Jan Kersten - Universität Erfurt
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Jan Kersten - Universität Erfurt
Jan Kersten Heimat-Universität: Universität Erfurt Fachrichtung: Kommunikationswissenschaft, Sozialwissenschaften Semester: 5 (im Ausland beurlaubt) Kontakt E-Mail: [email protected] Telefon: - Fax: - Auslandsaufen thalt & Zielland: Estland Zielort: Tartu Datum von - bis 07.02.2007 – 09.07.2007 Grund des Aufenthaltes: Auslandsstudium Visum etc. Kein Visum nötig, Aufenthaltserlaubnis kostet 10€ Flugkosten 30-50€ mit Easyjet Berlin-Tallinn Miete Ca. 100€ für ein Einzelzimmer, Nebenkosten und Internet (40€) Essen 225€, ca. 10% günstiger als in Deutschland Organisation / Institution: Ansprechpartner: Universität Tartu / Internationales Büro Weiterführende Informationen Auslandskontakt Person & Studium Name: Kosten in € pro Monat Auslandsbericht – Deckblatt Ülle Tensing (Head of International Student Office), Piret Pumm (Incoming Students), Jaanika Haljasmäe (Erasmus-Coordinator) Strasse: Ülikooli 18 Postleitzahl Ort: 50090 Tartu Web-Adresse: www.ut.ee E-Mail-Adresse: [email protected], [email protected], [email protected] Telefon: +372 7375150 Fax: +372 7375 153 Nützliche Internet-Links: Nr. Name 1. Universität Tartu 2. Stadt Tartu 3. Baltic Times 4. Wetter Estland 5. Universitätsbücherei Tartu 6. Studentenwohnheim Tartu 7. Estnische Busverbindungen 8. Internationale Busverbindungen 9. Erasmus Student Network (ESN) 10. Deutsche Botschaft Tallinn September 2007 Link www.ut.ee www.tartu.ee www.baltictimes.com www.ilm.ee www.utlib.ee www.kyla.ee/eng/index.php www.bussireisid.ee www.eurolines.ee, www.ecolines.ee www.esn.ee/web/tartu www.tallinn.diplo.de/de/Startseite Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Auslandssemester an der Universität Tartu, Estland Sommersemester 2007 vom 07.02.2007 bis 09.07.2007 Einleitung: „Estland ist nicht unbedingt das typische Ziel für ein Auslandsstudium.“. -schreibt eine Stipendiatin in Ihrem Auslandsbericht. Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Dennoch gerät auch Estland, in dem Maße wie Osteuropa insgesamt mehr und mehr Beachtung findet, stärker in den Fokus von reisefreudigen Studenten. Mein Vorwissen zu dem nördlichsten der drei baltischen Staaten war auch nicht gerade groß als ich mich entschloss, mich für ein Semester an der Universität Tartu zu bewerben. Auf die „Gegend“ aufmerksam geworden bin ich jedoch schon eher. Zu Schulzeiten habe ich mehrfach an einem Austausch mit einer litauischen Partnerstadt teilgenommen. Als sich nun die Möglichkeit bot, ein anderes baltisches Land kennen zu lernen, habe ich diese gerne ergriffen. In diesem Auslandsbericht möchte ich Estland allgemein vorstellen und dabei auch auf jüngste Ereignisse während meines Aufenthalts eingehen. Weiterhin werde ich die Universität Tartu vorstellen, über mein Studium vor Ort berichten und einige Tipps zu Reisen, Formalitäten und kulturellem Leben geben. Estland: Estland ist das nördlichste der drei baltischen Länder, grenzt im Süden an Lettland, im Osten an Russland und im Norden und Westen an die Ostsee. Es ist in etwa so groß wie Niedersachsen, hat auf dieser Fläche allerdings nur knapp 1,4 Mio. Einwohner. Unabhängig wurde Estland Anfang der 1990er Jahre, nachdem es etwa 50 Jahre als „Estnische SSR“ zur Sowjetunion gehörte. Die Bevölkerung, die zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges zu 90% aus ethnischen Esten bestand, besteht heute etwa zu 30% aus ethnischen Russen, die während der Sowjetzeit im Rahmen der Russifizierung, in deren Zuge die estnische Sprache und Kultur gezielt unterdrückt wurde, in Estland angesiedelt wurden. Diese große ethnische Minderheit ist heute sehr schlecht integriert was immer wieder zu ethnischen Konflikten führt. (Dazu später mehr). 