Priesterwürger, Schuldenzahler

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Priesterwürger, Schuldenzahler
Begegnungen zwischen Adria und Apennin
Priesterwürger,
Schuldenzahler,
Schwägerinnenkiller
Die Romagna ist ein echter Geheimtipp für alle, die
authentisches Italien entdecken wollen. Spannende
Erfahrungen sind an der Tagesordnung. Garantiert.
Ab in die Grube
Im November und Dezember passiert es Marco Pellegrini aus Soglione al Rubicone mitunter,
dass die Leute um ihn einen großen Bogen machen. „Man kann es verstehen“, entschuldigt
er sich, „ich rieche wohl etwas streng nach Käse.“ Manche sagen sogar, er stinke. Kein
Wunder, denn Marco Pellegrini ist der Besitzer von mehreren Fosse, von Gruben, in denen
einer der ungewöhnlichsten Käse Italiens reift.
Marco Pellegrini
Auf rund 600 Jahre reicht in dem romagnolischen Dorf die Tradition zurück, den Käse –
meistens Pecorinoräder - monatelang in hermetisch verschlossenen Löchern im Tuffstein
reifen zu lassen. Fast 70 solcher Fosse, Gruben, werden in Sogliano und Umgebung
bewirtschaftet – und Marco Pellegrini ist einer der bekannten Käsemacher. Obwohl erst 42
Jahre alt, ist er doch seit 25 Jahren im Geschäft. Wie der Formaggio di Fossa di Sogliano
schmeckt? „Jeder ist anders“, sagt Marco und liefert gleich die Erklärung dafür: Von den
Bauern aus der Region erhält er zum Einlagern die unterschiedlichsten Rohkäse – ganz nach
Gusto aus Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch. Sie werden übrigens in Beutel eingenäht, um sie
nach der Reifung wieder dem jeweiligen Lieferanten zuordnen zu können.
Fast bis an den oberen Rand der kreisrunden, bis zu drei Meter tiefen Gruben werden die
Käse gestapelt. So werden die unten gelagerten Beutel mehr gepresst als die oberen. Bis zu
vier Tonnen pro Grube Milchmasse bilden eine Gemeinschaft auf Zeit und bleiben – mit
einer dicken Sandschacht bedeckt – für mindestens drei Monate sich selbst überlassen. Was
den Bayern der Fassanstich beim Oktoberfest ist, ist für die Leute von Sogliano das Öffnen
der Fosse: Seit altersher wird es Ende November kräftig gefeiert. Das Ergebnis ist äußerst
pikant und würzig: Über dem ganzen Bergstädtchen liegt dann der kräftige Käsegeruch.
Für Marco Pellegrini ist das ein doppelter Grund zur Freude, denn rechtzeitig vor
Weihnachten kann er nicht nur von den Bauern für das Einlagern von Pecorino und Co.
kassieren, sondern er profitiert auch von der Vermarktung. Denn viele Italiener haben die
Grubenkäse längst als originelle (und exklusive) Geschenke entdeckt. Besonders gern wird
dabei die besonders scharfe Käsesorte Ammazzasuocere („Schwägerinnenkiller“) in der
Verwandtschaft verteilt…
Für Verwandte…
Trotz des wirtschaftlichen Erfolges treibt Marco Pellegrini aber ein anderes Thema um:
„Vielleicht sollte ich mich mit einer Fischhändlerin zusammen tun, damit sich die Leute nicht
nur über meinen Käsegeruch aufregen…“
Nudelholzkünstlerin
Bei der Wahl zur Miss Italia hätte Beatrice Guaducci aus Brisighella wohl keine Chance. Mit
den herausgeputzten potentiellen Berlusconi-Gespielinnen kann sie nicht mithalten. Ob sie
böse wäre, wenn man sie eher als „barock“ bezeichnete? Egal. Sie ist jedenfalls ein Beweis
dafür, dass Leib und Seele zusammen gehören. In der Via Baccarini bleiben die Besucher
nicht nur wegen des ungewöhnlichen Ladenschildes stehen, sondern auch wegen der
herrlichen Düfte, die aus der Tür strömen.
