum zu geben. Mit
seinen Mitarbeitern vertrauensvoll zusammen arbeiten zu können – ein richtig gutes Gefühl. Vertrauen muss deshalb geschützt
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
153
werden. Und sollte es doch zum Vertrauensbruch kommen, ist dieser kompromisslos zu ahnden.
Ein Vertrauensbildungsprozess setzt sich aus vielen kleinen Mosaiksteinchen zusammen. Er braucht Glaubwürdigkeit, Geradlinigkeit,
Fairness, Klarheit, Transparenz, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Zuverlässigkeit und eingehaltene Versprechen. Ohne Verlässlichkeit gibt
es kein Vertrauen. Und wo Transparenz fehlt, wird gnadenlos aufgedeckt. Positive Erfahrungen hingegen bauen ein wohlwollendes
Vertrauenspolster auf. Es lässt uns sogar die eine oder andere Enttäuschung verkraften. Ein Vertrauensentwicklungsprozess kostet
zwar Zeit, doch die ist gut investiert. Übrigens: Beinharte Kontrolle
kostet auch. Und zwar nicht nur Zeit und Geld, sondern hauptsächlich Mitarbeiterengagement. Vertrauen braucht zwar auch ein paar
Regeln, vor allen Dingen aber Raum zur individuellen Entfaltung
von Eigenverantwortung und Selbstkontrolle.
Begeisterung entfachen
»Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt«, hat der Lyriker
Joseph von Eichendorff einmal gesagt. Wer also das volle Engagement seiner Mitarbeiter will, muss für Begeisterung sorgen. Meist
sind es kleine Dinge, die die Mitarbeiter in Begeisterung versetzen – und damit emotionale Verbundenheit bewirken. Ich nenne
diese »Sternenstaub«. Die Differenzierung findet dabei vor allem
auf der Beziehungsebene statt. Begeisterung verzeiht auch kleine
Fehler. Denn wer begeistert ist, trägt eine rosarote Brille, so wie
ein frisch Verliebter, der nur die guten Seiten sieht und über kleine
Schwächen milde hinwegschaut.
Jede Mitarbeiterbeziehung ist ein Wechselbad der Gefühle und
oszilliert zwischen schlimmster Befürchtung und hemmungsloser
Begeisterung. Eine Kernfrage, die deshalb immer wieder neu zu
stellen ist, lautet: Welche Erwartungen haben unsere Mitarbeiter
wirklich an uns? Und: Wie können wir diese bei allen Interaktionen
154
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
(immer wieder deutlich) übertreffen? Und: Wie können wir sicher
sein, dass unsere Vermutungen stimmen? Alles, was an den einzelnen internen Touchpoints passiert, wird von den Mitarbeitern
bewertet. Für sie ist das Realität, was sie wahrnehmen. So führt der
Abgleich zwischen Erwartungen und tatsächlich erhaltener Leistung zu Enttäuschung, Zufriedenheit oder Begeisterung.
Der Erwartungstopf füllt sich mit dem, was die Firma über sich sagt
und andere über die Firma sagen. Die Mitbewerber am Arbeitsmarkt dienen als Messlatte. Vor allem aber speisen sich Erwartungen aus eigenen inneren Bildern. Diese mentalen Landkarten wurden durch die Summe unserer Erfahrungen aufgebaut. Sie werden
ständig bearbeitet und neu bewertet. Und all das passiert völlig unbewusst. Die Erinnerungen an gemachte Erfahrungen entsprechen
im Übrigen nie der Realität. Sie sind gefärbt durch positive oder negative Grundstimmungen, durch Vorlieben und Abneigungen und
durch selektive Wahrnehmung. Vergessenslücken füllt unser Hirn
praktischerweise mit passend scheinendem Material. So kommt es,
dass die gleiche Situation völlig verschiedenartig klingt, wenn zwei
Menschen davon erzählen.
Das Ergebnis des Abgleichs von individueller Erwartung und subjektiver Bewertung des Erhaltenen hat immer mit dem eigenen
Anspruchsniveau zu tun. Und auch die Tageslaune spielt eine Rolle. Wem es gut geht, der ist hoffnungsvoll gestimmt und großmütig bei kleinen Fehlern. Hat man aber einen rabenschwarzen Tag,
dann kommt bei aller Anstrengung niemand gut weg. In einer solchen Verfassung ist unser Hirn in der Lage, sich das Schlimmste
auszumalen. Versprechen müssen deshalb immer eingehalten werden. Und: Erst oberhalb der Nulllinie setzt Begeisterung ein. Um
Mitarbeiter zu begeistern, werden Sie also Erwartungen übertreffen müssen, sonst schlägt die positive Erwartungshaltung schnell
in Enttäuschung um.
Ein Bonustipp noch zum Schluss: Begeisterungsfaktoren verlieren
ihre Wirkung recht schnell, weil man sich an ihre Existenz ge-
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
155
wöhnt. Deshalb muss immer wieder etwas Neues, Anderes, Überraschendes, nicht Vergleichbares her, damit sich am Ende keine
Das-steht-mir-zu-Mentalität einschleicht. Ein reicher Ideenfundus
ist also vonnöten – und Originalität ist gefragt. In Teil 3 werden wir
diesem Thema noch einmal begegnen.
Verbundenheit fördern
Seitdem wir Menschen uns von den Bäumen herunterschwangen,
dreht sich bei uns alles um das Leben in einem Verbund. Die Akzeptanz einer schützenden Gemeinschaft ist für uns fundamental.
Ausgestoßen zu werden, ist das Schlimmste, was uns passieren
kann. Allein sind wir schwach, zusammen sind wir stark. Die unglücklichsten Menschen sind diejenigen, von denen niemand etwas will, die nicht gefragt sind und nicht gebraucht werden. Ein
wertvolles und geachtetes Mitglied einer Gruppe zu sein: Das gibt
uns Sicherheit und Geborgenheit. Soziale Isolation ist eine der
schlimmsten Strafen. Sie macht uns aggressiv – oder depressiv. Sie
führt zu einem Absenken des Gelassenheitshormons Serotonin
und schließlich zu einem Kollaps zerebraler Funktionen. Säuglinge sterben daran.
Verbundenheit entsteht durch Zuneigung und gemeinsames Handeln. Begleitet werden diese Prozesse durch einen körpereigenen
Botenstoff namens Oxytocin. Das auch gerne Kuschelhormon genannte Oxytocin erhöht unser Glücks- und Genusspotenzial. Es ist
neurochemischer Balsam für unsere Seele. Es wirkt entspannend
und gesundheitsfördernd. Verstärkt ausgeschüttet wird es immer
dann, wenn es zu einer Begegnung kommt, die feste Bindungen
einleiten soll. Es erhöht die Bereitschaft, Vertrauen zu schenken.
Gleichzeitig stabilisiert es die Beziehungen, die zu seiner Ausschüttung geführt haben. Es belohnt also positive soziale Kontakte und
Geselligkeit. Deshalb freuen wir uns, wenn wir gute Freunde und
angenehme Kollegen sehen – und diese freuen sich auf uns.
156
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Dass Menschen Egoisten sind und nur an ihrem
eigenen Wohlergehen Interesse haben, ist ein
Wenn wir
Aberglaube. Er bekam mächtig Auftrieb, als
­kooperieren,
1976 Richard Dawkins’ Buch Das egoistische
springt in
Gen Weltruhm erlangte. In den letzten Jah­unserem Hirn
ren wurden jedoch immer mehr neurobiodas Belohnungs­
logische Untersuchungen publiziert, die das
system an.
vorherrschend altruistische Wesen in uns
finden. Vom »Social Brain« ist die Rede.
Die Summe der Erkenntnisse: Wir sind nicht
primär auf Egoismus und Konkurrenz ausgerichtet, sondern auf Zuwendung und gelingende
zwischenmenschliche Beziehungen. Wenn wir kooperieren, springt in unserem Hirn das Belohnungssystem an.
Allerdings spielt dabei das Umfeld eine wichtige Rolle. Dazu führte, wie der Harvard Business Manager berichtet, der Sozialpsychologe Lee Ross von der Stanford University ein Experiment mit zwei
gleich zusammengesetzten Gruppen durch.71 Der einen Gruppe
erklärte er, sie spielten das Community Game, ein auf Gemeinnutz
ausgelegtes Spiel. Der anderen Gruppe wurde gesagt, sie spielten
das Wall Street Game, in dem Egoismus belohnt würde. In Wahrheit handelte es sich um das gleiche Spiel, nur mit verschiedenen
Namen. Im Community Game spielten von Anfang bis Ende siebzig Prozent aller Teilnehmer kooperativ. Im Wall Street Game hingegen arbeiteten siebzig Prozent aller Spieler nicht zusammen. So
beeinflusste allein die Definition des Spiels also vierzig Prozent der
Versuchsteilnehmer. Sogar Spieler, die zunächst egoistisch wirkten,
ließen sich in der kollegialen Spielvariante zu kooperativem Verhalten bewegen.
Demnach verschenkt, wer auf interne Konkurrenz setzt, siebzig
Prozent des Potenzials, das durch Kooperation entstehen kann.
Ergo: Das Wir zu entwickeln – und auch zu feiern (!) –, zählt mehr
als das Heroisieren von Einzelerfolgen. Durch Letzteres gewinnen
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
157
zwar einige wenige, doch ein Großteil der Mitspieler wird zu Verlierern gemacht. Und wo Verlierer sind, da sind auch Missgunst
und Neid. Boshaftigkeiten, Intrigen und Rufmord stellen sich ein.
Selbst die Firma als Ganzes wird Federn lassen. Wer nämlich gegeneinander spielt, wird im entscheidenden Moment dem Kontrahenten die Hilfe versagen – und seine Ideen lieber für sich behalten. Produktivitätsdefizite auf breiter Ebene sind die Folge.
Wer solche Win-lose-Konzepte entwickelt, betrachtet anscheinend
immer nur das, was er gewinnt, nicht aber das, was er verliert.
Nun, da Kollaboration eine so wichtige Rolle spielt, sind TeamIncentives und Win-win-Konzepte, bei denen abteilungsübergreifend (!) alle auf ein gemeinsames Ziel eingeschworen werden und
zusammen gewinnen können, wesentlich besser geeignet.
Und die Motivation dazu ergibt sich aus dem kollektiv
erreichten Ergebnis – und nicht über kalte Kennzahlensysteme.
Erfolgreiche
­Unternehmen
bieten nicht nur
Identifikations­
potenzial, sie
dienen auch der
Selbsterhöhung.
Menschen wollen stolz sein können auf die
Kohorte, für die sie sich entschieden haben.
Denn dann springt ein wenig von deren
Glanz auch auf einen selbst über. Und indem
wir offenbaren, zu wem wir gehören, grenzen wir uns gegenüber anderen ab. Erfolgreiche Unternehmen bieten also nicht nur
Identifikationspotenzial, sie dienen auch der
Selbsterhöhung. Dabei scheint es Männern
viel mehr noch als Frauen wichtig zu sein, solche Zugehörigkeit öffentlich sichtbar zu machen.
Die Zutaten für ein perfektes Wirgefühl? Ganz unabhängig davon, in welchem Arbeitsmodell die Mitarbeitenden sich bewegen, gehören dazu:
{{ Erfolge, die sich feiern lassen
{{ sichtbare Zeichen der Zugehörigkeit
158
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
{{ Rituale, die zusammenschweißen
{{ Geschichten, Mythen, Legenden
{{ Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit
Ein gelungenes Beispiel dafür erzählt Gunther Wolf in seinem
Buch Mitarbeiterbindung.72 Die Marktleiter einer regionalen Franchisegruppe der Obi-Baumarktkette hatten ihre Mitarbeiter gebeten, die Firmenkleidung nicht gegen Privatklamotten zu tauschen,
wenn sie in die Mittagspause gingen. Zunächst wurde zwar vereinzelt gemurrt, doch am Ende machten alle mit. Wer will schon
gern als Außenseiter sichtbar sein. Sehr schnell wurde die Truppe
von Dritten angesprochen und um sachkundigen Rat gefragt. So
wurde ihr Ego gestreichelt. Einer hat ein Foto gemacht und auf seiner Facebook-Seite gepostet: »Wie geil: Kaum sind wir hier, ist der
ganze Laden orange.« Die Dienstleister, bei denen die »Orangen«
aufgetaucht waren, kamen ihrerseits zum Einkaufen in den ObiMarkt. Und diejenigen, die gute Ratschläge erhalten hatten, die
kamen auch. Es brach sogar ein Wettbewerb aus, wem es gelang,
die meisten Kunden in den Laden zu locken.
Ja, ein starkes Wirgefühl entwickelt sich vor allem durch gemeinsame Erlebnisse, durch erzielte Ergebnisse und Stolz auf die Firma.
Dies trägt der Mitarbeiter durch positive Erzählungen schließlich
nach draußen. So können Mitarbeiter nicht nur wertvolle Bewerber anlocken, sondern auch die Loyalität im Kundenkreis stärken.
Denn Mitarbeiter- und Kundenloyalität korrelieren. Wer keine
loya­len Mitarbeiter hat, hat auch bald keine loyalen Kunden mehr.
Und aktive Botschafter schon gar nicht.
Mitarbeiterengagement und ­M otivation
159
Die Mitarbeiter als Botschafter
In seinem Blog plaudert ein Mitarbeiter schon fleißig über den
neuen Produktionsleiter, der in ein paar Wochen einsteigen will.
Doch die Sache hat einen Haken. Offiziell wurde er noch gar nicht
vorgestellt, denn er ist noch an seinen alten Arbeitgeber gebunden.
Tja, die Neuen Medien machen solche Indiskretionen, egal ob ungewollt oder in voller Absicht begangen, ganz leicht. So kann heute
jeder zum »Pressesprecher« seines Unternehmens werden. Früher
lauerten die Medien mitteilsamen Mitarbeitern an der Hintertür
auf, um ein unbedachtes Wort zu erhaschen. Oder sie hofften auf
eine undichte Stelle im obersten Stock. Heute braucht man nur
dem Geplapper der Leute im Web zu folgen, um die tollsten Dinge
zu erfahren.
Die Zeiten, in denen man mithilfe von blumigen Stellenannoncen und vollmundigen Imagebroschüren
den Pfau machen konnte, sind endgültig vorbei.
Auf der großen Bühne Internet sind Unternehmen federlos nackt. Wer aber nackt ist, der
sollte besser fit aussehen. Denn das Innen­
leben einer Company wird heutzutage schoJeder Mitarbeiter
nungslos bloßgestellt. Und von frustriertem
macht Öffentlich­
Personal wird ganz schön viel schmutzige
keitsarbeit; diese
Wäsche gewaschen. Die Pflege der Arbeitliegt nicht mehr
gebermarke nimmt in diesem Szenario eine
in der Hand der
eklatant wichtige Stellung ein. Die relevan­Unternehmen.
testen Recruiting-Touchpoints befinden sich
nicht länger im Kontrollbereich der Unternehmen. Anbieter mit hauptsächlich schlechten Onlinekritiken werden im Kampf um die Besten künftig
160
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
leer ausgehen. Oder sie müssen beim Gehalt einen kräftigen Aufpreis bezahlen. Nur wer seine Mitarbeiter hegt und pflegt, braucht
sich keine Sorgen zu machen.
Unter öffentlicher Beobachtung
Früher gab es in den meisten Firmen eine One-Voice-Policy. Dabei
oblag es dem Unternehmenssprecher, über Interna Auskunft zu
geben. Und emsige Presseabteilungen wachten akribisch darüber,
dass jedes einzelne Wort abgestimmt war. Doch die Ära, in denen
die PR den Ton diktierte und bestimmte, was veröffentlicht wird
und was nicht, ist längst passé.
{{ »Unser Kundendienst ist wie immer unterbesetzt.«
{{ »Der Chef hat sowieso nur seine Tantiemen im Sinn.«
{{ »Wenn das so weitergeht, stehen wir kurz vor der Pleite.«
Heutzutage hat schon allein im Großraumwagen der Bahn jeder
Firmenangehörige eine öffentliche Stimme (am Telefon).
Und wer dies will, für den ist es so leicht wie niemals zuvor, ein
noch viel breiteres Publikum anzusprechen, ohne dass sich dies
kontrollieren ließe. Hierzu kann er auf digitale Kommunikationsmittel von unglaublicher Reichweite zurückgreifen, wodurch sich
positives wie auch negatives Gerede explosionsartig verbreitet.
Und je mehr Digital Natives den Unternehmen zuströmen, desto
stärker ist der Effekt. Dies ist Fluch und Segen zugleich.
Im Positiven kann jeder Mitarbeiter zu einem Botschafter, Fürsprecher und Meinungsmacher für die unternehmerische Sache
werden. Als »Corporate Evangelist« kann er die Arbeitgebermarke
stärken, wo es nur geht. Und dies mit einer Glaubwürdigkeit, die
jede offizielle Verlautbarung übersteigt. »Mitarbeiter tragen aber
nur dann wirkungsvoll zum Markenerfolg bei, wenn sie die Markenwerte intellektuell verstanden haben und sich emotional der
Die Mitarbeiter als Botschafter
161
Marke gegenüber verpflichtet fühlen«, erläutert Branding-Experte
Karsten Kilian in einem Beitrag für die Absatzwirtschaft.73
Selbst dann, wenn ein Organisationsmitglied sich nicht zum
Sprachrohr machen (lassen) will, kann es draußen eine Menge Gutes für Sie tun. Veranstalten Sie doch dazu mal einen Workshop,
um passende Ideen zu sammeln. So hat Coca-Cola ein offizielles
Markenbotschafter-Programm ins Leben gerufen, das die Mitarbeiter ermutigt, die Marke durch Worte und Taten zu unterstützen.
Diese können zum Beispiel darauf achten, ob Coca-Cola-Produkte
in Geschäften vorhanden sind und ordentlich präsentiert werden.
Welchen Stellenwert das markenkonforme Verhalten der Mitarbeiter einnimmt, zeigen aktuelle Studienergebnisse von Henkel.
Ihnen zufolge wird der Markenerfolg eines Unternehmens zu
63,5 Prozent durch massenmediale Einflüsse und zu 31,5 Prozent durch markenspezifisches Mitarbeiterverhalten geprägt. Im
schlimmsten Fall kann ein einziger Mitarbeiter ein ganzes Unternehmen ins Schlingern bringen – oder auch unversehens selbst auf
dem Schleudersitz landen.
So hatte der Finanzvorstand eines Telekommunikationsanbieters
auf einer Investorenkonferenz erzählt, mit welchen Methoden dort
überzählige und angeblich nicht leistungswillige Mitarbeiter weggemobbt werden sollen. Was der Mann nicht ahnte: Eine Kamera
hatte alles aufgezeichnet. Der Film landete auf YouTube und löste
eine Welle der Entrüstung aus. Die Medien berichteten ausführlich. Das Unternehmen erlebte einen herben Imageeinbruch. Und
besagter Vorstand trat ab.
Tja, mehr noch als die Mitarbeiter sind die Führungskräfte Repräsentanten des Unternehmens. Sie stehen unter ständiger Beobachtung. Das richtige oder falsche Auftreten des Topmanagements
kann massiven Einfluss auf Image und Umsätze haben, wie weitere
aktuelle Beispiele zeigen. Dies bedeutet für jede leitende Person,
integer im Unternehmensinteresse zu agieren, kontinuierlich an
162
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ihrer Außenwirkung zu arbeiten, Bodenhaftung zu behalten – und
bisweilen auch ein wenig mehr Demut zu zeigen.
Wie wenig die Community Großspurigkeit heute noch duldet, hat
zum Beispiel das Modelabel Abercrombie & Fitch zu spüren bekommen. Es hat sich mit viel Werbegeld als Marke für die Schönen
und Reichen positioniert. Firmenchef Mike Jeffries verkündete
dreist, er wolle nur junge, schlanke, coole, gut aussehende Leute in
seinen Klamotten sehen. Deshalb werden fehlerhafte Stücke auch
nicht an soziale Einrichtungen weitergegeben, sondern verbrannt.
Und dann hat die Macht der Vielen zugeschlagen. In einem Video
hat der Schriftsteller Greg Karber dazu aufgerufen, nicht mehr gebrauchte Kleidungsstücke von A & F an Arme zu verschenken. So
solle das Label zur »Nummer eins unter den Marken für Obdachlose« werden. Sein YouTube-Clip »Fitch the Homeless« wurde fast
acht Millionen Mal angeklickt.74 Ein Shitstorm, Umsatzeinbußen
im zweistelligen Bereich und schließlich ein Gewinneinbruch von
33 Prozent im ersten Halbjahr 2013 waren die Folge. Arroganz und
Ausgrenzung sind immer mehr Leuten offensichtlich ein Gräuel.
Und das ist auch gut so.
Tue Gutes – und rede darüber
Natürlich haben Mitarbeiter in ihrem persönlichen Umfeld immer schon als Botschafter gegolten. Dort wurden sie ja nicht nur
als Privatperson, sondern auch als Teil der Arbeitgeber-Company
wahrgenommen. Doch die Möglichkeiten zum Weiterempfehlen
beschränkten sich bis vor wenigen Jahren auf Familienmitglieder,
Nachbarn und Freunde. Mundpropaganda fand in einem überschaubaren Rahmen statt. Sie war zwar hörbar, aber nicht sichtbar.
Und sie war angesichts eines begrenzten Erinnerungsvermögens
auch recht flüchtig. Heutzutage wird das, was Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber halten, mit der ganzen Welt geteilt. Und im Netz
ist es bis in alle Ewigkeit gespeichert.
Die Mitarbeiter als Botschafter
163
Deshalb müssen Unternehmen jetzt und in Zukunft noch verstärkt zeigen, dass sie zu den
Menschen,
wirklich Guten gehören. Am wirkungsvollsdie man schätzt
ten ist es, wenn dies nicht vom Anbieter
und mag, werden
selbst behauptet, sondern von begeisterten
seltener angegrif­
Mitarbeitern bezeugt wird. Dritte, die ein
fen als gesichts­
Testimonial abgeben, haben immer einen
lose Arbeitgeber­
Vertrauensbonus. Ihre Empfehlungen, Hinmarken.
weise und Ratschläge wirken glaubhaft und
neutral. Dadurch verringern sich Widerstände erheblich – und das Ja-Sagen fällt leicht.
Die Macht authentischer Mitarbeiterstimmen
ist weit größer als die Macht der trügerischen Unternehmensparolen. Und darüber hinaus: Menschen,
die man schätzt und mag, werden seltener angegriffen als
gesichtslose Arbeitgebermarken.
Der Stepstone Employer Branding Report 2011 besagt, dass 81 Prozent der 6000 Befragten aus acht europäischen Ländern den Ratschlägen ihres persönlichen Umfeldes Vertrauen schenken. Knapp
65 Prozent vertrauen auf die Inhalte von Presseberichten. Aber
nur 22 Prozent vertrauen den Arbeitgeberaussagen in sozialen Netzwerken. Es ist also sinnlos, allzu viel Geld in eigene Werbung zu
stecken, weil die Wirkung verpufft. Hingegen ist es klug, bei Employer-Branding-Aktivitäten die hausinterne PR-Abteilung aktiv
einzubinden, damit sich tolle Initiativen auch über die Medien
verbreiten. In der Studie taten dies allerdings nur drei Prozent der
830 befragten Unternehmen.75
Das Streuen von Onlinepressemitteilungen ist dabei eine interessante Variante. Diese richten sich gar nicht primär an die Redaktio­
nen, sondern gelangen über spezielle Presseportale direkt an die
Zielgruppen. Sie bringen die eingestellten Texte kostenlos in die
Suchmaschinen und von dort zu den potenziellen Bewerbern. Eingebaute Links leiten Interessenten geradewegs zur Unternehmenswebsite. »Während Stellenanzeigen auf Stellenportalen meist nach
164
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
vier Wochen wieder gelöscht werden, bleiben Onlinemitteilungen
in den Archiven der Presseportale über längere Zeit gespeichert«,
ergänzt Melanie També von PR-Gateway.
Mitarbeiter-Fans: die neuen Promotoren
Neben Engagement und Loyalität sind aktive Empfehlungen so
ziemlich das Wertvollste, was ein Unternehmen von seinen Mitarbeitenden bekommen kann. Wenn es sie bekommt! Denn derzeit
äußern sich lediglich 49 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland
zustimmend zu folgender Aussage: »Freunden und Bekannten berichte ich viel Positives über meinen Arbeitgeber.« In Hinblick auf
die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens waren dies
immerhin 56 Prozent, wie eine Untersuchung der YouGov Psychonomics AG ergab.76 Bei Toparbeitgebern tun dies übrigens jeweils
über 90 Prozent. Was zeigt: Empfehlungen werden erst dann ausgesprochen, wenn man sich seiner Sache absolut sicher ist. Denn
mit jeder Empfehlung kann man sich Freunde, aber auch
Feinde machen. Mundpropaganda braucht Exzellenz.
Und Begeisterung. Empfehlungen brauchen zusätzlich Vertrauen. Denn mit jeder Empfehlung steht
immer auch der eigene Ruf auf dem Spiel.
Nur wer emp­
Deshalb gilt: Nur wer empfehlenswert ist,
fehlenswert ist,
wird auch tatsächlich weiterempfohlen. Und
wird auch tat­
nur wer etwas geboten bekommt, worüber
sächlich weiter­
es sich zu reden lohnt – womit man sich
empfohlen.
also schmücken und bei anderen punkten
kann –, nur der wird eifrig berichten. Empfehlungsbereitschaft braucht also Superlative. Mittelmaß wird niemals empfohlen. Erst
im Bereich der Spitzen, wenn man also zutiefst
zufrieden oder unzufrieden ist, wird man in positiver oder negativer Richtung aktiv.
Die Mitarbeiter als Botschafter
165
Empfehlungsbereitschaft entsteht vor allem dann,
{{ wenn man hiermit seiner Persönlichkeit Ausdruck
verleihen kann,
{{ wenn man dadurch Coolness demonstrieren kann,
{{ wenn man sein Geltungsbedürfnis befriedigen kann,
{{ wenn man zum Wohlergehen Dritter beitragen kann,
{{ wenn man sich durch Insiderwissen profilieren kann,
{{ wenn man sich zugehörig und als Teil einer Gemeinschaft
fühlt,
{{ wenn man in Entstehungsprozesse mitgestaltend involviert
wurde,
{{ wenn man über Unterhaltsames oder Sensationelles
berichten kann,
{{ wenn man etwas völlig Neues oder sehr Exklusives
avisieren kann und
{{ wenn man über etwas Nützliches oder Begehrenswertes
­informiert.
Damit ist klar: Wer will, dass seine Mitarbeiter draußen als Botschafter agieren, sorge erstens für ein gutes Arbeitsklima und zweitens für interessanten Gesprächsstoff, den man gerne mit seinem
Netzwerk teilt.
Für Gesprächsstoff sorgen
Menschen sind sehr empfänglich für Geschichten, weil unser Oberstübchen bildhaft denkt. Neurowissenschaftler glauben, dass jeder
Denk- und Entscheidungsprozess von einem inneren Kopfkino begleitet wird. Dabei mögen wir am liebsten Geschichten mit glück­
lichem Ausgang. Doch mal ehrlich: Welche Storys werden bei Ihnen auf den Gängen, in der Kantine und am Telefon erzählt? Was
wird von Praktikanten ausgeplaudert und von Außendienstlern
unters Volk gebracht? Welche Darstellungen verbreiten die Führungskräfte? Und welche der Pförtner, wenn man ihn fragt?
166
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Das Bild, das Ihre Leute zeichnen, ist das Bild, das man von Ihnen
haben wird. Also: Erzählen Sie die Geschichten, die man über Sie
erzählen soll! Reden Sie über Resultate und nicht über Probleme!
Von einem positiven Image werden alle wie magisch angezogen:
die (potenziellen) Mitarbeiter und die Kunden. Erfolgsgeschichten
spornen uns an, sie beflügeln und setzen eine Menge Energien frei.
Sie werden gut behalten und gerne weitererzählt. Suchen und finden Sie also positive kleine Stückchen Konversationsmaterial. Und
entwickeln Sie Content, auf den die Mitarbeitenden stolz sein können. Profis schaffen sich dazu einen regelrechten Content-Pool an,
aus dem sie fortlaufend schöpfen.
Bei einer Content-Strategie geht es darum, dass sich Botschaften
als nützliche, relevante und unterhaltsame Inhalte weiterverbreiten. Dabei rücken Selbstdarstellungen in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen Informationen, die einen hohen Mehrwert haben. Das Unternehmen ist zwar präsent, tritt aber nur dezent als
Urheber der Inhalte auf. Ziel ist es, Interesse zu wecken, Vertrauen
aufzubauen und die anvisierten Zielgruppen an die Arbeitgebermarke heranzuführen. Dafür kommen unter anderem Fachbeiträge, Präsentationen, Videos, Webinare, Infografiken und Bilder
infrage. Und natürlich Geschichten.
Von Bill Gates erzählt man sich das: Wenn seine Recruiting-Scouts
einen vielversprechenden Kandidaten geortet hatten, der exzellente Noten schrieb, neben seinem Studium ein kleines Start-up
betrieb, jede Menge sportliche Auszeichnungen ergatterte und für
ein soziales Engagement geehrt worden war, was tat Gates dann?
Er rief diesen Kandidaten persönlich an und fragte ihn, ob er bei
Microsoft arbeiten wollte. Ja, so können Mythen entstehen.
Storys über originelle Recruiting-Aktionen werden eben besonders
rege weiterverbreitet. Versuchen Sie es doch einmal mit Guerilla­
marketing! Guerillamarketing? Hinter diesem martialisch klingenden Begriff stecken viel Kreativität und immer wieder neue
Über­raschungen. Gut gemachte Guerillaaktionen sind im wahrs-
Die Mitarbeiter als Botschafter
167
ten Sinne des Wortes einmalig, sie sind mutig und frech, laut und
rebellisch, unkonventionell, provokativ – und viral. Sie kommen
mehr oder weniger unangekündigt wie aus dem Nichts daher und
verschwinden dann wieder. Sie polarisieren und bringen sich so
ins Gespräch. Man mag sie oder man mag sie nicht, aber man redet
über sie.
Auch im HR-Bereich kann es mit vergleichsweise kleinem Budget
gelingen, potenzielle Bewerber per Guerillataktik auf sich aufmerksam zu machen. Aus dem Hinterhalt kam zum Beispiel die Kündigungskalenderkampagne der Hamburger Werbeagentur Jung von
Matt, die beim Kreativfestival in Cannes einen Goldenen Löwen
gewann. Der Kalender lieferte 365 unterschiedlich vorformulierte
Schreiben, mit denen Kreative bei ihrem bisherigen Arbeitgeber
kündigen konnten, um schneller eine neue Stelle bei JvM antreten zu können. Die Agentur Scholz & Friends konterte mit einer
Aktion in Kooperation mit einem bei Agenturmitarbeitern sehr beliebten Pizzaservice. Wenn dort jemand eine Pizza bestellte, wurde
zusätzlich eine kostenlose »Pizza Digitale« mitgeliefert – eine Pizza
mit einem QR-Code aus Tomatensoße. Hierüber gelangte man direkt zu einem Jobangebot. Zwölf Bewerbungen gingen daraufhin
ein. Und das dazugehörige Video brachte es bei YouTube auf über
33 000 Klicks.77
»Wichtig, wenn man die Guerillataktik wählt«, sagt Guerillamarke­
ting-Experte Thomas Patalas, der in meiner Heimatstadt Mönchengladbach lebt, »ist – neben Originalität und Mut – zweierlei:
niemals die gleiche Aktion wiederholen und niemals eine fremde
Idee abkupfern. Der Erfolg hängt ab vom Überraschungseffekt. Wer
sich an Kampagnen dranhängt, die ähnlich bereits gelaufen sind,
erntet eher Spott als Ansehen im Markt.« Ein weiterer Aspekt ist
der Mundpropaganda-Effekt. Aktionsinfos können ins Social Web
eingestreut werden und sich von dort aus weiterverbreiten. Die
Presse und auch Blogger mögen dankbare Abnehmer sein. Und
die eigenen Mitarbeiter können sie als Botschafter in ihre eigenen
Netzwerke tragen.
168
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Empfehlungsbereitschaft stimulieren
Selbst wenn ein Mitarbeiter hochzufrieden ist, wird er nicht automatisch daran denken, seinen Arbeitgeber positiv ins Gespräch zu
bringen. Da heißt es, diesen ein wenig zu »impfen«. Das bedeutet,
ihn zu ermuntern, für Sie als aktiver Fürsprecher online und offline
tätig zu werden, also Informationen zu teilen und weiterzuleiten.
Dies sollte so elegant wie möglich geschehen. Wie Sie dabei vorgehen können? Zum Beispiel so:
{{ Sammeln Sie systematisch Erfolgsgeschichten und stellen Sie
diese sukzessive als »Unsere Erfolgsgeschichte des Tages« ins
Social Intranet.
{{ Veröffentlichen Sie Geschichten, die erfolgreiche Mitarbeiterwerben-Mitarbeiter-Aktivitäten zum Inhalt haben, in Ihrem
Social Intranet.
{{ Lassen Sie beim Auftakt eines jeden Meetings eine Erfolgs­
geschichte erzählen, und bitten Sie die Leute, diese weiterzuverbreiten.
{{ Nutzen Sie bei internen E-Mails den Raum unterhalb der
­Signatur, um die Erfolgsstory des Tages zu präsentieren.
{{ Installieren Sie ein digitales Gästebuch beim Empfang, ein iPad,
über das Besucher und Mitarbeiter ihre Meinung auf passenden
Wunschportalen einstellen können.
{{ Zeigen Sie positive Web-Kommentare Dritter auf TV-Screens
am Empfang, im Personalraum, in der Kaffeeküche und
­anderen Bereichen.
{{ Installieren Sie einen Weiterempfehlungslink auf Ihrer Kar­
riere-Website und auch auf allen Unterseiten. Laden Sie ausdrücklich dazu ein, Ihre Jobangebote gerne weiterzuleiten.
{{ Installieren Sie auf Ihren Webpräsenzen rechtskonforme SocialMedia-Buttons für alle wichtigen Netzwerke, das stärkt den
Viralisierungseffekt.
{{ Veröffentlichen Sie Kennzahlen, die zeigen, wie erfolgreich
Mitarbeiter-Empfehlungen im Vergleich zu anderen RecruitingAktivitäten sind.
Die Mitarbeiter als Botschafter
169
{{ Bitten Sie die Mitarbeiter, die twittern, Ihrem Arbeitgeber-­
Recruiting-Account auf Twitter zu folgen. Danach können alle,
die wollen, offene Stellen retweeten.
{{ Wenn Sie eine Facebook-Karriereseite haben, bitten Sie die
Mitarbeiter, dort ab und an Kommentare zu platzieren sowie
passende Meldungen und Jobangebote zu liken und zu teilen.
{{ Erarbeiten Sie Vorschläge für Mitarbeiterprofile auf Xing und
LinkedIn, das stärkt die Arbeitgeberreputation. Stellen Sie
­sicher, dass alle die gleiche Firmenbezeichnung verwenden.
­Danach können Ihre Leute in deren Status-Updates über
­bemerkenswerte Interna und Jobs berichten.
Grundsätzlich gilt: Vernetzen Sie Ihr gesamtes Social-Media-Engagement. Und machen Sie es so leicht wie möglich, die Weiterverbreitung zu starten. Ein Klick sollte reichen.
Die Mitarbeitenden als Recruiter
Nein, nicht Stellenanzeigen, Hochglanzbroschüren und sonstige
Anwerbeversuche, sondern enthusiastische Mitarbeiter-Fans, engagierte Fürsprecher und glaubwürdige Empfehler sind die wirksamsten Recruiter. Sie sind das Bindeglied zwischen altem und
neuem Ufer. Sie legen die Trittsteine und machen den Weg ungefährlich und frei. Sie haben die höchste Überzeugungskraft – und
die geringsten Streuverluste. Denn sie kontaktieren ganz gezielt
genau die Personen, die sich für eine bestimmte Stelle und die Mitarbeit im Team tatsächlich eignen. Das tun sie nicht nur kostenlos,
sondern auch mit beachtlichen Abschlussquoten.
Warum das so ist? Empfehler, egal ob man sie persönlich kennt
oder ihnen als Unbekannte online begegnet, sorgen für Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten. Sie ersetzen mangelndes
Wissen durch Vertrauen. Ihre »Likes« und »Dislikes« machen unserem Hirn die Arbeit ganz leicht. Sie verkürzen Entscheidungspro-
170
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
zesse und verringern das Risiko einer bedrohlichen Fehlentscheidung. Sie reduzieren Enttäuschungsgefahr. Sie schaffen Sicherheit.
Und sie helfen, eine Menge Zeit zu sparen. Aus all diesen Gründen
folgen wir Empfehlern oft nahezu blind. Und dies passiert nicht
nur an der Kundenfront, sondern verstärkt auch im RecruitingBereich.
Was Mitarbeiter-Empfehlungen so erfolgreich macht
Folgt man diversen Untersuchungen, wird klar, dass die durch eine
Empfehlung gewonnenen Mitarbeiter meistens die wertvollsten
sind: Sie kommen schneller an Bord, sie passen besser, sie integrieren sich reibungsloser, sie bleiben länger, sie arbeiten engagierter,
sie sind produktiver und sie werden selbst eher als Empfehler aktiv.
Untersuchungen zeigen auch: Empfehlungen von Topleuten bringen ebensolche Mitarbeiter: hochengagiert, loyal, hocheffizient.
Empfehlungen von guten bis mittelprächtigen Mitarbeitern bringen gute bis mittelprächtige Mitarbeiter, und Empfehlungen von
Mitarbeitern, die enttäuschen, ebensolche. Ergo sollten vor allem
die Topleute zum Empfehlen angeregt werden.
Wie das alles bei Ihnen aussieht, lässt sich durch folgende Fragen
ermitteln:
{{ Wie hoch ist die Bewerberterminquote bei Mitarbeiter-­
Empfehlungen? Und bei den sonstigen Aktivitäten?
{{ Wie lange dauert es bis zur Vertragsunterzeichnung bei
­Mit­arbeiter-Empfehlungen? Und bei den sonstigen
Aktivitäten?
{{ Wie hoch ist die Abschlussquote bei Mitarbeiter-Empfehlungen? Und bei den sonstigen Aktivitäten?
{{ Wie teuer ist ein neu gewonnener Mitarbeiter, wenn er
­aufgrund einer Empfehlung kommt? Und wie teuer ist er im
Fall anderer Recruiting-Maßnahmen?
Die Mitarbeiter als Botschafter
171
{{ Wie hoch ist der Anteil der Empfohlenen, die die Probezeit
e­ rfolgreich beenden? Und wie hoch ist dieser Anteil bei den
nicht Empfohlenen?
{{ Wie hoch sind Bleibedauer, Fluktuationsrate und weitere
­relevante Kennzahlen bei den Empfohlenen? Und bei den
nicht Empfohlenen?
{{ Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden Empfohlene, die
­Mitarbeiter wurden, selbst als Empfehler aktiv?
{{ Welche Mitarbeiter in welchen Abteilungen empfehlen am
ehesten weiter? Mit welchem Erfolg? Und wie hoch ist die
­jeweilige Qualität?
{{ Gibt es geschlechterspezifische, kulturelle, regionale oder
­nationale Unterschiede? Gibt es Unterschiede in verschiedenen
Geschäftsbereichen oder Niederlassungen? Und warum?
{{ Wer oder was wird am stärksten weiterempfohlen? Und was
nicht?
Mithilfe solcher Analysen lassen sich Erfolgsmuster erkennen und
konkrete Maßnahmen ableiten, um das derzeitige Empfehlungs­
volumen und die sich daraus ergebende Bewerberqualität weiter
zu steigern. In Zukunft wird dies wohl unumgänglich sein. Denn
in unserer durch Social Media geprägten neuen Zeit, in der sich die
Unternehmen bei den besten Talenten bewerben müssen, wird ein
professionelles Mitarbeiter-Empfehlungsmanagement bei der Bewerbersuche wohl mit die wichtigste Rolle spielen.
Dazu gleich ein Beispiel aus der Praxis: »Man kennt sich.« Unter
diesem Motto sucht die Hamburger Volksbank mithilfe ihrer Mitarbeiter neue Kollegen. »Stellen Sie den Kontakt zu potenziellen
neuen Mitarbeitern her. Kommt es zu einem Anstellungsvertrag
mit diesem Bewerber, kommen Sie richtig in Fahrt. Für die erfolgreiche Vermittlung fahren Sie zwei Monate lang und absolut
kostenlos unser Hamburger Volksbank MINI-Cabrio.« Das kommt
an! Die Mitarbeiter möchten das Auto meist gar nicht mehr hergeben. Dazu gesellt sich der Stolz, einen Firmenwagen fahren zu
dürfen. Für die Bank zählt natürlich auch der Marketingeffekt auf
172
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
der Straße – plus die Kommunikation im Netzwerk des Empfehlers.
Und nicht zu vergessen: Auch Controller lieben das Programm, da
die Kosten einfach abzugrenzen sind. Und der Erfolg in Zahlen?
Er spricht für sich! »In der Zeit vom 2008 bis 2012 nahmen wir
89 Neueinstellungen vor, 18 Mitarbeiter und damit rund ein Fünftel
kamen aufgrund des Empfehlungsprogramms. Insgesamt 28 Neueinstellungen sind zwischenzeitlich, nach einer durchschnittlichen
Zugehörigkeit von 18 Monaten, nicht mehr bei uns beschäftigt.
Davon war nur eine Person aus dem Empfehlungsprogramm, sie
verließ uns wegen eines Wohnortwechsels. Die übrigen 17 sind
weiter loyale und engagierte Teammitglieder«, berichtet mir Wolfram Kaiser, Personalleiter der Bank.
Ein zusätzlicher schöner Nebeneffekt: Die Performance derjenigen,
die ein Unternehmen mit Inbrunst und Leidenschaft weiterempfehlen, wird wachsen. Und ihre Loyalität wird steigen. So kommt
man schließlich zu Mitarbeiter-Fans mit quasi eingebauter Bleibegarantie.
Wie Mitarbeiter-Empfehlungsprogramme funktionieren
Bei den gängigen Programmen werden Offline- und Onlineaktivitäten miteinander verknüpft. Meist gibt es einen Flyer, der alles
Notwendige erklärt. Zusätzlich stehen alle Infos über das Empfehlungsprogramm im Social Intranet. Definieren Sie die Zielgruppen,
die an dem Programm teilnehmen sollen, damit Sie keine unangebrachten Empfehlungen erhalten. Halten Sie den Papierkram so
einfach wie möglich. Bieten Sie zusätzlich kleine »Wie-werde-ichein-Power-Empfehler«-Trainings an. Richten Sie ein Blog ein, in
dem die Empfehler die besten Tipps miteinander teilen können.
Stellen Sie einen speziellen Ansprechpartner bereit. Informieren
Sie zeitnah über alle offenen Stellen. Installieren Sie ein Status­
programm für laufende Empfehlungen. Berichten Sie regelmäßig
und begeistert über Erfolge. Ehren Sie die besten Empfehler. Lassen
Sie auch Externe zu diesem Programm zu.
Die Mitarbeiter als Botschafter
173
Einer vom Centre of Human Resources Information Systems
(CHRIS) 2012 durchgeführten Untersuchung bei 1000 deutschen
KMU zufolge nutzen 78 Prozent der befragten Unternehmen Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme, um neue Fachkräfte zu
rekrutieren. 15,2 Prozent aller generierten Einstellungen kamen
dabei über Mitarbeiter-Empfehlungen zustande.78 Laut einer für
Monster.at 2013 durchgeführten Studie unter den österreichischen
Top-500-Arbeitgebern halten acht von zehn Firmen ihre Mitarbeiter dazu an, offene Stellen in ihrem privaten Umfeld weiterzuempfehlen. Erfolgreiche Mitarbeiter-Empfehlungen werden in über
einem Fünftel der Unternehmen entlohnt. 45,5 Prozent davon
zahlen für eine erfolgreiche Einstellung bis zu 500 Euro in Geldoder Sachwerten. Ebenfalls 45,5 Prozent zahlen bis zu 1000 Euro,
der Rest liegt darüber.79
Funktioniert Geld immer, um hausinterne Empfehler zu aktivieren? Nein, natürlich nicht. In einem Fall hatte die Firmenleitung
ein volles Monatsgehalt als »Kopfprämie« ausgelobt. Dennoch gingen keine Bewerbungen ein. Der Grund? Das auf der Karriereseite
so hochgelobte gute Betriebsklima gab es nicht. Ganz im
Gegenteil. Die Führungskultur dort war ziemlich mies.
Wer will seinen Freunden schon solches Leid antun? Ja, nur, wer empfehlenswert ist, wird auch
weiterempfohlen.
Das Erfolgs­
geheimnis des
Empfehlens ist
Freiwilligkeit.
Und funktioniert nur Geld, um den Tatendrang seiner Leute zu schüren? Auch hier
ein klares Nein. Denn das wahre Erfolgs­
geheimnis des Empfehlens ist Freiwilligkeit.
Erfährt der Empfehlungsempfänger, dass
Geld geflossen ist, können darunter Glaubwürdigkeit und Vertrauen leiden. Dies schärft
den kritischen Blick, die Sache wird intensiver geprüft und unter die Lupe genommen.
Man entwickelt Vorbehalte und folgt dem nicht
ganz uneigennützigen Rat am Ende dann doch lie-
174
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ber nicht. Die größten Vorteile des Weiterempfehlens sind somit
dahin.
Die uneigennützig ausgesprochenen Tipps sind also die besten.
Diese dann im Nachhinein zu belohnen, das steht auf einem ganz
anderen Blatt. »Natürlich mobilisieren Geschenke, Prämien und
Vergünstigungen auch das Belohnungssystem im Gehirn, am besten allerdings dann, wenn sie nicht angekündigt und nicht erwartet werden. … Feldexperimente haben gezeigt, dass durch über­
raschende Geschenke die Produktivität der Mitarbeiter um mehr
als zehn Prozent gesteigert werden kann«, schreibt Christian Elger
in seinem Buch Neuroleadership.80 Ein sehr hilfreicher Hinweis.
Jede Empfehlung, die einen passenden Bewerber bringt, ist eingespartes Recruitingbudget, und da sollte man am Ende nicht knausrig
sein. Aber: Nicht nur an Geld und Gutscheine denken. Appellieren
Sie auch an den Sammeltrieb, sodass man über ein Punktesystem
an größere Goodies herankommen kann. Nichtmonetäre Belohnungen sollten immer frei wählbar sein. Staffeln Sie die Prämien
je nach Verweildauer des neuen Mitarbeiters. Bieten Sie außergewöhnliche Weiterbildungsangebote an. Oder eine Möglichkeit,
sinnvoll zu spenden. Finden Sie Dinge, die man sich für Geld nicht
kaufen kann: freie Urlaubstage, den kostenlosen Firmenparkplatz
in der ersten Reihe, die Verlosung einer Traumreise, ein Fest für
alle Empfehler. Oder schicken Sie mal ganz spontan die großen
Chefs auf Empfehler-Dankeschön-Tour. Das wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen – und die Leute zu noch größeren Taten
anspornen. Wie immer auch hier: Lassen Sie die Belegschaft ein
solches Programm mitgestalten.
Ganz unabhängig von einer erhaltenen Prämie und dem Bewerbungserfolg: Geben Sie dem Empfehler eine Rückmeldung dar­
über, was aus seiner Empfehlung geworden ist. Und wertschätzen
Sie die Person, die Sie durch ihn kennengelernt haben. Das kann
sich zum Beispiel so anhören: »Ich muss schon sagen, Sie kennen
interessante (angenehme / profilierte /…) Leute.« Solche Momente
Die Mitarbeiter als Botschafter
175
des kleinen Glücks sind es, die wir Menschen besonders wertvoll
finden. Und mehr noch: Wer solchen »Sternenstaub« geschenkt
bekommt, fühlt sich dem Geber verpflichtet. Soziologen nennen
das den Reziprozitätseffekt. So wird aus einem Erstempfehler mit
etwas Glück ein Powerempfehler und Supermultiplikator.
Arbeitgeberbewertungsportale: Noten für den Chef
In der Stellenanzeige klingt alles noch vielversprechend: »Es erwarten Sie nette Kollegen, ein hochmodernes Arbeitsumfeld, eine
abwechslungsreiche Tätigkeit sowie attraktive Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten.« Doch gibt man den Namen der Firma
bei einem Portal für Arbeitgeberbewertungen ein, hört man ganz
andere Töne: »Vorstand und HR-Leitung optimieren KPIs auf Kosten der Mitarbeiter, damit sie selbst maximale Tantiemen bekommen. Rufen dann zu Spenden für Flutopfer auf. Das ist mir erst
auf Hinweis eines Kollegen aufgefallen: Die 3000 € kommen nicht
von denen privat, sondern von der Firma, also UNS.« Dieser Punkt
wird in weiteren Einträgen aufgegriffen. Auch andere Verfehlungen werden sehr rabiat diskutiert. In einem der Einträge heißt es
schließlich: »Allerdings würde ich für einen neuen Vorstand spenden.« Nachzulesen auf Kununu.
Im Juli 2013 hatte dieser Arbeitgeber, eine renommierte Unternehmensberatung, insgesamt 286 Bewertungen erhalten, die 231 993
Mal aufgerufen worden waren. Bei den Mitarbeitern lag die durchschnittliche Bewertungspunktzahl bei 2,63. Dieser Wert war durch
einige leitende Mitarbeiter, die den Maximalwert von 5,0 eingegeben hatten, offensichtlich ein wenig nach oben verbessert worden.
Vergleichbare Consulting-Firmen hatten Werte zwischen 3,0 und
4,2. Bei einer Google-Abfrage mit dem Namen der Firma + Vorstand erschien genau der obige Text auf der Trefferliste schon an
zweiter Stelle.
176
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Und das ist kein Einzelfall. Wer bei Google den Namen eines Unternehmens als Arbeitgeber eingibt, dem wird an oberster Stelle meist
nicht die Webseite des gesuchten Unternehmens angezeigt, sondern
Einträge auf Bewertungs- und Meinungsportalen. Woran man
sieht: Selbst Suchmaschinen-Algorithmen favorisieren das, was
die Menschen über ein Unternehmen sagen. Was man dann liest,
ist bisweilen erschütternd. Das Delta zwischen den in prächtigen
Leitbildern vorgegaukelten Ambitionen und der gelebten Wirklichkeit könnte größer nicht sein. Auch wenn die Eintragungen subjektiv sein mögen: Dank solcher Arbeitgeberportale können sich
potenzielle Bewerber nun endlich im Vorfeld ein erstes Bild vom
Betriebsklima einer Firma machen. Und einen Eindruck davon gewinnen, ob das Unternehmen zu ihnen passt oder nicht.
Auf solchen Plattformen treiben sich nur Frustrierte, Minderbemittelte und rachsüchtige Ehemalige
herum? Weit gefehlt! Inzwischen gibt es auf den
meisten Portalen zumindest von den größeren
Unternehmen schon genügend ErfahrungsDie Bewertungs­
berichte, die ein aktuelles Stimmungsbild
portale sind
zeigen – gespickt mit Hinweisen, die Füh­keine Einrichtung
rungsleute sollen bitte schnell etwas ändern.
­rachsüchtiger
Außerdem sind geübte Leser nicht dumm.
­Exmitarbeiter,
Die Intention eines Bewerters und seine Se­sondern geben­
riosität schimmern schnell durch. Zudem gibt
wert­volles
es Regeln für die Wortwahl. Konkrete Namen
­Feedback.
dürfen zum Beispiel nicht genannt werden.
Das sind nur Einzelmeinungen? Jede Meinung ist
wertvoll, wenn sie differenziert und detailliert ist und
wenn sie die bewerteten Aspekte ausführlich beschreibt. Damit kann, wer auch immer sich dafür interessiert, etwas anfangen.