2004 ist Estland im Rahmen der EU-Osterweiterung der Europäischen Union beigetreten und NATO-Mitglied geworden. Obwohl Brüssel bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien weitere Anstrengungen anmahnte, präsentierte sich Estland vor allem aufgrund seiner wirtschaftlichen Performance als „Musterkandidat“. Heute boomt Estland zusammen mit Lettland mit über 11% Wirtschaftswachstum – führend in der EU. Die Investitionen in Estland vor allem aus skandinavischen Ländern haben zu einer raschen Modernisierung des Landes geführt. Vor allem im Bereich der Telekommunikation ist Estland weit fortgeschritten. Skype etwa, mit heute mehr als 220 Mio. Nutzern weltweit, ist eine estnische Erfindung; die Forschung und Entwicklung findet nach wie vor in der Hauptstadt Tallinn statt. Generell ist Estland in Sachen Internet sehr fortschrittlich. Internetzugang wurde zu einem Grundrecht erklärt; mehr als 700 kostenlose, öffentliche Internetzugänge im ganzen Land stellen dieses sicher. In diesem Jahr war es erstmals möglich seine Stimme bei den Parlamentswahlen online abzugeben, und die Kabinettsräume der estnischen Regierung sind so mit Hightech ausgerüstet, dass ein fast papierloses Arbeiten möglich ist. Neben neuen Hight-Tech Industrien ist vor allem die Möbel- und Papierindustrie für Estlands Wirtschaft von Bedeutung. Universität Tartu: Tartu ist mit etwas über 100.000 Einwohnern, nach der Hauptstadt Tallinn, die zweitgrößte Stadt Estlands und das intellektuelle Zentrum Estlands. Etwa ein Fünftel der Einwohner sind entweder Studenten oder an der Universität beschäftigt. Dementsprechend ist das Leben in Tartu stark vom Universitätsbetrieb geprägt. 1 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Gegründet wurde die „Tartu Ülikool“ in schwedischer Zeit 1632. Mehrere Schließungen, Verlegungen, Brände und Zerstörungen hat die Universität bis heute überstanden. Die wichtigsten Gebäude im Stadtkern, wie etwa das Hauptgebäude der Universität, wurden alle Anfang des 19. Jahrhunderts gebaut. Hier finden sich vor allem Geistesund Abb. 1 Hauptgebäude der Universität Gesellschaftswissenschaften. Etwas außerhalb in nagelneuen Bauten sind die Räume der forschungsstarken Biotechnologie und Medizin untergebracht. Für ausländische Studierende wird das Angebot ständig erweitert, dennoch ist das Angebot an englischsprachigen Kursen begrenzt und kann außerdem von Semester zu Semester variieren. Vor dem Hintergrund sinkender Studentenzahlen aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge, plant die Uni allerdings, das Angebot auszubauen um vermehrt ausländische Studenten anzulocken. Zwei englischsprachige Programme aus denen sich die meisten Austauschstudenten ihr Programm zusammenstellen sind das „Prometheus Program of Transition Studies“ und das „Baltic Studies Program“. Letzteres ist ein eigenständiges Masterprogramm, das jedoch auch ausländischen Studenten offen steht. Beide Programme sind meiner Meinung nach in erster Linie für Studenten der Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften und verwandter Studiengänge interessant. Behandelt werden etwa Themen wie die Transformation der baltischen Staaten nach der Wende bis zum EU-Beitritt, ethnische Probleme und Integration der russischen Minderheit in den baltischen Staaten und wirtschaftliche Entwicklung im Baltikum. Ein weiterer Fokus liegt auf der Entwicklung Russlands nach Zusammenbruch der Sowjetunion und den Russland – Baltikum Beziehungen. Darüber hinaus gibt es im Baltic Studies Program allerdings auch Kurse die sich etwa mit Geographie oder der Flora und Fauna in Estland befassen. Ich persönlich fand die Kurse nicht besonders schwierig, den Arbeitsaufwand jedoch recht hoch. Dies hängt natürlich vom jeweiligen Dozenten und Kurs ab. Man kann davon ausgehen, dass man drei Prüfungsleistungen pro Kurs liefern muss: etwa eine