„Arte dell Materello“ – Kunst des Nudelholzes – hat Beatrice Guaducci über ihre Bäckerei
geschrieben. Zu Recht. In den Theken präsentiert sie alles, was Italien-Fans das Wasser im
Mund zusammenlaufen lässt: Farfalle, Quadrueci, Taglioline, Fettuccine, Cannelloni und,
und, und… Selbstverständlich auch die Strozzapreti, die Priesterwürger. Dass sie zu den
beliebtesten Nudelsorten in der Romagna zählen, liegt übrigens nicht nur daran, dass der
Landstrich traditionell als „rot“ und damit als eher antiklerikal in Italien gilt, die Streifen sind
einfach ideale Begleiter zu wunderbaren Saucen.
Beatrice Guaducci
Ihre Nudelholzkunst kreiert Beatrice Guaducci indes auch an Süßigkeiten, etwa an köstlich
dampfenden Strudeln. Fast durchsichtig erscheinen die einzelnen Teigschichten, die die
leckere Füllung mit reichlich Rosinen zusammenhalten. Spätestens jetzt merkt man, dass das
Ladenschild keine Übertreibung ist – schließlich kommt Kunst (Arte) von Können. Und anders
als die vielen oberflächlichen Miss-Klappergestelle hat Beatrice Guaducci obendrein ein
großes Herz: Einem Bub, der eigentlich nur ein Brot einkaufen soll, schiebt sie lächelnd
obendrein ein Stück Strudel über den Tresen. Die strahlenden Augen sind für sie viel mehr
wert als jeder monetäre Lohn.
Die Stoff-Alchimisten
Wird hier etwa ein Mittelalter-Film gedreht? „Nein“, lacht Riccardo Pascucci aus Gambettola,
„hier sieht es immer so aus.“ Wären da nicht das elektrische Licht und das Radiogedudel,
man könnte sich in der Leinendruckerei in der Via Verdi 18 in das frühe 19. Jahrhundert
versetzt glauben. Nach anno dunnemals vor sieben Generationen, als die Vorfahren der
heutigen Chefs Francesco, Riccardo und Guiseppe 1826 mit der Produktion der bunten
Stoffe begannen. An uralten Tischen stehen die Leinendrucker und bringen mit mächtigen
hölzernen Stempeln und einigen präzisen Hammerschlägen immer neue Formen auf die
Stoffe. Nebenan liegen Schnitzwerkzeuge, mit denen die Modeln wie eh und je gefertigt den
– auch hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
Francesco Pascucci
Dabei erleben die Leinen mit den kräftigen Druckfarben gerade eine Renaissance. Als
Tischdecken oder Wandläufer zieren sie Räume. Liturgische Gewänder werden in der
ungewöhnlichen Drucktechnik ebenso gefertigt wie auch Vorhänge und Gardinen. Irgendwie
wird man beim Blick in die Werkstatt an Alchimisten erinnert, denn in den Regalen lagern
ungewöhnliche Zutaten und ein leicht säuerlicher Duft liegt in der Luft. Die strahlenden
Stofffarben misst Riccardo Pascuscci nämlich aus ungewöhnlichen Inkredienzen zusammen –
Weinessig, Mehl und Rost inklusive. Die genaue Zusammensetzung kennt freilich nur der
Patron: „Familiengeheimnis.“
Riccardo Pascucci
Kein Geheimnis ist hingegen, wie die abenteuerlich anzuschauende Mangel im Nebenraum
funktioniert. Die stattliche Urmutter aller Bügelmaschinen ist tonnenschwer mit
Wackersteinen gefüllt, so dass alle Tuche garantiert platt und glatt werden. Seit dem 18.
Jahrhundert erfüllt das Ungetüm seinen Zweck und läuft auf Rollen über die Stoffbahnen.
