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Zeitschrift des
Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen
Mai 2011
5
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Inhalt
63. Jahrgang
Mai 2011
Zeitschrift des
Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen
Heft 5
BLBS-AKTUELL
Baden-Württemberg:
Margarete Schaefer neue BLV-Vorsitzende
172
Sitzung des Bundeshauptvorstandes
– BLBS stark vertreten
145
Bayern:
Haushalt – Nullrunde bleibt
172
Tarifeinigung erreicht
149
NACHRICHTEN
173
THEMEN
PERSÖNLICHES
Felix Rauner
Wechsel im Vorstand des BIBB:
Friedrich Hubert Esser neuer Präsident
174
LITERATUR
175
Parallele Bildungswege – eine durchlässige
Architektur für den beruflichen Bildungsraum:
Thesen
149
Hilmar Grundmann
Fehlende Bildungsidee als wichtigste Ursache
für kritische Entwicklungen in unserem Bildungsbzw. Ausbildungssystem
152
Georg Rothe
Zur Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung in
Deutschland
157
UNTERRICHT
Lehrerinnen und Lehrer an
beruflichen Schulen unterrichten
ideenreich und innovativ.
Manuel Diegmann, Christian Czybulka
Berufs- und schulformübergreifender
projektorientierter Unterricht in der
beruflichen Erstausbildung
165
Machen Sie Ihre Erfahrungen für
Kolleginnen und Kollegen zugänglich:
In der Rubrik
„Unterricht“ der BbSch
NACHRICHTEN AUS DEN LÄNDERN
Bayern / Baden-Württemberg:
Vereinbarung unterzeichnet
Aus der Praxis
für die Praxis
172
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
143
Impressum
Die berufsbildende Schule
Zeitschrift des Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen
Schriftleitung:
Aufsätze (Themen, Unterricht), Diskussion, Literatur – Geschäftsführung:
Professor Dr. Andreas Schelten
Lehrstuhl für Pädagogik, Technische Universität München,
Lothstraße 17, D-80335 München
Telefon (0 89) 28 92 42 77, Fax (0 89) 28 92 43 13
E-Mail: [email protected]
http://www.paed.edu.tum.de
Berichte, Nachrichten, Recht, Veranstaltungen, Persönliches:
Oberstudiendirektor Heiko Pohlmann
Kapellenstraße 82, D-82239 Alling
Telefon (0 81 41) 81 85 24, Fax (0 81 41) 5 37 24 05
E-Mail: [email protected]
Autoren/Autorinnen dieses Heftes:
Rauner, Felix, Dr., Prof., FG Berufsbildungsforschung (i:BB), Universität Bremen, FB 1, Leobener Straße, 28359 Bremen,
E-Mail: [email protected]
Grundmann, Hilmar, Dr., Prof. (em.), Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft, Institut für Didaktik
der Sprachen, Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg, E-Mail: [email protected]
Rothe, Georg, Prof., Ordinarius für Berufspädagogik (em.), Universität Karlsruhe (TH), Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Leiter der Projektgruppe Vergleichende Berufspädagogik, Calmbacher Straße 26, 75328 Schömberg,
E-Mail: [email protected]
Diegmann, Manuel, StR, Dipl.-Ing. (FH), Dipl.-Berufspäd., BBS-ME der Region Hannover, Otto-Brenner-Schule,
Lavesallee 14, 30169 Hannover, E-Mail: [email protected]
Czybulka, Christian, StR, Dipl.-Ing. (FH), Dipl.-Berufspäd., BBS-ME der Region Hannover, Otto-Brenner-Schule,
Lavesallee 14, 30169 Hannover, E-Mail: [email protected]
Pohlmann, Heiko, OStD, Kapellenstraße 82, 82239 Alling, E-Mail: [email protected]
Bonz, Bernhard, Dr., Prof., Paracelsusweg 17, 75378 Bad Liebenzell, E-Mail: [email protected]
Hümmer, Robert, B. A., Pfeuferstraße 10, 96047 Bamberg, E-Mail: [email protected]
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers oder der Schriftleitung wieder.
Offizielle Äußerungen des Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen werden als solche gekennzeichnet.
Herausgeber:
Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS), Geschäftsstelle: Friedrichstraße 169/170,
10117 Berlin, Telefon (0 30) 40 81-66 50, Fax (0 30) 40 81-66 51, Internet: www.blbs.de, E-Mail: [email protected]
Vorsitzender: Oberstudiendirektor Berthold Gehlert, E-Mail: [email protected]
Verlag:
dbb verlag GmbH, Friedrichstraße 165, 10117 Berlin, Telefon (0 30) 7 26 19 17-0, Sparkasse Köln/Bonn, Konto 21 006
903, Commerzbank Berlin, Konto 073 399 800. Versandort: Geldern. Auflieferort: Duisburg.
Herstellung und:
Anzeigenverwaltung
dbb verlag GmbH, Friedrichstraße 165, 10117 Berlin, Internet: www.dbbverlag.de, E-Mail: [email protected].
Anzeigenverkauf: dbb verlag gmbh, Mediacenter, Dechenstr. 15 A, 40878 Ratingen. Christian Hollenbeck, Telefon
(0 21 02) 7 40 23-7 13, Fax (0 21 02) 7 40 23-99 Anzeigenschluss: 6 Wochen vor Erscheinung. Druckauflage: 20.000 Exemplare
Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 48, gültig ab 1. 10. 2010. ISSN 0005-951X.
Erscheinungsweise
Die Zeitschrift erscheint 10-mal jährlich. Bezugspreis jährlich 32,90 Euro, Einzelheft 3,60 Euro, jeweils zuzüglich Porto.
und Bezug:
Bestellungen bei Buchhandlungen oder dbb verlag GmbH, Friedrichstraße 165, 10117 Berlin.
Für Mitglieder des Bundesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Abonnementskündigungen müssen bis zum 10. Dezember beim dbb verlag GmbH, Friedrichstraße
165, 10117 Berlin, eingegangen sein, sonst muss der Bezugspreis für das nächste Jahr bezahlt werden.
Einsendungen:
Manuskripte und Leserzuschriften zu den Rubriken der Zeitschrift sind an den jeweiligen Schriftleiter zu senden.
Unaufgefordert eingesandte Bücher werden nicht zurückgeschickt.
Zum Titelbild:
Siehe den Beitrag „Berufs- und schulformübergreifender projektorientierter Unterricht in der beruflichen Erstausbildung“, S. 165 ff.
(Gestaltung des Titelbildes: Jutta Köhler)
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Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
BLBS-aktuell
>
BLBS-aktuell
Sitzung des Bundeshauptvorstandes
BLBS stark vertreten
Bei den 16. Hochschultagen Berufliche Bildung, die vom 23.
bis 25. März 2011 in Osnabrück stattgefunden haben, war
der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) stark vertreten. In einem eigenen Workshop und bei weiteren Fachtagungen waren Vertreter des
Bundesvorstands als praxiserfahrene Referenten gefragt.
Unter dem Motto: „Übergänge in der Berufsbildung nachhaltig gestalten: Potenziale erkennen – Chancen nutzen“
fanden unter der Federführung des Instituts für Erziehungswissenschaft, Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik, diese von ca. 1.500 Teilnehmern sehr gut besuchten Hochschultage statt. Dabei stand bei der Eröffnungsveranstaltung das Problem des weithin bekannten Übergangssystems von allgemeinbildenden Schulen in die Berufsausbildung besonders im Rampenlicht. Der diesjährige
Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) und Kultusminister von Niedersachsen, Dr. Bernd Althusmann, wies
darauf hin, dass die von der Bertelsmann-Stiftung errechneten 6 Milliarden Euro, die jährlich in die 60 verschiedenen
Programme des Systems fließen, effizienter eingesetzt werden müssten. Im Jahre 2009 haben nach einer gerade vorgelegten Studie der Gütersloher Bertelsmann Stiftung
380.000 Jugendliche an solchen Maßnahmen teilgenommen. Die Wirtschaftsverbände und die Bundesregierung haben deshalb den Ausbildungspakt von 2010 bis 2014 verlängert, um Jugendlichen, die Schwierigkeiten beim Übergang in die Ausbildung haben, mit einer verbesserten Berufsorientierung zu helfen, indem sie ihnen Praktika anbieten und sie intensiver fördern.
In vielen Fachtagungen und Workshops wurden diese Probleme aufgegriffen und Lösungsansätzen im Sinne von
„Good-Practice-Beispielen“ vorgestellt und diskutiert.
Ziele des BLBS
Der BLBS hatte in einem dafür vorbereiteten Workshop ein
weiteres grundsätzliches Übergangsproblem in den Vordergrund gerückt, das die Struktur unseres Bildungssystems betrifft. Hierbei ging es um die sich abzeichnende Abkehr von
der strikten Segmentierung mit den weitestgehend unabhängigen institutionellen Säulen zu Gunsten von bildungsbereichsübergreifenden Perspektiven. Für den BLBS ist es
wichtig, dass Qualifikationen, die an beruflichen Schulen
oder bei einer beruflichen Tätigkeit erlangt worden sind, an
den Hochschulen anerkannt werden. Hier muss mit Blick in
die Zukunft die Legitimation und Sinnhaftigkeit dieser institutionell vorgegebenen Übergänge sowie das Übergangsmanagement untersucht und verbessert werden. Damit kann nach Meinung des BLBS ein von der Wirtschaft und
der Allgemeinheit immer wieder geforderter Wunsch in die
Tat umgesetzt werden, indem die Gesamtausbildungszeit
Interessierte Zuhörer der Eröffnungsveranstaltung: v. l. Prof. Dr. Günter Pätzold,
Berthold Gehlert (beide BLBS).
aus Schulzeit an allgemeinbildendenden Schulen, Lehre und
Studium gewaltig verkürzt wird.
Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen
Berufsbildung und Hochschulbildung im
Kontext von Reformkonzepten
Mit dieser Thematik befasste sich der Workshop des BLBS,
zu dem hochinteressierte und diskutierfreudige Teilnehmer
erschienen waren. Sehr gut konnte gezeigt werden, dass die
vorgestellten theoretischen Grundlagen schon in einigen
wenigen praktischen Beispielen umgesetzt werden konnten. Weitere sollten folgen, vor allem aber muss eine pauschale Anrechnungsmöglichkeit erarbeitet werden, die für
alle Hochschulen bundesweit gleichermaßen gilt, so die Forderung des BLBS. Hier wird nur ein kurzer Überblick über die
einzelnen Beiträge gegeben, eine ausführliche Broschüre
mit allen Statements folgt demnächst.
Einleitung
Der Bundesvorsitzende des BLBS, Berthold Gehlert, wies in
seiner Eröffnung darauf hin, dass die Wege zur Hochschulzugangsberechtigung über die beruflichen Schulen als klar
strukturierte und auch anerkannte Wege zur Fachhochschule und Universität bezeichnet werden könnten. Es sei in
der Allgemeinheit allerdings immer noch zu wenig bekannt,
dass auf diesem Weg bundesweit fast 40 % der Hochschulzugangsberechtigungen erworben würden.
Es gäbe zwar schon jetzt Kooperationen zwischen beruflicher und Hochschulbildung mit verschiedenen festgelegten
Vereinbarungen, auch gäbe es eine Anerkennung der erworbenen Qualifikationen, dies sei aber noch nicht allgemein institutionell geregelt. Hier seien Reformkonzepte gefragt. Als Schwerpunkt des Workshops sollten deshalb vor
allem Wege an die Hochschule dargestellt werden, die als
Verschränkung von allgemeiner und beruflicher Bildung zu
verstehen sind. Aus Sicht des BLBS sei es wichtig, dass bei
allem Bemühen um attraktive Übergänge von der Berufs-
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BLBS-aktuell
bildung in den Hochschulbereich die weiterführenden beruflichen Schulen als eigenständige, arbeitsmarktgängige
Bildungseinrichtungen erhalten blieben. So werde dabei
auch deutlich, dass die Fachschulen im und nicht für den Tertiärbereich qualifizierten. Dessen ungeachtet, müsse der
Übergang von der Berufsbildung in den Hochschulraum von
Hindernissen befreit werden.
Berufliche Bildung im Umbruch
Der Experte des BLBS für die Lehrerbildung, Prof. Dr. Günter
Pätzold, von der Universität Dortmund machte deutlich,
dass die Hochschulrektorenkonferenz unter der Leitung ihrer Präsidentin, Prof. Margret Wintermantel, anlässlich der
Vorstellung des 11. Studierendensurvey festgestellt habe,
dass 80 % der Studenten angeben, dass sie im Studium
Selbstständigkeit sowie die Fähigkeit, Probleme zu analysieren und zu lösen, lernen. Hingegen sei diese Kompetenz
als Teil der Handlungskompetenz nach den Vorgaben der
Kultusministerkonferenz (KMK) schon seit 1991 – also vor
20 Jahren – als Grundlage in der beruflichen Bildung eingeführt worden. Die berufliche Bildung sei also hier mal wieder Vorreiter gewesen.
In seiner systematischen
Einordnung stellte Pätzold
fest, dass es bis in die
1990er-Jahre eine Abwehr
gegen Studierende ohne
Abitur gegeben habe, heute aber eine weitgehende
Öffnung des Hochschulzugangs erreicht worden sei.
Auch sei die Durchlässigkeit
des Bildungsweges von der
beruflichen Bildung oder
beruflichen Tätigkeit mit
Prof. Dr. Günter Pätzold
vielen sinnvollen Begründungen gegeben. Sie müsse
aber noch erheblich verbessert werden, indem z. B. die Hürden für die Anrechnung abgesenkt werden oder Studienmodelle entwickelt werden, bei denen Beruf und Studium
sinnvoll verquickt werden können.
Vorgaben der KMK
Obwohl die KMK schon in Beschlüssen zur Hochschulzugangsberechtigung aus den Jahren 2002 und 2008 und zuletzt 2009 festgelegt hat, dass diese Durchlässigkeit gegeben ist und forciert werden soll, gibt es immer noch unterschiedliche Regelungen, hat sich auf diesem Gebiet viel zu
wenig getan. Nach den Beschlüssen der KMK von 2002 und
2008 können bis zu 50 % eines Hochschulstudiums außerhalb des Hochschulwesens erworben und pauschal anerkannt werden. Nur richte sich kaum eine Hochschule danach. Erst in jüngster Zeit gibt es Beispiele für Anrechnungsmöglichkeiten, die aber kaum das Kontingent von
50 % ausschöpfen. Zu beachten sei aber, dass die Hochschule
ihr Studium modularisiert habe, die beruflichen Schulen ihre Bildungsgänge hingegen nicht. Dazu müssten die Kompetenzprofile der FH-Module mit den Inhalten der Lehrpläne, deren Lernbreite und -tiefe abgeglichen werden. Daraus
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lasse sich dann festlegen, welche Inhalte teilweise oder vollständig angerechnet werden könnten oder zu welchen Modulen noch Brückenkurse notwendig seien.
Zu beachten sei, so Pätzold, dass inzwischen – mit Studien
belegt – jeder 4. Student eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen könne. Während lange Zeit die Studienberechtigung hauptsächlich über das Gymnasium erworben worden sei, nunmehr aber zunehmend über berufliche
Schulen, sei die Studierneigung heute eine Frage der individuellen Kompetenz geworden. So stehe heute deutlich im
Vordergrund, die berufliche Handlungskompetenz zu erlangen und dazu gäbe die Europäisierung mit dem BolognaProzess und dem Europäischen Qualifikationsahmen (EQR)
oder dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) mit seinem lebenslangen Lernen die entsprechenden Vorgaben.
Formales, non-formales und informelles Lernen stehe nun
im Vordergrund.
Unter den Personen, die sich im Zusammenhang mit einer
absolvierten Berufsausbildung bzw. Berufstätigkeit in einem akademischen Studium befinden, unterschied der Referent drei Typen:
– Studienberechtigung vor der Berufsausbildung: über
duale Studiengänge,
– Studienberechtigung mit der Berufsausbildung: über
doppelqualifizierende Bildungsgänge und
– Studienberechtigung nach der Berufsausbildung: über
Abendgymnasien, Kollegs, Fach- oder Fachoberschulen
oder besondere hochschulrechtliche Zulassungsverfahren.
Forderung: Anrechnungsverfahren verbessern
Wichtig, so die Forderung von Prof. Pätzold ist aber, dass die
Hochschulen sich den Beschlüssen der KMK weiter öffnen,
die Anrechnungsverfahren verbessern, indem sie nicht nur
pauschal erlangte Qualifikationen anrechnen, sondern diese durch individuelle ergänzten. Dabei verwies der Referent
auf die Initiative des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) zur Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge (ANKOM-Initiative), zugleich sei es aber auch wichtig, dass die Hochschulen ihre
Didaktik auf Berufstätige umstellen, Nutzenorientierung
und Projektarbeit oder Fallstudien in den Vordergrund stellen. Diese Lernformen sind den Studierenden aus den Zubringerschulen, den beruflichen Schulen, längst bekannt.
Ziel müsse es aber immer sein, die Potenziale der Schüler/
Studierenden zu stärken, die Kooperation der Bildungseinrichtungen untereinander zu stärken und die Abschlüsse
auszubauen.
Bilaterale Kooperation: Deutschland – Schweiz
Der stellvertretende Bundesvorsitzende des BLBS, Hans Lehmann, erläuterte in Anwesenheit von Herrn Schlatter als Vertreter für den erkrankten Prof. Andreas Hurst von der Hochschule in Biel/Bern als „Good-Practice-Beispiel“ die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Friedrich-WeinbrennerGewerbeschule in Freiburg und der Berner Fachhochschule
für Architektur, Holz, Bau in der Schweiz.
BLBS-aktuell
Verkürzung der Ausbildungszeit
Bei dem Projekt gehe es insbesondere darum, die Ausbildungszeit an der Berufsschule und Hochschule zu verkürzen, indem bereits erworbene Kenntnisse, Fertigkeiten und
Kompetenzen an der Hochschule gerechter als bisher berücksichtigt würden. Hier sei auch auf die gerade erschienene OECD-Neuerscheinung „Quality Time for Students:
Learning In and Out of School“ hingewiesen, in der die Frage untersucht wird, ob die Gesamtausbildungszeit länger
oder kürzer sein sollte.
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem
Jahre 2008 und die gemeinsame Empfehlung des Bundesbildungsministeriums
(BMBF), der Kultusministerkonferenz (KMK) und der
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vom 07.08.2008,
weisen deutlich darauf hin,
dass im Rahmen der beruflichen Fortbildung für
durch Prüfungen nachgeHans Lehmann
wiesene Qualifikationen
ECTS-Punkte vergeben werden, die bei Aufnahme eines Studiums angerechnet werden
können. Diese Empfehlung hätten beide Bildungseinrichtungen als Auftrag verstanden und damit die Studienzeit an
der Hochschule auf zwei Jahre verkürzt.
Eigentlich dauert der Bildungsgang an der Akademie für Betriebsmanagement in der Fachrichtung Holztechnik/Schreiner an der Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule allein
schon zwei Jahre, führt über die Meisterstufe und Fachstufe zum „Staatlich geprüften Betriebsmanager“ und schließt
die Fachhochschulreife ein. Der „Bachelor of Science in Wood
Engineering“ (Holztechnik) kann dann an der Hochschule
Biel/Bern erworben werden, wobei die Hochschule den Abschluss der Akademie mit 60 ECTS-Punkten auf das dann
zweijährige Bachelor-Studium anrechnet.
Fasst man jetzt den gesamten Bildungsgang zusammen, so
– bilden sich die Gesellen/-innen zunächst in einem Jahr an
der Meisterschule in Freiburg zum Schreinermeister weiter,
– erwerben dann in einem weiteren Jahr an der Akademie
ebenfalls in Freiburg neben dem staatlich geprüften Abschluss die Fachhochschulreife und
– erreichen dann in Biel/Bern in zwei weiteren verkürzten
Jahren den Abschluss „Bachelor of Science in Wood Engineering“.
Wichtig und neu hierbei ist, dass die Studierwilligen gleich
nach Beginn ihrer Ausbildung an der Friedrich-WeinbrennerGewerbeschule durch eine enge Kooperation mit der Hochschule Biel/Bern die Inhalte der Module in Mathematik/Physik/Chemie/Englisch und Deutsch kennen lernen und sich
durch Eigeninitiative auf das Niveau der Hochschule bringen können. Durch Selbsteinschätzung ihrer zusätzlich er-
worbenen Kenntnisse und Kompetenzen bewerben sie sich
mit einem gemeinsam entwickelten Selbsteinschätzungsbogen in Biel/Bern. Danach erfolgt die Überprüfung und Anerkennung durch die Hochschule.
Duales Studium Elektrotechnik
Im Rahm des Verbundstudiums „hochschule dual“ in
Bayern kann z. B. an der
Hochschule Coburg, der
Staatlichen Berufsschule I in
Bamberg und in Verbindung
mit Ausbildungsbetrieben
der IHK Coburg und Bayreuth ein duales Studium
durchgeführt werden. Dieses Studium stellten Prof. Dr.
Micheal Rossner von der
Hochschule und Martin
Kriesten von der Berufsschu- Prof. Dr. Michael Rossner
le in Bamberg als weiteres
„Good-Practice-Beispiel“ vor. Dabei arbeiten die drei Institutionen, die an der Ausbildung beteiligt sind, sinnvoll und effektiv zusammen. Es sind dies der Ausbildungsbetrieb, die
Berufsschule und die Hochschule, da die Ausbildungszeiten
und -inhalte gut miteinander verknüpft werden müssen.
„hochschule dual“
In Bayern bieten insgesamt 20 Hochschulen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Berufsschulen diesen dualen Verbundstudiengang an. Ganz wichtig sei trotz aller guter Kooperation, dass beide Bildungseinrichtungen ihren eigenständigen Bildungsauftrag erhalten müssten, die gleichwertig aber andersartig seien, so die beiden Referenten.
Für die Bereitstellung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes
sind allein die Betriebe zuständig, die an dem Modell teilnehmen. Das Verbundstudium schließt zunächst das Bestehen einer IHK-Abschlussprüfung nach verkürzter 2- oder regulärer
3 ½-jährigen dualen Ausbildung ein. Dafür wird die branchenübliche Ausbildungsvergütung gezahlt. Die Zulassung zum
Studium erfolgt wiederum durch die Hochschule, die den Studierenden zusätzliche Studienplätze für das Studium zuweist.
Für die verbleibende Studien- und Praktikumszeit erhalten die
Studierenden in der Regel ein Stipendium.
Der zeitliche Ablaufplan beinhaltet im ersten Ausbildungsjahr eine vollständig duale Ausbildung im Betrieb und an der
Berufsschule. In den weiteren vier Ausbildungsjahren sind
die sieben Semester Hochschulstudium, die weitere duale
Ausbildung und betriebliche Praxis in zeitlich sinnvollem
Aufbau untergebracht.
Duale Studiengänge
Insgesamt ist festzustellen, dass duale Studiengänge bei
den Arbeitgebern und Studierenden immer beliebter werden. Das Angebot ist im vergangenen Jahr um 12,5 % angestiegen. Damit lag die Steigerung um mehr als das Dreifache höher als im Vorjahr, während die Zahl der beteiligten
Unternehmen um rund 9 % und die Zahl der Studierenden
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BLBS-aktuell
um mehr als 6 % zunahm. Spitzenreiter waren die allgemeinen Ingenieurwissenschaften mit einem Plus von
23,5 %. Die Zahl der Studierenden in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) nahm
im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel zu. Das BIBB-Projekt „AusbildungPlus“ enthält eine Datenbank, die über
duale Studiengänge und Zusatzqualifikationen bei dualen
Studiengängen informiert (www.ausbildungplus.de).