Kombination aus einem Referat, einer Klausur oder mündlichen Prüfung und einer Hausarbeit. Vorbereitung: Meine ersten Informationen zum Studienort Tartu habe ich bei einer Informationsveranstaltung zu Auslandsaufenthalten an der Universität Erfurt bekommen. Da ich mich auf eine Förderung durch das ERASMUS-Programmm beworben habe und in diesem Rahmen mein Semester absolviert habe, waren die Formalitäten nicht sehr kompliziert. Für die Bewerbung war nur ein Motivationsschreiben, Abiturzeugnis und eine Notenübersicht aus dem Studium notwendig. Nach der Zusage kann man sich aus dem online stehenden Kursangebot der Universität Tartu ein Programm zusammenstellen und füllt ein Learning agreement aus. Dies dient der späteren Anerkennung von Kursen an der Heim-Uni. 2 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Meine Erfahrungen mit diesem Prozedere sind sehr schlecht. Erfahrungsgemäß ändert sich das Angebot der Kurse bis zum Studienbeginn mehrfach, so dass das Learning Agreement völlig hinfällig sein kann wenn man dann vor Ort ist. Wegen des Versicherungsschutzes in Estland hilft eine kurze Nachfrage bei der Krankenkasse. In meinem Fall übernahm die normale Auslandskrankenversicherung nur einen „Urlaubsaufenthalt“ von bis zu 6 Wochen, daher habe ich für das Semester eine extra Versicherung abgeschlossen. Vor Ort sind die Formalitäten sehr schnell erledigt. Als EU-Bürger muss man nur eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Diese kostet 150 EEK (Estnische Kronen) (1€~15,65EEK). Wer sich vor Antritt des Aufenthalts in Estland ein bisschen über das Land informieren möchte, dem steht eine Menge Reiseliteratur mit sehr unterschiedlicher Qualität zur Verfügung. Abraten kann ich von Reiseführern wie denen von Marco Polo und ähnlichen dünnen Heftchen. Hier kann man sich zwar an schönen bunten Bildern erfreuen, die Informationen sind aber in erster Linie für Urlaubsreisende zusammengestellt und sehr oberflächlig. Auch der Baedeker zum Baltikum hat mich nicht überzeugen können. Ein meiner Ansicht nach sehr guter Reiseführer, der auch viele Hintergrundinformationen liefert und für einen mehrmonatigen Aufenthalt reichlich Informationen liefert ist: Marenbach, Claudia (2005). Baltische Länder. Lettland, Litauen, Estland. Michael Müller Verlag. Erlangen. Die 22,90€ sind gut investiert. Auch gut gefallen hat mir die aktuelle, deutsche Ausgabe des Lonely Planet zu den Baltischen Staaten. Ich hatte leider nicht die Möglichkeiten vorab einen Sprachkurs Estnisch zu belegen. Einen ersten Einstieg vermittelt „Kauderwelsch, Estnisch Wort für Wort“ (Grönholm 2002). Ebenfalls eine sehr empfehlenswerte Quelle für aktuelle Infos rund ums Baltikum ist die BalticTimes (www.baltictimes.com), die einzige englischsprachige Zeitung im Baltikum. Sehr hilfreich bei Fragen aller Art zum Aufenthalt sind die Tutoren die jedem ausländischen Studenten zur Seite gestellt werden. Diese stellen sich ca. zwei Monate vor Reisebeginn vor und sind eine große Hilfe in der Planung, aber auch gerade in den ersten Wochen vor Ort. Wer nur ein Semester in Tartu studieren möchte, dem bietet sich das Wohnheim Raatuse 22 sehr an. Alle internationalen Studenten die einen Wohnheimplatz haben möchten werden hier normalerweise untergebracht. Das Wohnheim wurde erst 1999 gebaut, ist also recht modern und liegt nur fünf Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Man kann Einzel- oder Doppelzimmer beziehen, vorab garantiert wird meist nur ein Platz im Doppelzimmer, vor Ort lässt sich dann aber meist auch ein Einzelzimmer mieten. Drei Zimmer sind wiederum zu einem Appartement zusammengefasst. Man teilt sich also Küche und Bad mit zwei bis fünf Personen. Die Miete für ein Einzelzimmer beträgt 1600EEK/Monat, für ein Doppelzimmer die Hälfte. Dazu kommen dann noch die Nebenkosten (inklusive Internet