Versorgungsevaluation - Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)
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Versorgungsevaluation - Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB)
Versorgungsevaluation Ausgabe 1: Qualitätsgesicherte Versorgungskonzepte Koloskopie Reihenband der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns München, November 2007 Wir gestalten Versorgung. Seit mehreren Jahren entwickelt und organisiert die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) bereits regionale Versorgungskonzepte für die ambulante Versorgung. Diese zielen zum einen darauf ab, bereits bestehende Leistungen in höherer Qualität anzubieten und zum anderen, neue Versorgungsleistungen einzuführen. Neben Qualitätssicherung, Fortbildung der teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten sowie einer validen, elektronischen Dokumentation medizinischer Daten liegt ein wesentlicher Fokus der KVB auf der Evaluation der durchgeführten Maßnahmen. 2 Für die Bewertung der Versorgungsprogramme kooperiert die KVB dabei stets mit externen, unabhängigen wissenschaftlichen Instituten. Die kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen – positiven wie negativen – ist dabei unverzichtbarer Teil der „Qualitätskultur“ der KVB. Neben dem wachsenden Netzwerk wissenschaftlicher Institutionen hat die KVB ein eigenes bundesweit einzigartiges Datenmanagement aufgebaut. Verschiedene Unternehmensbereiche nutzen diese Struktur, um Versorgung zu analysieren, Handlungsbedarf zu identifizieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Aus dem regelmäßigen Erfahrungs- und Wissensaustausch dieser Bereiche entstammt die Idee, die gemeinsamen Erfahrungen, Erkenntnisse und Ergebnisse verschiedener Versorgungsprojekte der KVB zu bündeln und sie in Form eines Reihenbandes einem interessierten Publikum zu präsentieren. Diese Bände werden in Zukunft jedes Jahr erscheinen. Die Erstauflage des neuen Reihenbandes widmet sich dem Thema Koloskopie, da die elektronische Dokumentation aller ambulant in Bayern durchgeführten Koloskopien und die Ergebnisse der sich daran anschließenden wissenschaftlichen Evaluation speziell in diesem Jahr international beachtliche Resonanz fanden. Wir wünschen unseren Lesen viel Spaß mit dem neuen Reihenband! Inhalt Das Bayerische Modell ______________________________________ 4 Versorgungsangebot Koloskopie in Bayern _______________________ 7 Hohe Auszeichnung: Felix Burda Award 2007 ___________________ 8 International positive Resonanz auf der Digestive Disease Week ____ 9 Kooperation der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB): Webbasiertes Dokumentationsportal für ambulante Koloskopien in Bayern ___________________________________10 Einfluss von Alter, Geschlecht und Region auf die Akzeptanz der präventiven Koloskopie in Bayern _______________________12 Prozessqualität in einer Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien ____________________________________________14 Inzidenz und Determinanten von Akutkomplikationen in einer Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien _______________16 Heterogenität der Epidemiologie kolorektaler Adenome ein internationaler Vergleich _______________________________18 Projekte der Zukunft: Einladungswesen Darmkrebsfrüherkennung _________________20 Epigenetic Screening for Colorectal Adenoma and Preneoplasia-(ESCAPE-)Studie _____________________________21 Veröffentlichungsliste und Glossar _____________________________22 Impressum _________________________________________________23 3 Im Überblick Das Bayerische Modell Umfassende digitale Dokumentation aller Koloskopien Deutschland hat mit rund 71.000 neuen Fällen pro Jahr eine der höchsten Darmkrebs-Neuerkrankungsraten der Welt. Im europäischen Vergleich liegen damit Frauen an erster und Männer an vierter Stelle. Bundesweit sterben um die 30.000 Patienten jährlich an der Erkrankung. 4 rücksichtigt. Erschwerend kam die Dokumentation der präventiven Koloskopien mittels Papierbögen bis 2007 hinzu. Wie sich zeigte, brachte eine anschließende Digitalisierung der eingereichten Unterlagen keine ausreichende Datenqualität für die Evaluation und Versorgungsforschung. Diese Zahlen sind erschreckend, vor allem auf Grund der Tatsache, dass mehr als 90 Prozent Eine flächendeckende Teilnahme möglichst aller der Darmkrebsfälle durch Früherkennung verhinBerechtigten sowie die digitale Dokumentation und dert oder geheilt werden Auswertung aller Kokönnten. loskopien bilden für die Ziele der KVB: Bei keiner anderen KrebsKassenärztliche Vereini Elektronische Dokumentation aller in art bietet die Frühergung Bayerns (KVB) das Bayern durchgeführten präventiven und kennung derart große Fundament der Darmkurativen Koloskopien Chancen. Weltweit war krebsfrüherkennung. Deutschland 2002 das Schaffung einer einmaligen, validen Das bayerische Modell erste Land, das DarmDatenbasis für Versorgungsforschung reicht weit über den bunspiegelungen (Koloskopi Stärkung und Sicherung der Qualität desweiten Standard hinen) als Früherkennungsdurch Vorgaben, die über die bundesaus. programm für Darmkrebs weiten Schon seit 1. Januar 2006 eingeführt hat. Vorgaben hinausgehen: besteht daher im Rahmen Versicherte ab 55 Jahre Elektronische anonymisierte Dokudes bayerischen Strukturhaben Anspruch auf zwei mentation aller Koloskopien vertrages die digitale Do(vom Arzt dokumentierte) Hygienezertifkat der KVB kumentationspflicht aller Koloskopien im Abstand teilnehmenden Ärzte. Erfüllung der Qualitätssicherungsvon zehn Jahren. In den vereinbarung zur Koloskopie mit Die Kassenärztliche Verersten drei Jahren haben zusätzlichen Anforderungen einigung Bayerns hat rund neun Prozent der Elektronische anonymisierte Erfassung ein Internetportal entberechtigten Versicherten von Patienten mit familiärem und wickelt, das die sichere an diesem sogenannten hereditärem Darmkrebsrisiko Übertragung aller KoScreening teilgenommen. loskopie-DokumentatiBayernweit führen rund onen vom Arzt zur KVB 530 Gastroenterologen gewährleistet. Das Portal wird sehr gut akzepund Chirurgen im ambulanten Bereich circa tiert und der Erfolg kann sich sehen lassen: Im 250.000 Koloskopien pro Jahr durch. Davon sind Jahr 2006 haben die derzeit 420 teilnehmenden knapp 80 Prozent kurative Koloskopien zur AbkläÄrzte mehr als 58.000 präventive und 187.000 rung eines konkreten Verdachtsfalls. Die restlichen kurative Koloskopien darüber dokumentiert. 