Erzieher/-innen-Ausbildung an Fach- und
Hochschulen
Mit der bundesweiten Problematik der Erzieher/-innen-Ausbildung
befasste
sich die stellvertretende Direktorin der Stiftung „Sozialpädagogisches Institut Berlin, Walter May‘“, Dr. Birgit
Hoppe. An deren Institutionen wird zwischen Studierenden im Vollzeitstudium
und Teilzeitstudium unterschieden. Während an den
Berufsschulen von LernsituaDr. Birgit Hoppe
tionen und Fallstudien ausgegangen wird, können die
Studierenden an den Fachschulen an ca. 500 Kooperationen mit
ausländischen Institutionen Auslandspraktika absolvieren.
Sie plädiere für eine wechselseitige, bildungsunabhängige Anerkennung erworbener Qualifikationen zwischen Fachschulen
und Hochschulen, so Hoppe. In ihren Einrichtungen, den Fachschulen für Erzieherinnen und für Heilpädagogik, den Berufsfachschulen für Altenpflege und in ihren Schulen der Weiterund Fortbildung stehe im Rahmen der sozialen Arbeit auch immer besonders die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund.
In diesem Zusammenhang wünschte sie sich unter anderem, dass
– jeder Schüler so schnell oder so langsam sein kann, wie
er will,
– jede Bildungsinstitution die Lerngeschwindigkeit der Lernenden selbst verantworten und gestalten kann,
– jede Bildungsinstitution Prüfungsabläufe und Zeitpunkte auf den Einzelfall bezogen gestalten und zusammenstellen kann,
– jede Bildungsinstitution Prüfungsbestandteile für den jeweiligen Beruf, auf der Basis klar definierter Erwartungsstandards, festlegen kann und was an Kompetenzen
nachzuweisen ist.
Das könne und müsse alles so geschehen, da die Lehrenden
in allen Bildungseinrichtungen gut ausgebildet seien und
kompetent und professionell arbeiten würden.
Fazit des BLBS-Workshops
Fasst man die Ergebnisse des BLBS-Workshops zusammen,
so ist festzustellen, dass eine verbesserte Durchlässigkeit
zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung immer dann
zu erreichen ist, wenn die Partner sich zusammenfinden und
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gemeinsam und kreativ nach sinnvollen und für alle Beteiligten durchführbaren Lösungen suchen. Alle beteiligten Institutionen müssen aber dabei darauf achten, ihren eigenen
Bildungsauftrag zu erhalten. Damit diese Zusammenarbeit
nicht auf Einzelfälle beschränkt bleibt, fordert der BLBS, dass
pauschale Anrechnungsmöglichkeiten erarbeitet werden.
Weitere Beiträge von
Mitgliedern des BLBS
Fachtagung Körperpflege
Bei der Fachtagung Körperpflege, die unter der Leitung von
Prof. Britta Wulfhorst von der Universität Osnabrück, Fachbereich Humanwissenschaften stattfand, stellte der stellvertretende Bundesvorsitzende H.-H. Wilke zum Thema
„Übergänge Schule – Ausbildung – Beruf“ fest, dass die Entscheidung für den weiteren Bildungsweg vorrangig durch
den erreichten schulischen Abschluss bestimmt wird. Im
Rahmen der Fachtagung betrachtete Wilke den Übergang
von der Ausbildung in den Beruf unter dem Aspekt der Friseurausbildung, wobei Teilnehmer der Fachtagung noch interessante Eindrücke gewinnen konnten.
So gehen ca. 20 % der Schulabgänger aus dem allgemeinbildenden Schulsystem mit allgemeiner Hochschulreife in eine
berufliche Ausbildung. Die übrigen nähmen ein Studium auf,
so Wilke. Zu dem Kreis der Absolventen, die ein Hochschulstudium aufnehmen, trägt das berufsbildende Schulsystem
in Deutschland mit jährlich mehr als einem Drittel bei. Jährlich wechseln aber auch über eine halbe Million der Schulabgänger des allgemeinbildenden Schulsystems an eine berufsbildende Schule und nehmen dort die Angebote der vollschulischen Berufsvorbereitung oder Ausbildung wahr.
In ihrem Referat „Übergänge ohne Grenzen – Friseurausbildung in Europa“ berichtete die Bundesgeschäftsstellenleiterin des BLBS, Dr. Kathrin Urban, über den Ausbildungsberuf
des Friseurs in den Ländern Finnland, Deutschland, Dänemark und Polen. Dabei wies sie auf Probleme, aber auch auf
Gemeinsamkeiten hin. Auch wurde über die europäischen
Instrumente zur Durchlässigkeit und Transparenz des Ausbildungsberufes, wie den EuroPass, das Leonardo-da-VinciProjekt, den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und
Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) diskutiert. Unterstützt wurde sie durch Referenten wie Rainer Röhr, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks in Köln, Siegward Schneider von der Handwerkskammer Osnabrück und Henning Wilke, die bei der Fachtagung mit weiteren interessanten Referaten vertreten waren.
Fachtagung Pflege
In ihrem Referat „Die Pflegerinnenausbildung – Anpassung an
funktionale Bildungswege“ konnte die Expertin des BLBS für
Gesundheits- und Sozialwesen, Elke Martin, einen Beitrag zum
Thema leisten, indem sie die Pflegerinnenausbildung aus pflegedidaktischer Perspektive darlegte. Dazu hielt sie sich an die
derzeit bestehende Ausbildung im Freistaat Sachsen.
Heiko Pohlmann
BLBS-aktuell/Themen
Tarifeinigung erreicht
Nach schwierigen Verhandlungen einigten sich die Vertreter der Gewerkschaften mit der Tarifgemeinschaft deutscher
Länder (TdL) am 10. März 2011 in Potsdam auf folgende Einkommensverbesserungen:
– bis 31. Mai 2011 Einmalzahlung von 360 Euro
– ab 1. April 2011 Erhöhung um 1,5 %
– ab 1. Januar 2012 Erhöhung um 1,9 % sowie anschließend um 17 Euro
– Laufzeit bis mindestens 31. Dezember 2012
Nun sind die Landesregierungen gefordert, denn es gilt die ausgehandelten Ergebnisse der Einkommensrunde 2011 zeitnah auf den Beamtenbereich zu übertragen!
Öffnungsklausel zur Altersteilzeit
Die Länder haben im Rahmen des Altersteilzeitgesetzes künftig die Möglichkeit, auf landesbezirklicher Ebene Regelungen zur Altersteilzeit zu vereinbaren.
Entgeltordnung zum TV-L kommt zum 1. Januar 2012 –
Tarifliche Eingruppierung der Lehrer bleibt weiter offen
– Dass es in Potsdam zu keiner tariflichen Eingruppierung der Lehrerinnen und Lehrer kam, ist aus Sicht des BLBS auch
darauf zurückzuführen, dass Einkommensrunde 2011 und Lehrerentgeltordnung nicht getrennt verhandelt wurden.
Jetzt gilt es, die noch offenen Fragen tatkräftig anzugehen. Insbesondere die Bezahlung der vielen Seiteneinsteiger an
staatlichen berufsbildenden Schulen ist zum Teil ungerecht und der Willkür der Arbeitgeber überlassen. Dies muss geändert werden.
– Ab 1. Januar 2012 können aber dazu in den Ländern eigenständige Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt werden.
BLBS
>
Themen
Felix Rauner
Parallele Bildungswege – eine durchlässige
Architektur für den beruflichen Bildungsraum:
Thesen
Die folgenden Thesen sind in einem thematischen Zusammenhang zu einem Workshop des BLBS zu sehen über: Wann und
wo beginnt Studieren? – Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung im Kontext von Reformkonzepten, BLBS-aktuell in dieser Ausgabe, S. 145
1 Die Einschätzungen zum Fachkräftebedarf gehen auseinander – vor allem was den Bedarf an hochqualifizierten
Fachkräften betrifft. Auf der Basis einer international standardisierten Methodik gibt die OECD-Statistik ein realistisches Bild dazu wieder (Abb. 1 auf S 150). Der Anteil der Beschäftigungsverhältnisse für Hochqualifizierte liegt im
OECD-Durchschnitt bei 19 % mit einer erstaunlich geringen
Varianz zwischen den Ländern.
2 Alle Versuche, auf dem Weg der Steuerung der Bildungsströme die Bildungssysteme an die Beschäftigungsstrukturen anzupassen, das Bildungsangebot und die vermeintliche Qualifikationsnachfrage aufeinander abzustimmen, sind gescheitert und zwar sowohl auf volkswirtschaftlicher als auch auf betriebswirtschaftlicher Ebene.
Der Ausweg, den Daniel Bell mit seinem Buch „The coming
of post-industrial society“ gewiesen hat (1973), basiert auf
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Parallele Bildungswege
Abb. 1: Beschäftigungsverhältnisse mit hohem Anforderungsprofil (ISCO 1-3) und tertiäre Bildungsabschlüsse in der Bevölkerung zwischen 25 und 64.
der These, dass das neue axiale System das wissenschaftliche (theoretische) Wissen sei. Darum drehe sich zukünftig
nicht nur die ökonomische und technologische, sondern
auch die kulturelle Entwicklung. Die Akademisierung der
Bildung ist die Konsequenz, die sich aus dieser These ergibt.
Das Konzept der „hochschulischen Bildung für alle“ („College for all“) ist jedoch in eine Sackgasse geraten. Länder
wie Australien, die USA und zunehmend auch China müssen entweder sehr viele Hochschulabsolventen umschulen
oder sie richten in den Hochschulen unterhalb des Bachelor-Niveaus ein- und zweijährige berufliche Bildungsgänge
ein. Mittlerweile haben ca. 40 % der im intermediären Sektor Beschäftigten in den USA einsemestrige „some-college“-Studien absolviert (z. B. Marriage Arrangement,
Home & Gardening, Colorado Excursion). Die negativen
Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft ist ebenso nachgewiesen wie der Zusammenhang
zwischen der „College for all“-Politik und der Deindustrialisierung in den USA.
– Jedes der drei Qualifikationsniveaus (Facharbeiter, Meister/Techniker, Master) führt zur Berufsfähigkeit. Dieses
Kriterium zeichnet den dualen Bildungsweg aus. Die Erkenntnis, dass man jeden Beruf zuletzt praktisch erlernen
muss, findet in dualen beruflichen Bildungsgängen ihren
Niederschlag. Daher schließen sich an eine schulische
oder hochschulische berufsbezogene Bildung zwangsläufig Phasen geregelter (oder auch ungeregelter) mehrjähriger Einarbeitungszeiten in einen Beruf an.
– Das zweite charakteristische Merkmal des dualen beruflichen Bildungswegs ist das Ausbildungsziel, die Fähigkeit berufliche Aufgaben vollständig zu lösen. Präziser
spricht man vom Konzept der holistischen Aufgabenlösung (Abb. 2). Dieses Ausbildungsziel ergibt sich aus den
objektiven Gegebenheiten der Arbeitswelt: Beruflich
Qualifizierte müssen stets eine situativ überzeugende Lösung finden, unter Abwägung miteinander konkurrierender Kriterien wie z. B. eine hohe Funktionalität bei erschwinglichen Kosten.
3 Die Alternative zur Akademisierung der Bildung und zur
Steuerung der Bildungsströme ist daher eine Bildungssystem-Architektur mit parallelen Bildungswegen. Die tragenden Säulen dieser Architektur sind
– eine wissenschaftliche Bildung, bei der darauf zu achten
ist, dass die Zugangsvoraussetzungen (die Studierfähigkeit für wissenschaftliche Fächer) nicht abgesenkt werden;
– ein durchgängiger, dualer Bildungsweg, von der Ausbildung zum Facharbeiter, darauf aufbauenden dualen
Weiterbildungsmöglichkeiten zum Meister und Techniker und entsprechender Fachkräfte für den Dienstleistungssektor bis zu berufsbegleitenden dualen MasterStudiengängen für Meister und Techniker.
4 Die charakteristischen Merkmale des durchgängigen
dualen Bildungswegs sind:
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Abb. 2: Die Kriterien der vollständigen (holistischen) Lösung beruflicher Aufgaben.
Themen
5 Die große Bedeutung des
wissenschaftlichen
Wissens resultiert dagegen aus
dem Prinzip der Disziplinarität. Bei einem Physiker, der
sich z. B. mit den Verwirbelungseffekten an Flugzeugtragflächen auskennt,
kommt es darauf an, dass er
auf diesem Spezialgebiet
forschend und studierend
neue Erkenntnisse gewinnt,
die dann in das Ingenieurwissen hinein diffundieren.
Der Forschung und Lehre in
einem immer verzweigteren Wissenschaftssystem
verdanken wir den exponentiellen Zuwachs an neuem Wissen.
Abb. 3: Durchgängiger dualer beruflicher Bildungsweg.
6 Zwischen diesen beiden Bildungswegen – dem akademischen und beruflichen – gibt es eine Vielzahl von Bildungsgängen, in denen beide „Wissenstraditionen“ angelegt sind.
Dies gilt z. B. für Berufsakademien, betont berufsbezogene
fachhochschulische Bildungsgänge und die Versuche, an
Universitäten interdisziplinäre Forschung und Lehre zu
etablieren. Die Grundlage der Interdisziplinarität bleibt jedoch das disziplinäre Wissen.
7 Das bildungspolitische Dilemma bei der Realisierung von
Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung besteht darin,
– dass das Ziel der Realisierung einer höheren Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung
zwar richtig identifiziert wurde, da nur so das dynamische
Zusammenspiel zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem realisiert werden kann,
– dass jedoch die internationalen Leitbilder und Klassifikationssysteme in der Form der Normierung von Bildungsabschlüssen und Qualifizierungsniveaus (wie ISCET oder
der EQR) dem entgegenstehen. Alle internationalen Skalen der Einordnung von Qualifikationsniveaus und Bildungsabschlüssen sind eindimensional angelegt und definieren die höhere Bildung als akademische/wissenschaftliche Bildung und ordnen die nicht-akademische
berufliche Bildung den unteren Skalenwerten und Niveaustufen zu. Dies ist wissenschaftlich unzulässig und
bildungspolitisch außerordentlich problematisch.
Die Konsequenzen sind:
– Anerkennungsverfahren (Anerkennung von beruflichen
Qualifikationen für das wissenschaftliche Studium), bei
denen aus guten Gründen die Anerkennungskriterien von
den Anforderungen des wissenschaftlichen Studiums abgeleitet werden.
– Meister und Techniker (sowie Fachkräfte mit vergleichbaren Qualifikationen) werden systematisch von der „höheren“ Bildung abgeschnitten. Alle Versuche, dieses Pro-
blem durch Anrechnungsverfahren oder das Absenken
der Zugangsvoraussetzungen für das Hochschulstudium
zu lösen, müssen entweder scheitern oder sie schwächen
beide Bildungstraditionen: die berufliche und die akademische.
8 Die naheliegende Konsequenz ist eine Architektur paralleler Bildungswege, die unter Berücksichtigung der multiplen Kompetenzen beruflich Qualifizierter angemessene
Weiterbildungswege bis auf das Niveau höchster Professionalität sicherstellt (Abb. 3).
Dazu gehören z. B. die folgenden Regelungen:
– Zulassen von Absolventen dualer Berufsausbildung aus
sog. ‚Abiturberufen’ zum einschlägigen Bachelor-Examen (z. B. Mediengestalter zum Bachelor-Examen für Medieninformatiker).
– Einführen des berufsbezogenen Fachabiturs, das parallel
zur dualen Berufsausbildung erworben werden kann. Zugleich empfiehlt es sich, nach dem Vorbild der Schweiz,
diese Qualifikation zur Voraussetzung für ein Fachhochschulstudium zu definieren.
– Die Dualisierung des Fachschulstudiums mit verstärkten
Möglichkeiten für eine Doppelqualifizierung (z. B. Meister/
Techniker).
– Einführung von dualen Master-Studiengängen für Meister/Techniker sowie entsprechend qualifizierte Fachkräfte.
9 Die Realisierung einer modernen Bildungssystem-Architektur mit einem durchgängig dualen Bildungsweg gelingt
umso besser, je eher sich europäische Länder miteinander
abstimmen, die über entwickelte Formen dualer Berufsausbildung verfügen bzw. ein Interesse daran haben, solche
Strukturen für den europäischen Wirtschafts- und Bildungsraum sowie den europäischen Arbeitsmarkt zu etablieren.
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151
Fehlende Bildungsidee
Hilmar Grundmann
Fehlende Bildungsidee als wichtigste Ursache
für kritische Entwicklungen in unserem
Bildungs- bzw. Ausbildungssystem
Ist der Mensch nur so viel wert wie sein betrieblicher Gebrauchswert? Eine Frage, die seit der Aufklärungsepoche immer
wieder gestellt wird, aber noch nie so aktuell war wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Und dies zu Recht, wie gleich eine
ganze Reihe von Entwicklungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich eindrucksvoll belegt. Muss also ein neuer Humboldt
her bzw. eine neue Debatte darüber, wie es um unser Bildungsverständnis bestellt ist, genauer, welches Menschenbild ihm
zu Grunde liegt und welches ihm zu Grunde liegen sollte? Um die Beantwortung dieser Frage geht es in diesem Beitrag vor
allem.
1 Wohin treibt unsere (Wirtschafts-)Gesellschaft oder wie viel wert ist der Einzelne?
Unter gesellschaftlichem Fortschritt versteht man gemeinhin die gesellschaftliche Weiterentwicklung im humanen
und demokratischen Sinn. Dabei spielen zwei Begriffe eine
zentrale Rolle, und zwar Solidarität und Selbstbestimmung,
d. h. an der Bereitschaft zur Solidarität – der Starken mit den
Schwachen, der Reichen mit den Armen, der Einheimischen
mit den Immigrierten (bzw. den Personen mit Migrationshintergrund) und den Chancen des Einzelnen, sein Leben
selbstbestimmt organisieren zu können, lässt sich ausmachen, wie es unter dem Aspekt von Humanität und Demokratie einer Gesellschaft bestellt ist.
Und wie ist es gegenwärtig unter diesem Aspekt mit unserer Gesellschaft bestellt? Zweifellos eine auf Anhieb nicht
leicht zu beantwortende Frage. Aber es gibt Indizien, die anzeigen, in welche Richtung sie offensichtlich treibt. Ein Indiz
ragt heraus. Auf jeden Fall erregt es wie kaum etwas anderes gegenwärtig die Gemüter, und dies zu Recht. Damit ist
die Reduktion des Menschen auf seinen Gebrauchswert
bzw. auf seinen unmittelbaren Nutzen für die betrieblichen
Produktionsprozesse gemeint; kurz: Nimmt man eine Reihe
von Entwicklungen zusammen, die sich vor allem im Bildungs- bzw. Ausbildungsbereich abspielen und nicht zuletzt
in der Arbeitswelt, dann scheint sich immer mehr folgende
Auffassung durchzusetzen: Der Mensch ist so viel wert, wie
er für den jeweiligen betrieblichen Produktionsprozess von
ökonomischem Wert ist, und keinen Deut mehr, oder auch:
Beschäftigte sind nichts anderes als Materialressourcen, als
Ware, als von Managern gemanagtes human capital und damit genau so zu behandeln wie jede andere Ressource, jede
andere Ware und jedes andere Kapital auch. Nun kann man
natürlich sagen: Na und, das war doch schon immer so.
Schließlich leben wir in einer Arbeits- und Berufsgesellschaft, also in einer Gesellschaft, in der der Beruf das Tor zur
Welt ist, d. h. in der der Einzelne gesellschaftlich das ist, was
er in der Arbeitswelt ist. Das ist ohne jede Einschränkung
richtig, aber richtig ist auch, dass diese Auffassung noch nie
so radikal durchgesetzt bzw. so sehr auf die Spitze getrieben
worden ist wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
152
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Zu den Entwicklungen, die dies eindrucksvoll belegen, gehören der Trend, die Dauer der schulischen und hochschulischen Bildungsgänge zu verkürzen bzw. zu beschleunigen
(Beschleunigungswahn), ferner die Ökonomisierung des
Unterrichts bzw. die Unterwerfung der Bildungs- und Ausbildungsgänge unter das ökonomische Nützlichkeitskalkül
(Verwertungswahn), die radikale Umkehr vom prozess- zum
ergebnisorientierten Unterricht (empirische Wende) bzw.
von der Input- zur Output-Orientierung, des Weiteren die
gesellschaftliche Ausgrenzung der Heranwachsenden, die
mangels ausreichend ausgebildeter kognitiver Fähigkeiten
bzw. wegen allgemeiner Lernschwäche nicht oder nur sehr
eingeschränkt dem Verwertungskreislauf zugeführt werden können, und nicht zuletzt die offensichtlich veränderte
Einstellung der Geschäftsführungen den Beschäftigten gegenüber, deren Auswüchse die aktuelle gesellschaftliche
Debatte wie kaum etwas anderes beschäftigen bzw. erregen. Dazu im Folgenden mehr, vor allem auch, worauf es
m. E. zurückgeführt werden muss, dass die Reduktion des
Menschen auf seine ökonomische Verwertbarkeit in jüngster Vergangenheit zum alles andere überragenden Maß betrieblichen Handelns geworden ist, auch wenn zur Zeit darüber gestritten wird, ob die bekannt gewordenen Fälle
(Deutsche Bahn, Telekom, Schlecker, KIK) symptomatisch,
d. h. Kommentare zu einer bestehenden Schieflage oder nur
Auswüchse dieser veränderten Einstellung über die Rolle
des Beschäftigten in den betrieblichen Produktionsprozessen sind.
2 Zu den jüngsten Entwicklungen im
Bildungs- und Ausbildungssystem
Zunächst zum Beschleunigungswahn, also zu dem Bemühen der für die Bildungspolitik Verantwortlichen, die Bildungsgänge an den weiterführenden allgemeinbildenden
Schulen und den Hochschulen um jeden Preis zu verkürzen.
Dafür steht zum einen die Reduzierung der gymnasialen Bildungsgänge von neun auf acht Jahre – und wären in Hamburg die Stadtteilschulen eingeführt worden, sogar auf
sechs Jahre – und zum anderen die Ersetzung der achtsemestrigen Diplomstudiengänge durch dreijährige BachelorStudiengänge. Die offizielle Begründung für diese Maßnah-
Themen
me, wie man sie in den entsprechenden Studien nachlesen
kann, z. B. im regelmäßig veröffentlichten „Bildungsmonitor“: Die Verbesserung der Zeiteffizienz, d. h. je kürzer die
Zeit, in der es gelinge, dem Arbeitsmarkt bzw. dem Verwertungskreislauf möglichst viele passgenau ausgebildete Absolventen zur Verfügung zu stellen, so heißt es, desto besser für die Produktivität der Betriebe und damit auch für die
wirtschaftliche Gesamtentwicklung. Keine Frage, dass eine
solche Argumentation auch bei den Verantwortlichen für
die Finanzpolitik auf offene Ohren stößt. Das kann auch gar
nicht anders sein, eben weil ja die Verkürzung der schulischen und hochschulischen Bildungsgänge immer auch die
Reduzierung der Kosten für Bildung und Ausbildung bedeutet. Und welcher Finanzminister könnte da widerstehen,
d. h., sich nicht für die Verkürzung der Bildungs- bzw. Ausbildungsgänge stark machen.