Faltrate) von etwa 600EEK. Die Anmeldung für einen Wohnheimplatz erfolgt online unter: Fast alle (www.kyla.ee/eng/index.php). internationalen Studenten sind auf dem legendären „Fourth floor“ untergebracht. Abb. 2 Wohnheim Raatuse 22 Legendär wegen der vielen Partys und des Dauerkonflikts mit dem Wachpersonal. Meiner 3 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Erfahrung nach trifft man normalerweise zu jeder Tages- und Nachtzeit Studenten die sich auf dem Flur aufhalten. Das ist natürlich sehr kommunikativ - dementsprechend ist aber auch der Lärmpegel – was konzentriertes Arbeiten manchmal erschwert. Die Anreise nach Estland mit dem Flieger ist sicherlich der einfachste Weg. Günstig sind vor allem Easyjet und Estonian Air die von Berlin bzw. Frankfurt regelmäßige Flüge nach Tallinn anbieten. Vom Flughafen aus fährt man mit der Buslinie 2 drei Stationen bis zum Busbahnhof und kann da einen Schnellbus nach Tartu nehmen. Diese fahren tagsüber zwei bis dreimal pro Stunde. Die genauen Verbindungen kann man am Besten auf www.bussireisid.ee herausfinden. Ein Studententicket für die 185km-Strecke nach Tartu kostet ca. 90EEK. Eine Alternative zum Flug nach Tallinn ist die Verbindung mit Ryanair nach Riga. Auch von da aus gibt es regelmäßige Busverbindungen nach Tartu (www.eurolines.ee, www.ecolines.ee). Das Bahnnetz ist in Estland sehr schlecht ausgebaut, Zugfahren ist zwar sehr günstig, es fahren allerdings nur sehr wenige Züge und diese sind auf der Strecke Tallinn-Tartu kaum schneller als der Bus. Situation vor Ort: Bei meiner Ankunft in Estland Anfang Februar ging die Sonne um 16 Uhr unter und Tartu begrüßte mich mit Dunkelheit, Unmengen an Schnee und Temperaturen zwischen –25° und 30° Celsius-Temperaturen bei denen bei jedem Atemzug die Nase einfriert! (Keine Sorge bis Juni steigen die Temperaturen um 60°☺) An der Universität sind die Einführungstage für ausländische Studenten perfekt organisiert. Ein Tutor kümmert sich jeweils um eine Gruppe von Studenten und begleitet sie durch die verschiedenen Informationsveranstaltungen. Dazu gehört etwa eine Einführung in die UniBibliothek und eine Erläuterung zum Anmeldeverfahren für die Kurse. Außerdem bekommt man ein sehr nützliches Heft mit allen wichtigen Informationen rund ums Studium und Leben in Tartu samt Ansprechpartnern. Nicht nur am Anfang des Semesters, aber da besonders wartet das Erasmus Student Network (ESN) (www.esn.ee/web/tartu) mit tollen Aktionen auf. So etwa das Pub Crawling bei dem man auf feucht-fröhliche Art die Stadt kennen lernt. Ein weiteres Highlight ist das Cottage Weekend bei dem man die estnische Saunakultur samt Sprung ins Eisloch erleben kann. Darüber hinaus organisiert das ESN Kennlernpartys und vermittelt Tandem-Partner zum Erlernen der Estnischen Sprache. Abb. 3 Der Brunnen "Küssende Studenten" auf dem Rathausplatz 4 Ein sehr interessantes Angebot sind die im Semester jeden Mittwoch stattfindenden Filmabende bei denen im Eurocollege Spielfilme und Dokumentationen gezeigt werden die sich thematisch mit der Transformation ehemaliger Sowjetrepubliken befassen. Ein Highlight gegen Ende des Semesters sind die Student days. Eine Woche lang gibt es vielfältige kulturelle Veranstaltungen, Konzerte, Wettbewerbe usw. Das Angebot reicht von Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Mudwrestling über RedBull-Flugshow, Boots- und Downhillrennen bis zu hin zum „Culture Market“ bei dem alle ausländischen Studenten sich und ihre Länder präsentieren. Neben vielfältigen Sonderveranstaltungen gibt es für kulturell Interessierte auch regelmäßige, günstige Angebote. So kann man schon für etwa 80EEK im Theater „Vanemuise“ oder im kleinen Schauspielhaus Opern oder Konzerte besuchen. Für die spätere Abendgestaltung bietet Tartu drei größere Clubs (Club Tallinn, Club Atlantis und Club