ÖSTERREICHS PRAXISMAGAZIN FÜR
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ÖSTERREICHS PRAXISMAGAZIN FÜR
AußenSeiten ÖSTERREICHS PRAXISMAGAZIN FÜR AUSSENWIRTSCHAFT Ausgabe III - 1 | 2009 – € 3,80 Russland – Ein Riese mit großer Zukunft Leitl: „Wir müssen dorthin, wo die Post abgeht“ Gas, der Stoff aus dem Putins Träume sind Im Crash-Kurs zum Kapitalismus „Es ist alles eine große Lüge!“ 10 Jahre Euro LÄNDERSCHWERPUNKT: Russland Aktuelle Praxishandbücher für Ihren Exporterfolg �������������������������������������� ��� Stöger �������������������������������������� ��� Praxistipps für ���������� � ��� grenzüberschreitende �������������������� Lieferungen �������������� �������������� ����������� Erfolgreich in die EU und in die ganze Welt � �������������������� ���������������������������� ������������� � �������������������������� ������������������������� ����� �������������������� ���������������������� �������������������������� ����� � ���������������� ������������������������������� ������������� �������������������� ����������� �������������������� 2008, 2., ergänzte und überarbeitete Auflage, 17 x 22,5 cm, broschiert, 72 ��Seiten, großem �������� ����mit ��� ����� Stichwort- und Abkürzungsverzeichnis, EUR 18,00. �������������������� ����������� ������������������������������������� ������ Viele Unternehmen scheuen den Weg ins Ausland, weil sie nicht wissen, welche Dokumente sie erstellen müssen. Dieser Arbeitsbehelf für Praktiker soll diese Scheu nehmen, indem all jene Standard-Exportdokumente anhand von zahlreichen Mustern, Beispielen und Ausfüllhilfen beschrieben werden, welche der Exporteur in Eigenverantwortung erstellen muss. ����������� ��� ���������� ������� ����� Juranitsch/Dupont ��������� �� ��� �� ��� ����������� � �� �� ���� ���� ����������� Praxishandbuch Ausfuhr & Versandverfahren ���������������� ���� �������������������� ���������� ������� �������������� � ��� ��� ��������������� � ��� ��� ��� �� ��������� Ausfuhr innergemeinschaftlich und außergemeinschaftlich inklusive Umsatzsteuer Das Standardwerk für Ausfuhr und Versandverfahren: Alle Informationen für die umsatzsteuer- und zolltechnische Abwicklung Ihrer Ausfuhren in der Praxis. Mit Arbeitshandbuch als Unterstützung für das richtige und rasche Erstellen Ihrer Zollanmeldungen inkl. Arbeitshilfen ������������������� ��� ����������������� 2008. Loseblattwerk regelmäßig aktualisiert, ca. 310 Seiten mit Trennblättern, mit großem Stichwortverzeichnis, Umschlag abwaschbar, EUR 44,00. Editorial D Hubertus Godeysen ie Russen sind schuld! - Am Sterben der traditionsreichen Wiener Geschäfte am Graben und am Kohlmarkt, an den hohen Immobilienpreisen in Kitzbühl, an den langen Wartezeiten bei Schönheitsoperationen und am Gasstreit. Die russischen Oligarchenfrauen drängen sich mit ihrem Geld vor, während ihre Männer den Gashahn zudrehen. Österreichs Meinung über Russland wird immer noch stark durch die Besatzungszeit, den Kalten Krieg, die Sowjetunion und nun durch die Abhängigkeit von russischer Energie bestimmt. Auch die Medien zeigen vorrangig ein Russland, dessen autoritäre Regierung Demokratie, Wahrheit und Widerstand bekämpft und sich willfähriger Oligarchen bedient, die Russlands gewaltige Energiereserven ausbeuten dürfen, solange sie Wladimir Putin unterstützen. Als wir mit den Recherchen für diese Ausgabe begannen, hatten auch wir diese Bilder in unseren Köpfen, doch je mehr wir uns mit Russland und seinen Menschen befassten, desto größer wurden die Fragen, die wir an unsere eigene Objektivität stellen mussten. Wir lernten Russinnen und Russen kennen, die mit großer Liebe und Hingabe über ihr Land sprachen, sich hoffnungsvoll zur Zukunft äußerten und stolz auf die gewaltigen Umbrüche hinwiesen, die das riesige Land positiv verändert haben. Wir sprachen mit Österreichern, die sehr gerne in russischen Konzernen arbeiten und von einem durch Vertrauen bestimmten Betriebsklima berichten. Während Felix Mitterer an der „Russen-Saga“ schreibt, schwanken Österreichs Gefühle für Russland zwischen geheimer Bewunderung, eigenem Überlegenheitsgefühl und knallharten Geschäftsinteressen. Selten zuvor buhlten heimische Wirtschaftseliten so um eine Einladung zum Staatsbankett, wie 2007 beim Besuch des russischen Präsidenten Putin in Wien. Damals wurden 30 Verträge über Investitionen von 3 Milliarden EURO unterzeichnet. Auch verflog der Kummer über die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2014 an das russische Sochi schnell, als satte Aufträge winkten und österreichische Skilegenden „Freund“ Putin beraten durften. Die Regierung machte Überstunden, um der Russin Anna Netrebko den Wunsch einer zusätzlichen österreichischen Staatsbürgerschaft schnellstmöglich zu erfüllen. Seitdem wird die russische Österreicherin landesweit verehrt. Sogar der ansonsten so redegewandte Staatsoperndirektor vergaß vor Begeisterung seinen Text, als er „Manon“ Netrebko persönlich zum Opernballauftritt kutschierte. – Ihr Baby gehört nun Österreich. Inhalte uu Wirtschaft Im Gespräch mit WKO Präsident Dr. Leitl: „Wir müssen dorthin, wo die Post abgeht“........................................................................... 4 Dr. Richard Vornberg: „Die systemrelevanten russischen Banken sind sicher!“ ......................................... 24 Bankenskandal: „Es ist alles eine große Lüge!“ ................. 28 uu Schwerpunkt: Russland Ein Riese mit bewegter Vergangenheit und großer Zukunft ............................................. 8 Im Gespräch mit Botschafter Dr. Stanislaw Ossadtschij: „Vertrauen ist keine Einbahnstraße!“...................................... 13 Im Crash-Kurs zum Kapitalismus ............... 16 Gazprom: Gas, der Stoff, aus dem Putins Träume sind .............................................................. 18 Lukoil: „Wir wollen der weltweit größte Ölproduzent werden!“...................................... 20 Wussten Sie, dass … ...................................... 22 Russland auf einen Blick................................. 23 uu Europa 10 Jahre Euro ........................................................... 26 Österreich und die EU........................................ 27 Das Verhalten zu Russland ist ambivalent. Vielleicht auch, weil Russen in Wien eine gewisse „Seelenverwandtschaft“ verspüren und sich deshalb in Österreich so wohl fühlen? uu Rubriken Herzlichst, Impressum AußenBlicke ............................................................ 30 ................................................................ 30 Das Titelbild zeigt die Basilius Kathedrale in Moskau Redaktionsleitung AußenSeiten AußenSeiten 1 | 2009 Für die freundliche Überlassung von Fotos danken wir der russischen Botschaft und Aeroflot 5 Wirtschaft Wirtschaft „Wir müssen dorthin, wo die Post abgeht!“ Im Gespräch mit Dr. Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich Geschäftspartnern von dort erleichtern. Nicht umsonst gehört Österreich in allen Ländern Ost- und Südosteuropas zu den Top-Auslandsinvestoren – in vielen Staaten sind wir sogar die Nummer eins. AußenSeiten: Der EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien führte zu einer engen Verflechtung dieser beiden Länder mit der österreichischen Wirtschaft, die zum führenden Investor in beiden Ländern wurde. Welchen Anteil an der heimischen Außenwirtschaft haben Bulgarien und Rumänien? Dr. Christoph Leitl A ußenSeiten: Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die österreichische Wirtschaft stark nach Ost- und Südosteuropa orientiert. Welche Bedeutung hat diese Entwicklung langfristig für Österreich und welchen wirtschaftlichen Stellenwert hat Südosteuropa im österreichischen Außenhandel? Leitl: Ost- und Südosteuropa sind „erweiterte Heimmärkte“ für österreichische Unternehmen geworden. Wir haben es nach der politischen Wende als Erste verstanden, unsere Chancen in dieser Region zu nützen. Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich. Einerseits konnte Österreich auch zur Zeit des Kommunismus mit diesen Staaten gute wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, andererseits verbinden uns mit der Region eine Jahrhunderte alte gemeinsame Vergangenheit sowie eine ähnliche Mentalität, die nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen mit 6 Leitl: Beide Nationen sind unter den Top-30 der wichtigsten österreichischen Handelspartner – Rumänien steht auf Platz 14, Bulgarien auf Platz 26. Die Bedeutung beider Märkte für die österreichische Exportwirtschaft zeigt sich vor allem daran, dass gerade in weltwirtschaftlich schwierigeren Zeiten mit Dienstleistungsexporten ein vielschichtiges ist. AußenSeiten: Nach 1955 war die österreichische Wirtschaft nach Westen ausgerichtet und befand sich auch in einer starken Abhängigkeit zu Deutschland. Bewirkt die neue Bedeutung Österreichs in Ost- und Südosteuropa auch ein gewachsenes Selbstbewusstsein und eine Loslösung von Deutschland? Leit: Deutschland ist nach wie vor der wichtigste Handelspartner Österreichs und wird es mit Sicherheit auch längerfristig bleiben. Die heimischen Unternehmen haben aber frühzeitig erkannt, dass eine Streuung der internationalen Geschäftstätigkeit für den dauerhaften Erfolg von enormer Bedeutung ist, um etwaige Rückgänge in einzelnen Märkten aufzufangen. Das kommt uns gerade jetzt, im Zusammenhang mit der globalen Finanzkrise zu Gute. Unser Motto lautet: „Wir müssen gerade im Export dorthin, wo die Post abgeht - in Länder und Regionen mit intakter Konjunktur“. Schließlich wird das BIP-Wachstum in den Staaten Ost- und Südosteuropas heuer und auch im kommenden Jahr zumindest doppelt so hoch liegen wie in Westeuropa. Diese Devise gilt aber auch für die GUS-Staaten oder Länder im Nahen- und Mittleren Osten sowie in Asien. „Österreich gehört in Ostund Südosteuropa zu den TopAuslandsinvestoren - in vielen Staaten sind wir sogar die Nummer eins.“ AußenSeiten: Russische Großunternehmen investieren in Österreich und heimische Unternehmen bauen ihre Handelsbeziehungen in Russland aus. Welche Chancen und welche Risiken bestehen für die österreichische Wirtschaft im russischen Markt? beiden Staaten noch hervorragende Geschäfte gemacht werden. Der beste Indikator sind dafür die bilateralen Außenhandelszahlen. Während Österreichs weltweite Ausfuhren in den ersten drei Quartalen 2008 um 5,6% zulegten, steigerten sich die Exporte in diesem Zeitraum nach Rumänien um 21% auf 1,8 Mrd. Euro und nach Bulgarien um 22% auf 618 Mio. Euro. Das Erfreuliche daran ist, dass wir in beiden Ländern in allen Branchen vertreten sind und das Spektrum an Waren- und Leitl: Russland ist die Nummer Elf unter den wichtigsten österreichischen Handelspartnern und der Anteil der Ausfuhren nach Russland an den weltweiten Exporten macht circa 2,5% aus. Mit einer Exportsteigerung von 23% auf 2,3 Mrd. Euro in den ersten drei Quartalen 2008 gehört Russland, wie auch unsere ost- und südosteuropäischen Nachbarn, zu den boomenden Magneten für österreichische Ausfuhren – sowohl bei Waren- als auch Dienstleistungsexporten. Russland wird auch AußenSeiten 1 | 2009 in Zukunft eine Unzahl an Chancen für österreichische Unternehmen bieten. Natürlich ist Russland ein schwierigerer Markt als unsere direkten Nachbarn – schon alleine wegen seiner Größe. Doch um etwaige Probleme zu meistern und einen gelungenen Markteintritt zu schaffen, stehen wir mit unserer Außenwirtschaftsorganisation, der Außenwirtschaft Österreich AWO und ih- „Österreich hat von der Ostöffnung, vom EU-Beitritt von der EU-Erweiterung am stärksten profitiert.“ rer Außenhandelsstelle Moskau bereit. Wir bieten - wie auch für alle anderen Märkte - das richtige Rüstzeug, um erfolgreich im Ausland tätig zu sein. Wir nehmen potenzielle Exporteure so zu sagen „an der Hand“ und führen sie in die Auslandsmärkte. AußenSeiten: Wie unterstützt die WKO österreichische Investoren in Ost- und Südosteuropa und Russland? GW_0853_INS_Zollservice_210x140_rz:Layout 1 Leitl: Das umfangreiche Exportförder- programm der AWO, das durch die gemeinsame Internationalisierungsoffensive „go international“ von WKO und Bundesregierung ausgebaut wurde, bietet Hilfe für jeden Exporteur, egal ob Neueinsteiger oder Exportprofi und das weltweit. Mit unseren über 100 Stützpunkten (Außenhandelsstellen, Marketing- und Zweigbüros) helfen wir vor Ort bei der Geschäftspartnersuche, bei rechtlichen Problemen, bei Niederlassungsgründungen oder Grundstückserwerb, um nur einige Beispiele zu nennen. Insgesamt bietet die AWO jährlich über 800 exportrelevante Veranstaltungen - vom Exporterstberatungsgespräch über Exportkompetenzwerkstätten, Marktsondierungsreisen, Wirtschaftsmissionen, Messebeteiligungen bis zu verschiedenen Fachseminaren – der österreichischen Exportwirtschaft an, um erfolgreich im Auslandsgeschäft tätig sein zu können. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei selbstverständlich bei den Ländern Ost- und Südosteuropas sowie den GUS-Staaten. von Russland. Wie kann sich die österreichische Wirtschaft vor einem russischen Übergewicht schützen? AußenSeiten: Angesichts der enormen AußenSeiten: Sowohl die Kronen-Zeitung, als auch einige Parteien fördern eine EU-feindliche Stimmung und wer- 06.06.2008 11:09 Seite 1 KaEnergiereserven undUhr des russischen pitals wächst die Abhängigkeit Europas Leitl: Man sollte die Frage anders formulieren: Wie kann die österreichische Wirtschaft das enorme Potenzial des russischen Marktes zu ihrem eigenen Vorteil nützen? Und da sind wir am besten Weg, wie die oben erwähnten Außenhandelszahlen eindrucksvoll belegen. Wir dürfen keine Angst vor dem „russischen Bären“ haben, vielmehr müssen wir versuchen, einen Teil seines wirtschaftlich erfolgreichen Weges mit zu gehen. Allein wenn wir an die von Ihnen angesprochenen Energiereserven denken, so können österreichische Unternehmen mit ihrem Know-how bei der Gewinnung dieser Ressourcen mitwirken. Der russische Markt ist riesig und ebenso sind es die Chancen österreichischer Firmen dort. Wir dürfen uns diesen Möglichkeiten nicht verschließen, müssen uns also nicht vor Russland schützen. the orange way of crossing borders Zollangelegenheiten einfach outsourcen: Unser Zollservice kümmert sich um alle Formalitäten. EU- und weltweit. Inklusive Ihrer INTRASTAT-Meldung. Damit Sie auf direkte Art täglich Zeit gewinnen. AußenSeiten 1 | www.gw-world.com 2009 Servicetelefon 0800.201.666 7 Wirtschaft ben für eine diffuse Eigenständigkeit Österreichs. Gerade die österreichische Wirtschaft profitiert am meisten vom Wirtschaftsraum der EU und vom Gewicht der EU im globalisierten Markt. Warum wird die positive Haltung der WKO zur EU-Mitgliedschaft Österreichs öffentlich kaum wahrgenommen? Leitl: Österreich ist eines jener Länder, das von der Ostöffnung, vom eigenen EU-Beitritt und in der Folge von der EU-Erweiterung am stärksten profitiert hat. Ohne diese drei Faktoren würden wir heute nicht da stehen, wo wir sind. Das wissen die österreichischen Unternehmen und wir betonen das auch immer. Leider gilt in einigen Medien immer noch das Schlagwort, nur „bad news sind good news“. Sobald etwas schlecht läuft, wird „auf die aus Brüssel“ geschimpft, läuft’s gut, war es ein Erfolg des Nationalstaates oder der Region. Wir als Wirtschaftskammer führen seit Jahren Initiativen zur Hebung des EU-Images durch und klären die Bevölkerung auf. Was dennoch fehlt, ist eine EU-weite Werbeoffensive. Hier muss auch ich die EU in die Pflicht nehmen und fordere ein, vielleicht ein wenig mehr in Aufklärungskampagnen zu investieren als in die ein oder andere unnötige und unverständliche EU-Verordnung. AußenSeiten: Raten Sie angesichts der Finanzkrise österreichischen Unternehmen momentan eher zur Zurückhaltung in Ost- und Südosteuropa oder gehen Sie von einer schnellen Erholung der Wirtschaft in diesem großen Zukunftsmarkt aus? Leitl: Von einer schnellen Erholung der Weltwirtschaft allgemein zu sprechen, wäre im Augenblick nicht zulässig. 2009 wird ein schwieriges Jahr, Prognosen sind aber schwierig. Eines dürfen wir aber auf keinen Fall: Die Krise groß reden. Ich bin grundsätzlich ein Optimist und auch davon überzeugt, dass gerade Osteuropa weiterhin eine der wichtigsten Hoffnungsregionen für die österreichische Wirtschaft bleiben wird. Gerade in Zeiten, wo Westeuropa und die USA mit schwächelnder Konjunktur zu kämpfen haben, müssen wir in jene Regionen mit nach wie vor in- 8 Wirtschaft takter Konjunktur, wie eben Osteuropa, die GUS-Staaten oder Teile Asiens. Wir müssen uns vom kleiner werdenden Weltwirtschaftskuchen ein größeres Stück abschneiden. Dabei unterstützen wir die österreichischen Unternehmen mit unserer Außenwirtschaftsorganisation AWO und dem „Exportkonjunkturprogramm“ von Bundesregierung und WKO, der Internationalisierungsoffensive „go international“. AußenSeiten: In der aktuellen Finanzkrise flüchten die Banken unter den Schutz des Staates, den sie noch vor wenigen Monaten als Bremse des freien Welthandels empfunden haben. Führt diese Krise nun zu einer Stärkung der staatlichen Einflussnahme in der Wirtschaft? Leitl: In diesem Zusammenhang von einer quasi „Re-Verstaatlichung“ zu reden, wäre falsch und diese ist auch nicht zu befürchten. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Besinnung auf eine soziale Marktwirtschaft. Die freie „Die freie Wirtschaft braucht wieder mehr humane Werte, gewisse Regeln und eine angemessene Kontrolle.“ Wirtschaft braucht wieder mehr humane Werte, wie auch gewisse Regeln und ein angemessenes Maß an Kontrolle. Diesen Weg wird die derzeitige Krise beschleunigen und das ist grundsätzlich auch zu begrüßen. AußenSeiten: Das öffentliche Ansehen von Managern in den Banken und der Wirtschaft ist weltweit auf einem Tiefststand. Empfinden Sie das Verhältnis zwischen Können und Bezahlung der Manager in den österreichischen Vorständen der großen Banken und börsenotierten Unternehmen als angemessen? Leitl: Wer Leistung bringt, soll auch ordentlich bezahlt werden, dieser Grundsatz gilt für die gesamte Arbeitswelt. Wofür ich aber kein Verständnis habe, ist, wenn für Misserfolge und Versagen auch noch ein „Golden Handshake“ nachgereicht wird - vor allem bei staatlichen oder halbstaatlichen Betrieben. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. AußenSeiten: An den Börsen wurde fast nur noch die Gier nach dem schnellen Geld befriedigt und Unternehmen lediglich nach Quartalszahlen bewertet, während Faktoren wie langfristige Auftragslage, Leistung und emotionale Zugehörigkeit von Mitarbeitern, regionale Einbindung in gewachsene Märkte, soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit oft unberücksichtigt blieben. Gibt es bei den Börsenhändlern möglicherweise eine Abkehr vom angelsächsischen Kapitalismus und eine Renaissance dieser traditionellen Werte oder entsteht nach einer Schamfrist demnächst die nächste Blase, die dann wieder Milliardenwerte vernichtet? Leitl: Österreich ist mit dem angelsächsischen Raum nicht vergleichbar - schon alleine wegen der unterschiedlichen Unternehmensstruktur. Österreichs Firmen sind zu 99 Prozent Familienbetriebe, die ihre Unternehmensziele nicht nach Quartalen ausrichten. Unsere Firmen denken in Generationen und handeln dementsprechend - für ihre Nachkommen, für ihre Kunden und für ihre Mitarbeiter. Bei uns ist das Schlagwort der Ökosozialen Marktwirtschaft eben nicht nur ein Schlagwort, sondern unternehmerisch gelebte Realität. Auf diese Art der nachhaltigen sozialen Verantwortung können wir stolz sein, auch als Wirtschaftskammer. Denn wir leben als Unternehmensvertretung dieses Modell seit Jahrzehnten in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen in Form der Sozialpartnerschaft vor. Nicht umsonst werden wir von vielen anderen Staaten darum beneidet und sie gilt als eines der Aushängeschilder unseres Landes und unseres wirtschaftlichen Erfolges sowie des sozialen Friedens in Österreich. AußenSeiten: Wie robust ist der österreichische Außenhandel in der momentanen Finanzkrise und wie groß schätzen Sie den Abschwung ein? Leitl: Sechs von zehn Euro unseres Wohlstandes verdienen wir im Ausland. Das zeigt, wie wichtig der Export - auch AußenSeiten 1 | 2009 in schwierigen Zeiten - ist. Unser Markt ist die Welt! Für heuer sind Prognosen zu Wirtschafts- und Exportwachstum schwierig und unter den laufenden Veränderungen unseriös. Derzeit fahren wir im Nebel. Niemand kann seriös sagen, was in drei Monaten sein wird. Ein Ziel haben wir uns aber trotzdem gesetzt: wir wollen 2009 unter den EU-15 unter den besten drei Exportnationen sein und 2.000 zusätzliche Unternehmen in den Export führen. AußenSeiten: Welche Maßnahmen fordert bzw. forciert die WKO gerade jetzt angesichts der weltweiten Finanzkrise, um die österreichischen Exporte nicht „abstürzen“ zu lassen? Leitl: Ein wichtiges Instrument für den nachhaltigen Erfolg der österreichischen Exportwirtschaft ist die Fortsetzung der Internationalisierungsoffensive „go international“ von WKO und Bundesregierung, die bis März 2009 läuft. Wir begrüßen diesbezüglich den grundsätzlichen Entschluss der Bundesregierung, diese über das Jahr 2009 hinaus fortzusetzen und mit jährlich 25 Millionen Euro an Exportfördergeldern zu dotieren. Die IO sollte von der Bundesregierung aber auf mindestens fünf Jahre (bis 2013) mit je 25 Millionen Euro verlängert werden. Generell sehe ich auch im kommenden Jahr gute Chancen für die österreichische Exportwirtschaft. Auch wenn unsere wichtigen Handelspartner wie Deutschland oder die USA mit Problemen zu kämpfen haben und das die österreichischen Exporte durchaus spüren werden, so gibt AußenSeiten 1 | 2009 es genug „Hoffnungsmärkte“ mit viel Potenzial für Österreichs Exporteure. Dementsprechend wird die AWO ihre Exportfördermaßnahmen auf diese Hoffnungsmärkte fokussieren und wir helfen den österreichischen Unternehmen mit unserem weltumspannenden AWO-Netzwerk dorthin zu kommen, wo es auch in schweren Zeiten „etwas zu holen gibt.“ „Sechs von zehn Euro verdienen wir im Ausland - Unser Markt ist die Welt!“ AußenSeiten: Gerade in Krisenzeiten wird die stabilisierende Bedeutung der KMUs für die österreichische Wirtschaft besonders deutlich, trotzdem tragen diese Unternehmen immer noch die Hauptlast an Steuern. Wie setzt sich die WKO für eine Entlastung und Förderung der mittelständischen Wirtschaft ein? Leitl: Wir haben schon in der Vergangenheit viel für die österreichischen Klein- und Mittelbetriebe erreicht, um deren Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb zu stützen. Als ein Beispiel unter vielen möchte ich die Senkung der KöSt von früher 34 % auf nunmehr 25 % erwähnen, die ohne unsere Beharrlichkeit nicht so schnell durchgesetzt worden wäre. Wir geben uns damit aber nicht zufrieden, sondern arbeiten ständig weiter, um Erleichterungen für die österreichischen Unternehmen zu schaffen. So wird Im Zuge der kommenden Steuerreform der ausgedehnte Freibetrag für einkommensteuerpflichtige Selbständige ähnlich wie die so genannte Sechstelbegünstigung der Lohnsteuerpflichtigen bei kleinen Einkommen wirken und eine weitere Entlastung für Unternehmen bringen - der Freibetrag für investierte Gewinne wird dann von derzeit zehn % auf 13 % erhöht. Davon werden vor allem KMU und EPU (EinPersonen-Unternehmen) profitieren. Generell werden auch die beiden Konjunkturpakete mit einem Gesamtvolumen von 5,7 Milliarden Euro den österreichischen Betrieben zu Gute kommen. Der Wirtschaftskammer ist es auch gelungen, dass ab 1.1.2009 Unternehmer, die aus ihrer früheren unselbständigen Tätigkeit Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben haben, diese nun auch unbefristet ohne Beitragszahlungen wahren können. Von dieser unbefristeten Rahmenfristerstreckung profitieren insbesondere kleine Selbständige, wenn sie ihre Tätigkeit beenden müssen. Zudem wird es künftig leichter sein, sozial abgesichert zwischen unselbständiger und selbständiger Beschäftigung zu wechseln. Gleichzeitig haben wir erreicht, das Selbständige, die keine Ansprüche nachweisen können, ab Anfang des Jahres 2009 das Modell der freiwilligen Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen können. Damit können jetzt alle Selbständigen, die schon bisher selbständig erwerbstätig waren, und all jene, die erst nach dem 1.1.2009 eine selbständige Tätigkeit beginnen, für die Zukunft Ansprüche in der Arbeitslosenversicherung aufbauen. Dieses neue Modell der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbständige sowie auch die unbefristete Rahmenfristerstreckung schützen jetzt Selbständige. AußenSeiten: Wir danken Ihnen für das Gespräch.. Dr. Christoph Leitl, 1949 in Linz geboren, übernahm nach dem Studium bis 1990 die Geschäftsführung der fam. Bauhütte Leitl-Werke. Danach war er Mitgl. der OÖ Landesregierung u. LH-Stv., seit 2000 Präsident der Wirtschaftskammer Österreich. 2001 – 2005 Präsident der Europ. Wirtschaftskammern. uu 9 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Russland Ein Riese mit bewegter Vergangenheit und großer Zukunft Von Dr. Daniela Kurzbach W ährend die meisten Staatsgründungen sehr heroisch dargestellt werden, beginnt Russlands Geschichte mit einem Geburtsfehler - nämlich ohne Russen und ohne russischen Staat. Keimzelle des späteren Riesenreiches war die Gegend um Nowgorod, in der damals Ostslawen lebten, die sich ständig bekämpften. Im Jahr 862 wollten sie dann endlich einmal in Ruhe leben und bestimmten einen Ausländer, den Schweden Rurik, zu ihrem Herrscher. Rurik begründete die Dynastie der Rurikiden, die erst 1598 durch die Romanows abgelöst wurde. Doch ein richtiger Schwede war Rurik nicht, er war Waräger, ein schwedischer Wikinger. Zeitgleich hatten in Kiew andere Waräger die Führung übernommen und da sie, wie alle Wikinger, erfolgreiche Krieger und geschäftstüchtige Händler waren, gewannen sie schnell an Macht und Einfluss. Erst später gaben die Slawen und andere Völker den Warägern den Namen Rus, die Griechen nannten sie Rhos und so kamen die Russen zu ihrem Namen. Byzanz prägt Russland Doch die ersehnte Ruhe gab es nicht, Ruriks Nachfolger zog es gen Süden. Sie töteten 882 die warägischen Herrscher Kiews, vereinten beide Zentren, machten Kiew zu ihrer Hauptstadt und unterwarfen die Nachbarstämme. Mit einem Heer aus Warägern, Slawen und Finnen marschierten sie 907 nach Konstantinopel und schlossen 911 mit dem Byzantinischen Reich den ersten Handelsvertrag der altrussischen Geschichte. Er wurde zur Grundlage für enge Bindungen zu Byzanz. Der erste Waräger, der einen slawischen Namen 10 Welt; seine Herrscher führten ab der Mitte des 16. Jahrhunderts den Titel Zar. 1914 nahm das russische Kaiserreich mit rund 22 Millionen Quadratkilometern flächenmäßig etwa ein Sechstel der Erdoberfläche ein und erstreckte sich vom Bottnischen Meerbusen bis zum Pazifik. Es bestand aus dem russischen Kernland in Osteuropa, zu dem auch das Großherzogtum Finnland und der größte Teil Polens gehörten, den südwestlichen Steppen- Holland, England und Österreich führte, um sich über die westliche Seefahrt, Wissenschaft, Technik, Architektur und Kunst zu informieren. Danach zwang er den Hof europäische Kleidung zu tragen, stutzte die Bojarenbärte, führte den julianischen Kalender ein, öffnete 1703 mit der Gründung von Sankt Petersburg Russlands Fenster nach Europa und erhob die Stadt an der Newa 1712 zum neuen Regierungssitz. Die russisch - orthodoxe Kirche prägt auch das moderne Russland wieder. aufgebracht. Völlig isoliert kämpfte das kleine, arme und noch junge Preußen gegen die drei größten Militärmächte, die noch durch deutsche Reichstruppen verstärkt wurden. Sieger blieb Friedrich, aber nur, weil sich Österreich und Russland nach Preußens Niederlage bei Kunersdorf zerstritten, Elisabeth bald danach verstarb und ihr holsteinischer Neffe und Nachfolger, Peter III., den Preußenkönig bewunderte und den Krieg beendete. Preußens Aufstieg begann, den Österreich nun nicht mehr verhindern konnte. Katharina II., die Große (1761-1796), ließ ihren Mann Peter umbringen und wurde Russlands bedeutendste Herrscherin. Sie setzte die Europäisierung