Neben der Zeiteffizienz gilt eine andere Effizienz als Maß dafür, inwieweit sich der Beitrag der Bildungssysteme für die
Förderung des Wirtschaftswachstums verbessert hat. Damit ist die Inputeffizienz gemeint, also das Verhältnis der
eingesetzten Ressourcen zum Output der Bildungs- und
Ausbildungsprozesse, d. h. genauer zum Niveau und zum
Umfang der in den Ausbildungsgängen vermittelten und in
der Arbeitswelt direkt verwertbaren Kompetenzen. Und wie
lässt sich sicherstellen, dass die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen immer effizienter werden, d. h. konkret, die ökonomische Effektivität des human capital sich
von Jahr zu Jahr verbessert, also passgenauer ausgebildet
wird? Die Antwort ist bekannt: Zum einen durch die Einführung von Leistungsstandards oder auch Bildungsstandards und deren ständige Überprüfung durch Bildungscontrolling, Qualitätsmanagement und Kompetenzmessung,
obwohl diese Standards mit Bildung nicht das Geringste zu
tun haben, und zum anderen durch ein umfassendes Bildungsmonitoring, also durch Studien, die nicht nur das Verhältnis von Inputs und Outputs messen, sondern vor allem,
inwieweit sich dieses Verhältnis im Vergleich zur vorherigen
Periode verbessert hat, und nicht zuletzt auch, wo und wie
der Beitrag der Bildung bzw. Ausbildung zur Förderung des
Wirtschaftswachstums noch effektiver organisiert werden
kann; allgemeiner formuliert: wie beschleunigungs- und
verwertungseffektiv unsere Bildungssysteme sind.
Das gilt vor allem für die beruflichen Ausbildungssysteme,
also für die Ausbildung im dualen System und in den Bachelor-Studiengängen an den Fachhochschulen und Universitäten. So wird z. B. von der Hamburger Schulbehörde
von den berufsbildenden Schulen eine „deutliche OutputOrientierung“ ihres Unterrichts eingefordert, ferner die Entwicklung von Outputs bzw. vorgegebenen Zielen, und zwar
gemeinsam mit den Innungsvertretern, die Übernahme der
Verantwortung für die Einlösung dieser Outputs und die
Entwicklung von Leistungsstandards, ebenfalls gemeinsam
mit den Vertretern der jeweiligen Branche. Und keine Frage,
dass die Geschwindigkeit und Radikalität, mit der an den
deutschen Hochschulen die Bachelor-Studiengänge etabliert worden sind, auch darauf zurückgeführt werden können, dass sie für die „Gewährleistung des Erwerbs systematischer Kompetenzen“, um aus dem Akkreditierungsantrag
einer deutschen Universität zu zitieren, besonders geeignet
sind, weitaus besser jedenfalls als die inzwischen weitgehend abgeschafften Diplom-Studiengänge. Aber um welchen Preis! So ist denn inzwischen auch die Rede davon, dass
die deutschen Hochschulen keine Stätten wissenschaftlicher Ausbildung mehr sind, sondern bestenfalls höhere Berufsschulen.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung unter bildungstheoretischem Aspekt: An die Stelle der individuellen Bildung ist
der gesellschaftliche Bedarf getreten, bzw. auch: Das Bildungskonzept ist durch ein Verwertungskonzept ersetzt
worden. So wird nur das unterrichtet, vermittelt und gefördert, und nur das, was verwertet und – mit Hilfe von Leistungs- oder Bildungsstandards – gemessen werden kann.
Entsprechend sieht die Unterrichtspraxis aus, d. h., es ist eine Unterrichtspraxis, die die von den Jugendlichen zu bewältigende Lebenswelt auf die Arbeitswelt verkürzt. Konkreter: Sie wird auf das Standardisierbare bzw. Überprüfbare reduziert und das selbstständige Lernen durch angeleitetes Training ersetzt; kurz: Der Unterricht wird trivialisiert,
und zwar um so mehr, wie das Maß der Unterrichtsdinge
nicht der Anspruch der Heranwachsenden auf Bildung im
Sinne von Persönlichkeitsentfaltung ist, sondern das, was
man neuerdings als employability bezeichnet. Alles andere
wie z. B. die Förderung solcher Fähigkeiten, die den Bildungsansprüchen der Heranwachsenden in den Bildungsund Ausbildungseinrichtungen zugute kommen, bleibt auf
der Strecke. „Sinn wird ersetzt durch Funktion“, so z. B. Hinrich Lühmann in seinem Aufsatz „Betrieb Schule“ aus dem
Jahre 2007, und weiter: „Die neue (Bildung, H.G.) ist blind
für das Subjekt; sie überlässt die Persönlichkeitsbildung
dem Zufall.“ Und nichts sei fahrlässiger als das, eben weil
wir in einer Zeit leben, so Lühmanns Begründung, und wer
wollte da widersprechen, „in der wir Verrohung, Gewaltbereitschaft, Konsumdenken, Verfallenheit der jungen Leute
an die suggestiven Bildwelten der Unterhaltungsindustrie
beklagen.“ Sein Fazit: Die neue, also die an Outputs, Effizienz
und ökonomischer Verwertbarkeit orientierte Schule, antworte „mit einem Konzept der leeren Kompetenz und lässt
die Jugend allein.“1
Inzwischen sind die Folgen einer solchen Auffassung über
Unterricht, Bildung und Ausbildung nicht mehr zu übersehen, d. h., wenn employability höher veranschlagt wird als
Persönlichkeitsentwicklung. Die auffälligste Folge: Die
Schulabsolventen sind genau das nicht, was sie am Ende der
ganz auf Effizienz und ökonomische Verwertung setzenden
Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen sein sollten, nämlich möglichst passgenau ausgebildete Absolventen. Das
Gegenteil ist vielmehr der Fall, d. h. noch nie war der Anteil
der Schulabsolventen so groß, die als nicht ausbildungsfähig eingestuft werden, genauer: die aus betrieblicher Sicht
ohne jeden Gebrauchswert sind. In Hamburg z. B. soll es inzwischen jeder zweite(!) Absolvent der Haupt- und Realschulen sein. So hat eine im April 2010 veröffentlichte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags
(DIHK) ergeben, dass 75 % der befragten Betriebe über zunehmende mangelnde Ausbildungsreife der Bewerber um
einen Ausbildungsplatz klagten und dass im Jahre 2009
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153
Fehlende Bildungsidee
50.000 Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben mussten, eben
weil die Bewerber nicht über die notwendigen Fähigkeiten
und Kompetenzen verfügten, um den Anforderungen einer
qualifizierten beruflichen Ausbildung genügen zu können.
Fazit: Für einen nicht gerade geringen Teil der Jugendlichen
endet die Bildungsrepublik Deutschland schon an der Grenze zum Ausbildungsmarkt.
In Hamburg sollten es übrigens die geplanten Stadtteilschulen richten, was da längst aus dem Ruder gelaufen ist.
So war vorgesehen, dass die Stadtteilschulen mit mindestens einer berufsbildenden Schule kooperieren. Das primäre Ziel dieser Kooperation: Den Schülern „Berufsorientierung“ und „Berufswegeentscheidungen“ zu erleichtern.
Und damit dies auch in der Tat gelingt, war ebenfalls vorgesehen, ein neues Unterrichtsfach in den Stundenplan der
Stadtteilsschulen aufzunehmen, und zwar das Fach „Berufsorientierung“, ein versetzungspflichtiges Fach zudem,
damit auch kein Zweifel aufkommt, dass es sich hier nicht
um ein Fach unter anderen handelt, sondern von zentraler
Bedeutung ist. Dabei war geplant, dass Lehrer der berufsbildenden Schulen, die zur Kooperation mit der Stadtteilschule in die Pflicht genommen werden sollten, den Unterricht in dem Fach „Berufsorientierung“ übernehmen. Was
übrigens bei den Lehrern an den berufsbildenden Schulen
alles andere als Begeisterung ausgelöst hat. Auch wenn ein
Volksentscheid im Juli 2010 die generelle Einführung der
Stadtteilschule in Hamburg verhindert hat, will die Schulbehörde viele der beschriebenen Teile des vorgesehenen
Konzepts an den Schulen durchsetzen. Und auch an den 23
sog. Starterschulen, also an den Schulen, an denen das
Stadtteilschulkonzept bereits umgesetzt worden ist, soll
weiterhin nach diesem Konzept unterrichtet werden.
Ist das der Königsweg, um die nachlassende Leistungsfähigkeit der allgemeinbildenden Schulen aufzuhalten bzw.
um sicherzustellen, dass möglichst alle Schulabsolventen
das sind, was sie nach dem Verlassen der allgemeinbildenden Schulen sein sollen, nämlich ausbildungsfähig bzw. berufsreif? Zweifel sind angebracht. Die Begründung liegt auf
der Hand. Denn warum sind diese Jugendlichen für eine qualifizierte berufliche Ausbildung nicht geeignet, wozu auch
diejenigen gezählt werden müssen, die ihre berufliche Ausbildung vorzeitig abbrechen bzw. in der Abschlussprüfung
scheitern. Nicht weil es ihnen an bestimmten, nämlich in
den betrieblichen Produktionsprozessen direkt verwertbaren Outputs oder Leistungsstandards fehlt, sondern, wenn
man von den Bildungsberichten und Bildungsstudien der
letzten Jahre ausgeht, dann allein deswegen, weil es ihnen
an den Fähigkeiten und Kompetenzen mangelt, für deren
Förderung die allgemeinbildenden Schulen zu allererst zuständig sind, wie u. a. die Förderung der Kulturtechniken und
hier vor allem der Lesefähigkeit, genauer der Fähigkeit des
sinnentnehmenden Lesens von (Fach-) Texten.2 Hinzu
kommt ein anderer Gesichtspunkt, der das Konzept der
Stadtteilschule fragwürdig macht. So bedeutetet dieses
Konzept ja nichts anderes, als dass wieder einmal ein inhaltliches Problem, nämlich die zunehmende Zahl der Absolventen allgemeinbildender Schulen, die mangels ausreichender Lese- und Schreibfähigkeit nicht ausbildungsfähig
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Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
sind und die daher auf dem „ersten Ausbildungsmarkt“ leer
ausgehen, durch eine strukturelle Maßnahme aus der Welt
geschafft werden soll. Aber wie wir aus der Bildungsforschung wissen, haben sich strukturelle Maßnahmen noch
nie auf die Qualität des Unterrichts in irgendeiner Weise positiv ausgewirkt.
Ein anderer Beleg dafür, dass in der deutschen Bildungs- und
Ausbildungslandschaft die ökonomische Verwertbarkeit
wie kaum jemals zuvor vor dem Bildungsinteresse der (Berufs-)Schüler steht bzw. vor der Förderung der „menschlichen Kompetenzen“ der Jugendlichen, um aus dem Exposé
der „15. Hochschultage Berufliche Bildung“ zu zitieren, sind
der „zweite“ und „dritte Ausbildungsmarkt“, also das Schulberufssystem und die berufsvorbereitenden Maßnahmen
bzw. Übergangsmaßnahmen. Zudem demonstrieren sie wie
kaum eine andere Ausbildungsmaßnahme, wohin es führt,
wenn Entscheidungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich getroffen werden, ohne dass ihnen eine überzeugende Bildungsidee zugrunde liegt, also eine Idee, mit der sie
begründet bzw. gerechtfertigt werden können und über die
gesellschaftlicher Konsens besteht.
Gemeinsam ist beiden Ausbildungsmärkten übrigens, dass
sie ursprünglich als Notlösung gedacht waren, sich inzwischen aber zu einem unverzichtbaren Bestandteil der beruflichen Übergangssysteme herausgebildet haben und
ständig weiter expandieren. Zahlen des BIBB bringen es an
den Tag. So ist z. B. der Anteil der Schülerinnen im „Berufsgrundbildungsjahr“ von 1992 bis 2007 um 47 % und im „Berufsvorbereitungsjahr“ im gleichen Zeitraum um 67 % gestiegen. In den „Berufsvorbereitenden Maßnahmen“ der
Bundesagentur für Arbeit sieht die zahlenmäßige Entwicklung, wenn man den gleichen Zeitraum heranzieht, noch
sehr viel dramatischer aus. Hier beträgt der Anstieg sogar
111 %.3 Eine zweifellos fatale Entwicklung, deren Dramatik
sich allerdings am deutlichsten in absoluten Zahlen widerspiegelt. So wird geschätzt, dass es gegenwärtig etwa
500.000 Jugendliche sind, die in solchen Überbrückungsmaßnahmen „versorgt“ werden. (Insgesamt betrug übrigens der Anteil der Neuzugänge lt. Bericht „Bildung in
Deutschland 2010“ im Jahre 2008 im dualen System 48 %,
im Schulberufssystem 18 % und im Übergangssystem bzw.
in den Übergangsmaßnahmen immerhin 34 %.)4
Nicht zuletzt ist den Teilnehmern des „zweiten“ und „dritten Ausbildungsmarktes“ gemeinsam, dass sie nach Ablauf
der Ausbildung oder der Maßnahme kaum besser dastehen
als zuvor. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall, wenn man von
den Studien des BIBB und von der aktuellen Debatte über
diese Thematik ausgeht. Denn danach steht fest: Die Übergangsmaßnahmen münden zu oft nicht in eine vollqualifizierende Ausbildung. Ebenso wie die Ausbildung im Schulberufssystem zu oft nicht in eine ausbildungsadäquate Beschäftigung mündet. So ist denn auch die Rede von einem
„weitgehend nutzlosen Übergangssystem“ (Greinert), werden die Übergangsmaßnahmen als „sinnlose Warteschleifen“ (BIBB) und das Übergangssystem insgesamt als ein „sogenanntes“ Übergangssystem (Greinert) bezeichnet, und
zwar weil es das Gegenteil von dem ist, was es sein soll und
durch das „zahlreiche Jugendliche vagabundieren“ und die
Themen
Erfahrung machen müssen, „nicht mehr gebraucht zu werden“ (Baetghe u. a.).5 Und wie Recht Greinert und andere Kritiker der Übergangsmaßnahmen haben. Denn wie der Bericht „Bildung in Deutschland 2010“ belegt, sind inzwischen
17 % der jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren hier
zu Lande ohne irgendeinen beruflichen Abschluss und befinden sich auch nicht mehr in einer Bildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahme. Bei den 20- bis 30-Jährigen mit Migrationshintergrund sind es übrigens 30 % und bei den jungen
Frauen türkischer Herkunft sogar 47,5 %, die dieses Schicksal teilen. Was dies längerfristig bedeutet, macht eine andere Zahl klar. So ist nach Einschätzung der Autoren dieses
jüngsten Bildungsberichts damit zu rechnen, dass im Jahre
2025 ca. 1,3 Millionen arbeitsfähige Menschen mangels zu
geringer oder fehlender beruflicher Qualifikationen nicht in
die Arbeitswelt integriert werden können.6 Und dies in Anbetracht der Tatsache, dass es uns jetzt schon in vielen Bereichen an qualifizierten Facharbeitern mangelt. Ist die Bundesrepublik Deutschland also doch keine Bildungsrepublik,
sondern eher eine Bildungswüste, wie manche meinen?
Die Frage ist natürlich, warum die Überbrückungsmaßnahmen wie hier erwähnt generell als gescheitert angesehen
werden, d. h., warum allseits Konsens darüber besteht, dass
sie den Übergang in eine qualifizierte berufliche Ausbildung
bzw. in eine ausbildungsadäquate Erwerbsarbeit eher verhindern als befördern. Geht man von dem aus, was allgemein in diesem Zusammenhang als Begründung ins Feld geführt wird, dann liegt es in erster Linie an der Güte dieser
Übergangssysteme selbst, d. h., es gelingt ihnen nicht, das
zu leisten, was von ihnen an Leistungen erwartet wird. Das
mag richtig sein, ist aber m. E. nur die halbe Wahrheit. Richtig dürfte nämlich auch sein, dass jene Jugendlichen, die sich
vergebens auf dem „ersten Ausbildungsmarkt“ um einen
Ausbildungsplatz bemüht haben, als wenig verwertbar eingestuft werden, d. h., ihr ökonomischer Nutzen wird als äußerst gering veranschlagt und damit auch ihr Gebrauchswert für den betrieblichen Produktionsprozess. Mit anderen
Worten: Die Jugendlichen, die gezwungen sind, in der Regel
durch mehrere Maßnahmen zu „vagabundieren“ und die
Erfahrung machen müssen, „nicht mehr gebraucht“ und
damit gesellschaftlich abgehängt zu werden, müssen diese
Erfahrung auch deswegen machen, weil sie als zukünftige
Arbeitnehmer mit nur einem geringen Gebrauchswert
stigmatisiert werden, entsprechend der zuvor formulierten
These, dass der Mensch nun einmal nur so viel wert ist,
wie er für den betrieblichen Produktionsprozess von Wert
ist.
3 Zurück zum Bildungsverständnis der
Aufklärungspädagogik?
Nimmt man das bisher Gesagte zusammen, dann fällt auf,
dass sich in unserer Gesellschaft in Theorie und Praxis eine
Bildungskonzeption herausgebildet hat, die erstaunliche
Parallelen zur Aufklärungspädagogik zutage fördert. Das
Gleiche gilt für das Menschenbild, das der Pädagogik der
Aufklärungsepoche zugrunde lag. Wenn man so will, dann
kann man sogar von einem Rollback der Bildungs- und Ausbildungsanstrengungen hin zu jenen – utilitaristischen –
Vorstellungen und Zielen sprechen, die für die pädagogische
Gesinnung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts typisch
war, also jener Epoche, in der die merkantilistische Wirtschaftspolitik das Maß der Dinge war, bekanntlich eine Wirtschaftspolitik, die jede Maßnahme dem Prinzip des ökonomischen Nutzens des Staates unterwarf, auch die Maßnahmen in Sachen Erziehung, Bildung und Ausbildung, mehr
noch: sie vor allem. Das wird insbesondere daran deutlich,
dass der Staat das gesamte Schul- bzw. Unterrichtswesen,
das seinerzeit ein von den Kirchen dominiertes Schulwesen
war, in die eigenen Hände genommen hat, auch das Prüfungswesen, und eine Erziehung und Ausbildung durchsetzte, die sich ausschließlich am ökonomischen Nützlichkeitsprinzip orientierte bzw. an der Verwertbarkeit in der Arbeitswelt. Diesem Denken verdanken wir übrigens die Gründung von Schulformen bzw. Schultypen, die sich bis heute
erhalten haben und die nur deswegen eingerichtet wurden,
um gezielt jene Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln,
die der Leistungsfähigkeit des Produktionsfaktors Arbeit im
Interesse des staatlichen Gemeinwohls auf besondere Weise zugute kamen bzw. die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wurden. Alles andere galt als überflüssig, weshalb z. B.
Herbart (1776–1841), bekanntlich der Begründer des „Erziehenden Unterrichts“ und der Pädagogik als Wissenschaft,
diese Schulen auch als Bildungseinrichtungen bezeichnet
hat‚die „außerhalb der pädagogischen Sphäre“ anzusiedeln
seien. Die Real- und Handelsschulen stehen für die hier gemeinten neuen Schulformen, aber auch spezifische Fachschulen für bestimmte, spezifische berufliche Tätigkeiten.
Auf jeden Fall ist aus heutiger Perspektive unstrittig, dass in
dem Bildungs- und Ausbildungswesen, wie es sich damals
herausgebildet hatte, die pädagogische Dimension schlicht
ausgeblendet worden war bzw. durch Funktionsertüchtigung und berufliche Brauchbarkeit ersetzt wurde.7
Das bisher Gesagte auf einen Nenner gebracht: Die Epoche
der Aufklärung ist jene historische Phase der deutschen Bildungsgeschichte, in der die Schulen bzw. die Ausformung
des Bildungssystems zur Sache des Staates erklärt wurde,
und zwar zu dem einzigen Zweck, sie ganz der wirtschaftlichen Entwicklung zu unterwerfen. Und: Die Philosophie der
Aufklärung war nicht nur eine Philosophie der Vernunft; sie
war immer auch eine „Philosophie des Nutzens“, genauer
des ökonomischen Nutzens. Gut war, was vernünftig war,
und damit war gemeint: was ökonomisch vernünftig war
und dem Wohl des Staates zugute kam.
4 Warten auf einen neuen Humboldt?
Ist also heute alles genauso wie vor rd. 200 Jahren und nichts
dazu gelernt? Natürlich nicht im Detail und auch nicht in jeder Hinsicht, aber – so meine These – wohl im Prinzip bzw.
in mancherlei Hinsicht. Dazu gehört z. B., dass heute wie damals Bildung, Erziehung und Unterricht unmittelbar im
Ökonomischen wurzeln, d. h. wirtschaftliche Entwicklung
und Entwicklung des Schulwesens gehen heute wie damals
Hand in Hand, womit konkret gemeint ist, dass neue Schulformen – wie erwähnt – nicht gegründet und der schulische
Unterricht nicht reformiert wurde, weil man sich Sorgen um
die Bildung der Jugendlichen machte, sondern weil man be-
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
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Fehlende Bildungsidee
sorgt war über die wirtschaftliche Entwicklung bzw. über die
Produktivität der Betriebe.
Allerdings besteht dennoch Hoffnung auf Besserung bzw.
auf radikale Umkehr in Sachen Bildung und Ausbildung, und
zwar dann, wenn sich wiederholt, was die Aufklärungspädagogik an Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert ausgelöst bzw. genauer provoziert hat. Das sind vor allem drei
Erscheinungen, und zwar zum einen die Entdeckung der Bildung als wichtigstes Medium für gesellschaftliche Anerkennung bzw. als Wert an sich, zum anderen eine Vielzahl
an pädagogischen Reformern – man denke nur an Pestalozzi, Campe, Basedow und an den bereits erwähnten Herbart.
Und das ist nicht zuletzt jenes humanistische Bildungs- und
Ausbildungskonzept, das mit dem Namen Wilhelm von
Humboldt aufs Engste verbunden ist und das bis auf den
heutigen Tag nichts von seiner Faszination verloren hat. Dies
gilt auch angesichts der Tatsache, dass politisch Verantwortliche wie z. B. die gegenwärtige Bundesbildungsministerin versuchen, Bildungskonzeptionen, die auf mehr hinaus
wollen als auf Effizienz und Passgenauigkeit im zuvor beschriebenen Sinne, d. h., die für eine Bildung eintreten, die
auf die Verbesserung der Chancen sowohl auf gesellschaftliche Teilhabe wie auch auf individuelle Lebensführung gerichtet ist, mit der Begründung ablehnen, dass Humboldt
längst tot, längst überholt sei bzw. dass er uns nichts mehr
zu sagen habe.
Aber wer Humboldts Bildungskonzept, bekanntlich ein Konzept, das auf beides setzt, nämlich auf individuelle und auf
gesellschaftliche Emanzipation, für überholt erklärt, der hat
dieses Konzept nicht einmal zur Hälfte verstanden. Oder
aber er will nicht, dass sich unsere Gesellschaft im humanen
und demokratischen Sinne weiterentwickelt, z. B. dadurch,
dass sich die gesellschaftlichen Partizipationschancen gerade jener verbessern, die gegenwärtig auf Grund ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch benachteiligt werden. Ein neuer
Humboldt ist auch gar nicht notwendig. Was aber her muss,
ist die gesellschaftliche Debatte über eine neue Bildungsidee bzw. über ein Bildungsverständnis, das von einem bestimmten – humanen und demokratischen – Menschenbild
ausgeht, z. B. von einem Menschenbild, das mit der Vorstellung übereinstimmt, dass die Gesellschaft wohl Anspruch
auf einen angemessenen Beitrag des Einzelnen zum Ganzen hat und dass er sich mit dem gesellschaftlichen Ganzen
identifiziert, das aber nicht mit einer Praxis in Übereinstimmung gebracht werden kann, die die Subjekte zu Objekten
gesellschaftlicher, genauer ökonomischer Interessen
macht; kurz: Dass der Wert des Einzelnen ausschließlich daran gemessen wird, wie hoch sein Wert im Verwertungskreislauf ist.