Illusion) und zahllose Kneipen und Bars für jeden Musikgeschmack. Stellvertretend seien hier drei genannt: Im Suudlevad Tudengid („küssende Studenten“) gibt es Mittags günstige Studentengerichte und abends oft Auftritte von Jazzbands. Das „Crepp“ ist ein mehrfach ausgezeichnetes Restaurant, in dem man für nur 30EEK hervorragende Crêpes genießen kann. Bei Studenten sehr beliebt ist auch der „Püssirohukelder“(„Pulverkeller“), ein großes Gewölbe im Domberg. Hier gibt es regelmäßig Lifemusik und hausgemachtes Bier. Auswärts Essen gehen ist in Tartu relativ günstig, für unter 3€ kann man gut satt werden. Da es in Estland keine Mensen gibt empfiehlt sich der Besuch eines der günstigen Restaurants. Direkt neben der Uni liegt etwa das „Ülikooli Kohvik“. Wer selbst kochen möchte kann seine Einkäufe vom Wohnheim aus aber auch sehr schnell und günstig erledigen. Direkt neben dem Wohnheim befindet sich ein Supermarkt der jeden Tag von 9 bis 23 Uhr geöffnet hat. Während Lebensmittel ein wenig günstiger sind als in Deutschland haben die Preise für Unterhaltungselektronik und Kleidung oft deutsches Niveau. Generell sollte man sich vor Antritt der Reise nach Estland eine ISIC-Karte besorgen. Schon auf der Fahrt von Tallinn nach Tartu kann man damit Geld sparen. Außerdem gibt es in fast jedem Geschäft und vielen Kneipen Rabatte mit dieser Karte. In einem Semester kann sich das schnell auf dreistellige Beträge belaufen. Für Sportler bietet Tartu vielfältige Möglichkeiten. Von der Uni aus gibt es ein reichhaltiges Angebot für Hobby- bis Profisportler in allen möglichen Sportarten. Wer gerne läuft dem empfehle ich den sehr schönen, etwa zehn Kilometer langen Rabbit Trail am Emajögi entlang. Außerdem gibt es mit dem Aura Keskus (www.aurakeskus.ee) ein sehr neues Schwimmbad mit 10*50 Meter Bahnen zum Trainieren und einem Spaßbad und Saunabereich. Reisetipps: Dadurch, dass das Semester sehr früh beginnt ist es möglich die letzten Prüfungen an der Uni schon Anfang Juni abzulegen. Wer nicht dringend an der Heimatuni Prüfungen zu absolvieren hat, dem empfehle ich sehr, sich zwei, drei Wochen Zeit zu nehmen, um den estnischen Sommer für Reisen zu nutzen. Vor allem zur Zeit der Sommersonnenwende machen sich viele Esten auf, den längsten Tag auf einer der beiden großen Inseln Saaremaa oder Hiumaa zu verbringen. Letztere ist wenig touristisch erschlossen, bietet aber besonders viel unberührte Natur aber im Norden der Insel auch noch sehr umfangreiche und relativ gut erhaltene Bunkeranlagen und andere Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Pärnu, die 55.000 Einwohnerstadt an der Ostseeküste ist der Badeort Estlands. Wer es im Sommer etwas lebhafter als auf den Inseln mag ist hier richtig. Im Winter ist ein Ausflug in den Süden Estlands für Rodler und Skifahrer ein Muss. Rund um den Suur Munamägi (318m), den höchsten Berg Estlands gibt es reichlich Wintersportmöglichkeiten. Dank der guten Busverbindungen kann man alle größeren estnischen Städte zu Tages- und Wochenendausflügen gut erreichen. Auch nach Riga kommt man von Tartu mit dem Bus sehr gut. Alle vier Jahre findet in Tallinn das „Laulupidu“ , ein riesiges Gesangsfestival statt. Mit Chören von bis zu 15000 Sängern halten die Esten ihre lange Gesangstradition und die Erinnerung an die „Singende Revolution“ wach. Wer die Möglichkeit hat das zu sehen sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. 