Viele Meinungen sind manipuliert? Die guten Portale haben Sicherheits- und Kontrollsoftware, über die alle Bewertungen vor
der Freischaltung laufen. Danach werden noch manuelle Checks
Die Mitarbeiter als Botschafter
177
durchgeführt. Schließlich gibt es eine Meldefunktion, sodass entlarvte Fälschungen zügig entfernt werden können. »Aktuell entsprechen rund 90 Prozent der einlangenden Bewertungen unseren
Richtlinien. Bei den übrigen bitten wir die User, ihre Erfahrungsberichte an unsere Richtlinien anzupassen. Ein Großteil kommt
dieser Aufforderung gerne nach. Zudem darf man nicht vergessen, dass gefakte Bewertungen nur von kurzem Erfolg sind. Sollte
ein vermeintlicher Toparbeitgeber nicht das halten können, was
veröffentlicht wird, kommt das umgehend von enttäuschten Mitarbeitern ans Tageslicht«, schreibt mir Tamara Frast, Social-MediaManagerin bei Kununu, auf meine Nachfrage.
Der Hype um die Arbeitgeberbewertungsportale legt sich bald? Das
bezweifle ich sehr. Es gehört inzwischen wie selbstverständlich zur
Lebenswelt der Gen Y, ihre Meinungen, Hinweise und Ratschläge auf einschlägigen Websites mit anderen zu teilen. Dies ist ihre
Art, Anerkennung zu gewinnen und sich in ihrem sozialen Umfeld
­Reputation aufzubauen.
Eine repräsentative Umfrage des Bitkom, des Verbands der ITKBranche, unter 778 Internetnutzern hat übrigens ergeben, dass
sich jeder vierte Nutzer im Netz mithilfe von Bewertungsportalen
über potenzielle Arbeitgeber informiert. Insgesamt siebzig Prozent
von denen, die tatsächlich die Absicht hatten, den Job zu wechseln, haben sich durch solche Bewertungen in ihrer Entscheidung
beeinflussen lassen. Und vierzig Prozent gaben an, sich aufgrund
der Bewertungen gegen einen Jobwechsel entschieden zu haben.81
Kununu, das unbeschriebene Blatt
Für die meisten Firmen sind Arbeitgeberbewertungsportale ein rotes Tuch, für manche ein schwarzes Loch, für viele ein Buch mit
sieben Siegeln und für einen kleinen Teil bereits ein Recruitingtool
par excellence. Die Nummer eins – und seit dem Zusammenschluss
mit Xing weiter gestärkt – ist das schon zitierte Portal Kununu. Da-
178
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
neben sind Jobvoting, Bizzwatch, MeinChef und MeinPraktikum
derzeit erwähnenswert.
Kununu ist ein Suaheli-Wort und bedeutet »unbeschriebenes
Blatt«. Doch wer weiß: Vielleicht gilt das für Sie schon lange nicht
mehr. Vielleicht kann man dort schon seit ewigen Zeiten über Ihr
Unternehmen das Schlimmste lesen, ohne dass Sie es wissen. Und
womöglich wurden so schon jede Menge qualifizierte Bewerber
vertrieben, noch bevor die sich bei Ihnen gemeldet haben. Aber
natürlich bietet Kununu auch Chancen. Nämlich dann, wenn Ihre
Bewertungen über dem Durchschnitt liegen.
Bewerber, Auszubildende, aktuelle und ehemalige Mitarbeiter
können dort nach festgelegten Regeln ihre Kommentare abgeben.
Also bitte, gehen Sie mit allen vier Zielgruppen gut um. Gegen
harte Währung kann man sich auch über ein Arbeitgeberprofil präsentieren und Jobangebote einstellen. Die besten Companys erlangen Gütesiegel, die sich in die eigene Website und die FacebookKar­riereseite integrieren lassen. »In erster Linie sehen wir es als
Chance, uns hier als attraktiver Arbeitgeber zu platzieren«, sagt
Vera Winter, Personalmarketingchefin bei Bosch, im Gespräch mit
N-TV. Na gut.
Doch das Wertvollste für ein Unternehmen ist das ungeschminkte Stimmungsbild der Mitarbeiter. Auch Verbesserungsbedarf, den
intern vielleicht niemand ansprechen mag, kann über solche Portale erkannt werden. Nicht zuletzt sind positive Bewertungen genau die Werbung, die ein Unternehmen für neue Talente attraktiv
macht. Und nicht vergessen: Kunden, Investoren, die Medien und
sonstige Interessensgruppen lesen das auch. Unternehmen sollten
deshalb die Meinungsbildung auf solchen Portalen stets im Auge
behalten. Für positive Kommentare sollte man danken. Auf negative Bewertungen sollte konstruktiv geantwortet und auf harsche
Kritik überlegt reagiert werden. Jeder weiß: Ausschließlich begeisterte Mitarbeiter gibt es nirgends. Unbedachte Handlungen und die
Keule Rechtsanwalt verschlimmern Zusammenstöße oft nur. An-
Die Mitarbeiter als Botschafter
179
statt diejenigen zu jagen, die einen Missstand öffentlich machen,
sollte man sich besser um den Missstand kümmern.
Wie Sie Mitarbeiter aktiv zu einer Bewertung einladen
Wenn Mitarbeiterloyalität, Motivation und Mitarbeiterengagement
stimmen – und nur dann –, macht es Sinn, die Belegschaft einzuladen, Ihre Firma auf Kununu & Co. zu bewerten. Geben Sie eine
plausible Begründung, warum das so wichtig ist, dies erhöht Ihre
Chancen beträchtlich. Unser Hirn liebt Begründungen, damit es
weiß, weshalb es überhaupt aktiv werden soll. Schreiben Sie also
zum Beispiel: »Wir brauchen dringend noch weitere Talente, um
unser bestehendes Hochleistungsteam zu komplettieren. Und weil
die Besten sich im Web vorinformieren, können ein paar weitere
anregende Bewertungen bei Kununu uns allen sehr helfen. Wenn
Sie also mögen, dann …« Nun folgt eine Kurzbeschreibung, wie
das funktioniert, damit das Ganze für jeden so einfach wie möglich
ist. Bieten Sie aber niemals Geld oder Goodies für gute Bewertungen an. So was gelangt meist sehr schnell an die Öffentlichkeit. Und
dann ist Ärger vorprogrammiert.
Bewirken solche Aufrufe denn was? Henner Knabenreich hat dazu
in seinem Blog personalmarketing2null ein Interview mit Anne
Foerges, ihres Zeichens Talent Acquisition Specialist bei der Medtronic GmbH aus Meerbusch, geführt: »Auf einen Bewertungsaufruf folgten über hundert neue Bewertungen von Mitarbeitern
innerhalb weniger Tage. Und auch unser Bewertungsschnitt war
überdurchschnittlich gut. Daher war uns relativ schnell klar, dass
wir mit Kununu einen glaubwürdigen Weg gefunden haben, unsere ›inneren Werte‹ nach außen zu kommunizieren. … Die Begeisterung, die Bewerber im Interview mitbringen, ist deutlich spürbar.
Sie kennen das kununu-Profil von Medtronic und erwähnen es
im Vorstellungsgespräch. Für viele war genau das auch ausschlag­
gebend für eine Bewerbung bei uns.«82
180
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Das Reputationssicherheitsnetz
So viel ist klar: Jeder einzelne Mitarbeiter ist heute Sprachrohr am
Markt, ein Ambassador und Meinungsmacher, der über die Reputation seines Arbeitgebers maßgeblich mitentscheidet – bei potenziellen Stellenbewerbern, aber auch bei den Kunden. Doch viele
Angestellte sind sich der möglichen Folgen nicht bewusst, die eine
unbedachte Äußerung im digitalen Raum nach sich ziehen kann.
Schon eine kleine Abfrage unter site:facebook.com »Mein Chef
ist ein« bringt eine Menge zutage. »Mein Chef ist ein Tierfreund.
Jeden Tag macht er uns zur Sau«, steht da zu lesen. Oder auch
das: »Mein Chef ist ein riesen A****. Letztens sollte ich ihm einen
Kaffee machen und hab zum krönenden Abschluss einfach mal
schön reingespuckt.« Was nach solchen Aussagen meist folgt, ist
eine haarscharfe Schilderung dessen, was Auslöser war. Abgesehen
von drohenden Konsequenzen für den Arbeitsvertrag kann solch
ungeschicktes Verhalten auch unvorteilhaftes Medieninteresse auf
das Unternehmen lenken. Und illoyales, verräterisches Verhalten
kann die Existenz einer Firma bedrohen.
Social-Media-Guidelines
Unternehmen haben also ein berechtigtes Interesse daran, dass
ihre Mitarbeiter sich auch im Web korrekt verhalten. Social-Media-Guidelines sind daher unerlässlich. Sie werden meist im Zuge
einer Social-Media-Policy erstellt. Guidelines sind Verhaltensregeln, Leitplanken sozusagen, die Hinweise darauf geben, wie sich
Mitarbeiter und Manager in ihrer Eigenschaft als Unternehmensrepräsentanten im Social Web bewegen sollen. Wie diese Richt­
linien meist zustande kommen? Wie immer: top-down. Irgendwo
im stillen Kämmerlein wird was ausgeheckt oder abgekupfert und
dann den Mitarbeitern als fertiges Ergebnis rübergemailt. So ist ein
Scheitern allerdings vorprogrammiert. Denn Social-Media-Guide­
lines sollten so individuell sein wie das Unternehmen selbst.
Die Mitarbeiter als Botschafter
181
Wie man es besser macht? Im Rahmen von Touchpoint-Projekten
lassen sich Social-Media-Guidelines von den Mitarbeitern selbst
erstellen. Keine Sorge: Die Leute kommen zu Ergebnissen, die definitiv im Firmeninteresse sind – aber das Ganze wird viel kreativer
umgesetzt. Und die Akzeptanz im Kreis der Kollegen ist größer. Ein
Tipp gleich vorweg: Kurz und knackig sollten sie sein. Jede Eventualität abzudecken, ist ohnehin unmöglich. Die simpelste Regel,
die ich kenne, sagt eigentlich alles. Sie heißt: Don’t be stupid! Und
ein eingängiger Dreisatz geht so: Interne Kritik ist erlaubt, bleibt
aber intern. Geheimnisse bleiben geheim. Und private Meinungen bleiben privat. »Bei uns«, erzählte mir Stefan Keuchel, Corporate-Communications-Manager bei Google Deutschland, »heißt
es grundsätzlich: Über alles, was Google extern veröffentlicht hat,
kann auch in den Sozialen Medien gesprochen werden.« Eine weitere nützliche Regel ist die: Konflikte werden nicht im Netz gelöst.
Immer ganz wichtig: Social-Media-Guidelines sollen sich nicht nur
mit Verboten und den negativen Auswirkungen von Äußerungen
im Web befassen. Das meiste, was dem digitalen Raum anvertraut
wird, ist ja, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, positiv. Warum das so ist? Das Web hat – fast wie ein realer Dorfplatz – viel mit
sehen und gesehen werden zu tun. Da will man sich von seiner
besten Seite zeigen. Und bei Menschen, die man kaum oder gar
nicht kennt, will man wie im wahren Leben einen guten Eindruck
machen. Wer möchte draußen schon gern als Miesepeter und ewiger Nörgler gelten? Na ja, für manche ist das Web ein öffentlicher
Beichtstuhl geworden. Besser wäre es für sie, sich von ihrer Schokoladenseite zu zeigen.
Wenn also das Positive sowieso überwiegt, dann sollte man sich
dies auch auf der Mitarbeiterseite zunutze machen. Und SocialMedia-Guidelines bieten eine gute Gelegenheit, hierzu die entsprechenden Anregungen zu geben. Wenn Sie wollen, dass Ihre
Mitarbeiter als Botschafter agieren, dann schreiben Sie ganz konkret: »Das Unternehmen begrüßt es ausdrücklich, wenn Sie sich
im Social Web engagieren.« Wichtig ist dabei, dass der Mitarbei-
182
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
ter kenntlich macht, wenn er im Namen der Firma agiert. Neben
den Leitlinien selbst sind ein paar passende Beispiele, Hinweise auf
rechtliche Konsequenzen und ein A – Z-Glossar sehr hilfreich. Insgesamt dienen solche Leitlinien folgenden Zielen:
{{ Strategie definieren
{{ Fehler vermeiden
{{ Risiken begrenzen
{{ Sicherheit schaffen
{{ No-Gos beschreiben
{{ Rechtsfragen klären
{{ Zur Nutzung motivieren
Sind die Richtlinien erstellt, beginnt nun der wichtigste Schritt: sie
ins Leben zu bringen. Ein Rundbrief zur Kenntnisnahme reicht jedenfalls nicht. Eine Teambesprechung zum Thema, kleine Workshops oder ein »digitaler Betriebsausflug« tun da bessere Dienste.
Regelmäßige Informationen und positive Geschichten sorgen dann
dafür, dass die Guidelines nicht im Koma des Vergessens versinken.
Neu eingestellte Mitarbeiter können in Form eines Quiz spielerisch
mit dem Thema vertraut gemacht werden, denn Social Media haben ja immer auch einen Spaßfaktor. Ferner braucht es einen Ansprechpartner, an den sich die Angestellten mit Fragen vertrauensvoll wenden können, selbst wenn sie bereits Unschönes im Web
geschrieben haben. Als ein solcher Ansprechpartner eignet sich am
besten der Social-Media-Manager.
Der Social-Media-Manager
Aufgabe eines Social-Media-Managers ist es einerseits, die SocialMedia-Touchpoints eines Unternehmens zu entwickeln, zu koordinieren und zu implementieren. Andererseits gilt es, zu überwachen, zu analysieren und mitzugestalten, was sich in Hinblick
auf das Unternehmen in den digitalen Netzwerken sowieso tut.
Im ersten Schritt bedeutet dies immer, den Gesprächen im Cyber-
Die Mitarbeiter als Botschafter
183
space zu lauschen und deren Stimmung einzufangen. Dies betrifft
insbesondere auch das, was (potenzielle) Kunden und (ehemalige)
Mitarbeiter auf Meinungsportalen so sagen.
In der Folge geht es dann darum, sich mit passenden, nichtwerb­
lichen Inhalten, mit journalistischem Gespür und mit viel Menschlichkeit in diese Gespräche einzuklinken. Ferner heißt es, sich
schnell und individuell um etwaige Anliegen der User und ihre
online gestellten Fragen zu kümmern. Darüber hinaus sollten
Fremdinhalte mit eingespeist werden, wenn sie dem Interesse der
Zielgruppe dienen. Und natürlich geht es auch um eigenen interessanten Content, um gut aufbereitete Geschichten und um relevante Inhalte, mit denen man die Community beglückt.
Doch Achtung! Schnell kann man hierbei danebenlangen. Legendär ist ein Vorfall, der sich 2012 auf der Facebook-Seite von
Samsung in den USA abgespielt hat. Man hatte den Fans eine
scheinbar harmlose Frage gestellt, und die klang so: »Wenn du nur
ein einziges elektronisches Gerät auf die einsame Insel mitnehmen
dürftest, welches wäre das dann?« So gut wie alle der über 19 000
Antwortgeber hatten sich für das Konkurrenzprodukt iPhone entschieden. Fast 2500 Shares und über 46 000 Likes sorgten dann
noch für eine umfassende Weiterverbreitung. Was zeigt, dass das
Werkeln im Web immer auch Risiken birgt. Allerdings muss man
diese ins Verhältnis zu den Chancen setzen. Und die überwiegen
bei Weiten. Um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein, sollte man
Notfallpläne griffbereit in der Schublade haben.
Vor allem die Digital Natives erwarten, dass ein Unternehmen auf
den Spielfeldern des Social Web professionell agiert. Kreativität,
Kommunikationstalent, Fingerspitzengefühl und »Frechmut«
(Jörg Buckmann) sind dabei gefragt. Denn das Tempo im Web ist
hoch. Gute wie auch schlechte Nachrichten verbreiten sich wellenartig in kürzester Zeit. Und man weiß nie so genau, wie der Ball,
den man abspielt, im digitalen Raum aufgenommen und weitergedribbelt wird. Diese Konstellation macht es praktisch unmöglich,
184
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Dienstwege einzuhalten, in langwierige Abstimmungsprozesse
zu gehen und auf Entscheidungen von oben zu warten. Deshalb
braucht ein Social-Media-Manager einen hierarchielosen Raum,
schrankenlosen, uneingeschränkten Sofortzugang zu allen internen Bereichen – und Freiraum zum Handeln. Ein Beispiel gefällig?
Okay.
Es geht um Oreo, einem Keks zum Tunken, der in den USA Kultstatus hat. Gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit im Super Bowl,
dem Highlight im Football-verrückten Amerika, fiel 2013 im Superdome das Stadionlicht aus. Während alle ziemlich genervt in der
Finsternis ausharrten, reagierte das Social-Media-Team von Oreo
helle und schnell. »Man kann sie auch im Dunkeln eintunken«,
verbreitete es auf Twitter und schaltete passend zum Anlass ein
quasi schwarzes Keksmotiv. Fast 15 000 Follower verbreiteten den
Tweet weiter, 5000 erklärten ihn zu ihrem Favoriten. Die
Geschichte wurde von den Medien um die halbe Welt
getragen, der PR-Wert ging in die Millionen. Das ist
es, was empowerte Mitarbeiter und Social Media
schaffen können.
Das wesentliche Ziel eines Social-Media-Managers ist die Stärkung der Reputation seines Arbeitgebers: in der Öffentlichkeit, auf
Kundenseite und am Arbeitsmarkt. Er ist
Brückenbauer und Trittsteinleger zwischen
seinem Unternehmen und der digitalen Gemeinschaft, indem er die Menschen »draußen« mit den Menschen »drinnen« vernetzt.
Das wichtigste
Ziel eines SocialMedia-Managers
ist es, Reputation
zu schaffen.
Die Mitarbeiter als Botschafter
185
Die »neue« Führungskraft
»Man muss den jungen Leuten erst mal den Willen brechen, wenn
die neu bei uns sind.« Solche Ansichten, hier der O-Ton eines Sternekochs, waren bis vor Kurzem kein Einzelfall. Bei den neuen jungen Talenten, den Digital Natives, kommt man damit aber nicht
weit. So, wie sich das Miteinander in unserer neuen Arbeitswelt
unumkehrbar verändert, so muss sich auch die Führungskultur
wandeln, damit ein Unternehmen die Zukunft erreicht. Viel zu
viele Managementfehler entspringen einem veralteten radikalen
Führungsverständnis. Dummerweise ist dieses noch sehr weit verbreitet.
»Männer, die einen Doppelnamen tragen oder Elternzeit in ihrem
Lebenslauf haben, kommen, wenn es um die Besetzung von Managerposten geht, allein aus dem Grund, dass man sie deshalb für
Memmen hält, meist nicht in die engere Wahl«, verrät mir eine
befreundete Personalberaterin.
Rambos sind vom Aussterben bedroht
Leider gibt es nach wie vor genügend Haudegen in den Chefetagen, Menschenschinder
Bei einem guten
und Despoten, die dem Machtrausch verfalManager stimmen len und denen keine Grenze heilig ist. »Hardie Zahlen, ohne
te Brocken« werden hinter vorgehaltener
dass dabei seine
Hand noch immer bewundert. Noch oft geLeute auf der
nug wird schlechte Führung wissentlich to­Strecke bleiben.
leriert, solange die Ergebnisse stimmen. Das
ist absurd und erbärmlich zugleich. Als guter
186
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Manager kann ja wohl nur derjenige gelten, dessen Zahlen stimmen, ohne dass dabei seine Leute auf der Strecke bleiben.
Gott sei Dank sind die Dinosaurier-Rambos aus analogen Tagen
nun vom Aussterben bedroht. Denn der Social-Media-Komet ist
eingeschlagen. Ein Update der Unternehmenskulturen ist in vollem Gang. Und alles steht unter Beobachtung einer breiten Öffentlichkeit. Vernebeln, vertuschen und lügen sind in diesem Szenario
ein Auslaufmodell. Diejenigen, die sich auf Kosten der Gemeinschaft mästen, werden schonungslos an den Pranger gestellt. Die
Götzen Macht und Gier sind in Ungnade gefallen, man opfert ihnen höchstens noch heimlich. Und auch das wird enden, weil für
Brutalo-Manager bald niemand mehr arbeiten will. Sie entsorgen
sich selbst.
Endlich werden Businessmodelle favorisiert, die eindrücklich zeigen: Man kann auch erfolgreich sein, ohne zu zerstören. Man kann
gute Gewinne erzielen und gleichzeitig die Welt ein wenig besser
machen. Nur solche Taten gehören von jetzt an ins Rampenlicht.
»Wer sagt denn, dass ich Gewinne scheffeln muss? Mir reicht’s,
wenn sich die Arbeitsplätze tragen«, sagt die Vorzeigeunternehmerin Sina Trinkwalder aus Augsburg.83
Natürlich gibt es genügend Führungskräfte, die ähnliche Wege
schon seit jeher beschreiten. Doch in einem Umfeld, in dem man
nur mit Kurzfristdenke, Sofortresultaten und Maximalrenditen
punkten kann, haben sie bislang im Stillen gewirkt. Inzwischen
lerne ich immer mehr Manager kennen, die vehement nach neuen
Formen der Zusammenarbeit suchen. Verbrannte Erde widert sie
an. Und für verheizte Mitarbeiter wollen sie nicht verantwortlich
sein. Zudem fahnden sie begierig nach Wegen, um nicht selbst auszubrennen – oder von der Klugheit ihres Körpers durch Burnout
gerettet zu werden. Für solche Manager habe ich dieses Buch besonders gerne geschrieben. Denn Führen geht heute anders. Und
eine neue Generation von Führungskräften wird dringend gebraucht.
Die »neue« Führungskraft
187
Direktiv, demokratisch, chaotisch, situativ, lateral?
Leadership-Development hat derzeit Hochkonjunktur. Die meisten
Aktivitäten zielen darauf, (angehende) Führungskräfte wahlweise zu transformationalen, charismatischen, visionären, resilienten,
systemischen, relationalen, werteorientierten oder coachenden
Managern zu entwickeln. Darauf näher einzugehen, überlasse ich
denen, die diese Stile propagieren.
Einige Klassiker stehen nach wie vor auf dem Programm, allen
voran das Führen durch Ziele (Management by Objectives). MbO
stammt von Peter Drucker, dem Grandseigneur der Managementkunst. Sein Ansatz aus dem Jahr 1954 hat sich in eine positive und
eine negative Richtung weiterentwickelt:
{{ Im ersten Fall, dem positiven, geht es um Zielvereinbarungen,
die gemeinsam mit den Mitarbeitenden erarbeitet werden. Die
Ziele sind hochgesteckt, aber realistisch, und vom jeweiligen
Mitarbeiter auch tatsächlich gewollt. Der Fokus liegt nicht auf
formaler Zielerfüllung, sondern auf erreichbarem Erfolg und
eigenverantwortlicher Arbeit.
{{ Im zweiten Fall, dem negativen, geht es um Zielvorgaben.
Dabei werden Ziele ganz weit oben festgelegt oder willkürlich
ver­ändert und dann via Führungskraft durchgereicht. Die faktische Unerreichbarkeit solcher Ziele und strikte Überwachungspraktiken sorgen nicht nur für massiven Leistungsdruck, sie
bringen zunehmend das Tool als solches in Verruf.
Natürlich gibt es in den Teppichetagen immer noch erdrückend
viele, die, von Allmachtsfantasien berauscht, autokratisch führen.
Bei denen werden die Arbeitsanweisungen heruntergeballert, der
Dienstweg ist einzuhalten, Mitdenken und Eigeninitiative sind unerwünscht. Die Mitarbeiter werden wie Untergebene b
­ ehandelt,
die folgsam und ergeben sein sollen. Das macht Führen zwar einfach, aber, wie wir schon sahen, auch sehr gefährlich. Der direktive,
188
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
autoritäre Führungsstil nach dem Kommandieren-KontrollierenPrinzip kann also schon mal aussortiert werden. Mehr noch: Wer
seine Leute als Mittel zum Zweck benutzt oder für seine (niederen)
Ziele instrumentalisiert, dem sollte die Führungslizenz sofort entzogen werden.
Die moderne Fassung dieses Führungsstils ist auch nicht viel besser. Da agieren die Oberen nicht mehr per Anordnung und Anleitung, sondern, wie gerade schon angedeutet, als Antreiber und
Durchlauferhitzer. »Sie verlangen einfach ein bestimmtes Niveau
von Resultaten«, schreibt Gunter Dueck in seiner Omnisophie. »Sie
müssen (alles in Zahlen diktiert) so und so viel verkaufen, erforschen, vermitteln, einsparen, entlassen, einsammeln oder ernten!
Wie Sie das machen? Darauf bekommen Sie die moderne Manager-Antwort: It’s up to you.«84 Und schwups, weg sind sie, zum
nächsten Meeting. Ein reines Durchwinken von Vorgaben, die von
oben kommen? Das nenne ich »Managen von Führung«. Und dies
hat mit Führungsexzellenz in unserem Sinne rein gar nichts zu
tun. Mögen die hoch entwickelten Knowledge-Worker diese Art
auch bestens verkraften und dabei zu voller Form auflaufen, so
fühlen sich viele andere hilflos alleingelassen. Ohne Netz
und doppelten Boden, das haben sie nie gelernt.
Wenn nicht so, wie aber dann? Das kommt dar­
auf an. Den einen richtigen Führungsstil gibt
Eine Führungs­
es nicht. So wie sich Verkäufer auf ihre unkraft muss meh­
terschiedlichen Zielgruppen ausrichten müsrere Führungs­
sen, um erfolgreich zu sein, so müssen sich
stile gleichzeitig
Führungskräfte flexibel auf ihre Mitarbeiter
­beherrschen
einstellen können. Eine Führungskraft muss
und situativ an­
also mehrere Führungsstile gleichzeitig bewenden können.
herrschen und situativ anwenden können.
»Wir haben uns aber in der ganzen Firma auf
den gleichen Führungsstil festgelegt«, hat mir
kürzlich einer gesagt. Das geht schon gar nicht,
wie wir noch sehen werden.
Die »neue« Führungskraft
189
Führen unter neuen Bedingungen
»Bei uns ist die Kernarbeitszeit von elf bis eins«, erzählte mir mein
Neffe Christopher, 25, der bei einer Internetfirma tätig ist. Ja, dank
mobiler Kommunikationstechnologien ist die physische Präsenz im
Büro bei Weitem nicht mehr so zwingend wie noch vor wenigen
Jahren. Starre Arbeitsstrukturen lösen sich auf. Wir sind zu digitalen Beduinen geworden. So können wir endlich die Sehnsucht
nach einem Zustand stillen, der jahrmillionenlang unser eigen war.
Als Savannenbewohner sind wir durch die Gegend gestreift, immer
im Wechsel zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit. Suchend
und findend haben wir uns Neuland erschlossen. In virtuellen
Welten, zum Beispiel in Computerspielen, stellen wir nun solche
Szenarien nach. Hightech-Geräte sind unsere »Waffen« von heute.
Doch weil wir soziale Wesen sind, reichen Homeoffice und virtuelle
Vernetzung am Ende nicht aus. Wir brauchen Begegnungen in der
realen Welt. So ist das Büro nun unser »Wasserloch«, an dem wir
uns regelmäßig versammeln. Und nicht mehr per Rauchzeichen,
sondern über Statusmeldungen sind wir ständig mit all denen verbunden, die uns wichtig sind.
Nähe sorgt für Verbundenheit. Wer oft miteinander zu tun hat,
sollte nicht nur im gleichen Gebäude, sondern möglichst auch im
gleichen Stockwerk arbeiten. Wir suchen unsere Mitmenschen am
ehesten auf gleicher Ebene auf, auch dies ist ein Relikt aus unserer
Ära als Savannenmenschen. Wir brauchen Raum um uns herum,
helles warmes Licht, sinnvolle Laufwege, Kommunikationsinseln,
runde Versammlungseinheiten, Rückzugs- und Erholungsorte, Kuschelecken – und Zeit für Plauschpausen.
Kreativität entsteht ja nicht auf Kommando, wenn man am Schreibtisch sitzt, sondern immer dann, wenn sich unser Denkapparat entspannt und Gedankenrohlinge mit anderen teilt. Für die verschiedenen Phasen der Projektarbeit brauchen wir unterschiedliche
Raumkonzepte. Und dort, wo Präsenzarbeitsplätze zurückgebaut
werden und qualifizierte Heimarbeit wächst, muss virtuelles Plau-
190
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
schen möglich sein. Firmeninterne Foren, Blogs und Wikis schaffen
auch aus der Ferne das notwendige Gefühl des Dazugehörens.
Hierbei vermischen sich Freizeit und Arbeit immer mehr. »Downtime«, also Phasen der Entspannung, finden nicht mehr nach
17 Uhr und am Wochenende statt, sondern immer dann, wenn
es gerade passt. Da nun die Mitarbeiter den Unternehmen Privatzeit schenken, müssen die Unternehmen ihren Mitarbeitern auch
Eigenzeit während der Arbeit schenken. Eine neue Ganzheit, also
die sinnvolle Taktung zwischen Arbeit und Leben, die für unsere
Urahnen selbstverständlich war und erst im Industriezeitalter zerlegt worden ist, kann wieder entstehen. Das ist es, was ich WorkLife-Integrität nenne.
»In Österreich wählen Bewerber ihren Arbeitgeber bereits zu
67 Prozent nach den Kriterien der Orts- und Zeitunabhängigkeit«,
sagt Michael Bartz, Leiter des Forschungsprojekts New World of
Work an der FH Krems. Dort, wo viele ständig auf Achse sind, gehört schon allein aus ökonomischen Gründen ein eigenes Büro der
Vergangenheit an. Das eigene Territorium ist auf den Rollcontainer
beschränkt. Mit ihm ist man immer dorthin unterwegs, wo sich Arbeitsgruppen für ein Projekt auf Zeit zusammenfinden. Dabei wird
der Teammix zunehmend heterogener. Menschen verschiedener
Kulturen und Nationalitäten kommen an Bord.
Eine Vier-Tage-Arbeitswoche ist kein Krisensignal mehr, sondern
ein bewusst gewählter Lebensentwurf. Eine Sechzig-Stunden-Woche dient nicht länger den Karrierezielen, sondern ist Vorleistung
für ein Sabbatical. Denn wer »always on« ist, braucht dringend
auch mal Entschleunigung. Die verschiedenen Herangehensweisen
von Digital Natives und Analog Seniors müssen unter einen Hut
gebracht werden. Das ständige Kommen und Gehen von Mitarbeitern verlangt Flexibilität, Offenheit und unermüdliche Kraft. Und
derjenige, der Mitarbeiter führt, die er nicht täglich um sich hat,
benötigt besonders viel Empathie.
Die »neue« Führungskraft
191
Führen wird immer komplexer
Ja, die Führungssituationen werden komplexer. Und das Kaleidoskop möglicher Arbeitsmodelle wird immer bunter. Parallel einzubeziehen sind:
{{ Menschen, die in festen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind
{{ Menschen, die über Zeitverträge mit einer Firma kollaborieren
{{ Menschen, die in Vollzeit beschäftigt sind
{{ Menschen, die in Teilzeit beschäftigt sind
{{ Menschen, die jeden Tag an ihren Arbeitsplatz kommen
{{ Menschen, die nur zeitweise persönlich anwesend sind
{{ Menschen, die in festen Teams zusammenarbeiten
{{ Menschen, die in ständig wechselnden Projekten tätig sind
{{ Menschen, die an zunehmend anspruchsvollen Aufgaben
­arbeiten
{{ Menschen, die zu Dumpingpreisen Routinejobs machen
Bei der Arbeit der Zukunft, so der Publizist Tim Cole in seinem
Buch Unternehmen 2020, werden sich interne und externe Einzelpersonen, Arbeitsgruppen und Organisationseinheiten »projekt- oder aufgabenbezogen zu Teams zusammenfinden und eine
Art virtuelle Organisation auf Zeit bilden«.85 Projektkompetenz ist
hierfür ein Muss. Onlinediagnosetools, die eine genaue Einschätzung der Qualifikation aller zur Verfügung stehenden Mitarbeitenden ermöglichen, werden zur Norm. Die Arbeit an sich muss völlig
neu organisiert werden. Hierzu braucht es Führungsstile, bei denen
Selbstorganisation an oberster Stelle steht.
Damit wandert auch die Verantwortung vom »Übervater« zum Individuum zurück. Im Industriezeitalter war Abhängigkeit nützlich.
Menschen, die ohne Murren immer schneller die immer gleichen
Handgriffe taten und Aufgaben regelgerecht abarbeiteten, wurden
in großer Zahl gebraucht. Der Vorgesetzte hatte qua Weisungs­
befugnis das Sagen, der Untergebene führte aus, ohne je nachzufragen. Doch wer sich so entmündigt, benötigt jemanden, der sich
192
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
um alles kümmert. Arbeitsplatzsicherheit gegen Gehorsam, so hieß
der Deal. Und wenn es gar nicht mehr ging, ist der Sozialstaat eingesprungen. Doch der Generationenvertrag funktioniert so nicht
mehr. Der Vormund schwächelt, die Mittel sind knapp. Beschäftigungsgarantien kann niemand mehr geben. Und fügsame Mündel
werden nur noch für die ganz einfachen Arbeiten gebraucht.
Die neuen Berufe haben viel mit Kreieren, Designen, Innovieren,
Koordinieren und Verhandeln zu tun. Sie verlangen Feinsinnigkeit, Empathie, Intuition und Menschenversteherwissen. Qualifikationen übrigens, bei denen Frauenhirne einen Vorsprung haben.
Viele Männer werden deshalb in Zukunft zu den Schlusslichtern
am Arbeitsmarkt zählen. Und die Wirtschaft wird sich mehr und
mehr vom patriarchalischen Prinzip lösen. »Hat das Yang seinen
Gipfel erreicht, zieht es sich zugunsten des Yin zurück«, prophezeit
eines der ältesten Weisheitsbücher der Welt, das chinesische I Ging.
Yang steht für das männliche, Yin für das weibliche Prinzip. Dabei
ist das männliche Prinzip eher den Dingen und dem Wettbewerb
zugewandt, das weibliche Prinzip eher der Kooperation und den
Menschen. Ideal ist es, wie ich meine, das Beste von beiden zusammenzubringen. »Ein großer Geist muss androgyn sein«, sagt der
englische Dichter Samuel Taylor Coleridge, der 1772 (!) geboren
wurde. »Mixed Leadership« proklamiert die Literaturprofessorin
Gertrud Höhler.
Managen oder führen?
Im Business-Speak zeitgemäßer Unternehmen kommt das Wort
»Führung« schon kaum mehr vor. Da wird von Leadership und
von Management gesprochen, zwei kontroverse Begriffe, die oft
bedeutungsgleich verwendet werden. Das sind sie aber nicht. Denn
Management hat mit Managen – und Leadership vor allem mit
Führen zu tun. Bei Führung steht also der Mensch im Fokus, beim
Management alles, was sich organisieren lässt: das Planen, Umsetzen und Kontrollieren von Prozessen, Strukturen und Standards.
Die »neue« Führungskraft
193
Die FührungsDas Führen hat implizit eine ethische und das
kraft benötigt
Managen vorrangig eine ökonomische Divor allem soziale,
mension. Führung entwickelt die Unternehder ­Manager vor
menskultur, das Management die Strategie.
allem methodische Die Führungskraft benötigt vor allem soKompetenzen.
ziale, der Manager vor allem methodische
Kompetenzen. Unnötig zu sagen, dass methodische Kompetenzen, die sich in Projekten manifestieren, leichter zu erwerben und
zu meistern sind als die facettenreichen, vielschichtigen Soft Skills. Doch siehe da: Für eine
fachliche Ausbildung hat man Jahre gebraucht. Für
eine Führungsausbildung hingegen soll – wenn überhaupt – ein Wochenendseminar ausreichend sein!? So gibt
es zahllose Chefs, die es zwar gut meinen, aber nicht gut machen.
Das ist verheerend! Gerade was Menschenführung betrifft, muss
man studieren und üben, um zu brillieren.
»Das bisschen Führen, das machen Sie doch mit links«, hört man
nicht selten, wenn wieder mal die beste Fachkraft zur Führungskraft befördert wird. Doch Exzellenz darf sich nicht nur im Fach­
lichen zeigen, sie muss auch in der Beziehungspflege sichtbar sein.
Nun ja, wer wie früher nur Ansagen macht, Befehle erteilt, überwacht und kontrolliert, der braucht nicht viel von Führung zu
verstehen. In analogen Zeiten lebte der Chef vom Nimbus seiner
»Allwissenheit«. Kraft seiner Position war er es allein, der die Dinge beurteilen konnte und darüber entschied, welche Handlungen,
Verfahren und Prozeduren zielführend waren. Gute Führung wurde daran gemessen, wie die Mitarbeiter »spurten«, also artig die
Programme abspulten, die von ganz oben kamen. Verbesserungsvorschläge wurden als Angriff auf das zugewiesene Hoheitsgebiet
gedeutet und abgewehrt. Die Autorität der Lametta-Behängten aus
den Paralleluniversen der Glaspaläste war höher als jeder gesunde
Menschenverstand. Lethargie, Konformität und schwere Managementfehler waren / sind die Folge einer solchen Gehorsamskultur.
194
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Doch die Zeiten ändern sich gerade. Nun ist es die Rolle des Koordinators, des Moderators, des Katalysators und Möglichmachers, die
ein Leader vornehmlich beherrschen muss. Dies verlangt vor allem
mehr Menschlichkeit. Wo man in den unterschiedlichsten Arbeitsmodellen mit einer Vielfalt von Kollaborateuren zusammenarbeitet, zählen soziale Kompetenzen zu den wichtigsten ManagementSkills. Und das intuitive, individualisiert geführte Gespräch wird
zur wichtigsten Führungsaufgabe.
Aber leider auch hier: Mitarbeitergespräche werden gemanagt –
und gar nicht geführt. Wie das? Ich frage einmal andersherum:
Stellen Sie sich eine Unterhaltung mit Kumpels vor, bei der, sagen
wir mal, über den Ausgang eines Bundesligaspiels gefachsimpelt
wird. Würden Sie das mithilfe einer Checkliste tun? Häkchen hinter besprochene Punkte setzen? Zwanghaft bis zum Ende eines Gesprächsleitfadens gehen? Natürlich nicht! Denn ein gutes Gespräch
ist wie ein harmonischer Tanz, der aus wechselseitigem Fragen,
Hinhören, Einfühlen, Wertschätzen, Antworten besteht. Der Führende muss sich auf seinen Tanzpartner einlassen können, damit
der sich nicht in einem Schraubstock wähnt. Und der Geführte
muss diesen Tanz wollen, damit das Ganze nicht steif und holprig wird. Natürlich gibt es auch beim Tanzen ein Pflichtprogramm,
doch der wahre Genuss entsteht erst im Freiraum der Kür. Und erst
bei der Kür können beide ihr Bestes zeigen.
Im beruflichen Kontext hingegen werden für alle denkbaren Si­
tuationen Formulare entwickelt und Gesprächsvorlagen industriell
vorproduziert. So mutieren vollstrukturierte Führungsgespräche
zu einem Verhör. Wie es dazu kommt? Wo hauptsächlich Männer regieren, werden Regeln und klare Ansagen gebraucht, meint
der Führungskräftecoach Claus von Kutzschenbach. »Gebrauchsanweisungssüchtig« nennt er das. Seine Erklärung dafür? Wenn
Männer in unbefriedetes Gelände geraten, dann müsse jeder ganz
genau wissen, was seine Rolle sei und wie er sich zu verhalten
habe. Unbefriedet ist ein Gelände, das man kaum kennt und das
potenzielle Gefahren birgt. Könnte das die Heimtücke ausbrechen-
Die »neue« Führungskraft
195
der Emotionen sein? Oder die Sorge vor einem drohenden Kon­
trollverlust?
Das Gesagte gilt insbesondere für Mitarbeiter-Jahresgespräche. Es
gibt Fälle, da müssen sich beide Seiten durch zwanzigseitige Vordrucke quälen. So was ist eine Farce! Das Führen nach Checkliste macht Menschen zu fremdgesteuerten Wesen, zu Marionetten
der Administration, die nur anfangen zu tanzen, wenn man an
den entsprechenden Strippen zieht. Kommunikationsstarke Leader dagegen steigen von ihrem hierarchischen Hochsitz herab. Sie
dialogisieren mit ihren Leuten auf Augenhöhe, reden menschlich
mit ihnen und wollen von ihnen lernen. Sie veranstalten, so wie
James Rogers, CEO des US-Energieanbieters Duke Energy, »ZuhörMeetings«, bei denen die Teilnehmer brisante Themen ansprechen
sollen. »Bei uns gibt es eine Mitsprachepflicht, bei der jeder sagen
muss, was ihm gefällt und was nicht«, ergänzt Sina Trinkwalder,
Chefin der Textilfirma Manomama.
Okay, denen, die gesprächstechnische Nieten sind, kann ein teilstrukturierter Leitfaden helfen, die Nulllinie der Zufriedenheit anzupeilen. Wir brauchen aber Begeisterung! Zwar kann ein ausgeklügeltes Formularwesen dabei unterstützen, vorgegebene Ziele zu
erreichen, man kann dabei aber auch sehr viel wertvollere Ziele
verpassen. Denn Kreativität wird sich nie dort entfalten, wo sie
einem festgelegten Weg folgen soll. Schon allein deshalb brauchen
Wissensarbeiter Beweglichkeit und kein Gängelprogramm.
Die Funktionen einer Führungskraft von heute
Jede Führungskraft hat Präferenzen im Denken und Handeln. Von
daher wird sie ihre Management- und Führungsaufgaben auf unterschiedliche Weise angehen. Doch in den meisten Unternehmen
wird viel zu viel Management betrieben und zu wenig Menschenführung gelebt. Selbst ureigenste Führungsaufgaben werden, wie
196
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
gerade bei den Mitarbeitergesprächen gesehen, »vermanagt«. Genau dies ist angesichts einer zunehmenden Technologisierung auch
die größte Gefahr: dass nämlich überall dort, wo Technokraten das
Sagen haben und Zahlenmenschen regieren, die Menschlichkeit
auf der Strecke bleibt.
Müssen sich die Oberen zwischen Managen und Führen entscheiden, würden, wie Untersuchungen zeigen, die meisten die Sach­
themen wählen. Die Verteilung zwischen sachorientierter und
beziehungsorientierter Herangehensweise liegt vielfach bei 80 zu
20. Ein grober Fehler, denn unternehmerische Topperformance
braucht beides zugleich: zunächst gute Führung und dann ein gutes
Management. Wer nämlich etwas bewegen will, tut sich leichter,
wenn er zuvor seine Mitarbeiter zu »Fans« macht, um sie danach
auf eine gemeinsame Zukunft einzustimmen.
Es ist höchste Zeit, in den Leadership-Etagen beide Schlüsselfunk­
tionen, das Managen und das Führen, als ebenbürtig anzuerkennen, zu leben und zu würdigen – wobei das Managen aus der Vergangenheit kommt und das Führen uns in die Zukunft leitet. Weil
bei all dem das Menschenthema eine so zentrale Rolle spielt, habe
ich es als dritte Hauptfunktion und als Basis zugleich den beiden
anderen beigefügt:
{{ Führungskraft
{{ Manager
{{ Mensch
Hieraus ergeben sich drei Zwischenstufen, die zeigen, in welche
Richtungen sich die neue Führungsgeneration bewegen muss:
{{ kundenfokussierter Leader
{{ Möglichmacher
{{ Katalysator
Die »neue« Führungskraft
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Ku n d e n f o k
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Abb. 9: Die Funktionen einer Führungskraft in der neuen Arbeitswelt
(die Zahlenreihen dienen einer Selbst- und / oder Fremdbewertung)
Über die Anforderungen an das Managen von heute und morgen
haben wir in Teil 1 schon eine Menge erfahren. Und die große
Bandbreite der Mitarbeiterführung werden wir in Teil 3 dann sehr
ausführlich betrachten.
Speziell das mittlere Management wird sich bei all dem neu erfinden müssen. In Zukunft werden mehr Experten und weniger Führungskräfte gebraucht. Und die neuen Hochleister handeln selbstorganisiert. Chefs, mit denen man sich ständig abstimmen muss,
behindern sie nur bei der Arbeit. Bei Google zum Beispiel führt
eine Führungskraft vor allem im Produktentwicklungsbereich bis
zu fünfzig Mitarbeiter, die in wechselnden Teams und meist in
mehreren Projekten gleichzeitig aktiv sind.
198
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Ganz klar: Wenn alles transparent ist, gibt es keine Informationen
mehr zu verteilen. Und auch nichts mehr zu checken. WorkforceManagementsoftware sagt den Beschäftigten bald vollautomatisch,
was wann zu tun ist. Und das reine Kontrollieren von Arbeitsleistungen wird dann von Computerprogrammen erledigt. So werden
Führungskräfte nur noch für Dinge gebraucht, die Computer (noch)
nicht können, nämlich die Analytik mit Intuition, Menschenversteherwissen und Empathie zu verknüpfen. Beziehungsarbeit,
emotionale Kompetenzen und hirngerechtes Führen rücken damit
immer stärker nach vorn. »Was wir weiterhin brauchen, sind soziale Architekten. Also Menschen, die Mitarbeiter motivieren und
mobilisieren«, erklärte Gary Hamel Ende 2012 in der Wirtschafts­
woche.86 Menschliche Führungspersönlichkeiten, kundenorientierte Leader, Möglichmacher und Katalysatoren werden also von nun
an dringend gebraucht. Sie glauben an einen Menschentyp, den
Gunter Dueck in seinem Buch Professionelle Intelligenz ganz wunderbar so beschreibt: »Der Mensch möchte wirksam sein und etwas
vollbringen, auf das er stolz sein kann. Er arbeitet gern in Gemeinschaft mit anderen und trägt fruchtbar zum Ganzen bei. Er fühlt
sich als Quelle positiver Kraft, die er für das Ganze, andere und sich
selbst einsetzt. Er übernimmt die Verantwortung für sein Handeln
und strebt professionelle Ergebnisse seiner Arbeit an. Er bemüht
sich um die Professionalität anderer und bringt deren Begabungen
zum Erblühen. Er weitet seine eigenen Horizonte und Fähigkeiten
stetig aus. Er ist ein immer größeres Zentrum des Gelingens in einer
Welt allgemeiner Prosperität.«87
Mensch sein statt Pokerface aufsetzen
Wir »kaufen« immer zuerst den Menschen und dann erst die Sache. Diese Weisheit aus dem Vertrieb lässt sich eins zu eins auch
auf den Führungsalltag übertragen. Was Mitarbeiter sich von ihren Chefs mit am meisten wünschen, ist Menschlichkeit. Vor allem
dort, wo Teams sich nur selten sehen, ist es wichtig, Menschlichkeit
und damit auch einen Rest an Heimat zu bieten. »Beim Führen
Die »neue« Führungskraft
199
auf Distanz fällt Ihnen als Führungskraft unweigerlich eine Gastgeberrolle zu, denn bei den Gelegenheiten, zu denen Mitarbeiter
in den Betrieb kommen, um sich zu treffen, Arbeiten abzugeben,
Projekte abzustimmen, neu gebrieft zu werden, haben Sie nicht
nur die Chance, persönliches Feedback zu geben und vertiefte Gespräche zu führen. Sie haben vor allem die Chance, das Wir-Gefühl
zu stärken und die Loyalität zum Team und zu Ihnen als Chef zu
festigen«, schreibt die Managementberaterin Maren Lehky in ihrem Buch Leadership 2.0.88
Ja, ein guter Gastgeber kümmert sich mit Wärme, Herz und Anstand um seine Gäste, sodass sie gerne wiederkommen. Und die
innerbetriebliche Realität? Es ist immer ganz erstaunlich, zu beobachten, wie cool und emotionslos Manager oft wirken wollen.
Ganz so, als ob Gefühle die Achillesferse im Business wären. Vor
allem in Besprechungen zeigen Krawattenträger gern eine Maske
aus Gleichgültigkeit und Indifferenz: ihr Pokerface. Okay, ein Pokerface ist beim Pokerspiel lebensnotwendig – und in schlechten
Unternehmenskulturen wohl auch. Doch im Mitarbeiterkontakt ist
es tödlich. Die Leute wollen und müssen wissen, wie es dem Menschen geht, den sie als Führungskraft vor sich haben. Denn
davon hängt ja auch ihr eigenes Schicksal ab.
Pokerface-Manager sind Energieräuber. Sie nehmen allen in ihrem Umfeld die Kraft und zehren sie aus wie Vampire. So kommt es, dass
in Pokerface-Unternehmen alles so blutleer
Wo emotionale
wirkt. Emotionslosigkeit macht Menschen
Informationen
unnahbar und unberechenbar. Da gewinfehlen, kommt es
nen Zweifel schnell die Oberhand. So entzu den wildesten
stehen im Leerraum fehlender emotionaler
Spekulationen.
Informationen bald die wildesten Spekulationen. Manche Hirne sind selbst bei nichtigen Anlässen unglaublich gut darin, sich das
Schlimmste auszumalen: »Er hat zu meiner
Arbeit nichts gesagt. Sicher fand er sie schlecht,
200
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
wollte mich aber schonen, weil er wohl glaubt, dass ich überempfindlich bin. Oder er will mich loswerden und zeigt sich deshalb
so distanziert.« Besser, Sie erlösen Ihre Leute aus solch belastenden Situationen. Emotionen am Arbeitsplatz sind unprofessionell?
Ganz im Gegenteil! Gefühle zeigen ist wie Blinker setzen, damit
jeder weiß, in welche Richtung es geht.
Hinter einer Maske aus unzugänglicher Kontrolliertheit können
allerdings auch Abgründe von Selbstzweifeln, Verletztheit und
Einsamkeit stecken. Solche Themen müssen natürlich besprochen
werden, damit nichts eskaliert. Aber diese gehören nicht in den
Mitarbeiterbereich. Von daher hat das Menschsein auch Grenzen.
So geht es ganz gewiss nicht darum, seinen Leuten sehr private Dinge zu erzählen oder sie zu Vertrauten bei allen möglichen innerbetrieblichen Problemen zu machen. Und ein cholerischer Anfall
ist nie der richtige Weg. Er schadet vor allem demjenigen, der ihn
hat. Enttäuschung hingegen darf man sich ruhig anmerken lassen.
Das sagen Sie so: »Schade, dass Sie so denken.« Oder: »Das hat
mich in der Sache enttäuscht.« Aber bitte nie so: »Sie haben mich
enttäuscht.« Letzteres kommt persönlich verletzend rüber, und das
ist gar nicht gut.
Doch so weit muss es gar nicht kommen, denn wen man gut kennt,
den will man nicht enttäuschen. Gefühle zu zeigen, macht uns verwundbar, es macht aber auch frei. Erst der bewusste Umgang mit
den eigenen Gefühlen sorgt für Authentizität. Und dies wiederum
ist die Voraussetzung für Souveränität und Charisma. Wer den Mut
hat, seine Emotionen in Bewegung zu bringen, der schafft es auch,
andere zu bewegen und zu überzeugen. Denn er weckt Sympathie.
Und wenn wir jemanden mögen, dann sind wir viel eher bereit,
ihm entgegenzugehen. Menschen stattdessen mit kalten Zahlen
und nackten Fakten betören zu wollen, das ist nicht nur schwierig,
sondern nahezu unmöglich.
Kommen Sie also raus aus der Blackbox Ihrer emotionalen Neutralität, und erlauben Sie sich, auch im Business Mensch zu sein. Man
Die »neue« Führungskraft
201
erreicht andere am besten, wenn man von sich selbst etwas preisgibt. Und wir mögen die Menschen, die zeigen, dass sie uns mögen.
Vor allem positive Momente wie Freude und Stolz gilt es dabei zu
teilen. Denn jede Form erlebter gefahrloser zwischenmenschlicher
Resonanz erfreut unser inneres Motivationssystem.
