Gastgewerbe - Historisches Lexikon der Schweiz

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Gastgewerbe - Historisches Lexikon der Schweiz
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26/05/2015 |
Gastgewerbe
G. ist in der Schweiz ein amtl.-statist. Sammelbegriff zur Bezeichnung
der vielen Betriebsformen der Hotellerie (Hotels, Pensionen, Motels,
Kurhäuser, Gasthöfe) und Parahotellerie (z.B. Fremdenzimmer,
Ferienwohnungen, Jugendherbergen, Camping). Er betrifft
Unternehmen, die gewerbsmässig Unterkunft und einen
Verpflegungsbetrieb bieten -- im Gegensatz zum
Gastwirtschaftsgewerbe (Gaststätten ohne Unterkünfte) und zu den
nicht allgemein-zugänglichen gemeinnützigen Heimen.
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1 - Stadthotels für den Reiseverkehr
Die schweiz. Hotellerie des 19.-20. Jh. wurzelt in der Tradition der Gasthäuser mit Beherbergungsrecht und
öffentl. Zugänglichkeit. Das Hotel (als Begriff weder rechtlich noch betriebswirtschaftlich festgelegt) im Sinne
einer grösseren, besser eingerichteten Beherbergungsstätte kam in den 1830er Jahren in Schweizer Städten
auf, als der zunehmende Geschäfts- und Reiseverkehr (Reisen, Verkehr) die Kapazität der Gasthäuser
überstieg (Tourismus). Die neuen Stadthotels entstanden an guter Verkehrslage bei Postkutschenstationen
(1838 Baur-en-Ville, Zürich) und Schiffländen (1835 Schwanen, Luzern), mit der Eisenbahn an Bahnhofplätzen
(1858-59 Schweizerhof, Bern oder 1865 Euler, Basel). Renommierte alte Gasthäuser wurden erweitert oder
neu erbaut (1842 Dreikönige, Basel) oder erlebten als Romantik-Hotels im 20. Jh. eine neue Blüte (Zum
Wilden Mann, Luzern). Bis in die 1860er Jahre gehörten Stadthotels bzw. Hotels am Stadtrand gemäss
Reiseführern zu den besten in der Schweiz.
Autorin/Autor: Quirinus Reichen
2 - Hotels als Orte der Erholung
Am Anfang einer Hotellerie, die sich der Erholung und Genesung ihrer Gäste verschrieb, standen die auf den
Bädern aufbauenden Badehotels, z.B. in Schinznach-Bad (1824), Bad Ragaz (1841 bzw. 1868), Tarasp oder St.
Moritz (1860-64). In den 1840er Jahren kamen Luft- und Molkenkurorte auf (z.B. Heustrich, Gem. Aeschi bei
Spiez). Kurhotels und Sanatorien in höherer Lage (u.a. Davos ab 1869, Leysin 1892) folgten vermehrt ab
1890.
Der Alpinismus ab der Mitte des 19. Jh. förderte die Hotellerie am Alpenfuss (v.a. Luzern und Interlaken), in
Bergdörfern und auf Berggipfeln des Voralpen- und Alpenraums (v.a. Innerschweiz, Engadin, Berner Oberland,
Wallis). Durchwegs folgten auf eine Pioniergeneration kleiner Hotels grössere und ab ca. 1865 Grand- und
Palasthotels. Hotelbau und Hotelkultur richteten sich ganz nach den Ansprüchen der ausländ. Gäste - bis 1914
v.a. Engländer, Deutsche, Russen und Amerikaner -, denen neben dem Naturerlebnis v.a. die Erholung im
gehobenen gesellschaftl. Rahmen wichtig war. Es entstanden Hotelpaläste, z.T. mit Kursaalbetrieb (u.a.
Interlaken 1859), in Strandlage (Lugano, Luzern, Thun, Montreux, Genf), auf aussichtsreicher Anhöhe (z.B.
Dolder in Zürich, Mountain House in Caux, Gem. Les Planches) bzw. mit Alpenblick (Jungfraublick in
Interlaken) und in Bergdörfern (Monte Rosa in Zermatt, Bernina in Samedan, Palace in St. Moritz).
Dem Mittelstand boten kleine Hotels, Pensionen und Gasthöfe, meist im Innern der alpinen und voralpinen
Dörfer, erschwingl. Ferienunterkünfte. Kleine Kurhäuser in Hügellage (z.B. Sonnenberg bei Luzern) und viele
Bäder im höheren Mittelland zogen dagegen, weil sie abseits lagen, zu wenig Gäste an, um zu rentieren.