20 Prozent umfassen präventive Koloskopien, also Den genauen Verlauf der Nutzung veranschaulicht Darmspiegelungen zur Früherkennung bei Patiendie Grafik. ten ohne Beschwerden. Die Krebsfrüherkennungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen sehen eine Dokumentationspflicht für alle präventiven Koloskopien vor und lassen somit 80 Prozent – alle kurativen Darmspiegelungen – unbe- Die elektronische Dokumentation Anzahl Dokumentationen Eingereichte Dokumentationen pro Woche Summe 2006 7.000 6.000 187.064 5.000 4.000 kurativ 3.000 58.199 2.000 1.000 präventiv 0 1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 Kalenderwochen Im Portal dokumentierende Ärzte: 420 Der von der KVB entwickelte Dokumentationsbogen erfasst die wesentlichen Inhalte der Behandlung wie anonymisierte Patientendaten, den Untersuchungsverlauf und eventuell damit verbundene Komplikationen. Makroskopische und histologische Befunde sowie die Diagnose werden ebenso dokumentiert wie die Angaben zu Größe und Lokalisation entdeckter Polypen, die Polypenabtragung und Biopsie. Die Angaben zum familiären und hereditären Risiko des Patienten fehlen bei den Mindestanforderungen nach der Krebsfrüherkennungsrichtlinie. In Bayern werden auch diese Informationen erhoben. Im Zusammenhang mit den dokumentierten kurativen Darmspiegelungen bietet sich damit die einmalige Gelegenheit, die Epidemiologie dieser Gruppe in Vergleich mit der Screeningpopulation zu setzen. So lässt sich die Zahl der diagnostizierten Adenome und Karzinome bei Risikopatienten mit der von Früherkennungspatienten vergleichen und wissenschaftlich untersuchen. Dokumentiert ist im KVB-Portal auch eine aus der Koloskopie resultierende Operation. Das steigerte die Quote erfasster Karzinomstadien von etwa 5 auf 70 Prozent, also um 65 Prozentpunkte. Plausibilitätsprüfungen garantieren, dass die eingereichten Dokumentationen korrekt sind. Das Benchmarking für die teilnehmenden Ärzte läuft über die Feedback-Berichte. Quartalsweise und zeitnah erhalten die dokumentierenden Ärzte online aktualisierte Auswertungen. Die grafische Aufbereitung und prozentuale Angaben ermöglichen anschaulich und aussagekräftig den Vergleich mit bayerischen Kollegen. Dargestellt werden beispielsweise Antworten auf die Fragen: Wie häufig wurden Polypen entdeckt und abgetragen? In welchem Stadium wurden Karzinome entdeckt? Wie war die Häufigkeitsverteilung der Diagnosen? 5 Die elektronische Dokumentation 6 Die Dokumentation sieht neben dem quantitativen auch ein qualitatives Wachstum vor. Das System ist so angelegt, dass weitere Themen unkompliziert digital ergänzt werden können. Zahlreiche Anregungen seitens der Ärzte unterstützen diese qualitative Entwicklung. Zur wissenschaftlichen Auswertung hat die KVB eine Kooperation mit dem Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) geschlossen - mehr dazu ab Seite 10. Erste Ergebnisse: Die hohe Sicherheit der Koloskopie wird bestätigt. Es bestehen enorme regionale Unterschiede bei der Akzeptanz der Früherkennungskoloskopie; diese Information kann für gezielte Maßnahmen (z. B. Einladungswesen) verwendet werden. Die Epidemiologie der bayerischen Bevölkerung weist zum Teil erhebliche Unterschiede zu den Ergebnissen anderer Studien auf; diese Tatsache spricht für die Notwendigkeit regionalspezifischer Versorgungsprogramme. Versorgungsangebot Koloskopie in Bayern 7 Anzahl koloskopierender Ärzte je 100.000 Einwohner bis 3 4 bis 6 über 6 Standort von Ärzten mit Genehmigung Koloskopie Stand: 08/2007 Quelle: KVB, Landesamt für Statistik Die Koloskopie in Bayern befindet sich im Spannungsfeld zwischen einem hohen Qualitätsanspruch und einer wohnortnahen Versorgung. Um die hohe Qualität der Koloskopie gewährleisten zu können, findet eine Spezialisierung statt, die im Widerspruch mit einem wohnortnahen Angebot von Leistungen stehen kann. Hohe Auszeichnung Felix Burda Award 2007 für das KVB-Projekt „Elektronische Dokumentation der Koloskopie“ Die Felix Burda Stiftung verlieh zum fünften Mal ihre Auszeichnung an Menschen und Institutionen, die sich mit innovativen medizinischen und wissenschaftlichen Projekten zur Förderung der Darmkrebsfrüherkennung verdient gemacht haben. Dr. Axel Munte erhielt in der Kategorie „Medical Prevention“ für das KVB-Projekt „Elektronische Dokumentation der Koloskopie“ den mit 10.000 Euro dotierten Preis, den er sich mit Prof. Tim Greten von der Medizinischen Hochschule Hannover teilt. Dr. Munte erhielt vor mehr als 300 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness den jährlich verliehenen Felix Burda Award nach 2003 bereits zum zweiten Mal. Anlässlich der Preisverleihung wurde mit Dr. Munte folgendes Interview geführt: 8 Preisträger Dr. med. Axel Munte Moderator Dr. med. E. von Hirschhausen Preisträger Dr. med. Axel Munte Herr Dr. Munte, Sie sind für herausragendes Engagement im Kampf gegen Darmkrebs mit dem Felix Burda Award ausgezeichnet worden - schon zum zweiten Mal. Was ist beziehungsweise war Ihre Motivation, sich gerade bei diesem Thema zu engagieren? Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit als Gastroenterologe zu häufig die menschlichen Tragödien erlebt, die eine Darmkrebserkrankung mit sich bringt. Eine rechtzeitige Koloskopie hätte diese verhindert. Dazu kommt, dass sich der Anspruch nach einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung durch die Tätigkeit im Vorstand der KV Bayerns mit engagierten Kollegen und Mitarbeitern auf ein wesentlich breiteres Fundament stellen und auch umsetzen lässt. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal ganz ausdrücklich dem KVB-Entwicklungsteam danken, das sich sehr stark in diesem Projekt „Elektronische Dokumentation der Koloskopie“ engagiert hat und weiterhin engagiert. Der Felix Burda Award wird in dem glanzvollen Rahmen einer Gala und mit ziemlich viel Prominenz verliehen - ist Showbusiness hilfreich bei diesem Thema? Laudator Prof. Friedrich Hagenmüller Was hilft ein wissenschaftlicher Round-Table, wo sich Spezialisten hinter verschlossenen Türen über die Vor- und Nachteile der präventiven Koloskopie auslassen? Das Thema muss in die Öffentlichkeit, weil es die Menschen draußen auf der Straße interessiert. Und wir leben eben nun einmal in einer Event-Kultur. Da ist es so, dass ein glamouröser Rahmen und Prominenz auf rotem Teppich oder Stars im Fernsehen in der Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit erhalten und die Botschaft „kümmert Euch um Euren Darm, geht zur Vorsorge“ dann auch wahrgenommen wird. Und nur darum geht es. Denn plötzlich findet sich der ganz normale Bürger mit den gleichen Problemen konfrontiert wie der Filmstar oder ein Industriemanager. Bayern hat, lange vor einer bundesweiten Initiative, auf elektronische Dokumentation gesetzt, und zwar nicht nur bei der präventiven, sondern auch der kurativen Koloskopie, und verfügt mittlerweile über ein beachtliches Datenmaterial. Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr auf wissenschaftlichen Kongressen veröffentlicht werden. Können Sie uns schon heute einige markante Erkenntnisse verraten? International positive Resonanz Was ich an dieser Stelle schon verraten kann, ist, dass die hohe Sicherheit der Koloskopie bestätigt wird. Aber auch, dass es enorme regionale Unterschiede bei der Akzeptanz der Früherkennungskoloskopie gibt. Diese Information müssen wir für gezielte Maßnahmen, wie etwa dem Einladungswesen, nutzen! Was mich persönlich stark interessiert: Die Epidemiologie der bayerischen Bevölkerung scheint zum Teil erhebliche Unterschiede zu den Ergebnissen anderer Studien aufzuweisen, was natürlich für die Notwendigkeit regionalspezifischer Versorgungsprogramme spricht. Sie bewegen - auch international in Fachkreisen einiges durch Ihr Engagement - wie halten Sie es selbst mit der Vorsorge? Welche Frage! Ich erwarte nichts von anderen, was ich nicht auch selbst bereit bin für meine Gesundheit zu tun. Ich treibe Sport, ernähre mich vernünftig und halte meine Vorsorgetermine selbstverständlich ein. Dazu gehört auch die Darmspiegelung, die ich erst vor 3 Monaten erneut habe durchführen lassen, – im übrigen eine ganz unspektakuläre und völlig schmerzfreie Angelegenheit. Man kann mit wenig Aufwand „außer Verantwortungsbewusstsein“ für den eigenen Körper sehr viel dazu beitragen, dass man bis ins Alter fit und gesund bleibt. Anerkennung für das KVB-Versorgungsprogamm zur Koloskopie Artikel aus dem Bayerisches Ärzteblatt | Ausgabe 07/2007 Zur Digestive Disease Week (DDW), dem weltweit bedeutendsten Kongress auf dem Gebiet der Gastroenterologie, kamen dieses Jahr vom 19. bis 24. Mai knapp 17.000 Teilnehmer ins Convention Center nach Washington D.C. Neben Wissenschaftlern, Ärzten und politischen Entscheidungsträgern aus aller Welt war auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) mit ihrem Versorgungsprogramm zur Koloskopie vertreten. Seit Januar 2006 dokumentieren niedergelassene Gastroenterologen und Chirurgen ihre Koloskopien über ein von der KVB entwickeltes System. Die Entwicklung eines online-Portals, in dem sowohl präventive als auch kurative Koloskopien erfasst werden, zählt für seinen Initiator Dr. Axel Munte, KVB-Vorstandsvorsitzender, zu den bedeutendsten Projekten der KVB. Die Inhalte gehen über die bundesweit geforderte Dokumentation der Früherkennungskoloskopie hinaus: so wird beispielsweise das familiäre Darmkrebsrisiko der Patienten erhoben. „Auf Basis dieser umfassenden und validen Daten können die Ärzte familiär bedingten Darmkrebs früher entdecken und damit viele Menschenleben retten“, erklärt der KVB-Chef. Für die Evaluation der gewonnenen Daten konnte Munte das renommierte Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der Ludwig-Maximilians-Universität München gewinnen. Es wertete die mehr als 230.000 Dokumentationen, die allein im Jahr 2006 eingereicht wurden, aus und erstellte so genannte abstracts zu sechs Themen: Datenerhebung, Akzeptanz der Früherkennung, Epidemiologie, Risikoprofile, Prozessqualität und Komplikationen. Alle abstracts wurden für die DDW angenommen – eine Quote, die allein schon auf die Bedeutung der Daten hinweist. Dr. Berndt Birkner, niedergelassener Gastroenterologe aus München und Mitglied der Vorstandskommission Koloskopie, stellte zudem das Thema Risikoprofile in einer Vortragsreihe und das Thema Prozessqualität bei der Pressekonferenz der DDW vor. Anhand eines Posters erläuterte KVBProjektleiter Volker Augustin darüber hinaus die Methodik der Datenerhebung. Sowohl die Ergebnisse als auch die Durchführung der Dokumentation erhielten vor Ort internationalen Respekt. Amerikanische, kanadische, dänische, französische und norwegische Experten bezeichneten das Dokumentationssystem als beispielhaft, was wieder einmal die Bedeutung regionaler Versorgungsprogramme bestätigt. Dr. Axel Munte, der Vorstandsvorsitzende der KVB, wurde damit für sein langjähriges Engagement für mehr Transparenz durch elektronische Dokumentation belohnt. 