Eine kleine emotionale Trainingseinheit
Nur Hinterwäldler können heute noch ernsthaft der Meinung sein,
Emotionalität zeige einen Mangel an Professionalität. Dieser Mythos stammt aus der Zeit, als man begann, industrielle Fertigungsprozesse mit REFA-Zeiterfassungsmethoden zu messen und als sogar das Reden in Fabrikhallen verboten war. Dabei sah man nur die
Zeit, die ein Pläuschchen während der Arbeitszeit (vermeintlich)
kostet, nicht aber den Auftrieb, den so etwas bringt. Doch längst hat
die Neurowissenschaft anhand von Hirnscans gezeigt: Emotionen
sind nicht nur bei allen Entscheidungen vorhanden, sie sind sogar
deren treibende Kraft. Ohne Gefühle ist kein vernünftiges Handeln
möglich. Und alles Gelernte wird mit Emotionen markiert. Positive
Marker sagen uns, was wir weiterhin tun, und negative Marker,
was wir besser lassen sollten. Emotionen haben im Gehirn immer
Vorfahrt. Dabei hat Negatives Priorität, denn daraus könnten unmittelbare Gefahren für Leib und Leben erwachsen. Andererseits
übertragen sich positive Gefühle stärker von Mensch zu Mensch.
Das hat die Natur intelligent herausgemendelt.
Leider können viele Manager ihre eigenen Gefühle nur ziemlich
diffus wahrnehmen, oder sie können die Gefühle anderer nicht
lesen. Deshalb werde ich oft gefragt, wie sich der Zugang zu den
Emotionen denn trainieren lässt. Dies erfolgt in zwei Schritten:
­Zunächst beobachtet man sich selbst, dann beobachtet man die anderen. Denn nur was man in sich selbst erkennt, kann man auch
in anderen sehen. Und das geht so:
202
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Wenn sich bei Ihnen ein vages Gefühl einstellt,
{{ lassen Sie es zu und lokalisieren Sie es,
{{ geben Sie dem Gefühl (laut) einen Namen,
{{ skalieren Sie es in seiner Stärke, etwa von eins bis zehn,
{{ schauen Sie, was es mit Ihren Gesichtszügen macht,
{{ schauen Sie, was es mit Ihrer Körperhaltung macht,
{{ versuchen Sie, es zu verändern,
{{ würdigen Sie das Resultat und
{{ seien Sie bei all dem ehrlich mit sich.
Und wenn Sie bei anderen ein Gefühl wahrnehmen,
{{ schauen Sie es sich an und spüren Sie dem in sich nach,
{{ geben Sie dem Gefühl (leise) einen Namen,
{{ skalieren Sie es in seiner Stärke, etwa von eins bis zehn,
{{ schauen Sie, was es mit den Gesichtszügen Ihres Gegenübers
macht,
{{ schauen Sie, was es mit seiner Körperhaltung macht,
{{ versuchen Sie durch eine passende Aktion, es zu verändern,
{{ würdigen Sie das Resultat und
{{ seien Sie sich bei all dem bewusst: Sie spekulieren nur.
Gerade las ich, dass am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
ein Avatar namens MACH entwickelt wurde, mit dem man so etwas trainieren kann.89 Ist also nun – durch welches Üben auch immer – die Sensibilität geschärft, geht es im nächsten Schritt d
­ arum,
mit den Gefühlen, die sich zeigen, angemessen umzugehen.
Solche Sätze gehen jetzt gar nicht mehr:
{{ »Nun regen Sie sich mal nicht so auf!«
{{ »Jetzt werden Sie hier nicht gleich hysterisch!«
{{ »Machen Sie doch keinen solchen Aufstand!«
Die »neue« Führungskraft
203
Über Gefühle kann man nicht diskutieren. Sie sind einfach da. Viel
besser sind deshalb Formulierungen wie diese:
{{ »Ich sehe, dass das Thema Sie sehr bewegt.«
{{ »Ich freue mich, dass Sie sich für diese Sache so engagieren.«
{{ »Uns allen liegt das sehr am Herzen.«
Wird im Team nicht über Gefühle gesprochen, dann verlagern sich
etwaige Konflikte schnell auf die Sachebene. Energieblockaden,
Ineffizienz und Zeitverluste sind dann die Folge. Zeigen Führungskräfte hingegen Emotionen und Menschlichkeit, kommt dies einer
Einladung gleich, es ihnen nachzutun. So erreicht man den Kopf
und das Herz seiner Leute.
Wertschöpfend: der kundenfokussierte Leader
Die leitenden Schlüsselpersonen einer Organisation sind die Träger
der Unternehmenskultur. In Touchpoint-Unternehmen beginnt
deshalb die kundenfreundliche Haltung eines Arbeitgebers in den
Köpfen der Führungskräfte, und zwar an oberster Stelle. »Was ist
unser Beitrag zum Erfolg jedes einzelnen Kunden?« So formuliert
Martin Hubschneider, ein kundenfokussierter Leader, CEO der
CAS Software AG, die zentrale Frage.
»Kundenfokussierung« bedeutet, alle Ressourcen des Unternehmens auf das zu konzentrieren, was für dessen Fortbestand am
wichtigsten ist: durch und durch loyale Kunden und aktive positive
Empfehler. Dies erfordert:
{{ gelebte Kundenfokussierung in der Chefetage
{{ kundenfokussierte Rahmenbedingungen
{{ eine kundenorientierte Einstellung der Mitarbeitenden
{{ das kundenorientierte Verhalten der Mitarbeitenden
204
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
Die Definition für eine kundenorientierte Mitarbeiterführung lautet so:
Führungskräfte haben die Aufgabe, solche Rahmen­
bedingungen zu schaffen, die es den Mitarbeitern
­ermöglichen, für die Kunden ihr Bestes zu geben –
und dies auch zu wollen.
Und hier die Schlüsselfragen, die sich ein kundenfokussierter Leader stellt:
{{ Interessiert mich das Wohl unserer Kunden wirklich?
{{ Sind Kunden in meinen Gesprächen regelmäßig und positiv
präsent?
{{ Wie oft spreche ich über die Bedeutung der Kunden für
die Firma?
{{ Bitte ich die Mitarbeiter regelmäßig um kundenfokussierte
­Vorschläge?
{{ Lebe ich Kundenfokussierung sichtbar vor?
Kundenfokussierung heißt auch: Nicht glauben, zu wissen, was der
Kunde benötigt und nützlich findet, sondern in der gesamten Organisation sicherstellen, dass täglich Kunden-Rückmeldungen eingeholt werden.
»Bei uns in Norditalien«, schrieb mir Paul Klotz, Mitglied des Vorstandes der Despar, »konkurrieren unsere Super- und Hypermärkte mit dem Einkaufsflair der traditionellen italienischen Märkte,
auf denen wie seit eh und je Waren feilgeboten werden. Da heißt
es, das Ohr nah am Kunden zu haben. So sitze ich selbst als ›Mitarbeiter‹ an der Kasse. Da bekomme ich vollautomatisch mit, was
die Leute beim Schlangestehen so alles über uns sagen und wo wir
noch besser werden müssen. Eine bessere Marktforschung gibt es
nicht.«
Die »neue« Führungskraft
205
{{ »Wonach haben die Kunden denn heute gefragt?«
{{ »Mit welchen gedankenlosen Dingen verärgern wir
unsere ­Kunden?«
{{ »Mit welchen Kleinigkeiten können wir unseren Kunden
Freude bereiten?«
Solche Sätze sollten Standard werden im Kommunikationsrepertoire einer Führungskraft.
Exzellente Antworten erhalten Sie übrigens in der Telefonzentrale,
im Callcenter und überall da, wo es um die Reklamationsbearbeitung geht. Und neuerdings natürlich auch im Social Web.
Ob es dem Mitarbeiter möglich ist, das Positive
in einer Kundenbeziehung zu sehen, hat ganz
Wie der Mit­
maßgeblich mit dem zu tun, was er bei seiarbeiter den
ner Führungskraft hört und sieht. Wie beim
­Kunden sieht,
Dominoeffekt kaskadiert positives wie auch
hat maßgeblich
negatives Verhalten aus der Teppichetage
mit dem Verhal­
über alle Hierarchiestufen nach unten – und
ten der Führungs­
schwappt dann auf die Kundenseite rüber.
kraft zu tun.
Macht die Führung immerzu den schwachen Markt, die konjunkturellen Rahmenbedingungen, Nachfrageverschiebungen, die
Tücken der Konkurrenz oder die miese Performance anderer Abteilungen für Misserfolge
verantwortlich, so werden die Mitarbeiter schnell
das Gleiche tun. Und hören Beschäftigte ständig Negativgeschichten über »schwierige« Kunden, Nörgler und
Querulanten, dann wird dies ihre eigene Einstellung färben. So
entwickelt sich schließlich ein »Feindbild Kunde«.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Hidden Champions ­hierzulande,
so hat der Unternehmensberater Hermann Simon in seinem gleichnamigen Buch analysiert, ist ihre Kundenorientierung, noch vor
der Technologie. Fünfmal so viele Mitarbeiter wie in Großunter-
206
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
nehmen haben bei den Hidden Champions regelmäßig Kundenkontakt. Langjährige Kundenbeziehungen betrachten sie als ihre
größte Stärke. Die Kundennähe bildet ein zentrales Element ihrer Strategie. Selbst ihre Topmanager sind nahe am Kunden. Ihre
meistgenutzte Informationsquelle bildet das Gespräch mit Kunden
vor Ort.90
Ja klar: Wer kundenfokussiert führen will, muss natürlich die Kunden auch kennen. Und zwar aus persönlichem Erleben und nicht
nur durch Hörensagen. Zeit mit den Kunden zu verbringen, sollte
im Rahmen der Managementaufgaben eine hohe Priorität erhalten. Und damit meine ich nun nicht, dass ein Vorstand, Geschäftsführer oder Bereichsleiter mit seinesgleichen im Kundenunternehmen spricht. Und ich meine auch nicht den so gerne zelebrierten
jährlichen Pflichttermin. Vielmehr gilt es, mit den unmittelbaren
Produktanwendern beziehungsweise Serviceempfängern regelmäßig zu reden. Die Neuen Medien bieten hierzu die vielfältigsten
Möglichkeiten. Nutzen Sie sie!
Pragmatisch: der Möglichmacher
Spitzenleistungen kann man nicht einfordern. Man kann sie nur
ermöglichen. Sie haben immer zwei Komponenten: das Können
und das Wollen. Daher arbeiten Möglichmacher vor allem an der
Schaffung optimaler Rahmenbedingungen. Sie sind zupackend,
nahbar, verstehend. Sie sind Inkubatoren für den Erfolg. Sie haben
verstanden, dass eine der Hauptaufgaben einer Führungskraft darin besteht, das Zusammenarbeiten zu ermöglichen. Ihre Zielsetzung
ist es, ein anspornendes Leistungsumfeld zu schaffen, damit sich die
Leute voll entfalten können. Und sie wissen: Mitarbeiter bringen –
genauso wie Spitzensportler – nur unter optimalen Bedingungen
ihre Höchstleistung ein. Deshalb sollen Sie deren individuelle
Arbeitsmotive und Talente ermitteln und zudem die zwischenmenschlichen wie auch die organisatorischen Motivations­hemmer
identifizieren und wegräumen. Arbeitsplatz und Aufgabe werden
Die »neue« Führungskraft
207
an die Fähigkeiten der Stelleninhaber angepasst – und nicht umgekehrt. Möglichmacher sehen sich als Potenzialentwickler und nicht
als Exekutierer der Unternehmensstrategie. Sie sind Dienstleister
für ihre Mitarbeiter-Kunden.
»Auch in unserem Land war der autoritäre Stil in der Führung lange ein Thema«, schrieb mir Erwin Schmuck, Geschäftsführer der
Spar-Handelskette in Ungarn. »Da war es meine Aufgabe, den Mitarbeitern zunächst Vertrauen entgegenzubringen, damit sich ihr
Selbstvertrauen entwickelt. Der zweite Schritt war dann der vom
Müssen zum Wollen. Gibt man den Leuten Spielraum, entsteht
automatisch mehr Engagement. Und so kann sich auch die Persönlichkeit eines Menschen entfalten, was die Kunden sehr schätzen. Einmal haben die Mitarbeiter, ich war selbst ganz erstaunt,
in unserem Interspar-Markt in Budapest eine Zumba-Tanzeinlage
aufgeführt. Die Kundschaft hat fleißig mitgetanzt, und hinterher
gab es mächtig Applaus.«
Viele Obere meinen allerdings immer noch, sie müssten alles selbst
wissen, alles selbst können und ihren Leuten sagen, wie die Dinge
zu laufen haben. »Edelsachbearbeiter« werden sie gerne genannt.
Mikromanagement ist ihr Markenzeichen. Denn ihr Selbstbild verbietet es ihnen, die Zügel aus der Hand zu geben. Ihr antiquiertes
Arbeitsmotto, man merkt es am Sprachstil, geht so: »Nur was der
Meister selbst getan, ist wohl geraten.« Solche »Meister« können
sich schlecht auf andere Sichtweisen einlassen. Selbst die genialsten
Ideen werden sie niedermachen, wo es nur geht. Und in Wahrheit?
In Wahrheit hat ihr Ego vor allem Sorge um Machtverlust – und
Grausen vor der inneren Leere. Oder Angst vor dem Zeigen von
Schwäche. So wird munter angewiesen, statt involviert und delegiert. Denn Macher sind ungeduldig. Und sie wollen selber machen.
»Wer Kompetenzen einschränkt, verringert den Anreiz für Mitarbeiter, zu träumen, zu fantasieren und sich einzubringen«, sagt der
Managementvordenker Gary Hamel. Sehr drastisch formuliert er
auch dies: »Keine Funktion in Ihrem Unternehmen ist ineffizienter
208
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
als das Management.« Denn die vielen Genehmigungsschritte verlangsamen jede zeitnahe Reaktion. Mehr noch: »Je bedeutsamer
eine Entscheidung ist, desto kleiner wird die Zahl der Personen,
die sie anzweifeln können.« Und ganz abgesehen von den »Kosten
der Tyrannei«, so Hamel, sei das Resultat dies: »Nur zu oft erweisen
sich aus der Höhe des Olymps gefällte Entscheidungen in der Praxis
als völlig unbrauchbar.«91
Möglichmacher hingegen verlagern einen Großteil
der Entscheidungen dorthin, wo die kompetentesten Leute sitzen. Möglichmacher müssen
Lassen Sie die
dabei nur wissen, wie das aussieht und was
Mitarbeiter mit­
es bedeutet, wenn jemand auf den einzelnen
entscheiden –
Professionalitätsstufen seinen Job richtig gut
auch über Stellen­
macht. Sie müssen aber nicht jeden Job selbst
besetzungen.
gut erledigen können. Zum Beispiel erweisen sich viele (hastige) Stellenbesetzungen
im Nachhinein als Fehlgriff, was angesichts
des Fachkräftemangels besonders tragisch
sein kann. Würde man verstärkt diejenigen mit­
entscheiden lassen, mit denen der Auserwählte
später zusammenarbeitet, ließen sich zwei Fliegen
mit einer Klappe schlagen. Zur fachlichen Passung –
die durch eine Vorauswahl gesichert wird – käme eine
Einschätzung der menschlichen Passung hinzu. Und diejenigen, die sich für einen Kandidaten starkgemacht haben, täten dann
auch alles, damit dieser sich ins Team integriert.
Sympathie und Antipathie spielen ja im unternehmerischen Miteinander eine überragende Rolle. Wie Studien bewiesen, arbeiten
wir nicht nur lieber, sondern auch besser mit weniger kompetenten
Sympathen als mit hochkompetenten Unsympathen zusammen.
Der Unsympath bringt also, weil vom Team gemieden, seine Kompetenz-PS nicht auf die Straße. Was logisch ist, denn im FreundFeind-Dilemma ordnen wir den Unsympathen dem Feindesland
zu – und sofort verkrampft sich alles, und unser Hirn macht dicht.
Die »neue« Führungskraft
209
Nur wenn auch die Beziehungsebene stimmt, ist auf der Sachebene
Großes zu bewirken.
Natürlich können sich auch Mitarbeitende falsch entscheiden. Doch
wenn Sie die Weisheit der Vielen nutzen, wird es mit Sicherheit
eine größere Anzahl richtiger Entscheidungen geben. »In unserem
Unternehmen haben wir diese Überzeugung schon seit Langem in
Einstellungsentscheidungen umgesetzt«, sagt Hermann Arnolds,
Verwaltungsratspräsident der Umantis AG, eines Softwareanbieters
aus St. Gallen in der schönen Schweiz. Dort werden, so Arnolds,
alle Führungspositionen durch einen Kollektiventscheid besetzt.
»Und vor Kurzem haben wir meinen Nachfolger, den neuen Geschäftsführer, durch alle Mitarbeiter wählen lassen.«92 Dies ist übrigens kein Einzelfall. Gerade in der IT-Branche passieren in Sachen
Führungskultur, Vernetzung und Möglichmachen derzeit die interessantesten Dinge. Warum? Weil sie sich nie mit dem Nachlass der
Schornstein-Industrie herumschlagen musste.
Sicherlich lässt sich nicht absolut jede Entscheidung an ein Mitarbeiterkollektiv übertragen. Die meisten allerdings schon. Möglichmacher wissen genau: Wer mitunternehmerisch handelnde
Mitarbeiter will, muss diese in einem ersten Schritt zu unternehmerischem Denken befähigen. Möglichmacher schaffen die dazu
notwendigen Rahmenbedingungen: Sie stellen die erforderlichen
Ressourcen bereit, sie übertragen die für die Aufgabenstellung notwendige Entscheidungsgewalt, und sie übertragen Ergebnisverantwortung. Denn sie wissen: Höchstleistungen können nur in Möglichkeitsräumen entstehen. Und Kreativität braucht Spielwiesen.
Unter Druck werden höchstens Allerweltslösungen erzeugt. Eine
freudige Stimmung des Zulassens hingegen beflügelt schöpferische
Denkprozesse. Die Intuition erwacht und Querdenk-Potenzial wird
aktiviert, um Wege ins Neuland zu wagen.
Eine Möglichmacherin, die sich auf Neuland wagte, ist Anke Schiller, Customer-Care-Leiterin bei der Direct Line Versicherung. »Wir
erkannten, dass wir mit all den in Callcentern üblichen Kennzahlen
210
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
an den Bedürfnissen der Kunden vorbeimanagen.« So räumte sie
diese Instrumente beiseite und sagte: »Liebe Mitarbeiter, es gibt nur
ein einziges Ziel, und das ist, dass der Kunde bei uns bleibt.« Alles
Weitere überließ sie den Mitarbeitern. Sie sagte den Teams: »Ihr
müsst das miteinander diskutieren und selbst organisieren.« Die
Kundenbindung stieg, so berichtet sie weiter, in zwei Jahren um
mehr als zehn Prozent und liegt jetzt bei über neunzig Prozent.93
Möglichmacher lassen ihre Leute also machen, wo es nur geht.
Selbst wenn diese Herangehensweise in der Startphase ein wenig
mehr Zeit in Anspruch nimmt, zahlt sich das Ganze am Ende doch
aus: Die Mitarbeitenden erleben sich als wertgeschätzte Mitglieder
ihrer Organisation. Sie erkennen den Sinn ihrer Arbeit. Sie werden
zu verantwortungsvollem Handeln motiviert. Engagement und Loyalität wachsen. Es werden mehr passende Ideen produziert. Und
die Ergebnisse werden am Ende die besseren sein. Gerade dort, wo
Mitarbeiter intensiv in die Strategiearbeit involviert und an den Erfolgen auch finanziell beteiligt werden, werden sie alles tun, damit
»ihr Baby« wächst und gedeiht. Bei den Digital Natives gibt es zu
diesem Vorgehen im Übrigen gar keine andere Wahl.
Virtuos: der Katalysator
Der Katalysator ist der Visionär unter den Führungskräften, eine
Inspirationsfigur, ein hervorragender Kommunikator und kreativer Innovator, ein Empathiekünstler und ein Menschenfreund.
Er besitzt Enthusiasmus, eine ansteckende Begeisterungskraft und
ein hohes Motivationstalent. Ihm gelingt es spielend leicht, andere
für Ideen zu entflammen und Impulse zu setzen. So wie der Katalysator in einem chemischen Versuchslabor setzt er Prozesse in
Gang und zieht sich dann wieder zurück. Er stellt sich nicht selbst
ins Rampenlicht, sondern sorgt dafür, dass seine Leute sich diesen
Platz verdienen. So bringt er Selbstvertrauen, Agilität und Veränderungsbereitschaft in vormals erstarrte Strukturen.
Die »neue« Führungskraft
211
Ein Katalysator führt inspirierend, indem er Rahmenbedingungen
vorgibt, das Arbeitsgeschehen moderiert und Vorschläge macht. Er
führt hingegen nicht über strikte Anweisungen, Druck und Antreiberei. Verantwortung und Kontrolle verbleiben bei den einzelnen
Mitarbeitern oder im Team. Und so hören wir von ihm: »Ich traue
jedem hier zu, dass er nur das bestellt, was er wirklich benötigt.
Deshalb brauchen Sie meine Unterschrift nicht.« Sogar in schlechten Zeiten sendet er Appelle wie diesen: »Wir wollen Ihnen keine
Vorgaben machen, wo Sie sparen sollen. Sie alle wissen, wie man
einen Haushalt führt, wenn’s mal enger wird.« Und dann lädt er
seine Leute zu einem Ideenfeuerwerk ein. Beim Hardware- und
Softwarehersteller EMC beteiligten sich einmal Tausende von Mitarbeitern an einer solchen Aktion und wiesen auf unwirtschaftliche Prozesse hin, von denen die Chefs großteils gar nichts wussten.
»Wir haben im letzten Jahr die neue Marke Spar Enjoy zur größten
›Food to go‹-Eigenmarke des österreichischen Lebensmittelhandels
aufgebaut. Aufbau heißt in diesem Zusammenhang: Alle für den
Kunden sichtbaren Veränderungen und auch alle strukturellen, logistischen, vertrieblichen und qualitätstechnischen Ablaufprozesse
wurden von Grund auf neu entwickelt und implementiert. Nach
der Initialzündung war mir als Projektleiter besonders wichtig, dass
ich mit Begeisterung und als Motivator den begonnenen Prozess
ständig am Laufen halte. Das gelingt nur durch gegenseitigen Respekt und entsprechende Handlungsfreiräume für alle Beteiligten.
Wichtigster Wegbegleiter ist dabei das wertschätzende WIR. Wenn
so ein Prozess dann voll im Gange ist und alle Stoßrichtungen festgelegt sind, kann ich mich jederzeit zurücknehmen, ohne Einbußen an der hohen Dynamik eines solchen Projekts«, erläuterte mir
Markus Maximilian Holnsteiner, Business-Process-Manager in der
Spar-Zentrale in Salzburg.
Ein Katalysator steckt das Spielfeld ab, in dem seine Leute dann
spielen können – nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, abhängig von Aufgabe und Mitarbeitertypologie. Er schafft Orientierung,
gibt die Anforderungen vor und sorgt für einen reibungslosen Pro-
212
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
zessablauf. Immer bietet er seine Hilfe an, doch nur im Notfall greift
er steuernd ein. Wenige Spielregeln bestimmen, was geht und was
nicht. Eine funktionierende Fehlerkultur und regelmäßige Feedbackschleifen sichern ein zügiges Voranschreiten der Projekte und
Initiativen. Besprochen werden folgende Punkte:
{{ Was wurde seit dem letzten Mal geschafft?
{{ Was sind die nächsten Schritte?
{{ Was hat besonders gut geklappt?
{{ Welche Hindernisse sind aufgetaucht?
{{ Was können wir beim nächsten Mal besser machen?
Die Kommunikation ist bei all dem flott, offen, ehrlich und vertrauensvoll. Während beim alten Führungsstil Projekte ständig
stocken, weil man auf Entscheidungen von oben warten muss, ist
das Vorgehen hier schnell und agil. Flexibel und wendig kann sich
die komplette Mannschaft auf die immer neuen Überraschungen
des Marktes und die volatilen Wünsche der Kunden konzentrieren.
Drei wichtige Zutaten sind dabei unabkömmlich: Eigenverantwortung, verbindliche Absprachen und Verlässlichkeit.
So fördert ein Katalysator die Selbstorganisation seiner Leute. Er
brennt sie nicht aus und er hält sie auch nicht klein, er macht sie
vielmehr stark, damit sie dem Unternehmen ihre ganze Energie geben können. Sein Team arbeitet auf höchstem Niveau. Er versteht,
dass es dazu nicht nur Wissen und Können braucht, sondern auch
Humanorientierung und Menschlichkeit. Konsequent zu sein, ist
ihm absolut wichtig. Ambitionierte Ziele hat er sowieso. Und er
bringt andere dazu, mit ihm gemeinsam zu wachsen.
Wer hoch hinaus will, folgt einem Freund lieber als einem Feind.
Und wer möchte, dass seine Leute gut mit den Kunden umgehen,
der muss gut mit seinen Leuten umgehen. All das hat mit »Weichei-Führen« und Schmusekurs rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Nur in kreativen Freiräumen können Spitzenleistungen
entstehen. Denn Kreativität – die Schlüsselressource der Zukunft –
Die »neue« Führungskraft
213
braucht Weite. Und Entspannung im Hirn. Und Heiterkeit. Wo Liebe und Lachen Raum haben, verschwindet die Angst. Verängstigte
Mitarbeiter hingegen haben die unangenehme Eigenschaft,
allerhöchstens mittelmäßige Arbeit abzuliefern.
Für BestIn der analogen Welt galt die hart durchgreiresultate auf
fende, gefürchtete und bisweilen skrupel­lose
­Dauer sind vor
Führungskraft als die bessere Wahl. Ihr Vorallem Beziehungs­ gehen kann auch heute noch zu kurzfristiarchitekten von­
gen (Schein-)Siegen führen. Um allerdings
nöten – und nicht
in unserer neuen Zukunft Best­
resultate
performance­
auf Dauer zu sichern, sind vor allem Bezieorientierte Zahlen­ hungsarchitekten vonnöten. Visionär auf
menschen.
die Zukunft ausgerichtete Kataly­
satoren
sind Treiber des unternehmerischen Erfolgs.
Ein performanceorientierter Zahlenmensch
hingegen ist ein Erfolgskiller. Warum? Weil er
als Machtmensch Druck macht, extrem strukturierte Arbeitsabläufe vorgibt, penibel Ergebnisse mit
gesetzten Zielen vergleicht und Fehler nicht zulässt. Der
Katalysator hingegen schafft ein gesundes Arbeitsumfeld und
fördert die Selbstorganisation seiner Mannschaft. Er erkennt Leistungen an, setzt auf Fairness, Kommunikation und Innovation.
Katalysatoren besitzen eine ausgesprochen hohe emotionale Intelligenz. Sie können zwar auch unbeirrt und hart durchgreifen,
schätzen aber aufgrund ihrer sozialen Begabung sehr viel besser
ein, wann dies in welcher Form notwendig ist. Sie haben nicht nur
die Interessen des Unternehmens, sondern auch gute zwischenmenschliche Beziehungen im Sinn. Sie sind exzellente Networker
und dementsprechend extrem stark vernetzt. Sie setzen ihre Mitarbeiter im Kern ihrer Talente ein und orchestrieren ein Hochleistungsteam. Wie Hochleistungsteams entstehen?
Hochleistungsteams kommunizieren über eine positive Wortwahl,
während in Low-Performance-Teams Worte der Abneigung, Kritik
214
Teil 2: Leadership in unserer neuen Arbeitswelt
und Zynismus vorherrschen. Hochleistungsteams tendieren ferner
dazu, wertvollen Input und neue Gedanken von außen in das Team
zu bringen. Sie sind darüber hinaus in der Lage, den Vorschlägen
und Gedanken anderer zu folgen und diese weiterzuentwickeln,
während Niedrigperformer Ideen von außen abblocken und den
eigenen Standpunkt als das Nonplusultra verfechten. Dies und vieles mehr hat der chilenische Psychologe Marcial Francisco Losada
herausgefunden, der zum Thema Hochleistungsteams forscht.
Katalysatoren haben einen ausgeprägten Chancenblick. Sie lieben
die Zukunft, alles Quirlige, die sich digitalisierende Welt – und neue
Ideen. Sie sind offen für interessante Vorschläge und haben Mut
für Experimente. Vielversprechende Initiativen erhalten bei ihnen
eine Überlebenschance. Kreative Köpfe fühlen sich, wie Untersuchungen des Soziologen Richard Florida zeigen, vor allem dort
hingezogen, wo die drei T zu finden sind: Technologie, Talente und
Toleranz.94 Genau das ist die Welt der Katalysatoren. Sie schaffen
Orte, an denen es vor Hochbegabten geradezu wimmelt. Solche Talente arbeiten zum Beispiel bei Google, »weil wir solche Menschen
in die Lage versetzen, die Welt zu verändern«, haben die GoogleGründer Sergey Brin und Larry Page einmal gesagt.
Katalysatoren haben ausgewiesene Marketingkompetenzen und
ein überdurchschnittlich hohes Kundenverständnis. Sie empfinden Leidenschaft für ihre Sache und strahlen diese auch aus. Ihre
Freude an der Arbeit überträgt sich auf alle, die von ihnen geführt
werden. Sie bringen PS auf die Straße. Und sie lieben die Menschen mehr als die Macht. Solche oft charismatischen Führungspersönlichkeiten verfügen nicht nur über einen hohen Antrieb
und Begeisterungskraft, sondern auch über Einfühlungsvermögen
und Diplomatie. Sie haben einen Sympathie-, bisweilen sogar einen Bewunderungsbonus. Solchen Chefs verzeiht man auch mal
einen Schnitzer. Sie kommen einer menschlichen »Lovemark« am
ehesten nahe. So wachsen für Katalysatoren in Touchpoint-Unternehmen die Menschen oft über sich selbst hinaus.
Die »neue« Führungskraft
215
Teil 3
Führungstool für
­u nsere neue
Arbeitswelt:
Das Colla­
borator
­Touchpoint
Management
Das Collaborator Touchpoint
­Management
Unternehmen können in Zukunft nur noch dann überleben, wenn
sie die Intelligenz und die Schaffenskraft von Toptalenten für sich
gewinnen. Denn der Markt ist gnadenlos. Und Kunden kennen
kein Pardon. An jedem Berührungspunkt und in jedem »Moment
der Wahrheit« muss Großes passieren. Wenn es nur an einer einzigen Stelle klemmt oder ein einzelner Mitarbeiter patzt, dann
kann das heute schon das Aus bedeuten. Künftig darf es in den
Unternehmen also auch nicht mehr darum gehen, nur einige wenige High Potentials mit viel Aufwand zu fördern. Egal,
ob auf Dauer oder auf Zeit eingestellt, und egal auch,
ob als Interner oder Externer projektweise eingebunden, alle Mitarbeitenden müssen ihre Bestleistung abliefern können und wollen. Wie ein
Collaborator
Unternehmen das hinbekommt? Durch den
Touchpoint
CTMP® Collaborator Touchpoint Manage­Management:
­Koordination aller
ment Prozess.
­Berührungspunkte
zwischen den
Unter »Collaborator Touchpoint ManageFührungskräften
ment«, übersetzt: Mitarbeiterkontaktpunktund Mitarbei­
Management, verstehe ich die Koordinatenden ­einer
tion aller Berührungspunkte zwischen den
­Organisation.
Führungskräften und Mitarbeitenden einer
Organisation. Ziel des insgesamt vierstufigen
Prozesses ist es, die Kontaktqualität zu verbessern,
inspirierende Arbeitsplatzbedingungen zu gestalten
und – im Rahmen eines wertschätzenden Klimas – ansprechende Leistungsmöglichkeiten zu schaffen. Jede Interaktion
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
219
kann als Chance genutzt werden, die Exzellenz des Mitarbeitenden
zu erhöhen, seine emotionale Verbundenheit zum Unternehmen
zu stärken und wirkungsvolle Mundpropaganda nach innen und
außen auszulösen.
An jedem Touchpoint können positive wie auch negative Erfahrungen gemacht werden, die eine Mitarbeiterbeziehung stärken oder
zermürben beziehungsweise das Engagement wachsen oder bröckeln lassen. Jedes Vorkommnis kann dabei Zünglein an der Waage
sein. Deshalb werden auch die verschiedenen Mitarbeitertypologien und das sich daraus ableitende unterschiedliche Mitarbeiterverhalten beleuchtet, um die jeweils individuellen Arbeitsmotive
ermitteln und die spezifischen Talente besser fördern zu können.
Hierdurch sollen zwischenmenschliche wie auch organisatorische
Motivationshemmer erkannt und weggeräumt werden, sodass
sich die Mitarbeiter auf hohem Niveau voll entfalten können. Am
Ende ist es die Summe der Details, die den Ausschlag dafür gibt, ob
ein Mitarbeiter im »Müssen« verbleibt oder ins »Wollen« kommt,
ob er eine Durchschnitts- oder Spitzenleistung erbringt und ob er
bleibt oder geht.
Das Collaborator Touchpoint Management betrachtet also die
»Reise« eines Mitarbeitenden durch das Unternehmen und geht
von dessen Standpunkt aus. Hierbei berücksichtigt es die Anforderungen an unsere neue Arbeitswelt. Und es ordnet deren zunehmende Komplexität in ein Gesamtsystem. Dazu arbeitet die Führungsmannschaft abteilungsübergreifend vernetzt und mit Blick
auf den kontinuierlichen Wandel. Alle Mitarbeitenden werden auf
das Wohlergehen der Kunden ausgerichtet. So erhöht die stetige,
intensive Auseinandersetzung mit jedem Touchpoint nicht nur die
Mitarbeiterperformance, sie legt auch Effizienzreserven frei. Sie
führt intern zu einer Ressourcenoptimierung sowie zu Zeit- und
Kosteneinsparungen. Und extern führt sie zu einer Stärkung der
Arbeitgebermarke, zu einer höheren Kundenloyalität, zur Neukundengewinnung durch Weiterempfehlungen und damit zu gesunden Erträgen.
220
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Der entscheidende Unterschied zu klassischen Vorgehensweisen ist
der, dass sich im internen Touchpoint-Management die notwendigen und sinnvollen Maßnahmen nicht länger als Vorgaben von
oben über die jeweiligen Zielpersonen ergießen. Vielmehr werden
die zu bearbeitenden Punkte mit den Organisationsmitgliedern gemeinsam und auf partnerschaftlicher Basis in Angriff genommen.
So werden die Mitarbeiter zu aktiven Beratern des Managements,
was teures Consulting durch große Beratungsfirmen oft verzichtbar werden lässt. Denn das meiste Wissen steckt schon in den Unternehmen, es muss nur noch herausgekitzelt werden.
Niedrighierarchische Methoden und kollaborative Prozesse werden
deshalb in den folgenden Ausführungen den Vorrang haben.
Der CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess besteht
aus vier Schritten mit je zwei Etappen:
1.Die Ist-Analyse. Sie besteht aus folgenden Teilschritten:
a.Erfassen der mitarbeiterrelevanten Kontaktpunkte
b.Dokumentieren der Ist-Situation aus Mitarbeitersicht
2.Die Soll-Strategie. Sie besteht aus folgenden Teilschritten:
a.Definieren der optimalen Soll-Situation aus Mitarbeitersicht
b.Finden passender(er) Vorgehensweisen
3.Die operative Umsetzung. Sie besteht aus folgenden Teil­schritten:
a.Planung relevanter Maßnahmen, die zur Soll-Situation
­führen
b.Umsetzung eines passenden Maßnahmenmixes
4.Das Monitoring und Controlling. Dies besteht aus zwei Teil­
schritten:
a.Messen der Ergebnisse
b.Weitere Optimierung der Prozesse
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
221
Dieser Prozess lässt sich mithilfe einer Abbildung, die Sie bereits
kennen, folgendermaßen darstellen:
Der CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess
© Anne M. Schüller
Ist
Soll
Aktion
Monitoring
Identifizieren
der Mitarbeiterkontaktpunkte
Was würden
die Mitarbeiter
denn wollen?
Planen von
relevanten
Maßnahmen
Erfolgskontrolle:
Wie war’s?
Analysieren
der jeweiligen
Ist-Situation
Was können /
müssen wir
zukünftig tun?
Umsetzung
prioritärer
Maßnahmen
Prozessoptimierung:
Was nun?
Abb. 10: Die vier Schritte des CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozesses
In Schritt 1 werden zunächst alle Interaktionspunkte gesichtet, die
ein Bewerber mit dem Unternehmen und ein Mitarbeitender im
Rahmen der Zusammenarbeit mit einer Führungskraft hat oder
haben könnte. Sind diese aufgelistet, werden die Ereignisse, die
dort passieren, den Kategorien »enttäuschend«, »okay« und »begeisternd« zugeordnet. Dabei geht es sowohl um die kritischen Geschehnisse als auch um die positiven Erlebnisse, die einem dort
widerfahren oder im schlimmsten Fall widerfahren könnten. Die
Mitarbeitenden werden durch passende Fragestellungen aktiv in
diese Analysephase mit eingebunden.
Schritt 2 beinhaltet das Definieren der angestrebten Zielsituation
und das Sondieren passender(er) Vorgehensweisen an solchen Interaktionspunkten, die man für die anvisierten Mitarbeitergruppen
optimieren will. Hierbei geht es sowohl um eine unternehmens-
222
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
kulturelle Basis als auch um die konkreten Dos and Don’ts, also
darum, was erwünscht und was unerwünscht ist.
Schritt 3 befasst sich mit der Planung und Umsetzung von Maßnahmen, die von der analysierten Ist-Situation zur gewünschten
Soll-Situation führen. Vieles muss dabei von den Führungskräften
selbst in die Hand genommen werden, manches lässt sich an einen
internen Touchpoint-Manager übertragen, und einiges kann zum
Beispiel im Rahmen von Großgruppen-Events mit den Mitarbeitern gemeinsam konzipiert werden. So erzeugt man den »MeinBaby-Effekt«. Weniger ist dabei mehr. Man wählt also ein Thema,
das sowieso schon allen auf den Nägeln brennt. Oder man fängt mit
wenigen wichtigen Touchpoints an. Oder man wählt einen »Quick
Win« zum Start, also eine Maßnahme, die schnelle Resultate verspricht.
In Schritt 4 geht es um das Ergebnis-Monitoring und das Optimieren der Führungsarbeit. Touchpoint-Maßnahmen sollten vor allem
langfristig positive Auswirkungen auf die mitarbeiterbezogenen
Kennzahlen haben, wie etwa auf die durchschnittliche Verweildauer, die Fluktuationsrate, die Kranktage, die Empfehlungsbereitschaft und die Mitarbeiterproduktivität.
Diese vier Schritte können als Gesamtsystem durchlaufen werden, aber auch für einen einzelnen zu optimierenden Touchpoint.
Schauen wir uns die einzelnen Schritte nun in aller Ausführlichkeit an.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
223
Schritt 1: Die Ist-Analyse
In diesem Schritt geht es zunächst um eine abteilungsübergreifende, umfassende Bestandsaufnahme aller Touchpoints und danach
um das Dokumentieren der Ist-Situation. Betrachtet werden
{{ die Kontaktpunkte, die ein Mitarbeitender mit der Organisation
als solcher und den Rahmenbedingungen an seinem Arbeitsplatz hat, und
{{ die Interaktionspunkte, die sich mit den Menschen in seinem
beruflichen Umfeld und insbesondere mit seiner Führungskraft
ergeben.
Wichtig nach der Auflistung wird dann im Folgenden sein, alles
konsequent durch die Brille der Mitarbeitenden zu betrachten, also
auch mit der ganzen Emotionalität, die zwangsläufig damit verbunden ist. Insofern werden sich mitarbeiterindividuell sogenannte
Super-Touchpoints herauskristallisieren. Das sind solche, an denen
es zu einem ganz besonders intensiven Austausch kommt. Sie graben sich tief in das Bewusstsein ein. Sie bewirken die nachhaltigsten Kicks und erzielen in Bewertungen die höchsten Ausschläge.
Diese sind mit besonderer Obacht zu behandeln, da sie einen sehr
hohen Einfluss auf die Performance eines Mitarbeiters sowie auf
dessen Loyalität und Empfehlungsbereitschaft haben.
Das Auflisten der internen Touchpoints
Im Rahmen der Analyse werden zunächst alle Interaktionspunkte
aufgelistet, die ein (potenzieller) Mitarbeiter mit seinem Unternehmen und im Zuge der Zusammenarbeit mit einer Führungskraft
hat – oder haben könnte. Dabei kann sich die Analyse auch auf
einzelne Mitarbeitergruppen oder Führungsebenen konzentrieren.
Klassischerweise findet eine solche Unterteilung nach folgender
Systematik statt:
224
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Kommen= Touchpoints vor Beginn der Zusammenarbeit
{{ Bleiben = Touchpoints während der Zusammenarbeit
{{ Gehen = Touchpoints nach Beendigung der Zusammenarbeit
Diese Abfolge lässt sich gut in Form einer Grafik darstellen, idea­
lerweise als Reise des Mitarbeiters durch das Unternehmen, im
Englischen Collaborator Touchpoint Journey genannt. Wie bei einer richtigen Reise gibt es eine mehr oder weniger große Zahl von
Haltepunkten, an denen man die unterschiedlichsten Dinge erlebt.
Jede Reise lässt sich zudem in Etappen einteilen. Wir können das
sogar auf einen Tagesausflug, also einen typischen Arbeitstag im
Leben eines Mitarbeiters, herunterbrechen. Tja, und wenn einer
eine Reise tut, dann kann er was erzählen …
© Anne M. Schüller
Bleiben
Gehen
BEGEISTERUNG ENTTÄUSCHUNG
Kommen
Abb. 11: Die »Reise« eines Mitarbeiters durch das Unternehmen
Durch eine solche Visualisierung können mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Kontaktpunkten erkannt
sowie Synergieeffekte aufgedeckt werden. Hat man die Interaktionsmöglichkeiten erst einmal in eine logische Abfolge gebracht,
lässt sich deren Zusammenspiel dann systematisch optimieren und
mitarbeiterfreundlich(er) gestalten.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
225
Die »Reise« des Mitarbeiters in fünf Etappen
Die klassische Dreiteilung in Kommen, Bleiben, Gehen muss allerdings heute erweitert werden. Denn immer öfter wird, wie bereits
eingangs gesagt, von Bewerbern zuerst das Web angesteuert. Nicht
selten endet auf diese Weise die Reise, noch bevor es überhaupt
zu einem ersten direkten Kontaktversuch gekommen ist. Die Angestellten haben mit ihren Botschaften darüber entschieden. Am
Anfang und am Ende einer Mitarbeiterbeziehung stehen also zunehmend die Influencing Touchpoints. Sie können jede noch so
toll inszenierte Recruiting-Maßnahme übertrumpfen oder zunichtemachen. Doch das hat auch sein Gutes. Denn die hohe Transparenz kann für eine bessere Passung sorgen. Am Ende werden die
Besten bei den Besten landen. Und die Schlusslichter unter den
Arbeitgebern werden mangels qualifizierter Mitarbeiter aufgeben
müssen.
So gibt es also nun fünf Gruppen von Touchpoints, respektive fünf
Phasen, die man ins Kalkül ziehen muss:
{{ Influencing Touchpoints: Phase der Informationssuche
{{ Recruiting-Touchpoints: Phase der Entscheidungsfindung
{{ Loyalty-Touchpoints: Phase der Zusammenarbeit
{{ Exit-Touchpoints: Phase der Kündigung und danach
{{ Influencing Touchpoints: Phase der Beeinflussung Dritter
Für die Kundenseite gilt übrigens Ähnliches. Hier hat speziell die
Markenartikelindustrie eine interessante Einteilung gefunden. Sie
spricht von sogenannten Paid Touchpoints, Owned Touchpoints
und Earned Touchpoints. Das sind solche, die sich ein Unternehmen kauft (Anzeigen usw.), solche, die es besitzt (Webseite usw.),
und solche, die man sich durch den Aufbau guter Kundenbeziehungen verdient (Bewertungen usw.). Und auch dort hat sich der
Fokus von den bezahlten zu den verdienten Touchpoints verschoben.
226
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Die Zahl der Touchpoints steigt – am Beispiel Recruiting
­gezeigt
In den letzten Jahren hat sich – auch bedingt durch die zunehmende Digitalisierung – die Anzahl der Mitarbeiter-Touchpoints um ein
Vielfaches erhöht. Als Beispiel kann hier das Recruiting dienen.
Im strategischen Recruiting geht es einerseits um eine langfristige Komponente, oft auch Employer Branding genannt, und andererseits um die kurzfristige Besetzung von offenen Stellen mit
menschlich passendem, qualifiziertem und motiviertem Personal.
Zu analogen Zeiten war beim Suchen und Finden adäquater Bewerber kaum mehr als ein halbes Dutzend Kontaktpunkte zu
meistern. Diese wurden praktisch alle vom Unternehmen gesteuert. Wer nicht genügend Kandidaten zusammenbekam, schaltete
einfach weitere Stellenanzeigen. Die Bewerber traten als Bittsteller
auf – und kauften die Katze im Sack. Nicht selten wurden sie mit
vollmundigen Versprechen geködert, die wie Seifenblasen platzten, nachdem die Probezeit vorüber war. Ein
Vorabblick hinter die Kulissen war Interessierten
nur dann möglich, wenn es im eigenen Umfeld
jemanden gab, der ehrlich Rede und Antwort
stand.
Bei der Stellen­
Heute müssen die Unternehmen ganz anders agieren, vor allem dann, wenn es um besetzung hat sich
die Macht von der
Toptalente, High Potentials und ausgesuchte
Anbieter- auf die
Fachkräfte geht. Denn diese können unter
Nachfragerseite
vielfältigen Angeboten wählen. Und sie beverlagert.
werben sich erst, nachdem sie ein Unternehmen im Web unter die Lupe genommen haben. So hat sich die Macht von der Anbieter- auf
die Nachfragerseite verlagert. Das »Reh« hat nun
die Flinte in der Hand. Eine Fülle direkter RecruitingTouchpoints ist so entstanden:
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
227
{{ die eigene multimediale HR-Webseite
{{ Präsenzen auf den verschiedenen Jobbörsen im Web
{{ ein eigenes Karriere-Blog
{{ eine Facebook-Karriereseite
{{ Recruiter-Profile auf Xing und LinkedIn
{{ Aktivitäten auf Twitter, Google+, Foursquare,
Pinterest & Co.
{{ Aktivitäten in Recruitingforen und Karrieregruppen
{{ Videos auf YouTube & Co., Audio-Podcasts, Fotostrecken
{{ Profile auf Kununu und weiteren Bewertungsportalen
{{ Mobile Recruiting, QR-Codes, Apps
{{ Recruiting-Events im eigenen Haus, an Schulen und Unis
{{ Präsenzen auf Jobmessen, Web-Karrieremessen,
­Branchen­treffen
{{ Projektbörsen, Karrierenetzwerke, Career Clubs
{{ Mitarbeiter- und Employer-Branding-Broschüren
{{ klassische Stellenanzeigen, Plakate, Radio- und Kinowerbung
{{ Guerilla-Recruiting, Ambient-Media
Hinzu gesellen sich eine Menge weiterer Punkte:
{{ Personalberater, Arbeitsagenturen, Executive Searcher
{{ databasierte Reputationsdienste
{{ Mitarbeiterempfehlungsprogramme
{{ Initiativbewerber-Pool
{{ Talentpools, Talent Cloud, Talent-Relationship-Management
{{ Active Sourcing (proaktive Suche nach Kandidaten im Web)
{{ Referenz- und Onlineprofil-Checks
{{ biografische Onlinefragebögen, Lebenslauf-Datenbanken
{{ Vorstellungsgespräche, Telefoninterviews, Videointerviews
{{ Eignungstests, Persönlichkeitstests, Diagnostik-Tools
{{ Planspiele, Assessment-Center, Job-Castings,
Recruiting-Games
{{ Schnuppertag, Probearbeiten, Arbeitsproben
{{ Praktikanten- und Werkstudentenverträge,
Traineeprogramme
228
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Ehemaligen-Programme, Alumni-Klubs
{{ Betreuung von Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten
{{ Presseberichte, redaktionelle Beiträge, Fachbeiträge in Blogs
{{ Arbeitgeber-Zertifizierungen
{{ Arbeitgeber-Rankings und HR-Awards
In vielen Unternehmen kommen bei genauem Nachzählen allein
für das Recruiting inzwischen schon über fünfzig Kontaktpunkte
zusammen. Und meist ist es ein Mix aus mehreren Touchpoints,
der für eine Bewerbung schließlich den Ausschlag gibt. Eine Einszu-eins-Messung, die zeigt, welcher Touchpoint am Ende der ausschlaggebende war, ist schon allein aus diesem Grund gar nicht
möglich. Am ehesten kann man sich einer solchen Analyse nähern,
indem man den Kandidaten folgende Frage stellt: »Wie sind Sie
eigentlich ursprünglich auf uns aufmerksam geworden?«
Recruiting-Kreativität ist heute ein Muss
Eine Analyse von außen zeigt: Langsam müssen sich die Recruiter
wirklich was einfallen lassen. Stellenanzeigen, die noch genauso
aussehen wie vor fünfzig Jahren, der Einheitsbrei vergleichbarer
Texte, das floskelhafte Geschwafel und die Bilderdatenbankmenschen in den HR-Broschüren locken bald niemanden mehr. Vakanzen müssen kunstfertig verkauft und Kandidaten wie Kunden angesprochen werden. Parallel dazu müssen althergebrachte Abläufe
infrage gestellt und interne Prozesse umgekehrt werden, damit die
Bewerber sich tatsächlich umworben fühlen. Und keine Berührungsängste, bitte! Von den Kollegen aus Sales & Marketing kann
man dazu eine Menge lernen. »Wer im Vertrieb die geforderten
Zahlen nicht bringt, ist seinen Job schnell wieder los. Wenn aber
bei den Personalern die Bewerberausbeute nicht stimmt, dann sind
alle anderen schuld: der Arbeitsmarkt, die Demografie, der Standort, das Image«, sagte mir Jörg Buckmann, Leiter Personalmanagement bei den Züricher Verkehrsbetrieben (VBZ).
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
229
Auch Buckmann hat manchmal Not, genügend
Mitarbeitende zu finden. Deshalb hat er mit
Frechmut eine Reihe von kreativen Kampagnen gemacht. Zum Beispiel werden offene
Stellen bei den VBZ so herum ausgeschrie»Markus Amrein,
ben: »Markus Amrein, Leiter ProjektmaLeiter Projekt­
nagement, bewirbt sich bei Ihnen als Ihr
management,
neuer Chef.« Oder so: »Hansjörg Feurer,
bewirbt sich bei
Leiter Betrieb Bus, bewirbt sich als Ihr neuer
Ihnen als Ihr
Chef.« Auf diese Weise haben sich inzwischen
neuer Chef.«
schon annähernd hundert Führungskräfte
persönlich mit einem Jobvideo bei zukünftigen
Mitarbeitern vorgestellt. Das überrascht, wirkt
authentisch und ermöglicht einen Rundumblick auf
den jeweiligen Arbeitsplatz. Wem das Gezeigte nicht passt,
der bewirbt sich erst gar nicht. Und niemand kauft die Katze
im Sack. Trambahnfahrerinnen fand Jörg Buckmann mithilfe von
Plakaten, und zwar so: »Die Verkehrsbetriebe Zürich suchen flinke Kellnerinnen und aufgeweckte Bäckerinnen für unsere Tramcockpits.« Der Frauenanteil verdoppelte sich daraufhin von 19 auf
40 Prozent. Die Fahrgäste wissen die Dienstleistungsorientierung
solcher Quereinsteigerinnen zu schätzen. Die Kosten waren alles in
allem niedriger als bei klassischen Stellenanzeigen. Und die Medien
berichteten über beide Aktionen ausführlich.