Russlands fort, förderte die Aufklärung und teilte gemeinsam mit Österreich und Preußen in drei Schritten Polen auf, das nun von der europäischen Landkarte verschwand. trug, war Swjatoslaw, der bis 972 lebte und Kiews Macht weiter ausdehnte. Sein Sohn Wladimir verstieß 988 seine heidnischen Frauen, heiratete Anna, die Schwester des byzantinischen Kaisers Basileios II., wurde Christ und war der erste nichtgriechische Herrscher, der eine dynastische Verbindung mit dem byzantinischen Kaiserhaus einging. Damit öffnete sich Russland der byzantinischen Kirchentradition, aus der die russisch-orthodoxe Kirche und Slawisch als Kirchen- und Schriftsprache entstanden. Es folgten Mongolenstürme, Dschingis Khan verwüstete das Land und 1147 wurde Moskau gegründet. Als 1453 die Osmanen Konstantinopel eroberten, wurde das „heilige Russland” mit Moskau zum „Dritten Rom“ und übernahm auch den doppelköpfigen byzantinischen Adler als Staatswappen. Der größte Staat der Welt Innerhalb von vier Jahrhunderten entwickelte sich aus territorial recht bescheidenen Anfängen das Russische Reich zum größten Staatengebilde der AußenSeiten 1 | 2009 gebieten, dem Kaukasus, Sibirien und Russisch-Turkestan. Österreich wird Partner Österreich unterhielt bereits im 16. Jahrhundert durch Siegmund von Herberstein erste diplomatische Kontakte, die sich vertieften, als Peter der Große 1689 Zar wurde. Nun trat Russland machtvoll in die europäische Politik ein und Reformen veränderten das Land grundlegend. Als erster Zar unternahm Peter 1697 eine längere Auslandsreise, die ihn nach Preußen, AußenSeiten 1 | 2009 Die erste intensive österreichisch-russische Partnerschaft, zu der auch noch Frankreich gehörte, entstand 1756 im Siebenjährigen Krieg gegen Preußen. Friedrich der Große bezeichnete dies als „Koalition der Unterröcke“ und er war nicht schuldlos daran, hatte er sich doch nicht nur Maria-Theresia zur Feindin gemacht, sondern mit Aussagen über das ausschweifende Liebesleben der Zarin Elisabeth und kritischen Äußerungen über Madame Pompadur, der Mätresse Ludwigs XIV., die drei mächtigsten Frauen Europas gegen sich Die nächste enge russisch-österreichische Zusammenarbeit gab es im Kampf gegen Napoleon, obwohl die gemeinsamen Truppen in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz am 2. Dezember 1805 vernichtend geschlagen wurden. 1812 marschierte Napoleons Grande Armée in Russland ein, besetzte Moskau und wurde zum Rückzug gezwungen, als die Russen die Stadt in Brand steckten. Die Grande Armée zerfiel und in der Völkerschlacht bei Leipzig wurde Napoleon 1813 besiegt und Zar Alexander zum „Befreier Europas”. Der Wiener Kongress (1814/15) ordnete Europa neu und brachte Russland Kongresspolen, das mit dem russischen Reich verbunden wurde. Gemeinsame Interessen im Balkan Russlands wachsender Einfluss zeigte sich auch im Kampf mit dem osmanischen Reich und auf dem Balkan, hier gab es die nächsten Berührungspunkte mit Österreich. Obwohl 1878 im Berliner Kongress die europäischen Großmächte eine Neuaufteilung des Balkans vornahmen, konnte sich die Region nicht stabilisieren. Russland wurde auf dem Balkan zum Rivalen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und verbündete sich mit Frankreich. 11 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt St. Petersburg erstrahlt wieder im alten Glanz. Das Museum Eremetage. Das Ende der Zaren Innenpolitisch lösten sich allmählich die alten feudalen Abhängigkeiten, weil eine sich mit dem Eisenbahnbau beschleunigende Industrialisierung einsetzte. Mit ausländischem Kapital entstanden Großunternehmen der Textil-, Montan- und Schwerindustrie um Sankt Petersburg, Moskau und der Ukraine, sowie eine Erdölförderung um Baku. Die Zahl der Fabrikarbeiter und die städtische Bevölkerung stiegen rasch und führten zu einer im Untergrund agierenden Arbeiterbewegung, die sich revolutionärem Gedankengut öffnete und 1898 zur Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands führte. Zar Nikolaus II. (1894-1917) war den wachsenden Unruhen nicht gewachsen, seine Position schwächte sich weiterhin, als er den Russisch-Japanischen Krieg (1904/05) verlor. Zusätzlich geriet die kaiserliche Familie auf der Suche nach Heilung des an der Bluterkrankheit leidenden Thronfolgers in den Einflussbereich des sibirischen Mönches Rasputin, bis Angehörige des Hofes ihn 1916 ermordeten. Der 1. Weltkrieg Die von Österreich-Ungarn 1908 ausgelöste Annexionskrise um BosnienHerzegowina und die Balkankriege von 1912/13 brachten Russland weitere 12 Prestigeverluste, da es serbische Forderungen gegen Österreich-Ungarn nicht durchsetzen konnte. Der durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 ausgelöste 1. Weltkrieg traf das mit Frankreich und Großbritannien verbündete Russland in einem Zustand wirtschaftlicher und militärischer Schwäche. Vorher war es durch den Spionagefall Oberst Redl noch zu schweren Spannungen zwischen Wien und St. Petersburg gekommen. Als Sohn eines Oberinspektors der Eisenbahn geboren, schaffte es der Berufsoffizier in den Generalstab und brachte es zum stv. Leiter der österreichischen Militärspionage. Während eines russischen Sprachstudiums bemerkte der russische Geheimdienst 1899 die homosexuellen Neigungen Redls, erpresste ihn und zahlte gut. Von 1900 bis zu seinem Selbstmord 1913 verriet er alle aktuellen österreichischen Aufmarschpläne an Russland, verkaufte Informationen über den deutschen Waffenbruder an Frankreich und ließ alle in Russland operierenden österreichischen Spione verhaften. Österreich kämpfte somit im 1. Weltkrieg „blind“ gegen Russland. Nach Anfangserfolgen in Galizien erlitt die russische Armee in Ostpreußen schwere Niederlagen, die zur Demoralisierung der Truppe führten. In St. Petersburg meuterten die Soldaten, eine Provisorische Regierung konstituierte sich und Nikolaus II. dankte am 2. März 1917 ab. Damit endete das seit 1547 bestehende Zarenreich. Da der Krieg weitergeführt wurde, stattete die deutsche Heeresleitung den im Schweizer Exil lebenden Lenin und seine Revolutionäre mit Geld aus und brachte sie nach Russland. Am 16. April 1917 kam Lenin an und sorgte systematisch für eine Machtübernahme durch die Sowjets. Der Friede von Brest-Litowsk beendete für Russland den 1. Weltkrieg. Die Oktoberrevolution Am 7. November 1917 - dem 25. Oktober nach dem damals gebräuchlichen Julianischen Kalender - begann unter Führung Wladimir I. Lenins die Oktoberrevolution und damit die Gründung der Sowjetunion. Als die Bolschewiki bei einer verfassungsgebenden Versammlung nur ein Viertel der Stimmen erhielten, schaltete die Geheimpolizei Tscheka alle nichtbolschewistischen Kräfte aus und die „Kommunistische Partei Russlands“ (Bolschewiki) blieb als alleinige Macht über. Im Februar 1918 begann Trotzkij mit dem Aufbau der „Roten Arbeiter- und Bauernarmee”, die er zu einer AußenSeiten 1 | 2009 Russland schenkte der Welt bedeutende Dichter, Komponisten und Musiker. Die Oper in Nowosibirsk. schlagkräftigen Truppe formte und die alle Widerstände brach und den Bürgerkrieg beendete. Im März 1918 übersiedelte die Regierung in den Moskauer Kreml, und im Juli verabschiedete ein Sowjetkongress die Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Damit war die erste Phase der Revolution abgeschlossen. Stalin Obwohl Lenin vor Stalin gewarnt und alle persönlichen Beziehungen zu ihm abgebrochen hatte, konnte Stalin 1924 nach Lenins Tod die Macht in Partei und Staat übernehmen. Er führte die Planwirtschaft ein, förderte die Industrialisierung, kollektivierte die Landwirtschaft, was zu Hungersnöten führte, und ließ Millionen von Menschen in sog. „Säuberungen“ hinrichten. Am 1. September 1939 löste HitlerDeutschland mit seinem Angriff auf Polen den 2. Weltkrieg aus und am 22. Juni 1941 marschierten deutsche Truppen in die Sowjetunion ein. Nach anfänglichen Erfolgen im „Blitzkrieg“ stoppte im Winter 1942/43 vor Stalingrad der Vormarsch und die deutschen Truppen wichen nach Westen zurück. Am 22. April 1945 standen sowjetische Truppen vor Berlin, drei AußenSeiten 1 | 2009 Tage später begegneten sich sowjetische und amerikanische Truppen an der Elbe. Der Krieg in Europa endete am 8. Mai 1945. Bei Kriegsende war die Sowjetunion als Weltmacht anerkannt. Stalin hatte auf den Konferenzen von Teheran (1943), Jalta (1945) und Potsdam seine Forderungen weitgehend durchgesetzt. Die Siegermächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich teilten Österreich und Deutschland in jeweils vier Besatzungszonen auf, die Hauptstädte Wien und Berlin in vier Sektoren. Der Kalte Krieg Die sowjetische Außenpolitik der Nachkriegsjahre war bestimmt von der Ausdehnung des sowjetischen Einflussbereiches. In Deutschland führte dies zu unvereinbaren Interessengegensätzen zwischen der Sowjetunion und den drei westlichen Alliierten, deren gemeinsame Deutschlandpolitik scheiterte und zur Gründung der DDR und zum Kalten Krieg führte. Die osteuropäischen Staaten Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien wandelte die Sowjetunion bis 1949 in sowjetische Satellitenstaaten um, lediglich Jugoslawien leistete unter Marschall Josip Tito erfolgreich Widerstand. Österreichischer Staatsvertrag Nach zehnjährigem Ringen um ein Ende der Besatzung in Österreich fanden die entscheidenden Verhandlungen vom 12. bis 15. April 1955 in Moskau statt. Die hochrangig besetzte österreichische Delegation nutzte den von den Westmächten eingeräumten Spielraum aus und ein Staatsvertrag entstand, der am 15. Mai 1955 in Wien feierlich unterzeichnet wurde. Dem sowjetischen Sicherheitsinteresse war Österreich mit der sog. „freiwilligen Neutralität“ entgegengekommen. Chruschtschow Auf dem XX. Parteitag der KPdSU, der im Februar 1956 in Moskau stattfand, rechnete Nikita Chruschtschow in einem Geheimreferat mit Stalin ab und attackierte seinen Personenkult und dessen Herrschaftsmethoden. Es folgte die Entstalinisierung, in der alle Stalinporträts von öffentlichen Plätzen verschwanden und Stalins Leichnam aus dem Leninmausoleum entfernt wurde. 1956 unterdrückte Chruschtschow in Ungarn gewaltsam den Volksaufstand. Breschnew 1960 übernahm Leonid I. Breschnew den Vorsitz im Präsidium des Obersten Sowjets und wurde danach Generalsekretär der Partei. Im Oktober 1964 stürzte er Chruschtschow wegen 13 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Weltbekannt – der Rote Platz in Moskau. „Vertrauen ist keine Einbahnstraße!“ Im Gespräch mit S.E. Herrn Dr. Stanislaw Ossadtschij, Botschafter der Russischen Föderation A ußenSeiten: Russland und Österreich verbindet eine lange gemeinsame Geschichte, 1955 war die Sowjetunion Signatarmacht beim österreichischen Staatsvertrag und „Geburtshelfer“ der Zweiten Republik. Was zeichnet das heutige russischösterreichische Verhältnis aus? des zu langsamen Ausbaus von Landwirtschaft und Industrie und der außenpolitischen Misserfolge in der Kubakrise und der Berlin-Frage. Breschnew kehrte zu einer repressiveren Politik zurück, unterdrückte 1968 den Prager Frühling und inhaftierte Hunderte von Dissidenten in Arbeitslager (GULAG) und Gefängnissen. Im Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um die dortige kommunistische Regierung zu stützen. Perestroika und Glasnost Im November 1982 starb Breschnew und im März 1985 folgte Michail Gorbatschow. Mit Perestroika (Umbau) und Glasnost (Offenheit) reformierte er die Sowjetunion. Im März 1989 fand die erste landesweite Wahl zum Kongress der Volksdeputierten seit 1917 statt, Gorbatschow wurde Präsident und die KPdSU verzichtete auf ihr Führungsmonopol. Es begann eine massive Abrüstung und der Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs führte zur Wiedervereinigung Deutschlands. Russland, die Ukraine und Weißrussland gründeten am 8. Dezember 1991 die Gemeinschaft Un- 14 abhängiger Staaten (GUS), der acht weitere Sowjetrepubliken beitraten. Am 26. Dezember wurde die Sowjetunion aufgelöst. Jelzin wird erster Präsident Die erste freie Präsidentenwahl im Juni 1991 gewann Boris Jelzin, der eine neue Verfassung durchsetzte und die ersten Wahlen für die Staatsduma ermöglichte. 