Dagegen überlebten ländl. Gasthöfe an Überlandstrassen als Passantenherbergen.
Es war die Luxushotellerie, die im Ausland den Ruf der Schweiz als erstklassiges Touristenland begründete. In
der Pionierzeit lagen Aufbau und Perfektion bei Einzelnen und Hotelierdynastien (z.B. Seiler, Hauser, Rytz,
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Haecky, Kienberger, Bon, Scherz), die, oft untereinander verwandt, über mehrere Generationen Know-how
und Kapital weitergaben. Als bekannteste Dynastie begründete die Fam. Seiler zwischen 1839 und 1889 ihr
Oberwalliser Hotelimperium. Noch 1999 war Zermatt mit rund 110 Hotels die hotelreichste Gem. der Schweiz.
Autorin/Autor: Quirinus Reichen
3 - Blüte und Krise der Hotellerie
Nach 1850 verzeichnete das schweiz. G. trotz einem konjunkturellen Einbruch (1875-85) eine kräftige
Zunahme, so dass um 1890 das Angebot beachtlich war (1887 ca. 1'000 Betriebe mit 58'000 Betten).
Gemessen an der Bevölkerung wies die Innerschweiz vor Graubünden und dem Wallis die grösste Hoteldichte
auf. Ein ungebremster Aufschwung 1890-1910 führte zur grossen Blüte der Hotellerie. In diese Zeit fiel 1882
die Gründung des Schweizer Hotelier-Vereins (SHV, Sitz in Bern), der 1893 in Lausanne die erste
Hotelfachschule der Welt ins Leben rief.
Die kapitalintensive Luxushotellerie erwies sich als besonders krisenanfällig: Das Ausbleiben v.a. ausländ.
Gäste im 1. Weltkrieg stürzte sie in eine tiefe Krise. Mit der gesamten Volkswirtschaft verknüpft, war das G.
namentlich im Berggebiet zum wichtigen Arbeitgeber geworden. Daher suchten die v.a. betroffenen Kt. Bern
und Graubünden, später auch der Bund, dem G. mit Notmassnahmen zu helfen: 1915 wurde die behördl.
Bewilligung für neue Hotels eingeführt (Bedürfnisklausel bis 1952); es folgten Preiskonventionen, um
Zusammenbrüche zu verhindern, 1917-18 die Gründung der Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ) und
1921 die Bildung der Schweiz. Hoteltreuhand AG (SHTG, Sitz in Zürich) zur Sanierung des G.s.
Während des 2. Weltkriegs dämpfte die Belegung durch einheim. Gäste und durch Internierte die Krise des
G.s. Der Neubeginn nach 1945 gestaltete sich aber trotz steigender Frequenzen schwierig. Das schweiz. G.
zeigte gegenüber dem ausländischen, das aus Ruinen rasch aufgebaut wurde, Nachholbedarf bei der
Erneuerung der alten Bausubstanz, doch behinderten hohe Baukosten und der starke Schweizer Franken die
Modernisierung. Noch 1970 wies das G. v.a. im Sanitärbereich Rückstände auf (nur 34% der Hotelzimmer mit
Bad oder Dusche). Die Wintersaison nahm zwar dank dem Wintersport einen erfreul. Aufschwung, doch waren
viele Hotels mangels Heizungen nicht darauf vorbereitet. Im Wettbewerb mit dem preisgünstigeren Ausland
waren Kosten zu senken, u.a. durch Rationalisierung der Betriebsabläufe und Einsparung von Arbeitskräften.
Trotzdem wanderten Gäste ab: Vermehrte Mobilität begünstigte den Tagestourismus und die Parahotellerie,
der steigende Lebensstandard machte Ferien im Ausland erschwinglicher.
Hotelbetriebe und Gastbetten in der Schweiz 1905-2005
Jahr
Hotelbetriebe
Gastbetten
Betten pro Betrieb
1905
6 041
162 197
26,8
1929
7 606
202 159
26,6
1939
7 202
184 791
25,7
1950
6 705
162 291
24,2
1955
7 692
179 512
23,3
1965
7 737
220 786
28,5
1975
8 204
302 658
36,9
1985
7 244
281 547
38,9
1995
6 164
269 999
43,8
2005
5 836
274 035
47,0
Quellen:HSVw 1, 646-652; BFS
1945-75 verzeichnete die Hotellerie einen kräftigen Ausbau, bei Hotels um 22%, bei Gastbetten dank
grösseren Neubauten gar um 86,5%. In der Krise der 1970er Jahre folgte die Trendwende: Die Zahl der
Betriebe nahm bis 1995 um 25% ab, die der Betten um 11%. Der betriebl. Strukturwandel ging somit v.a. zu
Lasten der Klein- und Mittelbetriebe (bis zu 50 Betten), deren Zahl noch 1955 bei 57%, 1995 aber bei 37%
lag. Die Tendenz zu grösseren Betrieben zeigt sich auch im Anstieg der durchschnittl. Beschäftigtenzahl (1955
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7,8 Beschäftigte pro Betrieb, 1975 8,9, 1995 14,6).