Insgesamt spielt für Personaler das E-Recruiting, also all das, was
online passiert, eine zunehmend vorherrschende Rolle. Viele Unternehmen gehen inzwischen dazu über, dieses proaktiv zu betreiben. Einerseits sammeln sie Daten von Interessenten, die ihre
Karriereseiten und Social-Media-Präsenzen besuchen, und andererseits checken sie die Profile interessanter Personen im Web, um
diese bei einer Passung direkt anzusprechen (Active Sourcing). Recherche statt Ausschreibung heißt dieses Prinzip. »Anstatt wie ein
Bibliothekar zu recherchieren, geht es künftig darum, zu Kandidaten eine Beziehung zu kultivieren – vergleichbar mit dem Vorgehen von Vertriebsmitarbeitern mit ihren Kunden«, sagt Brad W
­ arga
230
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
von Data-Based-Recruiting-Anbieter Gild in einem Gespräch mit
derW&V.95
Die (frisierte) Bewerbermappe spielt oft nur noch eine untergeordnete Rolle. Vorrangig zählt, was man durch Googeln erfährt. Große
Personalberatungen beschäftigen inzwischen ganze Abteilungen
damit, die Onlinereputation von Menschen zu checken. Denn wie
bei einem Puzzle zeigt sich über die digitale Inszenierung das wahre Aspiranten-Gesicht. Jenes nämlich, das man weit weg von aller
Bewerbungsprosa und fernab verfloskelter Arbeitszeugnisse sehr
bald auch bei der täglichen Arbeit zu sehen bekommt. So sinken
für manche Kandidaten die Chancen allein schon deshalb auf null,
weil den Personalern deren schlecht gepflegte Onlinepersona nicht
passt. Denn »es fällt jedem Onliner schwer, sich jahrelang im Netz
zu verstellen«, sagt Kommunikationsprofi Klaus Eck in seinem
Buch Transparent und glaubwürdig.96
Die Ist-Situation an den einzelnen Touchpoints
Im zweiten Teil der Ist-Analyse werden die faktischen wie auch
die emotionalen Erlebnisse, die ein Mitarbeitender an einem Inter­
aktionspunkt hat oder haben könnte, beleuchtet. Dabei gibt es für
die Unternehmen unglaublich viele Möglichkeiten, es sich auf immer und ewig mit ihm zu vermasseln. Und es gibt ungefähr genauso viele Möglichkeiten, einen Fan fürs Leben zu gewinnen.
Die Analyse als solche findet auf drei Ebenen statt:
{{ Analyse des öffentlichen Feedbacks
{{ Selbstanalyse der Führungskraft
{{ Analyse mithilfe der Mitarbeiter
Da die öffentliche Wahrnehmung einen immer höheren Stellenwert einnimmt, fangen wir mit diesem Punkt auch gleich an.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
231
Die Analyse des öffentlichen Feedbacks
Wer will, kann heute so ziemlich alles erfahren, was hinter den
Mauern eines Firmengebäudes tatsächlich passiert. Am besten folgt
er dazu den Spuren derjenigen, die sich auf wiwi-treff.de und ähnlichen Portalen direkt an die Onlinegemeinde wenden. Ihre Fragen
klingen zum Beispiel so:
{{ Wer weiß, welche Einstellungstests bei der Firma xx im
­ ewerbungsgespräch gemacht werden?
B
{{ Gibt es bei xx ein Assessment-Center und wie läuft das ab?
{{ Wie viel verdient bei Euch ein Praktikant?
{{ Wie hoch ist das Anfangsgehalt für einen Vertriebseinsteiger?
{{ Stimmt es, dass es den Mitarbeiterbonus bei xx auch für Azubis
gibt?
{{ Kann mir jemand sagen, wie die Arbeitszeiten bei xx sind?
{{ Wie ist das Essen in Eurer Kantine?
{{ Wie gehen die Führungskräfte bei Euch mit den Leuten um?
{{ Welche Erfahrungen habt Ihr bei der Einarbeitung gemacht?
Und ganz gleich, ob die Unternehmen das wollen oder nicht:
Höchstwahrscheinlich wird sich ein Bewerber, Interner oder Ehemaliger finden, der die passenden Antworten gibt. Zumindest für
die größeren Organisationen ist die Zahl der Auskünfte schon recht
repräsentativ. Und weil sie öffentlich sind, also von jedem Interessierten gesucht und gefunden werden können, machen sie jedes
Arbeitsverhältnis bis ins kleinste Detail transparent. Potenzielle
Mitarbeiter erscheinen auf diese Weise bestens vorbereitet zum
Einstellungsgespräch. Vor schlechten Führungsmanieren können
sie rechtzeitig die Flucht ergreifen. Und jeder, der will, kann vorab
erfahren, was man auf den verschiedenen Positionen verdient.
Den Verantwortlichen in den Unternehmen zeigt sich durch das
Mitverfolgen solcher Onlinegespräche, welche Informationen kursieren, was von besonderem Interesse ist, wo es Glanzpunkte gibt
und um welche Schwachstellen man sich ganz schnell kümmern
232
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
sollte. Noch viel ergiebiger sind allerdings die Kommentare in Diskussionsforen und auf den bereits angesprochenen Arbeitgeber­
bewertungsportalen. Selbst YouTube ist voll von Clips, die frustrierte Mitarbeiter heimlich im Büro gedreht oder nachgestellt haben,
um Missstände und Fehlverhalten offenzulegen.
Dem Onlinegerede auf der Spur
Beim Webmonitoring geht es um das Beobachten und die Bewertung der Meinungsbildung zur Arbeitgebermarke im Internet.
Webmonitoring:
Dies ist die beste Echtzeit-Marktforschung
Eine regelmäßige
aller Zeiten: in Klartext, ungefiltert und
Analyse dessen,
unverblümt. Doch neben all den positiven,
was man im Web
wahren, weniger schönen und bisweilen
über Sie sagt,
überaus traurigen Schilderungen gibt es leiist Pflicht.
der auch die, die bösen Zwecken dienen: Verleumdung, Rufmord, Geschäftsschädigung. Gegen solche Machenschaften kann, soll und muss
ein Unternehmen rechtliche Schritte einleiten. Dies
lässt sich allerdings nur dann in die Hand nehmen, wenn
man das Ganze überhaupt mitbekommt. Eine regelmäßige
Analyse dessen, was man im Web über Sie sagt, ist also Pflicht. Dies
sollte genauso zur täglichen Routine gehören wie das Lesen der
Geschäftskorrespondenz und das Checken der wichtigsten Kennzahlen. Um dies zu bewerkstelligen, arbeiten HR und der SocialMedia-Manager, den wir ja schon kennengelernt haben, am besten
eng zusammen.
Dabei geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme. Legen Sie
hierzu eine Liste aller einschlägigen Plattformen an. Dann notieren
Sie die Begriffe, die Sie beobachten wollen. Dazu gehören Ihr Firmenname, die Namen der Geschäftsleitung sowie wichtige Fachbegriffe. Dann checken Sie, was im Web bereits über Sie steht. Das
Gleiche machen Sie bei Bedarf auch für Ihre Mitbewerber. Danach
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
233
richten Sie bei Google & Co. sogenannte Alerts ein. So erhalten Sie
täglich das neu hinzukommende Onlinegerede zugespielt.
Rufen Sie dazu im Internet die entsprechenden Eingabemasken
auf und folgen Sie den weiteren Anweisungen. Das ist kostenlos.
Oder besser noch: Automatisieren Sie das Zuhören. Verwenden Sie
Tools wie Addictomatic oder Social Mention zum Beobachten des
Mitmach-Web. So haben Sie mit dem geringstmöglichen Zeitaufwand eine größtmögliche Zahl von Websites im Blick. Und es entgeht Ihnen kaum mehr eine Erwähnung. Profis verwenden dazu
kostenpflichtige Social-Media-Analyseprogramme, die das Internet
mit »Crawlern« durchsuchen und relevante Informationen herausfiltern. So erhält der Personaler dann auch controllingtaugliche
Kennziffern wie Hotspot-Analysen (Wo wird über uns gesprochen?), Topics (Worüber wird gesprochen?), Buzzvolumen (Wie
oft wird über uns als Arbeitgeber gesprochen?) und Tonalität (Wie
sprechen die User über uns?).
Analysieren Sie in der Folge alle gefundenen Angaben auf ihren
Inhalt hin. Überlegen Sie, was Sie daraus lernen können und wie
Sie das an den einzelnen Touchpoints weiterbringt. Stellen Sie sich
hierzu folgende Fragen:
{{ Welche Touchpoints werden am besten bewertet? Und was
f­ indet den größten Zuspruch dabei?
{{ Wo gibt es Optimierungsbedarf? Und wie können uns die
­Hinweise aus dem Web dabei helfen?
{{ Gibt es konkrete Verbesserungsideen? Und wie lassen sich
diese dann umsetzen?
{{ Welcher Bereich erhält ganz schlechte Noten? Gibt es Kritik,
die schnell Wellen schlagen könnte? Und wie reagieren wir
­darauf?
{{ Wenn Sie auch die Konkurrenz beobachten: Was können Sie
aus dem, wie andere Ihre Mitbewerber bewerten, für sich selbst
lernen?
234
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Erstellen Sie auf dieser Basis ein übersichtliches Reporting mit den
wichtigsten Ergebnissen im Überblick. Und entwerfen Sie einen
minutiösen Krisenplan für den Fall, dass Kritik tatsächlich eskaliert, zu einem epidemischen »Shitstorm« führt oder Medieninteresse auf sich zieht. In wirklich kritischen Fällen bleibt oft kaum
eine Stunde Zeit, um zu agieren.
Trolle nicht füttern
Sie haben negative Bewertungen erhalten? Im Web gilt Meinungsfreiheit! Zunächst ist jeder Onlinehinweis ein kostbares Geschenk:
eine Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein, oder eben ein
wertvoller Lerngewinn: eine Gelegenheit, Schwachstellen aufzudecken, Fehler abzustellen, Verbesserungsprozesse einzuleiten, Innovationen anzustoßen und Mitarbeiterfluktuation vorzubeugen.
Denn was einen Mitarbeiter ärgert, das stört womöglich andere auch.
Negativkommentare kommen ja keineswegs nur von Querulanten.
Konstruktive Kritiker haben ein echtes Interesse daran, dass erklärt
wird, wie es zu einer unguten Situation kommen konnte und was
unternommen wird, um so was in Zukunft zu vermeiden. So betrachten Profis kritische Hinweise im Web als Chance, sich zu verbessern. Nur für schlechte Arbeitgeber sind diese ein Ärgernis. Die
Besten sehen sie als kostenlose Echtzeit-Unternehmensberatung.
Immer geht es dabei auch um eine adäquate Reaktion. Bedanken
Sie sich bei denen, die Sie loben! Und, soweit nachvollziehbar: Melden Sie sich bei denen, die Beschwerden hatten – und schaffen Sie
deren Ärger schnellstmöglich aus der Welt! Dabei gilt: Nichts vernebeln, nichts vertuschen, die Wahrheit zählt! Gehen Sie sachlich
und höflich auf die wie auch immer geartete Kritik ein. Können
Sie die Person nicht ausfindig machen, dann schreiben Sie da, wo
dies möglich ist, einen passenden Kommentar. Doch reagieren Sie
besonnen! Also: keine Eskalation, keine wilden Drohungen, kein
Rechtsanwalt! Und ja keine Onlinedementis. Je mehr Text zu einer
Sache im Netz steht, desto interessanter ist das für die Suchmaschi-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
235
nen. Und desto weiter vorn findet sich das Problem. Verbreiten Sie
stattdessen viel Positives, das verdrängt negative Schlagzeilen. Mit
etwas Glück springen wackere Fans für Sie in die Bresche.
Abzuraten ist auch von gefälschten Wortmeldungen, verordnetem
Einstellen von Kommentaren sowie von anonymem Eigenlob der
Führungskräfte. Und kaufen Sie keine Stimmen. Früher oder später fliegen solche miesen kleinen Schummelmethoden auf.
Zwei Punkte noch: Gegen konkrete Namensnennungen kann man
vorgehen, denn es gilt das Persönlichkeitsrecht. Und gegen grobe Verleumdungen – sie sind ein Strafrechtsbestand – gehen Sie
in Abstimmung mit dem Portalbetreiber juristisch vor. Chronische
Störenfriede hingegen, man nennt sie auch Trolle, ignorieren Sie.
Die Regel dabei lautet: Don’t feed the troll.
Die Selbstanalyse der Führungskraft
Zunächst hat jede Führungskraft die Aufgabe, für sich selbst chronologisch aufzulisten, welche Interaktionspunkte es zwischen ihr
und ihren Mitarbeitenden gibt: vom ersten Moment des Kennenlernens über das gesamte Arbeitsverhältnis bis weit über eine etwaige Trennung hinaus. An jedem ausgewählten Touchpoint wird
dann die dortige Ist-Situation analysiert. Und zwar nach folgendem
Schema:
{{ Was ist begeisternd?
{{ Was ist okay?
{{ Was ist enttäuschend?
Zu klären ist also, was man weiterhin tun sollte, was optimiert werden kann und muss und was man in Zukunft lieber nicht mehr
oder stattdessen besser macht. Hilfreiche Fragen dabei sind:
236
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Was läuft prima? Und wann stellt sich ein Moment
großer Freude ein?
{{ Wo gibt es heikle Situationen?
{{ Was erwartet ein Mitarbeiter an diesem Touchpoint?
Und was nicht?
{{ Was könnte die Arbeitsleistung verbessern?
{{ Was könnte die Motivation intensivieren?
{{ Wo lauern Abwanderungsrisiken?
{{ Welcher (akute) Handlungsbedarf besteht aus Mitarbeitersicht?
{{ Wo droht eine Reputationsschädigung?
Ergeben sich positive Antworten, dann sollten die wichtigsten Erfolgskriterien gesammelt werden. Sehr schnell lassen sich so auch
Muster erkennen, die dann gezielt wiederholt werden können.
Doch es gibt natürlich auch Probleme, die durch eine solche Analyse offengelegt werden. Sie sind sogar in vielen Fällen längst bekannt. Zwangsläufig muss deshalb auch über folgende Fragen gesprochen werden:
{{ Was passiert, wenn (weiterhin) nichts passiert?
{{ Was hat mich / uns bislang daran gehindert, das Notwendige
zu tun?
Denn erst wenn die wahren Ursachen für Handlungsblockaden
­offenliegen, lässt sich etwas dagegen unternehmen. Oft besteht
bei Führungskräften auch die Tendenz, die eigenen Leistungen zu
beschönigen oder in einem zu warmen Licht zu sehen. Doch gerade im Kontext der neuen Arbeitswelt ist es wichtig, die Schwach­
stellen ausgiebig zu beleuchten, denn jedes »Dislike« kann öffentlich werden. Solange es gravierende Fehlleistungen gibt, werden
Sie keine Mitarbeitenden begeistern – und somit weder Engagement noch Loyalität erhalten. Und potenzielle Bewerber wenden
sich ab.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
237
Damit das Ausmerzen der Minderleistungen gezielt in Angriff genommen und als Herausforderung gesehen werden kann, sollte
man dem Prozess einen klingenden Namen zu geben. Die Führungsexpertin Heike Bruch schlägt »Den Drachen besiegen« oder
»Die Prinzessin vom Eis holen« vor.
Eine interessante Fragestellung ist übrigens die: »Was tut der Mitarbeiter in den fünf Minuten vor und in den fünf Minuten nach
seinem Kontakt mit mir (seiner Führungskraft)?« Schon allein diese Fünf-Minuten-Technik hilft ungemein, Abläufe und Vorgehensweisen mitarbeiterfreundlicher zu gestalten.
Um dem Positiven wie auch dem Negativen an den einzelnen
Touchpoints auf die Spur zu kommen, gibt es ergänzend zur Selbstanalyse einen weiteren sehr ergiebigen Weg: Man befrage die
Mannschaft, also die Mitarbeiter.
Die Analyse durch die Mitarbeiter
Um Rückmeldungen über den Status quo und die Wirkung dessen,
was an den einzelnen Touchpoints passiert, von den Mitarbeitern
zu erhalten, gibt es mehrere Möglichkeiten:
{{ Blitzlichter, also spontane Umfragen, die jederzeit möglich sind
{{ fokussierende Fragen
{{ klassische turnusmäßige Befragungen zur Mitarbeiterzufrieden-
heit
Insgesamt sollen Mitarbeiterbefragungen nicht nur das Motivationspotenzial messen, sie dienen vor allem dazu, Stärken und
Schwächen aufzuzeigen und die Beschäftigten mitgestaltend in die
Unternehmensprozesse einzubinden. So sind sie den Dingen nicht
ohnmächtig ausgeliefert. Ferner können sie als »interne Unternehmensberater« wertvolle Beiträge leisten. Verantwortungsbewusst-
238
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
sein und auch Akzeptanz entwickeln sich dabei fast wie von selbst.
Und die Führungsmannschaft erhält reichlich Futter für bessere
Arbeitsergebnisse und mehr Engagement.
Den Mitarbeitern kluge Fragen stellen
Gleich hier die frohe Botschaft vorweg: Die allseits beliebten, groß
angelegten, turnusmäßig stattfindenden, vermeintlich repräsentativen Mitarbeiterzufriedenheitsmessungen können Sie ab heute
vergessen. Die sind nicht nur furchtbar teuer, sondern im Mitarbeiter-Touchpoint-Management auch ziemlich wertlos. Sie sind
nämlich vergangenheitsorientiert, mühsam und träge. Wir wollen
aber nach vorne blicken, leichtfüßig und schnell agieren. Und wir
brauchen begeisterte Mitarbeiter, nicht nur Zufriedenheit. In den
üblicherweise umfangreichen Fragebögen werden sowieso nur solche Punkte abgeklopft, die für die Geschäftsleitung von Interesse
sind und statistische Vergleichswerte liefern. Bloß: Die Mitarbeiter
finden womöglich ganz andere Punkte erörternswert. Und Statisten in Statistiken wollen sie ganz gewiss nicht sein.
Ja, was kann das nicht alles bedeuten, wenn der Befragte überall ein »Gut« angekreuzt hat? Oder ein »Mangelhaft«? Auf die
richtigen Hintergründe zu kommen, wenn »Eher wichtig« oder
»Weniger wichtig« abgehakt wird, das ist wie stochern im Nebel.
Und wenn die Gesamtzufriedenheit gestiegen ist oder (nach dem
Schulnotensystem) von 2,3 auf 3,4 sank? Sie haben zwar einen genauen Wert, aber keinen blassen Schimmer, was unbedingt besser
gemacht werden muss. Und was sagt das Ergebnis am Ende darüber
aus, wie sehr sich die Belegschaft für das Erreichen der Unternehmensziele einsetzen will? Nichts!
Die Befragten wollen mit ihren Antworten womöglich auch Signale senden. Fakten und Botschaften vermischen sich dann und machen die Interpretation zu einem Ratespiel: Ist die Mitarbeiterzufriedenheit tatsächlich gesunken – oder wollen die Mitarbeiter nur
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
239
erreichen, dass eine bestimmte Führungskraft geht? Soll das komplette Management für den jüngsten Strategiewechsel abgestraft
werden? Womöglich hatten einige ganz einfach gute oder schlechte Laune am Erhebungstag. Außerdem: Die bei einer Folgebefragung besser ausgefallenen Ergebnisse können »dadurch zustande
gekommen sein, dass die Mitarbeiter tatsächlich Verbesserungen
wahrgenommen haben – oder aber dadurch, dass die Enttäuschten, Verärgerten und Resignierten nicht mehr geantwortet haben«,
schreibt dazu der Change-Experte Winfried Berner in einem lesenswerten Exposé.97
Klassische
Klassische Mitarbeiterbefragungen sind aus all
Mitarbeiter­
diesen Gründen gar kein Messinstrument, sonbefragungen
dern allenfalls ein Barometer für die punksind kein Mess­
tuelle Stimmung. Und auf einer solch wainstrument,
ckeligen Basis werden dann strategische
­sondern allenfalls
Entscheidungen getroffen! Da müsste sich
ein punktuelles
die Intelligenzija eigentlich wundern: WieStimmungs­
so so kompliziert? Und weshalb auf so eine
barometer.
aufwendige Weise? Wenn Menschen formlos ihre eigenen Worte wählen, anstatt nur
Vorgekautes abzuhaken, kommen garantiert
sehr viel wertvollere Dinge heraus. Sie wollen
mit solchen Erhebungen Benchmarks setzen, sich
also mit anderen messen? Benchmarking ist bloß
eine Aufholjagd, hat also mit Vorweggehen kaum was zu
tun. Repräsentativität ist ebenfalls Blödsinn, wie wir schon hörten. Die Spitzen und die Täler zeigen den Weg.
Zu beachten ist dabei, dass Menschen nicht immer wissen, was sie
wollen, dass sie aber immer vor sich selbst gut dastehen mögen –
und im Einzelfall eben berechnenderweise falsche Angaben machen. Bedenken wir auch, dass die Leute mitunter die merkwürdigsten Dinge sagen, nur um vor anderen gut auszusehen. Oder
dass wir nicht immer Zugang zu unseren wahren Motiven haben.
Denn die wabern im Unterbewussten. Und sie tarnen sich manch-
240
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
mal recht gut. Dabei machen wir uns am Ende selbst etwas vor.
Psychologen nennen das Wahrnehmungsgefängnis.
So stecken hinter den meist rational vorgetragenen sachlichen und
fachlichen Anlässen für Unzufriedenheit und Frustration der Mitarbeiter oft ganz andere, die wahren Gründe:
{{ Man hat sich nicht um ihr Wohlbefinden gekümmert.
{{ Man war unfreundlich oder unhöflich zu ihnen.
{{ Die Mitarbeiter haben keine Aufmerksamkeit bekommen.
{{ Sie haben fast nie ein Danke gehört.
{{ Ihnen wurde nie gesagt, wie wichtig sie als Mitarbeiter sind.
Wir müssen also klüger fragen.
Persönlich? Schriftlich? Telefonisch? Online?
Geht es um reine Umfragen, dann präferiere ich die schriftliche
Form. Face-to-Face hat allgemein in der Kommunikation zwar den
obersten Stellenwert, doch bisweilen kann das auch mal heikel
sein. Auf Papier neigen die Leute dazu, ehrlicher zu antworten und
sich auch überlegter auszudrücken. Sie kennen das: Nicht jedem
mag man alles direkt und geradeheraus ins Gesicht sagen.
Eine Alternative sind telefonische Interviews. Der Interviewer benötigt hierfür eine hohe emotionale Kompetenz. Er sollte einfühlend fragen und aufmerksam hinhören können. Er muss den Mitarbeiter ernst nehmen und ihm Wertschätzung entgegenbringen.
Und er muss signalisieren, wie wichtig die Sache für das Unternehmen und dessen Weiterentwicklung ist.
Bei der Dokumentation der Ergebnisse gilt es, die Äußerungen der
Befragten wortgetreu wiederzugeben. Auch die zutage getretenen
Emotionen sollten festgehalten werden. All dies wird gesammelt,
gesichtet und gewichtet. So entsteht eine nach Prioritäten geordne-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
241
te Liste von sachlichen, fachlichen und interpersonellen Mängeln,
die es zu beheben gilt. Neben Häufigkeiten und Zusammenhängen sollen auch einzelne Episoden im Detail eingefangen werden,
um sie für Aha-Effekte zu nutzen. Ein paar per Video abgespielte
O-Töne von aufgebrachten Mitarbeitern bewirken oft mehr als ein
ganzer Berichtsband voller Zahlenkolonnen, Kuchen und Balken.
Und Onlinebefragungen? Diese lassen sich zwar kostengünstig,
einfach und schnell durchführen, weshalb sie auch immer populärer werden, doch für unsere Zwecke sind sie nur bedingt einsetzbar. Denn meist geht es da um das reine Anklicken vorgegebener
Kästchen. Der Erkenntnisgewinn ist deshalb gering – es sei denn,
die Befragten können auch individuelle Antworten eingeben. Das
allerdings bedeutet einen erheblichen Mehraufwand bei der Auswertung. Nicht selten kommt es auch vor, dass bei jeder Frage nur
das oberste Kästchen angeklickt wird, um schnell mit dem Fragebogen fertig zu sein. Die Resultate sind dann nicht nur unbrauchbar, sondern auch verhängnisvoll, weil falsche Antworten falsche
Reaktionen zur Folge haben.
Online sollten Mitarbeiter auf andere Weise eingeladen werden,
ihre Erfahrungen, Wünsche und Ideen einzubringen: Per Voting
(Abstimmung) oder Ranking (Priorisierung) lassen sich Vorlieben
abfragen und Entscheidungen vorbereiten. So kann man auch Verbesserungsvorschläge testen. Dazu bietet man am besten folgende
Antwortoptionen an: »Diese Verbesserung ist entscheidend.« –
»Die Idee ist gut, aber nicht entscheidend.« – »Ist mir egal, brauche
ich nicht.« So lässt sich leicht zwischen »muss sein« und »unnötig«
unterscheiden, und das für den jeweiligen Mitarbeiter wichtigste
Merkmal kann herausgefiltert werden. Ein Unternehmen, das von
seinen Mitarbeitern (und Kunden) auf solche Weise rasches Feedback erhält, ist imstande, sich und seine Produkte deutlich flotter
zu verbessern als der Wettbewerb.
242
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Mit Blitzlicht-Umfragen schnell auf den Punkt
Im Touchpoint-Management favorisiere ich schnelle Aktionen und
damit auch die sogenannten Blitzlicht-Umfragen. Das sind kurze
Sequenzen, die jederzeit einsetzbar sind und hiernach zügige Korrekturen möglich machen. Möchte man einen einzelnen Touchpoint betrachten, macht man das so:
{{ Hier sind die Dinge top, weil …
{{ Hier ist alles so weit okay, weil …
{{ Hier sind die Dinge enttäuschend, weil …
Blitzlicht-Umfragen eignen sich auch dann, wenn man Leistungsaspekte gegeneinander testen will. In klassischen Fragenbögen sollen diese durch Ankreuzen von Kästchen bewertet und gewichtet
werden. Das Problem hierbei: So gefragt, finden die Mitarbeiter erst
einmal fast alles mehr oder weniger wichtig und gut. Mit falschen
Fragen erzeugt man also eine regelrechte Anspruchsinflation. So
kommen Unternehmen den scheinbaren Mitarbeiterwünschen
dann gar nicht mehr hinterher.
Bei Blitzlicht-Umfragen stehen stattdessen maximal vier Features
auf einer Liste. Dann lässt man den Mitarbeiter entscheiden, welches Merkmal ihm am wichtigsten und welches ihm am unwichtigsten ist. Der Gewinner aus Runde eins tritt gegen andere Merkmale in weiteren Runden an. In vier Runden können Sie dabei
insgesamt sechzehn Merkmale gegeneinander testen – und so zu
perfekten Leistungsbündeln kommen.
Leistungsmerkmal
am wichtigsten
am unwichtigsten
Merkmal 1
Merkmal 2
Merkmal 3
Merkmal 4
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
243
Eine noch simplere Methode: Man lässt die Mitarbeiter je zwei
Merkmale gegeneinander abwägen, etwa mit folgender Frage, die
mündlich oder schriftlich gestellt werden kann: »Was ist Ihnen
wichtiger, X oder Y?« Die Ergebnisse können bei der Prio­
risierung und dem Feintuning ausgewählter Aspekte
sehr hilfreich sein. Sie lassen sich nach Mitarbeitergruppen, Bereichen, Regionen und Nationalitäten weiter ausdifferenzieren.
Kluge Fragen
­machen Mitarbei­
ter zu kostenlosen
Unternehmens­
beratern.
Eine Sonderform der Blitzlicht-Umfragen
sind Onlineprognose­börsen. Dabei wird die
Fachexpertise der Mitarbeiter in einer konkreten Zahl gebündelt, die für Planungs­
zwecke oder Risiko­bewertungen hilfreich ist.
So können die Befragten Absatzmengen prognostizieren, Umsatzpotenziale schätzen oder
marktgängige Preise taxieren. Henkel konnte
auf diese Weise seine Prognosegenauigkeit von
69 Prozent (Expertenschätzung) auf 85 Prozent
(Mitarbeiterschätzung) verbessern, wie CrowdWorxGründer Alek­sandar Ivanov berichtet.98 Hierbei schnitten
die Lagermitarbeiter besonders gut ab, da sie sich mit Verkaufszyklen bestens a­ uskennen. Dies hatte eine Umsatzsteigerung im
dreistelligen Millionenbereich zur Folge.
Die Sprechblasen-Methode
Eine weitere Variante ist die Sprechblasen-Methode, und die geht
so: Man malt zwei Sprechblasen, die sich gegenüberstehen. In die
eine kommt die Aussage eines hypothetischen Dritten, die andere
ist leer, damit der befragte Mitarbeiter seine Antwort dort einsetzen
kann. Zwei Beispiele dafür:
244
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ich habe vor, mich bei euch zu
bewerben. Was sagst du dazu?
…………
………
Was würde der Gummibaum
in Ihrem Büro zu
unserer Teamarbeit sagen?
…………
………
Abb. 12: Typische Fragen bei der Sprechblasen-Methode
Dieser Ansatz hat etwas Verspieltes und fordert die Kreativität geradezu heraus. Junge Leute werden ihn lieben. Allerdings können
Scherzkekse damit auch ihr (Online-)Unwesen treiben. Deshalb
muss speziell bei der Sprechblasen-Methode immer auch an folgenden Punkten gearbeitet werden: »Was wollen wir damit bestenfalls erreichen?« Und: »Was darf hierbei keinesfalls passieren?«
Und: »Was wäre der schlimmste anzunehmende ›Unfall‹, und wie
reagieren wir darauf?« Man darf eben nicht vergessen, dass heutzutage auch alles ins Internet geraten kann.
Die Gewissensfrage an die Mitarbeiter
Meine Lieblingsfrage ist ganz klar die »Gewissensfrage«, und die
geht so:
»Lieber Mitarbeiter, stellen Sie sich vor, Sie wären unser
Unternehmensgewissen. Was würden Sie uns sagen?
Und was könnten wir ganz konkret besser machen?«
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
245
Wird die Gewissensfrage schriftlich gestellt, so kann dazu eine fiktive Person gezeichnet werden, bei der ein Engelchen und ein Teufelchen rechts und links auf der Schulter sitzen. Es lässt sich sogar
ein Porträtfoto der befragten Person einbauen. Das macht die Sache dann noch emotionaler.
Wichtig: Viel Platz zum Ausfüllen geben. Ungeschminkt können
die Antworten vieles ans Licht bringen, was man vielleicht schon
immer mal gerne wissen wollte: Zum Beispiel, wie sich der Mitarbeiter in einer bestimmten Situation fühlte. Oder was der Kunde
dann und dann gesagt hat und aus welchem Grund. Womöglich
wird der Chef so endlich auch erfahren, was gerüchtemäßig außer
ihm schon alle wussten und was die eigentlichen Gründe für hartnäckige Probleme sind. So was ist kostbar wie Gold, denn nur wer
die wahren Ursachen kennt, kann auch die richtigen korrigierenden Schritte einleiten.
Ist die Unternehmenskultur schlecht oder das Mitarbeitervertrauen gering, dann sollte eine solche Umfrage unbedingt anonym erfolgen. Damit man
am Ende den einzelnen Mitarbeiter nicht doch
noch an seiner Handschrift erkennt, kann der
Fragebogen am Computer ausgefüllt und
Anonymität kann
dann ausgedruckt eingereicht werden. Wird
bei den Umfragen
auf diese Weise eine Vielzahl von Personen
sehr wichtig sein.
befragt, entstehen ganze Touchpoint-Maßnahmenkataloge fast wie von selbst.
Hierzu werden passende Vorschläge von den
Mitarbeitern selbst erarbeitet und zur Info –
nicht aber zur Entscheidung – an die Geschäftsleitung hochgereicht. Dabei geht es nie um das
Suhlen in Missständen, sondern vor allem darum,
wie sich etwaige Defizite schnell und konstruktiv aus der
Welt schaffen lassen. Dies lässt sich vereinfacht so darstellen:
246
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Befunde und Diagnose
heute
Wo wir morgen stehen
wollen
Wie wir zusammen
­dahinkommen
Und wenn hierüber Konflikte ausbrechen? Freuen Sie sich! Ein
konfliktfreies Zusammenarbeiten gibt es nicht. Entscheidend ist,
über Probleme offen und sachlich zu sprechen und gemeinsam
nach solchen Lösungen zu suchen, die für alle Beteiligten tragbar
sind. Passiert dies nicht, werden Konflikte auf den Gängen bewältigt. Und das ist immer destruktiv. So bietet ein produktives Bearbeiten der Ergebnisse aus Gewissensfragen auch wertvolle Ansätze
für die Selbsttherapie eines Teams.
Punktuelle Umfragen
Punktuelle Umfragen lassen sich jederzeit und zu den unterschiedlichsten Themen machen. Weil man dabei nur ganz wenige Fragen
stellen sollte, braucht es zunächst eine gute Vorbereitung. Überlegen Sie also: Was ist die wichtigste Frage, die Sie stellen sollten?
Und was ist die wertvollste Frage, die Sie stellen könnten?
Danach legen Sie den Mitarbeitern einen kleinen Fragebogen vor,
der schriftlich und am besten anonym beantwortet wird. Hier mal
ein paar Textbeispiele:
{{ Was mir in unserem Unternehmen am besten gefällt: ......................................................................................................
{{ Was mir in unserem Unternehmen am meisten fehlt: ......................................................................................................
{{ Was mich an meinem Job besonders fasziniert: ......................................................................................................
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
247
{{ Was sich an meinem Arbeitsplatz konkret verbessern l­ieße: ......................................................................................................
{{ Mein größter Wunsch an meine Führungskraft ist: ......................................................................................................
{{ Was wir für die Kunden noch tun könnten: ......................................................................................................
{{ Warum mir unser Unternehmen so wichtig ist: ......................................................................................................
{{ Was ich Außenstehenden über uns sagen würde: ......................................................................................................
{{ Woran ich bei mir selbst arbeiten möchte: ......................................................................................................
{{ Wo ich mir mehr Unterstützung wünsche: ......................................................................................................
{{ Was mich bewegen könnte, noch lange im Unternehmen
zu bleiben: ......................................................................................................
{{ Was ich immer schon mal sagen wollte: ......................................................................................................
{{ Was man beim nächsten Mal an dieser Stelle
noch fragen könnte: ......................................................................................................
Schließlich gibt es eine ultimative Frage, die jederzeit auch solo gestellt werden kann. Dabei muss absolute Anonymität gewährleistet
sein, damit man ehrliche Antworten erhält:
Würden Sie sich heute wieder für unser
Unternehmen entscheiden?
Und wenn ja, aus welchen Hauptgründen?
Und wenn nein, weshalb nicht?
Falls hierbei negative Antworten, welcher Art auch immer, heraus­
kommen sollten, darf niemals auch nur der leiseste Versuch un-
248
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
ternommen werden, herauszufinden, welcher Mitarbeiter das war.
Ein solcher Vertrauensbruch wäre, auch in Hinblick auf alle an­
deren Mitarbeiter, nicht mehr reversibel.
Um speziell die Mitarbeiterloyalität und das Empfehlungspotenzial
auszuloten, kann man den Mitarbeitenden folgende Sätze zur Vervollständigung vorgeben:
{{ Die Zukunft unseres Unternehmens liegt mir sehr am Herzen,
weil ...............................................................................................
{{ Ich kann mir gut vorstellen, noch länger hier zu arbeiten.
Dies, weil ......................................................................................
{{ Ich spreche mit Dritten positiv und voller Stolz über uns.
Und dies, weil ...............................................................................
{{ Ich ermutige Interessenten, bei uns Kunde zu werden.
Und zwar, weil .............................................................................
{{ Ich ermutige potenzielle Mitarbeiter, sich bei uns zu bewerben,
weil ...............................................................................................
{{ Ich tue all dies nicht,
weil ...............................................................................................
Solche offenen Fragen zwingen die Leute nicht in ein vorgegebenes
Antwortschema. Und sie degradieren auch niemanden zum Kreuzchenmacher. Sie geben vielmehr jedem die Möglichkeit, sich frei
auszudrücken. So wird sich der einzelne Mitarbeiter intensiver mit
den vorgegebenen Themen auseinandersetzen – und sich stärker
eingebunden fühlen, weil seine Kreativität gefragt ist. Und das Unternehmen erhält brauchbarere Antworten.
Fokussierende Fragen
Fokus heißt: Konzentration auf das Wichtigste – statt Verzettelung
im Dickicht der Nebensächlichkeiten. So bringen fokussierende
Fragen mit einer einzigen Frage die Sache auf den Punkt. Auf diese
Weise kommt man den wahren Beweggründen der Mitarbeiter am
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
249
ehesten näher, und zwar ohne ihnen dabei zu nahe zu treten. Eine
fokussierende Frage geht zum Beispiel so:
Welches sind die drei Dinge, die Sie sich von Ihrer
­Führungskraft am meisten wünschen?
Wird diese Frage mündlich gestellt, ist eine längere Pause zum
Nachdenken unbedingt erforderlich. Drängen Sie also nicht. Und
seien Sie offen für alles. Denn nicht selten spürt der Gefragte latente Erwartungen, die er womöglich dann auf erwünschte Art und
Weise bedient. Mitarbeiter werden immer auch ins Kalkül ziehen,
was der Chef wohl gerne hören will. Sie werden ihm sogar dann
gefallen wollen, wenn das für die Firma kontraproduktiv ist. Es ist
eine naive Illusion, zu glauben, man bekäme von seinen Leuten die
ganze Wahrheit zu hören. Denn letztendlich entscheidet der Chef
darüber, wer an die Honigtöpfe gelassen wird.
Damit die Mitarbeiter ihren Talenten entsprechend eingesetzt werden, bieten sich folgende fokussierenden Fragen geradezu an:
{{ Wenn es eine Sache gibt, die Sie unbedingt übernehmen
­wollten, was wäre das für Sie?
{{ Wenn es eine Sache gibt, die Ihnen in Hinblick auf Ihre Arbeit
als besonders nutzlos erscheint, die also wirklich niemandem
etwas bringt, was wäre das für Sie?
{{ Und wenn es eine Sache gibt, die wir im Interesse der Kunden
unbedingt verändern sollten, was wäre da das Wichtigste für
Sie?
So erhalten Sie (hoffentlich) endlich wichtige Informationen über
schlechte Arbeitsplatzbedingungen, über betriebliche Zwänge,
räumliche Enge, Doppelarbeit und Zeiträuber, über Kommunikations-, Schnittstellen- und Kundenprobleme und damit über die
eigene Betriebsblindheit, deren Wirkung auf die Loyalität der Mit-
250
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
arbeiter und Kunden Sie womöglich sehr unterschätzt hatten. Ein
weiterer Vorteil: Sie können schnell etwas bewirken. Dazu fragen
Sie so: »Was genau kann ich jetzt (sofort) tun, um dies zu unterstützen? … Okay, danke. Und was noch?« Das Nachhaken ist
wichtig, denn oft werden erst im zweiten Anlauf die wahren Anforderungen, Anliegen und Wünsche genannt.
Vor allem die so gefährlichen kritischen Ereignisse lassen sich mit
fokussierenden Fragen gut herausarbeiten. Ein kritisches Ereignis
ist ein Moment in der Mitarbeiterbeziehung, das von starken Emotionen begleitet war und sich deshalb tief ins episodische Gedächtnis eingegraben hat. Solche Ereignisse werden wieder und wieder
weitererzählt. Diese müssen Sie kennen, um Schaden von der Unternehmensreputation abzuwenden.
Fahnden Sie außerdem nach besonders erfreulichen Geschehnissen, um diese dann in internen und externen Medien als Erfolgsgeschichten zu nutzen. Das ist der erste Effekt. Und der zweite? Kaum
etwas ist besser für die Loyalität als ein Mitarbeiter, der sich selbst
sagen hört, wie toll es ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Und da
er das nun schon mal ausgesprochen hat, wird er dies in Zukunft
wahrscheinlich öfter tun – offline und online.
Um an Informationen über kritische Ereignisse zu gelangen, werden die Fragen am besten folgendermaßen eingeleitet: »Was ich
Sie immer schon mal fragen wollte …« An die Frage selbst hängen Sie dann, wenn passend, ein »Erzählen Sie mal« dran. Die
Erzählen-Sie-mal-Frage ist magisch, denn im Plauderton deckt der
Mitarbeiter seine Emotionen am ehesten auf. Diese zu kennen und
sich darauf einzulassen, das ist für eine annehmbare Reaktion sehr
hilfreich. Und nicht vergessen: Ehrliche und mutige Mitarbeiter
haben ein dickes Danke verdient. Und sie wollen am Ende immer
auch wissen, was sie mit ihren Hinweisen bewirken.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
251
Die Fragen der obersten Chefs
Mein besonderer Tipp: Lassen Sie die Geschäftsleitung öfter mal
solche Aktionen machen. Wenn die obersten Chefs sich auf den
Weg zu den »einfachen« Mitarbeitern begeben, sind das ganz große
Signale der Wertschätzung. Deren Fragen klingen zum Beispiel so:
{{ Nur mal angenommen, Sie wären an meiner Stelle (oder:
­ ätten bei uns Managementverantwortung), was würden Sie
h
als Erstes verbessern?
{{ Oder so: Was war das Unangenehmste, was Ihnen bei uns je
­widerfahren ist?
{{ Oder auch: Was ist eigentlich das Beste, lieber Mitarbeiter, was
Ihnen bei uns je widerfahren ist, … erzählen Sie mal.
Durch solche fokussierenden Fragen entdecken Sie nicht nur gravierende Schwachpunkte, sondern womöglich auch ein entscheidendes Erfolgsdetail, das Ihnen bislang verborgen geblieben ist –
oder das die mittlere Führungsschicht bislang nicht nach ganz oben
getragen hat. Und Sie werden schnell. Denn treffsicher lässt sich
der konkrete Handlungsbedarf an den kritischsten Stellen erkennen, um dann sofort reagieren zu können. So löst man nicht nur
die Probleme einzelner, sondern wappnet sich gegen die Unzufriedenheit vieler. Das Ergebnis: Loyalität wird gestärkt und Fluktua­
tion wird vorgebeugt. Außerdem spart man sich die Kosten für
klassische Marktforschung.
Haben die Obersten erst einmal die Vorteile einer solchen Vorgehensweise erkannt, lässt sich dies durch ein regelmäßiges Rundgang-Ritual festigen, bei dem man seine Mitarbeiter gezielt konsultiert. Dazu wird im Vorfeld überlegt, welche Gold-wert-Fragen
passend sind. Zum Beispiel diese:
{{ Mich interessiert Ihre ganz persönliche Meinung zu folgen-
dem Thema … Interessant, und wie könnte das im Einzelnen
­aussehen?
252
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Ich habe mir zum Thema xy die folgenden Gedanken gemacht,
die ich gerne einmal mit Ihnen besprechen wollte …
{{ Angenommen, Sie wären bei dieser Frage (oder: in diesem
­ rojekt) der Entscheider, was würden Sie tun? … Interessant,
P
und welche Überlegungen bringen Sie zu dieser Entscheidung?
{{ Wie würden Sie an das Thema herangehen, wenn es Ihr Geld
wäre? … Und was würden Sie keinesfalls tun?
{{ Gesetzt den Fall, wir würden das morgen schon umsetzen:
Was würde dann passieren? … Was müssten wir unbedingt
noch b
­ eachten? … Was spricht aus Sicht des Kunden dagegen?
{{ Wie sehen Ihre Kollegen – ohne jetzt Namen zu nennen –
die Situation? … Und was würden die mir denn raten?
{{ Wenn es eine Sache gibt, die dieses Projekt womöglich zum
Scheitern bringen könnte, was wäre da aus Ihrer Sicht der
­kritischste Punkt?
{{ Was wäre denn ein Weg, mit dem die Mitbewerber niemals
rechnen? … Wie würden Sie denn die Konkurrenz überrumpeln?
Die Antworten können am Anfang zögerlich kommen. Selbst wenn
die Oberen gelöst und nahbar wirken, sind sie, aus dem Blickwinkel der Belegschaft betrachtet, immer noch Respektspersonen. Das
können Sie mildern, indem Sie vom Stil her kein Gespräch, sondern eine Unterhaltung führen. Bei Bedarf ermuntern Sie die Leute freundlich nickend wie folgt: »Nur weiter!« Und: »Erzählen Sie
mehr!« Oder: »Das ist für mich sehr interessant.«
Fragen sind per se immer auch ein Zeichen von Macht. Denn wer
fragt, der führt. »Über Aufbau, Struktur und Wortwahl einer Frage
kann die Führungskraft den Machtaspekt entweder eskalieren –
oder ihn deeskalieren, also in den Hintergrund treten lassen«, sagt
Verhandlungsexperte Andreas Patrzek.99 Das Wie einer Fragestellung ist somit entscheidend. Höhere Chargen haben sich ja meist
einen pointierten Wortschatz mit klaren Weisungen angewöhnt,
und das leider oft ohne jedes »Bitte« und »Danke«. Das schüchtert
ein und verhindert den gewünschten Erfolg. Deshalb dürfen Fra-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
253
gen nicht bedrängend oder bedrohlich wirken und niemals in ein
Verhör ausarten. Wer hingegen gut und richtig fragt, erfährt zügig
etwas über Missstände an einzelnen Touchpoints und erhält laufend neue gute Ideen. Die Mitarbeiter spüren dann, wie wertvoll
sie für den Betrieb sind. Bei Problemen lässt sich umgehend reagieren und gegensteuern. Gutes kann man loben. Die schließlich
getroffenen Entscheidungen stehen auf einer besseren Basis, und
man vermeidet Fehlentscheide am grünen Tisch
Mitarbeiterzufriedenheitsbefragungen –
ein ganz schöner Blödsinn
Klassische Mitarbeiterzufriedenheitsbefragungen sind, das sagte
ich weiter vorne schon, ziemlich unproduktiv. Nun komme ich
warnend noch einmal darauf zurück, denn vor allem in größeren
Unternehmen sind sie immer noch sehr populär. Während damit
eigentlich die Fruchtbarkeit der Personalarbeit dokumentiert werden soll, sind sie tatsächlich meist sich routinemäßig wiederholende Generalabrechnungen. Der ganze Aufwand steht in keinem
Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Ist nämlich ein realistisches Bild
erwünscht, sind ehrliche Aussagen von wenigen Mitarbeitern besser als opportune oder gesteuerte Aussagen von vielen. Schlimmer
noch: Nicht selten landen die Ergebnisse in Schubladen statt in Verbesserungsprogrammen. Oder sie werden als Druckmittel benutzt.
Besonders Standardfragebögen, die man aus dem Internet herunterladen kann, sind für individuelle Ergebnisse völlig unbrauchbar.
Wird ein Institut damit beauftragt, werden Zufriedenheitsabfragen
verkompliziert, es werden zu viele Fragen gestellt, und die aufbereiteten Analyseergebnisse können nur noch von einer akademischen Elite verstanden werden. Planung, Durchführung und Auswertung verschlingen jede Menge Ressourcen. Und sie brauchen
viel Zeit. Vier Monate vom Entscheid bis zu den ersten Ergebnissen sind keine Seltenheit. Vier Monate! Da kann man in unseren
schnelllebigen Businesszeiten schon pleite sein.
254
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Wird bei der Durchführung geschludert oder mit den Ergebnissen
falsch umgegangen, löst dies Misstrauen und Ängste aus. Selbst
scheinbar kleine Fehler können sich tief in das kollektive Gedächtnis der Belegschaft eingraben und dieses Instrument auf lange Zeit
disqualifizieren.
Schlimmer noch: In aller Regel fließen die jeweiligen Befunde in die Leistungsbewertung einer
Eine
Führungskraft ein und bilden die Grundlage für
­Incentivierung
variable Gehaltsanteile. Doch Angst um Boni
lädt zu
macht erfinderisch. So kann es passieren,
­Manipulationen
dass Chefs ihren Mitarbeitern die gewollgeradezu ein.
ten Antworten mehr oder weniger diktieren. Oder alle verbünden sich mit dem Chef
und verteilen Traumnoten, um gemeinsam
gut dazustehen. Dann nehmen am Ende die
Bereiche, die am besten getrickst haben, die
obersten Ränge ein. Und hinter vorgehaltener
Hand weiß man das auch. Ich kenne sogar Organisationen, da sind solche Machenschaften öffentlich – und in schöner Scheinheiligkeit spielen alle
das falsche Spiel mit.
Ein weiterer Aspekt: Bei der Befragung hat die Belegschaft zwar
Stellung bezogen, doch wenn es dann zu Verbesserungsprogrammen kommt, wartet alles wieder auf Aktionen »von oben«. Und
das kann dauern. Oder die in der Teppichetage beschlossenen Maßnahmenpakete werden vom mittleren Management ungefiltert
durchgewinkt, obwohl sie kaum etwas taugen.
Wann sagt also endlich mal einer: Schluss mit dem Blödsinn! Statt
Geld dafür zum Fenster rauszuwerfen, sollte man besser in Touchpoint-Aktivitäten investieren.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
255
Schritt 2: Die Soll-Strategie
Im zweiten Prozessschritt geht es um das Definieren der angestrebten Zielsituation und das Sondieren passender(er) Vorgehensweisen an den Interaktionspunkten, die man für die anvisierten
Mitarbeitergruppen optimieren will. Wir betrachten also folgende
Punkte:
WOZU = das Zielbild, das wir anvisieren
FÜR WEN = die Zielgruppen, für die wir aktiv werden wollen
WODURCH = die Rahmenbedingungen, die erfüllt werden müssen
Was die Rahmenbedingungen betrifft, möchte ich in diesem Buch
zwei herausarbeiten: 1. die vergiftete und die lachende Unternehmenskultur und 2. das dreistufige Modell der Begeisterungsführung.
Doch erst das Ziel, dann der Weg. Hierbei geht es nicht um fixe,
starre, managerübliche Ziele, sondern um Sollbilder, die erstrebenswert sind. Die Frage »Was ist mir / uns als Ergebnis wichtig?«
bestimmt dann das weitere Vorgehen.
Der Zielfindungsprozess
Die Zielbilder sind entweder für das gesamte Touchpoint-Projekt
oder für einzelne Touchpoints zu skizzieren. Dies muss individuell
passieren und flexibel gehandhabt werden. Definieren Sie dabei
nicht nur das, was Sie erreichen wollen und in welchem Freiraum
sich das realisieren soll (Dos). Klären Sie zusammen mit Ihren Mitarbeitern auch, was nicht getan werden soll oder keineswegs passieren darf (Don’ts)! Um sich dem jeweiligen Zielbild zu nähern,
lassen sich beispielhaft folgende Leitfragen stellen:
256
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Wie können die Führungskräfte über alle Leistungs­bereiche
hinweg ein gemeinsames Verständnis für die wichtigsten
Touchpoints gewinnen?
{{ Wie können wir seitens der Führung ein suboptimales H
­ andling
der Touchpoints schnellstmöglich überwinden, um uns fit für
die Arbeitswelt der Zukunft zu machen?
{{ Wie können wir sämtliche Recruiting-Touchpoints Web-3.0fähig machen und an die Erfordernisse der Digital Natives
­anpassen?
{{ Wie können wir uns von veralteten Strukturen und P
­ rozessen
schnell lösen und Netzwerkstrukturen in unserem Unter­
nehmen schaffen?
{{ Wie können wir die Loyalität unserer Mitarbeiter fördern,
ihre Bleibelust erhöhen und uns vor kostspieliger Mitarbeiter­
fluktuation schützen?
{{ Wie können wir unsere Mitarbeiter zu aktiven Botschaftern der
Firma machen und welche Touchpoints eignen sich besonders
dazu?
{{ Wie können wir das weibliche Potenzial in unserem Unter­
nehmen an den einzelnen Touchpoints (noch) besser entfalten?
{{ Wie können wir die Mitarbeiter sowohl in operative als auch
in strategische Entscheidungen zeitsparend und effizient mit­
einbeziehen?
{{ Wie lässt sich der Ideenreichtum unserer Mitarbeiter e
­ ntfalten,
für passende Touchpoints nutzbar machen und adäquat
­speichern?
{{ Wie können wir an den einzelnen Kontaktpunkten mit
­nichtmonetären Begeisterungsfaktoren arbeiten, um das
­Wollen zu fördern?
{{ Wie können wir eine auf Dauer ausgerichtete Kunden­
fokussierung bereichsübergreifend erreichen?