9 Kooperation der LMU und KVB Webbasiertes Dokumentationsportal für ambulante Koloskopien in Bayern: Ein Beispiel für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung Volker Augustin(3), Uta Ferrari(3), Stefan Sickel(3), Axel Munte(3), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(²), Ulrich Mansmann(1) In Deutschland werden seit Oktober 2002 ambulante Früherkennungskoloskopien in Papierform dokumentiert. Die für die Evaluation zur Verfügung stehende Datenqualität ist nicht zufriedenstellend, da die Fehlerquote bei der Digitalisierung relativ hoch ist. Darüber hinaus sind gerade die Stadien diagnostizierter Karzinome nur in wenigen Fällen dokumentiert, da diese dem behandelnden Arzt erst nach mehreren Wochen oder sogar Monaten vorliegen (Operation im Krankenhaus). Daten zu kurativen Koloskopien (80% aller Koloskopien) liegen nicht vor. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat daher Anfang 2006 eine webbasierte elektronische Dokumentation für präventive und kurative Koloskopien eingeführt. 10 Aufbau Ergebnisse Die Dokumentation erfolgt über ein mit Login und SSL-Verschlüsselung gesichertes Webportal, aus Datenschutzgründen in pseudonymisierter Form. Die Inhalte der deutschlandweit bestehenden Dokumentation wurden weitgehend übernommen und für die Kuration um Angaben zur Indikation ergänzt. Aktuell dokumentieren 430 Ärzte über das Portal. Dadurch sind 81% der ambulanten Koloskopien in einer Bevölkerung von 12 Millionen Menschen abgedeckt. Im Jahr 2006 wurden 187.000 Dokumentationen zu kurativen und 58.000 zu präventiven Koloskopien eingereicht. Die Datenqualität wurde im Vergleich zur papiergebundenen Dokumentation entscheidend verbessert. Die Quote erfasster Karzinomstadien konnte z. B. von zuvor 5-10 % auf 70 % gesteigert werden (Werte ohne weitere telefonische Nacherhebung). Die Datenbank der KVB umfasst demografische Angaben, Indikatoren für die Prozessqualität, makroskopische und histologische Befunde, Diagnosen, Angaben zu akuten Komplikationen und empfohlenen weiteren Maßnahmen. Die Vorteile einer elektronischen Dokumentation werden gezielt genutzt: So wird etwa das Karzinomstadium auf einem getrennten Bogen erfasst, der nach einer entsprechenden Diagnose automatisch angelegt wird, und später mit den Untersuchungsdaten zusammengeführt. Die dokumentierenden Ärzte erhalten online im Portal Feedbackberichte zu ihren Koloskopien im Vergleich zum Durchschnitt aller bayerischen Ärzte. Eine Evaluation der gewonnenen Daten erlaubt die Untersuchung von Fragen der Versorgungsforschung. Screenshot aus dem Dokumentationsportal. Gezeigt ist eine Übersicht über die Anzahl dokumentierter Patienten nach Alter und Geschlecht für kurative (links) und präventive (rechts) Koloskopien. Die Achsen beider Grafiken sind nach Altersklassen unterteilt; die Anzahl dokumentierter Frauen ist links, die der Männer rechts angetragen. Orange sind die Durchschnittswerte aller dokumentierenden Ärzte, blau die des aktuell angemeldeten Arztes dargestellt. Screenshot aus dem Dokumentationsportal. Die Grafik zeigt die Anzahl aufgetretener Komplikationen bei 1.000 Koloskopien. Links sind therapeutische, rechts diagnostische Komplikationen dargestellt. Es werden folgende Arten unterschieden: Kardiopulmonale Komplikationen, Blutungen und Perforationen. Screenshot aus dem Dokumentationsportal. Dargestellt ist ein Ausschnitt aus dem Dokumentationsbogen: Makroskopischer Befund, Angaben zu Polypen/Adenomen und Komplikationen Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativ-Initiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt. Literatur Dr B-T Karsh. Beyond usability: designing effective technology implementation systems to promote patient safety. Qual. Saf. Health Care 2004;13;388-394 doi:10.1136/ qshc.2004.010322 www.cori.org Schlussfolgerungen Die Online-Dokumentation über das Portal hat sich als technisch umsetzbar, sicher und praktikabel erwiesen. Der Datenschutz ist durch die pseudonyme Erfassung gewährleistet. Die Feedback-Berichte mit ihrem infomativen und edukativen Ansatz werden von den teilnehmenden Ärzten gut angenommen. Das Portal bietet neben dem Benchmarking auch eine verläßliche Basis für Versorgungsforschung. Kontakt Volker Augustin, Projektmanager, Stabsstelle Hausärztliche Versorgung und Strategie E-Mail: [email protected] (1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (2) Gastroenterologische Praxis, München (3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München 11 Kooperation der LMU und KVB Einfluss von Alter, Geschlecht und Region auf die Akzeptanz der präventiven Koloskopie in Bayern: Volkmar Henschel(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Simon Rückinger(1,3), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3) Die Effektivität der Screening-Koloskopie zur Prävention eines kolorektalen Karzinoms hängt von deren Akzeptanz in der Zielpopulation ab. Unsere Ziele waren: detaillierte Daten zu Alter- und Geschlechtseffekten und zu regionalen Unterschieden in alters- und geschlechtsadjustierten Teilnehmerraten zu bestimmen Pilotdaten für gezielte Kampagnen und Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zur Verbesserung der Teilnahme an Programmen zur Prävention des kolorektalen Karzinoms bereitzustellen 12 Materialien und Methoden