Givat Haviva Update April 2016

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Givat Haviva Update April 2016
Givat Haviva Update April 2016
Ein Brief von unserem Direktor Yaniv Sagee
Liebe Freunde und Partner,
Ende April, zu Pessach, versammelten sich die Juden aus aller Welt um den Seder-Tisch und
gedachten der Ereignisse in Ägypten, die unserem Volk die Freiheit bringen sollten. Kein Wert
ist mit diesem Fest mehr verbunden und wird in diesen Tagen intensiver diskutiert als der der
Freiheit. Doch in diesem Jahr stellte ich mir die Frage: Sind wir wirklich frei? Es scheint so,
denn wir leben in unserem eigenen, unabhängigen Land und sind Herren unseres eigenen
Schicksals. In Wirklichkeit fühle ich jedoch, dass wir eben nicht das freie Volk in unserem
eigenen Land sind, wie es die Nationalhymne suggeriert. Wir sind immer noch gebunden:
diesmal von den Fesseln des Nationalismus, des Rassismus und des Hasses.
Rassismus und Gewalt sind in unserer Gesellschaft mittlerweile so häufig geworden, dass wir
uns an diese Auswüchse gewöhnt zu haben scheinen. Wir haben fast vergessen, wie eine
normale Gesellschaft aussieht. So weit haben wir uns von unseren Idealen entfernt, dass ein
Soldat, der einen verletzt am Boden liegenden Attentäter vorsätzlich erschießt, in Teilen von
Politik und Gesellschaft zum „Helden“ wird, während die gesamte Befehlskette, vom
Kompaniechef bis zum Chef des Generalstabs diese Tat als absolut inakzeptabel verurteilt.
Schlimmer noch, ist dieser Wahnsinn nun auch nicht mehr nur die ausschließliche Domäne
nur einer Seite des politischen Spektrums. Was bereits am Vorabend der letzten Wahlen
begann, als ein hysterischer Premierminister an den Rassismus seiner Wähler appellieren
musste, um zu die Abstimmung zu gewinnen, setzt sich nun in einem Oppositionsführer fort,
der in seinem eigenen Kampf ums politische Überleben nicht davor zurückschreckt, sich dem
gleichen wahnsinnigen Mob auf der Straße anzubiedern. Bereits vor zweihundert Jahren
bemerkte Samuel Johnson: "Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken." Und so wird
in Israel 2016 Rassismus – als Patriotismus verbrämt – die letzte Zuflucht der Populisten. Man
stützt sich auf die Teile der Gesellschaft, dessen Herz vergiftet ist durch den Hass auf „die
Araber“.
Rassismus und Gewalt haben ihren Preis und die Währung, in der er bezahlt wird, ist die
Freiheit aller. Demokratie ist wie ein feines und empfindliches Tuch und wenn ein Teil
beschädigt wird, dröselt auch der Rest des Gewebes auf. Auch, wenn manche dieser Illusion
unterliegen mögen, kann man Freiheit und Demokratie nicht den einen geben und den
anderen verweigern. Wer in einer Demokratie bereit ist, die Freiheit anderer einschränken,
wird sehr bald entdecken, dass auch seine Freiheit in Gefahr ist. Oftmals jedoch, setzt sich
diese Erkenntnis erst dann durch, wenn es zur Umkehr bereits zu spät ist.
Ein freies Land ist ein Land, das Meinungsfreiheit und Meinungspluralismus bewahrt. Es ist ein
Land verschiedenster Gruppen und Identitäten, von denen alle ihren Platz haben und in dem
verschiedene Narrative koexistieren, ohne Dominanz oder Alleinherrschaft einzufordern. Es
ist ein Land, in dem das Militär die militärischen Normen und die Zivilgesellschaft die zivilen
Normen definieren, und in dem Politiker versuchen, zu einen, anstatt zu spalten. Das ist das
Land, für das es sich lohnt, vierzig Jahre durch die Wüste zu wandern. Das Land, für das es sich
lohnt, zu kämpfen.