Stolz ist Riccardo Pascucci nicht nur auf diese Maschine, die jedem Museum zur Ehre
gereichen würde, sondern auch auf die Rolle, die seine Familie bei der Entwicklung des
Strandurlaubs spielte. In den 30-er Jahren des 20, Jahrhunderts galt es an den Stränden von
Rimini – und nicht nur dort – als schick, sich mit den bedruckten Leinen aus Gambettola vor
der Sonne zu schützen. „Vielleicht kommen diese Zeiten ja wieder“, lacht der Chef, während
die alte Mangel vor sich hinächzt.
Wein mit Seele
Es gibt noch viel zu tun in Raffaella Bissonis Verkaufsraum im Weiler Casticciano bei
Bertinoro. Man wähnt sich auf einer Baustelle: Verpackungskartons stapeln sich in der Ecke;
vor den Fenstern fehlen noch die Balkonsimse, die Wände sind noch unverputzt. Nein,
wirklich einladend ist das Entree – noch – nicht. „Scusi“ – „Entschuldigung“ –, sagt Raffaela,
„ich hatte einfach noch keine Zeit, mich darum zu kümmern.“ Auch äußerlich macht sie nicht
viel Aufsehen um sich: rustikale Jeans, die Haare streng nach hinten mit einem Band
zusammengebunden. So stellt man sich nicht unbedingt eine der besten Weinmacherinnen
Italiens vor.
Doch wenn die Winzerin, die zu den Aufsteigerinnen ihrer Zunft in der Romagna zählt, auf
ihre Produkte zu sprechen kommt, sind die Äußerlichkeiten schnell vergessen: Mit warmer
Stimme spricht sie weniger von Prozenten, Kellertechnik und Fertigungsprozessen
(wenngleich man ihr sofort abnimmt, dass sie davon eine Menge versteht). Vielmehr erzählt
sie ganz viel von Natur. Von den wunderbaren Böden rund um Bertinoro und von den
„unzähligen Tieren“, mit denen sie inmitten der Rebberge wohnt. Schnell merkt man, wie
sehr sie selbst längst ein Teil dieses wunderbaren Fleckchens geworden ist und in ihrer
Arbeit aufgeht.
Raffaella Bissoni
Ihre edlen Tropfen – sie konzentriert sich ausschließlich auf Sangiovese und Passito –
entzücken denn auch schnell die Weinkenner. Ihr Geheimnis? „Man muss Wein mit dem
Herzen machen“, sagt sie spontan, während ihre drei Schäferhunde um sie herumstreifen.
Tatsächlich haben ihre Weine eine Seele. Interessenten müssen sich indes bemühen, wenn
sie Raffaella Bissonis Weine – zu durchaus reellen Preisen – ergattern wollen. Gerade mal
25.000 Flaschen geben ihre Rebflächen her.
Wie wird man eine der besten Weinmacherinnen im Land? „Mit Leidenschaft“, lautet
Raffaellas schnelle Antwort. Längst wird die Selfmadefrau von ihren männlichen Kollegen
ernst genommen. Bei den großen Wettbewerben heimsen ihre Tropfen hchste Preise ein.
Das ist umso bemerkenswerter, als Raffaella Bissoni 1988 ohne jede fachspezifischen
Vorkenntnisse mit dem Weinbau anfing. „Davor war ich einfach nur eine Mama“, lacht sie
und entschwindet wieder in den Weinberg.
40 Pfauen und ein Seufzer
Im Weinkeller der Fattoria Paradiso
An Selbstbewusstsein mangelt es Graziella Pezzi sicher nicht. Man muss nur ihr Büro im wohl
bekanntesten der romagnolischen Weingüter bei Bertinoro betreten. Drei Uhren geben dort
die Weltzeiten an: Eingerahmt von New York und Tokio steht dort selbstverständlich die Uhr
der Fattoria Paradiso im Mittelpunkt. Und stolz verweist die Chefin auf die zahlreichen
Dankschreiben und Fotos mit Prominenten, mit denen die Wände übersät sind. Die Großen
der Welt zählen oder zählten zu den Genießern der Weine der Fattoria Paradiso – Papst
Johannes Paul II. ebenso wie die US-Präsidenten Ronald Reagan oder Bill Clinton, der
Schauspieler Danny Kaye, Nobelpreisträger Dario Fò, Italiens ehemaliges Staatsoberhaupt
Sandro Pertini oder die russische Kosmonautin Valentina Tereskova. Dem Vernehmen nach
haben die edlen Tropfen aus der Romagna allen ausgezeichnet gemundet.