Ergebnisse Andauernde elektronische Dokumentation in Bayern Ambulante Koloskopien bei Personen mit gesetzlicher Krankenversicherung im Jahr 2006 Alter, Geschlecht und Wohnort (erste 3 Stellen der Postleitzahl) dokumentiert Behördliche regionale altersund geschlechtsstratifizierte Einwohnerzahlen zur Adjustierung benutzt Akzeptanzraten - nicht adjustiert für regionale Heterogenität Statistische Analyse Poissonmodell Geschlecht und Altersgruppen sowie deren Wechselwirkung als feste Effekte Zufällige Effekte für die 79 identifizierten Regionen, welche die adjustierten regionalen Akzeptanzraten beschreiben Stratumsspezifische Population als Offset Farbkodierte Repräsentation der regionalen Effekte in Bayern Für Akzeptanzraten, adjustiert für regionale Heterogenität, s. Abb. 1. Regionale Effekte sind in Abb. 2 dargestellt. Akzeptanz der präventiven Koloskopie ist am höchsten bei Personen zwischen 55 und 65 Jahren nimmt mit zunehmendem Alter ab - bei Männern zwischen 65 und 75 Jahren um 5,3 % - bei Männern älter als 75 Jahre um 59,3 % Wechselwirkungseffekt zwischen Alter und Geschlecht:Akzeptanz bei Frauen im Vergleich zu Männern: - 34,1 % höher in der Altersgruppe zwischen 55 bis 65 Jahren - nahezu auf dem selben Niveau zwischen 65 und 75 Jahren (2,4 % höher) - 32,3 % niedriger in der Altersgruppe über 75 Jahren Ausgeprägte regionale Effekte: Präventive Koloskopie - weniger akzeptiert in ländlichen Regionen - besser akzeptiert im „Speckgürtel“ großer Städte Die Akzeptanz variiert zwischen den Regionen mit den geringsten 10 % und den Regionen mit den höchsten 10 % adjustierten Teilnehmerraten um den Faktor 2,6. Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativ-Initiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt. Literatur: Yoong KK, Heymann T. Colonoscopy in the very old: why bother? Postgrad Med J. 2005;81:196-7. Lin OS et al. Screening Colonoscopy in Very Elderly Patients. JAMA 2006;295:2357-65 13 Abb. 1: Vorhergesagte Akzeptanzraten mit 95 % Konfidenzintervallen Schlussfolgerungen Die Daten stellen eine nahezu komplette Bestandsaufnahme der präventiven Koloskopien bei Personen mit gesetzlicher Krankenversicherung in Bayern dar (Population von 12 Millionen). Es wurde nachgewiesen, dass die Akzeptanz der präventiven Koloskopie mit steigendem Alter abnimmt. Diese Abnahme ist bei Frauen deutlicher ausgeprägt. Die geringe Inanspruchnahme der präventiven Koloskopie von über 75 Jahre alten Menschen steht im Widerspruch zur hohen Inzidenz des kolorektalen Karzinoms. Ob die Akzeptanzrate in dieser Altersgruppe erhöht werden sollte, wird gegenwärtig diskutiert. Es gibt deutliche regionale Unterschiede der Teilnehmerraten. Diese Information kann dazu beitragen, die Aufklärung über Präventionsprogramme zielgerichteter zu führen. Die Teilnehmerraten sind möglicherweise von der Verfügbarkeit von Koloskopien in den Regionen abhängig. niedrig hoch Akzeptanzrate Abb. 2: Zufällige Effekte der bayerischen Regionen Kontakt Dr. Volkmar Henschel E-Mail: [email protected] (1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (2) Gastroenterologische Praxis, München (3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München Kooperation der LMU und KVB Prozessqualität in einer Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien Alexander Crispin(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3) Die Bedeutung der Koloskopie in der Sekundärprävention kolorektaler Karzinome nimmt zu. Durch Einhaltung international anerkannter Standards, z. B. der 2006 von der ASGE publizierten Qualitätsindikatoren (Rex, 2006), lässt sich ein Maximum an Effektivität und Patientensicherheit gewährleisten. Ziele der hier vorgestellten Analysen waren die Bewertung der Prozessqualität von Koloskopien in einem großen Kollektiv ambulanter Patienten, die Identifikation von Risikofaktoren für Untersuchungen mangelhafter Qualität sowie die Bereitstellung eines belastbaren Maßstabs für internationale Vergleiche. Patienten und Methoden Elektronische Koloskopie-Dokumentation der KVB 14 Seit Januar 2006 werden Koloskopien im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in einer zentralen Datenbank der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) dokumentiert. Die Dateneingabe erfolgt gesichert via Login und SSL-Verschlüsselung über ein Webportal. Die Datenbank umfasst demographische Merkmale, Indikationen zur Koloskopie, Indikatoren der Prozessqualität, makroskopische und histologische Befunde, Diagnose, akute Komplikationen sowie Empfehlungen zur weiteren Diagnostik und Therapie. Im Falle einer Krebsdiagnose mit anschließender Operation während eines stationären Aufenthalts werden Informationen zum Tumorstadium ergänzt, sobald die Ergebnisse der histologischen Untersuchung vorliegen. Patienten Im Jahr 2006 wurden 230.756 volljährige Patienten mindestens einmal koloskopiert (176.265 kurativ oder Tumornachsorge, 54.491 Screening). Statistische Verfahren Daten zu soziodemographischen Merkmalen und Indikatoren der Prozessqualität wurden anhand skalenadäquater Lage- und Streuungsmaße beschrieben. Die Exploration von Risikofaktoren für unvollständige Koloskopien erfolgte anhand eines multiplen logistischen Regressionsmodells mit Vorwärtsselektion auf einem AlphaNiveau von 0,05. Ergebnisse Indikatoren der Prozessqualität Gründe für unvollständige Koloskopien (n = 5.922) Merkmale von Patienten mit einem erhöhten Risiko einer unvollständigen Koloskopie Modell-Fit: prädizierte und beobachtete Wahrscheinlichkeiten unvollständiger Koloskopien Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativ-Initiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt. Literatur Rex, D. K. (2006). Maximizing