Ihr
Yaniv Sagee
Executive Director, Givat Haviva
Anmerkung: Dieser Text entstand noch bevor Ministerpräsident Netanyahu den
Oppositionspolitiker Avigdor Liberman und seine Partei Unser Haus Israel in die Koalition holte
und Liberman, einen ausgesprochenen Falken und Hardliner im Umgang mit den „den
Arabern“ das Verteidigungsministerium versprach. Yaniv Sagees Einschätzung erhält durch
diese neueste Entwicklung eine besondere Aktualität.
Die Highlights
Öffentlicher Raum
Der 17. April war der offizielle Starttermin des neuen Projekts "A Roadmap for a SharedSociety". Führende Persönlichkeiten aus allen Teilen der israelischen Gesellschaft, Juden wie
Araber, Männer und Frauen sowie Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bildung
und Wissenschaft kamen zur Eröffnungsveranstaltung des Programms auf den Campus Givat
Havivas. Nach einem Grußwort der Programmdirektoren hielt Professor Jay Rothman einen
ersten Workshop zum Thema "Die Kraft des `Warum´" ab, der das Fundament für die
anspruchsvolle Arbeit des Projekts bildete.
Entwicklungsziele.
Die Teilnehmer werden 5 professionelle Arbeitsgruppen bilden, die in
den kommenden neun Monate konkrete Ziele und Maßnahmen in den
Bereichen Bildung, wirtschaftliche Entwicklung, Governance /lokale
Verwaltung,
Landnutzung,
kulturelle
Repräsentation
und
Entwicklungsprozesse definieren werden.
Alle Themenbereiche
basieren dabei auf der Grundlage der UN-Millenniums-
Jede Arbeitsgruppe wird von je einer jüdischen und einer arabischen Persönlichkeit des
öffentlichen Lebens geleitet, die sowohl anerkannte Experten in dem jeweiligen Fachgebiet
sind, als auch die Kraft und die Persönlichkeit besitzen, die Mitglieder der Gruppe auf den
Projektprozess einzuschwören und deren Arbeit so zu steuern, dass allgemein vertretbare
Ergebnisse aus der Arbeit entstehen. Den jeweiligen Arbeitsgruppen zugeordnet sind
professionelle Mediatoren und ein Team von Wissenschaftlern, die dafür Sorge tragen, dass
die Ergebnisse dem Stand der Forschung auf ihrem Fachgebiet entsprechen und die
Ergebnisse der Arbeit der Öffentlichkeit professionell vermittelt werden können. Eine erste
Sitzung der Arbeitsgruppen fand direkt im Anschluss an die Eröffnungszeremonie statt.
Die so entstandenen Ziele und Erwartungen an eine inklusive und
demokratische Bürgergesellschaft werden von Givat Haviva
aufgenommen und in das Roadmap-Dokument überführt werden.
In einer massiven PR-Kampagne soll dieses Dokument dann der
israelischen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Ein erweiterter
öffentlicher Diskurs soll die Billigung der formulierten Ziele durch
die Gesellschaft und das Engagement weiterer Gruppen und
öffentlicher Träger sichern sowie Machbarkeit und Umsetzung überprüfen.
Professor Jay Rothman bei seinem
Workshop
Mohammed Darawshe bei der Eröffnungsveranstaltung
Bildung
Das Pessach-Fest machte den April zu einem kurzen Monat und Zeit wurde im Educational
Department damit zu einer noch knapperen Ressource. Dennoch können wir auch hier über
einige Highlights berichten.
Mit dem neuen Shared Communities-Paar Zemer und Emek Hefer arbeitet das Team nach
wie vor unter Hochdruck an der Entwicklung seiner Projektinhalte, derzeit mit einem
Schwerpunkt auf den besonderen Herausforderungen regionaler Raumordnung. Zeitgleich
entwirft das Team Givat Havivas ein Begegnungsprogramm für Kindergartenkinder – auch für
uns ein neues Zielpublikum!