1993 besetzten Abgeordnete und bewaffnete Anhänger das Parlament, das Moskauer Rathaus und einen Fernsehsender, regierungstreue Truppen beendeten den Aufstand. Unter Jelzin gingen die öffentlichen Einnahmen rapide zurück und der Staat konnte keine vollen Löhne, Gehälter und Pensionen auszahlen. Die Inflation beschleunigte sich von 11 % auf 84 %, weite Kreise der Bevölkerung verarmten. Eine Kapitalflucht, der Verfall der Energiepreise auf dem Weltmarkt, ein Währungsverfall und eine mehrmonatige Finanzkrise erreichten im August 1998 ihren Höhepunkt, Russland drohte der Staatsbankrott. Putins Stabilitätskurs Anlässlich der Neujahrsansprache 1999 erklärte Präsident Jelzin überraschend seinen Rücktritt und ließ sein Amt am 1. Januar 2000 kommissarisch auf Ministerpräsident Putin übergehen. Im März 2000 trat Wladimir Putin als zweiter frei gewählter Präsident Russlands sein Amt an. Mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen gelang es Putin Russland zu stabilisieren, die Rechtssicherheit zu stärken, Korruption und Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen und das Wirtschaftsklima maßgeblich zu verbessern. Gute Wirtschaftsdaten führten zu ersten Haushaltsüberschüssen, internationale Schulden wurden abgebaut und die Zentralgewalt gestärkt. Das jetzige russische Führungs-Tandem mit Präsident Dmitrij Medwedjew und Ministerpräsident Wladimir Putin erwartet durch den neuen amerikanischen Präsidenten Obama eine wesentlich verbesserte internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ein Ende der durch die Bush-Administration hervorgerufenen Spannungen, der massiven Osterweiterung der NATO und eine Lösung des Streits um die in Polen und Tschechien geplanten Standorte eines US-Raketenschildes scheinen sicher. AußenSeiten 1 | 2009 Ossadtschij: Russland und Österreich ist es teilweise gelungen, sich von ideologischen Denkmustern zu befreien und eine qualitativ neue Ebene der gegenseitigen Beziehungen zu erreichen. Die gegenwärtigen russisch-österreichischen Beziehungen haben den Charakter einer strategischen Partnerschaft unter Berücksichtigung der eigenen nationalen Interessen. Besonders aktiv gestaltet sich die Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich. In den letzten drei Jahren erhöhte sich das Handelsvolumen zwischen Russland und Österreich um mehr als das Zweieinhalbfache und übersprang die 5-Milliarden-DollarMarke. Die Zusammenarbeit im Energiebereich wird ebenfalls vertieft: laut gültigen Abkommen zwischen „Gazprom“ und dem österreichischen Konzern „OMV“ werden jährlich über den Terminal Baumgarten, auf dessen Basis unter Teilnahme von „Gazprom“ eine „Gasbörse“ geschaffen wurde, etwa 30 Milliarden Kubikmeter russisches Ergas in die westeuropäischen Länder gepumpt. Positiv weiter entwickelt sich auch die zwischenregionale Kooperation, die durch die Arbeitsgruppe für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Regionen der Russischen Föderation mit Österreich gefördert wird. Diese Arbeitsgruppe ist im Rahmen der Gemischten Russisch-Österreichischen Kommission für Handel und AußenSeiten 1 | 2009 wirtschaftliche Zusammenarbeit tätig. Erfreulich ist, dass österreichische Firmen, darunter auch die in Russland bekanntesten wie „Strabag“, „Raiffeisenbank““, „Bank Austria“, „Uniqa“, ihre Aktivitäten auf dem russischen Markt ausweiten und diversifizieren. Jedes Jahr gibt es neue ernsthafte Investitionsprojekte und neue Formen der Zusammenarbeit in wissenschaftsintensiven Hochtechnologiebereichen. Das heißt nicht, dass in unseren Beziehungen alles eitel Sonnenschein wäre. Unsere Positionen sind nicht immer und nicht in allem die gleichen, aber wir achten die Meinung unserer Partner und lösen entstehende Fragen auf einer konstruktiven, gegenseitig annehmbaren Grundlage. Es gibt also zwischen uns keine unlösbaren Widersprüche. „Russland bestimmen die westlichen demokratischen Werte mit einer den Russen eigenen östlichen Mentalität und Toleranz“ AußenSeiten: Der russische Dichter Fjodor Tjutschew hat gesagt „Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen…“ - Wie erklären Sie einem Ausländer Ihr Land? Ossadtschij: Das kann man nur schwer in zwei, drei Worten sagen, denn Russland ist ein sehr spezifisches Land. Allein schon aufgrund seiner einzigartigen geographischen Lage und seiner riesigen Fläche, die auch die Weite der russischen Seele vorherbestimmt. Jedes Land und jedes Volk hat seine eigenen Traditionen und Eigenheiten, aber jedem, der in Russland war, fällt Botschafter Dr. Stanislaw Ossadtschij die Offenheit, die Wärme und die Gastfreundschaft unserer Menschen auf. Eigenschaften, von denen sie sich auch in den allerschwierigsten Zeiten nicht lossagen. Weiter bestimmen die westlichen demokratischen Werte in Verbindung mit einer den Russen eigenen östlichen Mentalität eine große Toleranz, die das friedliche Zusammenleben verschiedener Völker in unserem Land gewährleistet. Russland ist ein multikonfessioneller Vielvölkerstaat, aber alle Bewohnerinnen und Bewohner Russlands vereint der grenzenlose Glaube an ihr Volk und an ihr Land. AußenSeiten: 45 Jahre wurde das Denken in West und Ost durch den „Kalten Krieg“ bestimmt. Wie stark prägen diese Erfahrungen noch heute das Handeln von Politikern, Geheimdiensten, Militärs und den Bürgern? Ossadtschij: Gewisse Leute orientieren sich tatsächlich auch heute noch 15 Länderschwerpunkt an Kategorien und Begriffen aus der Zeit des „Kalten Krieges“. Die Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Europa, das Vordringen der NATO in Richtung Osten, die Strategie der „Zähmung Russlands“ und die Versuche, zwischen Russland und der Europäischen Union einen Keil zu treiben, kommen aus dieser Ecke. Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass diese Schritte nicht unseren gemeinsamen Interessen entsprechen und die Sicherheit nicht stärken, sondern nur zu einer Destabilisierung der Situation in Europa führen. Das vergangene Jahr zeigte, dass wir es mit einer qualitativ neuen geopolitischen Situation zu tun haben. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die Lebensmittelkrise, der internationale Terrorismus, der Suchtgifthandel, das internationale Verbrechen, Armut und Elend, Krankheiten, die Klimaveränderung - alle diese Herausforderungen kann man nicht alleine bewältigen. Wir sind der Meinung, dass die Sicherheit ein unteilbarer Begriff werden muss, der sich nicht nur zum Nachteil von anderen auf einzelne Staatengruppen, sondern auf alle erstreckt. Das bringt uns objektiv zu gemeinsamen Handlungen für die Ausarbeitung von Prinzipien der kollektiven Reaktion auf gemeinsame Bedrohungen, zu einer Entideologisierung der internationalen Beziehungen. Russland ist bereit, seinen Beitrag in dieser Richtung zu leisten, und zwar durch eine breit angelegte Diskussion der Initiative des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew zur Ausarbeitung eines europäischen Sicherheitsvertrags, die auch in Europa Unterstützung findet. AußenSeiten: Seit Michail Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost das Ende der Sowjetunion einleitete und Boris Jelzin die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gründete, eine neue Verfassung durchsetzte und die ersten Wahlen für die Staatsduma ermöglichte, hat Russland enorme Veränderungen erlebt. Hat der Westen die Dimensionen dieser allumfassenden Umwälzungen jemals richtig erfasst und verstanden? 16 Länderschwerpunkt Im Gespräch Botschafter Dr. Ossadtschij und Chefredakteur Godeysen. Ossadtschij: Um eine Antwort auf Ihre Frage zu erhalten, ist es ausreichend, einen Blick in westliche Zeitungen zu werfen, wo man unseren Staat, wie früher noch immer, als totalitär und als Aggressor darstellt, der mit allen Mitteln versucht, das „Pflänzchen der Demokratie“ auszureißen und so etwas wie die UdSSR wiederherstellen will. Ich übertreibe ein wenig, aber die positiven Veränderungen in unserem Land werden in der Regel verschwie- „Russland wurde in den letzten Jahren ein stärkeres, stabileres und vorhersagbareres Land“ gen, während negative Erscheinungen besonders hervorgehoben werden. Dies trägt absolut nicht zur Schaffung eines realen Bildes in der westlichen Öffentlichkeit über die Vorgänge in Russland bei. Sie können mir glauben: das positive Bild über Österreich und Europa, das bei unseren Bürgerinnen und Bürgern dank unserer Massenmedien entstanden ist, kann nicht einmal ansatzweise mit jenen absurden Klischees verglichen werden, die uns hier sehr oft angehängt werden. Dies auch als Anmerkung zur Frage der Pressefreiheit und Demokratie. Insgesamt ist klar ersichtlich: Russland wurde in den letzten Jahren ein stärkeres, stabileres und vorhersagbareres Land, was meiner Ansicht nach besonders auch den Interessen der Europäer und den anderen Länder der Welt entspricht, wenn diese ihrerseits für Beziehungen auf Basis einer gleichberechtigten Partnerschaft unter Berücksichtigung unserer prinzipiellen Positionen bereit sind. AußenSeiten: Das Drängen der BushAdministration auf eine Osterweiterung der NATO und die geplante Stationierung eines Raketenschildes in Polen und Tschechien haben das russische Verhältnis zum Westen schwer belastet. Erhoffen Sie sich vom neuen US-Präsidenten Obama mehr Verständnis für Russlands Interessenlage? Ossadtschij: Wir setzen, so wie viele andere Länder, große Hoffnungen auf ernsthafte Veränderungen in der internationalen Politik der USA, vor allem im Bereich des Abgehens vom monopolaren Blick auf die moderne Welt. Entsprechende Erklärungen Barack Obamas und Hillary Clintons gestatten eine solche Erwartungshaltung. Russland ist auf eine sehr enge Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Administration im gesamten Bereich der bilateralen und internationalen Probleme ausgerichtet. AußenSeiten: Wird der nächste Präsident Russlands wieder Wladimir Putin heißen? Ossadtschij: Die Entscheidung darüber, wer im Jahr 2012 zum Präsidenten Russlands gewählt wird, werden die Bürgerinnen und Bürger Russlands in voller Übereinstimmung mit der russischen Gesetzgebung fällen. Einige Worte noch zum Hintergedan- AußenSeiten 1 | 2009 1961 fand vor diesem Kamin die erste Begegnung zwischen Kennedy und Chruschtschow statt. ken Ihrer Frage. Die russischen Präsidentenwahlen im Jahr 2008 haben gezeigt, dass die getroffene Wahl der Russinnen und Russen durchaus nicht allen im Westen gefällt. Wir mussten uns nicht wenige „Ratschläge“ und Kritiken von uns „Wohlgesinnten“ anhören. Gerade Österreich darf ich an die eigenen Erfahrungen im Zusammenhang mit den politischen Sanktionen im Jahr 2000 erinnern. Ich möchte hierzu sagen: ich glaube, dass man unter Demokratie nicht nur Meinungsfreiheit versteht, sondern auch ein Wahlergebnis anerkennen sollte, das den eigenen Vorstellungen möglicherweise nicht entspricht. AußenSeiten: Der heurige Gas-Lieferstopp zeigt die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas und belastet das Verhältnis zu Russland. Wie kann neues Vertrauen entstehen? Ossadtschij: Russland hat vierzig Jahre lang seine Verlässlichkeit als Energielieferant unter Beweis gestellt, was in Österreich sehr wohl bekannt ist. Sonst gibt es hier nichts einzuwenden. Hat Russland nicht auch das Vertrauen in den Westen verloren? Vertrauen ist keine Einbahnstraße, Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit! AußenSeiten 1 | 2009 Die jetzige Krise war keine Lieferkrise, sondern eine Transitkrise. Dabei haben wir schon lange vor ihrem Beginn die europäischen Partner vor möglichen Schwierigkeiten gewarnt und dazu aufgerufen, sich unserer Arbeit mit Kiew zur Gewährleistung eines störungsfreien Transits anzuschließen. Leider hat man uns erst dann gehört, als das Gas nicht mehr zu den europäischen Konsumenten kam. Natürlich sind Schlussfolgerungen aus der entstandenen Situation zu ziehen, in erster Linie hinsichtlich Verringerung der überaus hohen Transitabhängigkeit. Russland leistet seinen Beitrag zur Diversifizierung der Energielieferrouten durch die Umsetzung der Projekte „North Stream“ und „South Stream“ und sichert dadurch nicht nur mit Worten, sondern mit Taten die Energieversorgung Europas. Was die „Gasabhängigkeit“ betrifft, so ist diese Abhängigkeit, wie auch das Vertrauen, gegenseitig. Europa braucht die Energieträger genau so, wie Russland die Mittel zu deren Erkundung, Abbau und Transport braucht. Gerade darin liegt die Hauptgarantie für unsere weitere gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit. AußenSeiten: Welche Rolle spielt Österreich bei den Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sochi? Ossadtschij: Österreich hat enorme Erfahrung bei der Durchführung von Wettkämpfen im Bereich der Wintersportarten. Deshalb begrüßen wir die umfangreiche Teilnahme von österreichischen Firmen an Projekten zur Errichtung von Sportobjekten der Winterolympiade 2014 und zur Schaffung der entsprechenden Infrastruktur. AußenSeiten: Warum sind Österreich und Wien bei russischen Touristen so beliebt? Ossadtschij: Den Hauptgrund bildet hier die Verbindung des hohen Kulturpotentials Österreichs mit bemerkenswerten wunderschönen Landschaften und einem qualitativen touristischen Service. Erholung in Ihrem Land können sich nicht nur „Oligarchen“, sondern auch gewöhnliche russische Touristen leisten, die auch die Mehrheit der Urlauber stellen. Die Statistik zeigt, dass die Zahl derer, die Österreich besuchen wollen, mit jedem Jahr steigt, wobei viele Touristen mehrmals hierher kommen. Es bleibt nur zu wünschen übrig, dass das österreichische Konsulat alles unternimmt, um den Russinnen und Russen keine außergewöhnlichen bürokratischen Hindernisse beim Visumserhalt in den Weg zu legen und die Reise hierher maximal zu erleichtern. AußenSeiten: Der russische Adler schaut mit einem Kopf nach Westen und mit dem anderen Kopf nach Osten. Wo liegt Russlands Zukunft, in Europa oder in Asien? Ossadtschij: Darauf möchte ich mit den Worten des bekannten russischen Philosophen Nikolaj Berdjajew antworten: „Russland kann sich nicht als Osten bestimmen und sich dadurch dem Westen entgegenstellen. Russland muss sich als Osten und Westen bewusst sein, als Vereiniger zweier Welten und nicht als Trennender.