Detection of Adenomas and Cancers During Colonoscopy. Am J Gastroenterol, 101, 2866–2877. Schlussfolgerungen Kontakt Unsere Ergebnisse für eine Vielzahl von Indikatoren der Prozessqualität für ambulante Koloskopien können als Maßstab für internationale Vergleiche mit anderen Programmen dienen. Dr. med. Alexander Crispin, MPH E-Mail: [email protected] Sedierung und gründliche Darmreinigung sind modifizierbare Faktoren, die die Vollständigkeit der Koloskopie begünstigen. (1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (2) Gastroenterologische Praxis, München (3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München 15 Kooperation der LMU und KVB Inzidenz und Determinanten von Akutkomplikationen in einer Serie von 230.756 ambulanten Koloskopien Alexander Crispin(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3) Ziel der vorliegenden Untersuchung waren die Messung des Risikos von Akutkomplikationen in einem großen Patientenkollektiv mit ambulanten Koloskopien und die Identifikation von Patientenmerkmalen, die mit einer höheren Komplikationsrate einhergehen. In den Jahren seit 2000 wurden nur wenige prospektive Studien publiziert, die sich mit dem Risiko von Akutkomplikationen bei Screening- und kurativen Koloskopien befassen. Besonders dürftig ist die Datenlage zum Blutungsrisiko (Becker et al., 2007; Heldwein et al, 2005). Patienten und Methoden Ergebnisse Elektronische Koloskopie-Dokumentation der KVB 16 Seit Januar 2006 werden Koloskopien im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung in einer zentralen Datenbank der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) dokumentiert. Die Dateneingabe erfolgt gesichert via Login und SSL-Verschlüsselung über ein Webportal. Die Datenbank umfasst demographische Merkmale, Indikationen zur Koloskopie, Indikatoren der Prozessqualität, makroskopische und histologische Befunde, Diagnose, akute Komplikationen sowie Empfehlungen zur weiteren Diagnostik und Therapie. Patienten Inzidenz von Akutkomplikationen Risikoindikatoren für Blutungen Im Jahr 2006 wurden 230.756 volljährige Patienten mindestens einmal koloskopiert (176.265 kurativ oder Tumornachsorge, 54.491 Screening). Statistische Verfahren Daten zu soziodemographischen Merkmalen und Indikatoren der Prozessqualität wurden anhand skalenadäquater Lage- und Streuungsmaße beschrieben. Die Exploration von Risikofaktoren für Komplikationen erfolgte anhand eines multiplen logistischen Regressionsmodells mit Vorwärtsselektion auf einem Alpha-Niveau von 0,05. Risikoindikatoren für Perforationen Risikoindikatoren für kardiorespiratorische Komplikationen Mit Blutungen assoziierte Endoskopiebefunde (nur Patienten mit Polypen oder Adenomen, n = 73.032) Literatur Mit Perforationen assoziierte Endoskopiebefunde (nur Patienten mit Polypen oder Adenomen, n = 73.032) Becker et al. (2007). Follow-up after colorectal polypectomy: a benefit-risk analysis of German surveillance recommendations. Int J Colorectal Dis (Epub vor dem Druck). Heldwein et al. ( 2005). The Munich Polypectomy Study (MUPS): Prospective Analysis of Complications and Risk Factors in 4000 Colonic Snare Polypectomies. Endoscopy 37(11):1116-1222. Levin et al. (2006). Complications of Colonoscopy in an Integrated Health Care Delivery System. Ann Intern Med 145:880-886. Schlussfolgerungen Die hier vorgestellten Ergebnisse belegen die niedrige Inzidenz von Akutkomplikationen und damit die hohe Sicherheit von Koloskopien in der Routine der ambulanten Versorgung. In einer neueren Metaanalyse von Becker et al. (2007) fand sich eine ähnliche Rate von Blutungen (0,32 %, 95 %-KI: 0,00 – 2,4) bei diagnostischen Koloskopien, Perforationen schienen jedoch etwas häufiger zu sein (0,073 %, 95 % KI: 0,036 – 0,13). Aufgrund der geringen Anzahl von Komplikationen gestatten die meisten Studien keine multivariate Risikomodellierung (Levin et al., 2006). Die hier vorgestellten multivariaten Modelle belegen spezifische Risikoprofile seitens der Patienten bzw. ihrer Adenome. Patienten mit Läsionen, die eine Biopsie oder Polypektomie erfordern, haben ein erhöhtes Risiko für Blutungen und Perforationen. Die gilt insbesondere für Patienten mit großen Läsionen. Kontakt Dr. med. Alexander Crispin, MPH E-Mail: [email protected] Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativInitiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt. (1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (2) Gastroenterologische Praxis, München (3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München 17 Kooperation der LMU und KVB Heterogenität der Epidemiologie kolorektaler Adenome: ein internationaler Vergleich Christine Adrion(1), Berndt Birkner, FASGE, AGAF(2), Ulrich Mansmann(1), Axel Munte(3) Die Koloskopie gilt als bevorzugtes Verfahren zur Untersuchung des Kolons bei asymptomatischen Erwachsenen oder Patienten mit klinischen Indikationen wie z. B. positivem FOBT, Hämatochezie, Diarrhoe, Eisenmangelanämie, Gewichtsverlust, veränderten Stuhlgewohnheiten, oder bei vorangegangener Polypektomie, Karzinom- bzw. Adenomnachsorge. Genaue Kenntnisse über kolorektale Adenome in großen Populationen sind für ein besseres Verständnis der Adenomepidemiologie und zur Entwicklung effektiver Präventionsstrategien zur Reduktion der Inzidenz kolorektaler Karzinome von essentieller Bedeutung. Das Ziel der hier vorliegenden Untersuchung bestand darin, die Adenomepidemiologie in unterschiedlichen Populationen zu untersuchen und als Möglichkeit dafür zu nutzen, unterschiedliche Screening- und Nachsorgestrategien in Einklang zu bringen. Material und Methoden 18 Sechs Populationen wurden hinsichtlich Adenomprävalenz und der Verteilung