Geschickt führt die resolute Graziella Pezzi das Werk ihres Vaters Mario fort, der unter den
italienischen Weinmachern einen geradezu legendären Ruf genießt. Er war es, der die fast
vergessenen Rebsorten Pagadebit („Schuldenzahler“) und Cagnina wieder ausbaute. Sein
Meisterstück ist indessen der Barbarossa-Wein. 1955 entdeckte Mario Pezzi eine bis dahin
unbekannte Rebsorte, und es gelang ihm, sie durch Klonung zu vervielfältigen. Aus den
Trauben kreiert die Fratoria Paradiso einen edlen, strukturreichen, granatroten Wein, der
zwei Jahre in Barriquefässern reift, bis er auf den Markt kommt.
Graziella Pezzi
Quasi als Nebenprodukt vertreibt Graziella Pezzi auch noch hochwertiges Olivenöl – „das
war eigentlich nur ein Hobby meines Vaters; aber die Kunden verlangten einfach danach.“
Wer will, kann all die Gaumenschmeichler in entspannter Urlaubsatmosphäre genießen.
Inmitten der Weinberge haben die Pezzis ein ansprechendes Feriendomizil mit Swimming
Pool, Automobilmuseum und herrlichem Blick auf Bertinoro realisiert. Garantiert läuft einem
dort auch einer der rund 40 hofeigenen Pfauen über den Weg. Nur eines macht Graziella
Pezzi zu schaffen: dass sie den deutschen Papst Benedikt XVI. noch nicht von ihren Weinen
überzeugen konnte: „O mio dio, das ist – leider – hoffnungslos. Er trinkt doch nur
Mineralwasser und allerhöchstens mal ein Bier.“ Der Seufzer ist unüberhörbar.
Esel, Kardinäle und Trommler
Eselstraße in Brisighella
Apropos Klerus. Der spielt auch in der Geschichte von Brisighella eine große Rolle. Acht
Kardinäle hat das Kleinstädtchen im Lamonetal bereits hervorgebracht und nimmt somit in
dieser nichtolympischen Disziplin in Italien einen Spitzenplatz ein. Das würdigte auch Papst
Johannes Paul II. bei seinem Besuch 1986. Bigottisch sind die Brisigheller deswegen aber
längst nicht, verrät Maurizio Capirossi, der Chef der kommunalen Polizei. Mit breitem
Grinsen schildert er, dass sich die frisch Verliebten nicht abhalten lassen, just vor der
Haustür des jüngsten Kardinals zur knutschen und zu kuscheln. Dessen Heimatdomizil liegt
nämlich an der Via degli Asini, der Eselstraße, einem der malerischsten überdachten Gänge
in der Romagna. Die halbrunden Fensteröffnungen aus dem Mittelalter stehen bei den
Pärchen in hoher Gunst.
Bürgermeister Davide Missiroli (2. von rechts)
Ob auch der junge Bürgermeister Davide Missiroli (31) hier die ersten Zärtlichkeiten
ausgetauscht hat? Sein wissendes Lächeln bei dieser Frage lässt durchaus Interpretationen
zu. „Kein Kommentar“, strahlt der Kommunalpolitiker wie ein Honigkuchenpferd. In anderer
Hinsicht gibt sich der Doktor der Wirtschaftswissenschaften aber viel auskunftsfreudiger –
etwa wenn es um die jährlich im Juni und Juli stattfindenden Mittelalterfestspiele in
Brisighella vor der prächtigen Kulisse der Rocca und des weithin sichtbaren Uhrturms geht.