“ Russland ist als Bindeglied zwischen Europa und Asien ein unikaler Staat, der seine Orientierung nicht durch irgendeine Richtung künstlich begrenzen kann und darf. Wir sind ausgerichtet auf die Entwicklung von gleichberechtigten, gegenseitig vorteilhaften Beziehungen mit allen unseren Nachbarn. Die Zukunft Russlands liegt in erster Linie im Land selbst: in der Entwicklung seines gewaltigen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Potentials. AußenSeiten: Herr Botschafter, wir danken Ihnen für dieses engagierte Gespräch. Dr. Stanislaw Ossadtschij, geboren 1951, absolvierte das Moskauer Staatliche Institut für internationale Beziehungen und ist seit 1973 im diplomatischen Dienst, zuerst im Außenministerium, dann als Generalkonsul in Hamburg und Istanbul. Seit August 2004 ist Dr. Ossadtschij Botschafter in Wien. uu 17 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Russland Im Crash-Kurs zum Kapitalismus Von Mag. Gregor Huber Das moderne Moskau, eine pulsierende Metropole. W er Russlands heutige Wirtschaftskraft beurteilen will, braucht nur die letzten 20 Jahre Revue passieren zu lassen. Der Umbruch ist gewaltig - das Mutterland des Kommunismus und der Planwirtschaft übernahm den Turbokapitalismus! Russland dominiert mit seinen Energiereserven den Weltmarkt und strotzt vor Selbstbewusstsein. schüttelt wurde. Die russischen Energiemonopolisten brachten Russland Milliarden Rubel. Im Siegesrausch rollten fünf Tage russische Panzer durch Georgien und niemand konnte sie aufhalten. Nicht nur Russlands Eliten fühlten sich politisch, militärisch und wirtschaftlich überlegen, auch die Bevölkerung nahm die Fernsehberichte gerne auf und empfand Zuversicht und Stärke. Ermöglicht hat dies kein Wirtschaftsboss, sondern ein Geheimdienstler, der noch vor einigen Jahren in der Stadtverwaltung St. Petersburg arbeitete – Wladimir Putin. Sein System mag umstritten sein, in Russland war es erfolgreich. Doch jetzt muss es sich bewähren. Doch dann schlug auch in Russland die Finanzkrise zu. In nur vier Monaten schmolzen die drittgrößten Devisenreserven der Welt um ein Viertel auf 438 Milliarden USD zusammen. Die Wirtschaftsdaten brachen ein, die Industrieproduktion sank, die Realeinkommen schrumpften, Kapital floh ins Ausland und 2009 wird der Haushalt mindestens ein Defizit von gut 50 Milliarden Euro aufweisen. Jetzt muss Wladimir Putin zeigen, dass er wirklich ein star- Noch vor wenigen Monaten schien der russische Bär unbesiegbar, während die sonst so selbstsichere USA von Bankpleiten und Wirtschaftskrisen ge- 18 ker Mann ist, denn sein System ist in Gefahr! Als Präsident stabilisierte Putin nicht nur das Land, sondern gab den Menschen wieder Vertrauen und Zuversicht. Im Ausland demonstrierte er ein neues und selbstbewusstes Land, konzentrierte die Macht auf sich und besetzte Schlüsselpositionen mit Freunden aus dem Geheimdienst. Putin baute Russland um, schuf ein autoritäres System mit einer Mischung aus alten Strukturen und modernem Kapitalismus und förderte Konsum und Privateigentum. Die Eliten unterstützten ihn und wurden mit Öl- und Gaseinnahmen belohnt. Die Bevölkerung erlebte wachsenden Wohlstand, Ordnung und Stabilität und ignorierte die Einschränkungen der unter Jelzin erworbenen Freiheitsrechte. AußenSeiten 1 | 2009 Doch Putins System muss jetzt zeigen, dass es Zukunft hat. Turbulente Zeiten liegen hinter Russland, es braucht Zeit um sich zu festigen, sich wieder zu öffnen und mehr Freiheit zuzulassen. Als Michail Gorbatschow 1987/1988 mit Glasnost und Perestroika die Sowjetunion radikal veränderte, begann auch die erste Stufe der Privatisierung. Die sowjetische Führungselite, die „Nomenklatura“, erkannte schnell, dass die Planwirtschaft zu Ende ging und das westliche Wirtschaftssystem gesiegt hatte. Geistig bewegliche junge Reformer, die aus den KP-Jugendorganisationen kamen, gut ausgebildet waren und über die Partei in der Staatswirtschaft oder im KGB Karriere gemacht hatten, nahmen nun Führungspositionen ein und wurden im Crash-Kurs zu Kapitalisten. Es begann eine gigantische Umverteilung des russischen Reichtums. Viele „Volkseigene“ Konzerne wurden Aktiengesellschaften, das Management sicherte sich die Mehrheitsanteile und fand die ahnungslosen Mitarbeiter mit Anteilsscheinen ab, die eine Volksbeteiligung vorgaukelten, aber wertlos waren. Aus roten Direktoren wurden Kapitalisten, aus Parteigeldern und Betriebskassen wurde Aktienkapital und westliche Berater brachten nicht nur Know How, sondern auch internationales Geld, das nicht selten aus dubiösen Quellen kam. Innerhalb weniger Jahre war der riesige Koloss der sowjetischen Wirtschaft aufgeteilt, die zukunftssicheren Betriebe erhielten wenige Neureiche, die unrentablen Unternehmen rutschten in die Zahlungsunfähigkeit. Von 1991 bis 1999 erfolgte unter Boris Jelzin eine noch radikalere Privatisierungswelle. Jeder Bürger sollte an der verstaatlichten Industrie teilhaben und erhielt sog. Voucher, die handelbar waren. Sofort entstanden Gesellschaften, die von „befreundeten“ staatlichen Banken finanziert wurden, um die Voucher von den kleinen Leuten zu Spottpreisen aufzukaufen, gelegentlich reichte sogar eine Flasche Wodka. Die Aufkäufer sammelten Voucher, tauschten sie in sog. Credit Voucher und erwarben Anteilscheine an der staatlichen Industrie, an Gas und Öl, an Banken, Medien und AußenSeiten 1 | 2009 allem was Geld brachte. Oligarchen wie Abramowitsch, Beresowski, Potanin und andere kauften Voucher mit Geldern aus Gewerkschaft- und Unternehmenskassen, andere nahmen es sich von der Partei oder vom Staat. Mit sicherem Gespür für Machtstrukturen und dem Bewusstsein für die wachsende Bedeutung der Energie, entstanden mächtige Energie-Monopolisten, die Russlands gewaltige Energiereserven unter sich aufteilten, während die Bevölkerung leer ausging. Westliche Wirtschaftstheoretiker nannten dies später den „größten Raubzug des 20. Jahrhunderts“. Es gab auch eine gesetzliche Grundlage für die Privatisierungen, die nicht rechtlos waren. Ein neues Gesetz regelte Ausschreibungen und Verfahren, verhinderte aber weder Insiderwissen, noch Freunderlwirtschaft, Korruption und maßgeschneiderte Ausschreibungskriterien. Während angloamerikanische Stimmen die russischen „Reformen“ als Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus feierten, litt die Bevölkerung. In Russland sprach man von einem „ökonomischen Genozid“, die Staatsduma schloss sich 1999 diesem Urteil sogar an. Unternehmen konnten keine Löhne zahlen und verteilten Naturalien und hergestellte Waren, Aus roten Direktoren wurden Kapitalisten, aus Parteigeldern und Betriebskassen wurde Aktienkapital. die keiner mehr kaufen wollte. Die Staatsschulden wuchsen auf 100 Trillionen Rubel an. Die Schwerindustrie war am Ende, alte Leute verkauften ihre letzten Werte und überall gab es soziale Verelendung. Mit Hilfe der kremltreuen Oligarchen gewann Boris Jelzin 1996 nochmals die Präsidentschaftswahlen und vertrat Russland 1997 erstmalig als bedeutende Industrienation auf dem „G-8“-Gipfel. Bald danach erkrankte er schwer und seine Tochter Tatjana Djatschenko, eine gelernte Programmiererin ballistischer Raketen, „führte“ die Staatsgeschäfte und verteilte das letzte Tafelsilber an enge Freunde. Das Volk litt weiter, die Durchschnittslöhne halbierten sich innerhalb von fünf Jahren und das Durchschnittseinkommen in Moskau lag bei umgerechnet 110 USD, 150 kostete das Überleben. Der Rubel geriet unter Druck, die Regierung benötigte Kredite und im August 1998 erlebte das Land einen faktischen Staatsbankrott, wodurch auch die letzten Privatguthaben ihren Wert verloren. Der BIP sank ins Bodenlose, Investoren blieben aus, Russlands Handel verkümmerte. Es zeigte sich die mangelnde Effizienz des alten Systems, die Produktion von Gütern ohne Markt, eine überbordende Bürokratie, ein überholtes Steuersystem, der Schwarzmarkt und die enge Verflechtung politischer mit wirtschaftlichen Interessen. Übrig blieben 110 russische Milliardäre, sowie über 103.000 Millionäre und ein Volk, das zum zweiten Mal um seinen Gewinn gebracht wurde. Von Otto von Bismarck, der Russland sehr gut kannte, kommt der Spruch: „Russland ist nie so stark, wie es aussieht, aber auch nie so schwach!“ Das moderne heutige Russland gibt ihm Recht. 19 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Gazprom: Gas, der Stoff, aus dem Putins Träume sind gasleitung durch die Ostsee versorgt werden, während für Südosteuropa die Gaspipeline „South Stream“ geplant wird. Die von der OMV favorisierte Pipeline „Nabucco“, sieht Gazprom kritisch, soll doch das Gas hierfür vom Konkurrenten Iran kommen. Das bestehende Fernleitungsnetz von Gazprom ist bereits jetzt schon gewaltig und mit einer Länge von rund 150.000 Kilometern das weltweit größte. In Russland werden über 179 Verteilungsstationen und ein Weiterverteilungsnetz von 428.000 Kilometern Unternehmen und Haushalte in rund 80.000 russischen Städten und Ortschaften beliefert. G azprom ist Russlands kostbarster Konzern mit einer riesigen geopolitischen Bedeutung. Er besitzt fünfmal mehr Rohstoffe als ExxonMobil, wurde zum Weltmarktführer im Erdgasgeschäft, beschäftigt 432.000 Mitarbeiter und seine Steuern decken zehn Prozent des russischen Haushalts. 2007 erwirtschaftete Gazprom einen Reingewinn von 25 Mrd. USD. Aus dem Wort Gasowaja Promyschlennos (Gasindustrie) entstand die Abkürzung Gazprom und aus dem ehemaligen Geschäftsbereich eines sowjetischen Ministeriums entstand 1989 der Staatskonzern. Gazprom wird auch heute noch vom Staat kontrolliert, der eine Beteiligung von 50% hält. Als Staatspräsident förderte Wladimir Putin den Ausbau von Gazprom und bestimmte auch die Wirtschaftspolitik des Konzerns, als Ministerpräsident hält er noch immer die Zügel fest und hat mit dem vormaligen Ministerpräsidenten Viktor Sub- 20 kow einen langjährigen Vertrauten zum Aufsichtsratsvorsitzenden gemacht. Auch der aus einer russlanddeutschen Familie stammende Vorstandschef Alexei Miller, verdankt seinen Posten Putin; beide kennen sich aus der Stadtverwaltung von St. Petersburg. Die Gazprom-Führung will das Unternehmen zum weltweit führenden Energiekonzern machen und hat dafür bedeutende Beteiligungen auch im Ölund Strombereich erworben. Die Aktivitäten sollen sich jedoch nicht auf den Energieexport beschränken, das Ziel ist die komplette Energielieferung bis zum europäischen Endverbraucher. Hierfür sind gewaltige Investitionen erforderlich, denn neue Pipelines müssen für den Hauptabsatzmarkt Europa gebaut werden und für das Jahr 2011 ist die Inbetriebnahme der Gasförderung auf der Halbinsel Jamal in Sibirien geplant. Westeuropa und vor allem Deutschland sollen in Zukunft über eine Erd- Die derzeit fallenden Energiepreise können die ehrgeizigen Ziele jedoch verlangsamen, denn die Einnahmen stocken und die internationalen Banken halten sich zurück; gefährdet sind die Pläne nicht, Regierung und Gazprom haben das gleiche Ziel. Wie Europas Abhängigkeit von russischer Energie wächst, vor allem, wenn auf heimische Ressourcen verzichtet wird, erlebten Europas Bürger in diesen Tagen mit Wut im Bauch, ohnmächtig und oft sogar frierend. Der Gasstreit - Zufall oder Zukunftsszenario? Das Gas strömt wieder und je schneller der Druck in den Gasleitungen stieg, umso mehr nahm der Druck bei Politik und Wirtschaft ab. Doch sollte sich Europa nicht täuschen, dieser Gasstreit geht tiefer und er ist keine einseitige Demonstration russischer oder ukrainischer Stärke, sondern kennt nur Verlierer und zeigt die gegenseitige Abhän- AußenSeiten 1 | 2009 gigkeit in einer ungewissen Zukunft. Am 19. Jänner 2009 unterzeichneten Russland und die Ukraine ein neues Abkommen über Gaslieferungen und den Gastransit in die EU. Der Gaspreis für die Ukraine wird künftig den europäischen Preisen folgen, erhält 2009 aber noch einen Nachlass von 20%, während die von Russland zu zahlenden Transitgebühren unverändert bleiben, weiters soll es keine Zwischenhändler mehr geben. Dabei sollte 2009 ein erneuter Streit verhindert werden, bereits im Oktober trafen sich die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und Wladimir Putin in Moskau, um ein gemeinsames Memorandum zu erarbeiten. Der subventionierte ukrainische Gaspreis sollte binnen drei Jahren auf das Niveau internationaler Vergleichspreise angehoben werden und der undurchsichtige Zwischenhändler RosUkrEnergo endlich aus dem Gasgeschäft gedrängt werden. Doch in der Silvesternacht platzte der Deal, die Unterhändler von Gazprom und Naftogas konnten oder wollten sich über die neuen Lieferbedingungen für 2009 nicht einigen. Putin und Timoschenko hatten noch im Dezember einen Preisanstieg von 179,5 USD auf etwa 250 USD für 1.000 m³ russisches Gas in Aussicht gestellt. Auch wenn die Ukraine zuerst nur 235 USD zahlen wollte, war vom ukrainischen Parlament bereits ein Gaspreis von 250 USD im Haushaltsgesetz für 2009 berücksichtigt worden. Auch die Menge für den ukrainischen Eigenverbrauch mit 50 Milliarden m³ im Jahr war unstrittig. Der Marktpreis für Erdgas, der täglich ermittelt wird, schwankt seit Dezember 2008 um 6 USD je MMBtu(=26,4 m³) und ist an den Erdölpreis gekoppelt. Auf 1.000 m³ umgerechnet, betrug dieser Referenzpreis Ende Dezember 227 USD, während von Oktober bis Dezember durchschnittlich ca. 245 USD gezahlt wurden. Experten gehen bei den langfristig vertraglich abgesicherten russischen Erdgaslieferungen nach Europa für 2009 von Preisen zwischen AußenSeiten 1 | 2009 260 und 300 USD aus, wobei ca. 230 bis 250 USD bei Gazprom verbleiben, weil Transitgebühren von 30 bis 50 USD abzuziehen sind. Somit dürfte ein Gaspreis von 250 USD zwischen der Ukraine und Russland durchaus angemessen sein. Für den Transit seines für Europa bestimmten Exportgases muss Russland der Ukraine Gebühren zahlen. Nach ukrainischen Angaben liegt der gegenwärtige Preis für 1.000 m³ auf 100 Kilometern bei 1,7 USD und entspricht nur etwa der Hälfte der europäischen Vergleichswerte. Russland lehnte jedoch eine Erhöhung ab und verweist auf einen Vertrag von 2006, der den Transitpreis von 1,7 USD bis 2010 festschreibt. Differenzen bestehen auch über angebliche ukrainische Schulden, wobei die Zahlung von 1,5 Milliarden USD für geleistete Gaslieferungen an die RosUkrEnergo zum 30. Dezember bestätigt wurde. Strittig sind jedoch Forderungen der Gazprom von über 600 Millionen USD, die nach russischer Auffassung als Vertragsstrafe für verspätete Zahlungen fällig sind, während Kiew diesen Anspruch verweigert, weil ein mögliches Versäumnis nur durch die einseitige Änderung von Zahlungsmodalitäten durch Gazprom entstanden sei. Bisher hätte das Gas erst bei der Entnahme aus den ukrainischen Zwischenlagern bezahlt werden müssen, während Russland nun plötzlich die Bezahlung bereits bei Grenzübertritt einfordere. Der komplizierteste Streitpunkt war jedoch der Vorwurf, die Ukraine „stehle“ Gas, den Wladimir Putin medienwirksam verbreitete um den Streit emotional aufzuladen. Hierbei handelt es sich um „technisches Gas“, das die ukrainische Naftogas den nach Westen führenden Fernleitungen entnommen hatte, um den Betrieb der Verdichterstationen zu ermöglichen. Auch wenn man in normalen Zeiten nur etwa fünf Millionen m³ pro Tag hierfür benötigt, räumen Experten ein, dass die Entnahme von täglich 21 Millionen m³ realistisch sein könne, weil Gazprom mehrfach unan- gemeldet das Transitgas zwischen sechs Aufnahmepunkten hin und her schob, wodurch das Gas innerhalb der Ukraine mit erhöhtem Aufwand und über Umwege weitergeleitet werden musste. Doch warum ein so aufwendiger Streit, der Europa in Geiselhaft nahm? Vermutlich erhoffte sich Russland endlich eine Beteiligung am ukrainischen Transitweg. An der durch Weißrussland und Polen nach Deutschland verlaufenden Jamal-Leitung ist Russland schon beteiligt, hier erhielt Gazprom für 2,5 Milliarden USD einen 50%igen Anteil und ist auch an der polnischen Leitungsgesellschaft EuRoPol Gas mit 48% beteiligt. Nur die Ukraine verweigert sich noch immer hartnäckig, obwohl 80 % des für die EU bestimmten Gases durch ukrainische Leitungen strömt. Doch für die Ukraine stellen die Leitungsgebühren die wichtigste Einnahme eines maroden Staates dar, dessen einstmals bejubelte Helden der Orangen Revolution sich nur noch gegenseitig bekämpfen. Die Verweigerung einer Gazprom-Beteiligung ist die letzte Klammer, die Präsident Juschtschenko und Julia Timoschenko noch verbindet und der traurige Rest ihrer einstigen Unabhängigkeit. Wer kennt jedoch die Wahrheit in dieser russisch-ukrainischen Intrige um Gas, Macht, Milliarden und dunkle Zwischenhändler? Wer vermag die Grenzen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen zu ziehen und Propaganda von Lüge zu trennen? 