von Geschlecht, Alter, Größe, Anzahl und histologischem Typ der Adenome verglichen: BS – Bayerische Patienten mit ScreeningKoloskopie (n = 54.491); BD – Bayerische Patienten mit diagnostischer Koloskopie (n = 175.611); PS – Polnische Screening-Population1 (n = 43.042); ZI – offizieller deutscher Bericht2 zur Screening-Koloskopie 2006 (n = 506.519). Die Datensätze BS und BD entsprechen einer bevölkerungsbasierten Stichprobe von etwa 12 Millionen Bayern auf Grundlage einer gegenwärtig durchgeführten Online-Dokumentation (Januar bis Dezember 2006) von Koloskopien (n = 230.756) bei ambulanten Patienten mit gesetzlicher Krankenversicherung. Einschlusskriterien: Screeningpopulation: Alter ≥ 55 Jahre, kurative Population: Alter ≥ 18 Jahre Auch in der National Polyp Study3 (NPS, USA, n = 1867) und der Funen-Study4 (FU, Dänemark, n = 841) finden sich Berichte zu Patienten mit Adenomen. Ergebnisse Das Durchschnittsalter (±Standardabweichung) in der BS- [BD-] Population beträgt 64,9 Jahre (±6,8) [57,3 (±14,6)] bei Männern und 64,3 Jahre (±6,8) [56,3 (±15,3)] bei Frauen. Für die einzelnen Populationen wurden verschiedene Anteile berechnet (siehe Tabelle 1). Die Differenz der Adenomprävalenz zwischen BS und BD lässt sich möglicherweise durch eine größere Anzahl von jüngeren Patienten (Alter unter 55) mit Colon Irritabile in der Population BD erklären. Tabelle 1: Prävalenz von primären Ergebnisparametern in verschiedenen Studien mit Screening- oder kurativer Population. Berücksichtigt wurde stets der schwerwiegendste Befund. * Durchmesser ≥ 10 mm, hochgradige Dysplasie oder villöse oder tubulovillöse histologische Charakteristika oder beliebige Kombination hieraus In Subpopulationen mit Adenomträgern lassen sich folgende Anteile berichten (Tabelle 2): Tabelle 2: Charakteristika von Patienten mit diagnostizierten Adenomen (histologisch gesichert) Schlussfolgerungen Literatur In internationalen Vergleichen zwischen Europa und den USA zeigen sich deutliche Differenzen in Schlüsselparametern (Risikofaktoren für CRC) der Adenomepidemiologie und in demographischen Eigenschaften sowohl bei Screeningpopulationen als auch Populationen mit Adenomträgern: - geringere Prävalenz diagnostizierter Adenome und invasiver Karzinome in Polen, - höhere Prävalenz fortgeschrittener Adenome in Dänemark (% Größe ≥ 1 cm), - geringerer Anteil tubulärer Adenome in den USA. Somit lassen sich Screeningmodelle nicht unkritisch zwischen unterschiedlichen Gesundheitssystemen übertragen. In den einzelnen Populationen ist die Number Needed to Screen, d.h. die Anzahl an Personen, die gescreent werden müssen, um eine zusätzliche fortgeschrittene Neoplasie im Dickdarm frühzeitig zu diagnostizieren, ebenfalls unterschiedlich, z.B.: PS 17 (95 % KI 16 – 18), BS 12 (95 % KI 11 – 13), BD 14 (95 % KI 13 – 15) 1. Regula J, et al. Colonoscopy in Colorectal-Cancer Screening for Detection of Advanced Neoplasia. N Engl J Med 2006;355(18):1863–1872. 2. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland: wissenschaftliche Begleitung von Früherkennungs- Koloskopien in Deutschland, Berichtszeitraum 2005 – 3. Jahresbericht. 3. Winawer S, et al. The National Polyp Study - Design, Methods, and Characteristics of Patients with Newly Diagnosed Polyps. Cancer 1992;70(5) Suppl.:1236–1245. 4. Jørgensen OD, et al. The Funen Adenoma Follow-up Study. Incidence and death from colorectal carcinoma in an adenoma surveillance program. Scand J Gastroenterol. 1993;28(10):869–74. Kontakt Christine Adrion, MPH E-Mail: [email protected] Diese Arbeit wurde im Rahmen der LMUinnovativ-Initiative „Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften“ durchgeführt. (1) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München (2) Gastroenterologische Praxis, München (3) Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München 19 Projekte der Zukunft Einladungswesen Darmkrebsfrüherkennung Projektzeitraum 01.08.2007 bis 31.12.2008 Ziele Langfristig wird die Einführung eines wirtschaftlichen Einladungswesens zur Darmkrebsfrüherkennung nach Vorbild des Mammographie-Screenings angestrebt. Für dieses Ziel müssen die Krebsfrüherkennungsrichtlinien auf Bundesebene um drei Aspekte ergänzt werden: Erweiterung der Anspruchsberechtigten um Risikogruppen Erweiterung um ein flächendeckendes Einladungswesen Einführung einer zentralen und standardisierten Auswertung des FOBT (Test auf okkultes Blut im Stuhl) Dieses Pilotprojekt soll dafür die geeigneten Argumente liefern. Kurzbeschreibung 20 In diesem Pilotprojekt soll die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen zur Steigerung der Teilnahmequote an der Darmkrebsfrüherkennung ermittelt werden. In einer cluster-randomisierten Studie werden die unterschiedlichen Varianten in räumlich getrennten Regionen ausgetestet und anschließend miteinander verglichen. Die wirkungsvollste Variante soll flächendeckend umgesetzt werden. Folgende Faktoren stehen dabei im Mittelpunkt: Steigerung der Teilnahmequote an der Darmkrebsfrüherkennung Steigerung der Qualität und der Effizienz der Beratung Einführung einer zentralen Auswertung des FOBT Status/Ergebnisse In der Konzeption Erste Kontakte mit Kassen und weiteren Partnern Partner Felix-Burda-Stiftung Netzwerk gegen Darmkrebs Kontakte zu weiteren Partnern sind hergestellt Ansprechpartner: Tobias Krug ([email protected]) Epigenetic Screening for Colorectal Adenoma and Preneoplasia-(ESCAPE-)Studie Projektzeitraum 01.03.2008 bis 01.03.2011 Ziele Validierung eines blutbasierten „Marker Sets“ zur Früherkennung von Darmkrebspatienten Erkennung und Risikostratifizierung von Patienten mit diagnostizierten Polypen Frühzeitige Diagnose und Risikostratifizierung