156
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Und eine zweite Debatte muss her: Darüber nämlich, worauf es zurückzuführen ist, dass immer mehr Jugendliche als
lernschwach und nicht ausbildungsfähig eingestuft werden, d. h., ob die entscheidenden Lektionen in der Tat in den
allgemeinbildenden Schulen versäumt werden, wie häufig
unterstellt wird, oder aber ob wir vom allgemeinbildenden
Schulwesen ebenso wie vom berufsbildenden Übergangssystem etwas einfordern, was sie gar nicht leisten können,
nämlich auszubügeln bzw. zumindest abzumildern, was
ganz wo anders verpfuscht worden ist. Keine Frage, dass die
Antworten unterschiedlich ausfallen können. Aber keine
Frage auch, dass nur die Antwort überzeugen wird, die mit
einer konsensfähigen Bildungsidee begründet werden
kann. Und erst recht keine Frage, dass die Einführung eines
weiteren Unterrichtsfaches wie das – versetzungspflichtige – Fach „Berufsorientierung“ an den allgemeinbildenden
Schulen alles andere als eine überzeugende Antwort ist. Das
Gegenteil ist vielmehr der Fall. Denn auf diese Weise geschieht wieder einmal genau das, was in der Vergangenheit
allzu häufig geschehen ist, wenn es galt, eine gesellschaftliche Fehlentwicklung möglichst frühzeitig zu bekämpfen:
Man schiebt die Lösung des Problems an die Schulen ab, und
zwar ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie dazu überhaupt – noch – in der Lage sind
bzw. ob nicht mit jeder weiteren zusätzlichen Aufgabe die
Haupt- und Realschulen immer weniger das leisten können,
was sie entsprechend ihrem Bildungsauftrag zuallererst
leisten sollen, nämlich die Ausstattung der Heranwachsenden mit den Kulturtechniken Lesen, Rechnen und Schreiben.
Und dies auf einem Niveau, wie es für eine qualifizierte berufliche Ausbildung im dualen System notwendig ist.8 Vielleicht ist aber die Erfindung des Unterrichtsfaches „Berufsorientierung“ nichts anderes als ein weiterer Schritt auf dem
Wege, möglichst viele Jugendliche passgenau für den Verwertungskreislauf herzurichten bzw. Bildungs- und Ausbildungsgänge ganz dem ökonomischen Nützlichkeitskalkül
zu unterwerfen.
Anmerkungen
1 Hinrich Lühmann, Betrieb Schule, www.tagesspiegel.de, 19.11.2007.
2 Vgl. Hilmar Grundmann, Die lernschwachen Hauptschulabsolventen – die
größte Herausforderung für die berufsbildenden Schulen? In: Die berufsbildende Schule, 61(2009)6, S. 183 ff.
3 Vgl. Ursula Beicht, Verbesserung der Ausbildungschancen oder sinnlose
Warteschleife? In: BIBB-Report 11/09, S. 1 ff.
4 Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung, Bielefeld 2010.
5 Vgl. Hilmar Grundmann, Bildung und Integration, Frankfurt am Main,
2010, S. 9 f.
6 Vgl. „Bildung in Deutschland 2010“, S. 95 ff.
7 Vgl. ebd., S. 45 ff.
8 Vgl. Hilmar Grundmann, Sprachfähigkeit und Ausbildungsfähigkeit, Baltmannsweiler, 2007, S. 72 ff.
Themen
Georg Rothe
Zur Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung in
Deutschland
Die Berufsbildung in Deutschland wird kritisch analysiert. Perspektiven für eine Zukunftsfähigkeit werden aufgezeigt.
1 Einführung
In Deutschland wird die berufliche Bildung widersprüchlich
beurteilt. Einerseits gilt sie vor allem aus der Sicht offizieller Stellen als äußerst positiv und keineswegs als reformbedürftig, wie z. B.:
– „Deutschland bringt in die europäische Entwicklung ein
wirksames und bewährtes, weil an der beruflichen Praxis
orientiertes Berufsbildungssystem ein.“1
– „Die berufliche Bildung in Deutschland ist attraktiv und
breit anerkannt. Das duale System vermittelt qualitativ
hochwertige berufliche Qualifikation, schafft hohe Übergangsquoten in den Arbeitsmarkt und mindert die Jugendarbeitslosigkeit – insgesamt eindeutige Vorzüge gegenüber anderen Berufsbildungssystemen.“2
– „Herausragender Vorzug der deutschen Berufsausbildung
ist, dass wir über sehr moderne Ausbildungsberufe verfügen. Sie decken zum einen den Qualifikationsbedarf der
Wirtschaft und öffnen zum anderen für die so ausgebildeten Fachkräfte eine breite Beschäftigungsperspektive.“3
Andererseits reihen sich seit Jahren Stellungnahmen aneinander, die diesen Aussagen diametral entgegenstehen und
dringend Reformen verlangen:
– „Es gelingt nicht, die Nachfrage nach Ausbildungsstellen
im Dualen System ... zu decken. Zwischen den allgemein
bildenden Schulen und der Berufsausbildung hat sich ein
‚Übergangssystem’ gebildet, in dem mehr als 400.000 Jugendliche mit einem milliardenschweren öffentlichen Finanzaufwand in einer Vielzahl von Maßnahmen der Berufsausbildungsvorbereitung (BAV) untergebracht sind,
die zumeist keinen systematischen Anschluss an eine Berufsausbildung ... besitzen.“4
– „Selbst ausbildungsreife Ausbildungsstellenbewerber
mussten in wachsender Zahl auf teilqualifizierende Bildungsgänge ... ausweichen. ... Die Probleme signalisieren
Handlungsbedarf.“5
– „Wir brauchen eine Steuerung aus einer Hand ... An einer Koordinierungsstelle könnten die bildungspolitischen Vorstellungen der Sozialpartner, der Kammern, der Bundesländer
wie auch der Lehrerverbände zum Ausgleich gebracht und
verbindlich für alle Bundesländer geregelt werden ...“6
– „Grundsätzlich muss der Staat die Verantwortung für die
Ausbildung der nachkommenden Generationen tragen ...
Das verlangt ein Umdenken, denn bisher leistet sich die
Bundesrepublik als einziger reicher und hoch entwickelter
Staat unter den OECD-Ländern, die Ausbildung für
Jugendliche nach Abschluss der Sekundarstufe I ... in die
Entscheidungs- und Verfügungsmacht ‚der Wirtschaft’ zu
stellen ...“7
Bund und Länder beauftragten im Jahre 2004 ein speziell dafür gebildetes Konsortium, umfassend über das deutsche
Bildungssystem zu berichten und im zweijährigen Turnus
entsprechende Untersuchungsergebnisse vorzulegen. Dieses Konsortium beurteilte das berufliche Bildungssystem
ebenfalls positiv; neu eingeführt wurde von ihm der Begriff
Übergangssystem für die Gesamtheit von Maßnahmen zwischen dem Schulabschluss und dem Antritt einer Ausbildung.8 Dessen ungeachtet dominiert in der deutschen Öffentlichkeit sowie auch amtlicherseits eine generell positive Einschätzung der beruflichen Bildung. Ständig wiederholte Stellungnahmen dieser Art führen dazu, dass der Gedanke, die berufliche Bildung an neue Erfordernisse anzupassen bzw. schon längst überfällige Reformen durchzuführen, nicht aufkommen kann, obwohl dies beim Rückgang
ausgebildeter Fachkräfte notwendig wäre. Inzwischen werden in Deutschland rund 1,5 Mio. junge Leute im Alter von
20 bis 29 Jahren ohne Berufsabschluss gezählt; absehbar ist,
dass sich die negative Entwicklung fortsetzt und das Beschäftigungssystem mit einem noch größeren Fachkräftemangel konfrontiert sein wird, was sich zwangsläufig auf
die wirtschaftliche Prosperität auswirken muss.
Seit Jahren befasst sich die Projektgruppe Vergleichende Berufspädagogik der Universität Karlsruhe (TH)9 mit Fragen der
Zukunftsfähigkeit der beruflichen Bildung in Deutschland.
Dies sind unrichtig interpretierte Daten zur Jugendarbeitslosigkeit, steigendes Alter bei Lehrantritt infolge fehlender
Ausbildungsmöglichkeiten, zu viele Jugendliche in Warteschleifen des Übergangssystems, mangelndes Interesse an
Reforminitiativen der EU, Geringschätzung der beruflichen
Bildung in Deutschland. Die Projektgruppe kooperierte mit
dem Interfakultativen Institut für Entrepreneurship. Unter
anderem erschienen folgende Publikationen10: Berufliche Bildung in Deutschland11, Alternanz – die EU-Konzeption für die
Berufsausbildung12, neue Wege beruflicher Qualifizierung
zur Stärkung der wirtschaftlichen Prosperität13.
2 Unrichtig interpretierte Daten zur
Jugendarbeitslosigkeit
Eine geringe Jugendarbeitslosigkeit gilt länderübergreifend
als Beleg für eine hohe Qualität des betreffenden Berufsbildungssystems. Dazu ein Statement aus dem Koalitionsvertrag der 2009 gebildeten neuen Bundesregierung14:
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
157
Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung
„Die berufliche Bildung in Deutschland wird weltweit hoch
geschätzt. Das duale Ausbildungssystem ist ihr Herzstück.
Es ist Garant für gute Übergänge in den Arbeitsmarkt und
eine im internationalen Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit.“
Die Jugendarbeitslosigkeit bezieht sich auf die Altersgruppe der 15- bis unter 25-Jährigen. Quoten Arbeitsloser werden über den aus arbeitslos Gemeldeten und Erwerbspersonen gebildeten Quotienten errechnet. Im Ländervergleich
ergeben sich allerdings Unterschiede, wenn bei den Erwerbspersonen Lehrlinge im dualen System mitgezählt werden. Dadurch vergrößert sich in der Berechnungsformel der
Nenner und das Ergebnis weist eine deutlich geringere Quote arbeitsloser Jugendlicher auf. Dies ist bei Deutschland mit
der quantitativ vorherrschenden betriebsgebundenen Ausbildung der Fall. Schon seit den Jahren um 1980 hatte das
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf diese Fehleinschätzung hingewiesen. Gemäß IAB lag beispielsweise im Jahre 2005 in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit
– unter Einbeziehung der Lehrlinge als Erwerbspersonen bei
13 %;
– ohne deren Einbindung ergab sich die Quote von 19,5 %.15
Als Beweis für die Qualität des deutschen Berufsbildungssystems wurden die unrichtig interpretierten Statistiken der
Jugendarbeitslosigkeit erstmals in den 1970er Jahren von
den Kammern herausgestellt, um Initiativen der damaligen
Bundesregierungen zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes abzuwehren. Unmittelbar nach Verabschiedung
des Berufsbildungsgesetzes unter der Großen Koalition im
Jahre 1969 verfolgte die sozialliberale Koalition das Ziel,
dem Staat im Bereich der beruflichen Bildung ein größeres
Mitspracherecht zu verschaffen, was allerdings bei dem im
Vergleich zu anderen Staaten vermeintlich geringen Stand
jugendlicher Arbeitsloser nicht gelingen konnte. Die erläuterte statistische Besonderheit bei Errechnung der Jugendarbeitslosenquote blieb bisher länderübergreifend unberücksichtigt, da eine derart hohe Quote von Lehrlingen –
vom Alter der Schulentlassung bis weit ins Erwachsenenalter reichend – im EU-Raum nur für Deutschland zutrifft. So
wurde anlässlich der Präsentation der aktuellen OECD-Länderstudie 2010 zur beruflichen Bildung von der Autorin Kathrin Hoeckel unrichtig dargestellt16:
„Die berufliche Bildung in Deutschland leistet einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Jugendlichen in den
Arbeitsmarkt und ist ein entscheidender Faktor für die im
internationalen Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit.“17
Ebenso äußerte sich das baden-württembergische Kultusministerium in seiner Stellungnahme vom 31.01.2010:
„Das duale Ausbildungssystem wird als Hauptgrund dafür
angesehen, dass in Deutschland im europaweiten Vergleich
die Jugendarbeitslosigkeit sehr gering ist (EU-Durchschnitt:
knapp 20 %). Absolventen finden anschließend weit besser
eine Beschäftigung als in den Ländern, bei denen rein schulische Ausbildungsformen dominieren.“18
158
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Der Hinweis auf niedrige Quoten arbeitsloser Jugendlicher
wird deshalb so oft gebraucht, weil damit sowohl die Qualität der Ausbildung als auch die Eingliederung in das Beschäftigungssystem angesprochen sind, ohne dass spezielle Daten zu beiden Bereichen genannt zu werden brauchen.
Eine andere und ebenfalls bedeutende Fehlerquelle bei Einschätzung der Jugendarbeitslosigkeit im Ländervergleich
ergibt sich dann, wenn in einzelnen Ländern die Jugendlichen, die nach der Schulentlassung noch keine Ausbildung
beginnen konnten, als arbeitslos gelten oder in anderen
Ländern für diesen Personenkreis in großem Umfang Sondermaßnahmen, z. B. als Warteschleifen im Vollzeitsystem
eingerichtet werden. Seit 2006 erreicht in Deutschland das
sogenannte Übergangssystem, das diese Jugendlichen einbezieht, eine immens hohe Quote, etwa in der Größenordnung derjenigen, die in ein Lehrverhältnis eintreten, sofern
alle Altersstufen – auch das Erwachsenenalter – eingeschlossen sind. Jugendliche, die in Deutschland keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden, werden nur zum kleineren Anteil in Teilzeitklassen der Berufsschule speziell für
Arbeitslose eingeschult; vielmehr wird ihnen in der Regel
empfohlen, berufsvorbereitende Vollzeitmaßnahmen zu
absolvieren.
Auch in Österreich gibt es Schulentlassene, die keinen Ausbildungsplatz finden. Dafür richtete man dort eine Ausbildungsform ein, die diese Jugendlichen auf einem Sonderweg in etwas längerer Zeit zu einem Berufsabschluss führt.
Ein spezielles Übergangssystem ist also nicht erforderlich.
Das tatsächliche Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit ist
nicht geeignet, als Gütekriterium für das deutsche System
angeführt zu werden:
– Berücksichtigt man, dass die Lehrlinge in der Arbeitslosenstatistik nicht als Erwerbspersonen gelten dürfen,
schneidet Deutschland keineswegs besser ab als die anderen Staaten der EU.
– Würde die große Zahl Jugendlicher nicht mit hohem finanziellen Aufwand in Warteschleifen des Übergangssystems aufgefangen, dann läge die deutsche Jugendarbeitslosenquote weit über der vergleichbarer Mitgliedsstaaten der EU.
3 Defizit an Ausbildungsmöglichkeiten und
steigendes Alter bei Lehrantritt
Erfahrungsgemäß wird das Ausbildungsangebot von konjunkturellen Schwankungen und längerfristig von strukturellen Entwicklungen beeinflusst. Unabhängig davon hat in
den letzten Jahren die Zahl der deutschen ausbildungsberechtigten Betriebe, die tatsächlich ausbilden, stetig abgenommen. Waren es im Jahre 1985 noch 34,3 % und 1990 –
bezogen auf die alten Länder – 28,7 %19, so lag dieser Anteil
zwischen 1999 und 2008 bei nur rund 24 %.20 In der Statistik spiegelt sich der geringe Anteil der direkt nach Schulentlassung eine Ausbildung beginnenden Jugendlichen im
kontinuierlich ansteigenden Alter der Lehranfänger wider,
was Abbildung 1 veranschaulicht.
Themen
Gleichzeitig mehren sich Informationen, dass Lehrstellen nicht besetzt werden könDurchschnittsalter
16,3
16,8
17,7
18,2
18,6
18,9
19,3
19,4
nen, was darauf schließen
lässt, dass das Interesse an
Quellen: Jahre 1975 bis 1990: aus Tabellen des IAB Nürnberg zur Bildungsgesamtrechnung.
den derzeit angebotenen
Ab 1995: BIBB: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009. Bonn 2009, S. 157.
meist dreijährigen und über
Abb. 1: Mittleres Eintrittsalter in die betriebliche Lehre
die gesamte Ausbildungsdauer eng ausgerichteten Berufen nach dem Modell des Lebensberufs deutlich eingeschränkt ist. Die Abbildung 3 zeigt die Altersaufgliederung
Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass die dortigen teilder Lehranfänger im Vergleich von Deutschland und Österweise andersartigen dualen Systeme ganz offensichtlich
reich. In Deutschland ist der Lehrbeginn mit über 18 Jahren
Übergangsprobleme dieser Art nicht kennen. Jenseits der
weithin die Regel, in Österreich dagegen die Ausnahme.
Grenzen wie beispielsweise zu Österreich und der Schweiz
gelingt es ohne größeren Verzug nahezu allen Absolventen
Der Vergleich zu Österreich zeigt darüber hinaus deutliche Uneiner dem mittleren Schulabschluss vergleichbaren Qualifiterschiede bei den bestehenden Ausbildungsangeboten, denn
kation, eine Ausbildung zu beginnen. Im Unterschied zu
dort ist die vollzeitschulische Berufsqualifizierung in Form der
Deutschland bestehen in Österreich allerdings neben der
berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMS und
Lehre berufsqualifizierende Vollzeitschulen in ähnlicher
BHS) breit ausgebaut. Die fünfjährigen berufsbildenden höStärke.
heren Schulen vermitteln neben der Qualifikation als sogeJahr
1975
1980
1985
1990
1995
Die Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Lehranfängerzahlen für das frühere Bundesgebiet und weist den Anteil
der unter 18-Jährigen gesondert aus. Um die Altersverschiebung über einen längeren Zeitraum aufzeigen zu
können, wurden für die Zeit vor 1993 Näherungswerte für
die Anteile der unter 18-jährigen Lehranfänger in Westdeutschland ermittelt, denn zuvor erfasste die Statistik
das Alter bei Lehrantritt nicht. Lag der Anteil der unter 18Jährigen in der Zeit von 1975 bis 1985 bei etwa der Hälfte der Neueintritte, so sank er bis zum Jahre 1990 auf ca.
30 %.
2000
2005
2008
nannter höherer Techniker auch die Hochschulzugangsberechtigung und werden gegenüber den zum allgemeinen Abitur führenden Gymnasien quantitativ stärker besucht.
Die bedeutende Veränderung, dass in Deutschland Lehranfänger immer älter werden, findet bisher kaum Beachtung.
Bereits im Jahre 1963 hatte die EG in ihren ersten Leitlinien
zur beruflichen Bildung auf die Notwendigkeit hingewiesen,
nachteilige Unterbrechungen zwischen dem Abschluss der
allgemeinen Schulbildung und dem Ausbildungsbeginn zu
vermeiden. Der späte Eintritt in Berufsausbildung und Beschäftigung hat Konsequenzen für die bereits bestehende
Problematik des Fachkräftemangels in Deutschland. So
zeigt sich, dass durch den verzögerten Ausbildungsbeginn
mit im Durchschnitt 19,5 Jahren zusätzlich zum schon vorhandenen Defizit weitere
dreieinhalb Jahrgänge junger
Fachkräfte fehlen. Hinzu
kommt das Problem, dass in
Deutschland ohnehin ein
starker Geburtenrückgang zu
verzeichnen ist. Die Fehleinschätzung von Statistiken zur
Jugendarbeitslosigkeit sowie
das höhere Alter der Lehranfänger werden in DeutschAbb. 2: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in Westdeutschland 1975 – 2009 mit Anteilen unter 18-jähriger Lehr- land selbst von amtlicher Seianfänger
te kaum wahrgenommen.
Altersgruppe
unter 18 Jahren
18 bis 22 Jahre
23 Jahre u. älter
Summe
Deutschland
36,0 %
55,3 %
8,7 %
100 %
Österreich
88,4 %
10,5 %
1,1 %
100 %
Abb. 3: Lehranfänger in Deutschland und Österreich im Jahre 2005 nach Altersgruppen.
4 Zu viele Jugendliche
in Warteschleifen
des Übergangssystems
Der deutsche Bildungsbericht unterscheidet ab 2006
in der Beschreibung der be-
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
159
Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung
Duales System
%
Schulberufssystem
%
2000
582.416
47,8 175.462
14,4
2005
517.341
42,4 215.874
17,7
2006
531.471
43,4 215.226
17,6
2007
569.460
46,9 214.782
17,7
2008
558.501
47,9 210.552
18,1
Abb. 4: Neueintritte nach Bildungsbereichen in Deutschland.
ruflichen Bildung unterhalb der Hochschulebene drei Teilsysteme: Duales System, Schulberufssystem und Übergangssystem.21 Die Abbildung 4 zeigt die Neueintritte in diese Sektoren seit dem Jahre 2000 auf.22 Im Gegensatz zu den
beiden anderen Sektoren vermittelt das Übergangssystem
keinen qualifizierenden beruflichen Abschluss, sondern nur
verschiedenartige Formen der Berufsvorbereitung. Die von
den beruflichen Schulen in diesem Sektor vollzeitig angebotenen Maßnahmen unterscheiden sich stark. Es gehören
auch Zweige dazu, die zum Erreichen der Hochschulzugangsberechtigung oder der mittleren Reife führen.
Der in Deutschland neu eingeführte Begriff Übergangssystem wertet den einbezogenen Anteil Warteschleifen auf, obwohl deren Erfolg äußerst fragwürdig ist. Der Einsatz hoher
finanzieller Mittel – nach Berechnungen der BertelsmannStiftung im Jahre 2006 etwa 5,6 Mrd. €23 – ist daher nicht gerechtfertigt. Die nationale Bildungsberichterstattung des
Jahres 2008 stellte fest, dass nur etwa die Hälfte der Teilnehmer in eine „qualifizierende Ausbildungsperspektive“
vermittelt wird. Für die anderen sei „aller Zeit- und Lernaufwand vergeblich“.24 Ein solcher „Ertrag“ von mit hohem Kostenaufwand verbundenen Maßnahmen sowie die demotivierenden Auswirkungen auf die letztlich ohne eigenes Verschulden nicht erfolgreichen Jugendlichen lassen sich nicht
als Indiz für einen sinnvollen und leistungsfähigen Bereich
des Bildungswesens bezeichnen.
Auch der Begriff Schulberufssystem erscheint problematisch
und ist zum Teil unzutreffend. Einerseits sind Ausbildungsgänge für Erzieher- und Sozialberufe in Regie der Kultusverwaltungen einbezogen, andererseits Berufe im medizinischen Bereich. Letztere sind im internationalen Vergleich
dem Dualsystem zuzuordnen; sie stimmen mit den Empfehlungen der EU zur Konstruktion des dual-alternierenden
Systems und zur Kooperation von Schule und Betrieb in vollem Umfang überein.
Engpässe im Lehrstellenangebot treten auch in anderen EUStaaten auf; außer in Deutschland kam es aber nirgends zum
Aufbau eines quantitativ derart starken Sektors zur Berufsvorbereitung und zum Nachholen von Schulabschlüssen mit
dem Ziel, den einbezogenen Jugendlichen letztlich doch noch
den Eintritt in eine betriebsgebundene Ausbildung zu ermöglichen. Zu einem erheblichen Anteil werden mehrere der verschiedenartigen Maßnahmen bzw. Schulzweige durchlaufen.