21 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Die Konzernzentrale der Lukoil AG in Moskau Lukoil: „Wir wollen der weltweit größte Ölproduzent werden!“ I m November 1991 fasste der Ministerrat der Sowjetunion mehrere kleinere sibirische Betriebe der Erdölförderung- und verarbeitung zum staatlichen Ölkonzern Lukoil zusammen, den er nach den Anfangsbuchstaben von drei Städten benannte, die auf dem damaligen Hauptfördergebiet lagen: Langepas, Urai und Kogalym. 1993 wurde der Konzern in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und ein Jahr später begann die Privatisierung. Heute ist Lukoil der sechstgrößte börsennotierte Ölkonzern der Welt, fördert pro Tag fast zwei Mio. Barrel Öl, verfügt über Rohölreserven von 20,1 Mrd. Barrel und liegt damit weltweit auf Platz zwei nach ExxonMobil und noch vor BP. Den Gewinn konnte der Konzern von 6,443 Milliarden USD im Jahr 2005 und 7,484 Milliarden USD 2006, auf 9,511 Milliarden USD 2007 steigern. Lukoil ist jetzt vollständig privatisiert und gab 2004 die letzte Staatsbeteiligung zurück. In Russland ist der Konzern nicht nur der größte Steuerzahler, sondern seit er 2003 als erstes russisches Unternehmen an die Londoner Börse ging, auch der modernste und „westlichste“ Energiekonzern. Zum Börsegang wurden Tochterunternehmen und Beteiligungen verkauft, um eine klare und transparente Struktur zu schaffen, die Buchführung wurde internationalen Standards angepasst. Die Lukoil Holding in Wien, Top-Adresse im großen Ölgeschäft. 22 Der Lukoil-Konzern, mit rund 150.000 Mitarbeitern gehört mehrheitlich den russischen Managern, wovon der 1950 geborene Präsident Vagit Alekperov allein 13 % hält, der US-Ölkonzern Conoco Phillips besitzt 20%. AußenSeiten 1 | 2009 „Wir wollen der weltweit größte Ölproduzent werden“, erklärte Präsident Alekperov der „New York Times“ und Lukoil ist auf dem besten Wege dorthin. Der Konzern ist vertikal aufgebaut, er fördert das eigene Öl, das dann selbst verarbeitet und in der eigenen Petrochemie veredelt wird. Auch unterhält er ein rasant wachsendes Tankstellennetz und ist zusätzlich auch am russischen Gasgeschäft beteiligt. Die größte Transaktion im sog. Downstream Sektor erfolgte 2008 durch den Zukauf von 49% einer sizilianischen Raffinerie, in die Lukoil 1,3 Milliarden € investierte, so dass neben Rumänien, Bulgarien und der Ukraine nun vier Raffinerien in Europa betrieben werden. Auch die Tanksparte expandiert, 2008 wurden in der Türkei 700 Tankstellen, sowie das kroatische Netz zugekauft. In Tschechien, der Slowakei, Polen, Belgien, Finnland und Ungarn erfolgte 2006 die Übernahme von „Jet“, seit 2003 gehören Serbiens Tankstellen dazu und 2001 wurde die US Firma „Getty Petroleum“ mit 2.000 Tankstellen von der Börse runtergekauft, die nun unter russischer Führung gesundschrumpft. Schon früh waren Tankstellennetze in Bulgarien, Rumänien, der Ukraine, Moldawien und Weißrussland übernommen worden, denen dann Aser- AußenSeiten 1 | 2009 beidschan, Georgien und der Balkan mit Montenegro, Mazedonien und Bosnien folgten. Selbstbewusst zeigen in Westeuropa und den USA immer mehr Tankstellen das Logo von Lukoil, denn die Marke soll weit über Osteuropa hinaus bekannt werden. Besonders in New York und an vielen US-Highways werben umsatzstarke Stationen für die Marke aus Sibirien. Die Verwaltung der ausländischen Beteiligungen im Downstream-Bereich, einschließlich der USA wird weitgehend über die Wiener Holding des Lukoil-Konzerns abgewickelt, die in zwei Stockwerken mit 25 Mitarbeitern in einem denkmalgeschützten und repräsentativen Palais am Schwarzenbergplatz residiert. Hier werden auch Unternehmenskäufe vorbereitet, deren Entscheidungen dann in Moskau fallen. Eine weitere und umfangreichere zweite Holding mit getrenntem Management entsteht derzeit ebenfalls in Wien. Sie soll sich um das nichtrussische Upstream-Geschäft, die Exploration, Förderung und Raffinierung des Rohöls, kümmern. Bereits 1997, als noch ein besonderes Steuerabkommen zwischen Russland und Österreich bestand, baute Lukoil das Wiener Büro auf, mittlerweile wur- den die Steuern den OECD-Standards angepasst, doch durch die Steuerreform ist Österreich ein guter Standort für ausländische Holdings geblieben. Neben der Steuergesetzgebung gelten aber auch die hoch qualifizierten österreichischen Arbeitskräfte als Standortvorteil und die österreichische Kompromissbereitschaft, das diplomatische Vorgehen, sowie die Flexibilität kommen der russischen Mentalität sehr entgegen. Bei den weiblichen Mitarbeitern entpuppen sich jedoch viele Österreicherinnen als geborene Russinnen, die durch Heirat einen österreichischen Pass erworben haben und nun durch ihre perfekte Zweisprachigkeit und hohe Motivation in russischen Unternehmen stark gefragt sind. Österreichische Führungskräfte müssen allerdings schnell umlernen, wenn sie bei Lukoil oder anderen russischen Unternehmen anfangen, denn Vorschläge und Ideen haben es schwer, wenn sie „von unten“ kommen. Doch dafür werden Entscheidungen „von oben“ sehr schnell umgesetzt und weder zerredet, noch aufgeschoben, wie dies in westlich orientierten Unternehmen öfter der Fall ist. Wer sich jedoch das Vertrauen eines russischen Vorgesetzten erworben hat, wird mit großer Herzlichkeit, Fürsorge und Verständnis belohnt. Ob Lukoil seine aggressive Expansionspolitik 2009 weiter fortsetzen kann, hängt von der Kreditpolitik der Banken ab, die in der aktuellen Finanzkrise weder sich, noch ihren Kunden trauen. Zurzeit muss Lukoil nicht nur den rapide gesunkenen Ölpreis verkraften, sondern auch das russische Steuersystem, das mit dreimonatiger Verspätung wirkt und deshalb sich an den hohen Gewinnen orientiert, die Lukoil bis vor kurzem noch erwirtschaftete. Sollten die großen Topbanken der Welt zögern, wird Präsident Vagit Alekperov sein Ziel etwas verschieben müssen, doch daran, dass Lukoil bald der „weltweit größte Ölproduzent“ wird, zweifelt in Wien niemand. 23 Länderschwerpunkt Länderschwerpunkt Russland Wussten Sie, dass ... … der ostsibirische Baikalsee einer Tiefe von 1.620 m der tiefste See der Erde ist? Der weltgrößte Süßwasserspeicher hat eine Fläche von 31.500 Quadratkilometern. … Russland das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt ist? … in Russland das Eisenbahnnetz 87.000 Km lang ist? Davon sind 40.000 Km elektrifiziert, zusätzl. gibt es 30.000 Km nicht öffentl. Industriebahnen. Die russ. Spurweite beträgt 1.524 mm. Berühmt ist die Transsibirische Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok. … der höchste Punkt Russlands mit 5.642 m der Elbrus im Kaukasus ist? … Russland das einzige Land ist, das sich auf zwei Erdteilen - Europa und Asien -befindet? weise an einer Übernahme oder Beteiligung der österreichischen OMV interessiert ist? … im Jänner 1990 in Moskau die erste russische Filiale von McDonalds entstand und am Eröffnungstag 30.000 Gäste kamen? … man in Russland „keine Eulen nach Athen trägt“, sondern „mit dem eigenen Samowar nach Tula fährt“? (In Tula entstehen die meisten Samoware). … 120.000 Flüsse mit einer Gesamtlänge von 3 Mio. km durch Russland fließen und etwa 2 Mio. Süßwasser- und Salzseen existieren? … Russland mit 17.075.400 Quadratkilometern das größte Land der Welt ist, dem erst mit erheblichem Abstand Kanada, China, die USA, Brasilien und Australien folgen? … in russischer Gesellschaft stets vor dem Genuss von Alkohol ein Trinkspruch ausgebracht wird, denn „Trinken ohne Trinkspruch ist Trunksucht“? … die San Francisco State University untersucht, warum Russen in der Öffentlichkeit selten lächeln? Der Psychologe David Matsumoto erklärt die ernsten russischen Mienen damit, dass kollektive Gesellschaften ihre Gefühle verbergen. Aber auch die Moskauer U-Bahn fordert in Plakaten zum Lächeln auf, es sei „eine preiswerte Art, sein Aussehen zu verbessern!“ … das erste Gipfeltreffen der USA und der UDSSR im Kalten Krieg im Juni 1961 in Wien stattfand? Die persönliche Begegnung zwischen dem noch jungen Kennedy und dem erfahrenen Chruschtschow in der russischen Botschaft führte in der Sowjetunion zu einer Fehleinschätzung der USA und 1962 zur Kuba-Krise, die beinahe einen Krieg der Supermächte ausgelöst hätte. … die russische LUKOIL möglicher- 24 Die Bezeichnung Russland gilt für das Zarenreich, das bis zur Oktoberrevolution 1917 bestand. Danach schufen die Bolschewiki die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) und 1922 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). Die 1990 gegründete Russische Föderation heißt nun wieder Russland. … die 3.690 km lange Wolga die wichtigste Binnenwasserstraße Russlands ist? Russland auf einen Blick Staatsform: Föderative Republik Staatsoberhaupt: Präsident Dmitrij Medwedew Regierungschef: Ministerpräsident Wladimir Putin … die amtierende Miss World aus Sibirien kommt, Xenia Suchinowa heißt und sich im Dezember 2008 im südafrikanischen Johannesburg mit strahlendem Lächeln und großem Selbstbewusstsein gegen 108 Konkurrentinnen durchsetzte? … Russlands Territorium aus 45 % Wald, 4 % Gewässern, 19 % Rentierweiden, 13 % landwirtschaftlich genutzter Fläche und 19 % sonstiger Ländereien einschl. der bebauten Flächen besteht? … die Lena mit 4.400 km der längste Fluss Russland ist? uu Russland Fläche: 17.075.400 km². Ausdehnung von Nord nach Süd 2.500 bis 4.000 km, von West nach Ost 9.000 km. uu Matrjoschka Matrjoschka sind aus Holz gefertigte und bunt bemalte, ineinander schachtelbare, eiförmige russische Puppen mit Talisman-Charakter. Sie werden meist aus Lindenholz geschnitzt und erfreuen sich sowohl als Spielzeug wie auch als Souvenir großer Beliebtheit. Die Puppen kommen ursprünglich aus Japan und wurden Ende des 19. Jahrhunderts nach Russland eingeführt. 1890 fertigten dann Wassili Swjosdotschkin und Sergei Maljutin die erste Matrjoschka, die im roten Sarafan eine typische Bäuerin darstellen sollte. Der Name „Matrjoschka“ kommt eigentlich vom russischen weiblichen Namen „Matrjona“ (lat. Matrone). Neben den Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit darstellenden weiblichen gab es auch Kriegstüchtigkeit und Stärke symbolisierende männliche Varianten. Bei der Herstellung der hauptsächlich weiblichen Figuren beginnt man mit der kleinsten Puppe, der jeweils die nächstgrößere angepasst wird. Die eigentliche Kunst aber ist die Bemalung. Je hochwertiger ein Satz Matrjoschkas ist, desto weniger unterscheiden sich die großen von den kleinen Puppen. Seit 1990 gibt es auch satirische Matrjoschkas, dann stellt die kleinste Figur z.B. Lenin und die größte Jelzin oder Putin dar. AußenSeiten 1 | 2009 Einwohnerzahl: 142,5 Millionen. 73% leben in Städten und 27% auf dem Land. Ethnische Zusammensetzung: Über 160 Nationalitäten, davon Russen (82%), Tataren (3,8%), Ukrainer (3%), Weißrussen (1,2%). Kleinere Völker sind Tschetschenen, Baschkiren und Armenier, sowie Mari, Karelen, Mordwinen, Chanty, Mansen, Udmurten, Tschuwaschen und andere. Hauptstadt: Moskau, mit 10,4 Millionen Einwohnern. Andere Millionenstädte sind: Sankt Petersburg (4,7 Mio.), Nowosibirsk (1,43 Mio), Nischni Nowgorod (1,36 Mio.), Jekaterinburg (1,27 Mio.), Samara (1,17 Mio.). Auch Omsk, Tscheljabinsk, Kasan, Perm, Ufa, Rostow am Don und Wolgograd haben über eine Million Einwohner. Regionale Aufteilung: Russland besteht aus 21 Teilrepubliken, die nach einer Reform seit dem 1. Jänner 2005 in 7 Regionen, 48 Gebiete und 9 Autonome Bezirke aufgeteilt sind. Sprache: Russisch ist die einzig landesweit gültige Amtssprache, in den autonomen Republiken gelten parallel Volkssprachen. Schriftsprache ist Russisch in kyrillischer Form. AußenSeiten 1 | 2009 Religion: Überwiegend Christlich-orthodox, andere Christen, sowie Islam, Judaismus und Buddhismus in Tuwa, Burjatien und Kalmykien. Zeitzone: MEZ +1 bis +11 Stunden. Klima: Das Klima reicht vom arktischen Gürtel des Nördl. Eismeeres bis zum subtropischen Gürtel in Kaukasien. In Moskau beträgt die Durchschnittstemperatur im Jänner -10,2° C und im +18,1° C. Währung: 1 Rubel = 100 Kopeken. Akzeptiert werden in Metropolen auch der USD und zunehmend der EURO. E-Mail: moskau-ob(at)bmeia.gv.at http://www.bmeia.gv.at Unter der gleichen Anschrift auch: Außenhandelsstelle/Handelsabteilung Moskau-Büro der Österreich Werbung, Österreichisches Kulturforum Moskau WKO – Außenhandelsstelle Moskau 119 034 Moskau, Starokonjuschennij per. 1 Tel: +7(495) 725 63 66 Fax: +7(495) 725 63 67 http://advantageaustria.org/ru Marketingbüros in: Jekaterinburg, Sochi, St. Petersburg Gesetzliche Feiertage: 1.