Zweiundzwanzig jüdische und arabische
Jugendliche trafen sich mit ihren Familien an
einem Aprilwochenende zur Vorbereitung
der Herz-zu-Herz-Delegation im ShomriaSommerlager in Kanada. Das ShomriaSommerlager ist eine Veranstaltung des
kanadischen Hashomer Hatzair (dt. Der Junge
Wächter), der Jugendorganisation der
Kibbutzbewegung, zu der auch Givat Haviva
gehört. Jedes Jahr folgt eine Delegation von 20 jüdischen und arabischen Jugendlichen aus
unseren Begegnungsprojekten der Einladung des kanadischen Hashomer Hatzair in das
Sommercamp ins ländliche Ontario. Neben Wissenswertem über den Austausch nahmen die
Familien auch an diversen Kennenlern- und Vorbereitungsworkshops teil. Die diesjährigen
Teilnehmer und Teilnehmerinnen stammen aus den Gemeinden Megiddo, Ma`aleh Irron, Kfar
Kara und Baqa El-Gharbiyah.
Ebenfalls voll im Gange sind die Vorbereitungen für
den „Learning Together“ Jugendgipfel, der am 31.
Mai in Givat Haviva stattfinden wird. Alle 600 Schüler
des Programms werden an diesem Tag
zusammenkommen
und
ihre
gemeinsamen
Lernprojekte
vorstellen
und
untereinander
diskutieren. Die Schüler im „Learning Together“Programm sind derzeit mit der Feinabstimmung Ihrer
Projekte beschäftigt.
Ebenfalls im April erhielt Givat Haviva den mit € 3.500,- dotierten Stiftungspreis der DagmarSchmidt-Stiftung aus Meschede für das Projekt „Zwischen Rhein und Jordan“, einer
Jugendbegegnung zwischen jüdischen und arabischen Schülern und Schülerinnen aus Israel
und gleichaltrigen Jugendlichen aus Rheinland-Pfalz. Begrüßt wurden die Gäste, darunter viele
Freunde und Förderer der Stiftung durch den Vorsitzenden Reinhard Schmidt sowie den
stellvertretenden Landrat Dr. Michael Schult. Anschließend erläuterte Torsten Reibold das
Projekt unter Bezugnahme der Ziele der Stiftung: Verständigung fördern, Begegnung
ermöglichen, Jugendliche unterstützen. Eine anschließende Diskussionsrunde moderierte der
heimische
SPDBundestagsabgeordnete
Dirk
Wiese. Mit anwesend war auch
eine Delegation aus Israel: Zufällig
befanden sich zur gleichen Zeit der
Landrat des Megiddo Regional
Council, Itzik Holevsky, mit zwei
weiteren Mitarbeiten in Meschede.
Megiddo ist der israelische
Partnerkreis
des
Hochsauerlandkreises
und
v.l.n.r: stellvertretender Landrat Dr. Martin Schult, Irmgard
gleichzeitig Partner im Projekt
Sander Geschäftsführerin der Stiftung, Reinhard Schmidt,
Vorsitzender, Torsten Reibold, Repräsentant Givat Haviva, Dirk
Shared Communities.