Heuer begleitete Missiroli das Spektakel erstmals in seiner offiziellen Amtsschärpe. Dabei
könnte er auch anders. Als eine Besuchergruppe lautstark von den Tamburi Medievali di
Brisighella begrüsst wird, muss man den Bürgermeister nicht lange überreden, selbst einmal
zur Trommel zu greifen. Auch nach zwei Jahren Spielpause ist er mit großem Eifer bei der
Sache; jedes historische Trommelsignal sitzt präzise. „Gelernt ist gelernt“, ist Davide Missiroli
sichtlich stolz.
Katzen-Kunst
Hoch konzentriert sitzt Cinzia Neri vor einer großen Vase und färbt sie detailreich mit
feinsten Pinselstrichen ein. Aus diesen hellen Pastellfarben soll nach dem Brennen einmal
ein kräftig strahlendes Werk werden? Schwer zu glauben. Doch der Schauraum von
Ceramica Gatti in Faenza belehrt die Skeptiker eines Besseren. Beeindruckende Amphoren
mit Farbverläufen von Dunkelbau zu Grün stehen in den Regalen. Daneben Tassen und Teller
im Zebradesign – freilich: die dunklen Streifen sind aus Platin. Hingucker sind auch die
zweiköpfigen Katzen – eine spielerische Reminiszenz an den Namen des Firmengründers
Riccardo Gatti („Katzen“).
Cinzia Neri
Der Abstecher von der nur drei Fußminuten entfernten Kreuzritterkommende aus dem 12.
Jahrhundert im Stadtteil Rione Bianco lohnt sich absolut, kann man in der Via Pompignoli 4
doch Keramikkunst von allerhöchstem Niveau bestaunen. Und kaufen. Marta Servadei, die
Großnichte des Firmengründers, nimmt sich Zeit, wenn es um die Erklärung einzelner
Gegenstände geht. Was etwa eigenartig geformte Kerzenständer mit Hermann Hesses
Reiseimpressionen zu tun haben. Oder sie erzählt von der Zusammenarbeit mit
weltberühmten Keramikkünstlern wie Alberto Burri, Sebastian Matta oder Carla Accardi.
Berechtigter Stolz schwingt mit, wenn sie berichtet, dass Werke von Ceramica Gatti in
berühmten Museen stehen und weltweit vertrieben werden.
Marta Servadei
Derweil konzentriert sich Cinzia Neri weiter auf das Auftragen von Farben auf ihren
Vasenrohling. „Kunst? Nein, Kunst ist das nicht, was ich mache“, sagt sie bescheiden, „ich
mache nur Handwerk.“ Welch eine Untertreibung.
Der Blumen-Koch
„Im Michelin? Ach ja, da gibt es auch eine Erwähnung.“ Die genaue Beurteilung seiner
Kochkünste ist Robert Gasser aber gerade nicht geläufig. Sie interessiert ihn nicht wirklich.
Der jüngste Band der Feinschmeckerbibel Guide Michelin, den er im Regal stehen hat,
datiert aus dem Jahr 2003. „Letzte Woche war auch wieder ein Kritiker da – ich weiß aber
nicht genau, von welcher Zeitschrift.“ Die Talente des Südtirolers in Sachen
Eigenvermarktung sind eher spärlich, ja, fast gar nicht ausgeprägt. „Das brauche ich nicht
unbedingt.“
Robert und Martha Gasser
Dafür trumpft Robert Gasser in seiner Küche umso mehr auf. Abseits der großen
Besucherströme betreibt er zusammen mit seiner Mutter Martha 25 Kilometer von Faenza
entfernt in Casola Valsenio das kleine, aber feine Restaurant Mozart. In der Gourmetszene
hat sich Robert Gasser längst einen Namen gemacht als Koch, der besonders gerne Kräuter
und Blumen in seine Gerichte integriert. Die bezieht er vor allem aus dem nahen
Kräutergarten, den die Region im Senio-Tal unterhält. Sein Risotto? Weltklasse. Seine bunten
Salatbouquets? Ebenfalls Weltklasse und nicht nur ein Genuss für den Gaumen, sondern
gleichermaßen fürs Auge. Das Schönste: Für Robert Gassers Kreationen muss man nicht
einmal über Gebühr tief in die Tasche greifen – ein Sieben-Gänge-Menü gibt es im
Restaurant Mozart für sage und schreibe 36 Euro. „Wir sind halt zu weit weg von der großen
Welt“, zuckt Martha Gasser fast entschuldigend mit den Schultern.