-5. Jänner - Neujahr 7. Jänner - Russisch-Orthodoxes Weihnachtsfest 23. Februar - Tag des Verteidigers des Vaterlandes 1. Mai - Tag des Frühlings und der Arbeit 9. Mai - Tag des Sieges (9. Mai 1945) 12. Juni - Tag Russlands Nationalfeiertag 4. November – Tag der Einheit des Volkes (Der 7. November - Tag der Oktoberrevolution - wurde abgeschafft) Kontakte in Wien: Botschaft der Russischen Föderation 1030 Wien, Reisnerstraße 45-47 Tel: +43-1-712 12 29 Tel: +43-1-713 86 22 Fax: + 43-1-712 33 88 E-Mail: [email protected] http://www.rusemb.at Internationale Telefonvorwahl: 007 Notruf: 01 Feuerwehr, 02 Polizei, 03 Ambulanz Weitere Informationen: http://www.gov.ru (russisch, engl.) http://www.wieninternational.at Wirtschaftskammer Österreich AWO-Südosteuropa 1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63 Tel: +43-5-90 900-4407 Fax: +43-5-90 900-256 E-Mail: [email protected] http://www.wko.at/awo Kontakte in Moskau: Österreichische Botschaft Moskau 119 034 Moskau, Starokonjuschennij per. 1 Tel: +7(495) 780 60 66 Fax: +7(495) 937 42 69 Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG) 1010 Wien, Wallnerstraße 3/5/28a Tel: +43-1-533 5947 Fax: +43-1-533 59 47-4 E-Mail: offi[email protected] Handelsabteilung der Botschaft 1040 Wien, Argentinierstraße 25-27 Tel: +43-1-505 44 58 Fax: + 43-1-505 81 98 E-Mail: [email protected] 25 Wirtschaft Wirtschaft „Die systemrelevanten russischen Banken sind sicher!“ Die enge Verflechtung der österreichischen Wirtschaft mit Russland und die aktuelle Banken- und Wirtschaftskrise waren uns Anlass für ein Gespräch mit dem österreichischen Generaldirektor der russischen VTB-Bank in Wien, Herrn Dr. Richard Vornberg. A ußenSeiten: Was unterscheidet die VTB von anderen Banken? Vornberg: Die VTB unterscheidet sich primär dadurch, dass sie die einzige russische Bank in Österreich ist. Unser 100%iger Allein-Aktionär ist die VTB-Bank Moskau, die aus der früheren Außenhandelsbank der Sowjetunion hervorgegangen ist. Noch als Tochter dieser Bank in Österreich gegründet, sind wir heute natürlich eine komplett im marktwirtschaftlichen System verankerte Auslandsbank, die sich jedoch fast ausschließlich mit der Finanzierung von russischen und anderen Unternehmen aus der GUS-Region beschäftigt. Finanzierungen für österreichische Unternehmen spielen eine sehr geringe Rolle. Das liegt daran, dass trotz der starken russischen Wirtschaftsdaten eine russische Bank sich noch immer etwas teurer refinanzieren muss. Damit sind wir gegenüber österreichischen Banken nicht voll konkurrenzfähig und konzentrieren uns auf die Finanzierung von Exporten russischer, weißrussischer, ukrainischer und kasachischer Unternehmen. AußenSeiten: Wie fühlt man sich als Österreicher und als Generaldirektor in einem russischen Unternehmen? Gibt es dort eine erheblich andere Unternehmenskultur? Vornberg: Ich bin jetzt seit fast acht Jahren in dieser Bank tätig, knappe 26 Dr. Richard Vornberg drei Jahre als Generaldirektor, davor im Vorstand. Da ich meine Banklaufbahn bei einer amerikanischen Bank begonnen habe, war der Eintritt in ein „Weil die Banken untereinander noch nicht Vertrauen gefasst haben, gibt es eine Knappheit an liquiden Mitteln“ russisch dominiertes Unternehmen im Jahr 2001 zunächst einmal fast ein Kulturschock. Doch wie bei jedem Wechsel bringt man Gutes mit und lernt schnell das vorhandene Gute zu respektieren. Seit der zweiten russischen Krise von 1998, hat die Anpassungsgeschwindigkeit an den Westen im russischen Wirtschafts- und Bankensystem enorm zugenommen und wurde noch zusätzlich beschleunigt durch die auch im internationalen Bankenwesen stark gestiegenen Anforderungen der neuen Kontroll- und Berichtsmechanismen. Hier konnte ich meine Erfahrungen gut einbringen und heute erfüllen wir alle Kriterien von Basel II. Ende des Jahres 2007 erfolgte die Schaffung eines westeuropäischen VTB Teilkonzerns. Das bedeutet, dass ich mit VTB hier in Wien einer westlichen Bankengruppe vor stehe, die Muttergesellschaft der VTB Deutschland und der VTB Frankreich ist. Zusammen bringen wir konsolidiert immerhin eine Bilanzsumme von vier Milliarden EURO auf die Waage und besitzen Eigenmittel in Höhe von ca. 700 Millionen Euro. AußenSeiten: Wir erleben jetzt gerade eine Bankenkrise, aus der eine Wirtschaftskrise geworden ist. Wie beurteilen Sie die Stabilität der russischen Banken? Vornberg: Russland hat sich inzwischen zu dem Land mit den drittgrößten Fremdwährungsreserven der Welt entwickelt, dennoch ist auch Russland, wie alle anderen Staaten, von dieser Krise erheblich betroffen. Auch im russischen Bankenbereich gab es eine beträchtliche Liquiditätsenge, die jedoch durch die Stärke der russischen Zentralbank sehr professionell und wirksam gemanagt wurde. Die Zentralbank hat, als die Krise begann, massiv Liquidität in den Markt gepumpt und so auch unserer Bankengruppe zugeführt. Ich bin sehr zuver- AußenSeiten 1 | 2009 sichtlich, dass alle systemrelevanten russischen Banken sicher sind, denn die Zentralbank ist entschlossen und stark genug, ihre beträchtlichen Mittel zur Stabilisierung einzusetzen. Probleme bei kleineren Banken werden üblicherweise durch Übernahme seitens größerer Banken gelöst. es spektakuläre Fälle gegeben, wo erworbene Unternehmensbeteiligungen abgetreten werden mussten, weil man sich übernommen hatte. AußenSeiten: Nun haben viele russische Konzerne enorm expandiert und dieses Wachstum mit Krediten finanziert. Wie im Westen gibt es eine Vielzahl von gesunden Unternehmen, die durch die Kreditklemme nicht mehr zu den alten Konditionen Geld erhalten. Wie ergeht es den russischen Konzernen, die im Ausland weiter wachsen wollen? Vornberg: Vorrangig agiert hier die Zentralbank, die sich eng mit der höchsten politischen Ebene abstimmt, denn die Stabilisierung des Bankensystems ist auch in Russland Regierungspolitik mit hoher Priorität. Zusätzlich will Russland offenbar auch den zu erwartenden Konsumeinbruch abfangen und plant ebenfalls große Infrastrukturprogramme. Allerdings schmunzeln meine russischen Kollegen, wenn sie hören, dass demnächst alle Straßen in Russland gut sein sollen, denn in diesem riesigen Land wird ein auf europäischem Niveau komplett ausgebautes Straßennetz nicht kurzfristig möglich sein. Aber der russische Staat will massiv in seine Infrastruktur investieren. Erschwert wird die Finanzierung dieser Programme sicherlich durch den Einbruch der Energie- und Rohstoffpreise, obwohl Russland in den letzten boomenden Jahren, im Vergleich zu anderen Ländern, sehr hohe Reserven angelegt hat. „Russen haben sich in Wien immer recht wohl gefühlt, denn die Stadt hat zur slawischen Welt einen starken Zugang“ Vornberg: Da unterscheidet sich Russland nicht vom Rest der Welt. Weil die Banken untereinander noch nicht ausreichend Vertrauen gefasst haben, gibt es eben auch dort eine Knappheit an liquiden Mitteln. Es wird immer noch sehr viel Liquidität bei den Zentralbanken – wie auch bei der EZB - gehortet, und diese gefährliche Entwicklung lässt auch den Fluss an neuen Krediten ins Stocken geraten. Bis zu jenem Tag, wo dieser Vertrauensschwund behoben ist, bleibt die Lage angespannt. Sie haben nach russischen Konzernen gefragt, die sich stark im Ausland engagiert haben. Auch in Österreich hat AußenSeiten 1 | 2009 AußenSeiten: Wie verhält sich der russische Staat, der ja auch an vielen Konzernen beteiligt ist, in dieser Krise? AußenSeiten: Wie würden Sie das russisch-österreichische Verhältnis bezeichnen? Vornberg: Das Verhältnis zwischen Russen und Österreichern ist ziemlich gut, bei den älteren Leuten gibt es auf beiden Seiten natürlich noch negative Erinnerungen. Meine russischen Freunde weisen mich oft darauf hin, dass es historisch gesehen, fast immer eine von Respekt und auch einer gewissen Freundschaft getragene Beziehung gab. Russen haben sich in Wien im Allgemeinen immer recht wohl gefühlt, denn letztlich hat die Stadt zur slawischen Welt immer einen starken Zugang gehabt. Russen sind sehr gemütvolle Menschen und im persönlichen Umgang gibt es hier zwischen Wienern und Russen wohl eine gewisse Seelenverwandtschaft, die bei Deutschen oder Skandinaviern möglicherweise nicht so ausgeprägt ist. Im dienstlichen Umgang und auch im Management gibt es einen durchaus hierarchischen Führungsstil. Andererseits spielt persönliches Vertrauen eine große Rolle und wenn Vertrauen einmal etabliert ist, empfinde ich den Umgang miteinander als sehr gut und positiv. Ich vermute, dass es bei den nationalen Eigenschaften der Österreicher und Russen gewisse kulturelle Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen gibt. Dr. Richard Vornberg, 1946 in Spittal/Drau geboren, studierte Rechtswissenschaften in Wien, und begann seine Bankkariere bei der First National City Bank (nunmehr Citibank) in Johannesburg-Südafrika. Nach mehrjähriger Tätigkeit in leitender Funktion bei der amerikanischen Citibank, Erste Bank und der holländischen ABN AMRO Bank, wurde Dr. Vornberg 2001 in den Vorstand der russischen VTB-Bank in Wien berufen. Seit 2006 leitet Dr. Vornberg die Bank als Generaldirektor. uu 27 Wirtschaft News aus Brüssel 10 Jahre EURO I m Knall der Sylvesterraketen und angesichts der aktuellen Finanzkrise ging ein wichtiges Jubiläum beinahe unter - der EURO wurde 10 Jahre alt! Am 1. Jänner 1999 war der Euro als gemeinsame Währung zunächst als Buchgeld gestartet, am 1. Jänner 2002 löste er dann mit Bargeld die nationalen Währungen ab und hat Europa, die globale Finanzwelt und unser tägliches Leben nachhaltig verändert. Seine Einführung wurde mit heftigen Diskussionen begleitet. Während sich die Deutschen nur schwer von ihrer D-Mark trennten und Österreich dem Schilling noch lange nachtrauerte, waren die Italiener überglücklich, als sie endlich ihre ungeliebte Lira gegen den EURO eintauschen konnten. Dem neuen europäischen Zahlungsmittel waren intensive Vorbereitungen vorausgegangen. Bereits 1991 wurde im Vertrag von Maastricht eine gemeinsame einheitliche Währung vereinbart, der Name „EURO“ und das Symbol „€“ wurden dann vom Europäischen Rat im Dezember 1995 in Madrid beschlossen. Die Auswahl der Banknotenmotive erfolgte durch die Staats- und Regierungschefs im Dezember 1996 in Dublin, die der Münzen im Sommer 1997. Die für alle Teilnehmerländer einheitlich gestalteten Eurobanknoten waren vom Öster- 28 Wirtschaft reicher Robert Kalina entworfen worden und sollten bewusst auf nationale Merkmale und Symbole verzichten. Damit sich kein Eurostaat benachteiligt fühlt, wurden auch keine existierenden Bauten, sondern nur symbolhafte Darstellungen verwendet. europäische Kunstwährung ECU, an der sich 13 EU-Länder beteiligt hatten, wurde 1:1 in den Euro übernommen. Damit waren die Umtauschkurse zum EURO und der verschiedenen nationalen Währungen untereinander festgelegt. Bei einem EU-Gipfel am 3. Mai 1998 in Brüssel legten die Staats- und Regierungschefs der beteiligten Länder aufgrund der wirtschaftlichen Daten von 1997 fest, welche Länder an der Einführung des EURO teilnehmen sollten. Es waren Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Nun mussten diese Staaten strenge Konvergenzkriterien erfüllen, die ihre Zum 1. Jänner 2001 nahm Griechenland, als zwölftes Mitglied den EURO an. Heute umfasst der Euro-Raum durch den Beitritt der Slowakei 16 Länder mit rund 329 Millionen Einwohnern und aufgrund von Sondervereinbarungen sogar die Kleinstaaten Monaco, San Marino und den Vatikan, obwohl sie nicht Mitglied der EU sind. Der EURO ist weltweit die einzige Währung ohne Staat und ohne Regierung! Preisstabilität, die Neuverschuldung, die Wechselkurse und die Zinsen betrafen. Da diese Kriterien nur durch rigorose Sparmaßnahmen erfüllt werden konnten, waren sie in einigen Ländern innenpolitisch heftig umstritten. Ein Hauptproblem für die meisten Staaten, vor allem aber für Italien und Belgien, war die Begrenzung der Neuverschuldung. Um die Einführung des EURO zu erleichtern, senkten die elf EU-Notenbanken vier Wochen vor dem Start der neuen Währung den Leitzinssatz auf 3 %. Am 31. Dezember 1998 setzten dann um Mitternacht die EU-Finanzminister in Brüssel den endgültigen Umtauschkurs fest. 1 EURO entsprach 13,7603 Österreichischen Schilling oder 1,95583 DM und die bisherige Der EURO ist weltweit die einzige Währung ohne Staat und ohne Regierung. Die unabhängige Europäische Zentralbank (EZB) überwacht gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken des Euro-Raums die Einhaltung eines Stabilitäts- und Wachstumspaktes von derzeit 16 Staaten, die sich in einer Währungsunion vereinigt haben. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet betonte zum zehnjährigen Jubiläum des EURO, dass sich die einheitliche Währung als „Vertrauens- und Stabilitätsanker“ erwiesen habe. Der EURO sei ein weltweit anerkannter Erfolg, sichert eine hohe Preisstabilität und meisterte souverän alle Herausforderungen und Schocks, wie die AsienKrise, das Platzen der Internetblase, die Ölpreis- und Rohstoffpreisschocks. Trichet erinnerte an die europäischen Währungsturbulenzen der Jahre 1992 und 1993 und machte deutlich, welche Folgen die derzeitige Krise für die Zinsen und Wechselkurse gehabt hätte, wenn es den EURO nicht geben würde. AußenSeiten 1 | 2009 Österreich und die EU D ie Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) befragte im November 2008 die Österreicherinnen und Österreicher nach ihrer Einstellung zur Mitgliedschaft in der EU, zum EURO und zur Finanzkrise. Aus der österreichweiten Telefonumfrage, die von der Wiener Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) durchgeführt wurde, veröffentlichen wir einige Ergebnisse. Über www. euro-info.net erhalten Sie die vollständige Umfrage mit ausführlichen Grafiken. Sollte Österreich Ihrer Meinung nach Mitglied der Europäischen Union bleiben oder wieder austreten? Bleiben Austreten Weiß nicht / Keine Angabe 78 % 16 % 6% Vor dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise hat sich die Zustimmung zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union stark verbessert. 