160
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Die im Übergangssystem gebundenen finanziellen Mittel
ließen sich weit sinnvoller zur
460.107
37,8
Realisierung einer echten beruflichen Ausbildung einset485.877
39,9
zen, vor allem in breit angelegten Grundbildungsgän477.584
39,0
gen auf der Ebene von Berufsgruppen mit Qualifizie429.299
35,4
rung für den Eintritt in die Arbeitswelt. Ihrer verfassungs397.277
34,1
mäßigen Kompetenz wegen
sollten die Kultusverwaltungen derartige berufsqualifizierende Berufsbildungsgänge neu einrichten. Unverständlich ist, dass sie immer noch inaktiv bleiben. So stellt sich die
Frage, ob es Vorschriften oder Gesetze gibt, wonach die Kultusverwaltungen beim derzeitigen Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten keine Berufsbildungsgänge einrichten dürfen. Dies wäre insbesondere für schwach begabte Jugendliche erforderlich. Einzubeziehen sind auch alle diejenigen,
denen es früher gelang, direkt von der Hauptschule in ein
Arbeitsverhältnis überzuwechseln. Der zum Teil mehrfache
Besuch von Warteschleifen birgt sozialen Sprengstoff.
Übergangssystem
%
5 Mangelndes Interesse an Reforminitiativen
der EU
Im Bereich von Bildung und Berufsbildung ist in Deutschland für den Kontakt zur EU das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz zuständig. Formal bedeutet dies:
– Sie nehmen an den Sitzungen der Mitgliedsstaaten der EU
teil und wirken bei der Annahme von Vorschlägen und Beschlüssen mit.
– Sie stellen die deutschen Vertreter im Europäischen Rat für
Bildung.
– Federführend übermittelt das BMBF der EU-Kommission
Berichte, Stellungnahmen und Beurteilungen zum deutschen Bildungssystem.
Welche Zuständigkeiten sich für Bund und Länder im Einzelnen ergeben, teilte das BMBF im Jahre 2005 der EU-Kommission mit. Diese Auflistung schloss wie folgt:
„Eine verfassungsrechtliche Kompetenz, die eine Koordinierung im Bildungsbereich erzwingen könnte, gibt es in der
Bundesrepublik Deutschland nicht. Unbeschadet dessen
besteht in Deutschland zwischen den Ländern, ... sowie zwischen Bund und Ländern ein breiter Konsens über die Ziele,
die das Bildungswesen ... anvisieren muss.“25
Es gibt also keine Institution mit oberster Zuständigkeit, die
bei festgestelltem Reformbedarf aktiv werden müsste. Bestehende Verwaltungen sind bei auftretenden Fragen nur
auf den eigenen Sektor beschränkt. Probleme im Bereich Bildung und insbesondere berufliche Bildung sind jedoch
kaum auf eine derartige Institution begrenzt.
Übereinstimmend wird in Voten amtlicher Stellen – wie eingangs wiedergegeben – das deutsche Berufsbildungssys-
Themen
tem als nicht reformbedürftig gesehen. Aber schon die vorangehenden Abschnitte dieses Beitrags zeigen, dass seit
Jahren dringender Reformbedarf besteht. Gäbe es in
Deutschland eine zuständige Stelle, dann müsste sie beispielsweise längst zur Beseitigung folgender Mängel aktiv
werden:
Ausbildungsplatz fanden, im Übergangssystem aufzufangen. Der wohl einzige Nutzen des immens hohen Finanzaufwands für die Einrichtung von Warteschleifen ist, dass
ein Ansteigen der Zahl arbeitsloser Jugendlicher vermieden
wird. Mit Recht wurde in der Presse unlängst von „organisierter Verantwortungslosigkeit“ gesprochen.27
– Zu einem großen Teil gelingt es Schulentlassenen nicht, eine Ausbildung zu beginnen. Parallel dazu wuchsen die
Warteschleifen im Übergangssystem auf etwa 400.000
Neueintritte pro anno an.
Das mangelnde Interesse an Reformen und speziell an der
Berücksichtigung der Beschlüsse von Lissabon 2000 liegt daran, dass das deutsche System von amtlichen Stellen immer
wieder positiv beurteilt wird. Ursache dieser Fehleinschätzung ist das Fehlen von Vergleichsuntersuchungen und die
Nichtbeachtung der geringen Zahl vorliegender komparativer Studien. Systematische Vergleiche würden mit Sicherheit derartige Informationslücken schließen. Auf die Notwendigkeit, zwischen den Bildungssystemen Vergleiche
durchzuführen, wies Staatssekretär Catenhusen vom BMBF
wie folgt hin:
– Die Kooperation zwischen Ausbildungsbetrieb und Teilzeitschule ist im deutschen System fehlender Regelungen
wegen nicht effizient, sodass es kaum gelingt, in anspruchsvollen Berufen erfolgreich auszubilden. Die in die
Lehre Eintretenden werden immer älter und die Ausbildungsquoten gehen zurück.
– Ohne ein modular strukturiertes System der Weiterbildung lässt sich das lebenslange Lernen, wie es die EU fordert, nicht realisieren.
– Ganz offensichtlich sehen sich die Kultusverwaltungen
nicht in der Lage, berufsqualifizierende Bildungsgänge für
den Einstieg in die Arbeitswelt z. B. auf Berufsfeldebene
einzurichten.
Zum letzten Punkt nahm der Wirtschaftspädagoge Euler wie
folgt Stellung:
„Die Unternehmen und die für die Berufsabschlüsse zuständigen Kammern müssten sich bewegen und es zulassen, dass junge Menschen in Berufsschulen und in außerbetrieblichen Lehrwerkstätten zu vollwertigen Berufsabschlüssen gelangen können.“26
Angesprochen ist damit das Berufsbildungsgesetz 1969, in
dem der Bund als laut Grundgesetz für wirtschaftliche Fragen zuständig die seit 1900 über die Reichsgewerbeordnung
den Kammern überantwortete Zuständigkeit für die Berufsausbildung auf gesamtdeutscher Ebene festschrieb. Außer Deutschland gibt es kein Land, das die Zuständigkeit für
die duale Ausbildung eigenverantwortlich Institutionen der
Wirtschaft übertragen hat. Auch Länder mit ähnlichen historischen Wurzeln integrierten die betriebsgebundene Ausbildung in das staatliche Bildungssystem, ohne dass Qualität und Akzeptanz der Berufsausbildung Schaden genommen hätten.
Beim sich immer deutlicher zeigenden Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten für Schulentlassene – quantitativ erkennbar an den Übertritten ins Übergangssystem – mahnen die Kultusministerien allenfalls, die Wirtschaft solle
mehr ausbilden. Sie scheuen sich, eigene Berufsbildungsgänge einzurichten, weil sie einerseits nicht in die Zuständigkeit der Kammern eingreifen wollen und zum anderen,
weil sie offensichtlich fürchten, in Schulen ausgebildete
Fachkräfte würden auf dem Arbeitsmarkt nicht akzeptiert
werden. Immer wieder wird in Deutschland darauf verwiesen, dass staatlicherseits eingerichtete Vollzeitschulen zu
keiner vollwertigen Qualifikation führen. Die Kultusverwaltungen sind aber durchaus bereit, Jugendliche, die keinen
„Für mich liegt auch in Zukunft die Zuständigkeit für die nationalen Bildungssysteme bei den EU-Mitgliedsstaaten. ...
Gerade die Unterschiedlichkeit der Bildungssysteme erlaubt
den offenen Wettbewerb um die besten Lösungen für gemeinsame Herausforderungen. Deshalb müssen wir, auch
in der beruflichen Bildung, den Vergleich der Systeme und
Reformvorhaben verstärken, um gegenseitig von best
practice zu lernen. Die Pisa-Studie der OECD für den allgemeinen Bildungsbereich war hier für Deutschland ein Lehrstück.“
Dass die Ausbildung nach dem sogenannten Berufsprinzip
immer noch als Lebensberuf beibehalten wird, ist in heutiger Zeit unverständlich. Zutreffend gilt Deutschland im internationalen Vergleich als das Land der Erstausbildung. Von
der EU favorisiert wird dagegen das lebenslange Lernen, was
nur sinnvoll realisiert werden kann, wenn die Bildungsgänge grundsätzlich nach Einheiten strukturiert sind, die aufeinander aufbauen oder parallel laufen und damit ein Weiterlernen über das ganze Leben möglich wird. Dafür ist
gleichzeitig eine einheitliche staatliche Prüfungsinstitution
zu installieren. Die EU empfahl 1979, dass im dual-alternierenden System eine Arbeitsteilung von Erfahrungslernen im
Betrieb und systematischer Ausbildung in der Teilzeitschule erfolgen soll, was bereits in vielen Mitgliedsstaaten zu einem beträchtlichen Teil realisiert ist. In Deutschland wurde
dagegen das Modell mit alleiniger Zuständigkeit der Betriebe beibehalten. Es gibt kein Land, in dem die gesamten Ausbildungsberufe sich als Lebensberufe verstehen und generell nicht nach dem Grundsatz Basisausbildung und aufbauende Qualifizierung strukturiert sind. Es ist unverständlich, dass dieses Ausbildungsmodell in Deutschland derzeit
überhaupt nicht zur Diskussion steht.
Die Einführung des Grundprinzips lebenslanges Lernen bedeutet ferner, im Berufsbildungssystem Anpassungs-, Aufstiegs- und Umsteigemöglichkeiten zu schaffen. Das deutsche System kommt demzufolge der Forderung nach Mobilität und Flexibilität der Ausbildung nicht nach. Hinsichtlich
der Einführung gestufter Qualifizierungsmöglichkeiten in
Form von Grundausbildungsgängen auf unterem Niveau
und darauf aufbauender Differenzierung und Spezialisie-
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
161
Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung
rung über Module sowie sonstigen Weiterbildungsmöglichkeiten mit Abschlüssen oder Zertifikaten steht Deutschland bisher im Abseits. Die in der Öffentlichkeit immer wieder geäußerte Auffassung, das deutsche Dualsystem würde von außen positiv gesehen, stimmt mit der Realität nicht
überein. So führt die Fixierung auf die vermeintliche eigene
Überlegenheit dazu, dass die EU-Vorschläge und insbesondere die Beschlüsse von Lissabon 2000 nicht die erforderliche Beachtung finden.
6 Geringschätzung der beruflichen Bildung in
Deutschland
Wann immer in Deutschland Reformen im Bildungssystem
angesprochen sind, wie z. B. die Problematik des dreigliedrigen Schulwesens, das acht- oder neunjährige Gymnasium
usf., stehen Fragen der Allgemeinbildung im Vordergrund.
Dass es mehr als der Hälfte des Schulentlassungsjahrgangs
nicht gelingt, ohne Verzögerung eine Ausbildung zu beginnen, wird dagegen kaum angesprochen. Trotz vieler kritischer Stellungnahmen nimmt die Öffentlichkeit das sogenannte Übergangssystem, in das die vielen Warteschleifen
integriert sind, ohne Protest hin. Bisher gibt es auch keine
Qualifizierungsmöglichkeiten für die Jugendlichen, denen
es früher gelang, als Jungarbeiter ohne Ausbildung direkt in
die Arbeitswelt überzutreten. Ebenso fehlen Sondermaßnahmen für Migranten und andere unversorgte Jugendliche. Hierin spiegelt sich bereits eine gewisse Geringschätzung der beruflichen Bildung wider.
Geht man den Gründen nach, sind insbesondere folgende
Sachverhalte anzuführen:
– Die alleinige Verantwortung im Dualsystem liegt bei den
Ausbildungsbetrieben, obwohl die Teilzeitschule und die
Ausbildung im Betrieb als gleichwertig zu sehen sind.
– Die immer noch grundsätzliche Orientierung der Ausbildung am Modell der Lebensberufe ist seit Generationen
nicht mehr zeitgerecht.
– Die Ausbildungsordnungen beziehen sich allein auf den
Ausbildungsbetrieb, was diesen überfordert. So erklärt
sich, dass die Bereitschaft nachlässt, Schulentlassene ohne Zeitverzug auszubilden.
– Die Notwendigkeit, die berufliche Qualifizierung auf der
Basis einer breiten Grundbildung und aufbauender Spezialisierung im Sinne des lebenslangen Lernens zu strukturieren, wird bisher nicht beachtet.
In diesen Schwachpunkten spiegelt sich der Einschnitt des
Jahres 1900 mit Übertragung der Zuständigkeit für die Ausbildung von den Kultusbehörden der Länder an die Kammern der Wirtschaft. Trotz einzelner Versuche gelang es über
den Zeitraum von 100 Jahren nicht, diese Besonderheit zu
korrigieren. Als Beweggründe wurden damals die Förderung
des Mittelstandes genannt sowie das Ziel, die mit der Gewerbegesetzgebung anlässlich der Einführung der Gewerbefreiheit verloren gegangene Vorrangstellung des Handwerks wiederherzustellen. Nicht zu übersehen ist, dass bei
der Übertragung der Ausbildung an die Kammern der Wirtschaft der von Preußen ausgehende Neuhumanismus prä-
162
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
sent war und Wilhelm von Humboldt als Verantwortlicher
für das Erziehungswesen die berufliche Bildung aus dem
staatlichen Bildungssystem ausklammerte. Er vertrat die
Auffassung, dass allgemeine und berufliche Bildung strikt
voneinander zu trennen seien, denn bei einer Vermischung
beider Bereiche werde „die Bildung unrein“.28
Nach neuhumanistischem Bildungsverständnis galt das antike Griechenland als idealer Bildungsgegenstand, da die
Griechen in vielerlei Hinsicht vorbildhaft gewesen wären,
u. a. im Hinblick auf ihre republikanische Staatsform und ihre kulturellen Leistungen. Ermöglicht worden seien diese
Höchstleistungen unter anderem dadurch, dass sie von niederen Arbeiten befreit waren. So hob Humboldt hervor:
„Die Sklaverei ... überhob den Freien eines grossen Theils der
Arbeiten, deren Gelingen einseitige Uebung des Körpers und
des Geistes – mechanische Fertigkeiten – erfordert. Er hatte nun Musse, seine Zeit zur Ausbildung seines Körpers
durch Gymnastik, seines Geistes durch Künste und Wissenschaften, seines Charakters überhaupt durch thätigen Antheil an der Staatsverfassung, Umgang, und eignes Nachdenken zu bilden.“29
Diese Auffassung lässt unschwer erkennen, dass manuelle
Tätigkeiten und sonstige niedere Arbeiten gering geschätzt
wurden. In der Epoche des Neuhumanismus wurde diesen
Vorstellungen entsprechend die berufliche Ausbildung abgewertet. Im Laufe der Entwicklung traten allerdings in zunehmendem Maße Berufsfelder hinzu, die nicht mehr durch
Handarbeit allein gekennzeichnet sind. Heute schließt berufliche Bildung Spitzenqualifikationen ein, die längst der
allgemeinbildenden Sekundarstufe II ebenbürtig sind.
Die EU-Reform Lissabon 2000 mit der angestrebten Stufung
des Bildungssektors und der Forderung nach lebenslangem
Lernen knüpft an die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland geführte Diskussion des Zweiten Bildungswegs an, sodass dieser bislang kaum realisierte Weg nun als EU-Programm Priorität erhält: Der Übergang von oberen Stufen der
beruflichen Qualifizierung in den tertiären Bereich ist also
sicherzustellen. Von der OECD wird immer wieder festgestellt, dass der Zugang in den tertiären Bereich in Deutschland insgesamt quantitativ unzureichend ist. Der zu realisierende Übergang von beruflichen Qualifikationen auf höherer Ebene in den Hochschulsektor stellt also eine wichtige bildungspolitische Initiative dar. Das in Deutschland praktizierte Vorgehen, über sogenannte berufliche Gymnasien
den Hochschulzugang zu erreichen, versteht sich – obwohl
in beruflichen Schulen durchgeführt – als Zweig, der zum
allgemeinen Abitur führt. Dieser Weg entspricht nicht der
Forderung eines gestuften Übergangs von anspruchsvollen
Abschlüssen beruflicher Qualifizierung in den tertiären Bereich.
Der Aufstieg von Stufe zu Stufe und insbesondere von qualifizierten Berufsbildungsabschlüssen in den Tertiärbereich
ist längst auch in den beiden deutschsprachigen Ländern
Österreich und Schweiz realisiert. In der Schweiz erfolgt dies
über die parallel zur Lehre oder danach absolvierbare Berufsmaturität; mehr als 10 % der Lehrabsolventen erreichen
diese Stufe. In Österreich wird der Übergang in die Univer-
Themen
sität durch die nach bzw. teils bereits während der Lehre in
einigen Fächern abzulegende Berufsreifeprüfung ermöglicht. Deutschland ist in dieser Hinsicht also im Rückstand,
was gleichzeitig den hohen Anteil der Erwerbsbevölkerung
mit entsprechender beruflicher Qualifizierung benachteiligt.
Die Hochschulzulassung für beruflich qualifizierte Bewerber ist nach einer Vereinbarung der KMK vom März 2009 in
Deutschland wie folgt geregelt:30
– Die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung wird
Meistern im Handwerk und Inhabern bestimmter Fortbildungsabschlüsse, die auf Lehrgängen mit mindestens 400
Unterrichtsstunden basieren, sowie den Absolventen der
Fachschulen u. a. zuerkannt.
– Die fachgebundene Hochschulzulassungsberechtigung
erhalten Absolventen einer affinen Ausbildung in einem
anerkannten Ausbildungsberuf mit Berufspraxis nach einer Eignungsfeststellung, die sich auf allgemeines und
fachliches Wissen bezieht bzw. ersatzweise erfolgreichem
einjährigen Probestudium.
Kurz darauf publizierte die KMK eine Gesamtdarstellung der
durch Rahmenvereinbarung geregelten Bildungswege und
Berechtigungen und wies darauf hin, dass die Länder den
gestiegenen Qualifikationsanforderungen und dem Bedarf
an hochkompetenten Fachkräften infolge des Strukturwandels zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft durch eine deutliche Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen der
beruflichen Bildung und der Hochschulbildung entgegenkommen.31 Der Anteil Studierender, die über den Weg der
beruflichen Qualifizierung in den tertiären Bereich gelangen, ist bisher allerdings äußerst gering. Diese Situation entspricht nicht der von der EU geforderten Durchlässigkeit von
Stufe zu Stufe entgegen; sie versperrt vielmehr der großen
Mehrheit beruflich Qualifizierter den Aufstieg von gehobenen Berufsabschlüssen aus in die Hochschule.
Als weiterer Bereich der Benachteiligung des Sektors berufliche Bildung ist die Vernachlässigung der Berufsvorbereitung in der Pflichtschule zu nennen. Trotz massiver Stellungnahmen der Wirtschaft blieb die Situation bis heute nahezu unverändert. Maßnahmen der Berufsvorbereitung als
Bestandteil des Übergangssystems werden in Vollzeitform
zunehmend in Berufsschulen durchgeführt. Damit verbunden ist ein Abweichen von der länderübergreifend geltenden Regel, dass die allgemeinbildende Schule der Sekundarstufe I den Eintritt in eine Berufsausbildung ermöglichen
soll. Die Berufsvorbereitung, vor allem die Sicherstellung der
Ausbildungsreife, verlagert sich zunehmend von der Sekundarstufe I in das Übergangssystem. Infolgedessen unterrichtet in der Berufsschule derzeit der größere Teil der Lehrkräfte in Warteschleifen und anderen Zweigen des Übergangssystems und nur ein kleinerer Teil in Teilzeitklassen parallel zur betrieblichen Ausbildung sowie nur wenige in berufsqualifizierenden Vollzeitschulen.
Die Thematik Ausbildungsreife wurde zwar im Rahmen des
Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs
in Deutschland behandelt, den die Bundesregierung und die
Spitzenverbände der Wirtschaft im Jahre 2004 schlossen. So
entwickelte eine Expertengruppe unter Federführung der
Bundesagentur für Arbeit einen Kriterienkatalog, der die individuellen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung beschreibt.32 Danach zählt zur Ausbildungsreife u. a. das räumliche Vorstellungsvermögen. Der Kriterienkatalog befasst sich allerdings nicht damit, wie diese Fähigkeit in der Schule entwickelt werden soll. Auch der von
einer weiteren Expertengruppe erarbeitete Handlungsleitfaden für Schulen und Betriebe zur Stärkung von Ausbildungsreife und Berufsorientierung durch Kooperationen
geht nicht auf diese Frage ein. Unberücksichtigt bleibt auch
das Fach Werken, das vor wenigen Jahrzehnten noch eine gewisse Bedeutung hatte und ganz dem Grundsatz von Pestalozzi entspricht, Kopf, Herz und Hand zu bilden. Hierin zeigt
sich ein weiterer Beleg für die Zurücksetzung der beruflichen
Bildung.
Die jüngste Entwicklung ist also einmal durch die Verlagerung der Berufsvorbereitung von der Pflichtschule ins Übergangssystem und zum anderen die Vernachlässigung von
Aufstiegsmöglichkeiten über berufliche Qualifizierung in
den tertiären Bereich gekennzeichnet. Beide Sachverhalte
unterstreichen die Geringschätzung der beruflichen Bildung im Bildungsgesamtsystem. So stellt sich die Frage, ob
in Deutschland die neuhumanistische Sichtweise wieder
auflebt und definitiv eine Zweiklassengesellschaft festgeschrieben wird.
7 Fazit
Aufgrund versäumter frühzeitiger Maßnahmen ergibt sich
in Deutschland ein erheblich größerer Reformbedarf, z. B. im
Vergleich zu jenen EU-Staaten, die ihre Berufsbildungssysteme kontinuierlich an veränderte Anforderungen angepasst haben und weiter anpassen. Nur eine grundlegende
Neujustierung kann die Zukunftsfähigkeit der beruflichen
Bildung in Deutschland sichern.
Benötigt wird eine Verankerung der Kompetenz für die berufliche Bildung auf den Regierungsebenen Bund und Länder durch eigene Behörden, die auf Bundesebene eng an das
BMBF angebunden sind, aber auch mit den beiden Ministerien für Arbeit und Wirtschaft kooperieren. Der Darmstädter Ordinarius für Berufspädagogik Gustav Grüner bezeichnete eine solche Behörde auf oberster Ebene als Staatssekretariat.
Die Grundvoraussetzung für einen wesentlichen Beitrag zur
Sicherung des Fachkräftebedarfs und damit der wirtschaftlichen Prosperität besteht darin, allen Jugendlichen arbeitsmarktrelevante und ausbaufähige Möglichkeiten der
beruflichen Qualifizierung zu bieten. Zusätzliche finanzielle Mittel wären kaum erforderlich, wenn es gelingt, die jährlich aufgebrachten Milliardenbeträge zur Finanzierung von
Warteschleifen einzusparen und für Formen beruflicher Bildung nach EU-Standards einzusetzen.
Knapp zusammengefasst erscheinen die folgenden Reformschritte vordringlich:
– Schaffung einer staatlichen Institution mit oberster Zuständigkeit für die berufliche Bildung in ihrer Gesamtheit.
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
163
Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung
– Einbeziehung der beruflichen Bildung ins Bildungsgesamtsystem mit entsprechender Berufsbildungsgesetzgebung.
– Einrichtung von Ausbildungsgängen zur beruflichen
Grundqualifizierung anstatt Einweisungen der Schulentlassenen ins Übergangssystem.
– Ablösung der Vielzahl eng spezialisierter Ausbildungsberufe durch eine gestufte und modularisierte Struktur von
Berufen mit breiterem Profil.