Salatkreation im Restaurant Mozart
Der in etlichen Feinschmeckerführern ausgesprochenen Empfehlung „einen Umweg wert“
kann man nicht nur wegen des ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnisses zweifelsohne
trauen. Und das um so mehr, als dem Restaurant in ruhigster ländlicher Umgebung noch ein
klitzekleines Hotel mit drei Zimmern angeschlossen ist. Dessen Preise? Ebenfalls kaum der
Rede wert. Also rundum heile Welt im Restaurant Mozart? Nicht ganz, scherzt Mutter
Martha: „Es wird höchste Zeit, dass Robert mit seinen 45 Jahren endlich eine Frau ins Haus
bringt.“
Entdeckung der Langsamkeit
So muss es sein, wenn man wirklich prominent ist: Wann immer Raffaello Polino und Dario
Demic aus Cervia mit ihrer Arbeit beginnen, bleiben die Leute stehen. Dann klicken die
Kameras. Doch das Interesse gilt weniger den beiden Seebären, sondern vielmehr ihrem
Dienstgerät, einem historischen Lancione-Boot mit seinen charakteristischen zwei braunen
Alterzo-Segeln. Bis zu 80 der robusten Holzschiffe tummelten sich bis in die 60-er Jahre im
Hafen von Cervia; heute sind die Lancione auf der Adria, die früher auch dem Salztransport
von Cervia nach Venedig dienten, rar geworden.
Raffaello Polino und Dario Demic
Auch die „Tre Fratelli“ („Drei Brüder“) ist kein Original mehr, sie wurde vielmehr 1966 im
Auftrag der Stadt Cervia nach alten Plänen gebaut und heute von vier, fünf Enthusiasten des
örtlichen Segelclubs Circolo Nautico liebevoll betreut. Zum Fischfang wird das 10,20 Meter
lange und 3,10 Meter breite Boot freilich nicht mehr eingesetzt; es dient ausschließlich
touristischen Zwecken. Mit bis zu sechs Passagieren stechen Raffaello Polino und Dario
Demic von Cervia aus zu größeren oder kleineren Törn in See. 20 Euro kostet die Gäste ein
Zwei-Stunden-Trip. Für die Gäste ist es oftmals die Entdeckung der Langsamkeit, denn die
Lancione sind nicht als Rennboote, sondern als Lastenkähne konstruiert.
Trotzdem macht es den beiden Bootsführern ausgesprochen Spaß, die an Rahen hängenden
Leinensegel zu bedienen. Im gebührenden Abstand zu den Adriastränden wirken auch die
großen Menschenmassen ganz klein. „Da ist nichts mehr zu hören“, freut sich Dario Demic.
Er genießt auch den Respekt, mit dem die Kapitäne von modernen Segel- und Motorbooten
der „Tre Fratelli“ begegnen – „so soll es sein.“ Nur Schwimmen ist dem Seemann suspekt.