{{ Wie können wir mit dem Aufbau eines Touchpoint-Managements in unserem Unternehmen zügig beginnen?
{{ Wie können wir die Summe der Touchpoints so ­optimieren,
dass wir bei Arbeitgeber-Wettbewerben vorderste Plätze
­belegen?
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
257
Ist das Zielbild komplett, lässt sich das für einzelne Zielgruppen
präzisieren.
Die Zielgruppenwahl
Nun werden die Zielgruppen bestimmt, für die die ausgewählten
Touchpoints optimiert werden sollen, zum Beispiel so:
{{ Potenzielle Mitarbeiter
{{ Interne Mitarbeiter
{{ Externe Mitarbeitende
{{ Ehemalige Mitarbeiter
Was es mit den Mitarbeitenden von heute auf sich hat und wie die
Führung in Zukunft aussehen muss, darüber haben wir in Teil 2
schon eine Menge gehört. Eine ganz grundsätzliche Frage ist immer
auch die: Gehen wir tatsächlich mit unserem Mitarbeitervermögen
(mindestens!) genauso sorgfältig um wie mit dem Betriebsvermögen?
Bei Maschinen werden die Wartungsintervalle gewissenhaft eingehalten. Doch wie sieht das mit den »Wartungsintervallen« der Mitarbeiter aus? Die Firmenfahrzeugflotte wird nach Scheckheft gepflegt. Doch wie pflegt die Führungsmannschaft die ihr anvertraute
»Menschenflotte«? In die Auswahl einer neuen Büromöbelausstattung steckt man richtig viel Zeit. Doch wie viel Zeit nimmt man sich
für die Kandidaten im Bewerbungsprozess? Selbst die Grünpflanzen kriegen bei manchem Vorgesetzten mehr Fürsorge ab als die
eigenen Leute. Jenseits aller Polemik wird einem oft erst bei solchen
Vergleichen vollends bewusst, wie gut die Dinge und wie schlecht
die Menschen in manchen Unternehmen behandelt werden.
Alle Kommen-Bleiben-Gehen-Touchpoints sind sodann individuell
zu betrachten, um perfekte Soll-Situationen zu finden. Nehmen
258
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
wir als konkretes Beispiel noch einmal den Bewerbungsprozess.
Interessenten verlieren schnell die Lust, wenn sie immer und immer wieder all ihre Bewerbungsdaten Buchstabe für Buchstabe in
Masken eingeben und alle möglichen Pflichtfelder ausfüllen müssen. Da werden händeringend Leute gesucht, und dann macht man
es den Kandidaten so schwer! Und warum? Weil sich die Personaler von den Controllern vorrechnen lassen müssen, was das Handling einer Bewerbung maximal kosten darf. Ein hoher Preis, wenn
dadurch wertvolle Kontakte entnervt das Weite suchen! Verlangen
Sie, dass das mit einkalkuliert wird!
HR-Stellen, die immer noch klassische Mappen wollen, gleichen
oft einem Fass ohne Boden: Eingereichte Unterlagen kommen nie
mehr zurück. Und auf den Stand der Dinge wartet man ewig. Dabei
ist es, unterstützt durch entsprechende Recruiting-Software, nie
einfacher als heute, zeitnah und adäquat zu agieren. Also kann nur
Arroganz der Grund für solche Ignoranz sein. Doch dies rächt sich
bitter. Schein und Sein werden im Web gnadenlos offengelegt. Wer
da durchfällt, erhält von qualifizierten Aspiranten nie mehr Post.
Und am Ende kann man durch verärgerte Bewerber auch noch
Kunden verlieren. Alles hängt eben heute eng miteinander
zusammen.
Rahmenbedingung Unternehmenskultur
Arbeit muss Spaß
Zu einer neuen Arbeitswelt gehört auch
machen, wenn’s
eine neue Arbeitskultur. Doch die Kluft
gut werden soll.
zwischen alten, analogen und frischen, digi­
talen Unternehmen könnte größer kaum
sein. Am einen Ende gibt es die, bei denen es
zum guten Ton gehört, schlecht drauf zu sein,
mit herunterhängenden Mundwinkeln über die
Gänge zu schlurfen und Unfreundlichkeiten zu
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
259
verteilen. Gute Laune bei der Arbeit ist dort verpönt. Am anderen Ende gibt es lebensfrohe Internetfirmen, die einer Spielewelt
mit angeschlossenem Erlebnispark gleichen. Unbelastet vom düsteren Geist einer taylorisierten Industrievergangenheit haben sie
ganz einfach verstanden, dass Arbeit Spaß machen muss, um gut
zu werden.
Im Allgemeinen ist die Unternehmenskultur das Resultat eines
kollektiven Lernprozesses, dessen Hege und Pflege nie nachlassen
darf. Sie umfasst das Sichtbare und das Unsichtbare, also auch Tabus, geheime Regeln und Normen. Sie determiniert,
{{ wie die Menschen im Unternehmen miteinander umgehen,
{{ wie das Verhältnis zu Kunden und Partnern ist,
{{ wer eingestellt und wer wie befördert wird,
{{ in welchem Umfeld die Mitarbeiter arbeiten,
{{ wie Entscheidungsprozesse ablaufen,
{{ wie Probleme angepackt werden,
{{ wie man mit Fehlern umgeht,
{{ was man aus Ideen macht,
{{ wie Konflikte und Krisen gemeistert werden,
{{ was wie kontrolliert wird,
{{ nach welchen Leistungsmaßstäben man beurteilt wird und
{{ wie Erfolge gefeiert werden.
Entscheidend ist, wie das Management sich dabei verhält. Denn
die Stimmung im Unternehmen breitet sich von oben nach unten
aus. Aus diesem Grunde wird jeden Morgen beobachtet, wie der
Chef heute drauf ist. Seine Stimme, seine Gestik, seine Mimik: Alles wird interpretiert. Jedes noch so leicht dahingesagte Wort erhält
Gewicht. Ist er gut gelaunt, dann spüren die Mitarbeiter bei jeder
Interaktion: Heute ist ein guter Tag. »Gute Laune ist ansteckend«,
sagt wissend der Volksmund. Wie das funktioniert? Spiegelneuronen sind verantwortlich dafür. Durch sie erleben wir das, was andere fühlen, in einer Art innerer Simulation. Dies führt zu einer
emotionalen »Infektion«, zu spontaner Imitation und oft auch zu
260
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
einer unbewussten Kopie von Duktus und Habitus. So schlägt sich
die Stimmung der Oberen unmittelbar auf die Mitarbeiterperformance nieder.
Wir sind so verdrahtet, dass wir mit denen mitschwingen, die um
uns herum sind. Dabei sind nur wenige Menschen Vormacher, die
meisten sind Nachmacher. Und wenn wir selbst nicht sicher sind,
dann folgen wir dem, der uns das Gefühl gibt, seiner Sache ganz
sicher zu sein. Und das ist zum Beispiel der Chef. So vervielfältigt
sich das Verhalten der Führungscrew durch ihr Tun. Die Mitarbeitenden nehmen sehr sensibel wahr, worauf die Oberen »abfahren«,
was sie gar nicht mögen, was sie schätzen, fördern und belohnen
und wie sie mit kritischen Situationen umgehen. Spitzenmanager
unterschätzen sehr oft, welch katastrophale Folgen schon eine einzige unbedachte Bemerkung haben kann. Manchen ist das allerdings auch egal.
In Erzählungen tritt all dies am ehesten zutage. So lässt sich die
Frage, wie wünschenswerte Aspekte einer Unternehmenskultur
aussehen könnten, am besten über Bilder, Beispiele und Geschichten vermitteln. Legen Sie sich dazu einen regelrechten Geschichtenfundus an. Wenn etwa immer wieder erzählt wird, wie der Big
Boss sich an eine Maschine setzte und vom Azubi lernen wollte,
wie die funktioniert, dann hat dies eine starke Signalwirkung – und
tut dem Betriebsklima gut.
Das Betriebsklima ist Ausdruck der gelebten Unternehmenskultur. Es umschreibt die von den Mitarbeitern subjektiv empfundene Atmosphäre am Arbeitsplatz. Es ist anlassbedingt kurzfristigen
Schwankungen unterworfen, die Unternehmenskultur hingegen
ist auf Dauer ausgerichtet und relativ stabil. Ich unterscheide dabei
zwischen einer vergifteten und einer lachenden Unternehmenskultur. Die erste initiiert einen langsamen Zersetzungsprozess. Die
zweite macht ein Unternehmen robust und produktiv. Sie überlebt
sogar Krisen und tritt aus ihnen gestärkt hervor.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
261
© Anne M. Schüller
VERGIFTETE
Unternehmen
LACHENDE
Unternehmen
Angst, Mobbing, Bossing, Aggression,
Intrigen, Machtkämpfe, Missgunst,
Tadel, Schuldzuweisungen, Willkür,
Kommandieren, kleinliche Kontrollen,
Misstrauen, Opportunismus, Lügen,
Einzelkämpfertum, Distanz, Neid, Gier,
Routinen, sinnentleerte Arbeit,
Anweisungen, die man nicht versteht,
Chefs, die man nicht achten kann,
Büros, die man nicht mag,
Werte, die man nicht leben will,
Jobs, die man hasst,
Arbeit, die krank macht,
Unproduktivität und Mittelmaß
Wertschätzung, Anerkennung, Respekt,
Freundlichkeit, Humor, gute Laune,
ehrliches Loben, Glaubwürdigkeit,
Wissen teilen, Kommunikation, Dialog,
Ehrlichkeit, Offenheit, Klarheit, Gerechtigkeit,
Vertrauen, Teamwork, Nähe, Konsequenz,
Herausforderungen, Mut, Sinn, Flow,
Ziele, die man sich selber setzt,
Chefs, die man achtet und schätzt,
inspirierende Arbeitsbedingungen,
Werte, die man teilt,
Stunden, die wie im Flug vergehen,
fröhlich pfeifend zur Arbeit kommen,
Stolz auf Resultate und Firma
Kunden, die nicht wiederkommen, +
negative Mundpropaganda /Abraten
Kunden, die gerne wiederkommen, +
positive Mundpropaganda /Empfehlungen
Abb. 13: Facetten der vergifteten und der lachenden Unternehmenskultur
In vergifteten Unternehmen läutet das Sterbeglöckchen
In »vergifteten« Organisationen, ein Begriff, den der Wirtschaftspsychologe Daniel Goleman prägte, werden in großem Stil menschliche Ressourcen und Talente verschwendet. Dort findet sich eine
beklemmende Atmosphäre mit strengen Vorschriften, scharfen
Kontrollen und beißender Kritik. Intrigen, Geheimniskrämerei,
Günstlingswirtschaft, Eigennutz, Willkür und viele andere unschöne Dinge, über die ich gar nicht mehr reden mag, sind an der Tagesordnung. Alles ist überschattet von Angst. Da werden Menschen
gekränkt und erniedrigt; Sündenböcke und Bauernopfer werden
262
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
»Die Suche
gesucht. Egoistische Ziele werden verfolgt – und
nach Sünden­
Energie in aggressive Bahnen fehlgeleitet: Zyböcken ist von
nismus, Verhärtung, Feindseligkeiten, Ränkeallen Jagdarten
spiele, Boykott von Anweisungen, Verhindie ­einfachste.«
derung von Wandel. Jeder misstraut jedem.
Dwight D.
Opportunismus und Seilschaften sind in ei­Eisenhower
nem solchen Umfeld die beste Überlebensstrategie. Diejenigen, die können, nehmen
schleunigst Reißaus. Und bei denen, die
bleiben, ist der Fokus nach innen und oben
gerichtet.
Vergiftete Unternehmen lösen eine Sonnenfinsternis im Herzen aus. Eine düstere Wolke legt sich über
alles, sobald man die Firma betritt. Die Gesamtmotivation ist niedrig. Fehler werden vertuscht oder gemeinsam unter
den Teppich gekehrt. Überall wird miese Laune verbreitet und die
Gerüchteküche angeheizt. In manchen Organisationen verbringen
die Mitarbeiter bis zu einer Stunde pro Arbeitstag damit, gemeinsam über Bosse und Firma herzuziehen. So ein Klima macht die
Leute ganz krank. Doch mit kranken Mit­arbeitern kann man kein
gesundes Unternehmen aufbauen. Und mit unglücklichen Mitarbeitern keine glücklichen Kunden gewinnen.
Herrscht schlechte Stimmung, wird selten eine gute Dienstleistung
daraus. Mitarbeiter sind ja keine Zauberer. Es ist schier unmöglich,
eine negative Stimmung im Unternehmen in eine gute Stimmung
beim Kunden zu verwandeln. Und wo man sich unwohl fühlt, da
geht man nie wieder hin, da kauft man nichts! So kommt langsam, aber sicher eine Todesspirale in Gang – ein Vergiftungsprozess
im wahrsten Sinne des Wortes. Je größer eine Organisation, desto
größer ist auch die Gefahr, zu einem vergifteten Unternehmen zu
werden. Traditionelle Konzerne mit starken Hierarchien, zentralistischen Strukturen, straffen Regelwerken und einem stahlharten
Streben nach Maximalrenditen sind hiervon am meisten betroffen.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
263
Angst ist der größte Erfolgskiller
Angst kommt in vielen Schattierungen daher. Sie kann eine
freundliche Warnerin sein, die uns schützt und behütet. Sie kann
uns kurzzeitig aus der Reserve locken und zu Höchstleistungen
führen. Doch sie paralysiert auch und macht dumm. Denn Aggression, Angst, Druck und Schrecken schränken jede kognitive Hirntätigkeit ein. Dazu schaltet eine zur Sicherheit paarweise angeordnete zerebrale Struktur namens Amygdala unseren Denkapparat
auf ein Notfallprogramm um: panikartige Flucht, dosierter Angriff
oder atemloses Erstarren – je nachdem was gerade die passendste Lösung ist. Hierbei werden die Verbindungsstellen zwischen
den einzelnen Hirnzellen, die sogenannten synaptischen Spalten,
blockiert. Dort können die Hirnströme dann nicht ungehindert
fließen, und wir können nicht mehr klar denken. Die Folge: ein
Blackout. Nur simple Routinen können daraufhin noch abgespult
werden.
Zudem reagieren die Menschen auf eine gegebene
Stresssituation individuell verschieden. Das heißt:
Die persönlichen Stresssysteme werden unterschiedlich stark hochgeschraubt und auch
unterschiedlich schnell wieder heruntergeMit Angst im
fahren. Der eine kann sich also ganz schnell
­Nacken laufen wir auf- und wieder abregen, bei einem anderen
zwar schneller,
kann beides dauern. Doch wie dem auch sei:
aber nur ein ganz
Wenn Arbeit mit Angst besetzt ist, verstößt
kurzes Stück.
dies gegen grundlegende Erkenntnisse der
Hirnforschung. Mit Angst im Nacken laufen
wir zwar schneller, aber nur ein ganz kurzes
Stück. Danach sind wir völlig ausgepowert. Und
dass wir unter Druck geistige Großtaten vollbringen können, ist eine Mär. Das Gegenteil ist der Fall.
Druck und anhaltende Missstimmung sabotieren die
­Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben. Wer Angst hat,
reduziert sein Lernvermögen und macht Fehler.
264
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Dauerdruck versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft,
mindert seine Leistungskraft und ruiniert unsere Gesundheit. Denn
Stresshormone unterdrücken auch die körpereigenen Abwehrkräfte. Wenn eine Belastung, weil von außen gesteuert (Deadline,
Sanktionen, Sandwich-Position), unkontrollierbar wird, kommt
sogar Panik ins Spiel. Aus der anfänglichen Angst wird Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Dies kann bis zu einem körperlichen, geistigen und seelischen Kollaps führen. Das beste Gegenmittel: dem Betroffenen ermöglichen, in kleinen Schritten die
Kontrolle zurückzugewinnen. Wenn wir eine Situation (wieder)
beherrschen, schlägt Angst in Erleichterung um, und alles wird gut.
Übellaunige, einschüchternde, herumkommandierende, machtbesessene Manager hingegen stellen eine permanente Bedrohung
dar. Sie signalisieren dem Gehirn: Lebensgefahr. Dies führt zu einer
Explosion der Stresshormone. Autoritätsangst züchtet Ja-Sager,
führt zu Minderleistungen und schließlich in die Resignation. Dies
drückt sich zunächst so aus, dass die Mitarbeiter kaum bereit sind,
offen ihre Meinung zu sagen, neue Ideen einzubringen, kooperativ
zusammenzuarbeiten, neue Herausforderungen anzunehmen oder
die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Sie werden mürrisch und
verletzlich, schieben Frust und gehen in die Opferhaltung. Dann
begeben sie sich in den Zustand der freizeitorientierten Schonhaltung, in die innere Kündigung und schließlich in die äußere (Vandalismus) oder innere Sabotage (Burnout).
Nichts von all dem können sich Unternehmen heute noch leisten.
Sie benötigen die volle Kraft des geistigen Know-hows ihrer Leute. Zwischen den Synapsen muss es also verstopfungsfrei fließen.
Will heißen: Kopfarbeiter brauchen zugeneigte, inspirierende und
freundliche Chefs. Nur dann können sie dem Unternehmen ihr
komplettes intellektuelles Potenzial zur Verfügung stellen. Deshalb
ist es vor allem die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden
muss. Sie ist der größte Leistungskiller.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
265
Lachende Unternehmen haben die Nase vorn
Lachende Unternehmen verfolgen Gewinnerstrategien. Sie sind
quicklebendig und schwingen wunderbar positiv. Ihre Mitarbeiter sind lebensfroh, kerngesund, motiviert und bereit,
sich für die Firma mächtig ins Zeug zu legen. In lachenden Unternehmen herrscht Spaßgesumme,
ein Treibhausklima für Glanzleistungen und
ein Biotop für gute Ideen. Lachende Unternehmen ziehen die Besten wie magisch an.
Sie legen damit eine perfekte Basis für Top­
Wenn die Stim­
performance und wirtschaftlichen Erfolg.
mung stimmt,
Bei solchen Unternehmen kaufen Kunden
stimmen am
immer wieder gern. Und sie erzählen der
Ende auch die
ganzen Welt, warum das so ist. Wenn also
­Ergebnisse.
die Stimmung stimmt, dann stimmen am
Ende auch die Ergebnisse.
Es ist ein uraltes Vorurteil und ein gefährlicher
Irrtum, zu glauben, dass Spaß und Arbeit nicht zusammenpassen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Leben
und Lachen in der Firma schaffen Sympathie. Und gegenseitige Zuneigung begünstigt Erfolge. Lachen überwindet Angst
und sorgt für Vertrauen. Lachen aktiviert das Gehirn, es hält uns
gesund und macht kreativ. Was uns Spaß macht, dafür setzen wir
uns ein, das fällt uns leicht, das machen wir gerne und gut. Einen
der besten Hinweise darauf, wie gesund eine Firma ist, liefert das
dort herrschende Maß an Humor: das gemeinsame Lachen in Meetings, mit dem Chef, auf den Gängen und in der Kantine. Denn nur
wem es gut geht, der hat auch was zu lachen.
Lachende Unternehmen sind kein Kindergeburtstag, sondern
Hoch­leistungsgeneratoren mit Herzblutfaktor. Sie bieten ihren Mitarbeitern ständig neue Herausforderungen – im Kern ihrer Talente
und auf Wollen-Basis. Dort finden wir ein hervorragendes Performance-Niveau, eine offene, ehrliche Hin-und-her-Kommunika­
266
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
tion und spürbar viel gegenseitige Wertschätzung. Aus lachenden
Unternehmen gehen Siegertypen hervor, die stolz auf ihre Spitzenergebnisse sein können und sind. Eine lachende Unternehmenskultur entspringt somit keinem sozialromantischen Kuschelkurs,
sondern einem unverkennbar betriebswirtschaftlichen Kalkül.
Wie lachende Unternehmen die Kunden betören
Kreativität kann nur in heiteren Hirnen entstehen. Und nur in einem positiven Klima gedeihen Loyalität, Engagement, Verantwortungsbereitschaft und schöpferische Power auf Dauer. In lachenden
Unternehmen wird die zur Verfügung stehende Energie konstruktiv und nicht destruktiv verwendet. Der Blick der gesamten Organisation ist nach außen, also auf den Markt und die Kunden
gelenkt, denn aus dem Unternehmensinneren droht nichts Böses.
Entwicklungen und Trends werden feinfühlig wahrgenommen.
Die Innovationsbereitschaft ist hoch. Veränderungen werden als
Chance und nicht als Gefahr gedeutet. Über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg entsteht eine Mitmachbereitschaft auf
hohem Niveau, sodass Ideen, Wissen und Einsichten immer wieder anders kombiniert werden können. Die sich dabei entfaltende
Kreativität führt zu ständig neuen herausragenden Lösungen und
damit raus aus der Kopierfalle.
Gerade für kundennahe Mitarbeiter ist es wichtig, in einem lachenden Unternehmen zu arbeiten, denn sie tragen die Unternehmenskultur zu Markte. Menschen mit unzerstörbar guter Laune sind somit ein Glücksfall in jedem Team. Denn gute Laune ist ansteckend.
Es ist also unabdingbar, bereits im Einstellungsgespräch gezielt
Ausschau nach Optimisten zu halten und nicht nur das Können,
sondern auch das Wollen abzuklopfen. Dies erkennt man an nonverbalen Signalen wie etwa den leuchtenden Augen, aber auch an
der Antwort auf folgende Frage: »Wer ist eigentlich verantwortlich
dafür, dass Sie Freude an der Arbeit haben?«
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
267
Wie man zu einem lachenden Unternehmen wird
Verhaltensänderungen lassen sich auf zwei Weisen herbeiführen:
Wird ein Verhalten belohnt, wiederholen wir es. Wird ein Verhalten bestraft, vermeiden wir es. Außerdem kann schon das Benennen von Störungen wie auch das Reden über Probleme beruhigend wirken. Denn dies zeigt unserer Amygdala, dass wir drohende
Gefahren wahrgenommen haben. In einer Mitarbeiterbeziehung
bedeutet dies, auch unangenehme Dinge anzusprechen, vor allem
dann, wenn es etwas zu klären gibt. Erst wenn wieder alles im Reinen ist und wir uns keine Sorgen mehr machen müssen, können
wir erneut zur Höchstform finden.
Mit solchen Fragen findet die Führungskraft einen Weg:
{{ Ich habe den Eindruck, dass im Moment schlechte Stimmung
herrscht. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Gibt es konkrete
Gründe, auch von meiner Seite?
{{ Ich habe das Gefühl, wir treten hier auf der Stelle. Irgendwie
ist die Luft raus. Was muss passieren, dass hier wieder die Post
abgeht? Und wie kann ich dazu beitragen?
Ferner sollte man das ganze Team am Betriebsklima arbeiten lassen, denn jeder ist auf seine Weise mitverantwortlich dafür. Hierzu
schlage ich folgende Vorgehensweise vor: Zeichnen Sie zwei Skalen
von null bis zehn, wobei zehn die Höchstnote ist. Wählen Sie ein
korrespondierendes Kriterium aus dem vergifteten und eines aus
dem lachenden Bereich. Dann lassen Sie jeden einzelnen Mitarbeiter anonym markieren, bei welcher Zahl aus seiner Sicht die
Abteilung als Ganzes steht. Anschließend sollen alle gemeinsam
erarbeiten, wie sich die Werte bis zu einem Zeitpunkt x um einen
Skalenpunkt verbessern lassen.
Solche Skalierungsfragen können einen gefühlten Zustand sehr gut
sichtbar machen, ohne dass er lang und breit erklärt werden muss.
Außerdem lassen sich Verallgemeinerungen beziehungsweise Pau-
268
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
schalaussagen auf diese Weise relativieren: Statt eines kategorischen Gut oder Schlecht werden Grauzonen deutlich. Schließlich
können Verbesserungen in kleinen, machbaren Schritten angestrebt werden.
Kriterium vergiftetes Unternehmen
1
0
3
2
5
4
7
6
Kriterium lachendes Unternehmen
9
8
0
10
2
1
4
3
6
5
8
7
10
9
Abb. 14: Messskalen für die Werte der Unternehmenskultur
Rahmenbedingung Begeisterungsführung
Die meisten Unternehmen reden von Mitarbeiterzufriedenheit. Da
frage ich: Was soll das? Zufrieden heißt befriedigend, also eine Drei
in der Schule. Das ist mittelmäßig, beliebig, austauschbar. Und welches hoch motivierte Talent bleibt schon gerne dort, wo Mittelmaß
herrscht? Zufriedenheit zementiert den Status quo. Sie macht behäbig und bequem. In diesem Zustand ist der Wunsch nach Veränderung gering. Die Handlungsintensität und die emotionale Spannung sind niedrig. Mangelnde Identifikation und Gleichgültigkeit
setzen ein. Schließlich macht sich eine resignative Trägheit breit.
Diese Egal-Mentalität führt zu Nachlässigkeiten und mangelnder
Sorgfalt. Solche Mitarbeiter setzen sich nur halbherzig für die Interessen der Kunden ein, sie zeigen wenig Initiative bei der Erfüllung von Sonderwünschen und wenig Kreativität beim Lösen von
Problemen.
Resignative Zufriedenheit wird vor allem dort auftreten, wo Mitarbeiter wenig Gestaltungsraum haben, wo sie nicht unternehmerisch beteiligt werden, wo ihre Meinung nicht zählt und ihre Ideen
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
269
unerwünscht sind. Solche Perspektivlosigkeit lässt Langeweile aufkommen. Einsatzwille und Verantwortungsbereitschaft schwinden,
man macht es sich bequem. Zufriedenheit produziert Sitzfleisch,
aber keine Motivation. »Nur« zufriedene Mitarbeiter sind die Totengräber jeder Exzellenzkultur! Und sie bringen ihr Unternehmen
in Lebensgefahr: Von Demotivation verseucht, zerlegt es sich am
Ende von innen heraus selbst.
Wenn nicht so, wie aber dann? Wir brauchen eine Begeisterungsführung! Begeistert-engagierte Mitarbeiter sorgen für überdurchschnittliche Produktivität, für ein flüssiges Arbeitstempo und für
hohe Qualität. Sie haben Freude an Spitzenleistungen und wollen
den Erfolg. Diese positive Energie ist im wahrsten Sinne des Wortes
in den Produkten eingefangen, die der Käufer schließlich erwirbt.
Letztlich drückt sich die Befindlichkeit eines Mitarbeiters in jeder
kleinen Geste aus: Begeisterte Mitarbeiter machen Kundenerlebnisse heiter, unmotivierte Mitarbeiter machen diese zur Qual.
Begeistert-engagierte Mitarbeiter sorgen auch für eine höhere Kosteneffizienz, da die Fehlerhäufigkeit sinkt. Sie sind kreativer und
bringen neue Ideen ein. Vor allem aber: Sie tragen als engagierte
Botschafter ein positives Unternehmensbild nach draußen. Dies
motiviert nicht nur potenzielle Topbewerber, sich für die Company zu interessieren, es motiviert auch die Kunden, immer wieder
gerne dort zu kaufen.
Um solche Ergebnisse zu erzielen, empfehle ich Führungskräften
eine Vorgehensweise, bei der jeder Interaktionspunkt auf seine
Enttäuschungs-, Okay- und Begeisterungsfaktoren hin analysiert
wird. Diese Methode habe ich in Anlehnung an das Kano-Modell
von Noriaki Kano, Professor an der Universität Tokio, für den Mitarbeiterbereich weiterentwickelt. Dabei wird sondiert, was der
Mitarbeiter erwartet und im Vergleich dazu erhält. Die Ergebnisse
reichen von herber Enttäuschung bis zu hemmungsloser Begeisterung, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.
270
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ausgewählte Touchpoints und deren Status können in einer zeit­
lichen Abfolge in einem Schaubild wie diesem eingetragen werden:
BEGEISTERUNG
+10 Highlights
+8
+6
+4
+2
0
ENTTÄUSCHUNG
–2
–4
–6
–8
–10 Tiefpunkte
Abb. 15: Erfassung der Enttäuschungs-, Okay- und Begeisterungsfaktoren
Enttäuschungsfaktoren sondieren
Kommen die Enttäuschungsfaktoren zum Zuge, können Sie es sich
mit Ihren Mitarbeitern sehr schnell verscherzen. Mit negativen Reaktionen ist vor allem dann zu rechnen, wenn es herablassende
oder persönlich verletzende Worte und Gesten gibt. In einer funktionierenden Mitarbeiterbeziehung dürfen keine nennenswerten
Enttäuschungen vorkommen. Sollten diese unumgänglich sein,
braucht es ein persönliches Gespräch und eine nachvollziehbare
Begründung, um wieder in den grünen Bereich zu gelangen.
Denn wenn ein Mitarbeiter enttäuscht ist und bleibt, wird er Sie
dafür bestrafen. Und die Liste seiner Möglichkeiten ist lang: Unzuverlässigkeit, kleine Schlampereien, absichtliche Fehler, Nörgelei, Bockigkeit, Boykott, Krankfeiern nach Bedarf, Dienst nach
Vorschrift, üble Nachrede, Unregelmäßigkeiten, offene Rebellion.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
271
All das tut er mit mehr oder weniger hohem Zerstörungsdrang.
Sein Motiv? Rache! Vergeltung für empfundenes Unrecht! Solches
Empfinden ist immer subjektiv – und es kann eine Menge Energie entfalten. Dabei wird, wie wir schon sahen, zunehmend der
Anwalt gewählt, der am meisten Druck machen kann: die digitale
Öffentlichkeit.
Okay-Faktoren ermitteln
Wer über die Vermeidung von Unzufriedenheit
hinauskommen will, muss an den Okay-Fakto­
ren arbeiten. Diese bieten, im Gegensatz zu
den Enttäuschungsfaktoren, zumindest die
Chance, den Mitarbeiter zufriedenzustellen.
Okay-Faktoren sind, aus Sicht des MitarbeiOkay-Faktoren
ters betrachtet, eine Selbstverständlichkeit.
sind aus Sicht des
Dazu zählen Höflichkeit, Freundlichkeit,
Mitarbeiters eine
Verlässlichkeit, Fairness, Redlichkeit, EhrSelbstverständ­
lichkeit und viele weitere Führungstugenlichkeit.
den. Sind solche Basics nicht erfüllt, ist der
Mitarbeiter demotiviert und rutscht in die Enttäuschungszone. Und solange die Basics nicht
stimmen, braucht man sich gar nicht an die Begeisterungsfaktoren heranzumachen. Die wirken dann
nämlich nicht.
Demnach sind zunächst die Okay-Faktoren zu identifizieren. Und
es ist dafür zu sorgen, dass zumindest das erwartete beziehungsweise als selbstverständlich erachtete Niveau immer erreicht werden
kann. Was das genau ist? Das kommt auf den Mitarbeiter und seine
Wertewelt, auf seine Erwartungen an den Job und seine Position
im Unternehmen an. Die Aufgabe ist also komplex. Man kann das
heute nicht mehr einfach so, wie dies der Arbeitswissenschaftler
Frederick Herzberg 1959 im Rahmen seiner Zwei-Faktoren-Theorie tat, in Hygienefaktoren und Motivatoren einteilen.100
272
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ein Beispiel? »Geld ist ein Hygienefaktor«, ruft man mir dann einhellig zu. So ein Unsinn! Mich regt das immer auf, wenn Weisheiten, die von sogenannten Gurus kommen und aus den Tiefen
des letzten Jahrhunderts stammen, von Unis und Trainern so unverhohlen weiterverbreitet werden. Kein Wunder dann, dass die
Manager mit dem Uraltzeugs solcher »Poltergeister«, wie Gary Hamel sie nennt, in neue Zeiten wollen. Hygienefaktor! Wer in ferne
Länder reist, der weiß, wie schmutzig Geld sein kann. Und wer je
mit Korruption in Berührung kam, der weiß das auch. Für manche Leute ist Geld der Motivator schlechthin. Als zum Beispiel die
Offenlegung der Vorstandsgehälter bei börsennotierten Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben wurde, sorgte dies nicht für mehr
Transparenz, sondern für ein Wettrennen der CEOs um den höchsten Betrag.
Die Menschen sind eben alle verschieden. Jeder hat sein eigenes
Wertesystem und reimt sich die Welt auf seine Weise zurecht. Nie
darf man dabei von eigenen Präferenzen ausgehen. Nehmen wir
noch mal die Liste aus dem Kapitel über das Mitarbeiterengagement. Nun spielen Sie das für Ihre verschiedenen Mitarbeiter auf
einer Skala von null bis zehn durch: Welches Kriterium würde welchen Mitarbeiter begeistern? Für wen wäre was eine unbedingte
Grundvoraussetzung? Und wem wäre was völlig egal?
Kriterium
Mitarbeiter 1
Mitarbeiter 2
Mitarbeiter 3
Aufgabenstellung / Position
Arbeitsplatzausstattung
Wettbewerbsfähiges Gehalt
Geldwerte Vorteile
Karrierechancen
Weiterbildungsangebote
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
273
Kriterium
Mitarbeiter 1
Mitarbeiter 2
Mitarbeiter 3
Arbeitgeberattraktivität
Verhalten des Vorgesetzten
Grad der Eigenständigkeit
Betriebsklima
Anerkennungskultur
Arbeitsumfeld
Arbeitszeitmodelle
Work-Life-Integrität
Gesundheitsprogramme
Begeisterungsfaktoren finden
Die ergiebigste Kategorie für Mitarbeiterengagement und eine positive Unternehmenskultur? Das sind die Begeisterungsfaktoren.
Mit diesen kann man nur gewinnen. Ein Fehlen führt nicht zur
Demotivation. Aber wenn Sie diese bieten, wird man Sie dafür lieben – und allen davon erzählen.
Oft sind es Kleinigkeiten, die der Mitarbeitende so nicht erwartet
hat, die zur Begeisterung führen. »The big little things« nennt Ma-
274
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
nagement-Vordenker Tom Peters das. Wir können gar nicht genug
Aufmerksamkeit darauf lenken. Am Ende ist es die Summe bemerkenswerter, verblüffender, faszinierender Details, die schließlich
den Unterschied macht. Und das hat weiß Gott nicht nur was mit
Moneten zu tun. Von der Kundenseite her kennt man das auch:
Wenn ein Anbieter nichts bietet, was Herz und Seele berührt, und
nichts, was ihn aus der Masse herausstechen lässt, dann ist der
Preis das einzige Unterscheidungsmerkmal. Dann soll es wenigstens billig sein. So tröstet sich der Käufer mit Preiszugeständnissen
über einen Mangel an guten Gefühlen hinweg. Eingebaute Emo­
tionen hingegen sorgen für ein Preispremium. Auf der Mitarbeiterseite funktioniert dieses Prinzip ebenso, nur sind die Vorzeichen
andersherum: Wer keine guten Gefühle verbreitet, muss tief in die
Tasche greifen. Schmerzensgeld nennt man das dann.
Die Krux bei den Begeisterungsfaktoren: Was heute noch für Überraschungen sorgt, ist morgen schon »basic«, somit kaum noch der
Rede wert. Und wenn ein einmal gelernter Level unterboten wird,
sind wir enttäuscht. Da sich die Belegschaft also schnell an Goodies
gewöhnt, werden die Erwartungen und damit auch ihre Anforderungen steigen. Ein Beispiel dafür sind die üblichen Incentive-Programme. Zwei Tricks können Sie aus dieser Falle befreien: »Nicht
mehr vom Gleichen, sondern unvergleichbar anders«, so lautet
das eine Prinzip. Und das zweite? Überlassen Sie den Mitarbeitern
das Suchen und Finden. Dann wird es wenigstens etwas Passendes
sein.
Erwartungen verfehlt, erfüllt oder übertroffen?
Wie in der Analysephase schon kurz skizziert, kann ich jeder
Führungskraft nur wärmstens empfehlen, ihr Vorgehen an allen
Mitarbeiter-Touchpoints nach Enttäuschungs-, Okay- und Begeisterungskriterien auszurichten und dann auf ein verbessertes
Soll-Niveau einzustellen. Dies geschieht am besten in folgendem
­Dreierschritt:
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
275
{{ Was ich als Führungskraft bestenfalls tun kann und sollte
{{ Mein / Unser Minimumstandard (die Nulllinie)
{{ Was ich als Führungskraft keinesfalls tun darf
Hier gleich ein konkretes Beispiel dazu. Ein Mitarbeiterteam klagt
schon länger über schlechte Arbeitsplatzbedingungen im Großraumbüro: Die Büromöbel sind veraltet, die Schreibtischschubladen klemmen, die Schlüssel für die Schranktüren sind abhanden­
gekommen, die Stühle verursachen Rückenprobleme, der Teppichboden müffelt, und zu laut ist es auch. Da dieser Zustand trotz
mehrfacher Hinweise weiter andauert und nichts passiert, hat sich
eine allgemeine Unzufriedenheit breitgemacht, die bereits die Arbeitsergebnisse belastet. Weil die betroffenen Mitarbeiter ständig
darüber reden, kostet dies auch unnötig Zeit. Und der Frust über
den Vorgesetzten, dem das Wohl seiner Leute ganz offensichtlich
nicht wichtig ist, hat bereits zu den ersten »krankheitsbedingten«
Ausfällen geführt. Eines Montags findet das Team einen renovierten Arbeitsraum vor. Das Mobiliar ist erneuert, die Wände sind gestrichen, der Fußboden ist gemacht, und sogar Grünpflanzen gibt
es nun. Zunächst sind die Mitarbeiter sicher sehr angetan. Doch
im Touchpoint-Sinn war dieses Vorgehen höchstens okay. Denn es
entsprach so ganz der Führungskräfte-Überheblichkeit aus alten
Zeiten: Wir wissen, was für unsere Mitarbeiter das Beste ist.
Und wie hätte man für dauerhafte Begeisterung sorgen können?
Indem man den Leuten die Neugestaltung selbst überlässt! Es wäre
dann tatsächlich »ihr« Büro geworden, mit weiteren Annehmlichkeiten und kleinen Details, die der Arbeitsfreude und auch der
­Zusammenarbeit zugutekommen.
In einem zweiten Beispiel geht es um die Entschuldigung. Natürlich machen Führungskräfte auch Fehler. Und sie sollten darüber
sprechen, damit es kein Getuschel gibt. Die Mitarbeiter merken es
sowieso. Menschen verzeihen fast alle Fehler, wenn man sie eingesteht. Mit aufrichtig gemeinten Worten wie: »Es war unfreundlich
von mir, dass … Das hätte ich so nicht tun dürfen … Ich hatte un-
276
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
recht … Bitte entschuldigen Sie« zeigt eine Führungskraft Selbstverantwortung – und steigt in der Achtung ihrer Leute gewaltig.
Wer sich verwundbar macht, wird in guten Unternehmenskulturen
geschützt und nicht beschädigt. Eine aufrichtige Entschuldigung ist
der adäquate Ausgleich für eine erlittene Ungerechtigkeit. Bekommen wir sie, so gibt uns dies die Möglichkeit, zu verzeihen und
schließlich zu vergessen. Das fühlt sich gut an. Und es macht frei.
Übrigens tun sich Frauen im Allgemeinen schwerer, zu verzeihen
und zu vergessen. Das hat mit unserem zerebralen Zweifelzentrum
zu tun. Also am besten: erst gar nicht enttäuschen.
Enttäuschung bewirkt, wer sich nicht entschuldigen kann, obwohl
ein Fehler offensichtlich ist. Die Schuld bei Dritten zu suchen oder
eine ganze Litanei mildernder Umstände herunterzubeten, ist sogar
sehr enttäuschend. Das Gleiche gilt für eine floskelhafte, nicht ehrlich gemeinte, zwischen Tür und Angel ausgesprochene oder durch
einen Boten überbrachte Entschuldigung. Die Mühe eines persönlichen, vielleicht sogar handgeschriebenen Entschuldigungsbriefes
hingegen kann uns hellauf begeistern.
Wer begeistert ist, der bleibt (länger)
Egal, um welche Aufgabe es sich handelt: An allen MitarbeiterTouchpoints lassen sich Führungssituationen nach dem Enttäuschend-okay-begeisternd-Schema durchspielen, um optimale SollVorgehensweisen zu finden. Zur Illustration können diese mit
einem Ampelsystem verknüpft werden, um den jeweiligen Status
auch optisch sichtbar zu machen. Alles, was begeistert, wird dann
grün gekennzeichnet, alles, was okay ist, gelb, und alles, was unterhalb der Nulllinie ist, rot. »Alles im grünen Bereich«, ist dann
Ziel und Ansporn zugleich.
Auf der Suche nach einem Instrument, das die Loyalität der Mit­
arbeiter stärkt, ihre Motivation fördert und ihr Engagement er-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
277
höht, ohne dass es zu einem (kollektiven) Burnout kommt, liegt das Management mit der
Begeisterungs­
Begeisterungsführung, verknüpft mit einer
führung fördert
lachenden Unternehmenskultur, goldrichdie Loyalität, die
tig. Unproduktivität kann so verhindert und
Motivation und
ein schmerzlicher Abfluss wichtiger Komdas Engagement
petenzträger lange hinausgezögert werden.
der Mitarbeiter.
Bekanntlich gehen ja immer die Besten zuerst. Denn die werden überall mit Kusshand
genommen. Und die Young Professionals, die
jedes Unternehmen so händeringend sucht,
die wechseln sofort, wenn sie nicht ausreichend
gefördert, gefordert und auf begeisternde Art und
Weise geführt werden.
Sich für einen scheidenden Mitarbeiter bei Bedarf einen neuen
zu »kaufen« oder – wie bei einer Maschine – einen verschlissenen durch einen unverbrauchten Leistungsträger auszutauschen:
Viele Firmen können sich solchen Luxus schon längst nicht mehr
leisten. Die Hege und Pflege des bestehenden Mitarbeiterstamms
nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Gerade die Begeisterungsführung kann dabei helfen, das Miteinander an den einzelnen Touchpoints so zu verbessern, dass die Lust aufs Bleiben
wächst. Und es gibt noch sehr viel mehr Möglichkeiten dazu, wie
wir gleich sehen werden.
278
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Schritt 3: Die operative Umsetzung
In diesem Schritt geht es um die Planung und Umsetzung passender Maßnahmen, die von einer derzeitigen Ist-Situation zur gewünschten Soll-Situation führen. Dabei gibt es drei große Handlungsfelder:
{{ Touchpoints mit Führungsrelevanz, an denen die Führungs-
kräfte selbst oder miteinander arbeiten
{{ Touchpoints, die Sachthemen und Rahmenbedingungen
­ etreffen, an denen ein interner Touchpoint-Manager arbeiten
b
kann
{{ Touchpoints, die die Rahmenbedingungen betreffen, an denen
die Mitarbeiter gemeinsam arbeiten
Beim Vorgehen selbst gibt es einen langen und einen kurzen Weg.
Beim langen Weg wird eine Brücke zum Neuland gebaut, was nicht
nur zeitaufwendig ist, sondern auch viele Ressourcen bindet. Beim
kurzen Weg geht es um das Trittstein-Legen und die sogenannten
Quick Wins. Dabei konzentriert man sich auf einzelne Touchpoints
und solche Maßnahmen, die schnelle Ergebnisse versprechen. Im
Allgemeinen favorisiere ich das Trittstein-Modell, um ruckzuck
durchstarten zu können und ständig Stoff für Erfolgsstorys parat zu
haben. Warten Sie nicht, bis die Dinge an allen Ecken und Enden
fertig sind, denn fertig werden sie nie. Und in kumulierter Form
erzielen viele kleine Veränderungen eine große Wirkung.
Wie bei jedem Maßnahmenplan sind grundsätzlich folgende Punkte zu klären: Wer macht was ab / bis wann mit welchem Budget?
Welche Ressourcen müssen bereitgestellt werden? Wer kann dabei
helfen? Welche Zeitlinien sind sinnvoll und machbar? Am besten
wählen Sie ein Thema, das sowieso schon allen auf den Nägeln
brennt, und fangen einfach mal an.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
279
Touchpoints, an denen die Führungskraft arbeitet
Die Liste der Touchpoints, an denen eine Führungskraft mit ihren
Mitarbeitern in Berührung kommt, ist lang. Mitarbeitergespräche
nehmen dabei eine herausragende Stellung ein. Sie zählen zu den
wichtigsten Führungstools schlechthin. Denn Mitarbeiterführung
ist vor allem Kommunikation, Konversation und Dialog. Eine
sinnvolle Fragenauswahl, Zuhörtalent und das Meistern der unterschiedlichsten Gesprächssituationen ist dabei entscheidend.
Somit ist Kommunikationskompetenz wohl die wichtigste Eigenschaft einer guten Führungskraft. Konversation besteht bekanntermaßen aus verbalen und nonverbalen Anteilen, wobei die nonverbalen oft sehr viel wichtiger sind. Denn im Zweifel vertrauen
wir der Körpersprache. Mit ihr haben wir uns seit Jahrmillionen
verständigt. Die menschliche Sprache gibt es hingegen erst seit etwas mehr als hunderttausend Jahren. Deshalb müssen wir gute
Gespräche noch immer gehörig üben, um zu brillieren.
Die imposante Vielfalt der Mitarbeitergespräche
Mitarbeitergespräche sollen Orientierung geben und die beiderseitigen Erwartungen klären. Sie enden in aller Regel mit einer
Übereinkunft, mit der beide Seiten einverstanden sind. Neben dem
informellen Plausch im Vorbeigehen oder der Unterhaltung beim
gemeinsamen Mittagessen gibt es die folgenden Gesprächssituationen, die einen formellen Charakter haben und in einem mehr oder
weniger strukturierten Rhythmus ablaufen (sollten):
{{ Einstellungsgespräch
{{ Willkommensgespräch
{{ Erwartungsgespräch (Erwartungen beider Seiten)
{{ Potenzialgespräch
{{ Probezeit-Abschlussgespräch
{{ Teambesprechungen / Meetings / Sitzungen
280
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Statusgespräche / Reviewgespräche / Jour fixe
{{ Zielvereinbarungsgespräche
{{ Delegationsgespräche
{{ Abstimmungsgespräche
{{ Anerkennungsgespräche
{{ Fehler-Feedbackgespräche
{{ Mitarbeiter-Jahresgespräche
{{ Gehaltsentwicklungsgespräche
{{ Gespräche über Weiterbildungsmöglichkeiten
{{ Weiterbildungstransfergespräche (nach einer Maßnahme)
{{ Karriere-Entwicklungsgespräche
{{ Beförderungsgespräche
{{ Gespräche über heikle Themen (Körpergeruch usw.)
{{ Gespräche über persönliche Probleme des Mitarbeiters
{{ Klärungsgespräche
{{ Abmahnungsgespräch
{{ Trennungsgespräch
Wie diese Gespräche im Einzelnen und ganz konkret ablaufen können? Dazu finden Sie auf www.touchpoint-management.de eine
ganze Reihe von Checklisten. Neben persönlichen und telefonischen Gesprächen gibt es natürlich auch die schriftlichen Gespräche:
{{ Willkommensbrief
{{ Brief zum Abschluss der Probezeit
{{ E-Mail-Verkehr im beruflichen Alltag
{{ Schriftverkehr über Projekte
{{ Dankesbrief für besondere Leistungen
{{ Schreiben zu besonderen Anlässen
Schon allein die Länge dieser beiden Aufstellungen lässt erkennen,
um wie viel wichtiger das mündliche Gespräch im Rahmen der
Führungsarbeit ist. Also: Lassen Sie das Schreiben. Gehen Sie zu
den Leuten und reden Sie mit ihnen. Und bitte: Führen Sie keine Checklisten-Gespräche, sondern unterhalten Sie sich. Dabei hat
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
281
jedes Gespräch eine perfekte Soll-Situation, über die man sich im
Vorfeld Gedanken macht. Es lässt sich in Unterpunkte zerlegen,
wobei man zunächst die jeweilige Zielsituation definiert. Danach
macht man sich Gedanken über die Enttäuschungs-, Okay- und
Begeisterungsfaktoren. Zur Vorbereitung auf mündliche Gespräche
kann ein grob skizzierter Ablaufplan verwendet werden. Er sieht
in etwa so aus:
Art des Gesprächs: _______ Name des Mitarbeiters: _______ Datum: ______
Gesprächs­
etappen
Was ist das
Ziel?
Was würde
enttäuschen?
Was wäre
okay?
Was würde
begeistern?
Einstieg ins
­Gespräch
Eigener
Standpunkt
Standpunkt
­Mitarbeiter
Übereinkunft /
Ergebnis
Nächste
Schritte
Dieser Plan dient allerdings nur als Gedankenstütze und zur Festlegung der wesentlichen Schritte. Führen Sie das Gespräch selbst
so frei wie möglich.
282
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Mensch vor Sache, Emotio vor Ratio, Dialog statt Diktat
Folgende grundsätzlichen Aspekte sind im Rahmen jeglicher Kommunikation und einer zeitgemäßen Mitarbeiterführung besonders
zu beachten:
{{ Mensch vor Sache
{{ Emotio vor Ratio
{{ Dialog statt Diktat
{{ Fragen statt sagen
{{ Hinhören statt zureden
{{ Stärken stärken
{{ So einfach wie möglich
Kommunikationsprofis sind nicht nur gute Fragensteller, sie sind
auch gute Hinhörer – und noch bessere Hinschauer. Sie lassen sich
wohlwollend auf den Dialog mit ihren Mitarbeitern ein. Die leisen Worte der Körpersprache können sie deuten. Sie begleiten den
Mitarbeiter auf dessen Reise durch seine Gedanken. Und sie wählen ihre Worte mit Bedacht. Denn Worte sind wie Pfeile: Wenn sie
einmal abgeschossen sind, lassen sie sich nicht mehr zurückholen.
Nun wäre hier über Gesprächstechniken, also Frageformen, Zuhörformen, Antwortformen, Ich-Botschaften, Verhandlungsexzellenz und so weiter zu sprechen. Dazu verweise ich gern auf gute
Bücher (siehe Literaturempfehlungen), in denen diese Techniken
ausführlich beschrieben werden. Ferner kann man auf Onlineportalen eine Fülle von Fachbeiträgen zu Führungsthemen und Mitarbeitergesprächen herunterladen. Schauen Sie zum Beispiel mal
bei agitano.com, business-wissen.de, changeX.de, der Competence
Site, Harvard Business Manager online, HRweb.at, karrierebibel.de,
­managementpraxis.ch und unternehmer.de vorbei.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
283
Lob oder Tadel? Die neue Feedbackkultur
Feedbacks sind Rückmeldungen über die erbrachten Leistungen.
Sie geben uns die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein. Lob
wie auch Tadel sind von daher Steuerungsinstrumente, die schnelle Justierungen möglich machen. Zügige und stimmige Rückmeldungen sind im unternehmerischen Alltag deshalb elementar –
und für die Internetgeneration unumgänglich. Denn sie hat sich
an sofortiges Feedback gewöhnt. So wird man bei Onlinegames für
vollbrachte Spielleistungen postwendend belohnt: mit Status-Upgrades, immer höheren Levels, Fortschrittsbalken, Spielgeld und
Bonuspunkten. »Wir probieren gerade einen Supersprachkurs von
Rosetta Stone aus, da regnet es Ermunterungen wie Sternschnuppen«, schreibt Gunter Dueck.101 Ähnliches gilt für Facebook & Co.
Jedes »Like« ist wie ein virtuelles Schulterklopfen. Computerspiele, bei denen es um Gut und Böse geht, ermöglichen »epic wins«,
also Siege von epischem Ausmaß, und erzeugen »epic highs«, also
das Hochgefühl, wie ein Held die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Ganz offensichtlich: Social Networks und digitale Geräte
sind perfekte Feedbackgeber – und deshalb haben sie Suchtpotenzial.
Von ihrer Firma erwarten junge Mitarbeiter nun das Gleiche wie
von einem Onlinegame: instant gratification, alles möglichst sofort. »Ich will meinen Punktestand wissen, und zwar gleich!« »Lob
und Kritik? Wie geil!« So tasten sich die Millennials via Feedback
voran. Gamer sind es gewohnt, Fehler zu machen und sich in den
jeweiligen Communitys darüber auszutauschen. »Game over?«
Kein Problem, nächster Versuch! Und der aktuelle Score ist immer
präsent. In einem solchen Szenario mit Rückmeldungen bis zum
Jahresgespräch warten? Tödlich! Heute gibt es gar keine andere
Wahl: Feedback sofort!