– Verbindliche Regelung des Zusammenwirkens von Ausbildungsbetrieb und Berufsschule entsprechend den Grundsätzen des dual-alternierenden Systems sowie Erarbeitung entsprechender Ausbildungsordnungen.
– Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung durch
flächendeckende Angebote von Zusatzqualifikationen.
– Ermöglichung des Aufstiegs von Stufe zu Stufe gemäß
dem Grundprinzip des lebenslangen Lernens und insbesondere von qualifizierten Berufsbildungsabschlüssen in
den Tertiärbereich.
– Etablierung einer die ganze Breite der beruflichen Bildung
umfassenden staatlichen Prüfungshoheit, wobei auch
über den Weg des lebenslangen Lernens informell erworbene Qualifikationen anzuerkennen sind.
Anmerkungen
1
Deutscher Fortschrittsbericht 2005 zur Umsetzung des Arbeitsprogramms
„Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ der EU. Brüssel 2005, S. 21.
2
BMBF (Hrsg.): 10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung –
Ergebnisse des Innovationskreises berufliche Bildung. Bonn, Berlin 2007.
3
Bundesbildungsministerin Schavan anlässlich des 40-jährigen Bestehens
des BIBB im Jahre 2010.
4
Euler, Dieter: Übergangssystem – Chancenverbesserung oder Vorbereitung
auf das Prekariat? Vortrag auf der Fachtagung der Hans-Böckler-Stiftung
„Zukunft der Berufsbildung“ am 12.02.09 in Düsseldorf, http://www.
boeckler.de/pdf/v_2009_02_12_euler_vortrag.pdf.
5
6
7
Krekel, E. M./Ulrich, J. G. (BIBB): Jugendliche ohne Berufsabschluss. Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung. Kurzgutachten. Copyright
by Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2009, S. 7.
B. Gehlert, BLBS-Vorsitzender, anlässlich des 23. Dtsch. Berufsschultages
am 12.-14.11.09 in Bamberg, http://www.blbs.de/aktuell/nachrichten/
131109_berufsschultag_gehlert.html.
Neß, H.: Generation abgeschoben. Warteschleifen und Endlosschleifen
zwischen Bildung und Beschäftigung. Daten und Argumente zum. Hrsg.:
Hauptvorstand GEW. Bielefeld 2007, S. 168 f.
164
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
8
Vgl. Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer
Analyse zu Bildung und Migration. Hrsg.: Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der KMK u. des BMBF. Bielefeld 2006, S. 79.
9
Ab Oktober 2009 Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
10
Abrufbar unter www.uvka.de.
11
Band 14 der Reihe Materialien zur Berufs- und Arbeitspädagogik der Projektgruppe Vergleichende Berufspädagogik der Universität Karlsruhe
(2008).
12
Band 12 der Reihe Materialien zur Berufs- und Arbeitspädagogik der Projektgruppe Vergleichende Berufspädagogik der Universität Karlsruhe
(2004).
13
Band 20 der Schriften des Interfakultativen Instituts für Entrepreneurship
am Karlsruher Institut für Technologie (2010).
14
Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag, 17. Legislaturperiode, S. 61.
15
Vgl. IAB Forschungsbericht Nr. 9/2007, S. 22 f.
16
Hoeckel, Kathrin und Schwartz, Robert: Lernen für die Arbeitswelt. OECDStudien zur Berufsbildung. Deutschland. OECD, September 2010.
17
http://www.oecd.org/document/59/0,3343,de_34968570_35008930_
45925307_1_1_1_1,00.html.
18
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg an den Präsidenten des Landtags von Baden-Württemberg, S. 19.
19
Vgl. http://www.bibb.de/dokumente/pdf/a12pr_dokumentation_bibbforum_didacta2007_22.pdf.
20
Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2010.
Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des
Bildungswesens im demografischen Wandel, Bielefeld 2010, Tab. E3-2A,
S. 275.
21
Vgl. Bildung in Deutschland 2006, a.a.O., S. 79.
22
Bildung in Deutschland 2010, a.a.O., S. 96.
23
ZDF-Magazin Frontal21 vom 24.3.09.
24
Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2008.
Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I. Bielefeld 2008, S. 168.
25
Deutscher Fortschrittsbericht 2005, a.a.O., S. 4.
26
Zitiert nach Heinemann, K.-H.: Zwischen Schule und Beruf. Die Mängel des
Übergangssystems. In „Deutschlandradio“ 27.04.10, http://www.dradio.de/
dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1171873/.
27
Mönch, Regina: Die Hängepartie der „berufsvorbereitenden Maßnahmen“.
In FAZ Nr. 186 vom 13.08.2010, S. 31.
28
Werke W. v. Humboldts in fünf Bänden, Hrsg. A. Flitner/K. Giel, Darmstadt
2010, Bd. IV, S. 188.
29
Flitner/Giel, Bd. II, S. 15.
30
Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische
Hochschulzugangsberechtigung. Beschluss der KMK v. 06.03.09.
31
Vgl. Studium über berufliche Bildung. Wege und Berechtigungen. Bonn
2009.
32
Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife.
Februar 2006.
Unterricht
>
Unterricht
Manuel Diegmann, Christian Czybulka
Berufs- und schulformübergreifender
projektorientierter Unterricht in der
beruflichen Erstausbildung
Zum Erwerb von Handlungskompetenz werden in der schulischen und in der betrieblichen Ausbildung berufspraktische
Lehr-/Lernarrangements erprobt, die überwiegend für eine Lerngruppe gestaltet sind. An der Otto-Brenner-Schule bbs|me
wurde das Projekt „CNC-Fräs- und Graviermaschine“ entwickelt. Auszubildende und Lehrer aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Ausbildungsberufen engagieren sich. Feinwerkmechaniker, Metallbauer, Technische Zeichner und Schülerinnen/Schüler aus der Berufsfachschule für Elektrotechnik arbeiten in Teams an Teilprojekten bzw. einzelnen Modulen des
Gesamtprojektes. Sie entwickeln selbstständig Entwürfe, diskutieren diese und setzen ihre Pläne in die Praxis um [7, 61].
1
Vorüberlegungen zum Projekt
Die Ausgangssituation im Jahr 2005 für das hier vorgestellte Projekt bildeten verschiedene Überlegungen, um den Unterricht in der Berufsschule für Auszubildende des Berufes
Feinwerkmechaniker/Feinwerkmechanikerin zu verbessern. Die für den Unterricht in dieser Schulform relevanten
Rahmenlehrpläne empfehlen, dass die Auszubildenden
Kenntnisse und Kompetenzen möglichst selbstständig erwerben [1, 5]. Für die Strukturierung des Unterrichts scheint
eine Methode geeignet zu sein, die nach dem Modell der
vollständigen Handlung strukturiert ist [2, 135]. Diese beinhaltet die Phasen der Problemstellung, des Kenntniserwerbs, der Planung, der Ausführung und Kontrolle sowie der
Reflexion.
Bei diesem Projekt waren zudem weitere, vorrangig pragmatische Überlegungen von Bedeutung. Es wird zunehmend schwieriger, die Auszubildenden mit den unterrichtlichen Inhalten zu erreichen. Demgegenüber steigen die Anforderungen im Beruf stetig. Immer komplexer werdende
Systeme im beruflichen Alltag und technologischer Fortschritt sind u. a. dafür verantwortlich. Wie kann man diesen
Anforderungen gerecht werden? Grundsätzlich gilt, dass
man die Auszubildenden da abholen muss, wo sie stehen.
Unsere Auszubildenden stehen mitten im realen beruflichen Leben. Dann liegt es nahe, eine möglichst berufstypische Realsituation in den Fachtheorieunterricht zu integrieren, welche eine unterrichtstragende Funktion übernehmen
kann.
Aus der beruflichen Praxis kennen die Auszubildenden die
Arbeit an Projekten. Ziel dieser Lernsituation sollte, wie in
der betrieblichen Praxis, die Anfertigung einer Projektarbeit sein. Die Komplexität der Projektaufgabe war dabei
so zu wählen, dass die Situation für die Auszubildenden
überschaubar blieb. Nach dem Prinzip der vollständigen
Handlung sollten die geplanten Arbeiten im Rahmen des
Projektes auch praktisch umgesetzt werden. Das war hier
ein zentraler Aspekt! Dadurch entstand für die Auszubildenden eine sinnstiftende Situation, denn die Maschine
wird auch zukünftig im Unterricht genutzt und weiterentwickelt.
Durch die schulische Gesamtsituation ergaben sich für das
Projekt folgende Rahmenbedingungen: (a) Das Projekt
musste sich vollständig in den Rahmenlehrplan einfügen
bzw. an geeigneten Stellen zuordnen lassen. (b) Die Auszubildenden sollten möglichst selbstständig arbeiten können.
(c) Für die Berufsschule sind Anschaffungen im Rahmen des
Projektes nur sehr begrenzt möglich. (d) Die Nutzung der
schulischen Werkstätten ist nur eingeschränkt möglich. (e)
Die Berufsausbildung der Feinwerkmechaniker findet im
Dualen System an zwei Lernorten statt, in der Berufsschule
und im Ausbildungsbetrieb. Nach Absprache kann die praktische Fertigung von den dualen Partnern übernommen
werden.
Mit der Aufgabenstellung, eine computergesteuerte Fräsund Graviermaschine zu planen und anzufertigen, ließen
sich die oben angeführten Anforderungen im Wesentlichen
erfüllen. Das Gesamtprojekt, die Planung und Herstellung
der CNC-Fräs- und Graviermaschine, konnte in überschaubarer Zeit nicht von einer Berufsschulklasse bewältigt werden. Die Bearbeitung musste also in unterschiedlichen Berufsschulklassen erfolgen, eine geeignete Strukturierung
für das Projekt war somit zwingend erforderlich. In diesem
Fall konnte die Aufgabenstellung modularisiert werden. Eine komplexere Maschine kann in einzelne Funktionseinheiten/ Baugruppen unterteilt werden, z. B. in Maschinengestell, Antriebseinheit oder Steuereinheit [siehe Abb. 1,
Projektablauf]. Diese Module bildeten im Unterricht nicht
nur eine Funktionseinheit, sondern auch eine Sinneinheit.
Die Bearbeitung erfolgte jeweils von einer Projektgruppe,
in der Regel von einer Berufsschulklasse. Die Komplexität
der Maschine war dabei für alle Auszubildenden noch erkennbar, Zusammenhänge konnten leicht hergestellt werden.
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
165
Berufs- und schulformübergreifender projektorientierter Unterricht
Abb. 1: Projektablauf
2
Durchführung des Projektes
Im Verlauf der Projektdurchführung entwickelte sich eine
gewisse Eigendynamik.
So war es sehr zu begrüßen, dass neben den ursprünglich
eingeplanten Feinwerkmechanikern auch andere Berufsgruppen und Schulformen für die Mitarbeit gewonnen werden konnten.
166
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
2.1 Feinwerkmechaniker
Die Projektinitiative ging hier nicht von den Auszubildenden
aus. Allerdings wurden die Auszubildenden auch nicht zur
Teilnahme an dem Projekt gezwungen. Seit 2006 sind nahezu alle Feinwerkmechaniker-Klassen am Projekt beteiligt.
Entscheidende Ausgangsfrage zu Beginn der Projektarbeit
im Unterricht war stets: „Wollt ihr das machen?“ Es war uns
wichtig, einen Konsens im Sinne einer „Lernvereinbarung“
Unterricht
zu finden [5, 40]. In den meisten Fällen waren die Auszubildenden zumindest bereit, sich auf die Situation einzulassen.
Im Verlauf der Arbeit an dem Projekt nahm die Leistungsbereitschaft der Auszubildenden zu. Ursächlich dafür war
vermutlich eine stärker werdende Identifikation mit der Sache. Dies wurde auch längere Zeit nach Ende einer Projektphase deutlich, wenn Auszubildende immer noch von „meinem Maschinentisch“ oder „meinem Gehäuse“ sprachen.
Trotz einiger Unterschiede zur in der Literatur beschriebenen Projektmethode [3, 15] gibt es auch Gemeinsamkeiten.
Die Auszubildenden hatten zwar einen Rahmen und eine
klare Zielsetzung als Vorgabe, das Ergebnis der einzelnen
Teilprojekte war jedoch weitgehend offen. Auch die Lehrer
wussten zu Beginn der Projektarbeit nicht im Detail, was als
Ergebnis dabei herauskommt. Für die Auszubildenden entstand durch diesen Gestaltungsspielraum überwiegend eine motivierende Arbeitssituation. In dieser Situation war teilweise aber auch eine größere Verunsicherung bei den Auszubildenden festzustellen, da der Gestaltungsrahmen in der
ihnen vertrauten betrieblichen Praxis häufig eher gering ist.
Im Wesentlichen folgte der Unterrichtsverlauf in den Projektphasen einer Struktur [siehe Abb. 2, Unterrichtsstruktur]. Der konkrete Ablauf im Unterricht muss stets an die
vorherrschenden Rahmenbedingungen und insbesondere
an die Gruppe angepasst werden. Die Struktur ist hier als
idealtypisch zu verstehen.
Nachdem die Zielrichtung des Projektauftrags mit den Auszubildenden geklärt wurde, folgte in einer „Findungs- und Bewertungsphase“ die Einigung auf ein gemeinsames Konzept.
Anschließend wurde die Arbeit aufgeteilt und in Arbeitsgruppen bearbeitet. Dabei waren alle erforderlichen Planungsarbeiten einschließlich der Absprachen mit weiteren
beteiligten Arbeitsgruppen von den Auszubildenden möglichst selbstständig auszuführen. Der Lehrer hatte überwiegend eine beratende, aber auch korrigierende Funktion [5, 36].
Im Verlauf der Projektarbeit, mit zunehmendem „Detaillierungsgrad“, wurde es häufig erforderlich, dass der Lehrer unterstützend eingriff. Das wurde von den Auszubildenden auch
eingefordert. Wenn es erforderlich war, konnten im Rahmen
der Projektbearbeitung situationsabhängig Exkurse eingearbeitet werden. Diese Exkurse bezogen sich inhaltlich auf die
Problemsituation des jeweiligen Projektabschnitts.
Es war zu berücksichtigen, dass die Projektbearbeitung im
Rahmen einer festgelegten Ausbildung erfolgte. Hier wurden die Projekte innerhalb geeigneter, im Rahmenlehrplan
definierter Lernfelder durchgeführt. Alle Inhalte der Lernfelder ließen sich nicht sinnvoll in die Projekte integrieren.
Darum war es erforderlich, zum Ende der Projektarbeit
Nacharbeits- und Übungsphasen anzuhängen. Die konkrete Verlaufsstruktur muss an die jeweilige Situation angepasst werden. Auch durfte man die zwingend erforderliche
Leistungsbeurteilung nicht vergessen. Am Ende der Teilprojekte folgte eine Klausur. Das kennen die Auszubildenden
und in den Interviews war nicht kritisiert worden, dass eine
klassische Leistungsbeurteilung in schriftlicher Form durchgeführt wurde. Denn im Rahmen des Projektes boten sich
zahlreiche andere Möglichkeiten für die Auszubildenden,
Leistungen zu erbringen und Erfolge zu erzielen. Das muss-
Abb. 2: Unterrichtsstruktur
te bei der abschließenden Beurteilung natürlich auch berücksichtigt werden.
2.2
Metallbauer/Konstruktionsmechaniker
Das Unterrichtskonzept aus dem Bereich der Feinwerkmechaniker ließ sich relativ problemlos auf die Situation der
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
167
Berufs- und schulformübergreifender projektorientierter Unterricht
Metallbauerklassen übertragen. Auszubildende jeweils aus
dem 1. Ausbildungsjahr haben die Bearbeitung der Projekte „Maschinentisch“ und „Maschinenabdeckung“ übernommen. Die Klasse MMTD08 konnte gleich zu Beginn des
ersten Ausbildungsjahres für das Projekt „Maschinenabdeckung“ gewonnen werden, während die Auszubildenden
der Klasse MMTB07 den Maschinentisch für die CNC-Graviermaschine in der zweiten Hälfte des ersten Ausbildungsjahres anfertigten. Die Auszubildenden Metallbauer mussten sich im Verlauf des Projektes mit den zugehörigen konstruktiven, technologischen und fertigungstechnischen Details beschäftigen. Bei der Maschinenabdeckung lag der
Schwerpunkt des Unterrichts im Bereich des Lernfeldes
„Herstellen von Bauteilen mit handgeführten Werkzeugen“. Da es sich bei dem Maschinentisch um eine Schweißkonstruktion handelte, wurde im Unterricht auch bei diesem Thema der Schwerpunkt gesetzt. Inhaltlich ließ sich das
Projekt „Maschinentisch“ im Lernfeld „Herstellen von einfachen Baugruppen“ einordnen.
viermaschine“ in der Klasse MTZA07 durchgeführt. In dieser
Klasse wurden Technische Zeichner/-innen der Fachrichtung Maschinen- und Anlagentechnik und Technische Produktdesigner/-innen gemeinsam unterrichtet. Die beiden
Ausbildungsberufe sind sowohl über unterschiedliche Ausbildungsverordnungen, als auch über verschiedene KMKRahmenrichtlinien organisiert, so dass die in den Rahmenrichtlinien enthaltenen Schnittmengen bei der Planung dieser Unterrichtssequenz zu berücksichtigen waren. Dieser
Unterrichtssequenz liegt auch das Modell der vollständigen
Handlung zugrunde (siehe 2.3.1 bis 2.3.4). Zu Beginn erhielten die Auszubildenden den Projektauftrag zur „Technischen Dokumentation der CNC-Graviermaschine“ in Form
eines Arbeitsblattes. Die weitere Bearbeitung erfolgte dann
in einer eher „offenen Unterrichtssituation“ die von einem
hohen Maß an Schüleraktivität und Selbstständigkeit im Arbeiten geprägt war; wir gehen davon aus, dass so die Lernkompetenz und Lernwirksamkeit nachhaltig gefördert werden kann [4, 123].
2.3.1 Informationsphase
Die Auszubildenden nahmen zunächst die zu diesem Zeitpunkt fast betriebsbereite CNC-Graviermaschine in Augenschein. Anschließend folgte eine detaillierte Analyse des Gesamtsystems durch Darstellung der Teilsysteme und deren
Beziehungen. Den Funktionseinheiten der Systemdarstellung wurden die entsprechenden Baueinheiten der Graviermaschinen zugeordnet.
2.3.2 Planungs- und Entscheidungsphase
Abb. 3: Klasse MMTB07, Modul: Maschinentisch
Beide Klassen erstellten in Arbeitsgruppen Entwürfe und
diskutierten anschließend die Vor- und Nachteile. Im Anschluss an die Diskussionen wurde ein gemeinsamer Entwurf vereinbart. In Abstimmung mit den Auszubildenden
beider Klassen wurde beschlossen, die Planungsarbeiten gemeinsam im Klassenverband durchzuführen. Auf die zu Beginn der Projektarbeit eher offene Situation mit Gruppenarbeitsphasen folgten anteilig auch Unterrichtseinheiten in
„traditioneller“ Form, so dass hier eher eine Projektorientierung bzw. projektartiges Lernen im Unterricht vorherrschte [3, 15].
Nach dem Abschluss der Planungsarbeiten folgte die Durchführungsphase. Die anfallenden Werkstattarbeiten konnten in den unterschiedlichen Ausbildungsbetrieben in Lernortkooperation durchgeführt werden. Der Ablauf der Unterrichtseinheiten folgte dabei dem Prinzip der vollständigen Handlung. Die Projekte wurden jeweils nach ca. acht
Wochen erfolgreich abgeschlossen.
2.3
Technische Zeichner/Produktdesigner
Im 2. Halbjahr des Schuljahres 2008/2009 wurde die Unterrichtssequenz „Technische Dokumentation der CNC-Gra-
168
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Den Auszubildenden war von Beginn an klar, dass die vollständige technische Dokumentation in der vorgegebenen
Zeit von 60 Unterrichtsstunden nur arbeitsteilig zu bewältigen war. Die Auszubildenden fanden sich also in sieben
Gruppen zu dritt bzw. zu viert zusammen und entschieden
sich für jeweils eine Baugruppe. Sie bestimmten innerhalb
der Gruppen einen Gruppensprecher, welcher für die Kommunikation innerhalb der Gruppe und der Gruppen miteinander verantwortlich war, und planten die zu bearbeitenden Aufgaben zeitlich und personell.
2.3.3 Ausführungsphase
Im Anschluss an die Planung begannen die Auszubildenden
in den Gruppen mit der Erstellung der Unterlagen für die
Technische Dokumentation. Sie nutzten die vorhandene
Graviermaschine intensiv, indem Sie zunächst Maße und
Geometrien aufnahmen und die Norm- und Kaufteile identifizierten. Die vorhandene CNC-Graviermaschine ermöglichte den Auszubildenden einen unbefangenen Zugang zu
ihrer Aufgabenstellung, da sich die Bauteile im Realzusammenhang betrachten, anfassen und soweit erforderlich
auch demontieren ließen.
Da die Baugruppen mehrere Einzelteile enthielten, war es
den Auszubildenden möglich, parallel an der CAD-Modellierung der Bauteile zu arbeiten. Während ein oder zwei Auszubildende Baugruppen zusammenfügten, bearbeiteten
die anderen Auszubildenden die 2D-Zeichnungsableitungen. Die Kommunikation der Gruppenmitglieder unterei-
Unterricht
Abb. 4: Klasse MTZA07, 3D-Modelldateien und 2D-Zeichnungen erzeugen
nander war nötig, um alle auf dem aktuellen Stand zu halten und konsequent auf Änderungen reagieren zu können.
Die Kommunikation der Teams wurde durch regelmäßig
stattfindende Teamtreffen gefördert. Auszubildende unterschiedlicher Leistungsstärke konnten sich gleichermaßen
bei der Projektbewältigung einbringen.
2.3.4 Reflexionsphase und Kontrolle
Die Qualität der 3D-Modelle und Baugruppen wurde von
den Auszubildenden durch das Arrangieren der Einzelteile
zu Baugruppen und wiederum der Baugruppen zu Baugruppen höherer Ordnung überprüft. Innerhalb der Baugruppen fielen fehlerhafte Abmessungen und Geometrien
oder gänzlich fehlende Einzelteile sofort auf. Die Feststellung vorhandener Fehler war Gesprächsanlass in den Gruppen sowie gruppenübergreifend, immer mit dem Ziel, die
Baugruppe funktionsfähig zu dokumentieren. In der abschließenden Reflexionsrunde bewerteten die Auszubildenden die Unterrichtssequenz. Als positive Aspekte nannten sie die Verbesserung ihrer Fertigkeiten im Umgang mit
dem CAD-Programm Inventor von Autodesk und die verbesserte Kommunikation in den Teams. Allerdings bemerkten sie auch, dass weiterhin Verbesserungsbedarf bei der
Kommunikation zwischen den Teams und innerhalb der
Teams besteht. Die hohe Bedeutung der Kommunikation,
ohne die die Aufgabenstellung nicht bewältigt werden
kann, haben die Auszubildenden in dieser Unterrichtssequenz erfahren können. Auch der Wunsch nach ganztägigem Unterricht an der Einheit „Technische Dokumentation
der CNC-Graviermaschine“ wurde von den Auszubildenden
geäußert; es standen pro Schultag vier Unterrichtsstunden
für die Unterrichtssequenz zur Verfügung.
2.4
Elektrotechnische Assistenten
In der Berufsfachschule für Elektrotechnische Assistentinnen und Assistenten (ETA) wurden seit vielen Jahren mit Erfolg Schülerprojekte zu den unterschiedlichsten Schwerpunkten durchgeführt. Gemäß der geltenden Verordnungen war im zweiten Ausbildungsjahr in den berufsbezogenen Lernbereichen ein lernbereichsübergreifendes Projekt
durchzuführen [6, 18]. Projektideen waren im Jahr 2010 z. B.