Auf die Frage, wie warm das Wasser vor Cervia ist, erklärt er trocken: „Für die Deutschen
reicht es vielleicht zum Baden; für die Italiener ist es zu kalt.“
Auf der „Tre Fratelli“
Nur vom Feinsten
Marco di Montanari ist zweifelsohne eine schillernde Persönlichkeit: Mit 40 Jahren verließ
er als gemachter Mann die heimatliche Schweiz, um sich wieder im Land seiner italienischen
Vorfahren anzusiedeln. Statt mit Medizin beschäftigte er sich fortan – vor allem – mit dem
Weinbau und betrieb erfolgreich in der Toskana ein 50 Hektar großes Weingut. „Zu groß“,
lautet sein Urteil – und damit verbunden war wieder ein Umzug: In die hochherrschaftliche
Villa Liverzano bei Brisighella. Ungewöhnlich wie das Anwesen ist auch die Geschichte, wie
der heute 60-jährige dorthin fand: „Ich habe es bei einem Flug aus meiner Maschine von
oben gesehen und wusste: Das will ich haben.“ Gesagt, getan.
Eingang zur Villa Liverzano
Nachdem er mit den Besitzern der zwar herrlich gelegenen, aber leidlich
heruntergekommenen Villa handelseinig geworden war, folgte eine weitere Etappe des
Montanari-Lebenstraums. Er gestaltete das Areal zu einem Luxusresort der Sonderklasse um.
Absolut gar nichts in dem Anwesen ist von der Stange. Ob teure Intarsienmöbel („die
Werkstatt habe ich in Südfrankreich entdeckt“), Waschtische, die aus ehemaligen
Weihwasserkesseln geschaffen wurden, aufwendige Deckenmalereien oder individuell
gestaltete Außenleuchten – alles kündet vom exquisiten Geschmack des helvetischen
Italieners. Die Kosten? Natürlich gibt es keine Antwort von Marco di Montanari, höchstens
ein freundliches Lächeln. So exklusiv wie die Villa Liverzano ist auch die Gästeschar in den
nur acht Zimmern. Nur soviel verrät der Hausherr: „Es sind sehr, sehr erfolgreiche
Menschen darunter.“
Marco di Montanari
Denen setzt er – natürlich – die edlen Tropfen aus dem gutseigenen Weinberg vor. Je
nachdem, wer ihn ordert, setzt Marco di Montanari weibliche oder männliche Flaschen vor.
Die Unterschiede? Lediglich die Etiketten. Für die Damen gibt es den „Don“-Wein mit
schwarz gefärbten Aufklebern, weißer Schrift und Weiblichkeitssymbol; für die Herren ist das
Schema genau umgekehrt. Warum? „Das ist rein wissenschaftlich begründet: Frauen
stehen eindeutig auf dunkle Etiketten, Männer auf helle“, führt der Villenbesitzer an. Ein
spitzbübisches Lächeln verkneift er sich bei der Antwort aber nicht.
Ölwechsel, bitte
Eines kommt Dr. Franco Spada freiwillig nicht auf den Tisch: „Olivenöl aus Marokko oder aus
Griechenland? Nein, danke.“ Der klare Standpunkt ist zu verstehen, ist der Dottore doch
Vorsitzender der Produktionsgenossenschaft der Olivenanbauer von Brisighella. „Da,
schauen Sie“, greift er ins Regal und holt mit stolzgeschwellter Brust einen deutschen
Gourmetführer über Italien zum Vorschein. Auf dem angejahrten Titelbild sind nur drei
Dinge abgebildet, die beispielhaft für Italien stehen: Spaghetti, Rotwein und eine Flasche
Olivenöl aus Brisighella. „Dafür haben wir nichts bezahlt“, versichert der Herr Präsident
glaubhaft.