Über die positive Seite des Feedbackgebens, also Anerkennung,
Wertschätzung und situatives Loben, haben wir schon eine Menge gehört. Doch manchmal passieren auch unschöne Dinge. Und
284
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
konsequenterweise muss auch darüber gesprochen werden. Wie
das geht? Schauen wir mal.
Hurra, ein Fehler ist passiert
Bei Google können sich die Mitarbeiter für eine ungewöhnliche
Auszeichnung qualifizieren: »Stelle ein Projekt vor, das so richtig
vor die Wand gefahren ist«, lautet die Aufforderung dort. »Start
many, try cheap, fail early«, so lautet ein wesentliches Google-Erfolgsrezept. Viele Projekte starten, sie mit kleinen Bordmitteln testen und Fehler schnell erkennen: Diese Philosophie hat, zusammen
mit der Hauptinnovation, in den Weiten des Webs für Ordnung zu
sorgen, ein kleines Start-up aus Mountain View innerhalb weniger
Jahre an die unternehmerische Weltspitze katapultiert.
»In jeder Töpferei liegen auch Scherben«, sagt ein ägyptisches
Sprichwort. Sehr schön! Denn nur da, wo nichts passiert, passieren
garantiert keine Fehler. »Ein Fehler ist ein Ereignis, dessen großer
Nutzen sich noch nicht zu deinem Vorteil ausgewirkt hat«, erklärt
Peter Senge, Vordenker der »lernenden Organisation«.102
Ohne Fehler zu machen ist Lernen überhaupt gar nicht möglich.
Deshalb brauchen Unternehmen eine Aus-Fehlern-lernen-Kultur.
Sie brauchen Führungskräfte, die konstruktive Fehler-Feedbackgespräche führen können. Und sie brauchen folgenden Punkt auf
der Meeting-Agenda: »Welche Erfahrungen ich gemacht habe, die
sich alle sparen können.« Solches Vorgehen ist hochwillkommen.
Denn es bringt alle dazu, ganz selbstverständlich auch über das
»Unsagbare« nachzudenken. Das totale Scheitern wird als mögliche Op­tion gehandelt und in die Arbeit von Projektgruppen miteinbezogen. Wenn der Super-GAU dann tatsächlich eintreten sollte, ist man wenigstens darauf vorbereitet. Denn Fehlervermeidung
ist ja das eigentliche Ziel.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
285
Einmalige ­Fehler
Die einzigen Fehler, die nicht toleriert wersind okay.
den können, sind absichtliche FehlleisAbsichtliche
tungen, Nachlässigkeit und Schlamperei.
­Fehlleistungen,
Ansonsten ist ein Fehler erst wirklich ein
Nachlässigkeit
Fehler, wenn er zum zweiten Mal passiert.
und Schlam­»Bei uns darf jeder Fehler machen, nur nicht
perei nicht.
den, ihn zum Schaden des Unternehmens zu
vertuschen.« – Das sollte in den Leitlinien eines
jeden Unternehmens stehen. Denn der falsche Umgang mit Fehlern verursacht gleich fünffache Kosten:
{{ Aufwendungen für die fehlerhafte Leistungserstellung
{{ Aufwendungen für die notwendige Mängelbeseitigung
{{ Umsatzverluste durch die Abwanderung enttäuschter Kunden
{{ Umsatzverluste, die aus negativer Mundpropaganda entstehen
{{ Vertrauensverluste aufgrund einer schlechten Reputation
Deshalb heißt es, ein fruchtbares Aus-Fehlern-lernen-Programm
zu entwickeln. Das bedeutet, Fehler schnellstmöglich aufzudecken
und zu melden, Missstände zu beseitigen, eine etwaige Enttäuschung der Kunden zu kompensieren und dann gemeinsam zu besprechen, wie Fehler in Zukunft umgangen werden können. Die
Führungskraft selbst ist die Einzige, die das in die richtige Richtung
lenken kann, und zwar so:
{{ Verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern, über schlechte Nach­
richten als Erster informiert zu werden.
{{ Verlangen Sie außerdem, dass Ihre Mitarbeiter Ihnen wider-
sprechen, und loben Sie diese dafür öffentlich.
{{ Bedanken Sie sich ausdrücklich bei denen, die ihre Fehler
beichten oder schlechte Botschaften überbringen.
{{ Drücken Sie starkes Missfallen aus, wenn Ihnen gezielt etwas
verschwiegen wurde, wenn Fehler unter den Teppich gekehrt
wurden, wenn Berichte geschönt sind oder wenn ganz offensichtlich gelogen wird.
286
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Fragen Sie sich aber auch, welche Strukturen und Prozesse individuelles Versagen überhaupt erst möglich gemacht haben. Denn
Fehler werden gerne personalisiert. Sind aber »der Huber« oder
»die Müller« schuld, dann kann die Organisation nichts für sich
lernen. Suchen Sie auch nach Fehlerkonflikten. So gibt es in der
Autoindustrie an den Montagebändern sogenannte Reißleinen,
die, wenn gezogen, die Produktion stoppen, damit etwaige Fehler
behoben werden können. Was ein neuer Mitarbeiter von seinen
Kollegen aber mit als Erstes lernt, ist dies: Bloß nicht an der Leine
ziehen! Weil es Nachteile für die gesamte Schicht mit sich bringt.
Aktives Fehlermanagement heißt auch: Fehler und die dazu­ge­
hörige(n) Lösung(en) werden aufgezeichnet und für diejenigen,
die daraus lernen können, einsehbar gemacht. Und statistisch ausgewertet. Dann macht jedes Teammitglied diesen Fehler (hoffentlich) nur einmal. Und Verbesserungen müssen nicht immer wieder
neu entwickelt werden. »Dumme und Gescheite unterscheiden
sich nur dadurch, dass der Dumme immer wieder dieselben Fehler
macht und der Gescheite immer neue«, hat der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky einmal gesagt.
Die Suche nach Schuldigen kommt bei all dem nicht vor. Erst
dann kann es auch keine Rechtfertigungsarien geben, die Zeit
und Nerven kosten, aber nichts bringen. »Nur wenn wirklich niemand schuld ist, also wenn niemand schuld sein kann, weil sich
die Schuldfrage einfach nicht stellt, kann man die Ursachen finden und über Lösungen nachdenken«, schreibt der Unternehmer
Detlef Lohmann.103 Dies kann sogar bedeuten, die Mitarbeiter von
Schuld freizusprechen, also ausdrücklich zu sagen, dass niemand
schuld ist an einer Situation. So wird der blockierte Kopf wieder
frei für den Blick nach vorn.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
287
Über Fehler muss gesprochen werden
Fehlergespräche sind die Kellerkinder in der Mitarbeiterkommunikation. Vielen Vorgesetzten sind sie höchst unangenehm. Sie zögern, solche Gespräche zu führen, weil sie Angst vor einer unerfreulichen Reaktion ihrer Mitarbeiter haben. Sie können schlecht
damit umgehen, wenn ihr Gegenüber zum Beispiel zu weinen beginnt, patzig wird oder sich sperrt. Andere befürchten, sich unbeliebt zu machen oder im Gegenzug selbst kritisiert zu werden.
Doch von einer guten Führungskraft wird erwartet, dass sie klar
und deutlich ihre Meinung sagt und dass sie mit Konsequenz und
Nachdruck handelt, wenn Ergebnisse nicht erreicht werden oder
Fehler immer wieder passieren. Mitarbeiter wollen und müssen
wissen, wie zufrieden ihr Chef mit ihrer Arbeit ist. Klare, offene
und ehrliche Signale sind die wertvollsten Geschenke, die eine
Führungskraft ihrer Mannschaft geben kann. Die Mitarbeiter absichtlich im Unklaren über die Qualität ihrer Leistungen zu lassen,
ist grausam. Denn schwelende Konflikte verursachen eine permanente, gesundheitsschädliche Hochschaltung der Stresssysteme.
Ein fair geführtes Gespräch hingegen sorgt wie ein reinigendes Gewitter für frische Luft.
Wer seinen Mitarbeitern berechtigte Kritik vorenthält, nimmt ihnen die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Kritikgespräche sind also
in Wirklichkeit Fördergespräche. Dabei spielt die Stoßrichtung eine
entscheidende Rolle: Nicht vergangenheitsorientiert, sondern zukunftsorientiert sollen sie sein. Beim Blick zurück geht es nämlich
meistens um das akribische Aufzeigen von Verfehlungen, was beim
Gegenüber Scham, Schockstarre, Abwehr und Ausflüchte bewirkt.
Die Folge: Täter schlüpfen in die Opferrolle, ein Alibi wird gesucht,
Hilflosigkeit vorgegaukelt, Sachverhalte werden vertuscht oder
geschönt, Verantwortung negiert, der schwarze Peter anderen zugeschoben. Die Diskussionen bei solchen »Yesterday-Feedbacks«
führen ins Nirgendwohin. Einsicht und Besserung sind kaum zu
erwarten.
288
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ganz anders bei »Tomorrow-Feedbacks«. Da geht es um Optimalsituationen und Verbesserungswünsche, an denen gemeinsam gearbeitet wird. Dass manches nicht immer ganz rundläuft und im
Eifer auch schon mal die Nulllinie unterschritten wird, ist traurig, aber wahr. Doch das Umfeld eines Fehlers kann auch wie folgt
umschrieben werden: Kinderkrankheit, Anlass, Anliegen, Sachverhalt, Korrekturmodus, Lernfeld, Testlauf, Rückschlag, Schwachstelle, Anlaufpatzer, Lapsus, Missgeschick, erster Versuch.
Danach muss alles so schnell wie möglich wieder in die Begeisterungszone rutschen. Den Weg dorthin sollte der Mitarbeiter selbst
finden. Machen Sie allenfalls Angebote statt Vorschriften, geben
Sie Anregungen und keine Ratschläge. Nichts ist schlimmer als eine
oberlehrerhafte Belehrung im falschen Augenblick oder ein Chef,
der ständig herausstellt, um wie viel besser er es selbst gemacht
hätte. Wer im Zuge solcher (nicht immer ganz leichten) Gespräche
den Mitarbeiter nicht abkanzelt und entwürdigt, sondern achtsam
wieder aufbaut, fördert nicht nur dessen Selbstachtung, sondern
auch dessen kritische Selbsteinschätzung.
Und wenn Sie unsicher sind, wie Sie das beim einzelnen Mitarbeiter am besten anstellen sollen, dann fragen Sie ihn doch einfach
im Rahmen eines Erwartungsgesprächs, wie er sich den Umgang
mit Problemen und Kritik wünscht. Wurde das klipp und klar ausgesprochen, können Sie sich immer sachlich darauf berufen. Und
es entsteht nie mehr diese Betretenheit, die es in Fehlergesprächen
vor allem am Anfang oft gibt.
Informatives Feedback will jeder, doch zurechtweisendes Feedback will niemand. So ist das »Wie« bei Fehlerlerngesprächen entscheidend. »Kritik braucht Liebe«, heißt es so schön. Dabei gibt
es letztlich nur zwei Fragen, die interessieren: Was lässt sich daraus lernen? Und: Wie können wir es in Zukunft besser machen?
Vermeiden Sie unbedingt die Warum-Frage! Denn wer sich für
einen Fehler rechtfertigen muss, entmündigt sich. Wer lächerlich
gemacht wird oder sein Gesicht verliert, entwickelt Hass und sinnt
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
289
auf Vergeltung. Die Angst vor schmählicher Kritik ist ja letztlich
nichts anderes als die Angst vor Liebesentzug. Unser Körper registriert soziale Zurückweisung im gleichen Hirnareal, das auch für
körperliche Schmerzen zuständig ist. Beleidigungen & Co. tun im
wahrsten Sinne des Wortes weh. Und Schmerzinformationen haben im Hirn immer Vorfahrt.
Bevor Sie zum Feedbackgespräch bitten, machen Sie sich Gedanken über den möglichen Ablauf, notieren Sie wichtige Eckpunkte
und ein paar passende Formulierungen. Benennen Sie ein optimales Gesprächsziel und für den Fall, dass sich dieses nicht erreichen lässt, ein Minimalziel. Was außerdem so alles zu beachten
ist, finden Sie in einer Checkliste unter: http://bit.ly/15xYcSS. Ein
Feedbackmeister sind Sie dann, wenn Ihr Gesprächspartner sich
am Ende eines Fehlergesprächs aufrichtig bedankt.
Gut oder schlecht? Die Mitarbeiterevaluierung
Die fortschreitende Digitalisierung erfasst nahezu alle Bereiche. So
ermöglicht sie es auch, die Mitarbeiterbeurteilung neu zu gestalten.
Gamification, also der Einbau spielerischer Elemente, liegt hierbei im Trend. Dazu werden erbrachte Arbeitsleistungen nicht nur
mündlich kommentiert und schriftlich festgehalten, sondern über
ein analytisches Bewertungssystem bepunktet und in einem Onlineentwicklungsplan abgelegt. Auch hier orientiert man sich an
Bemessungsschemata, wie sie uns die Cyberwelt beschert: Sterne,
Punkte, Levels. Wie Sie zwecks Einführung eines solchen Verfahrens vorgehen sollen? Fragen Sie die Digital Natives! Und lassen Sie
sie ein Konzept entwerfen.
Das Messen von Kompetenz und Performance eines Mitarbeiters
ist jedenfalls (auch) in Zukunft ein Muss. Die neue Mitarbeitergeneration wird dies schon allein deshalb einfordern, weil sie die
Ergebnisse für ihren Reputationsaufbau braucht. Und diese werden
290
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
zunehmend öffentlich sein. Denn sie zahlen auf das Reputationskonto einer Arbeitskraft ein – und bestimmen deren Marktwert
maßgeblich mit.
Die Mitarbeiter als ABC-Schützen?
Klassische Evaluierungstools gibt es schon lange. Dabei hat sich in letzter Zeit eine Reihe
Die ABC-Analyse
von Unternehmen entschieden, ihre Mitmag für den
arbeiter in A-, B- und C-Kategorien zu pa­Produktabsatz
cken. Ursprünglich stammt dieses Vorgehen
­geeignet sein,
von Jack Welch, dem legendären wie auch
nicht aber zur
umstrittenen Ex-CEO (1981 bis 2001) von
­Bewertung von
General Electric, der die RenditemaximieMitarbeitern.
rung als oberstes Unternehmensziel proklamierte. In dessen Personalkonzept steht A für
die Topperformer und C für die Minderperformer, diejenigen, deren Gehalt »als Spende anzusehen ist«. Eine solche Kategorisierung halte ich nicht
nur für respektlos und simpel, sondern auch für bedenklich. Sie befeuert eine Kultur, bei der die Leute untereinander in
Wettbewerb treten, statt sich gemeinsam an die Spitze zu hieven.
Und sie hat noch viel von der alten Hierarchiedenke, die Mitarbeiter zu Spielfiguren des Managements macht.
Gefährlich ist darüber hinaus, dass wir uns kaum davon freimachen können, auf andere durch die Brille unserer eigenen Vorurteile zu blicken. Dabei werden bei C-Mitarbeitern vor allem die
C-Leistungen gesehen. Mehr oder weniger unbewusst wird man
sie auch wie C-Mitarbeiter behandeln, wodurch sich deren C-Anteile weiter verstärken. Viele Studien zeigen, dass Menschen sich
bald genauso verhalten wie das Etikett, das man ihnen angeheftet
hat. Und wer erst mal in der C-Schublade gelandet ist, muss sich
schon mächtig anstrengen, da wieder rauszukommen. Doch siehe
da: Auf einer anderen Position, in einem anderen Team oder in
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
291
einer anderen Firma ist der gleiche Mensch dann plötzlich ein lupenreiner A-Typ.
Und dann gibt es ja auch noch die Lieblinge des Chefs. Sie werden meist maßlos überbewertet. Bekannt ist ferner, dass schwache
Führungskräfte die zu Beurteilenden am ehesten in der Mitte einstufen und damit Unterschiede nivellieren. Sie machen also gute
Mitarbeiter schlechter und schlechte Mitarbeiter besser.
Ferner machen sich viele Obere über ihren eigenen Anteil am Verhalten der Mitarbeiter viel zu wenig Gedanken. Sie führen womöglich so miserabel, dass bald jeder in der C-Kategorie landet. Oder
sie haben die falschen Leute eingestellt. Oder die Neuen auf die
falsche Position gesetzt. Oder ins falsche Team gesteckt. Die Anforderungen sind vielleicht einfach zu hoch. Oder zu niedrig. Die
Arbeitsmittel für ein Bessermachen sind möglicherweise gar nicht
vorhanden. Oder das Betriebsklima ist insgesamt mies. Anstatt also
die Schuld bei den vermeintlichen Minderperformern zu suchen,
sollte man ruhig öfter mal schauen, wo es bei einem selbst brennt.
Ein bisschen mehr Selbstreflexion täte vielen Führungskräften
wirklich ganz gut.
Natürlich gibt es Mitarbeiter, deren Talente nicht passen, die Faulenzer und Nutznießer sind oder nicht mit dem Team harmonieren.
Es gibt Menschen, die zwar können, aber nicht wollen. Und es gibt
auch solche, da ist es genau umgekehrt. Darüber hinaus gibt es
eine weitere Gefahr, die ein simples ABC-Raster geradezu heraufbeschwört: das Dilemma der Erfolgreichen. Erstens sind sie bei A
am Ende der Fahnenstange angekommen, eine Weiterentwicklung
im eigenen Unternehmen ist also nicht möglich. Zweitens ist für
diejenigen, die ganz oben sind, ein Absturz besonders dramatisch.
Da scheint es sinnvoller, nicht ins Risiko zu gehen. Schließlich haben sie jenseits der Gefahr des Scheiterns an sich auch ihren guten
Ruf zu verlieren. Aus Angst vor Misserfolgen meiden viele in dieser
Situation also echte neue Herausforderungen.
292
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
»Gerade leistungsorientierte Mitarbeiter würden lieber das Falsche
gut machen als das Richtige schlecht. Wenn sie einmal überfordert
sind, wollen sie es häufig nicht zugeben und weigern sich, um Hilfe
zu bitten, obwohl sie diese dringend bräuchten«, sagen Sara und
Thomas Delong, sie Psychiaterin, er Professor an der Harvard Business School.104 Zumal niemand von Highflyern Bruchlandungen
erwartet. Diese werden am besten verschwiegen – oder die Gründe
dafür anderen in die Schuhe geschoben.
Eine zeitgemäße Mitarbeiterevaluierung
Ob man nun will oder nicht: Organisationen brauchen eine Mitarbeiterevaluierung, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Dabei
soll durchgängig mit dem gleichen Maßband gemessen werden.
Last, not least liefern solche Evaluationen Kriterien, um über Aufstiegs- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie Gehalt und Gratifikationen zu entscheiden. Auf einer möglichst objektiven Basis muss
am Ende auch geklärt werden können, von welchen Mitarbeitern
man sich notfalls trennt. Dazu schlage ich, um auch die Kontinuität des Begeisternd-okay-enttäuschend-Schemas zu bewahren,
folgende Einteilung vor:
{{ Mitarbeiter, die überdurchschnittlich performen und begeistern
{{ Mitarbeiter, die sich auf Okay-Status befinden
{{ Mitarbeiter, die unterhalb des Okay-Status liegen
Mitarbeiter, die begeistern, sind solche, die in ihrem Verhalten und
ihrer Einstellung überdurchschnittlich gut performen. Allein schon
diese Sprachwahl lässt immer noch Luft nach oben. Ihr Engagement ist hoch und ihre fachliche Kompetenz liegt weit über der
Norm. Sie arbeiten eigenverantwortlich, bringen reichlich Ideen
ein und tragen maßgeblich zum Erfolg des Unternehmens bei. Bei
Okay-Mitarbeitern ist all das durchschnittlich ausgeprägt. Und
Mitarbeiter, die fachlich und / oder menschlich enttäuschen, liegen
(weit) unter dem Schnitt.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
293
Das Ergebnis einer solchen Evaluierung lässt sich grafisch in einer
Neun-Felder-Matrix erfassen, der die Achsen Können und Wollen zugrunde liegen. Das Können wird im Vorfeld auf Basis einer
Reihe von Kriterien definiert, die sich aus dem Anforderungsprofil
der Stelle ergeben. Das Wollen beinhaltet vor allem die Einstellung
und das persönliche Engagement. Die Matrix umfasst eine Skala
von null bis zehn auf jeder Achse, sodass auch im Hoch/Hoch-Feld
genügend Raum für Bewegung in die eine oder andere Richtung
bleibt. »Selbst Spitzenleistungen lassen sich toppen« – das könnte
für die Besten der Besten ein leistungssportlicher Ansatz sein. Neben
der Führungskraft gibt auch der jeweilige Mitarbeiter ­seine Eigenbewertung ab. Größere Diskrepanzen sollten besprochen werden.
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
hoch
10
< Das Können: fachliche Kompetenz usw. >
9
8
7
6
5
4
3
niedrig
2
1
0
niedrig < Das Wollen: Einstellung, persönliches Engagement usw. >
hoch
Abb. 16: Neun-Felder-Matrix zur Leistungsbeurteilung verschiedener Mitarbeiter auf
der Basis von Können und Wollen (die Größe der Kreise sowie verschiedene Farben
können weitere Kriterien ausdrücken)
294
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Was eine Führungskraft dabei immer beachten muss: Selbst beim
besten Willen kann man sich von seinen Gefühlen nicht lösen. Immer wird man andere durch die Like- oder Dislike-Brille betrachten. Neben dem Sympathiefaktor ist die Erwartungshaltung ein
weiterer Filter. So wird das Ergebnis jeder Bewertung rosarot oder
dunkelgrau eingefärbt sein. Hiervor kann man sich durch Fairness,
einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und folgende Frage notdürftig schützen: »Wie würde ein neutraler Beobachter das bewerten?« »Fair« bedeutet dabei nicht »gleich«, sondern: der jeweiligen
Situation und dem jeweiligen Menschen angemessen. Ein Mangel
an Fairness wird übrigens im zerebralen Ekelzentrum verarbeitet.
So kommt es, dass manchen Menschen von miesen Chefs geradezu
übel wird.
Natürlich funktioniert dieses Schema auch umgekehrt. In diesem
Fall beurteilt sich eine Führungskraft selbst – und danach wird sie
von ihren Mitarbeitern bewertet. In (noch) nicht gefestigten Unternehmenskulturen sollte dies besser anonym erfolgen. Auch hier
werden im Vorfeld die Kriterien für beide Achsen festgelegt. Und
auch hier sind Subjektivität und »alte Rechnungen« natürlich ein
Thema. Bei einer größeren Anzahl von Mitarbeitern relativiert sich
dies jedoch. Wer sich am Ende im Niedrig/Niedrig-Feld befindet,
der sollte von seiner Führungsverantwortung sofort entbunden
werden. Notfalls behält er sein Gehalt, Hauptsache, er verursacht
keine weiteren Schäden in seinem Bereich.
Und 360-Grad-Feedbacks? Bei diesem sehr umfänglichen Tool, bei
dem neben den Mitarbeitern auch andere Führungskräfte und Externe zu Beurteilungen hinzugezogen werden, bin ich, wie schon
in Touchpoints näher erläutert, skeptisch. Der bürokratische Aufwand dafür ist insgesamt hoch. Und immer sind bei den Bewertern
auch eigene Interessen im Spiel.
Abschließend ein weiterer Punkt: Das eben erwähnte Anforderungsprofil soll, soweit möglich und sinnvoll, an die Talente und
Präferenzen des jeweiligen Mitarbeiters angepasst werden – und
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
295
nicht umgekehrt. Es gibt keine Schablonenmenschen! Wer dieser
Überlegung folgt, wird sein Team wie ein Puzzle zusammensetzen,
bei dem sich ein Teil in das andere fügt. Hierzu bieten sich – am besten schon im Laufe der Probezeit im Rahmen eines Potenzial- und
Erwartungsgesprächs geklärt – folgende Fragen an:
{{ Mit welchen Aufgaben beschäftigen Sie sich besonders gern?
{{ Welche weiteren Aufgaben möchten Sie gern übernehmen?
{{ Welche Arbeiten tun Sie weniger gern?
Wenn Ihre Mitarbeiter das tun dürfen, was sie am besten können
und am meisten wollen, erhalten Sie garantiert die bestmöglichen
Arbeitsleistungen.
Touchpoints, an denen Touchpoint-Manager
­arbeiten
Der interne Touchpoint-Manager ist ein neues Berufsbild, das in
diesem Buch erstmals vorgestellt wird. Er ist als Bindeglied zwischen Organisation, Mitarbeitenden und Führungskreis für unternehmenskulturnahe Themen und das Wohlergehen der Menschen
zuständig. Er sorgt sich um die körperliche, geistige und seelische
Fitness der Mitarbeiterschaft, damit deren Performance auf Höchststand bleibt. Diese Funktion hat sowohl strategische als auch operative Komponenten. Von daher ist sie viel mehr als nur ein bisschen Mitarbeiterstreicheln. In Zeiten von Talente-Knappheit und
Social-Media-Gerede kann sie über die Zukunft eines Unternehmens maßgeblich mitentscheiden. Insofern benötigt ein interner
Touchpoint-Manager, wie sein externer Counterpart auch, die absolute Rückendeckung der Geschäftsleitung, da sein Weg holprig ist
und er sich nicht immer nur Freunde macht. Denn wer als atmosphärischer Interessenvertreter der Mitarbeiter unterwegs ist, deckt
zwangsläufig auch Missstände auf.
296
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ein interner Touchpoint-Manager ist Advokat der Mitarbeiter und
neutrales Bindeglied zwischen Oben und Unten. Sein mögliches
Aufgabenfeld:
{{ Büroorganisation und Büroleben
{{ Mitarbeiterevents und Sozialprojekte
{{ Sportangebote und Gesundheitsprogramme
{{ Initiieren von Mitarbeiterbefragungen
{{ Prävention von Mitarbeiterfluktuation
{{ Involvement bei der Mitarbeiterauswahl
{{ Onboarding- und Offboarding-Begleitung
{{ Exit-Interviews und Ehemaligen-Betreuung
{{ Betreuung von Arbeitgeberbewertungsportalen
{{ Kummerkasten, gute Seele, Mediator
{{ Innerbetriebliches Ideenmanagement
{{ Moderation von internen Touchpoint-Projekten
{{ Vernetzung aller über Abteilungsgrenzen hinweg
Als Vorgänger des Touchpoints-Managers kann der FeelgoodManager gelten. Diese Funktion hat speziell in der IT-Branche
Anhänger gefunden. Da ist zum Beispiel Magdalena Bethges,
Feelgood-Managerin bei Jimdo, einem Dienstleister für die Web­
site-Erstellung.105 Sie hat unter anderem ein »Good Book« und ein
»Bad Book« eingeführt, in das die Jimdo-Mitarbeiter Lob und Kritik
eintragen können. Nach der »Teamverlötung«, so heißt bei ihnen
die wöchentliche Teambesprechung, liest sie daraus vor. Auf diese
Weise erfahren alle, wo es hakt und welche guten Nachrichten es
gibt. Stefanie Häußler, Feelgood-Managerin beim Onlineanbieter
Spreadshirt, hat »Blind-Lunch«-Aktionen initiiert. Dabei werden
mehrere Personen anhand ihrer aktuellen Tätigkeiten, Kompetenzen und Interessen gematcht, um gemeinsam zu Mittag zu essen.
»Werden die Mitarbeiter bei so einem Verwöhnprogramm denn
nicht übermütig und faul?«, werde ich manchmal gefragt. Ja, das
Risiko ist da, und es beträgt – einen guten Bewerberauswahlprozess vorausgesetzt – etwa ein Prozent. Wollen Sie jetzt tatsächlich
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
297
99 Prozent Ihrer Mitarbeiter darben lassen, weil es unter hundert
Personen so ein schwarzes Schaf gibt?
Touchpoints, an denen die Mitarbeiter arbeiten
Wer unternehmerisch handelnde Mitarbeiter will, muss diese an
unternehmerisches Denken heranführen. Interne TouchpointOptimierungen sollten deshalb, soweit sie nicht im ureigenen Sinn die Führungskraft selbst betreffen, im
Wesentlichen von den Mitarbeitern gemeinsam
erarbeitet werden. Deren »Wollen« ist am besten sicherzustellen, wenn sie freiwillig sagen,
wie sie die Dinge in Zukunft anpacken werden.
Machen Sie Ihre
Mitarbeiter zu
Mitgestaltern –
das lohnt sich.
Mitarbeiter zu Mitgestaltern zu machen, das
sieht zunächst nach Mehrarbeit aus. Doch
die Zeit dafür ist bestens investiert, denn auf
diese Weise werden Aktionen nicht nur praxisorientierter und facettenreicher, sondern
auch engagierter umgesetzt. Und Begeisterung
für die Sache wird dabei gleich mitgeliefert. Denn
es wurde nichts von oben diktiert, sondern alles in
Eigenregie entwickelt. Die Vorteile im Einzelnen:
{{ Durch das systematische Einholen von Meinungen und
f­ achlichem Rat, durch die Vielfalt von Ideen und durch die
­aktive Mitarbeit passender Teilnehmer stehen Entscheidungen
auf einer breiteren Basis.
{{ Gegenseitiges, hierarchie- und abteilungsübergreifendes
­Konsultieren schafft eine Kultur der Wertschätzung, der
­Transparenz, des Vertrauens und der Partnerschaft. Es stärkt
außerdem das Verständnis für die Arbeit der anderen.
{{ Alle in den Prozess Involvierten lernen voneinander. So ver­
298
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
größert sich das Wissen und Können im gesamten Unternehmen. Jeder Beteiligte ist gleichzeitig Lehrender und Lernender.
{{ Involvierte Mitarbeiter fühlen sich besser, ihre Arbeitsfreude
steigt, sie zeigen mehr Verantwortungsbereitschaft und erzielen
bessere Ergebnisse.
{{ Wer sich als Teil des Entscheidungsprozesses sieht, wird, wenn
nötig, dazu bereit sein, auch unangenehme Entscheidungen
mitzutragen.
Um die Mitarbeiter interaktiv zu involvieren und deren unbändige Kreativität zu nutzen, gibt es im Touchpoint-Management drei
mögliche Ansatzpunkte: 1. das interne Touchpoint-Projekt, 2. das
sukzessive Arbeiten an einzelnen Touchpoints und 3. die Touchpoint-Großgruppenveranstaltung. Sehen wir uns diese drei Wege
einmal genauer an.
Der lange Weg: das interne Touchpoint-Projekt
Sie möchten das Touchpoint-Management als Ganzes in Ihrem Unternehmen einführen? In diesem Fall geht es um die Einberufung
eines Projekts. Noch ein Projekt? Na ja, ob man das will oder nicht:
Das Projektwesen als solches wird sich ausweiten, schon allein aufgrund der sich ändernden Arbeitsmodelle. Grundsätzliches über
die Projektarbeit steht in unzähligen Büchern. In Zusammenhang
mit dem Touchpoint-Management deshalb hier nur einige wesentliche organisatorische Hinweisschritte zur:
{{ Berufung des Projektleiters
{{ Zusammenstellung des Projektteams
{{ Definition der Projektziele
{{ Festlegung der organisatorischen Parameter
{{ Kommunikation in alle Richtungen.
Zunächst muss der Projektleiter berufen werden. Das sollte ein
Sachfremder und kann der Touchpoint-Manager sein. Der Vorteil
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
299
dabei? Da er von der Materie selbst keine Ahnung hat, ist er gezwungen, sich mit den Teilnehmern intensiv auszutauschen – und
dabei auch »dumme« Fragen zu stellen. Durch solche Dialoge werden Zusammenhänge klarer, brachliegendes Wissen wird angezapft
und Hierarchiebremsen werden ausgehebelt. Eine solche »Brille«
lässt oft neue, mutige Ideen entstehen.
Zumindest zeitweise kann es auch sinnvoll sein kann, einen Externen als neutralen Moderator hinzuzuziehen, um der eigenen
Betriebsblindheit zu entgehen. Nie würde ich hingegen empfehlen,
solche Analysen voll und ganz von externen Beratern erstellen zu
lassen. Das Wichtigste ist die Akzeptanz der involvierten Mitarbeiter sowie eine Vorgehensweise, die für die eigene Company maßgeschneidert ist – und zwar zu einhundert Prozent.
Die Zusammensetzung des Projektteams soll sich an der Aufgabenstellung orientieren. Am besten achtet man auf einen guten
Mix aus langjährigen und neuen, aus jungen und alten sowie aus
männlichen und weiblichen Mitarbeitern. Anita Woolley, Professorin an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, hat herausgefunden, dass sich die kollektive Intelligenz einer Gruppe erhöht,
wenn mindestens zwei Frauen mit an Bord sind. Auf Gruppen mit
ausschließlich weiblichen Mitgliedern traf dies allerdings nicht zu.
Gruppen mit sehr klugen, aber zugleich auch sehr dominanten
Mitgliedern gehörten, so berichtet sie im Harvard Business M
­ anager,
106
nicht zu den besten.
Das Wortführen wird nämlich dann den
Wortführern überlassen, und die finden nicht zwangsläufig den
besten Weg.
Laden Sie unbedingt Kollegen aus unterschiedlichen Abteilungen
ein, damit die Zuständigkeitsdenke abgelegt wird und die Zusammenarbeit jenseits aller Ressort-Egoismen zukünftig reibungslos
klappt.107 Ziehen Sie zu passenden Projekt-Zeitpunkten Menschen
mit einschlägiger Expertise aus anderen Unternehmen und vielleicht sogar Kunden hinzu, die als Ideenlieferanten und / oder
Feedbackgeber fungieren.
300
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Beachten Sie auch, dass es im Verlauf eines Projekts immer zwei
Phasen gibt: die Phase der Ideenfindung und die Phase der Überführung in die Realität. Für beide Phasen benötigen wir unterschiedliche Menschentypen. Im Zuge der Ideenfindung braucht es
Querdenker, Visionäre, Zerstörer und Regelbrecher. Sie geben den
kreativen Input und entwickeln Vorwärtsdrang. Sie stellen die abwegigsten Fragen, sie denken das Undenkbare und träumen sich in
die schönsten Luftschlösser hinein. In dieser Phase kann man gar
nicht genug verrückte Ideen haben.
Im zweiten Schritt kehrt man dann auf den Boden der Tatsachen
zurück und konzentriert sich auf die wirklich brauchbaren Ideen.
Hierzu muss die Zusammensetzung des Projektteams verändert
werden. Denn die Überführung auf ein hohes Niveau der Machbarkeit erfordert einen anderen Menschentyp: den detailverliebten
Schützer und Bewahrer. Diesen Typ nenne ich Haken, den anderen
Öse. Ösen sind offen und sehen in allem Neuen ein Eldorado von
Chancen, Haken sehen überall »Haken« und eher auch die potenzielle Gefahr. Werden sie zu früh in ein Projekt einbezogen, ver­
haken sie sich und ersticken jede »verrückte« Idee schon im Keim.
Optimal wird’s, wenn Haken und Öse perfekt ineinandergreifen.
Jedes Touchpoint-Projekt sollte von der Geschäftsleitung mitgetragen werden. Vereinbaren Sie also regelmäßige Berichte nach ganz
oben. Kommunizieren Sie lebendig in internen Medien darüber.
Und stellen Sie gleich zu Beginn das dazu notwendige Budget bereit. Ich habe schon Touchpoint-Projekte scheitern sehen, weil es
am Ende kein Geld dafür gab. Andererseits habe ich auch Projekte
gesehen, die missraten sind, weil es zu viel Budget dafür gab. Dann
geht’s nämlich als Erstes ans Verwalten und Geldausgeben. Nutzen
Sie besser »Brain statt Budget«. Mit wenig Geld kommt man meist
auf die besten Gedanken.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
301
Die Touchpoint-Collage
Geht es um ein größeres Touchpoint-Projekt, kann es sinnvoll sein,
zunächst eine Collage zu erstellen. Sie zeigt die Ist-Situation aus
der Perspektive der Mitarbeiter. Dies lässt sich natürlich nur dann
realistisch bewerkstelligen, wenn »Betroffene« selbst am Projekt
teilnehmen können. Das Ganze lässt sich sehr schön als Reise darstellen, die zeigt, was man an den einzelnen Etappenzielen so alles
erleben kann. Eine solche Mitarbeiterreise (Collaborator Touchpoint Journey) kann zum Beispiel einen der folgenden Titel tragen:
{{ Die typischen Erlebnisse eines Bewerbers bei uns im Recrui-
tingprozess
{{ Wie es einem neuen Mitarbeiter bei uns in den ersten Tagen
ergeht
{{ Wie es einem Mitarbeiter bei uns ergeht, wenn er die Firma
verlässt
Dabei wird der Verlauf an den einzelnen Touchpoints bildlich dargestellt. Es wird also nicht nur geschrieben, es wird auch gemalt
und geklebt. Ausgewählte Geschichten werden zum Besten gegeben und beispielhafte Mitarbeiteraussagen angeheftet. Mitgebrachte Unterlagen werden in ihre Bestandteile zerlegt. Plus- und Minuspunkte werden gelistet. Don’ts und Dos werden nachgestellt
und per Storyboard oder Video dokumentiert.
Das Ganze lässt sich an Pinnwänden darstellen, die chronologisch
nebeneinander aufgestellt werden und durch die »Reise« des Mitarbeiters miteinander verbunden sind. Einzelne Elemente kann
man im weiteren Verlauf des Projekts mit in seine Abteilung nehmen, um den Fortschritt zu dokumentieren und die Verbindungsstellen zu anderen Bereichen immer vor Augen zu haben. Dazu
lassen sich auch internetfähige Multimediawände benutzen, die
man mit Fingerbewegungen wie bei einem iPad bedient.
302
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
© Anne M. Schüller
Erweiterte Legende
Die Reise des Mitarbeiters
Online-Touchpoints
Offline-Touchpoints
Geschichten/Audios
Videos über Don’ts + Dos
Fragen, die auf Antwort warten
Begeisterungsfaktoren
Enttäuschungsfaktoren
Online-Bewertungen
Faktische Mitarbeiteraussagen
Was der Mitarbeiter denkt und/oder fühlt
Was der Mitarbeiter seinem Netzwerk sagt
Abb. 17: Eine typische »Mitarbeiterreise« in einem gewählten Zeitablauf, detailliert
­dokumentiert und an Pinnwänden optisch sichtbar gemacht
Im Anschluss an die optische Darstellung wird eine Prioritätenliste
der zu bearbeitenden Touchpoints erstellt. Nach einer Erfassung
der dortigen Ist-Situation wird eine gewünschte oder notwendige
Soll-Situation definiert und ein Maßnahmenplan entwickelt. Dieser wird in den angepeilten Zeitlinien ausgeführt. Im Anschluss
daran wird das Ergebnis anhand passender Messgrößen überprüft,
dokumentiert und optimiert.
Der schnelle Weg: die Arbeit an einzelnen Touchpoints
Um mit der Touchpoint-Optimierung möglichst zeitnah beginnen
zu können, fängt man am besten einfach mal mit einem einzelnen
Touchpoint an: idealerweise mit einem, bei dem sich schnell was
bewegen lässt, um erste Erfolgserlebnisse zügig sicht- und spürbar
zu machen. Oder man beginnt bei einem, der aus Sicht der Mitar-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
303
beiter ganz dringend Veränderung braucht. Eine ideale Ausgangsfrage dazu, die ursprünglich von Vernon Hill, einem US-Banker,
stammt, kennen wir schon:
Kill a stupid rule! Von welchen blödsinnigen Standards
und von welchem administrativen Schwachsinn sollten
wir uns schnellstmöglich trennen?
Um an einem spezifischen Touchpoint schnellstmöglich in den Exzellenzbereich vorzustoßen, ist folgende Frage die beste:
Was ist die beste Idee, die uns zu diesem Thema
in den Sinn kommt?
Diese Frage muss unbedingt exakt so gestellt werden, weil sonst er­
fahrungsgemäß meist nur Allerweltslösungen vorgeschlagen wer­
den. Doch in den Extremen stecken die größten Innovationschancen. Durchschnittsideen hingegen erzeugen nur Mittelmaß.
Wird das Touchpoint-Optimieren als Tagesordnungspunkt in den
Meeting-Ablauf eingebaut, ermöglicht dies Verbesserungen am
laufenden Band. Bestimmen Sie dazu ein erstes Meeting und einen
ersten Touchpoint, mit dem es losgehen soll. Am Ende des Meetings
entscheiden Sie dann, welcher Touchpoint beim nächsten Mal an
die Reihe kommt. So können sich alle gut darauf vorbereiten. Legen Sie einen Zeitraum fest, den Sie maximal für die Bearbeitung
eines Punktes ansetzen wollen, damit sich die Diskussionen nicht
endlos in die Länge ziehen: zum Beispiel dreißig Minuten. Dann
geht’s weiter wie folgt:
304
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
5 Min.
Beschreibung eines nicht länger tragbaren Ist-Zustandes, am besten
via Storytelling: So wird etwa über ein unschönes Erlebnis berichtet,
das ein Mitarbeiter an einem bestimmten Touchpoint hatte, welche
Probleme es gab – und welche Konsequenzen.
5 Min.
Sammlung von Ideen, wie man diesen Punkt optimieren und damit
Ärger in Zukunft vermeiden kann. Hier brauchen wir zunächst
Quantität. Deshalb sollen die Teilnehmer in dieser Phase still und
leise arbeiten, damit jeder seine Idee(n) unbeeinflusst entwickelt.
Diese werden auf Kärtchen notiert und an eine passende Wand
gepinnt.
10 Min.
Jeder, der ein Kärtchen geschrieben hat, erläutert seine Idee kurz
und knapp. Anschließend erfolgt eine Kurzdiskussion.
5 Min.
Mehrheitsentscheid für die favorisierte Idee. Die Führungskraft
hält sich während des gesamten Prozesses völlig zurück. Warum?
Damit die Weisheit der Vielen genutzt werden kann.
5 Min.
To-do-Plan erstellen, also: Wer macht was mit wem bis wann?
Dazu gehört auch ein Folgetermin, um zu besprechen, wie sich die
Sache entwickelt, ob weiter feinjustiert werden muss und welche
Ergebnisse erzielt worden sind.
Dreißig Minuten sind nicht viel, und dennoch lässt sich bei konzentriertem Arbeiten in dieser Zeit sehr viel erreichen. »Meine Mitarbeiter können so was aber nicht«, hat mir einmal ein in die Jahre
gekommener Vorgesetzter gesagt. Doch, die konnten das. Nur seine
Anwesenheit hatte immer gestört. Ja, das »Machtwort« des Chefs
lässt wertvolle Initiativen oft einfach versanden. Natürlich hat der
Chef, wenn vereinbart, ein Vetorecht. Davon sollte er allerdings
nur ausnahmsweise Gebrauch machen. Sonst erzieht er sich lauter
Mündel, die meinungslos auf Anweisungen warten.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
305
Ein eindrucksvoller Weg: das Touchpoint-Großgruppenevent
Um die internen Touchpoints eines Unternehmens zu optimieren,
schlage ich heute fast nur noch Großgruppenveranstaltungen vor.
Die so lange gelebte Praxis, Konzepte gemeinsam mit Consultants
im stillen Kämmerlein auszuhecken, um sie dann nach unten
durchzudrücken, führt nicht nur zu interner Unlust, sondern oft
auch zum Flop. »Der Wandel zu mehr Eigenverantwortung und
Initiative kann nur erfolgen, wenn bei MitarbeiterInnen entsteht,
was Psychologen ein ›unzufriedenes Ich‹ nennen. MitarbeiterInnen ändern ihr Verhalten nicht, nur weil ihre Chefs das wünschen.
MitarbeiterInnen wandeln sich erst, wenn sie die Wende selbst
wollen«, schreibt Jochen May.108 Ferner hilft eine Vielzahl von persönlich eingebundenen Mitarbeitern, schon lange schlummernde
Ideen ans Tageslicht zu befördern und tatsächlich praxis­taugliche
Konzepte zu entwickeln. Nur wer viel würfelt, der würfelt am
Ende auch Sechser.
Dabei geht gleichsam ein Ruck durch die gesamte
Organisation. Neue Perspektiven, neue Kontakte,
neue Beziehungen und Kommunikationsnetze
entstehen. Die Suche nach einer gemeinsamen Zukunft schweißt alle zusammen. »Die
Wirkung von gemeinsam erlebten Prozessen
Die Suche nach
der Entscheidungsfindung und des verbind­einer gemein­
lichen Planens hält im Allgemeinen lange
samen Zukunft
an«, sagt Ruth Seliger, Coach für systemischweißt alle
sche Organisationsentwicklung.109 Und die
­zusammen.
Lust am Umsetzenwollen ergibt sich dann
auch fast wie von selbst. Bei den althergebrachten Verkündungsprogrammen hingegen
bleibt alles ganz steif und im Müssen.
Großgruppenveranstaltungen sind also für unsere Zwecke bestens geeignet. Hierbei können an einem einzigen Tag
zwischen fünfzig und hundert Mitarbeiter strukturiert an die zu
306
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
bearbeitenden Themen herangeführt werden. Dieses Vorgehen
kommt nicht nur für Führungskreise infrage, es ist auch bei den
»einfachen« Mitarbeitern sehr erfolgversprechend. So werden
diese nämlich ganz systematisch an unternehmerisches Denken
herangeführt. Am besten funktionieren Großgruppenevents nach
meiner Erfahrung hierarchie- und abteilungsübergreifend. Im Folgenden beschreibe ich den Ablauf solcher Veranstaltungen, die von
mir begleitet wurden.
Der Ablauf Schritt für Schritt
Klassische Großgruppenveranstaltungen, wie etwa Open Space
oder World-Café, sind dadurch geprägt, dass die Mitarbeiter ohne
jeden externen Input losmarschieren und ihre Ideen mit mehr
oder weniger Tiefe entwickeln. Meist wird bereits in Ansätzen Vorhandenes auf den Tisch gebracht und weiterentwickelt. Wirklich
Innovatives entsteht eher selten, weil Gruppen meist »zur Mitte«
tendieren. Der Prozess zieht sich oft über mehrere Tage hin, und
konkrete Entscheidungen fallen selten vor Ort. Dieser Ansatz mag
im Einzelfall sinnvoll sein, im Touchpoint-Management ist er das
nicht.
Denn bei Touchpoint-Events entstehen im Rahmen einer sehr kompakten Tagesveranstaltung umsetzungsreife Konzepte, die idealerweise noch vor Ort durch Gruppenentscheid abgesegnet werden
und danach sofort in die Realisierung gehen. Sie müssen also nicht
erst die üblichen Gremien durchlaufen. Ferner sorgt ein Vortrag zu
Beginn für zusätzliche Impulse, für den Blick über den Tellerrand
und für »verrückte« Perspektiven, sodass die Teilnehmer nicht nur
aus Vorhandenem schöpfen, sondern auch Neues integrieren können. Schließlich kann ein »Prophet von außen« sehr hilfreich sein,
wenn es gilt, besonders hartnäckige Widerstände sachte zu lockern.
Am Vormittag halte ich einen drei- bis vierstündigen Impulsvortrag
(inklusive Kaffeepause) zu den Themenfeldern, die im Rahmen
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
307
eines Briefinggesprächs angedacht wurden. Dieser Impulsvortrag
integriert bereits all die Aspekte, die dann am Nachmittag weiter vertieft werden sollen. Hierbei verstehe ich mich als Advokat
des Mitarbeiters, der klipp und klar seine Meinung sagt. Und ich
verstehe mich als Querdenker, der neue Sichtweisen einbringt,
psychologische Hintergründe darlegt, von den Besten des Fachs
erzählt, vor Abgründen und Irrwegen warnt und auch unangenehme Wahrheiten zur Sprache bringt. Dies ist eine Rolle, die nur
ein Außenstehender einnehmen kann. Solches Querdenken ist
zwar oft genug nötig und offiziell auch erwünscht, aber für Unternehmensinterne meist viel zu gefährlich. Denn es kann Karrieren bedrohen. Deshalb sollten Unternehmen sich den Luxus eines
externen Querdenkers leisten. Er stärkt nebenbei auch internen
Querdenkern den Rücken.
Am Nachmittag werden die Teilnehmer in Arbeitsgruppen zusammengeführt. Diese bestehen idealerweise aus fünf bis sieben
Teilnehmern – abteilungsübergreifend zusammengesetzt und auf
gleicher Hierarchieebene angesiedelt. Sind mehrere Hierarchieebenen anwesend, arbeiten die Topführungskräfte in einer eigenen
Arbeitsgruppe. Hierarchie bremst den Arbeitsfluss, und Kontrolle
killt Kreativität. Nur wenn die Leute unter sich sind, können selbst
die abwegigsten Ideen mutig und unbefangen diskutiert werden.
Und nur in einer autoritätsfreien Umgebung werden selbst die unangenehmsten Themen rückhaltlos offengelegt. Auf jedem Tisch
liegt eine bereits vorbereitete Aufgabenstellung: eine Touchpoint-­
Thematik, zu der die Gruppe ein konkretes Konzept erstellen soll.
Zum Visualisieren stehen Pinnwände und Moderationskoffer bereit.
Bei der Aufgabenstellung an sich geht es nicht um das übliche Kärtchenschreiben, sondern vielmehr um ein konkretes, unternehmerisches Konzept, das im Detail so ausgearbeitet werden soll, dass
es idealerweise sofort umsetzbar ist. Dazu erhalten die Teilnehmer
mindestens neunzig Minuten Zeit. Um optimale Ergebnisse zu erzielen und am Ende tatsächlich umsetzungsfähige Konzepte zu er-
308
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
halten, ist es wichtig, die Teilnehmer gut zu instruieren. Am besten
visualisieren Sie die dazugehörigen sieben Schritte auf einem Flipchart wie folgt:
Die sieben Schritte beim Touchpoint-Großgruppenevent
{{ Beschreibung der derzeitigen Ist-Situation
{{ Definition der erwünschten Soll-Situation
{{ Erstellung eines detaillierten Maßnahmenplans
{{ Fixierung von Zeitplan und Verantwortlichkeiten
{{ Kalkulation des erforderlichen Budgets
{{ Messinstrument(e) zur Erfolgskontrolle
{{ Ideenspeicher für weitere (verrückte) Ideen
Der Veranstaltungsmoderator muss vor allem darauf achten, dass
die Arbeitsgruppen nicht zu lange in der Ist-Phase verharren. Für
diese sollte er maximal zehn Minuten ansetzen. In Lamentieren
verfangen und von Horrorstorys aus der Vergangenheit berauscht,
kann eine Gruppe schnell mal vergessen, dass ihr eigentliches Ziel
ja der Maßnahmenplan für eine bessere Zukunft ist. Die derzeitige Ist-Situation kann auch als Punkt auf einer Skala von null bis
zehn eingetragen werden. Auf einer weiteren Skala wird gezeigt,
wo man nach Umsetzung des Maßnahmenplans landen will. Für
die Vorstellung im Auditorium wird je Gruppe ein Sprecher nominiert. Das erarbeitete Ergebnis wird auf eine Pinnwand übertragen
oder als Beamer-Präsentation angelegt, damit es für alle gut sichtbar ist.
Jeder Präsentation folgt eine kurze Frage- und Bereicherungsphase. Eine erste Stimmungslage wird per Daumen-hoch- oder Daumen-runter-Votum sondiert. Danach wird mit einem vordefinierten Mehrheitsschlüssel über die Umsetzung entschieden. Dieser
Mehrheitsschlüssel sollte bei mindestens fünfundsiebzig Prozent,
aber nie bei hundert Prozent liegen, damit mutig entschieden wird,
aber nichts im Konsens des Mittelmaßes stecken bleibt. Der Chef
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
309
hat dabei nie das erste, sondern höchstens das letzte Wort. Er ergänzt nur noch die Aspekte, die fehlen und für ihn von ausschlaggebender Bedeutung sind. Ich habe bereits eine große Zahl solcher
Gruppenevents geleitet und bin stets aufs Neue überrascht, wie viel
von dem, was die Geschäftsleitung sowieso vorhat, von den Mitarbeitern selbst eingebracht und ausgearbeitet wird. Und die Oberen
sind immer hellauf begeistert, wenn sie sehen, was so alles in ihren
Mitarbeitern steckt.