Audio-Verstärker, Roboter, SMD-Bestückungsarbeitsplatz,
Subwoofer, Schallübertragung via Licht und nach einer Anfrage der Kollegen aus der Abteilung Metalltechnik/Feinwerkmechaniker auch die Entwicklung einer leistungsfähigen Steuerelektronik für eine CNC-Maschine. Für die Berufsfachschule aus der Abteilung Elektrotechnik bot die
fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit mit der Abteilung Metalltechnik in dieser Form die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln. Da der Umfang der erforderlichen
Arbeiten zum Zeitpunkt der Anfrage nicht ganz zu überblicken war, wurde von den beteiligten Lehrkräften der beiden
Abteilungen zunächst geklärt, ob und wie weit die Schülerinnen und Schüler an dem Projekt mitwirken können. Dies
war u. a. auch darum erforderlich, weil die Projekte am Ende der Fachschulausbildung möglichst selbstständig von
den beteiligten Schülerinnen und Schülern durchgeführt
werden sollten, ohne sie zu überfordern.
Nachdem die Rahmenbedingungen geklärt waren und die
elektrotechnische Projektaufgabe in geeignete, schülergerechte Teilprojekte zerlegt werden konnte, ging es los. Die Situation wurde den Schülerinnen und Schülern vorgestellt und
es folgte ein Besuch der angehenden Elektrotechnischen Assistentinnen und Assistenten bei den Mechanikern, um sich
einen konkreten Eindruck zu verschaffen und das „Pflichtenheft“ zu erstellen. Dies war für die Schülerinnen und Schüler
eine interessante Erfahrung, da sich „Mechaniker“ und „Elektriker“ aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte in der
Betrachtung der Problemsituation verständigen mussten.
Dies stellt eine berufstypische Situation dar. Zwei Arbeitsgruppen erklärten sich bereit, die Projektaufgabe zu übernehmen. Auf die Erstellung des Pflichtenheftes folgte die Ausarbeitung eines Projektplanes. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiteten Schaltpläne, Leiterplatten-Layouts, fertigten Prototypen und prüften ihre Ergebnisse, sie führten Fehlerdiagnosen durch und lösten die auftretenden Probleme. Sofern es erforderlich war, erhielten sie Unterstützung von den betreuenden Lehrkräften. Während des gesamten Projektes planten
und koordinierten die Arbeitsgruppen ihr Projekt mit Hilfe einer Planungssoftware (GanttProject) und führten ein schriftliches Projekttagebuch. Am Ende der Bearbeitungszeit wurde
die Steuerelektronik in einer ersten Ausbaustufe fertiggestellt.
Im Laborversuch ließ sich die korrekte Funktion nachweisen.
Allerdings konnten einige Probleme bei der Kopplung an den
Steuer-PC bzw. die Steuersoftware in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr abschließend gelöst werden. Hier bietet sich ein Anknüpfungspunkt für geplante Folgeprojekte.
3
Auswertung
3.1
Feinwerkmechaniker und Metallbauer
Mit diesem Projekt sollte der Unterricht in der Berufsschule für den Ausbildungsberuf des Feinwerkmechanikers/der
Feinwerkmechanikerin verbessert werden. Um die Wirksamkeit des Projektes „CNC-Fräs- und Graviermaschine“ zu
belegen, wurden Interviews mit Auszubildenden und Lehrern durchgeführt. Zu den einzelnen Teilprojekten wurden
projektbegleitend und am Ende des Projektes Leistungsnachweise erbracht. Für einige Klassen wurden zusätzlich
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
169
Berufs- und schulformübergreifender projektorientierter Unterricht
3.2
Technische Zeichner/Produktdesigner
Die Leistungsbewertung erfolgte erstens durch Bewertung
der von den Auszubildenden erstellten Dokumente (3D-Modelldateien; 2D-Einzelteilzeichnungen; 2D-Gesamtzeichnungen und Stücklisten; Aufbauübersichten) und zweitens
durch eine Klausur zu den Themen Technische Systeme
(Funktions- und Baueinheiten; Umsätze; Black Box > EVAPrinzip; Strukturales Systemkonzept) und Erzeugnisgliederung (Baugruppen; Stücklisten). Die Leistungen der Schüler
lagen durchweg im Bereich von gut bis sehr gut mit Ausnahme einer Gruppe, in welcher Schüler längere krankheitsbedingte Fehlzeiten hatten.
Abb. 5: Klasse BFE08, Funktionsprüfung der Steuerelektronik
die Leistungsnachweise aus der bundeseinheitlichen Facharbeiterprüfung (Feinwerkmechaniker) ausgewertet. Zudem wurden die realen Projektergebnisse und die umfangreichen Erfahrungen, die im Rahmen der mittlerweile zahlreichen Projektarbeiten gesammelt wurden, beurteilt.
Exemplarisch sollen hier die Ergebnisse der Leistungstests
von drei Gruppen (Feinwerkmechaniker) dargestellt werden
(Tabelle 1). Für alle Gruppen liegen die Ergebnisse der schulischen Leistungstests (Klausur) sowie der bundeseinheitlichen Prüfung (Facharbeiterprüfung) vor. Die Gruppen K1
und K2 waren am Projekt beteiligt, die Gruppe K3 nahm am
herkömmlichen Unterricht teil. Die Ergebnisse aller Gruppen weichen nur gering voneinander ab. Allein diesen Umstand könnte man – hinsichtlich der Kritik, die gelegentlich
an der Projektmethode geäußert wird – als Erfolg werten.
Leistungstests in schriftlicher Form bilden aber nur einen
sehr eingeschränkten Teil der von den Auszubildenden im
Rahmen eines Projektes angeeigneten Kompetenzen und
erbrachten Leistungen.
K1
K2
K3
Facharbeiterprüfung
3,32
3,08
3,30
Klausurnote
4,00
3,28
4,05
Zeugnis (Lernfeld)
2,85
2,82
3,27
Notenursprung
Tab. 1: Leistungen der Auszubildenden, Durchschnittsnoten
Den Ausbildenden bieten sich im Verlauf des Projektes zahlreiche Möglichkeiten, dieser Situation Rechnung zu tragen
und eine umfassendere Bewertung durchzuführen. Dies ist
hier auch geschehen und findet seinen Ausdruck in der
Zeugnisnote. Darum werden hier drei verschiedene Bewertungsergebnisse miteinander verglichen: Klausur, Facharbeiterprüfung und Zeugnisnote. Bei diesem Vergleich ist
festzustellen, dass die Zeugnisnoten der Gruppen mit Projektbeteiligung insgesamt besser ausfallen. Die Leistungen
der Gruppe K2 sind insgesamt besser ausgefallen. Die Gruppe K2 war am stärksten in das Projekt eingebunden, die Auszubildenden bearbeiteten zwei Module gleichzeitig.
170
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Aus Lehrersicht lässt sich festhalten, dass die Auszubildenden motiviert an das Projekt herangegangen sind und über
mehrere Stunden hinweg zielorientiert und selbstständig
gearbeitet haben. Sie haben in einer realitätsnahen Unterrichtssituation berufliche Kompetenzen wie die CAD-Konstruktion und die Zeichnungserstellung inklusive der normgerechten Bemaßung und Angabe der Oberflächenqualitäten erworben und vertieft. Die Auszubildenden haben in ihren Gruppen größtenteils effektiv kommuniziert und zusammen ein echtes Klassenergebnis/-produkt geschaffen.
Die vorhandenen kommunikativen und planerischen Defizite sind den Auszubildenden bewusst geworden und können so in Folgeprojekten gleich zu Beginn thematisiert werden. Zusammenfassend förderte die Unterrichtssequenz
die Arbeitszufriedenheit sowie die beruflichen und sozialen
Kompetenzen der Auszubildenden.
3.3
Elektrotechnische Assistenten
Im Rahmen dieses Projektes sollten die Schülerinnen und
Schüler in einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen eine klar
umrissene Problemstellung möglichst selbstständig bearbeiten. Dabei sollte das Projekt das lernbereichsübergreifende Arbeiten ermöglichen bzw. erforderlich machen. In
diesem Fall mussten die Schülerinnen und Schüler nachweisen, dass sie über Kenntnisse und Fertigkeiten z. B. aus
den folgenden Bereichen verfügen: (a) elektronische Schaltungen analysieren, (b) elektronische Baugruppen projektieren und aufbauen, (c) Messverfahren auswählen, Ergebnisse bewerten und dokumentieren, (d) Funktionsprüfungen durchführen und (e) Designen von Leiterplatten. Die
fachbereichsübergreifende Gesamtsituation konnte hier als
Bereicherung gewertet werden, da man sich ein Stück mehr
der beruflichen Realität näherte. In einem Interview der beteiligten Schüler/-innen wurde dieser Aspekt positiv bewertet. Eigentlich wollten die Schüler das Projekt „Schallübertragung via Licht“ bearbeiten. An diesem fachbereichsübergreifenden Projekt mitgewirkt zu haben, wurde dennoch als sehr sinnvoll eingestuft. Mit ihren Ergebnissen waren die Schüler/-innen durchaus zufrieden, denn es wurden
„gute Noten“ erzielt. In der Projektbewertung wurden verschiedene Leistungsbereiche erfasst, wie z. B. die Dokumentation, das Leiterplatten-Layout, die angefertigte Hardware, die Projekt-Homepage und die Abschlusspräsentation. Abschließend kann festgehalten werden, dass sich die
Projektbeteiligung an dem übergeordneten Projekt „CNCMaschine“ einfach realisieren ließ und unproblematisch in
Unterricht
den laufenden Unterrichtsprozess integriert werden konnte. Weitere Kooperationen zwischen den Abteilungen „Metalltechnik“ und „Elektrotechnik“ sind geplant.
4
Schlussbetrachtung
Rückblickend kann das Projekt insgesamt als erfolgreich bewertet werden. Dies wurde nicht zuletzt durch das große Engagement der Auszubildenden deutlich. Es hat sich gezeigt,
dass es für die Leistungsbereitschaft wichtig ist, dass man
mit der eigenen Arbeit zu einem sinnvollen Ergebnis beiträgt.
Abb. 6: MFMH07, Modul Y-Achse/Portal
Abb. 7: CNC.-Fräs- und Graviermaschine, Stand 05/2010.
Dass die Projektinitiative nicht von den Auszubildenden
ausging, wirkte sich nicht merklich nachteilig aus. Wenn
die Auszubildenden von der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit
nicht überzeugt werden können, kann ein solches Großprojekt [3, 20] nicht umgesetzt werden. An dieser Stelle
kann man bereits festhalten, dass es kaum möglich wäre,
über einen relativ langen Zeitraum (2005 bis 2010) an dem
Prinzip der Projektmethode in der hier praktizierten Form
festzuhalten, wenn es nicht nachhaltige Erfolge geben
würde. In den Interviews äußerten die Auszubildenden ihre Arbeitszufriedenheit. Insbesondere wurden die Verknüpfung von Theorie und Praxis, das hohe Maß an Selbstständigkeit, das gemeinsame Arbeiten und die Beteiligung
der Betriebe genannt. Die Lehrenden begrüßten vor allem,
dass der Unterricht abwechslungsreicher, konstruktiver
und immer ergebnisorientiert war. Seitens der Schulleitung wurde die konsequente Umsetzung des handlungsorientierten Unterrichtskonzeptes als sehr gut gelungen
hervorgehoben. Betrachtet man die Zensuren der Auszubildenden, die an diesem Großprojekt mitgewirkt haben,
können die sich durchaus sehen lassen. Ein Beweis dafür,
dass die Projektmethode bessere Ausbildungsergebnisse
liefert, ist das nicht. Berücksichtigt man aber die vielfältigen positiven Aspekte dieser Methode, fällt es nicht
schwer, daran festzuhalten. Nicht zuletzt entstanden im
Unterricht auch vorzeigbare Produkte. Auch im laufenden
Schuljahr arbeiten mehrere Klassen an der Erweiterung
und Verbesserung der Maschine im Rahmen ihrer Ausbildung.
Anmerkungen
Internet:
Projektdokumentation: http://www.bbs-me.de/schule/bsmetalltechnik/
team-feinwerkmechaniker/cncgraviermaschine.html
Otto-Brenner-Schule: http://www.bbs-me.de
Elektrotechnische Assistenten ETA:
http://nibis.ni.schule.de/~bfseta/index.html
Literatur
[1]
Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Feinwerkmechaniker/Feinwerkmechanikerin (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 14. Mai
2002).
[2]
Gudjons, H. 2003: Didaktik zum Anfassen. Regensburg.
[3]
Frey, K. 2010: Die Projektmethode. 11. Auflage. Weinheim und Basel.
[4]
Czerwanski/Solzbacher/Vollstädt (Hrsg.) 2002: Förderung von Lernkompetenz in der Schule. Band 1: Recherche und Empfehlungen.
Gütersloh. URL: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/
SID-8108D575-39F149A9/bst/xcms_bst_dms_27565_27566_2.pdf
(abgerufen am 15. August 2010).
[5]
Rauner/Piening o. J.: Umgang mit Heterogenität in der beruflichen Bildung. Eine Handreichung des Projekts KOMET. Universität Bremen. URL:
http://www.ibb.unibremen.de/fileadmin/user/Fotos/Aktuelles/Hand
reichung_Heterogenitaet_260410_oF_1_.pdf (abgerufen am 15. August 2010).
[6]
Ergänzende Bestimmungen für das berufsbildende Schulwesen
(EB-BbS) RdErl. d. MK v. 10. Juni 2009.
[7]
Diegmann, M. 2010: Berufs- und schulformübergreifender projektorientierter Unterricht in der beruflichen Erstausbildung. In: Kammasch,
G. (Hrsg.) 2010: Ingenieurbildung für nachhaltige Entwicklung, Referate der 5. IGIP Regionaltagung, Beuth Hochschule für Technik. Berlin.
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
171
Nachrichten aus den Ländern
>
Nachrichten aus den Ländern
Bayern
Baden-Württemberg
Baden-Württemberg und
Bayern unterzeichnen
Vereinbarung
Kultusministerin Dr. Marion Schick
(Baden-Württemberg) und Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle (Bayern) unterzeichneten in Laupheim eine Vereinbarung zur engen Zusammenarbeit bei der Lehrergewinnung.
Ziel ist es insbesondere, qualifizierten
Bewerberinnen und Bewerbern, denen der Freistaat Bayern kein Anstellungsangebot machen kann, Wege zu
einer Beschäftigung in Baden-Württemberg zu eröffnen. Bereits zum
Schuljahr 2011/12 sollen verstärkt
qualifizierte Absolventinnen und Absolventen bayerischer Studienseminare für Gymnasien und Realschulen als
Lehrkräfte in Baden-Württemberg eingestellt werden können. Das Nachbarland Bayerns hat Lehrkräftebedarf an
Realschulen, Gymnasien und vor allem
auch an beruflichen Schulen.
Die beiden Kultusministerien werden
sich künftig bei Maßnahmen zur Bewerbersteuerung, auch auf der Ebene
der Kultusministerkonferenz, absprechen. Lehramtsanwärter aus Bayern
sollen in Zukunft bereits an deren Studienseminaren gezielt über Einstellungschancen im Nachbarland informiert werden.
Die beiden Ministerien wollen bayerischen Lehrerinnen und Lehrern eine
unbürokratische Rückkehroption eröffnen. Interessenten erhalten vorab eine
Freigabe für einen Länderwechsel nach
Bayern ab dem Schuljahr 2013/14. Mit
dieser Erklärung können bayerische
Lehrkräfte versetzt werden, falls ihnen
ein Beschäftigungsangebot von Bayern
unterbreitet werden kann. Zur Optimierung des Länderwechsels stellt Baden-Württemberg Bayern sein bereits
entwickeltes Onlineverfahren für den
Lehreraustausch zur Verfügung. Eine
elektronische Antragsstellung und eine rasche Verwaltungsabwicklung sind
dadurch gewährleistet.
KM Bayern
172
Baden-Württemberg
Margarete Schaefer neue
BLV-Vorsitzende
Die Delegiertenversammlung des Verbandes der Lehrerinnen und Lehrer an
beruflichen Schulen in Baden-Württemberg (BLV) hat in Fellbach Margarete Schaefer einstimmig zur neuen Vorsitzenden gewählt. Der BLV ist mit
10.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaftsorganisation im Bereich des beruflichen Schulwesens in Baden-Württemberg und stellt im Hauptpersonalrat am Kultusministerium und in den
Bezirkspersonalräten in den Regierungspräsidien die Mehrheit.
Die neue Vorsitzende ist Leiterin der Johanna-Wittum-Schule in Pforzheim,
einer großen hauswirtschaftlich-sozialpädagogisch-pflegerischen Schule.
Margarete Schaefer tritt die Nachfolge
von Waldemar Futter an.
Vor rund 500 Delegierten und Gästen,
unter ihnen Ministerpräsident Stefan
Mappus und namhafte bildungspolitische Sprecher von im Landtag vertretenen Parteien, kritisierte die neue Verbandsvorsitzende die mangelnde Unterrichtsversorgung der beruflichen
Schulen scharf. Ein strukturelles Unterrichtsdefizit von 4,5 % des Pflichtunterrichts bei mehr als 1.600 Deputaten Bugwelle (zur Vermeidung von
Unterrichtsausfällen vorgearbeiteter
Unterricht) könne nicht länger hingenommen werden. Die Zusicherung,
der Abbau der Defizite könne u. a. aus
der Nutzung der „demographischen
Rendite“ erfolgen, setze voraus, dass
an den Schulen auch alle durch Pensionierungen freiwerdenden Stellen
wiederbesetzt werden. Davon könne
aber im Schuljahr 2010/11 nach allen
vorliegenden Informationen bei Weitem nicht bei allen Standorten die Rede sein. Die Unterrichtsversorgung
müsse dauerhaft 100 % betragen – zuzüglich eines „Innovationspools“ von
5 % für die Erfüllung zusätzlicher Aufgaben und eines Plus für den Ergänzungsbereich.
Der BLV begrüßt grundsätzlich die Einführung und Erprobung eines flexiblen
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Lehrerarbeitszeitkontos, sofern es freiwillig, flexibel, individuell planbar und
politisch und rechtlich abgesichert
wird und das Regelstundenmaß nicht
erhöht wird.
Die gemäß der UN-Konvention geforderte inklusive Beschulung von nichtbehinderten und behinderten Schülerinnen und Schülern erfordere eine
umfassende Fortbildung der Lehrkräfte und eine zusätzliche Einstellung von
Sonderpädagogen an beruflichen
Schulen.
Schaefer erneuerte auch die Forderung nach der Einstellung von Schulsozialarbeitern. Der Gedanke der Prävention und die Etablierung von
rhythmisierten Ganztagesangeboten
an beruflichen Schulen setzten auch
voraus, dass den Schulen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung
gestellt werden. Wenn – wie es in zahlreichen Absichtserklärungen der Parteien heißt – bis zum Jahr 2015 10 %
des Bruttoinlandsprodukts in den Bildungsbereich fließen soll – müssten
diese Vorhaben auch finanzierbar
sein.
BLV
Bayern
Haushalt – Nullrunde bleibt
Die bayerische CSU/FDP-Koalition will
den Doppelhaushalt 2011/2012 um
knapp 100 Millionen Euro aufbessern – aber die Nullrunde für die Beamten soll bleiben. CSU und FDP sind
sich im Grundsatz einig, dass es in
mehreren Bereichen mehr Geld geben
soll: bei den Staatsstraßen, dem
Schulgeldersatz für die privaten Schulen, Behinderten, Handwerksförderung und Schulbusbeförderung, wie
aus Koalitionskreisen in München zu
erfahren ist. Der Bayerische Beamtenbund (BBB) ist jedoch schwer verärgert, dass es bei der Nullrunde bleiben
soll.
Minister Fahrenschon verwies darauf,
dass trotz Besserung die Staatskasse
nach wie vor nicht prall gefüllt ist:
„Wir haben bei den Steuereinnahmen
nach wie vor das Niveau des Jahres
2008 noch nicht wieder erreicht.“ So
Nachrichten aus den Ländern/Nachrichten
argumentiert auch FDP-Haushaltsexperte Karsten Klein: „Wir haben einen
ausgeglichenen Haushalt, aber wir
sind nicht im Finanzparadies.“ Er bitte um Verständnis bei den Beamten.
In den Krisenjahren 2008 bis 2010 habe die Staatsregierung die 42-Stun-
denwoche zurückgenommen, anders als in vielen anderen Bundesländern das Weihnachtsgeld nicht angetastet und die Altersteilzeit beibehalten.
Der Beamtenbund ist vor allem verärgert, weil es für die Abgeordneten
des bayerischen Landtages eine Erhöhung der Diäten um 3,5 % gibt, für
die Angestellten im öffentlichen
Dienst eine Tariferhöhung geben
wird, die Beamten aber leer ausgehen sollen.
BBB
Anzahl der Schülerinnen und
Schüler sinkt um 1,6 %
Berufliche Ausbildung plus
Fachhochschulreife
11,5 Millionen Schülerinnen und Schüler besuchen nach vorläufigen Angaben im Schuljahr 2010/11 allgemeinbildende und berufliche Schulen in
Deutschland. Wie das Statistische
Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt,
ist das ein Rückgang von 1,6 % im Vergleich zum Schuljahr 2009/10.
Der Abteilungsleiter für berufliche
Schulen im bayerischen Kultusministerium, German Denneborg, hat sechs
berufliche Schulen ausgezeichnet, die
Schülerinnen und Schüler besonders
erfolgreich neben der Berufsausbildung zur Fachhochschulreife geführt
haben. „Der berufliche Weg zur Hochschule hat sich mittlerweile als gleichwertige Alternative zum Gymnasium
entwickelt“, so German Denneborg.
Neben der beruflichen Oberschule bieten Berufsschulen und Berufsfachschulen momentan vier Möglichkeiten, neben der Berufsausbildung parallel die Fachhochschulreife zu erwerben:
– Duale Berufsausbildung und Fachhochschulreife (DBFH),
– Berufsausbildung und Fachhochschulreife an Berufsfachschulen des
Gesundheitswesens,
– Berufsfachschule für Hotel- und
Tourismusmanagement und
– Berufsschule plus (BS+).
>
Nachrichten
Im Schuljahr 2010/11 werden 8,8 Millionen in allgemeinbildenden Schulen
und 2,7 Millionen in beruflichen Schulen unterrichtet. Damit geht die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an
allgemeinbildenden um 1,2 % und an
beruflichen Schulen um 2,9 % im Vergleich zum Vorjahr zurück.
Die Entwicklung der Schülerzahlen insgesamt verläuft in West- und Ostdeutschland unterschiedlich: Während an allgemeinbildenden Schulen
im früheren Bundesgebiet die Zahl um
1,6 % sinkt, nimmt sie in den neuen
Bundesländern einschließlich Berlin
um 1,0 % zu.
Bei den beruflichen Schulen liegt die
Schülerzahl im früheren Bundesgebiet
um 1,5 %, in den neuen Bundesländern
einschließlich Berlin um 9,3 % unter
dem Stand des Vorjahres. In Ostdeutschland wirkt sich hier der Geburtenrückgang von Anfang der 1990erJahre in einem besonderen Maße aus.
Die deutlichsten Rückgänge gab es in
Brandenburg (– 12,3 %), MecklenburgVorpommern (– 13,8 %) und SachsenAnhalt (– 11,5 %).