78 % der Befragten sind der Ansicht, dass unser Land EU-Mitglied bleiben sollte. Die jüngsten Befragten (unter 25 Jahre) und Befragte mit Hochschulabschluss befürworten die österreichische EU-Mitgliedschaft am stärksten. Männer treten eher für die EU-Mitgliedschaft ein als Frauen. Momentan steht die weltweite Finanz- und Bankenkrise im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Kann Österreich alleine die Folgen dieser weltweiten Wirtschaftskrise abfangen oder brauchen wir dazu die Europäische Union? AußenSeiten 1 | 2009 Österreich kann das alleine Wir brauchen dazu die Europäische Union Niemand ist dazu in der Lage Weiß nicht / Keine Angabe 15 % 67 % 9% 9% Rund zwei Drittel (67 %) sind der Ansicht, dass nur mit Hilfe der Europäischen Union die Folgen der weltweiten Finanz- und Bankenkrise bewältigt werden können. Dass Österreich dazu alleine in der Lage wäre, nehmen nur 15 % der Befragten an. Mit höherem schulischen Ausbildungsgrad wird die Rolle der EU zur Bewältigung der Folgen der Finanzkrise deutlich positiver betrachtet wird. So meinen 81 % der Hochschulabsolventen, dass die Hilfe der Europäischen Union in dieser Frage vonnöten sei, dieser Meinung schließen sich jedoch nur 52 % der Befragten mit Pflichtschulabschluss an. Was sagen Sie zu folgender Aussage? „Kleine Länder, die NICHT den Euro als Währung haben, wie zum Beispiel Ungarn, leiden viel stärker unter einem Vertrauensverlust als die Euro-Länder.“ Stimme voll zu Stimme eher zu Stimme eher nicht zu Stimme gar nicht zu Weiß nicht / Keine Angabe 30 % 27 % 16 % 13 % 14 % Der gemeinsamen europäischen Währung EURO wird angesichts der weltweiten Finanz- und Bankenkrise ein starkes Vertrauen entgegengebracht. Insgesamt 57 % der Befragten meinen, dass kleinere Länder, die nicht den EURO als Währung haben, unter einem größeren Vertrauensverlust lei- den. Vor allem ältere Befragte (ab 51 Jahre) stimmen dieser Aussage voll bzw. eher (zu rund zwei Drittel) zu. In einem fast ebenso hohen Ausmaß teilen Universitätsabsolventen diese Meinung. Finden Sie es richtig, dass europaweit, aber auch in Österreich, Banken vor Zusammenbrüchen von der öffentlichen Hand abgesichert werden? Finde ich richtig Finde ich nicht richtig Weiß nicht / Keine Angabe 57 % 28 % 14 % Eine Mehrheit (57 %) hält es für richtig, dass die öffentliche Hand zur Rettung von Banken eingreift. Stimmen Sie folgender Behauptung eher zu oder eher nicht zu? „Seit es die Krise der Finanz- und Realwirtschaft gibt, erkennen die Österreicher, wie wichtig die EU für uns ist.“ Stimme voll zu Stimme eher zu Stimme eher nicht zu Stimme gar nicht zu Weiß nicht / Keine Angabe 20 % 25 % 20 % 26 % 9% 45 % stimmen der Behauptung zu, dass die Österreicherinnen und Österreicher angesichts der Finanzkrise erkennen, wie wichtig die Europäische Union für uns ist. Ein ungefähr gleich hoher Prozentsatz (46 %) meint, dass die Bedeutung der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Finanzkrise nicht erkannt wird. (Quelle: Tel SWS 182, November 2008, N = 1016.) 29 Wirtschaft Wirtschaft Bankenskandal: „Es ist alles eine große Lüge!“ Von Hubertus Godeysen nach Mailand, später in die Schweiz, dann zog es sie nach New York und an die Wall Street. In den 1980ern begegnete sie im orthodox- jüdischen New Yorker Vorort Monsey einem Mann, der ihr Leben veränderte, Bernard Madoff. Auch er träumte vom großen Geld, war ebenso ehrgeizig und hatte ebenfalls einen recht bescheidenen familiären Hintergrund. Madoff verdiente sein erstes Kapital als Rettungsschwimmer an den Stränden von Long Island. 1960 gründete er dann die Bernard Madoff Investment Securities LLC, trat als Börsenmakler auf und betrieb daneben auch eine Vermögensverwaltung für wohlhabende Privatkunden, Hedge-Fonds und institutionelle Anleger. Der jetzt 70 Jahre alte Madoff wurde an der Wall Street und in der New Yorker Finanzaristokratie zur Legende, gehörte zu den bedeutendsten Maklern an der elektronischen Börse Nasdaq, war lange deren Verwaltungsratsvorsitzender und beschäftigte Hunderte von Wertpapierhändlern. Die US Börse – wie lange wird sie noch Halbmast flaggen? N un hat auch Wien seinen Bankenskandal mit allem was dazugehört: Großen Namen, Wall Street, verzockten Milliarden, falschem Ehrgeiz und einem Riesenbluff. Dabei hatten hiesige Großanleger noch mit einer gewissen Schadenfreude nach New York geschaut und sich im heimischen Wien sicher gewähnt. Damals wussten sie noch nicht, dass auch sie zu den Verlierern zählen wür- 30 den und ihr Geld einer von Sonja Kohn geführten Wiener Außenstelle eines gigantischen Finanzbetrügers anvertraut hatten. Die heute 60jährige Kohn wuchs in Wien auf, ihre jüdische Familie war aus Osteuropa geflohen und lebte in dürftigen Verhältnissen. Fasziniert von der Welt des Geldes heiratete sie einen Banker und übersiedelte in den 70er Jahren Als Großanleger jetzt ihre Gelder zurückforderten, gestand er mit den Worten „Es ist alles eine große Lüge“ seinen Söhnen, dass er mehr als 50 Milliarden Dollar veruntreut habe. Die Staatsanwaltschaft unterstellt „einen atemberaubenden Betrug, der von epischen Ausmaßen zu sein scheint“ und geht von einem Schneeballsystem aus, bei dem Madoff Verluste vertuscht und die Renditen für Kunden seiner Vermögensverwaltung mit dem Geld neu angeworbenen Investoren bezahlt habe. Mit besten Kontakten und dem Nimbus einer erfolgreichen New Yorker Fondsmanagerin war Sonja Kohn nach Wien zurückgekehrt, mietete gegenüber der Oper ein Büro und eröffnete 1994 die AußenSeiten 1 | 2009 „Medici Finanzservice GmbH“, nachdem sie festgestellt hatte, dass der wohlklingende Name der ehemaligen Florentiner Finanzdynastie ungeschützt war. Ein erfundenes Wappen aus zwei Löwen, einer Krone und dem Schriftzug „Medici“ vervollständigte die Grundausstattung ihrer Privatbank. Den Rest besorgte ihr selbstbewusstes Auftreten, eine gepflegte Erscheinung, die mit Understatement gepaarte Rolle des feudalen Geldadels, ihr echter Schmuck und die unechte Perücke. In Wiens Finanzwelt brachte sie den Glamour der Wall Street, Privatanleger aus der besten Gesellschaft und große institutionelle Anleger vertrauten Sonja Kohn ihr Geld an und dank Bernard Madoffs Schneeballsystem trug es auch reiche Früchte. Sie brillierte mit finanztechnischem Wissen, ihren internationalen Kontakten und beriet von 1996 bis 2000 Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner, der später zusammen mit dem ehemaligen Finanzminister Ferdinand Lacina im Aufsichtsrat ihrer Bank sitzen sollte, um die Aktivitäten von 15 Mitarbeitern zu überwachen. Im Auftrag des damaligen Wiener Börsenvorstandes Stephan Zapotocky vermittelte Kohn für die Wiener Börse in Schanghai, in Russland wurde sie als österreichische Regierungsvertreterin empfangen und 1999 erhielt sie das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Um an Kohns exquisite Kundschaft zu kommen, erfolgte über den damaligen Generaldirektor der Bank Austria, Gerhard Randa, eine 25%ige Beteiligung an der Kleinstbank „Medici“ und 2006 fädelte sie den Verkauf der angeschlagenen BAWAG an den Investmentfonds Cerberus ein. Im Jänner brach die Welt der Sonja Kohn zusammen, sie und ihre Kunden haben vermutlich bis zu 3,6 Milliarden Dollar verloren. Kohn sieht sich als Opfer, auch sie will an Madoff geglaubt haben. Zurzeit werden ihre verschachtelten Anlageformen intensiv überprüft, aber es scheint so, als ob die meisten Gelder bei Bernard Madoff ge- AußenSeiten 1 | 2009 landet sind und sie nichts weiter als eine Edelvertriebsstelle für Madoffs großen Bluff war. Sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, erwiesen sich Kohns weltweite Anlagestrategien als genauso falsch, wie ihre Medici-Tradition und ihr Wappen. Madoff/Kohn sind kein Einzelfall. Täglich erfahren wir von neuen Bankenskandalen, Wertberichtigungen und Milliardenverlusten. Wir erleben wie mit großmundigen Versprechungen selbst Finanzprofis um Milliarden gebracht werden, wenn durch Gier und Größenwahn der Verstand ausgeschaltet wird und fachliche Kompetenz nicht mehr zählt. Mit teilweise unerträglicher Arroganz hat das angloamerikanische Bankensystem den freien Markt gefordert und die staatliche Ordnung verächtlich gemacht. Fast alle Banker und Börsenmakler haben sich von dieser Haltung anstecken lassen und gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und Interessengruppen das freie Kapital in einer globalisierten Welt gefordert. Nun ist der Staat die einzige Institution, die noch Vertrauen genießt und Stabilität sichert. Es bedurfte wohl dieser Krise, damit wir uns alle wieder an den schon altmodisch gewordenen Vater Staat erinnern, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist und dessen Anteile nicht an der Börse gehandelt werden. Fassungslos erleben die Bürger, dass sie es sind, die das Überleben angeschlagener Banken sichern und bezahlen sollen. Der kleine Steuerbürger und Bankkunde muss nun für die „systemrelevanten Banken“ haften, obwohl die Geldhäuser ihm nur Beachtung schenken, wenn er zur Zielgruppe trickreich erdachter Anlageprodukte gehört. Der persönliche Kundenkontakt am Bankschalter wird gerade durch Automaten ersetzt, der menschliche Umgang muss aus Kostengründen eingespart werden. Dabei sind es die Gelder der Kunden, mit denen die Banken spekulieren und Monopoly spielen. In New York platzte die Blase der auf Pump gekauften amerikanischen Immobilien und jetzt weitet sich die Bankenkrise zur globalen Wirtschaftskrise aus. Die Sucht nach immer schnelleren Gewinnen, kostet jetzt die Existenz vieler Unternehmen und deren Arbeitsplätze. Obwohl Banken mit strengsten Bewertungsrichtlinien ihre Kunden überprüfen, gelten in der Welt des großen Geldes scheinbar andere Gesetze. Eines sollten Unternehmer und Bürger wenigstens aus der Krise lernen, der solide Bankberater alter Schule ist tot, er wurde hingerafft von smarten Verkäufern, die mit geschultem Marketing gerade das Finanzprodukt empfehlen, das ihnen die höchsten Provisionen sichert.Ob Madoff recht hat und wirklich „alles eine große Lüge“ ist, wird die Zukunft zeigen. 31 AußenBlicke „Notleidende Banken“ Frankfurt – Zum Unwort des Jahres 2008 wurde in Deutschland der Ausdruck „notleidende Banken“ gewählt, da der Begriff das Verhältnis von Ursache und Folgen der Weltwirtschaftskrise völlig auf den Kopf stelle. Der Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlösser begründete die Entscheidung: „Während Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert.“ Immobilienkrise in der City London - Die Finanzkrise und Notsituation vieler Banken hat dem jahrelangen Aufschwung am Markt für Bürogebäude in der Londoner City ein jähes Ende bereitet. Die Mieten sinken, die Quote leerstehender Büroflächen steigt, der Wert der Immobilien bricht ein, und noch ist kein Ende der Talfahrt in Sicht. Investmentbanker erwarten durch Notverkäufe einen zusätzlichen Abschwung, der bis 2010 möglicherweise sogar die 60 %-Marke erreichen könnte. Das wäre dann für britische Gewerbeimmobilien in der Londoner City eine größere Krise als in den siebziger und neunziger Jahren. Börsenmakler denken unlogisch Gießen – Wer immer noch fassungslos seinem an den Börsen verzockten Geld nachtrauert, erhält in einer aktuellen Studie der deutschen Universität Gießen wenigstens eine wissenschaftliche Erklärung für die Verluste. Psychologen um Professor Markus Knauff fanden heraus, dass es Börsenmaklern sehr schwer fällt, sich bei Entscheidungen von bestehenden Denkmustern zu lösen, auch wenn diese unlogisch sind. 20 Börsenmakler, die seit mehr als zehn Jahren für große Banken an der Frankfurter Börse tätig sind, ließen sich bei ihren Entscheidungen stärker von Erfahrungen, statt von logischem 32 Denken leiten und machten Fehler. Als die Makler aufgefordert wurden, Entscheidungen allein „logisch“ zu treffen, „zogen die Versuchsteilnehmer sehr viele falsche Schlüsse, und es dauerte viel länger, bis sie eine Entscheidung getroffen hatten“. Eine Vergleichsgruppe, die über keinerlei Erfahrung an der Börse verfügte, verhielt sich auffällig logischer. - Vertrauensbildend wirkt das Ergebnis dieser Studie nicht! Erste Frau baut Moschee Istanbul – Erstmalig in der islamischen Welt wird eine Moschee von einer Frau erbaut. In Istanbul konnte sich die moderne und selbstbewusste Architektin Zeynep Fadillioglu, die vorher nur Hotels und Restaurants errichtet hat, mit ihrem zukunftsweisenden Entwurf gegen ihre männliche Konkurrenz überlegen durchsetzen. „Datenklau“ Frankfurt – die Landesbank Berlin einen vorweihnachtlichen Diebstahl von 130.000 Daten von Kreditkartenkunden eingestehen musste, dessen Beweismittel auch noch der Presse direkt zugespielt worden waren, konnten Polizei und Staatsanwaltschaft in Frankfurt den „Datenklau“ aufklären. Zwei Kurierfahrer, ein 27 Jahre alter Deutscher und ein 35 Jahre alter Pakistani, hatten ein an den Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“ adressiertes Paket an sich genommen, aufgerissen und waren mit Heißhunger über den darin befindlichen Weihnachstollen hergefallen. Nach dem Verzehr der Backware entfernten die Kurierfahrer das Adressenetikett von dem aufgebrochenen Paket und klebten es auf eine an die Landesbank Berlin gerichtete Sendung, die nun nach Frankfurt umgeleitet wurde. So erhielt die Redaktion der „Rundschau“ statt des Weihnachtsstollens über 900 Mikrofiches mit tausenden Kreditkartenabrechnungen und acht Briefe mit Pin-Nummern von 130.000 Kreditkartenkunden der Landesbank Berlin. Hohe publizistische und politische Wellen waren die Folge, sogar der Deutsche Bundestag befasste sich mit dem vermeintlichen Datenklau. Impressum Unabhängige Zeitschrift für Außenwirtschaft und internationale Beziehungen, die vierteljährlich über politische und wirtschaftliche Entwicklungen und Hintergründe in Österreich, der EU und im Welthandel praxisnah berichtet und jeweils in einem Länderschwerpunkt über ein Land und dessen Wirtschaft informiert. Monica M. Bönsch: »Wir überwinden Sprachbarrieren und verbinden Menschen – grenzenlos & weltweit. Für Ihren geschäftlichen Erfolg!« Erscheinungsweise: Vierteljährlich, jeweils zu Beginn des Quartals. Preis: Jahresabonnement (inkl. Versand Inland): € 9,80 Einzelheft: € 3,80 MB International Languages steht für Verleger und Herausgeber: Verlag Kitzler Ges.m.b.H. 1010 Wien, Uraniastraße 4 Tel: (01) 713 53 34, Fax: (01) 713 53 34-85 E-Mail: offi[email protected], Net: www.kitzler-verlag.at • Fachübersetzungen • Dolmetsch-Dienste • Firmeninterne Sprachschulungund Interkulturelle Trainings • Project Language Support International • Voice Over Geschäftsführung: MMag. 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