Wie man die Umsetzung sicherstellt
Die getroffenen Entscheidungen werden in einem Maßnahmenplan festgehalten und im Anschluss an die Veranstaltung Schritt für
Schritt umgesetzt. Themen, die sich als besonders komplex erweisen oder bei denen eine Entscheidung Nichtanwesender notwendig
ist, werden zeitnah im Anschluss an die Veranstaltung weiterbearbeitet. Ein konzeptionelles Aufmöbeln der Arbeitsgruppenergebnisse – um dieses zum Beispiel vor Dritten zu präsentieren – ist
jederzeit möglich. Dazu können Vorher-Nachher-Videos gedreht,
Mitarbeiter (und Kunden) interviewt oder Soll-Situationen nachgestellt werden. In einem internen Blog lässt sich das Ganze weiter
durchdiskutieren und mit zusätzlichen Ideen anreichern.
Egal, wie es dann weitergeht: Treffen Sie konkrete Entscheidungen
bereits während der Veranstaltung und setzen Sie diese alsbald um.
Vor allem aber: Feiern Sie die Erfolge, damit sich der Geist solch
kollaborativen Vorgehens in allen Unternehmensbereichen weiter
ausbreiten kann. Nichts ist frustrierender für die Beteiligten, als zu
sehen, dass die mit viel Hirnschmalz erarbeiteten Konzepte sangund klanglos in der Versenkung verschwinden. Oder zu erleben,
dass sich kein Mensch dafür interessiert. Ich hatte schon Workshops, da hat sich die Geschäftsleitung das letzte Wort vorbehalten
und alles wurde auf später vertagt. Oder es musste der Instanzenweg eingehalten werden. Und am Ende passierte dann – nichts!
310
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Die schließlich verabschiedeten Maßnahmen sind nun keine Dogmen, an die man sklavisch gebunden ist. So wie man die Segel neu
setzt, wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht, so sind
Vorgaben beweglich zu halten und einmal getroffene Entscheidungen bei Bedarf zu justieren. Auch dies wird wiederum mit den Mitarbeitern besprochen. Natürlich kann nicht alles und jedes kreuz
und quer im Unternehmen lang und breit durchdiskutiert werden.
Mitunter ist blitzschnelles Handeln erforderlich. Dann ist aber auch
klar zu sagen, was nicht diskutierbar ist. Weshalb es zu »einsamen«
Entscheidungen kommt, muss begründet werden. Erhält unser
Hirn nämlich keine Erklärung, füllt es Leerräume mit Annahmen
und reimt sich die Dinge zurecht. So entstehen Mutmaßungen und
Gerüchte mit manchmal verheerenden Folgen. Menschen hoffen
zwar immer auf das Beste, befürchten aber viel öfter das Schlimmste. Und oft genug tun sie wegen all ihrer Angst dann so gut wie gar
nichts mehr.
Ein außergewöhnlicher Weg: das Touchpoint-GroßgruppenBarcamp
»Die Krawattenfraktion im Management, die sich auf Internet-Tagungen salopp mit Polohemd und Slipper-Schuhen in Szene setzt,
kann mit der Wirklichkeit des Mitmach-Webs noch wenig anfangen«, meint der Publizist und Profiblogger Gunnar Sohn, und sagt
in seiner unnachahmlichen Weise: »Die liebwertesten Gichtlinge
der Wirtschaft sollten sich mal an der Organisation von Barcamps
versuchen, wo die Teilnehmer das Programm selbst bestimmen
können.«110 Peng! Und genau das hat bereits eine ganze Reihe von
Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeite, getan.
Charakteristisch für dieses Veranstaltungsformat – das manchmal
auch als Unkonferenz bezeichnet wird – sind der ungehinderte Wissensaustausch und die freie Gestaltung. Per Abstimmung wird entschieden, an welchen Themenvorschlägen gearbeitet werden soll.
Jeder Anwesende, gern auch Teilgeber genannt, kann dabei mal
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
311
impulsgebender Sprecher und mal interessierter Zuhörer sein. Je hochwertiger und konstruktiver der Input, desto qualitativer ist dann auch der Output.
Der Aktivitätsgrad ist hoch, das Engagement
umfassend, und außergewöhnliche neue Ideen können entstehen. Vor allem aber: Die
gravierendsten Bremsklötze, nämlich Hierarchie- und Abteilungsfilter, werden aus
Teilgeber statt
dem Weg geräumt. Für die FührungsmannTeilnehmer – das
schaft bedeutet dies vor allem KontrollverEngagement ist
lust. Indem nämlich Macht und Verantworbeim Barcamp
tung an die vielen abgegeben werden, kann
sehr groß.
das Ergebnis in unvorhersehbare Richtungen
gehen. Doch insgesamt sind die Chancen weit
größer als das Risiko. Denn die Teilnehmer gehen
erfahrungsgemäß mit einem solchen Vertrauensvorschuss sehr sorgfältig um.
Auch bei dieser Veranstaltungsform gibt es einen Impulsvortrag
am Vormittag, der bereits eine Reihe interaktiver Elemente enthält. Darauf aufbauend schlagen die Teilnehmer am Nachmittag
Themen vor, an denen sie arbeiten möchten. Die einzelnen Arbeitsgruppen entstehen, indem die Teilnehmer sich selbst dem von
ihnen favorisierten Thema zuordnen. Gibt es großes Interesse an
einem bestimmten Thema, können auch zwei oder drei Gruppen
am gleichen Thema arbeiten. Die Ergebnisse werden verschieden
sein, was gut ist, weil man dann in der Folge auf mehrere Varianten zurückgreifen kann. Um einen bestmöglichen Output zu erzielen und zu einem umsetzbaren Konzept zu kommen, sollten sich
die Arbeitsgruppen auch hier an einer Minimumstruktur orientieren:
{{ Skizzieren der Ist- und der Soll-Situation
{{ Erarbeiten eines To-do-Plans mit Zeitplan, Budget,
­Messinstrument
{{ Übertragung des Konzepts auf ein Präsentationsformat
312
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Bestimmung eines Sprechers oder mehrerer Sprecher
{{ Absprache über die Art und Weise der Präsentation
Neben den Teilnehmern, die bei ihrem Thema und in ihrer Arbeitsgruppe bleiben, gibt es auch die sogenannten Schmetterlinge. Sie
»fliegen« von Gruppe zu Gruppe und befruchten diese mit weiteren Ideen, kritischen Fragen oder Anregungen, die sie von anderen
Gruppen mitgebracht haben.
Das schließlich erarbeitete Konzept wird auf eine Vorlage übertragen, damit eine formvollendete Visualisierung möglich ist und
nichts vergessen wird. In einem Ideenspeicher werden die Ideen
gesammelt, die zwar auch vielversprechend sind, aber diesmal
nicht weiterverfolgt werden. Am Ende dieser Phase gibt es eine
längere Pause, auch als Puffer für diejenigen, die noch emsig bei
der Arbeit sind. Ebenso können die Gruppensprecher in dieser Zeit
eine kleine Generalprobe machen.
Die anschließende Präsentation findet wie üblich im Plenum statt,
kann aber auch in Form einer Vernissage erfolgen. Das geschieht
dann mithilfe von Pinnwänden, an denen das Publikum in Grüppchen vorbeizieht und sich Einzelheiten erklären lässt. Schließlich
können die Arbeitsgruppen auch ein Video drehen oder ein Schauspiel veranstalten. Das Schauspiel ist übrigens eine sehr interessante Variante. Man stelle sich etwa einen neuen Mitarbeiter vor, der
zum ersten Arbeitstag erscheint. Aus dessen Perspektive wird nun
dargestellt, was er so alles erlebt. Dies – und wie man es besser machen kann – wird dem Auditorium mit viel Theatralik vorgespielt.
Auch hier sollten Entscheidungen, wenn irgend möglich, direkt vor
Ort getroffen werden, damit die Konzepte gleich in die Umsetzung
gehen. Ein gemeinsames Abschlussritual kann das Commitment
aller besiegeln. Ein Staffelstab (Talking Stick) kann herumgereicht
werden, um Stimmen zu Prozess und Ergebnissen einzufangen.
Wichtig auch hier, die Diskussion über die angestoßenen Themen
im Social Intranet weiterzuführen.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
313
Der »Spirit« einer Barcamp-Veranstaltung: für viele Teilnehmer ein
prägendes Erlebnis – bewegend im wahrsten Sinne des Wortes. Er
wird auf die tägliche Arbeit übertragen und hält in den Unternehmen lange an. Die Zusammenarbeit über die üblichen Abteilungsgrenzen hinaus entwickelt sich wie von selbst weiter und trägt
reiche Früchte. Denn fortan werden die Potenziale in Ideen und
Vorschlägen gesehen, und nicht mehr die Probleme. Aus vielen
»Haken« sind endlich Ösen geworden.
Drei Beispiele aus der Praxis
In einem Fall haben Azubis im Rahmen einer Großgruppenveranstaltung den hauseigenen Onboarding-Prozess neu konzipiert. So
nennt man das Gestalten der ersten Tage und Wochen eines neuen
Mitarbeiters ja jetzt. Azubis sind für ein solches Projekt bestens geeignet. Sie haben mehr oder weniger jeden Bereich eines Unternehmens kennengelernt. Und sie sind noch nicht blockiert durch
Bereichsscheuklappen und eingespielte Prozesse.
Bis dahin hatte es in diesem Unternehmen oft mehrere Tage gedauert, bis ein neuer Mitarbeiter produktiv werden konnte. So lange
war er damit beschäftigt, sich zu orientieren und die notwendigen
Arbeitsmittel und Genehmigungen zu beschaffen. Das fing schon
damit an, dass am ersten Arbeitstag beim Empfang niemand wusste, wo genau überhaupt sein Arbeitsplatz war. Bei der erarbeiteten Lösung war nun sozusagen per Mausklick alles organisiert: Ein
paar Tage vor dem Start erhielt der Neue eine Willkommensbox
mit wichtigen Informationen, einem Einarbeitungsplan und einem
kleinen Willkommensgeschenk. Elektronisch wurde er mit Bild
und einer Art Steckbrief allen zuständigen und involvierten Personen vorgestellt. Am ersten Arbeitstag wurde er beim Betreten
des Gebäudes auf einem Display namentlich willkommen geheißen. Die notwendigen digitalen Arbeitsmittel wie E-Mail-Account,
Benutzername und Passwort für alle wichtigen IT-Anwendungen
und Softwarelizenzen waren vorhanden. Ein A-bis-Z-Handbuch
314
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
für den perfekten Start lag bereit. Auch an das notwendige Equipment wie Computer, Telefon, Rollcontainer, Mitarbeiterausweis,
Visitenkarten und Posteingangsschild war gedacht. Eine kleine
Welcome-Zeremonie war vorgesehen, um die soziale Integration
zu beschleunigen. Und ein Mentor stand bereit.
Ein ähnliches Vorgehen wurde für IT-Freelancer und KnowledgeWorker mit befristeten Arbeitsverträgen initiiert. Diese verplemperten bislang oft den ganzen ersten Vormittag, um sich zurechtzufinden – für 200 Euro die Stunde. Und was noch sehr viel schlimmer
war: Sie bekamen Zugang zur EDV und damit auch zu hochbrisanten Daten, ohne im Vorfeld die notwendigen Verschwiegenheits­
erklärungen unterschrieben zu haben.
Weil die Gruppe so gut drauf war, hat sie gleich noch eine dritte Sache in Angriff genommen. Denn auch beim Offboarding, wenn also
ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, können die notwendigen Verwaltungsabläufe automatisiert werden. Nicht selten führen
nämlich Exkollegen als Karteileichen eine zombiehafte Existenz:
Sie können sich in die IT-Systeme einklinken und auf vertrauliche
Daten zugreifen. Und Softwarelizenzen werden munter weiter­
bezahlt. Selbst Praktikanten nehmen alle möglichen Zugangsberechtigungen mit, wenn sie zur nächsten Stelle wechseln. Was das
für die Sicherheit eines Unternehmens bedeuten kann, muss hier
nicht weiter ausgeführt werden.
Im Rahmen eines anderen Großgruppenevents hat eine Arbeitsgruppe einen Ideenbaum konzipiert. Hintergrund war eine ausgeprägte »Ja-aber«-Mentalität in diesem Unternehmen. Nun konnte
jeder seine Ideen wie ein Geschenk an einen Ficus im Gemeinschaftsraum hängen – notfalls auch anonym. Die jeweilige Idee
sollte anhand einer Vorlage (siehe unten) ausgearbeitet werden.
Freitags wurden im Rahmen eines Meetings die »Früchte« gepflückt, diskutiert, bewilligt und in der Folgewoche umgesetzt.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
315
Ideenblatt
So sieht die Sache jetzt aus:
____________________________________________________________
____________________________________________________________
Mein Verbesserungsvorschlag:
____________________________________________________________
____________________________________________________________
Welchen Nutzen uns das bringt:
____________________________________________________________
____________________________________________________________
Priorität: A B C Kosten: ________ Zeitplan: __________
Datum: ________ Name (wenn gewünscht): ____________________
Auch traditionelle Organisationen experimentieren bereits mit barcamp-ähnlichen Veranstaltungsformen. Im Zuge eines Großgruppen-Workshops, an dem alle sechzig Mitarbeitenden der Sparkasse
Neuhofen in Oberösterreich teilnahmen, ging es unter anderem
darum, wie sich ausnahmslos alle Beschäftigten an der Neukundengewinnung beteiligen konnten. Eine Gruppe von acht Damen
aus dem Backoffice, also der Buchhaltung, dem Personalwesen
usw., entwickelte dazu folgendes Konzept: Die Bank präsentierte
sich bereits mit Veranstaltungen zu nicht banktypischen Themen,
beispielsweise mit Gesundheitsvorträgen. An diesen Veranstaltungen nahmen auch Nichtkunden teil. Diese sollten von nun an im
Anschluss von einer der Damen – und nicht von einem Kundenberater – gezielt angesprochen werden. Im Rahmen eines Telefonats
316
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
wurden ergänzende Unterlagen angeboten, die die Mitarbeiterinnen den Interessierten entweder nach Hause brachten oder in der
Bank zur Abholung bereitlegten. Den Personen, die in die Sparkasse kamen, wurde ein kleiner Rundgang vorgeschlagen. Die Damen
zeigten sich als perfekte Gastgeberinnen und als kompetente Botschafterinnen ihrer Bank.
Bereits der erste Durchlauf war ein voller Erfolg. Insgesamt wurden
fünfundzwanzig Nichtkunden angesprochen, davon wurden vier
persönlich besucht, sieben kamen in die Bank. Zwei neue Kunden
konnten so gewonnen werden. Friedrich Himmelfreundpointner,
Direktor der Sparkasse, zeigte sich von diesem Ergebnis hoch erfreut: »Dies ist genau der richtige Weg, um unserem Credo, immer
noch ein wenig besser zu werden, weiter zu folgen«, berichtete er
mir, sichtlich stolz. So ist ihm – im Verbund mit weiteren Aktionen aus dem Workshop – ein weiterer Sparkassen-Award ziemlich
­sicher.
Schritt 4: Monitoring und Optimierung
Wenn Führungskräfte von Kontrolle sprechen, dann denken sie
zunächst immer an ihre Kontrollfunktion gegenüber den Mitarbeitern. Aber darum geht es hier nicht. In diesem Schritt geht es vielmehr um die Begutachtung der Führungsarbeit. Dabei möchte ich
lieber von Monitoring sprechen, denn harte Kontrollmaßnahmen
bringen hier nichts. Alles, was mit Überwachung, Prüfung und Inspektion zu tun hat, mag im Sinne einer Qualitätssicherung absolut
notwendig sein, in zwischenmenschlichen Bereichen jedoch ist es
fehl am Platz. Denn Menschen funktionieren nicht wie Maschinen.
Die Arbeit von Menschen sollte demnach nicht mit der Grundeinstellung der Fehlersuche, sondern nach dem Prinzip der Erfolgsbestätigung betrieben werden. »Perfektion ist in letzter Konsequenz
ein unerreichbares Ziel, und das Streben danach führt stets über
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
317
Irrtümer und Fehler«, schreibt der Managementtrainer Hartmut
Laufer.111 Das gilt auch für die Führungskraft.
So steht nun im Fokus, wie sich die Arbeit an den einzelnen internen Touchpoints entwickelt hat. Und danach geht es um eine
Optimierung des künftigen Vorgehens. Folgende Fragen lassen sich
hierzu stellen:
{{ An welchen Kriterien wollen wir unsere verbesserte
­Touchpoint-Performance messen?
{{ Welche Kennzahlen wollen wir dazu auf welche Weise
wie oft und für wen erheben?
{{ Wie wird das gewonnene Wissen dokumentiert und
gemeinsam besprochen?
{{ Welche Monitoring-Tools sind sinnvoll und können
­unkompliziert eingesetzt werden?
{{ Wer leitet wann und wie die fortlaufend notwendigen
­Prozessverbesserungen ein?
Einem allzu extensiven Kennzahlen-Sammeln stehe
ich, wie schon eingangs gesagt, reichlich skeptisch
gegenüber. Doch einige ausgewählte KennzahSetzen Sie
len machen natürlich Sinn. Solche KPIs (Key
auf einige aus­
Performance Indicators) dokumentieren das
sagekräftige
Erreichte in Sachen Touchpoint-ManageKennzahlen,
ment, zeigen Entwicklungen im Zeitverlauf
ohne zum Kenn­
auf und lassen das Optimierungspotenzial
zahlen-Sammler
sichtbar werden. Dies wirkt auch professio­
zu werden.
neller als die übliche, vielsagend nichtssagende HR-Prosa in Broschüren und Berichten. In Zukunft wird es ohne messbare
Ergebnisse kaum noch Budgetfreigaben geben.
HR-Leute brauchen also höhere ControllingKompetenzen. Und beim Vorstand werden Sie mit
einem Touchpoint-Kennzahlen-Cockpit ganz sicher
punkten.
318
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Das Touchpoint-Kennzahlen-Cockpit
Ganz grundsätzlich gibt eine Reihe von Indikatoren Rückschlüsse
auf die konkrete Wirkung von Touchpoint-Maßnahmen, auf die
Motivation eines Mitarbeiters, auf sein Engagement und seine Loyalität. Hierzu zählen:
{{ die Aktivität in Workshops und Diskussionsrunden,
{{ die Teilnahme an Projektgruppen und Fortbildungs­
maßnahmen,
{{ der Wunsch nach Aufstiegsmöglichkeiten,
{{ das Interesse an Kundenbelangen,
{{ das Einreichen von Ideen und Verbesserungsvorschlägen,
{{ die Bereitschaft zu fallweisen Überstunden,
{{ die durch Schludrigkeit und Desinteresse bedingte
Fehlerquote,
{{ die Nörgelhäufigkeit sowie
{{ Absentismus (»Kranktage«) am Montag und Freitag.
Im Speziellen wirken Touchpoint-Maßnahmen vor allem langfristig auf folgende mitarbeiterbezogene Unternehmenskennzahlen:
{{ Kranktage und hierdurch entstehende Kosten
{{ Burnout-Rate und hierdurch entstehende Kosten
{{ Mitarbeiterproduktivität
{{ Fluktuationsrate und hierdurch entstehende Kosten
{{ durchschnittliche Betriebszugehörigkeit
{{ Loyalitätsindex
{{ Empfehlungsbereitschaft
{{ Empfehlungsrate im Recruitingbereich
Die Kranktage und (hoffentlich) auch die Burnout-Rate sowie
deren jeweilige Folgekosten werden in den Unternehmen meist
schon gemessen. Dies gilt ebenso für die Kosten infolge von Präsentismus, wenn also die Leute trotz Krankheit zur Arbeit kommen.
Die Mitarbeiterproduktivität ist von Branche zu Branche verschie-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
319
den und deshalb ganz individuell zu ermitteln. Die übrigen Kennzahlen sollen hier näher beleuchtet werden.
Mitarbeiterfluktuationsrate und Fluktuations­
kosten
Die Mitarbeiterfluktuationsrate errechnet sich so:
Formel
Beispiel
Anzahl jährlich ausscheidender Mitarbeiter x 100
50 x 100
durchschnittliche Mitarbeiterzahl
200
= 25 %
Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit errechnet sich so:
Formel
Beispiel
Fluktuationsrate
25
100
100
= 4 Jahre
Wenn beispielsweise eine Firma pro Jahr 25 Prozent ihrer Mitarbeiter verliert, heißt das, dass die Mitarbeiter im Durchschnitt vier
Jahre bleiben, sich also der komplette Mitarbeiterstamm alle vier
Jahre erneuert. Diese Zahlen lassen sich für den Gesamtbetrieb sowie für Altersstufen, Hierarchieebenen, Positionen, Geschlechter,
Fachbereiche, Niederlassungen usw. ermitteln und miteinander
vergleichen. Zudem können Vergleiche innerhalb der Branche angestellt werden.
320
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Beim Ermitteln der Fluktuationskosten sind zu berücksichtigen:
{{ Direkte und indirekte Austrittskosten
{{ Direkte und indirekte Such- und Auswahlkosten
{{ Direkte und indirekte Eintritts- und Einarbeitungskosten
{{ Kosten durch Leistungsabnahme der ausscheidenden Person
{{ Kosten durch Reibungsverluste im betroffenen Team
{{ Kosten durch Know-how-Abfluss
{{ Kosten durch die vorübergehend nicht besetzte Stelle
{{ Kosten durch geringe Anfangsproduktivität des »Neuen«
{{ Kosten durch eine eventuelle Fehlbesetzung
{{ Umsatzeinbußen aufgrund von Problemen bei Kundenaufträgen
{{ Folgekosten bei Reputationsschäden
Je nach Position und Hierarchieebene entsprechen üblicherweise
die Fluktuationsgesamtkosten für eine Arbeitsstelle zwischen sechs
und vierundzwanzig Monatsgehältern. In seinem Buch Mitarbeiterbindung hat Gunther Wolf dazu Folgendes errechnet: In einem
Betrieb mit 1000 Mitarbeitern führt eine Fluktuationsreduktion
um drei Prozentpunkte im Durchschnitt zu einer Gewinnauswirkung von mindestens einer Million Euro. Und er zitiert eine Studie
der Beratungsgesellschaft Aon Hewitt, wonach »Unternehmen mit
hoher Mitarbeiterbindung weltweit Aktiengewinne ausweisen, die
22 Prozent über dem Marktdurchschnitt lagen. Die Ergebnisse von
Firmen mit einem niedrigen Mitarbeiterbindungslevel bleiben hingegen 28 Prozent unter dem Mittelwert.«112
Schon diese wenigen Zahlen zeigen klar und deutlich, wie wertvoll es ist, an allen mitarbeiterrelevanten Touchpoints aus der
Ent­täuschungszone herauszukommen, um über die Nulllinie der
Zufriedenheit hinaus in den Begeisterungsbereich zu gelangen.
Hierdurch verbessert sich nicht nur die Mitarbeiterperformance,
sondern auch das Geschäftsergebnis. Nun liegt es an Ihnen, diese
Zusammenhänge für Ihr eigenes Unternehmen im Detail sichtbar
zu machen. Hierzu benötigen Sie noch zwei weitere Kennzahlen:
den Loyalitätsindex und die Empfehlungsbereitschaft.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
321
Loyalitätsindex und Empfehlungsbereitschaft
Loyalitätsindex und Empfehlungsbereitschaft werden so ermittelt:
{{ Der Loyalitätsindex: Inwiefern würden Sie sich heute wieder für
unser Unternehmen entscheiden? Und was sind die Hauptgründe für Ihre Bewertung?
{{ Die Empfehlungsbereitschaft: Wie sehr würden Sie unser Unter-
nehmen an einen interessierten Arbeitssuchenden (aus Ihrem
persönlichen Umfeld) weiterempfehlen? Und was sind die
Hauptgründe für Ihre Bewertung?
Die aus den Ergebnissen abgeleiteten Kennzahlen zählen zu den
wichtigsten Leistungsindikatoren im Mitarbeiterbereich. Und die
Antworten auf die jeweiligen Zusatzfragen können eine Fülle von
Ansatzpunkten beinhalten, um weitere Verbesserungen in Angriff
zu nehmen.
Die Empfehlungsbereitschaft kann auch über den NPS® (Net Promoter® Score) gemessen werden. Diese Kennzahl wurde vom Loyalitätsexperten Fred Reichheld in Zusammenarbeit mit Bain &
Company ursprünglich für die Kundenseite entwickelt. Für den
Mitarbeiterbereich schlägt er in etwa die gleiche Frage wie oben vor:
»Wie wahrscheinlich ist es auf einer Skala von null bis zehn, dass
Sie dieses Unternehmen als Arbeitgeber weiterempfehlen?« Und
danach: »Was sind die wichtigsten Gründe für Ihre Bewertung?«
Der Unterschied: Die vorzugsweise anonym Befragten werden
anhand ihrer Antworten in drei Gruppen eingeteilt: Promotoren
(Förderer), passiv Zufriedene und Kritiker. Als Promotoren gelten
nur die, die ihre Empfehlungsbereitschaft mit neun oder zehn einstufen. Von den Promotoren werden die Kritiker (­ Werte zwischen
null und sechs) abgezogen. Das Ergebnis ist dann der eNPS®, der
Employee Net Promoter Score. Er kann positiv oder negativ sein.
322
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
NPS®
10
9
8
7
6
Förderer passiv Zufriedene
5
4
3
2
1
0
Kritiker
Abb. 18: Die Skala des NPS® (Net Promoter® Score) – nach Fred Reichheld
In den USA wird der eNPS® bereits von einigen Unternehmen angewandt: So werden etwa bei JetBlue, einer als sehr kundenorientiert geltenden Airline, die Mitarbeiter erstmals neunzig Tage nach
der Einstellung befragt, danach jährlich zum Einstellungstag. Die
Erstbefragung drei Monate nach Arbeitsbeginn ist clever, denn sie
deckt Probleme in der Probezeit und Fehler beim Recruitingprozess
rechtzeitig auf. In Apple Retail Stores wird der eNPS® im Vier-Monats-Rhythmus gemessen. Nach jeder Befragungswelle werten die
Filialleiter die Daten ihres Shops gemeinsam mit den Beschäftigten
aus. Das Mitarbeiterteam entwickelt die notwendigen Lösungen
selbst. »Apple Stores, die regelmäßig führende Werte im KundenNPS erhielten, erreichen auch hohe Werte bei den Beschäftigten.
Und Filialen mit dem niedrigsten Mitarbeiterengagement erhielten
tendenziell auch die niedrigsten NPS von Kundenseite«, schreibt
Reichheld in seinem Buch Die ultimative Frage 2.0.113 Diese Aussage
stützt das, was ich bereits im Kapitel über die Mitarbeiterloyalität
gesagt habe: Man kann keine Loyalität bei den Kunden erzeugen,
ohne zuvor die Loyalität der Mitarbeiter zu gewinnen. Beides hängt
eng zusammen. Ziel muss es also zunächst sein, mehr Mitarbeiter
in Promotoren zu verwandeln und weniger Kritiker zu erzeugen.
Das interne Touchpoint-Management weist dazu den Weg.
In Deutschland hat sich unter anderem Carglass bereits mit dem
eNPS® befasst. Falls auch Sie mit dieser Kennzahl arbeiten wollen,
hier ein abschließender Hinweis: Da nur die wenigsten Mitarbeiter
Topwerte geben und die Zahl der passiv zufriedenen Mitarbeiter
keinerlei Auswirkungen hat, ist der eNPS® in den meisten Fällen
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
323
negativ. Dies kann zu Frustration und Enttäuschungen führen.
­Darauf sollten alle Beteiligten vorbereitet sein. Ganz falsch
ist es auch, diese Leistungszahl als Basis für Boni zu
nehmen.
Wie die Mitarbeiter-Empfehlungsrate
­gemessen wird
Ermitteln Sie, wie
Speziell im Recruiting ist eine weitere
viele Bewerbun­
Kennzahl von Relevanz: die Empfehlungsgen die Firma
rate. Sie besagt, wie viele Bewerbungen die
aufgrund von
Firma aufgrund von Empfehlungen erhalten
Empfehlungen
hat. Sie ist gleichzeitig Ausgangspunkt und
­erhalten hat.
Ziel eines systematisch gesteuerten Mitarbeiter-Empfehlungsmanagements. Am Ende reichen drei einfache Fragen, um dem auf die Spur
zu kommen. So wird bei jedem Bewerber, soweit es
die Situation erlaubt, wie folgt gefragt:
{{ »Wie sind Sie eigentlich ursprünglich auf uns aufmerksam
g­ eworden?« Sofern eine Empfehlung im Spiel war, geht es
dann weiter wie folgt:
{{ »Und jetzt interessiert mich mal: Welche Informationen
haben Sie denn vom Empfehler bereits über unsere Firma
­bekommen?«
{{ Und wenn Sie den Namen des Empfehlers noch nicht kennen:
»Jetzt bin ich mal ganz neugierig. Wer war das denn, der uns
empfohlen hat?«
Durch die erste Frage wird ermittelt, wie viel Prozent der Bewerbungen aufgrund einer Empfehlung kamen: Das ist Ihre Empfehlungsrate. Die weiteren Antworten auf diese Frage zeigen im Übrigen auch, wofür Sie in Zukunft Ihr Recruitingbudget verstärkt
nutzen sollten. Über die zweite Frage gibt der Bewerber H
­ inweise
darauf, was genau Sie als Arbeitgeber attraktiv macht und in wel-
324
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
che Richtung das weiterentwickelt werden kann. Und über die
dritte Frage bekommen Sie die Namen Ihrer Botschafter, Promotoren, Referenzgeber und aktiven Empfehler heraus.
Aus deren Persönlichkeitsstruktur lassen sich bereits erste Rückschlüsse auf die Interessen und Bedürfnisse des Bewerbers ableiten.
Bringen Sie auch in Erfahrung, welche spezifischen Leistungen der
Empfehler hervorgehoben hat. Denn deswegen ist die Bewerbung
wahrscheinlich zustande gekommen. Hier liegt die Erwartungslatte
also hoch. Eine Enttäuschung fiele nicht nur negativ auf die Firma,
sondern auch auf den Empfehler zurück. Und das wollen Sie nicht
nur sich selbst, sondern vor allem Ihrem Empfehler ersparen. Welche weiteren Kennzahlen sich in diesen Zusammenhang ermitteln
lassen, das wurde bereits in Teil 2 ausführlich beleuchtet.
Die Optimierungstools
Zwecks Optimierung der eigenen Führungsperformance an den
einzelnen Touchpoints gibt es fünf Möglichkeiten:
{{ Selbstkontrolle der Führungskraft
{{ Einzelcoaching und / oder Mentoring
{{ »Kontrolle« durch die Mitarbeiter
{{ Kollegencoaching / kollegiale Beratung
{{ Exit-Interviews mit ausscheidenden Mitarbeitern
Das Einzelcoaching ist ein eigenes Thema, das sich glücklicherweise einer zunehmenden Wertschätzung erfreut. Dazu verweise ich
gern auf entsprechende Literatur und gute Kollegen aus der Praxis.
Das Mentoring ist ein seit Langem anerkanntes Konzept, weshalb
ich auch dieses nicht näher beschreibe. Kollaborative Methoden
sollen ja hier im Vordergrund stehen. Doch zunächst zu der so
wichtigen Selbstreflexion einer Führungskraft.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
325
Helikopter-Rundflug über das eigene Tun
Die kritische Selbstreflexion zählt zu den wichtigsten Eigenschaften
eines guten Managers. Monitoring durch Selbstkontrolle ist dabei
der schnellste Weg. Und was heißt das genau? Versetzen Sie sich
einmal in die Rolle eines Malers, der einige Schritte von seinem
Bild zurücktritt, um sein Tagewerk betrachten zu können. Und
dann stellen Sie sich zum Beispiel diese Frage: »Hätte ich unseren
besten Kunden so behandelt, wie ich heute meinen Mitarbeiter
behandelt habe?« Oder: »Kann ich alles, was ich heute getan habe,
auch meinen Kindern erzählen?«
Eine weitere Technik ist die der »drei Siebe«, die – offensichtlich
fälschlicherweise – dem griechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben wird. Die drei Siebe sind Fragen, die man sich stellt, bevor man etwas tut oder einen Gedanken ausspricht. Sie lauten:
»Ich es wahr?« »Hat es Güte«? »Ist es notwendig?«
Die Metaebene, manchmal auch Adler-Perspektive genannt, kann
den eigenen Anteil an dem, was passiert, in den Fokus rücken.
Hierdurch entstehen Fragen wie diese: »Zeigen sich meine Mitarbeiter so führungsbedürftig, weil ich so bestimmend bin?« »Sind
sie deshalb so ruhig, weil ich ihre Meinung nicht gelten lasse?«
»Kommen keine Ideen von ihnen, weil ich immer alles besser
weiß?« Ebenso kann man während einer konkreten Interaktion
immer mal wieder ganz rasch in die Helikoptersicht wechseln und
sich selbst fragen: »Wird das, so wie ich es jetzt gleich sagen will, für
den Mitarbeiter enttäuschend, okay oder begeisternd klingen? Und
wie kann ich es besser sagen, sodass es für ihn annehmbarer ist?«
Von einer höheren Warte aus lässt sich ein prima Rundumblick
wagen. Dabei verlässt man die ichbezogene Sichtweise und begibt
sich in die Rolle eines neutralen Betrachters. Folgende Fragen kann
man sich stellen:
326
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
{{ Was wird das, was ich gerade sage / tue, beim anderen
­bewirken?
{{ Wie wird / kann er das, was ich sage / tue, verstehen?
{{ Was wird er daraufhin wahrscheinlich tun?
{{ Ist dies das von mir Gewünschte?
{{ Was muss / kann ich verändern, damit es dem Gewünschten
­entspricht?
{{ Lebe ich selbst vor, was ich bei anderen erreichen will?
{{ Was kann ich bei mir selbst in Zukunft verbessern?
{{ Bedeutet es Lebensqualität, von mir geführt zu
werden?
So manches kommunikative Desaster könnte
»Habe ich dem
vermieden werden, würde eine solche Meta­
Mitarbeiter
ebene der kritischen Selbstreflexion syste­gesagt, was er
matisch in die tägliche Führungsarbeit eintun soll? Oder
bezogen. Sie setzt vor, während und nach
habe ich ihn ge­
jeder Interaktion ein. Eine wichtige Frage
fragt, was er wie
am Ende ist immer auch die: »Habe ich dem
­machen will?«
Mitarbeiter (schon wieder) gesagt, was er
tun soll? Oder habe ich ihn vielmehr gefragt,
was er auf welche Art machen will und wird?«
Dieses Vorgehen ist – sehr plakativ – auch unter dem Begriff »Monkey Business« (William Oncken) bekannt. Ein Mitarbeiter kommt mit seinem
Anliegen zum Vorgesetzten, und der erarbeitet für ihn
eine Lösung. Vergnügt hat sich der »Affe« herübergehangelt
und auf der Schulter des Chefs ein bequemes Plätzchen gefunden.
Okay, natürlich dürfen die Mitarbeiter mit ihren »Affen« zum Chef
kommen, doch sie müssen ihn am Ende des Gesprächs wieder mitnehmen. Dazwischen findet ein kleines Coaching statt: mit klugen
Fragen, die dem Mitarbeiter helfen, selbst eine passende Lösung
zu finden.
Um das Können und schließlich das Wollen der Mitarbeiter zu fördern, kann man sich auch einmal kritisch mit dem eigenen Feed-
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
327
back-Verhalten auseinandersetzen. Folgende Fragen lassen sich
stellen:
{{ Gebe ich meinen Mitarbeitern mehr Kritik oder mehr
­Anerkennung?
{{ Was hält mich – ganz ehrlich gesagt – davon ab, meinen
­Mitarbeitern mehr Anerkennung zu geben?
{{ Bin ich bereit, konstruktive Kritik auszusprechen, auch wenn
es für mich oder den Mitarbeiter unangenehm ist?
{{ Was bringt mich – ganz ehrlich gesagt – dazu, Kritik zu üben?
Ist dieses Vorgehen zielführend oder treiben mich »niedere«
Beweggründe?
{{ Ist die Art und Weise meiner Feedbackgespräche akzeptabel?
Woran zeigt sich, dass sie respektvoll und konstruktiv geführt
werden?
{{ Kann ich kritisches Feedback annehmen? Wie fühle ich mich
dabei, und wie gehe ich damit um? Dankbar oder abwehrend?
Erfreut? Beleidigt? Aggressiv? Kann ich Fehler eingestehen?
Wie äußere ich dies?
Wenn Sie nach einer solchen Selbstanalyse dann etwas ändern,
gibt es zwei Möglichkeiten: Sie ändern es einfach, oder Sie erläutern Ihrer Mannschaft die Hintergründe: »Bisher habe ich immer
gedacht, dass … Doch jetzt meine ich, dass ich an diesem Punkt anders agieren sollte, und zwar so …« Signalisiert ein Chef auf diese
Weise Veränderungsbereitschaft, so ist dies ein großes Zeichen an
seine Leute, ebenfalls für den Wandel offen zu sein.
Der Selbstbild-Fremdbild-Test
Im ersten Teil haben wir bereits gesehen, wie schnell sich die Eigenwahrnehmung einer Führungskraft verschieben kann und wie
hoch die Gefahr der Selbstüberschätzung ist. Um dieser Falle zu
entgehen, bietet sich eine Selbstbild-Fremdbild-Führungsstil-Analyse an. Hierzu formulieren Sie Fragen, die ursächlich mit Ihrer
328
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Führungsarbeit in Zusammenhang stehen. Diese bepunkten Sie auf
einer Skala von null bis zehn. Anschließend bitten Sie die Mitarbeiter, ihrerseits eine Bewertung abzugeben – natürlich ohne dass
sie die Ihre sehen. Dies kann anonym oder namentlich erfolgen, je
nachdem wie offen die Miteinander-Kultur ist und wie wahrheitsgemäß die Antworten kommen können. Denn Augenwischerei ist
hierbei völlig fehl am Platz. Sie wollen ja lernen.
Dazu gleich hier eine Checkliste mit vorbereiteten Fragen. Diese
kann selbstverständlich nach eigenem Gusto ergänzt und verändert werden. Auf www.touchpoint-management.de finden Sie sie
auch zum Downloaden – zusammen mit einem Auswertungsschema.
Punktzahl: 0 – 10
Checkliste für eine gute Mitarbeiterführung
Selbsteinschätzung
Fremdeinschätzung
1.Ich mache es meinem Mitarbeiter leicht, frei und
­unbefangen mit mir zu reden.
2.Ich informiere den Mitarbeiter ehrlich, klar und
­umfassend – in Worten, die er versteht.
3.Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, das zu tun,
was er am besten kann.
4.Er erhält herausfordernde Aufgaben – verknüpft mit den
notwendigen Kompetenzen und Entscheidungsfreiheiten.
5.Ich verstehe es, meinen Mitarbeiter für das Unternehmen
zu begeistern.
6.Ich höre aufmerksam und zugewandt zu, wenn mein
­Mitarbeiter über seine Arbeit spricht.
7.Der Mitarbeiter kennt die Unternehmensziele.
Und er weiß genau, was dabei vom ihm erwartet wird.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
329
Punktzahl: 0 – 10
Checkliste für eine gute Mitarbeiterführung
8.Über den Grad der Zielerreichung spreche ich regelmäßig.
9.Ich bitte den Mitarbeiter um Rat und Hilfe.
10.Ich nehme seine Meinungen bzw. Ideen ernst und
­wichtig. Ich sage das auch und lasse mich darauf ein.
11.Ich helfe dem Mitarbeiter, Lösungen selbst zu finden.
12.Ich gebe ihm das Gefühl, dass ich darauf vertraue,
dass er seine Aufgaben bewältigen kann.
13.Mir ist das Wohlergehen des Mitarbeiters wichtig.
Ich z­ eige bei etwaigen (privaten) Problemen Anteilnahme.
14.Ich habe genügend Zeit für den Mitarbeiter.
15.Der Mitarbeiter darf Fehler machen.
16.Ich gebe ihm regelmäßige und zeitnahe Rückmeldungen
zur Qualität seiner Arbeit.
17.Ich bedanke mich oft.
18.Ich bitte, schlage vor und lade ein, anstatt anzuweisen.
19.Ich lobe und spreche Anerkennung für gute Leistungen
aus.
20.Ich entschuldige mich, wenn nötig.
21.Ich erkenne aufkommende Konflikte und sorge zügig
für deren Beseitigung.
330
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Selbsteinschätzung
Fremdeinschätzung
Punktzahl: 0 – 10
Checkliste für eine gute Mitarbeiterführung
Selbsteinschätzung
Fremdeinschätzung
22.Ich spreche mit dem Mitarbeiter über Kundenbelange.
Und über die Bedeutung der Kunden für die Firma.
23.Ich lebe dem Mitarbeiter Kundenorientierung vor.
24.Ich bitte ihn um kundenorientierte Vorschläge und Ideen.
25.Ich unterstütze und fördere den Mitarbeiter in seiner
­beruflichen und persönlichen Entwicklung.
26.Seine Leistungen werden nachvollziehbar bewertet
und ergebnisorientiert belohnt.
27.Die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz des
­Mitarbeiters sind okay.
Gesamtpunktzahl
Erreichte Punkte in Prozent
Individuelle Bemerkungen:
So weit dieser Test. Ergänzend können auch passende Fragen aus
der Analysephase in Hinblick auf eine Vorher- und Nachhermessung sinnvoll sein. Blättern Sie dazu einfach zu Schritt eins zurück.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
331
Hilfe von außen: die kollegiale Beratung
Da man beim Selbstcoaching sehr schnell der Selbsttäuschung
­erliegt und seine »blinden Flecken« (Joseph Luft / Harry Ingham)
nicht sieht, kann ein Kollegen­coaching sehr hilfreich sein. Dabei
werden Führungstandems gebildet, die sich beim Agieren an den
internen Touchpoints gegenseitig beobachten und im Anschluss
entsprechendes Feedback austauschen. Die Voraussetzungen, damit das gut klappt: ein Vertrauensverhältnis, keine Konkurrenzsituation, keine hierarchische Abhängigkeit. Und natürlich Knowhow darüber, wie konstruktives Feedback gegeben und empfangen
wird.
Eine zweite Variante ist die kollegiale Beratung. »Wir-Coaching«
nenne ich das. Dabei trifft man sich regelmäßig im gleichen oder
auch im wechselnden Kreis von fünf bis sieben Personen, um
delikate Management- und Führungsthemen strukturiert zu besprechen. Das kann unternehmensintern mit Führungskollegen
oder firmenübergreifend mit Führungskräften aus anderen Unternehmen erfolgen. Die Voraussetzungen sind ähnlich: keine Konkurrenzsituation, keine hierarchische Abhängigkeit, Vertrauen,
Freiwilligkeit, Führungs-Know-how und die passende »Chemie«.
Wichtig ist auch eine diversifizierte Zusammensetzung der Runde, also jung und alt, männlich und weiblich und gegebenenfalls
auch unterschiedliche Nationalitäten. Die Teilnehmer betrachten
sich als gleichwertig und begegnen sich auf Augenhöhe. Offenheit, Ehrlichkeit und absolute Vertraulichkeit sind als Spielregeln
vorzu­geben. Wenn Sie mit der kollegialen Beratung starten wollen, macht im Vorfeld eine Methodenkompetenz-Schulung Sinn.
Bei diesem Konzept gibt es drei unterschiedliche Rollen:
{{ Der Ratsuchende: Er ist der Fallgeber und bereit, offen über sein
Anliegen zu reden. Er schildert sein Problem, ohne sich je zu
rechtfertigen. In den Arbeitsphasen der kollegialen Berater ist
er ein stiller Beobachter. Er kommentiert die Lösungshypothe-
332
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
sen der Berater nicht. Ohne Wenn und Aber kann er aus dieser
Position heraus neue Sichtweisen gewinnen oder Hürden und
Blockaden erkennen.
{{ Die kollegialen Berater: Sie treten dem Ratsuchenden respekt-
voll und mit ehrlichem Interesse entgegen. Sie akzeptieren,
dass das Geschilderte für den Ratsuchenden ein Problem darstellt. Sie klären durch kluge Fragestellungen Faktenlage und
Hintergründe. Sie geben jedoch weder persönliche Ratschläge
noch sondern sie abfällige oder besserwisserische Kommentare ab. Im Beraterkreis suchen sie gemeinsam nach denkbaren
­Lösungsansätzen. Sie sind Impulsgeber und Ideenlieferanten.
{{ Der Berater-Berater: Er schaltet sich nicht in die Lösungssuche
ein, sondern beobachtet die kollegialen Berater bei ihrer Arbeit.
Er greift nur dann ein, wenn Fehler in der Rollenmethodik
passieren. Am Ende gibt er allen Beteiligten Feedback über die
Qualität ihres Verhaltens. Er kann auch die Rolle des
Moderators und Zeitwächters übernehmen.
Alle Teilnehmer lernen von- und miteinander. Ihr
Blick für unterschiedliche Handlungsvarian­ten
und neue Vorgehensweisen wird geschärft.
Die Führungsarbeit wird durch die Kreativität und den Erfahrungsschatz aller bereichert und professionalisiert. Übrigens ist
diese Form von »internem Crowdsourcing«
eine sehr kostengünstige Form der Mitarbeiterentwicklung. Und durch die Bearbeitung konkreter Fälle ist sie klassischen Lernformen wie generalistischen Seminaren und
rezept­artigen Trainings sehr überlegen.
Die kollegiale
­Beratung: eine
kostengüns­
tige Form der
Mitarbeiter­
entwicklung.
Hier der beispielhafte Ablauf einer solchen kollegialen
Beratung114:
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
333
5 Min.
Der Ratsuchende stellt sein Anliegen vor, am besten via Storytelling,
und formuliert seine zentrale Fragestellung. Dabei wird er von den
Beratern nicht unterbrochen.
10 Min.
Die kollegialen Berater stellen neutrale Verständnisfragen, um die
Sachlage zu klären, sie geben aber keinerlei Meinungen ab.
10 Min.
Phase 1: Die kollegialen Berater entwickeln mögliche H
­ ypothesen
zur Problemlösung. Diese werden gemeinsam diskutiert. Die
einzelnen Ansätze werden nicht bewertet, sondern bleiben neben­
einander stehen. Der Ratsuchende hört still zu, ohne in die Diskussion einzugreifen.
5 Min.
Der Ratsuchende favorisiert einen der Lösungsansätze – ohne seine
Entscheidung zu begründen. Die Berater schweigen.
10 Min.
Phase 2: Die gewählte Idee wird praxistauglich weiterentwickelt.
Der Ratsuchende hört still zu, ohne einzugreifen.
5 Min.
Der Ratsuchende teilt mit, welche Ansätze für ihn die wertvollsten
waren und zu welchen Schritten er sich entschieden hat. Die Berater nehmen diese Entscheidung ohne weitere Kommentare an.
10 Min.
Der Berater-Berater gibt den Teilnehmern Feedback zum Prozess­
verlauf. Gemeinsam erfolgt eine Prozessreflexion: Wie ist es uns
ergangen? Was haben wir gelernt? Was soll sich bessern?
Beim nächsten Treffen berichtet der Ratsuchende, wie der Fall sich
weiterentwickelt hat. Danach wird ein neuer Fall zur kollegialen
Beratung vorgetragen. So kann für eine kollegiale Beratungssequenz, wenn nur ein Fall besprochen wird, bei ausreichender Disziplin alles in allem eine Stunde angesetzt werden.
Eine dritte Variante ist der Beratermarkt. Dabei liegt die Teilnehmerzahl bei mindestens neun Personen. Je nach Anzahl der Gruppen können so mehrere Anliegen besprochen werden. Oder die
Gruppen arbeiten parallel und erstellen für das gleiche Anliegen
verschiedene Beratungsangebote. In diesem Fall wählt der Rat­
334
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
suchende die ihm zusagende Variante aus. Diese wird von allen
Beratern gemeinsam weiterentwickelt. Das bedeutet, dass zunächst
konkurrierende Gruppen in der zweiten Phase am ursprünglichen
Konkurrenzangebot mitarbeiten. Dieses Vorgehen sorgt für einen
Perspektivenwechsel und schärft den Blick für alternative Lösungsmodelle. Kollektives Wissen wird angezapft und freigiebig geteilt.
Alle gemeinsam sind in diesem Prozess gleichzeitig Berater und
Lernende. So können auch Fehlentscheidungen aus dem einsamen
Kämmerlein vermieden werden.
KollegenCoaching
Kollegiale
Beratung
Kollegialer
Beratermarkt
A
A
A
B
A
B
Ratsuchender
B
B
B
B
B
B
B
B
C
C
C
B
Kollegialer
Berater
C
BeraterBerater
Abb. 19: Formen der kollegialen Beratung (External Peer Reflection)
Ich halte die kollektive Beratung für ein exzellentes Tool, um die
anspruchsvollen Führungsaufgaben von heute und morgen zu
meistern und komplexe Managementaufgaben zu lösen. Sie kann
als Baustein überall dort integriert werden, wo sich Unternehmer
sowieso treffen.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
335
Die Unternehmer-Organisation Vistage International hat aus Peer
Advisory Groups ein Geschäftsmodell gemacht. Und für einen Verbund aus fünf süddeutschen Konzernen dient External Peer Reflection als Personalentwicklungskonzept auf hohem Niveau. »Die
Idee ist, das Erfahrungswissen aus diversen Unternehmen für die
individuelle Entwicklung eines Managers nutzbar zu machen«,
sagt Andrea Mehle, HR-Beauftragte bei Bosch Siemens Hausgeräte
(BSH) und Initiatorin dieses Programms. Dabei steige, schreibt Berater Stefan Scholer in einem Beitrag für das Magazin Wirtschaft +
Weiterbildung, bei allen Beteiligten auch die Kompetenz zur kritischen Selbstreflexion.
Von scheidenden Mitarbeitern lernen
Alle Maßnahmen, die wir bislang besprochen haben, zielen nicht
nur auf Spitzenleistungen der Belegschaft, sondern auch auf eine
Prävention gegen ungewollte Mitarbeiterfluktuation. Erfahrene
Führungskräfte mit Gespür für die leisen Töne können ein drohendes Abwandern erkennen, bevor es zu spät ist: kurzfristig genommene einzelne Urlaubstage, Nachlässigkeiten, Unkonzentriertheit,
geringeres allgemeines Interesse, verringertes Engagement. Wer
die Anzeichen richtig deutet, kann gefährdete Mitarbeiterbeziehungen womöglich noch rechtzeitig stabilisieren.
Sie haben einen leisen Verdacht? Natürlich kann man nicht mit der
Tür ins Haus fallen, sondern wird versuchen, sachte vorzufühlen.
Fragen Sie so: »Gibt es etwas, lieber Mitarbeiter, worüber wir dringend mal sprechen sollten?« Seine Antwort ist ausweichend und
klingt wenig plausibel? Seine Körpersprache spricht Bände? Dann
werden Sie hellwach! Sind die Verträge mit dem neuen Arbeitgeber
erst mal unter Dach und Fach, ist es fast immer zu spät. Beobachtungen über abwanderungskritische Ereignisse lassen sich sukzessive verfeinern, um hieraus Kennzahlen zu entwickeln, Prognose­
modelle zu erarbeiten und ein Frühwarnsystem zu installieren.
336
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
Ganz klar gibt es in jedem Unternehmen eine natürliche Abschmelzquote. Wir können nicht alle Mitarbeiter halten – und
manche wollen wir auch nicht. Veränderte Lebensumstände können zu Ausfällen führen. Oder die Konkurrenz bietet bessere Entfaltungsmöglichkeiten. Die schnellen Informationszugriffe im
Internet mögen eine Rolle spielen. Der vielerorts leer
gefegte Arbeitsmarkt und das sich infolge der Digitalisierung wandelnde Sozialverhalten sind Fakt.