Statistisches Bundesamt
Folgende Schulen wurden mit einer
Urkunde ausgezeichnet:
– Berufsfachschule für Krankenpflege
am St. Theresien-Krankenhaus
Nürnberg,
– Staatliche Fachoberschule Landshut,
– Staatliche Berufsschule Dingolfing,
Hans-Glas-Schule,
– Staatliche Fachoberschule für Technik München,
– Städtische Berufsschule für Fertigungstechnik München und
– Städtische Berufsschule für Industrieelektronik München.
Für die Auszeichnung mussten die Berufsschulen, Berufsfachschulen und
Fachoberschulen drei Kriterien erfüllen: Sie mussten in einem Zeitraum
von fünf Jahren drei erfolgreiche Prüfungsjahrgänge nachweisen. 50 % der
Teilnehmer, die im ersten Jahr in die
Doppelqualifizierung aufgenommen
wurden, wurden auch zur Fachhochschulreifeprüfung geführt. Und 80 %
der Teilnehmer bestanden die Prüfung.
KM Bayern
Abitur und Berufsausbildung
im Doppelpack
Sachsen und Sachsen-Anhalt wollen
jungen Menschen eine Berufsausbildung neben dem Abitur ermöglichen.
Innerhalb von vier Jahren könnten die
jungen Leute dann gleichzeitig ihr Abitur erlangen und eine Ausbildung absolvieren, sagte Sachsens Kultusminister Roland Wöller (CDU) bei der Vorstellung des Projekts in Dresden.
Danach soll ein Studium an jeder
Hochschule möglich sein. Das neue Bildungsangebot soll schon zum nächsten Schuljahr an jeweils zwei Standorten in beiden Ländern starten. Die CDU
in Sachsen-Anhalt wolle im Fall einer
Regierungsbeteiligung nach der Landtagswahl den neuen Doppelabschluss
einführen, erklärten CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff und Kultusministerin Birgitta Wolff in Magdeburg.
Damit hätten Sachsen und SachsenAnhalt ein Projekt entwickelt, das bun-
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
173
Nachrichten/Persönliches
desweit Schule machen könnte, sagte
Wöller.
Die Doppelausbildung starte in Dresden für angehende Fachinformatiker
und Systemelektroniker. In Leipzig
werde das Projekt für die Berufe Industrie-, Werkzeug- und Zerspanungsmechaniker angeboten. 40 junge Leute könnten im Schuljahr 2011/12 die
Doppelausbildung beginnen. Die praktische Arbeit in den Betrieben wird in
Blöcken von drei bis sechs Wochen
während der Schulferien absolviert. In
Sachsen-Anhalt soll das Modellprojekt
für jeweils rund 20 Schülern in Magdeburg für metallverarbeitende und in
Halle für chemische Berufe angeboten
werden.
Bildungsklick
Wettbewerb „Ideen für die
Bildungsrepublik“
Erstmalig startet der bundesweite
Wettbewerb „Ideen für die Bildungsrepublik“. Unter der Schirmherrschaft
von Bundesbildungsministerin Annette Schavan werden beispielhafte Projekte ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für Bildungsgerechtigkeit bei Kindern und Jugendlichen stark machen. Ausgelobt wird der
>
Wettbewerb von der Initiative
„Deutschland – Land der Ideen“, gefördert vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung. Kooperationspartner ist die Vodafone Stiftung
Deutschland.
wuchs durch Ausbildung zu sichern.
Denn der Anstieg bis März 2011 geht
allein auf ein Plus bei den betrieblichen Berufsausbildungsstellen zurück
(+48.900 auf 372.500; außerbetriebliche: –1.000 auf 9.900).
Das Motto des Wettbewerbs lautet
„Gemeinsam für mehr Bildungschancen“. Unter www.bildungsideen.de
können sich bis 16. Mai 2011 Bildungsinstitutionen und Bildungsinitiativen bewerben, die sich als Vorreiter einer gesellschaftlichen Bewegung
für mehr Bildung nachhaltig engagieren.
Zugleich haben bislang insgesamt
388.400 Bewerber die Ausbildungsvermittlung der Agenturen und der
Jobcenter bei der Suche nach einer
Lehrstelle eingeschaltet. Das waren
5.400 mehr als vor einem Jahr. Der demographisch bedingte Trend rückläufiger Bewerberzahlen wird aktuell
durch doppelte Abiturjahrgänge in
Folge der Verkürzung der gymnasialen
Schulzeit auf zwölf Jahre gebremst
(2011: Bayern und Niedersachsen).
Auch das Aussetzen der Wehrpflicht
könnte sich in einem leichten Anstieg
der Bewerberzahlen zeigen.
BMBF
Der Arbeits- und
Ausbildungsstellenmarkt
Die Daten vom Ausbildungsstellenmarkt vermitteln Ende März 2011
noch kein klares Bild. Im Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 wurden der
Ausbildungsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit insgesamt 382.400
Berufsausbildungsstellen gemeldet,
48.000 mehr als im Vorjahreszeitraum.
Zu diesem deutlichen Anstieg beigetragen haben die gute konjunkturelle
Lage und das Interesse der Betriebe,
sich den eigenen Fachkräftenach-
BA
Persönliches
Wechsel im Vorstand
des BIBB
Manfred Kremer, vom 1. Juli 2005 bis zum 30. April 2011 Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), ist nun
in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Der BLBS bedankt sich sehr für seine loyale und immer offene und kollegiale Zusammenarbeit. Hier sei besonders an das Berufsbildungsreformgesetz aus dem Jahre 2005 erinnert. Hier hat
er sich sehr für die leider immer noch nicht voll umgesetzte
Formulierung eingesetzt, dass nach § 39, Abs. 2 der Prüfungsausschuss gutachterliche Stellungnahmen Dritter,
insbesondere berufsbildender Schulen, einholen kann. Der
BLBS wünscht ihm für die hoffentlich noch vielen Lebensjahre eine hervorragende Gesundheit, viel Glück und insbesondere Zufriedenheit.
174
Die Zahl der im März noch unbesetzten Ausbildungsstellen lag mit
237.200 um 30.100 über dem Vorjahreswert. Als noch unversorgt zählten
im März 238.700 Bewerber, 4.400 weniger als im Vorjahr. Allerdings ist es
derzeit noch verfrüht, anhand dieser
Daten eine sichere Einschätzung zur
weiteren Entwicklung auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu geben.
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Professor Dr. Friedrich Hubert
Esser, seit 2005 Leiter der Abteilung Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks und stellvertretender Vorsitzender im Vorstand des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft
für Berufsbildung, wurde am 1.
Mai 2011 Nachfolger von Manfred
Kremer als Präsident des BIBB.
1959 in Grevenbroich geboren, Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser
hat er wie Manfred Kremer den
beruflichen Bildungsweg eingeschlagen, eine Ausbildung im Bäckerhandwerk abgeschlossen, das Abitur über den „zweiten Bildungsweg“ erlangt und
danach Wirtschaftswissenschaften an der TU Braunschweig
sowie Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik
an der Universität zu Köln studiert. Von 1998 bis Juni 2005
Persönliches/Literatur
Lehrbeauftragter an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ist er seit Juli
2005 Honorarprofessor an der gleichen Universität.
Seit 1988 Dozent und Prüfer in der Erwachsenenbildung
sind seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte die Berufs- und Qualifikationsforschung, der Deutsche und Europäische Qualifikationsrahmen (DQR und EQR), die Europäische Berufsbildung und die Entrepreneurship-Education.
Außerdem ist er Herausgeber und Autor handwerkswissenschaftlicher Schriften.
Dipl.-Kfm. Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser wird sich nun mit
den Aufgaben des BIBB beschäftigen, das seine Arbeiten im
Rahmen der Bildungspolitik der Bundesregierung durchführt. Dazu zählen die Berufsbildungsforschung, die Mitar-
>
beit an der Vorbereitung des Berufsbildungsberichtes und
an der Berufsbildungsstatistik, die Mitwirkung an der Vorbereitung von Aus- und Fortbildungsordnungen, die Förderung von Modellversuchen und die Mitwirkung an der internationalen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung.
Zudem sind beim BIBB zahlreiche Sonderaufgaben angesiedelt, etwa die Nationale Agentur Bildung für Europa (NA),
das Jobstarter-Programm oder DEQAVET – die deutsche Referenzstelle für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung.
Der BLBS wünscht Prof. Esser gutes Gelingen und viel Erfolg
bei seiner neuen Aufgabe und hofft, dass sich die bisher sehr
gute Zusammenarbeit auch weiterhin fortsetzt!
H. P.
Bücher
Hilmar Grundmann: Bildung und Integration, Verlag Peter
Lang, Frankfurt am Main 2010, 204 Seiten, ISBN: 978-3631-60381-9, 34,80 Euro
Dieses mit Hardcover ausgestattete Werk befasst sich mit
einem hinlänglich bekannten Thema, nämlich der Bildung,
könnte man meinen, wenn man den Titel für sich betrachtet. Damit unterliegt man aber einem fatalen Irrtum.
Vielmehr geht es dem Autor um die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems, das eigentlich zum Ziel haben
müsste, Menschen zum „Subjekt seiner Handlungen“ zu
machen.
Nach der Beantwortung der Frage, ob der Weg zurück zur
Bildung wichtig und notwendig sei, untersucht der Autor
den geschichtlichen Hintergrund des Bildungsbegriffes.
Ganz besonders im Vordergrund steht dabei Humboldts
Bildungskonzeption, betrachtet unter einem sehr interessanten Aspekt: „Humboldt wollte der ökonomie-lastigen
und ganz am gesellschaftlichen Nutzen orientierten Ausbildung der Aufklärungspädagogik eine von allen ökonomischen Interessen befreite Menschenbildung entgegensetzen.“
Über die Ausarbeitung des Bildungsgedanken von Humboldt kommt der Autor zu einer interessanten Erkenntnis,
die für die berufliche Bildung besonders wichtig ist. Entscheidend ist, ob die ausgeübte Tätigkeit selbst- oder
fremdbestimmt ist. Ist sie selbstbestimmt, dann steht die
praktische Tätigkeit nach Humboldt sogar dem Gelehrten
gut an, ebenso wie die theoretische Bildung dem Handwerker. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass der Lehrer
sein Augenmerk darauf richten muss, die ihm anvertrauten Schüler zur Entfaltung zu bringen, seine persönlichen
Potenziale fördern muss. Dann kann Erziehung gelingen.
Damit ist Aufgabe der Pädagogik, den Schüler dazu zu
bringen, die Welt zu verstehen und seine Persönlichkeit
zu einer sich selbst bestimmenden Individualität zu entfalten.
Dazu dient im allgemeinbildenden und berufsschulischen
Unterricht nach Auffassung des Autors die ästhetische Bildung. Diese Meinung wird mit vielen Quellen und einleuchtenden Begründungen überzeugend belegt. Diese
ästhetische Bildung kann besonders im allgemeinbildenden Unterricht wie z. B. dem Deutschunterricht besonders
gefördert werden, und hier hervorragend im Literaturunterricht. Damit kommt der Autor zu dem Schluss, dass es
unstrittig ist, dass die ästhetische Bildung im Schulunterricht gefördert werden muss, wenn die Schule ihren Bildungsauftrag ernst nehmen will, die Schüler auf das Leben nach der Schule angemessen vorzubereiten. Dazu
muss die allgemeine Bildung ebenso wie die berufliche
beitragen. „Dies deswegen, weil es die allgemeine Bildung
des Einzelnen ist, die darüber entscheidet, wie es um die
Gesellschaft bestellt ist, in der er lebt und dessen Teil er
ist, d. h., vor allem wie menschlich oder unmenschlich es
in ihr zugeht – und die nicht zuletzt über den beruflichen
und damit ökonomischen Erfolg des Einzelnen und des
Ganzen entscheidet.“
Es handelt sich hier also um ein Werk, in dem mit akribischer
Genauigkeit Quellen untersucht und ausgewertet werden,
das aber letztlich für jeden Pädagogen interessante Anregungen für die Gestaltung und das Ziel seines Unterrichts
und seiner „pädagogische Bildungsarbeit“ enthält.
Heiko Pohlmann
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
175
Literatur
Riedl, Alfred: Grundlagen der Didaktik. 2. überarbeitete
Auflage, Stuttgart: Steiner, 2010, 280 S.
Mit dieser 2. Auflage hat der Autor die 1. Auflage der Grundlagen der Didaktik von 2004 um ¾ ihres Umfangs erweitert.
Die Überarbeitung führte somit zu einer beachtlichen inhaltlichen Ausweitung, hinzu kommt die Ergänzung durch
ein Stichwortverzeichnis und ein Verzeichnis der Übersichten.
Der Autor führt allgemein anhand ausgewählter Themen in
die Didaktik ein, bildet – wie im Vorwort formuliert – schlaglichtartig Ausschnitte didaktischer Modell- und Theoriebildung ab und bringt sie verdichtet auf den Punkt. Im Vergleich zur 1. Auflage wurde die Struktur dieses Buches nur
geringfügig verändert. Doch bereits im 1. Kapitel werden die
„Ausgewählten begrifflichen Grundlagen“ breiter dargestellt; „Schule“ sowie „Didaktische Theorie“ kommen als
Teilkapitel hinzu. Nach den „Planungselementen für den Unterricht“ (Kapitel 2) folgen die ausführlichen Darstellungen
von „Lernen im Unterricht“ (Kapitel 3) und von „Didaktischen Modellen“ (Kapitel 4). Der Bezug zur Praxis des Unterrichtens tritt bei den weiteren Kapiteln in den Vordergrund: 5. Planung von Unterricht und methodische Entscheidungen, 6. Didaktische Prinzipien, 7. Traditionelle Unterrichtsgestaltung, 8. Selbstgesteuertes und handlungsorientiertes Lernen, 9. Medien im Unterricht, 10. Leistungsentwicklung und Leistungsdiagnostik in der Schule. Die abschließende Auflistung von einschlägiger Literatur wurde
gegenüber der 1. Auflage um mehr als die Hälfte auf 99 Titel erweitert.
Die vorliegende 2. Auflage der „Grundlagen der Didaktik“ von
Alfred Riedl wird dem Anspruch eines Lehr- und Studienbuches inhaltlich und formal voll gerecht. Die Anordnung von
Text, Überschriften, eingerahmten Definitionen, Übersichten
ist gut gelungen. Jedes Kapitel beginnt mit einer Vorschau auf
den betreffenden Themenbereich; den Abschluss bildet häufig eine Zusammenfassung. Insbesondere konzentrieren die
Übersichten die Struktur oder Kernpunkte des jeweiligen Teilbereichs des didaktischen Feldes. Den gezielten Zugriff auf
einzelne Themen, Problembereiche oder Aspekte der Didaktik und Methodik ermöglichen das detaillierte Inhaltsverzeichnis und ein mustergültiges Stichwortverzeichnis.
Das Buch kann bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften gute Dienste leisten. Es ist allen Studierenden für ein
Lehramt, Studierenden in grundständigen Studiengängen
der Pädagogik und Erziehungswissenschaft sei es in Diplomoder Bachelor- und Masterstudiengängen, Studierenden in
erziehungswissenschaftlichen Aufbaustudiengängen, aber
auch Lehrpersonen in der Praxis zu empfehlen, die ihre theoretischen Kenntnisse und Bezüge aktualisieren wollen.
Die Grundlagen der Didaktik sind in engem Zusammenhang
zu sehen mit der Didaktik der beruflichen Bildung vom gleichen Autor (2004), für die ebenso eine Überarbeitung vorbereitet wird.
Bernhard Bonz
176
Die berufsbildende Schule (BbSch) 63 (2011) 5
Dassler, Stefan: Nachhilfe per Internet. Ein Ratgeber nicht
nur für Lehrkräfte. Diplomica Verlag, Hamburg 2010. ISBN
978-3-8366-9633-3. Fachbuch. 129 Seiten. Euro 29,50.
Mit Nachhilfe per Internet legt Stefan Dassler einen Ratgeber vor, der gekonnt und kompetent in das Thema der Online-Nachhilfe einführt und dabei die Belange und Interessen der unterschiedlichsten Zielgruppen würdigt und abarbeitet. Dem eigenen Anspruch folgend richtet sich das Buch
an Nachhilfelehrer, die bereits online unterrichten oder dies
in Zukunft vorhaben, an Kursteilnehmer jeglicher Fernlerninstitute sowie an diese Institute selbst, an (Groß-)Unternehmen, welche die Online-Alternative im Hinblick auf Weiterbildungsmaßnahmen ins Auge fassen, sowie an Eltern
und Schüler gleichermaßen.
Die möglicherweise schwerste unter den zu bewältigenden
Aufgaben, der sich Nachhilfe per Internet gegenübersieht,
besteht sicherlich darin, dieser äußert breit aufgestellten
Zielgruppe gerecht zu werden. Der Autor bewältigt dies
durch gezieltes Herausgreifen relevanter Ansätze und Aspekte aus den Bereichen der Erziehungswissenschaft, Didaktik, Informatik und Betriebswirtschaftslehre: Neben
grundlegenden Informationen zu e-learning, Internet und
EDV werden u. a. klare Gütekriterien für Nachhilfe per Internet definiert. Auch die Rolle des Dozenten und Anforderungen an denselben werden beschrieben und fixiert. Darüber hinaus wird eine Vielzahl von konkret anwendbaren
Methoden in hilfreicher Weise vorgestellt und erörtert.
Nachhilfe per Internet ermöglicht es Dozenten dadurch,
selbstreflexiv zu arbeiten und sich selbst zu verbessern,
während Schüler und Eltern einen Einblick darin erhalten,
was von guter Nachhilfe im Allgemeinen und guter OnlineNachhilfe im Speziellen erwartet werden kann. Darüber hinaus ist der Implementierung von Online-Lehrangeboten in
größeren und großen Unternehmen ein eigenes Kapitel gewidmet. Auf der Basis fundamentaler Konzepte u. a. der
Marktforschung wird von der Bedarfsanalyse über die Pilotierung bis hin zur Umsetzung ein Raster erstellt, welches
sich bestens eignet, Online-Lehrangebote präzise zu planen
und Schritt für Schritt unter ständiger kritischer Evaluation
erfolgreich zu etablieren.
Die klare, projektorientierte Präsentation all dieser Inhalte
macht Nachhilfe per Internet auch für die Anwendung im
Rahmen von Fortbildungen für alle genannten Zielgruppen
interessant. Als momentan einziges Buch zum Thema setzt
sich die vorliegende Publikation von anderen Arbeiten, die
den Themenkomplex nur ansatzweise aufgreifen, in bedeutender Weise ab. Die vielseitige Anwendbarkeit und das in
einfacher Sprache vermittelte, fachliche wie praktische
Know-how, machen Nachhilfe per Internet für die breite
Zielgruppe empfehlenswert.
Robert Hümmer
N E U A U F L A G E
B E S T E L L E N S I E J E T Z T. G A N Z E I N FA C H . G A N Z W I E S I E W O L L E N .
Immobilienkauf – Chancen
nutzen, Fehler vermeiden
Der Inhalt im Überblick:
• Immobilienkauf – das optimale Objekt zum
günstigsten Preis erwerben
• Auf Augenhöhe mit den Profis
• Checklisten und Beispiele
• Kauftipps aus der Praxis
Was Sie davon haben:
Historisch niedrige Hypothekenzinsen und moderate
Immobilienpreise machen Immobilien für immer mehr
Bundesbürger interessant, ob als Kapitalanlage oder
zum Selbstbezug. Wirklich glücklich mit seiner Immobilie wird auf Dauer nur der, der von Anfang an
Fehler vermeidet. Der Ratgeber aus der Praxis für
die Praxis zeigt Immobilienkäufern, worauf sie achten
müssen, um eine Kaufentscheidung zu treffen, die
sich auch nach Jahren noch als richtig erweist.
So bestellen Sie ganz einfach:
Sie können mit untenstehendem Bestellcoupon per
Post oder Fax bestellen. Oder Sie teilen uns Ihren
Wunsch per E-Mail oder über Internet mit.
208 Seiten
W 14,90*
ISBN: 978-3-87999-053-5
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__ Exemplar/e „Leitfaden für Käufer von Häusern und
Eigentumswohnungen – 22. Auflage“
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Finanziell sicher in Pension:
Leitfaden für Beamte
Der Inhalt im Überblick:
• Individuelle Ruhegehaltsberechnung
• Muster einer Pensionsauskunft
• Zusätzliche private Altersvorsorge
• Steuerliche Förderung
• Checklisten und Beispiele
• Erläuterung versorgungsrechtlicher
Fachbegriffe
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–– Exemplar/e „Finanziell sicher in Pension”
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Was Sie davon haben:
Sinkende Ruhegehaltssätze machen
es auch für Beamte zunehmend erforderlich, rechtzeitig über Versorgungslücken und zusätzliche Altersvorsorge
nachzudenken. Der Ratgeber unterstützt in kompakter Form sowohl
jüngere als auch pensionsnahe
Beamte bei der Berechnung des
individuell zu erwartenden Ruhegehalts
und bei der Planung ergänzender
privater Vorsorge: praxisnah und mit
zahlreichen Beispielen.
So bestellen Sie ganz einfach:
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über Internet mit.
205 Seiten
 15,90*
ISBN: 978-3-87863-151-4
Datum/Unterschrift
4 ?D?<TO8 gLGEL DMX `WGJ[YPDMT
INFORMATIONEN FÜR BEAMTE
UND ARBEITNEHMER
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N E U A U F L A G E
Hilfe für Opfer von Gewalttaten
Opfer einer Gewalttat zu sein ist fast immer ein sehr einschneidendes, sehr persönliches Erlebnis, das oft monatelang, manchmal sogar jahrelang das Leben der betroffenen
Person beeinträchtigt.
Direkte Hilfe vor Ort.
Gewaltopfer können Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten, das natürlich keine Gewalttat, die
damit verbundenen Schmerzen oder Krankheitsfolgen verhindert. Aber es kann helfen, die gesundheitlichen und auch
die finanziellen Folgen einer Gewalttat zumindest zu lindern.
„Erste Hilfe“ ist zeitnah und vor Ort genauso wichtig wie die
langfristige Betreuung, Beratung und Hilfe für die geschädigten Personen.
Deshalb hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(BMAS) einen kleinen Flyer entwickelt, den Sie als „Freund
und Helfer“ den Opfern als erste Information in die Hand
geben können, wenn sich das Geschehen am Tatort beruhigt
hat oder das Opfer später weiter Hilfe braucht.
Bestellwege:
1. Im Internet finden Sie Informationen zum Opferentschädigungsrecht unter www.opferentschädigung.bmas.de
2. Sie können auch die kostenlose Broschüre zum Opferentschädigungsgesetz direkt bestellen (Bestell-Nr. A 719).
3. Oder Sie bestellen als erste Information und zum Weitergeben unseren kostenlosen Flyer (Bestell-Nr. A 720)
Bestellmöglichkeiten sind :
Telefon:
778094*
Schriftlich:
E-Mail:
01805 778090*
Telefax:
01805
Publikationsversand der Bundesregierung
Postfach 481009, 18132 Rostock
[email protected]
* Festpreis 14 Cent/Min. aus den Festnetzen und maximal 42 Cent/Min. aus den
Mobilfunknetzen.
Das neue kompakte
Lehr- und Nachschlagewerk
Subskriptionspreis
bis 08.06.2011
nur EUR 28,80
statt EUR 32,80
• 512 Seiten stark
• Übersichtliche Darstellung
• 10-faches Daumenregister
• Ideal zur Prüfungsvorbereitung
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