Wiese, MdB, Friedel Grützmacher, Vorsitzende des
Freundeskreises Givat Haviva
Kommunale und Regionale Partnerschaften
Neuigkeiten aus unseren Shared Communities: Das Umwelt-Forum der Gemeinden Baka elGarbiya und Menashe arbeitet weiter am „Nachbarschaftsweg“, einem Erholungs- und
Wanderpfad, der beide Kommunen miteinander verbinden und historische und andere
erzieherische Elemente enthalten soll. Das gemeinsame Kunstzentrum zwischen Megiddo
und Ma`ale Irron ist nun offiziell für Besucher geöffnet. Eine weitere Ausstellung ist bereits in
Planung. Beide Gemeinden haben sich darüber hinaus auf die Finanzierungsbedingungen zum
„Wadi Miska“ geeinigt – einem gemeinsam geplanten Naherholungsgebiet. In der Paarung
Zemer - Emek Hefer besuchten Vertreter der arabischen Gemeinde Zemer das Ruppin
Technological College in Emek Hefer. Ziel der Zusammenkunft war es,
Kooperationsmöglichkeiten mit dem College auszuloten, und die Eröffnung von
Berufsbildungskursen für Arbeitssuchende aus Zemer. Ziel dieser Förderkurse sind die
Steigerung der Qualifikation arabischer Arbeitnehmer und deren Integration in die lokale
Wirtschaft. Die Emek Hefer Industrial Zone, eines der größten Industriegebiete in der Region,
fördert diese Maßnahme mit, um so qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte in der direkten
Nachbarschaft anwerben zu können. Ebenfalls in der Paarung Zemer - Emek Hefer trafen sich
die Direktoren der ansässigen Mittelschulen, um Partnerschaften zwischen ihren Schulen zu
initiieren. Ein gemeinsamer Arbeitsplan soll die Umsetzung gemeinsamer Begegnungs- und
Lernprojekte erleichtern und Lehrpläne aufeinander abstimmen.
Executive-Konferenz
im
Emek Hefer-Industriepark
mit Teilnehmern aus Zemer.
Rani Idan eröffnete die
Konferenz mit dem Satz:
"Friede beginnt zwischen
Nachbarn. Wir arbeiten auf
allen Ebenen, um eine
starke Partnerschaft zu
schaffen. "
Gewinner des Menschenrechtspreises arbeiten für einen Tag zusammen.
Ilan Sadeh, Bürgermeister der Gemeinde Menashe Regional Council besuchte im April für
einen Tag seinen Kollegen Hassan Atamneh, den Bürgermeister von Kfar Kara in dessen Büro
und übernahm einen Teil seiner Aufgaben. Beide sind die Gewinner des
Menschenrechtspreises der Friedrich Ebert-Stiftung 2015, den sie für ihr Engagement im
Shared Communities-Programm erhielten. Ilan Sadeh besuchte dabei ein Treffen mit
hochrangigen städtischen Beamten, hielt die Bürgersprechstunde in Kfar Kara ab, besuchte
ein Seniorenheim sowie die in Kfar Kara ansässige arabisch-jüdische Schule "Brücke über den
Wadi." Für die kommenden Monate ist Hassan Atamnehs Gegenbesuch im Rathaus von
Menashe Regional Council geplant.
Links: Ilan Sadeh, Leiter der Gemeinde Menashe Regional Council, rechts Hassan
Atamneh, Bürgermeister von Kfar Kara.
Kultur und Sprachprogramme
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen
des Programms Mit den Augen des
Anderen unternahmen eine Tour zur
Grünen Linie und der Sperranlage. Mit
dabei war der Direktor des jüdischarabischen Zentrums für den Frieden,
Riad Kabha. Riad führte die
Jugendlichen anschließend durch sein
Heimatdorf Barta´a. Die Gruppe hatte
dort die Gelegenheit, die Eigenheiten
des
Lebens
in
diesem
Dorf
kennenzulernen, das bereits seit dem Jahr 1949 in eine israelische und eine zuerst jordanische,
später palästinensische Hälfte geteilt ist.
In Deutschland eröffnete am 1. April
die Ausstellung Schau mich An! in
den
Räumlichkeiten
des
evangelischen Dekanats in Bad
Kreuznach. Superintendent Marcus
Harke begrüßte die Gäste mit den
Worten Dietrich Bonhoeffers „Nur
aus dem Unmöglichen kann die Welt
erneuert werden; dieses Unmögliche
ist der Segen Gottes“. Julia Klöckner,
die
CDU-Landesvorsitzende
in
Rheinland-Pfalz erinnerte in einem
sehr persönlich gehaltenen Grußwort v.l.n.r: Superintendent Marcus Harke, Torsten Reibold,
Schulreferent Ekkehard Lagoda
an die Wirkungsmacht vererbter
Konflikte. Im Anschluss referierte Torsten Reibold, der Europa-Repräsentant Givat Havivas,
über die Arbeit der Einrichtung.