Ab 1945 ging die Hotellerie die Erneuerung der versch. Betriebsformen an: den Ausbau des Kur- (z.B.
Rehabilitationsstätten, Höhenkliniken, Heilbäder) und des Passantenbetriebs (u.a. Motels, Hotel garni), den
Aufbau des Aktivferienbetriebs (Familien-, Sporthotels) mit neuen Angeboten (Kurse, Symposien, Kongresse).
Der Zunahme der Logiernächte in den 1980er Jahren auf ein Maximum von ca. 80 Mio. folgte in der
Wirtschaftskrise der 1990er Jahre ein Rückgang auf ca. 66 Mio. (1996) und anschliessende eine Stabilisierung
bei 65-70 Mio. Logiernächten.
Autorin/Autor: Quirinus Reichen
4 - Die Parahotellerie
Während bis 1940 die Hotellerie die Tourismusorte prägte, war dies nach Kriegsende zunehmend die
Parahotellerie. Sie hatte ihre Vorläufer in den privat vermieteten "Fremdenzimmern" des 19. Jh. Von den
1860er Jahren an errichtete der Schweizer Alpen-Club (SAC) seine Hütten im Hochgebirge,
Naturfreundehütten folgten. Ab den 1920er Jahren entstanden Jugendherbergen nach dt. Vorbild. In die
Vorkriegszeiten datieren auch private Ferienhäuser und Ferienwohnungen sowie Ferienheime sozialer
Institutionen (Ferienkolonien).
Mit dem Bauboom der 1950er und 60er Jahre schossen im Alpenraum ganze Siedlungen von Ferienhäusern
und -wohnungen im Eigentum von Ortsfremden (Zweitwohnungen) aus dem Boden. Einige von ihnen (z.B. in
Laax) verdichteten sich zu eigentl. Ferienstädten. Campingplätze, viele ganzjährig mit fester Kundschaft,
erhielten immer aufwendigere Infrastrukturen. In den 1970er Jahren kamen Aparthotels auf (Residences im
Eigentum mit Anschluss an eine Hotel-Infrastruktur).
Der noch nicht abgeschlossene Umstrukturierungsprozess im G. ist dadurch gekennzeichnet, dass Ende des
20. Jh. die Hotellerie ihren Vorkriegsstand zahlenmässig (Betriebe, Gastbetten) zwar erweitert hat, im
Bettenangebot aber von der Parahotellerie gesamtschweizerisch bei weitem überflügelt worden ist
(Gastbettenanteil 1990: Hotellerie 15,5%, Parahotellerie 48,5%, Zweitwohnungen 36%).
Autorin/Autor: Quirinus Reichen
Quellen und Literatur
Literatur
– Volkswirtschafts-Lex. der Schweiz 2, 1887-89, 49 f.
– P. Grellet, La Suisse des diligences, 1921 (21984)
– HSVw 1, 527 f., 646-652
– 75 Jahre Jubiläum Schweizer Hotelier-Verein, 1956
– Neue Entwicklungen in der Hotellerie, 1972
– F. Ammann, Genealog. Kartei dynast. Hoteliers- und Gastwirte-Fam., 23 H., 1975-79
– L. Gaulis, Schweizer Pioniere der Hotellerie, 1976
– Das Gewerbe in der Schweiz, 1979, 230 f.
– A. Schärli, Höhepunkt des schweiz. Tourismus in der Zeit der "Belle Epoque" unter besonderer
Berücksichtigung des Berner Oberlandes, 1984
– Vicende del turismo locarnese, hg. von A. Varini, A. Amstutz, 1985
– H. Müller, P. Saxenhofer «Die Schweiz als Touristenland -- die Schweizer als Ferienreisende», in Hb. der
schweiz. Volkskultur 3, hg. von P. Hugger, 1992, 1199-1218
– Lugano Hôtels, Ausstellungskat. Lugano, 1998
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