Tatsächlich ist das Lamonetal ein wahres Mekka für den Olivenölanbau. Höchste Qualität
haben sich die rund 300 Mitglieder der landwirtschaftlichen Kooperative, die mehr als
90.000 Bäume bewirtschaften, auf die Fahnen geschrieben. „Das Klima hier ist einfach
optimal für Oliven“, sagt Franco Spada. Das hatte man bereits vor 1000 Jahren erkannt, als
im Tal die ersten Ölhaine angelegt wurden. Wer will, kann auf den geschichtlichen Stationen
des Olivenölanbaus wandeln – rund um Brisighella empfiehlt Dr. Spada fünf Stationen, wo
man sich mit Landschaft, Flora und Fauna vertraut machen kann. Etwa an der Kirche Santa
Maria in Rontana, wo die ältesten Olivenbäume der Region stehen. Hier werden von Mitte
November bis Mitte Dezember auch die besonders seltenen Ghiacciola-Oliven geerntet, die
schließlich zum besonders edlen Nobildrupa-Öl verarbeitet werden. „Der Rolls-Royce unter
den Olivenölen“, schwärmt Fachmann Spada.
Miretta Laghi
Seine Mitarbeiterin Miretta Laghi tröpfelt in der Ölmühle der Kooperative in der Via Strada 2
unterschiedliche Sorten auf Weißbrotscheiben und reicht sie zum Kosten an die Besucher.
Schnell erkennen so auch Laien, dass es deutliche Geschmacksunterschiede gibt – dass Öl
nicht gleich Öl ist.
Dr. Francesco Spada
„Machen Sie einen Ölwechsel“, empfiehlt Dottore Spada, „setzen Sie auf Qualität.“ Bei
diesem Appel kommt man sich wie an einer Tankstelle vor. Der Vergleich ist übrigens nicht
von ungefähr: Wer will, kann in der landwirtschaftlichen Kooperative das Wunschöl aus
urigen Zapfstellen in der Wand auch selbst in Kanister tanken.
Ein Traum wird wahr
Der Barriquekeller von Compodelsole
Wer unbedarft durch die hügelige Landschaft um Bertinoro fährt, stutzt zunächst einmal:
Was ist das für ein futuristisches Gebäude inmitten der Weinberge? Das leicht geneigte,
hellgrüne Dach schmiegt sich sanft an den Berg an. Eine Turnhalle? Falsch. Eine moderne
Kirche? Falsch. Die Kellerei Campodelsole ist vielmehr die Realisierung eines Traums – ein
am Computer geplantes Weingut des 21. Jahrhunderts.
Gabriele Soldi
Hausherr ist Gabriele Soldi (28), Spross einer bekannten Bauunternehmerfamilie. Er wollte
von Anbeginn nicht nur eine Kellerei auf dem neuesten Stand der Weintechnologie
verwirklichen, „sondern auch etwas Schönes, etwas Ästhetisches.“ Tatsächlich bricht das
2006 eröffnete Gebäude mit tradierten Vorstellungen: Die Produktion erinnert eher an einen
milchverarbeitenden Betrieb. Sterile Stahlkonstruktionen und blitzblanke Leitungen und
Tanks bestimmen das Bild. Muffigen Kellergeruch sucht man vergebens. Im Sinn der gewollt
kurzen Wege findet die Weinherstellung in drei Ebenen von oben nach unten statt. Selbst
das „Heiligtum“, der stattliche Barriquekeller, fällt aus dem Rahmen. Statt in alten
Gewölbesteinen werden die edlen Fässer Reih an Reih auf grazilen Aluminiumgestellen in
einem hohen Raum geradezu zelebriert, der eher an einen Konzertsaal oder ein Kino
erinnert. Natürlich mit optimalen Raumklima, das vom Computer überwacht wird.
Die Produktion
„Wer sagt denn, dass man guten Wein nicht in einem modernen Betrieb herstellen kann?“,
begegnet Gabriele Soldi skeptischen Blicken. Zum Beweis öffnet er eine Flasche San
Magorio, der die Kenner durchaus zu überzeugen weiß. Auch der junge Weinmacher, der auf
die Erfahrung eines international erfahrenen Kellermeisters vertraut, ist ein Verfechter der
neuen Qualitätsoffensive in der Romagna: „Wir setzen nicht mehr auf Massenware, sondern
auf hochwertige Produkte.“ Die Marktchancen von Campodelsole sieht er denn auch
optimistisch: „Sie werden noch viel von uns hören.“
JOACHIM STERZ