Hinter den
Doch all das erklärt Mitarbeiterflucht nur
­angegebenen
teilweise. Der Mangel an Mitarbeiterloyalisachlichen
tät und die damit einhergehenden Verluste
Wechsel­gründen
sind, wie schon erwähnt, oft genug hausverbergen sich
gemacht. Hinter den meist rational vorgehäufig Probleme
tragenen sachlichen und fachlichen Wechauf der zwischen­
selanlässen stecken häufig ganz andere, die
menschlichen
wahren Gründe. Viele Mitarbeiter beenden
Ebene.
eine Arbeitsbeziehung in Wirklichkeit aufgrund von zwischenmenschlichem Fehlverhalten, genauer gesagt, weil:
{{ sich ihr Wohlbefinden im Team in Grenzen hielt,
{{ man sie mehr oder weniger miserabel geführt hat,
{{ sie keine Anerkennung für ihre Anstrengungen bekamen,
{{ man sich um ihre Weiterentwicklung nicht gekümmert hat,
{{ ihnen nie gesagt wurde, wie wichtig sie als Mitarbeiter sind.
Doch nur, wer die wahren Wechselgründe kennt, kann etwas dagegen tun. Dazu ist ein von einem neutralen (!) Dritten – zum
Beispiel dem internen Touchpoint-Manager – geführtes Exit-Interview bestens geeignet. Doch lediglich dreizehn Prozent der Firmen
tun dies bereits, wie die Kienbaum-Studie Internal Employer Branding 2012 herausgefunden hat.115
Jeder, der geht, nimmt etwas mit und lässt etwas zurück: Erlebnisse, Eindrücke, Emotionen, Erfahrungen. Bevor ein Mitarbeiter die
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
337
Tür für immer hinter sich schließt, hat er vielleicht den Wunsch,
das eine oder andere mit Ihnen zu besprechen. Womöglich gibt
es auch Dinge, die immer schon mal hätten gesagt werden sollen, nur die Courage hat gefehlt. Wer geht, tut sich nun leichter,
Klartext zu reden. Und ja, ganz abgesehen vom möglichen Ärger
wegen des Weggangs, auch die Arbeitgeberseite braucht Mut, ein
Exit-Interview zu führen, denn es können ja unangenehme Dinge
zur Sprache kommen. Andererseits kann man eine Menge lernen,
wenn man kluge Fragen stellt. Von langen Fragebögen halte ich
an dieser Stelle wiederum nichts. Das ist für den Interviewten nur
ätzend und mühsam.
Bereiten Sie stattdessen einen kleinen Fragenkatalog vor, und führen Sie das Gespräch dann mündlich, formlos und frei. Einige Formulierungen dazu:
{{ Aus welchem Hauptgrund sind Sie ursprünglich gekommen?
{{ Was lief aus Ihrer Sicht während der Zeit bei uns richtig gut?
{{ Was würden Sie schleunigst verändern oder verbessern?
{{ Was wird Ihre positivste, was die negativste Erinnerung sein?
{{ Welche Vorteile ergeben sich für Sie durch den Wechsel?
{{ Was hätte passieren müssen, damit Sie hätten bleiben wollen?
{{ Können Sie sich vorstellen, noch einmal zurückzukommen?
{{ Was sollten wir Ihrem Nachfolger unbedingt mit auf den Weg
geben?
Hinweise auf Missstände beim Betriebsklima, den Arbeitsbedin­
gungen und dem Führungsverhalten des Vorgesetzten bringen
zwar den ausscheidenden Mitarbeiter nicht mehr zurück. Sie
können aber vieles für die Bleibenden verbessern, einer weiteren
Fluktua­tion entgegenwirken und so eine Menge Kosten sparen helfen. »Außerdem kann man viel darüber erfahren, wie man wettbewerbsfähig bleibt«, meint Personalberaterin Sophia von Rund­
stedt. »Im schlimmsten Fall erfährt man nichts«, sagt Personalchef
Bernhard Bingenheimer vom Handelsunternehmen Lekkerland
der FAZ. »Man kann also nur gewinnen.«116 Zumindest können
338
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
schlechte Mundpropaganda und negative Bewertungen auf Meinungsportalen durch Ihr Interesse an einem solchen Gespräch
­womöglich gemildert werden. Auch ein austretender Mitarbeiter
ist ja ein Botschafter des Unternehmens. Er kann viel schlechte
Laune verbreiten – und viele Talente daran hindern, sich zu bewerben.
Erläutern Sie dem Gehenden, dass ein solches Austrittsgespräch
freiwillig ist, dass es kein Umdrehgespräch wird, nennen Sie plausible Gründe für den beiderseitigen Nutzen und zeigen Sie Wertschätzung, dann wird es klappen. Bleiben Sie während des Gesprächs ruhig, sachlich und neutral. Rechtfertigen Sie sich nicht
und verteidigen Sie niemanden. Erfassen und analysieren Sie die
genannten Antworten. Geben Sie die kleinen Geschichten, die Sie
erfahren haben, im Originalwortlaut wieder. Weil emotional, haben sie meist den größten Effekt. Und dann: Ändern Sie was!
Ein kleiner Tipp: Exit-Interviews sollten erst dann geführt werden, wenn der Mitarbeiter keinerlei negative Konsequenzen mehr
befürchten muss, sodass er völlig frei seine Beweggründe für den
Wechsel nennen kann. Alle Austrittsformalitäten inklusive
Arbeitszeugnis also vorher erledigen.
»Ich kam mir nach der Kündigung vor wie ein
vollkommen wertloser Mensch. Es war wie ein
Trauma. Wochenlang war ich wie gelähmt.«
Das erzählte mir ein Entlassener. Ja, zur
schockierenden Nachricht darf nicht auch
Beautiful Exit:
noch ein katastrophaler Trennungsstil kom­Sorgen Sie für
men. Damit sich die üble Nachrede in Gren­einen annehm­
zen hält und die Motivation der Bleibenden
baren Abgang.
nicht leidet, sollten Kündigungsgespräche
gut vorbereitet und ausgiebig geübt werden.
Denn sie sind die schwierigsten Gespräche, die
eine Führungskraft zu führen hat. Für beide Seiten bedeuten sie eine hohe emotionale Belastung.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
339
Hat hingegen der Mitarbeiter gekündigt, und nichts hat gefruchtet, um ihn für eine Weiterbeschäftigung zu begeistern, dann gilt
es jetzt, das Beste aus der Situation zu machen. Dies schafft eine
gesunde Basis für eine mögliche Rückkehr zu einem späteren Zeitpunkt. Bleiben Sie deshalb in guter Erinnerung. Bereiten Sie scheidenden Mitarbeitern einen schönen Abschied. Die Amerikaner
nennen das einen »Beautiful Exit«. Lassen Sie eine Brücke stehen!
Es ist schon vorgekommen, dass solch rührendes Bemühen noch
Mitarbeiter zurückgelockt hat, die zunächst nicht rückkehrbereit
waren.
Ein Unternehmer zeigte mir einmal das Abschiedsgeschenk, das
er einer Topmitarbeiterin machen wollte: eine elegante Ledermappe mit besonderem Inhalt. »Liebe Frau …«, stand im Begleitbrief,
»zum Start an Ihrem neuen Arbeitsplatz wünschen wir Ihnen alles
erdenklich Gute. Studien besagen allerdings, dass jedes vierte Arbeitsverhältnis in der Probezeit wieder gelöst wird, weil man nicht
immer zueinanderpasst. Sollten Sie also das Gefühl haben, dass irgendetwas an Ihrer neuen Stelle nicht stimmt, dann kommen Sie
bitte wieder zurück. Beiliegend finden Sie einen bereits vorbereiteten Arbeitsvertrag. Wir würden uns unglaublich freuen, Sie bald
bei uns wiederzusehen.«
Ein »Beautiful Exit« verläuft immer so, dass man sich auch hinterher noch in die Augen schauen und bei einem Bierchen über
alte Zeiten plaudern kann. Behandeln Sie Ihre abwandernden Mitarbeiter selbst dann fair, wenn deren Fairness zu wünschen übrig
lässt. Was demnach absolut tabu sein sollte: angeblich verschlampte Austrittspapiere, schleppend bearbeitete Arbeitszeugnisse, Kommunikationssperren, Mobbing während der letzten Arbeitstage,
Beschimpfungen und Beleidigungen, üble Nachrede. Bedanken Sie
sich vielmehr aufrichtig für die zurückliegende Arbeitsbeziehung
und wünschen Sie dem Mitarbeiter für die Zukunft viel Erfolg.
Und dann? Bleiben Sie in Kontakt! Zum Beispiel über einen JobNewsletter oder die Mitarbeiterzeitung, Xing, ein Alumni-Netz-
340
Teil 3: Führungstool für unsere neue Arbeitswelt
werk, Einladungen zu Fachtagungen und Feiern, Informationen
über wichtige Ereignisse und Neuerungen, eine Geburtstagskarte.
Oder senden Sie ab und an ein kleines Erinnerungsgeschenk. Dabei
schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe:
1.Der Ex hat allen Grund, positiv über Sie zu sprechen. Vielleicht
hatte die Arbeitsbeziehung ja Mängel, aber die Art und Weise,
wie Sie sich verabschiedet haben, die hatte Stil.
2.Sie bleiben in guter Erinnerung und halten die Tür ein w
­ enig
offen für eine spätere Rückkehr nach einem geglückten
­Wiedergewinnungsversuch.
Immer öfter geht es heutzutage auch darum, die Spitzenkräfte unter den Mitarbeitern, die gerade woanders arbeiten, zurückzuholen. Und außerdem: Wiedereinstellungen schonen Ressourcen. Sie
kosten halb so viel wie Ersteinstellungen, und sie sind bereits in
den ersten drei Monaten um etwa vierzig Prozent effizienter.
Beim Ex interessieren vor allem zwei Aspekte: Mit wem lohnt sich
ein Neuanfang? Und: Wer will überhaupt zurück? Sodann ist zu
klären: Welchen »Come-back-Köder« wollen Sie anbieten? Wann
soll dies erfolgen? Und schließlich: Wer soll den Exmitarbeiter ansprechen? Basis für all das ist eine funktionsfähige Datenbank mit
gut gepflegten Daten der (ausgeschiedenen) Mitarbeiter. Und wenn
dann ein Ehemaliger tatsächlich wiederkommt, dann braucht es einen besonders gelungenen Einstand. Eine dritte Chance gibt man
den Menschen so gut wie nie, eine zweite allerdings gern.
__________________________________________________________________
Und damit wäre nun auch hier der Startpunkt für eine zweite
Runde im Touchpoint-Management. Doch vor der zweiten Runde
kommt die erste. Packen Sie’s an! Die Zeit ist reif. Die Tools sind da.
Und die (neuen) Mitarbeiter sind bereit. Es gibt keinen besseren
Zeitpunkt, als jetzt zu beginnen.
Das Collaborator Touchpoint ­M anagement
341
Ausblick
Von der Pyramidenorganisation zum Touchpoint-Unternehmen:
Diesen Weg gilt es zu gehen. Bei laufendem Betrieb. Man kann
sein Unternehmen ja nicht wie ein Geschäft für eine Weile schließen, kernsanieren und dann mit großem Tamtam wiedereröffnen.
Das brauchen Sie auch nicht. Und – warten Sie nicht. Wer sich
jetzt nicht bewegt, hat übermorgen nichts mehr zu tun. Also dann:
Gleich morgen geht’s los. Und zwar auf drei Ebenen:
{{ Auf der Ebene der Organisation: Hier geht es um den passenden
Umbau Ihres Unternehmens, um es für unsere neue Businesswelt fit zu machen, und zwar auf Basis der sieben Rahmenbedingungen, die eingangs beschrieben wurden: Schwarmintelligenz integrieren, kollaborative Strukturen implementieren,
gefühlte Hierarchien reduzieren, Regelwerke dezimieren,
Silodenke demontieren, sich digital transformieren und den
­Kundenfokus forcieren.
{{ Auf der Ebene der Führung: Hier geht es um den CTMP® Collabo-
rator Touchpoint Management Prozess, wobei alle Touchpoints
zwischen Führungskraft und Mitarbeiter auf die Faktoren »ent­
täuschend« / »okay« / »begeisternd« hin zu analysieren und
dann zu optimieren sind.
{{ Auf der Ebene der Mitarbeiter: Hier geht es um das aktive Invol-
vieren der Mitarbeitenden an den internen (und externen)
Touchpoints, um die Weisheit der Vielen zu nutzen und auf
diese Weise schnell für wirksame Verbesserungen zu sorgen.
Das Ziel: stärkere Performance, höhere Loyalität und ein aktives Weiterempfehlen.
342
Ausblick
COLL
COLL
CEO
Marketing
HR
COLL
Finance
© Anne M. Schüller
Org
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ti
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r
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f te
skrä
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Mit
bei
Vertrieb
Kunden
on
COLL
COLL
Einkauf
F&F
IT
COLL
ten
COLL
de
Abb. 20: Die Transformation einer Organisation, ihrer Führungskräfte und Mit­
arbeitenden von einem pyramidalen System zu einem Touchpoint-Unternehmen,
in dem sich alles um den Kunden dreht
Zunächst muss ausgemistet werden. Alles Unkraut, das die jungen
Triebe am Wachsen hindert, muss weg. Der größte Fehler wäre
jedoch ein neues Projekt nach dem Motto: »Wir zerschlagen unser
altes Führungssystem.« Schritt für Schritt sollte es gehen, mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen. Das Touchpoint-Management
bietet vielfältige Wege zum Ziel.
Die meisten klassischen Change-Prozesse scheitern, weil sie von
oben kommen und die Maßnahmenpakete den Mitarbeitern übergestülpt werden. Damit das hier nicht passiert, machen Sie es diesmal andersherum: Starten Sie mit einem Auftakt-Workshop, an
dem mindestens fünfzig Mitarbeitende teilnehmen können (so wie
in Teil 3 beschrieben). Inspiriert durch einen Impulsvortrag, der
Mehrwert bringt, soll die Mannschaft die notwendigen Konzepte
selbst entwickeln. Und glauben Sie mir: Ihre Leute wissen längst,
was zu tun ist. Die meisten scharren schon mit den Füßen, damit es
endlich losgehen kann. Ist so ein Startschuss geglückt, läuft vieles
danach wie von selbst. Weil sich alle im Unternehmen vom Geist
des Touchpoint-Managements anstecken lassen.
Ausblick
343
Für diejenigen, die besonders tief in Veränderungsprozesse einsteigen wollen, habe ich zwei weitere Workshop-Formate parat (die
ich gern auf Nachfrage erläutere und mit Ihnen gemeinsam plane):
{{ ein »Kill a stupid rule«-Workshop, der sich insbesondere, auch
abteilungsübergreifend, für größere Mitarbeitergruppen eignet.
Ziel ist ein selbstverantwortliches Optimieren der innerbetrieblichen Prozesse, auch mit Blick auf eine verbesserte Kunden­
orientierung. Und
{{ ein »Kill the company«-Workshop, der sich vor allem für Füh-
rungsebenen eignet. Bei diesem Format, das ursprünglich von
Lisa Bodell, CEO der Beratungsfirma Futurethink, entwickelt
wurde, wird das eigene Unternehmen durch die Brille eines
angriffslustigen Mitbewerbers sondiert, um sich besser für die
Zukunft zu rüsten.
Über dieses Buch hinaus gibt es viele weitere Tools, um veraltete
Managementstrukturen zurückzubauen, bessere Rahmenbedingungen für unsere neue Arbeitswelt zu schaffen und eine zukunftsfähige Mitarbeiterführung zu ermöglichen.
Wir können den Wandel ignorieren, bekämpfen oder umarmen.
Jede Veränderung bedeutet, dass etwas Neues entsteht, von dem
wir noch nicht wissen, ob es besser oder schlechter sein wird. Das
kann Vorfreude, aber auch Ängste schüren. Eine Entscheidung
ist wie Springen durch die Flammenwand des Zweifels, hat Reinhard Sprenger einmal gesagt.117 Der erste Schritt ist dabei immer
der schwerste, denn er bedeutet: mit Gewohnheiten brechen, die
Komfortzone verlassen, dem Verlorenen nachtrauern, mutig Neuland betreten.
Doch Menschen wiederholen gerne Aktivitäten, in denen sie einmal siegreich waren. »Self-Herding« wird dieses Verhalten in Fachkreisen genannt. Ähnlich dem Herdenverhalten folgen wir hier der
»Herde« unserer eigenen früheren Entscheidungen. Für solch ewig
344
Ausblick
Gestrige hat Gary Hamel einen denkwürdigen Satz parat: »Die Zukunft macht leicht Narren aus den Unbelehrbaren, die sich zu lange
an alte Gewissheiten klammern.«118
»Nur ein Narr macht keine Experimente«, wusste schon Charles
Darwin. Also dann: Machen Sie es wie die Evolution. Und wie
die Jungen Wilden: Experimentieren Sie! Jonglieren Sie! Testen
Sie! Und hören Sie niemals auf, immer noch ein wenig besser zu
werden! Planen Sie den Misserfolg wie selbstverständlich mit ein!
Warten Sie nicht, bis alles perfekt ist, denn perfekt wird es nie. Und
feiern Sie Erfolge! Mit jeder Optimierung, egal, ob diese drinnen in
der Company oder draußen am Markt gelingt, können Sie einen
kleinen Trittstein in eine große Zukunft legen.
Und wenn der Weg in die richtige Richtung führt, dann werden
Sie, zusammen mit Ihren Leuten, wie Steve Jobs einmal sagte, eine
Delle ins Universum schlagen. Was kann sich ein Unternehmen
mehr wünschen?
Ausblick
345
In eigener Sache
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich dafür bedanken, dass
Sie dieses Buch gelesen haben. Ich würde mich freuen, wenn es
Sie inspiriert hat, das Touchpoint-Management – in welcher Form
auch immer – in Ihrem Unternehmen einzuführen.
Wenn Sie nun das Gefühl haben, ich könnte Sie auf diesem Weg
ein Stück weit begleiten, dann kommen Sie gern auf mich zu. Ich
stehe Ihnen wie folgt zur Verfügung:
{{ Lebendige Impulsvorträge und hochprofessionelle Keynotes
zum Thema Touchpoint-Management auf Kongressen, Conventions und Jahrestagungen sowie für Management-Meetings,
Vertriebs-Kick-offs, Mitarbeiteranlässe, Dinner-Speeches usw.
{{ Power-Workshops zur Einführung des internen und externen
Touchpoint-Managements im Rahmen von Klein- oder Großgruppen, so wie auch in diesem Buch beschrieben.
{{ Impulsvorträge und Seminar-Workshops zu folgenden weiteren
Themen: Zukunftstrend Kundenloyalität, das neue Empfehlungsmarketing, Mitarbeiterführung in neuen Businesszeiten,
emotionales Verkaufen.
Zu all diesen Themen habe ich eine Reihe von Bestsellern geschrieben und Hörbücher herausgegeben.
Stöbern Sie einfach mal in meinem Onlineshop auf
www.anneschueller.de.
Regelmäßige weitere Informationen erhalten Sie über
meinen kostenlosen Newsletter und über mein Blog.
Infos dazu finden Sie auf www.anneschueller.de.
346
In eigener sache
Die Touch Points®-Lizenzen: Für den CTMP® Customer
Touchpoint Management Prozess und den CTMP®
Collaborator Touchpoint Management Prozess gebe
ich Lizenzen aus. Informationen dazu finden interes­
sierte Berater, Agenturen, Trainer und Coaches auf
www.touchpoint-management.de.
Das Touch Points®-Institut: Das Touch Points®-Institut
bildet zertifizierte Touchpoint-Manager aus. Informationen und Termine finden Sie auf www.touchpointmanagement.de.
Das Touch Points®-Netzwerk: Im Touch Points®-Netzwerk
finden Sie lizenzierte und zertifizierte Partner, die Ihnen bei der Umsetzung des Touchpoint-Managements
in Ihrem Unternehmen helfen können. Weitere Details finden Sie auf www.touchpoint-management.de.
Meine Websites
www.anneschueller.de
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In eigener Sache
347
Anmerkungen
1Vgl. http://www.zeromomentoftruth.com.
2Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/X-Y-Theorie.
3Vgl. http://www.pressetext.com/news/20130726014.
4Vgl. May, Jochen: Schwarmintelligenz in Unternehmen,
Publicis, Erlangen 2011.
5
http://www.interbrand.com/en/best-global-brands/2013/
Best-Global-Brands-2013.aspx.
6Vgl. Fuchs, Jürgen, Fuchs, Holger: Schluss mit Hierarchie,
Coin, Wiesbaden 2008.
7Vgl. http://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/
werber-rat/der-werber-rat-die-beste-motivation-ist-­
identifikation/7811002.html.
8Vgl. http://www.vinzenz-baldus.de/service-edition/­
serviceimpulse/serviceimpuls-nr3.html.
9Vgl. http://www.personaltag.ch/fileadmin/benutzerdaten/­
personaltag-ch/pdf/PST_MM.pdf.
10Rief, Stefan: Das Ende des Büros, ManagerSeminare, Heft 186,
September 2013.
11Gratton, Lynda: Die Zukunft der Arbeit, Harvard Business
­Manager; März 2013.
12Vgl. http://www.de.capgemini.com/blog/it-trends-blog/2013/07/
wie-it-trends-unternehmen-beeinflussen-interview-mit-trendforscher-peter-wippermann.
13Ebenda.
14Gloger, Axel: Über_Morgen. Was Ihr Unternehmen in Zukunft
erfolgreich macht, Linde, Wien 2012.
15 Ortmann, Yvonne: Arbyte!, T3n Magazin, Nr. 29, November 2012.
16Hellmuth, Dirk: »Social« als Retter in der Email-Not?,
Interview Magazin, Nr. 4, 2013.
348
Anmerkungen
17Roebers. Frank: Wissen schlägt Macht, Harvard Business
­Manager, Edition 4, 2012.
18Vgl. http://www.spiegel.de/thema/warteschleife/.
19Vgl. http://www.bain.com/bainweb/pdfs/cms/hottopics/closingdeliverygap.pdf.
20Vgl. http://www.perspektive-mittelstand.de/Studie-Top-­
Management-fuer-Gros-der-Mitarbeiter-unglaubwuerdig/­
management-wissen/5031.html.
21Vgl. http://www.stepstone.de/Ueber-StepStone/upload/­
StepStone_Employer_Branding_Report_2011_final.pdf.
22Vgl. http://www.ikuf.de/ergebnisse-umfrage-ikuf/ergebnisseumfrage-2012-ikuf.html.
23Vgl. http://www.stepstone.de/Ueber-StepStone/presse/glueckim-job-zahlt-sich-aus.cfm.
24Vgl. http://www.detecon-dmr.com/de/article/fuhren-mit-­
flexiblen-zielen_2006_09_30.
25Vgl. http://www.personalmarketingblog.de/undercover-bosswas-denken-eigentlich-die-mitarbeiter.
26Vgl. http://www.absatzwirtschaft.de/content/marketingstrategie/
news/kunden-wuenschen-sich-staerkere-teilhabe-am-markengeschehen;81070.
27Vgl. Die Welt, 15. August 2013.
28Vgl. TEDGlobal: Trend Update Totale Transparenz, September
2012.
29Vgl. http://www.computerwoche.de/a/teilen-und-­
spielen,2536758.
30Das E-Book Der Kunde als Mitgestalter im neuen Marketing finden
Sie unter http://www.touchpoint-management.de/rw_e13v/
main.asp?WebID=schueller2_tpm&PageID=23.
31Vgl. http://www.geva-institut.de/index.html.
32Vgl. http://www.stellenanzeigen.de/asp/tipps/poll/main_neu.
asp?ID=200.
33Förster, Anja / Kreuz, Peter: Spuren statt Staub, Econ, Berlin
2008.
34Mei-Pochtler, Antonella: Man muss Employer Branding spüren,
absatzwirtschaft, Nr. 12, 2013.
Anmerkungen
349
35Zum Rügenwalder Drillvideo vgl. http://www.youtube.com/
watch?v=JnZeGqZszAU.
36Trend-Update, hg. von Matthias Horx, Nr. 11, 2011 (Thema:
Workstyles).
37Gratton, Lynda: Organische Organisation, GDI Impuls, Nr. 2,
2012.
38Vgl. Opaschowski, Horst W.: Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft
mehr haben, Murmann, Hamburg 2010.
39Vgl. Intre, Nr. 2, 2013.
40Vgl. http://www.pressetext.com/news/20130712002.
41Vgl. http://www.changex.de/Article/interview_riederle_nicht_
so_wie_ihr.
42Riederle, Philipp: Wer wir sind und was wir wollen. Ein Digital
Native erklärt seine Generation, Knaur, München 2013.
43Vgl. http://www.bitkom.org/de/presse/8477_76065.aspx.
44Dueck, Gunter: Professionelle Intelligenz, Eichborn, Köln 2011,
S. 68.
45Trend-Update, hg. von Matthias Horx, Nr. 11, 2011 (Thema:
Workstyles).
46Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kristalline_
Intelligenz#Cattells_Zwei-Faktoren-Modell.
47Vgl. http://www.birgit-gebhardt.com/Trendstudie_New_Work_
Order.pdf.
48Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Handy.
49Trend-Update, hg. von Matthias Horx, Nr. 11, 2011 (Thema:
Workstyles).
50Vgl. Jánkzky, Sven Gábor / Abricht, Lothar: 2025 – So arbeiten
wir in der Zukunft, Goldegg Verlag, Berlin 2013.
51Vgl. http://info.monster.de/13Dezember2006Arbeitnehmerfuhle
nsichdemeigenenUnte-120403730/article.aspx.
52Vgl. www.hr-barometer.uzh.ch/ergebnisse/berichte/hrbarometer12.html.
53Vgl. http://www.welt.de/wirtschaft/article2019484/WarumLoyalitaet-im-Unternehmen-wichtig-ist.html.
54Manager Magazin: Tatort Büro, Nr. 1, 2013.
55Vgl. http://www.haygroup.com/de/press/details.aspx?id=37320.
350
Anmerkungen
56Sprenger, Reinhard: Mythos Motivation, 19. Aufl., Campus,
Frankfurt am Main / New York 2010, S. 49.
57Vgl. http://www.stepstone.de/Ueber-StepStone/upload/
StepStone_Employer_Branding_Report_2011_final.pdf.
58Bauer, Joachim: Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt
und wie sie uns krank macht, Karl Blessing Verlag, München
2013, S. 29.
59Ebenda, S. 31.
60Vgl. Siegrist, Johannes: Medizinische Soziologie, 6. Aufl.,
Urban & Fischer, München / Jena 2005.
61ManagerSeminare: Loben lernen, Nr. 173, August 2012.
62Vgl. Pink, Daniel: Drive. Was Sie wirklich motiviert, Ecowin,
Salzburg 2010.
63Vgl. Ariely, Dan: Wer denken will, muss fühlen, Knaur,
­München 2012.
64Vgl. Dweck, Carol: Lob stinkt, Medianet, 16. März 2012.
65Lob von Topleistern motiviert Kollegen, ManagerSeminare,
Nr. 185, August 2013.
66Vgl. z. B. http://www.wissenstransfer-blog.de/talent-management/lust-an-leistung.html.
67Vgl. Bruch, Heike: Brennen. Ohne zu verbrennen, Brand eins,
Nr. 6, 2013.
68Vgl. http://www.wissenstransfer-blog.de/talent-management/
lust-an-leistung.html.
69Vgl. Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der
­Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl, UTB, Stuttgart
2000.
70Sprenger, Reinhard: Vertrauen führt. Worauf es im Unter­
nehmen wirklich ankommt, 3. Aufl., Campus, Frankfurt am
Main 2007, S. 186.
71Vgl. Ross, Lee: Das selbstlose Gen, Harvard Business Manager,
Nr. 3, 2012.
72Vgl. Wolf, Gunther: Mitarbeiterbindung, Haufe-Lexware,
­Freiburg 2013.
73Kilian, Karsten: Die Employer-Branding-Falle, Absatzwirtschaft,
Nr. 5, 2013.
Anmerkungen
351
74Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=O95DBxnXiSo.
75Vgl. http://www.stepstone.de/Ueber-StepStone/upload/­
StepStone_Employer_Branding_Report_2011_final.pdf.
76Vgl. Yougov Studie: Mitarbeiter als Markenbotschafter, Markenartikel, Nr. 8, 2011.
77Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=SzqTDRThbiE.
78Vgl. http://www.uni-bamberg.de/fileadmin/uni/fakultaeten/
wiai_lehrstuehle/isdl/MS_Recruiting_Trends_im_Mittelstand_2012.pdf.
79Vgl. http://www.hrweb.at/2013/06/recruiting-trends_mobilerecruiting/.
80Elger, Christian: Neuroleadership. Erkenntnisse der Hirn­
forschung für die Führung von Mitarbeitern, Haufe-Lexware,
Freiburg 2013, S. 111 f.
81Vgl. http://www.bitkom.org/files/documents/Social_Media_in_
deutschen_Unternehmen(4).pdf.
82Vgl. http://personalmarketing2null.de/2011/11/01/es-mussnicht-immer-facebook-sein-der-einsatz-von-kununu-fuer-personalmarketing-und-employer-branding-am-beispiel-medtronic/.
83Kunden wollen nicht für Träume zahlen, Absatzwirtschaft,
7 – 8 / 2013.
84Vgl. http://www.omnisophie.com/sie-fuhrten-immerbefehle-aus-aber-jetzt-befiehlt-keiner-mehr-daily-dueck-190-­
april-2013/.
85Cole, Tim: Unternehmen 2020 – das Internet war erst der
­Anfang. Praxiskonzepte für den Mittelstand, Hanser, München
2010, S. 70.
86Hamel, Gary: Das CEO-Konzept hat ausgedient, Wirtschafts­
woche, 22.12.2012.
87Dueck, Gunter: Professionelle Intelligenz, Eichborn, Frankfurt
am Main 2011, S. 226.
88Lehky, Maren: Leadership 2.0. Wie Führungskräfte die neuen
Herausforderungen im Zeitalter von Smartphone, Burn-out und
Co. managen, Campus, Frankfurt am Main / New York 2011,
S. 63.
89Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=krdwB8bfXLQ.
352
Anmerkungen
90Vgl. Simon, Hermann: Hidden Champions. Aufbruch nach
­Globalia, Campus, Frankfurt am Main 2012, S. 213 u.ö.
91Hamel, Gary: Schafft die Manager ab, Harvard Business
­Manager, Nr. 1, 2012.
92Vgl. http://www.umantis.com/aktuelles/haufe-umantis-agmitarbeiter-waehlen-marc-stoffel-zum-geschaeftsfuehrer1/?chorid=03251382.
93Schiller, Anke: Unkonventionell und kreativ im Dialog mit den
Kunden, Marketing und Kommunikation, Nr. 8, 2013.
94Vgl. z. B. http://de.wikipedia.org/wiki/Kreative_Klasse.
95Warga, Brad: Wir verfügen über sechs Millionen Profile, W&V,
Nr. 32, 2013.
96Eck, Klaus: Transparent und glaubwürdig. Das optimale ­Online
Reputation Management für Ihr Unternehmen, Redline,
­München 2010, S. 292.
97Berner, Winfried: http://www.umsetzungsberatung.de/personal/
mitarbeiterzufriedenheit.php.
98Ivanov, Aleksandar: Die Macht der kollektiven Intelligenz,
DIE NEWS, Nr. 11, 2012.
99Vgl. z. B. http://www.org-portal.org/index.php?id=12&tx_
ttnews%5Bpointer%5D=30&tx_ttnews%5Btt_
news%5D=580&tx_ttnews%5BbackPid%5D=3&cHash=cdb5f5a
9f83f1262a309267c58961f2d.
100Vgl. Herzberg, Frederick, u. a.: The Motivation to Work,
New York, 1959.
101Dueck, Gunter: Professionelle Intelligenz, Eichborn, Frankfurt
am Main 2011, S. 68.
102Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der
­lernenden Organisation, 11. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart
2011.
103Lohmann, Detlef: … und mittags geh ich heim. Die völlig andere
Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen, Linde, Wien 2012,
S. 130.
104Delong, Sara: Das Dilemma der Erfolgreichen, Harvard Business
Manager, August 2011.
105 Vgl. http://www.startupcareer.de/?s=Magda&submit.
Anmerkungen
353
106Woolley, Anita: Der weibliche Faktor, Harvard Business
­Manager, August 2011.
107Vgl. External Peer Reflection, Wirtschaft + Weiterbildung,
Juni 2013.
108May, Jochen: Schwarmintelligenz im Unternehmen. Wie
sich vernetzte Intelligenz für Innovation und permanente
­Erneuerung nutzen lässt, Publicis Publishing, München 2011.
109Seliger, Ruth: Einführung in Großgruppenmethoden, Carl-AuerSysteme, 2. Aufl., Heidelberg 2011, S. 16.
110 Vgl. http://ichsagmal.com/tag/barcamps/.
111Laufer, Hartmut: Praxis erfolgreicher Mitarbeitermotivation.
Techniken, Instrumente, Arbeitshilfen, Gabal Verlag, Offenbach
2013, S. 147.
112Wolf, Gunther: Mitarbeiterbindung, Haufe-Lexware, Freiburg
2013, S. 171.
113Reichheld, Fred / Markey, Rob: Die ultimative Frage 2.0,
­Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2012, S. 152.
114Vgl. dazu auch Schmid, Bernd, u. a.: Einführung in die kollegiale
Beratung, Carl-Auer, Heidelberg 2013.
115 Vgl. http://www.markenartikel-magazin.de/no_cache/­
unternehmen-marken/artikel/details/1004063-unternehmen-­
vernachlaessigen-mitarbeiter-als-markenbotschafter/.
116 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/exitgespraeche-sag-zum-abschied-leise-servus-1995664.html.
117Sprenger, Reinhard: Radikal führen, Campus, Frankfurt am
Main 2012, S. 150.
118Hamel, Gary: Worauf es jetzt ankommt, Wiley, Weinheim 2012.
354
Anmerkungen
Literaturhinweise
Ariely, Dan: Wer denken will, muss fühlen, Knaur, München 2012
Bärmann, Frank: Social Media im Personalmanagement, mitp,
­Heidelberg, 2012
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2012
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Ihres Unternehmens, Campus, Frankfurt am Main 2013
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­Frankfurt am Main 2010
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Dobelli, Rolf: Die Kunst des klaren Denkens, Hanser, München 2011
Dueck, Gunter: Das Neue und seine Feinde, Campus, Frankfurt am
Main 2013
Dueck, Gunter: Professionelle Intelligenz, Eichborn, Frankfurt am
Main 2011
Dueck, Gunter: Aufbrechen!, Eichborn, Frankfurt am Main 2010
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­Zürich 2011
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Seminare Edition, Bonn 2013
Wolf, Gunther: Mitarbeiterbindung, Haufe-Lexware, Freiburg 2013
Literaturhinweise
359
Stichwortverzeichnis
ABC-Analyse 291 f.
Abercrombie & Fitch 163
Active Sourcing 230
Affen 327
Alerts 234
Alphas 138 f.
Altruismus 157
Analog Seniors 97 – 99, 123
Angst 43, 264 f.
Apple 323
Apps 60
Arbeitgeberbewertungsportale 176 – 180
Arbeitgebermarke 87, 160 f.,
164, 167, 169, 233
Arbeitsverträge, befristete 108,
113
Ariely, Dan 106, 143
Arnolds, Hermann 210
Authentizität 201
Autorität 94 f.
Bain & Company 322
Baldus, Vinzenz 48
Bâloise 72
Barcamps 311 f., 314, 316
Bartz, Michael 191
Basler Versicherungen 72
Bauer, Joachim 135, 149
Beautiful Exit 340
Beförderung 100 f.
Begeisterung 140, 148, 154 f.,
165, 270, 274 – 276, 278
360
Stichwortverzeichnis
–Begeisterungsfaktoren 274 f.
Benchmarking 240
Beratermarkt 334 f.
Beratung, kollegiale. Siehe
Wir-Coaching
Berner, Winfried 240
Beschwerden 235
Best Western Hotels 65
Betahäuser 53
Beta-Organisation 63
Bethges, Magdalena 297
Betriebsklima 261, 268
Bewertungen 235
Bewertungsportale 176 – 180
Beziehungskonto 116, 142
Big Data 55
Bingenheimer, Bernhard 338
Bitkom 178
Bizzwatch 179
Blitzlicht-Umfragen 243 f.
Bodell, Lisa 344
Bosch 179
Bruch, Heike 149, 238
Buckmann, Jörg 229
Büeler, Katharina 72
Carglass 323
Caring Companies 113
CAS Software AG 204
Cattell, Raymond Bernard 104
Chief Touchpoint Officer
(CTO) 72
Cialdini, Robert B. 106
Coca-Cola 162
Coleridge, Samuel Taylor 193
Cole, Tim 192
Collaborator Touchpoint
­Journey 225 f., 302
Collaborator Touchpoint
­Management
– Definition 219 f.
Collaborator Touchpoint
­Management Prozess
– Schritte 222 f.
– Überblick 221 f.
Content-Strategie 167, 169
Corporate-Social-Software 57 – 61
Coworking-Spaces 53 f.
Crowdfunding 33
Crowdsourcing 67 – 69
CrowdWorx 244
Csíkszentmihályi, Mihály 140
Cube, Felix von 145, 150
Darwin, Charles 345
Dawkins, Richard 157
Delong, Sara und Thomas 293
Despar 205
Digital Immigrants 99 f.
Digital Natives 19 f., 30, 92 – 97,
123, 148, 284
– Werte 96
Direct Line Versicherung 210
Dobelli, Rolf 106
Dopamin 136 f., 140, 147
doubleSlash 72
Drucker, Peter 188
Dual Ladder 100
Dueck, Gunter 100, 189, 199,
284
Duke Energy 196
Dweck, Carol 144
Earned Touchpoints 15
Eck, Klaus 231
Egoismus 157
Eichendorff, Joseph von 154
Eismann 65
EMC 212
Emotionalität 14
Empfehlungen 165 f., 169 – 175,
322, 324 f.
–Empfehlungsbereitschaft
berechnen 322
–Empfehlungsprogramme 173
– Empfehlungsrate 324
– Finanzielle Belohnung von
E. 174
Employee Net Promoter Score
(eNPS®) 322 f.
Employer Branding 87,
162 – 164, 167, 169
Engagement 86, 114, 116, 119,
125, 127, 133, 144, 146 f.,
154, 167, 208, 319
Entscheidungen 106
Entschuldigungen 276 f.
Enttäuschungsfaktoren 271
Erfolgsgeschichten 169
Erwartungen 155, 275
eUSP 79, 81
Exit-Interview 337 – 339
Exit-Touchpoints 226
Fear of Missing Out (FOMO) 94
Feedback 284 f., 288 – 290
Feedback, öffentliches 232 – 235
Fehler 50, 276, 285 – 290
Ferstl, Ernst 152
Florida, Richard 215
Flow 140
Fluktuation 108, 112, 117,
119, 125 f., 128, 320 f.,
336 – 340
Stichwortverzeichnis
361
– Berechnung der Fluktua­
tionsrate 320
– Gründe 337
– Kosten 321
Foerges, Anne 180
Förster, Anja 80
Frast, Tamara 178
Frauen 103, 116
Freelancer 102 – 104
Fuchs, Holger und Jürgen 39
Führungsarbeit 333
Führungskräfte 18, 162,
186 – 189, 193 – 196, 199,
204, 206 – 208, 211 – 213, 215,
236 f., 275 f., 281, 325, 328,
332, 335
– Fehler eingestehen 276
– Kollegencoaching 332
– Optimierung der eigenen
Performance 325
– Selbstanalyse 236
– Selbstbild 328
– Selbstreflexion 326 – 328
Führungskräftebewertung 295
Führungsstil 99, 134, 189
Gallup Institut 134
Gates, Bill 167
Gebhardt, Birgit 105
Gefühle 200 – 204
Gehirn 88
Genderführung 88
Generation Y. Siehe Digital
­Natives
Gewissensfrage 245, 247
Gloger, Axel 55
Goleman, Daniel 262
Google 36, 182, 198, 215, 285
Gordelik, Iris 93
Gratton, Lynda 54, 93
Gruhle, Thomas 134
362
Stichwortverzeichnis
Gruppen 109, 111, 122, 156
Guerillamarketing 167
Haken 301
Hamburger Volksbank 172
Hamel, Gary 199, 208
Handy, Charles 107
Häusel, Hans-Georg 89
Häußler, Stefanie 297
Hay Group 134
Hellmuth, Dirk 58
Herausforderungen 147 f.
Herzberg, Frederick 272
Hierarchien 41, 43 – 46, 93
Himmelfreundpointner,
­Friedrich 317
Höhler, Gertrud 193
Holnsteiner, Markus Maximi­
lian 212
Hubschneider, Martin 204
Ideenbanken 59
Illoyalität 128 – 130
Image 167
Indiskretionen 160
Influencing Touchpoints 226
Innovationen 50, 66 f., 151, 304
Intelligenz, fluide 104
Intelligenz, kristalline 104
Internet 33
Intuition 105 f.
iPhone 184
Ist-Analyse 221 f., 224, 229, 231,
233 f., 236 – 239, 242
Ivanov, Aleksandar 244
Jánszky, Sven Gábor 102
Jeffries, Mike 163
JetBlue 323
Jimdo 297
Jobs, Steve 345
Jobvoting 179
Joey’s Pizza 67
Jung von Matt 168
Kahler, Silvia 81
Kahneman, Daniel 106
Kaiser, Wolfram 173
Kano, Noriaki 270
Karber, Greg 163
Kastner, Michael 151
Katalysator 211 – 215
Kelly, Scott und Mark 67
Kennzahlen 56, 318 f., 321 – 323,
325
Keuchel, Stefan 182
Kilian, Karsten 162
»Kill a stupid rule«-Workshop 344
»Kill the company«-Workshop 344
Kleidung 44
Klotz, Paul 205
Knabenreich, Henner 180
Knowledge-Worker 102 f.
Kollaborateure 101 f.
Kollaboration 18, 34 f., 53
Kollaborationsblogs 59
Kolle, Stefan 45
Kommunikation 45 f., 57, 136,
161, 280, 283
Konflikte 247
König, Tom 61
Konkurrenz 34 f.
– interne 52, 110, 157
Kontrolle 154
Kreativität 43, 213
Kreuz, Peter 80
Kritik 235, 284, 288 f., 328
Kunden 61 – 70, 72, 83 f., 125
– K. als Experten 66, 68
– Kontakt zum K. her­
stellen 84
– Loyalität 83
Kundenfokussierung 204 – 207
Kundenorientierung 35
Kündigungsgespräche 339
Kununu 176, 178, 180
Kutzschenbach, Claus von 195
Laotse 152
Laufer, Hartmut 318
Lehky, Maren 200
Leistung 145, 150
Lekkerland 338
Lernen 285
Lob 135, 137, 139, 141 f., 144,
284
Löhken, Sylvia 89
Lohmann, Detlef 45
Losada, Marcial Francisco 215
Lovemark 16 f.
Loyalität 17, 112 – 117,
119 – 127, 130 – 133, 249,
322 f.
– Formen der L. 120
– L. der Mitarbeiter er­
mitteln 249
– L. gegenüber dem Vor­
gesetzten 121
– Loyalitätsindex berechnen 322
– Loyalitätskonflikt 131
– L. zu Netzwerken 122 f.
– Vorteile 125
– Zerstören von L. 126
Loyalty-Touchpoints 226
Luhmann, Niklas 151
Macht 41 – 43
Management by Objectives 188
Manipulation 135
Manomama 196
Marke 81
Massachusetts Institute of
­Technology (MIT) 203
Stichwortverzeichnis
363
May, Jochen 31, 306
McGregor, Douglas 19
Medtronic GmbH 180
Mehle, Andrea 336
MeinChef 179
MeinPraktikum 179
Mei-Pochtler, Antonella 83
Microblogging 59
Millennials. Siehe Digital Natives
Mitarbeiter 62, 77, 79, 82, 84,
124 – 126, 128 f., 134, 161,
163, 238 – 244, 246 f., 249,
251 f., 254, 291 – 293, 298 f.
– Gründe für Unzufriedenheit 241
– Kundenkontakt 84
– Loyalität 112 – 121,
123 – 129
– M. als Mitgestalter 298 f.
– Motivation 134, 139, 142
– Neue Rolle der M. 220 f.
Mitarbeiterbefragungen 238 – 244, 246 – 249, 251 f.,
254
Mitarbeiterbindung 115
Mitarbeiterevaluierung 290 – 294
Mitarbeiterführung, kunden­
orientierte 205 – 207
Mitarbeitergespräche 195 f.,
280 – 283, 288 – 290
Mitarbeiterkontaktpunkt-Management. Siehe Collaborator
Touchpoint Management
Mitarbeiterreise. Siehe Collaborator Touchpoint Journey
Mitarbeitersuche. Siehe Recruiting
Mitarbeitertypologie 91 f.
Mitarbeiterzufriedenheit 269,
272
Möglichmacher 207 – 211
Monitoring 223, 317 f., 326
364
Stichwortverzeichnis
Monkey Business 327
Motivation 134 f., 137 – 139,
141 – 146, 149 f., 270
– extrinsische M. 138 f., 143
– intrinsische M. 137, 139,
145
NASA 67
Net Promoter® Score (NPS®) 322 f.
Netzwerke 30, 33, 35 f., 52,
122 f.
Normen 47 – 49
Obi 159
Offboarding 315
Öffentlichkeitsarbeit 160 f., 164,
166 f., 169
Okay-Faktoren 272
Onboarding 314
Oncken, William 327
Onlinebefragungen 242
Onlineprognosebörsen 244
Opaschowski, Horst 93
Open Innovation 69
Open Space 307
Oreo 185
Organigramme 10, 35, 37 – 39
Ortmann, Yvonne 55
Ösen 301
Östrogen 88
Outside-in-bottom-up-Ansatz 13, 69, 78
Oxytocin 156
Patalas, Thomas 168
Patrzek, Andreas 253
Peer-to-Peer-Kommunikation
(P2P) 96
Personalabbau 127
Persönlichkeitsstruktur 89
Peters, Tom 275
Pfläging, Niels 63
Pink, Daniel 143
Planung 46 f.
Porsche 80
Prekariat 108
Quick Wins 279
Raumkonzepte 190
Recruiting 15 f., 20, 96, 160,
167 – 173, 175, 178, 227 – 230,
259, 324
Recruiting Touchpoints 226
Reichheld, Fred 322 f.
Reputation 28, 181, 185
Retention-Management. Siehe
Mitarbeiterbindung
Reziprozitätseffekt 176
Riederle, Philipp 95
Rief, Stefan 54
Ritz-Carlton 81 f.
Roebers, Frank 58
Rogers, James 196
Ross, Lee 157
Rügenwalder Mühle 84 f.
Rundstedt, Sophia von 338
Samsung 184
Schiller, Anke 210
Schirrmacher, Frank 97
Schmuck, Erwin 208
Scholer, Stefan 336
Scholz & Friends 168
Schwarmfinanzierung. Siehe
Crowdfunding
Schwarmintelligenz 30 – 32,
35 f., 50
Selbstbild-Fremdbild-Führungsstil-Analyse 328
Selbstorganisation 192
Self-Herding 344
Seliger, Ruth 306
Senge, Peter 285
Senior Consultants 104 – 106
Serendipitätseffekt 33
Shamrock-Organisation 107
Siegrist, Johannes 137
Silodenke 50 – 53
– Definition 51
Simmet, Heike 68
Sinn 146, 148 f.
Skalierungsfragen 268
Smola, Marcus 65
Social Intranet. Siehe CorporateSocial-Software
Social-Learning-Plattform 60
Social-Media-Guidelines 181 – 183
– Ziele 183
Social-Media-Manager 183,
185
Sohn, Gunnar 311
Soll-Strategie 221 f., 256
Spar 208, 212
Spaß 266
Spezialisten 109
Spiegelneuronen 260
Spitzer, Manfred 98
Spreadshirt 297
Sprechblasen-Methode 244 f.
Sprenger, Reinhard K. 49, 135,
344
Starbucks 68
Statusabgleich 40
Statussymbole 41
Storytelling 166 f., 169, 261
Stress 264 f.
Strobl, Alexander 72
Super-Touchpoints 224
Surowiecki, James 30
També, Melanie 165
Testosteron 42, 88, 138
Tomorrow-Feedbacks 289
Stichwortverzeichnis
365
Touchpoint
– Definition 14
Touchpoint-Collage 302
Touchpoint-Großgruppen-­
Barcamps 311 – 316
Touchpoint-Großgruppenevents 306 – 308, 310
Touchpoint-Kennzahlen-Cockpit 318 – 323, 325
Touchpoint-Manager 69 – 72,
296 f.
– Aufgaben 297
Touchpoint-Projekt, internes 299 – 302
Touch Points®-Institut 347
Touch Points®-Lizenzen 347
Touch Points®-Netzwerk 347
Trinkwalder, Sina 196
Tucholsky, Kurt 287
TUI 53
Umantis AG 210
Umsetzung 279, 310 f.
Undercover-Boss 65
Unternehmen, fluide 113
Unternehmensblogs 60
Unternehmenskultur 259 – 261,
263 – 267, 269, 274
Unternehmenswikis 58
USP 79
Verbundenheit 156
Vertrauen 151 – 154, 156
Vertrauensschaden 130
Vistage International 336
Vössing, Heidrun 142
366
Stichwortverzeichnis
Wahrnehmungsgefängnis 241
Webmonitoring 233 f.
Website 85, 97
– Mitarbeitereinbindung 85 f.
Weisheit der Vielen 28, 30, 36,
210
Welch, Jack 291
Wertschätzung 149 f.
Whistleblower 133
Wiedereinstellungen 340 f.
Win-lose-Mentalität 52
Win-lose-Situationen 158
Winter, Vera 179
Wippermann, Peter 54
Wir-Coaching 332 – 334
Wirgefühl 158 f.
Wissen 33
Wolf, Gunther 159, 321
Woolley, Anita 300
Work-Life-Integrität 20, 191
World-Café 307
Wow-Momente 80 – 82
Ypsiloner. Siehe Digital Natives
Zappos 117
Zero Moments of Truth
(ZMOT) 15
Ziele 256, 258
Zielvereinbarungen 188
Zielvereinbarungsgespräche 111
Zielvorgaben 188
Zilske, Jan 65
Zwei-Faktoren-Theorie 272
Über die Autorin
Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin, Key­
note-Speaker, Management-Consultant und Best­
seller-Autorin. Sie gilt als Europas führende Expertin für Touchpoint-Management wie auch für
Loyalitätsmarketing. Sie zählt zu den gefragtesten
Business-Rednern im deutschsprachigen Raum.
Managementbuch.de zählt sie zu den wichtigen
Managementdenkern.
Sie hat elf Managementbücher geschrieben, ist Mitherausgeberin
eines Buches und hat die Hörbuchedition »Touchpoints« sowie
fünf weitere Hörbücher veröffentlicht. Ihr Buch Touchpoints wurde
zum Mittelstandsbuch des Jahres gekürt und mit dem Deutschen
Trainerbuchpreis 2012 ausgezeichnet. Sie schreibt regelmäßig
Kolumnen und Fachbeiträge in der Wirtschafts- und Fachpresse.
Wenn es um das Thema Kunde geht, zählt sie zu den meistzitierten
Experten. Zu ihrem Kundenkreis gehört die Elite der deutschen,
österreichischen und schweizerischen Wirtschaft.
Sie ist Dozentin an der Bayerischen Akademie für Werbung und
Marketing (BAW) München sowie am Management Center Innsbruck (MCI). Sie hatte ferner einen Lehrauftrag an der Hochschule
Deggendorf für Strategisches Marketing wie auch Gastauftritte an
der Universität St. Gallen.
Die Marken »Touch Points®« und »CTMP®« sind zugunsten von
Anne M. Schüller als Marken eingetragen. Eine Nutzung ohne ihre
Zustimmung ist nicht gestattet.
Über die Autorin
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