kolorektaler Präneoplasie als neues Konzept molekularer Früherkennung und zur Verhinderung der Darmkrebsentstehung Nutzung der elektronischen Datenbasis der KVB für aktive Versorgungsforschung Kurzbeschreibung Bis heute werden die meisten Fälle des Darmkrebses in bereits fortgeschrittenen Stadien entdeckt. Die Entdeckung von Darmkrebs in früheren Stadien würde die Behandlung wesentlich verbessern. Die Teilnahmerate der zur Früherkennungs-Koloskopie berechtigten Personengruppe ist jedoch u.a. aufgrund einer geringen Akzeptanz der Koloskopie niedrig. Blutbasierte Marker zur frühzeitigen Darmkrebserkennung sind bislang nicht auf dem Markt erhältlich. Im Rahmen des Projekts soll eine neue Methodik eines blutbasierten Marker Sets zur Darmkrebsfrüherkennung in der ambulanten Versorgungsrealität erprobt und validiert werden. Weiterhin soll das Marker Set zur Risikoabschätzung der Rezidivbildung von Adenomen genutzt werden. Diese beiden Verfahren reduzieren potentiell die Kosten im Gesundheitswesen, indem diejenigen Personen identifiziert werden, bei denen ein konkreter Verdacht auf die Entwicklung eines Darmkrebses besteht oder die ein erhöhtes Risiko tragen, präneoplastische oder neoplastische kolorektale Läsionen erneut zu bilden. Primär sollen dadurch Darmkrebserkrankungen verhindert werden. Im Rahmen der Studie sollen Patienten, bei denen eine ambulante präventive oder kurative Koloskopie durchgeführt wird, zur freiwilligen Teilnahme an der Studie motiviert werden. Ergänzend zur Koloskopie wird dann eine Blut- bzw. Gewebeprobe entnommen und zentral ausgewertet. Die KVB übernimmt im Rahmen der ESCAPE Studie die Logistik zur Entnahme und zentrale Auswertung der Gewebe- und Blutproben durch die bayerischen koloskopierenden Ärzte. Weiter stellt sie mittels ihres Dokumentationsportals die elektronische Datenbasis zur Verfügung, um einen Abgleich zwischen dem Ergebnis der Blut- und Gewebeprobenuntersuchung und dem Diagnoseergebnis bei der Durchführung der Koloskopie zu ermöglichen. Aufgrund der Anbindung an die elektronische Dokumentation ist es möglich, eine hohe Anzahl an Patienten in die Studie zu integrieren, außerdem wird eine hohe Datenqualität und Datenvalidität erzielt. Status Antrag zur Finanzierung des Projektes an das BMBF in Arbeit Umfrage zur Teilnahmerate mit guter Resonanz der koloskopierenden Ärzte abgeschlossen Entscheidung über Bewilligung der Finanzierung im März 2008 Partner II. Medizinische Klinik und Poliklinik - Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (Prof. Ebert) Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Pathologie (Prof. Röcken) Epigenomics AG (Ph.D. Berlin), Berlin Projektleitung: Prof. Ebert ([email protected]), Ansprechpartner: Stefan Sickel ([email protected]) 21 Veröffentlichungsliste | Glossar Veröffentlichungsliste: A. Crispin, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Incidence and Determinants of Acute Complications in a Series of 145,401 Outpatient Colonoscopies. Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-642 C. Adrion , B. Birkner, U. Mansmann , A. Munte. Do individuals with suspected hiher risk for colorectal cancer show different risk profiles in colonoscopy ? Gastroenterology 2007,132, Suppl 2: A-149 C. Adrion, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Heterogeneity of colorectal adenoma epidemiology: an international comparison. Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-314 V. Henschel , B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Impact of sex, age, and region on acceptance of screening colonoscopy in Bavaria (Germany). Gastroenterology 2007;132, Suppl 2: A-316 V. Augustin, U. Ferrari, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Web-Based Documentation Portal for Outpatient Colonoscopies in Bavaria (Germany) A Tool for Quality Assurance and Health Care Services Research. Gastrointestinal Endoscopy April 2007 (Vol. 65, Issue 5, Page AB367) A. Crispin, B. Birkner, U. Mansmann, A. Munte. Process Quality Indicators in a Series of 145, 401 Outpatient Colonoscopies. Gastrointestinal Endoscopy April 2007 (Vol. 65, Issue 5, Page AB311) 22 Glossar (in alphabetischer Reihung) Adenom: gutartige Geschwulst aus Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt Benchmarking: vergleichende Analyse mit festgelegten Referenzwerten Biometrie: Entwicklung und Anwendung statistischer Methoden im Rahmen empirischer Untersuchungen an Lebewesen Biopsie: Entnahme und Untersuchung von Gewebe Epidemiologie: Wissenschaft zur Untersuchung von Faktoren, die zur Gesundheit und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen Evaluation: wissenschaftliche Auswertung Gastroenterologie: Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit der Diagnostik und Prävention von Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes befasst Histologischer Befund: Dokumentation der Gewebeprobe nach erfolgter Biopsie Karzinom: Krebserkrankung/Tumor Makroskopischer Befund: Erstbefund nach durchgeführter Koloskopie Polyp: makroskopisch sichtbare Ausstülpung (Geschwulst) im Dickdarm Screening: hier Vorsorgekoloskopie (auch bei Intervention; ohne Indikation) Screeningpopulation: Population, die sich einer Vorsorgekoloskopie unterzieht Impressum Herausgeber: Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns Elsenheimerstraße 39 | 80687 München | www.kvb.de Schlussredaktion: Stabsstelle Kommunikation 23 Redaktion, Grafik und Layout: CITYteam | www.cityteam.de Hinweis: Die Inhalte dieser Broschüre sprechen Frauen und Männer gleichermaßen an. Zur besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Sprachform (z. B. Arzt, Ärzte) verwendet. Stand: November 2007 Wir gestalten Versorgung.