5 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 Von Seiten der Uni werden im Semester oftmals Studienfahrten angeboten die gut organisiert sind und ein spannendes Programm haben. Ich habe beispielsweise eine Fahrt nach Narva und eine viertägige Rundtour nach Russland mitgemacht. Wer an letzterer teilnehmen möchte sollte nichts gegen lange Busfahrten auf sehr schlechten Straßen haben, einen stabilen Magen haben und vor allem in St. Petersburg seine Wertsachen zusammenhalten... Wenn das Geld bzw. die Zeit reicht kann man mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki fahren und sich die finnische Hauptstadt ansehen. Fährüberfahrten dauern je nach Verbindung zwischen 1,5 und 3 Stunden und kosten etwa 30€. Wer aus Estland kommt muss sich auf der anderen Seite der Ostsee allerdings auf vergleichsweise gesalzene Preise einstellen. Eine ebenfalls wunderschöne, längere Reise bietet sich nach Litauen an. Dort ein Highlight ist die Kurische Nehrung mit ihren riesigen Sanddünen und dem Thomas-Mann-Haus. Auch ein Besuch der Hauptstadt Vilnius lohnt sich, bedarf allerdings noch einmal einiger Stunden Busfahrt weiter in den Süden. Unterwegs kann man sich dann noch die Studentenstadt Kaunas und die beeindruckende Burg „Trakai“ ansehen. Zu aufwändig für mein Budget war ein Ausflug nach Stockholm, mit günstigen Flugverbindungen oder der Fähre ist aber auch das möglich. Abb. 4 Altstadt Tallinn Ethnische Konflikte: Während meines Semesters in Estland gab es in dort massive Zusammenstöße zwischen ethnischen Esten und ethnischen Russen. Aufhänger für diese Krawalle war der sogenannte „Bronzesoldat“. Da es nicht Schaden kann, als Besucher in Estland die Hintergründe zu diesen Auseinandersetzungen zu kennen, möchte ich kurz ein paar Sätze dazu verlieren. Der Bronzesoldat, an dem sich der Streit in diesem Frühjahr entzündete, ist eine zwei Meter hohe Statue die 1947 von den Sowjets als Denkmal für die gefallenen Soldaten im Kampf gegen das 3. Reich in Tallinn errichtet worden ist. Zu seinem Fuße sollen, je nach Quelle +/14 Soldaten liegen. Dieses Denkmal wird von „Esten“ und „Russen“ (in „“, weil die Bezeichnungen heikel sind: viele ethnische Russen haben einen estnischen Pass, sind also Esten, fühlen sich aber nach wie vor russisch.) unterschiedlich betrachtet. Esten sehen das Denkmal als ein Symbol der fremden Herrscher, die jahrzehntlang grausam und brutal das estnische Volk beherrscht und unterdrückt haben. – Für Russen ist der Soldat ein Symbol für den Kampf und Sieg über Nazi-Deutschland – ein Symbol welches auch für die Befreiung Estlands steht! 1940 ist die SU in Estland eingefallen – Hintergrund dazu war unter anderem der Molotow-Ribbentrop Pakt. Deutschland eroberte die Gebiete wieder zurück, wurde aber 1944 von der SU besiegt. In der kurzen Zeit sowjetischer Herrschaft gab es schon Massenmorde, Deportationen und erste Schritte massiver Ansiedlung von Russen in den besetzten Gebieten. Das führte dazu, dass bis 1944 estnische Untergrundkämpfer in SSVerbänden und mit SS-Verbänden, später auch alleine gegen die SU kämpften. Generell ist schon damals die Angst vor russischem Einfluss größer gewesen als vor deutschem. Die Deutschen, die lange Zeit die Oberschicht in Reval und Dorpat usw. darstellten waren wohl in 6 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 vielerlei Hinsicht besser im Land integriert und verwurzelt (wie etwa der deutsche Friederich von Berg) als dass die Sowjetrussen in den folgenden Jahrzehnten je geworden sind. Jetzt aus heutiger Sicht allerdings zu sagen, die Russen sind die Bösen, die Russen machen Krawall, die Esten sind unschuldig, trifft die Sache auch nicht. Die Gründe warum die Situation so aus dem Ruder gelaufen ist, sind vielfältig – wie immer... Ich habe mich in diesem Semester in einer Hausarbeit u.a. vergleichend mit der Integrationspolitik Estlands und Lettlands in Bezug auf die russische Minderheit auseinandergesetzt. – Und genau hier hakt es. In der Inter-warperiod, zur Zeit der estnischen Unabhängigkeit gab es russische, deutsche, lettische, schwedische Minderheiten in Estland, dennoch war die Bevölkerung zu 90% estnisch. Bis 1989 ist der Anteil der Russen auf mehr als 30% gestiegen, in Lettland war der Anteil noch höher. Deutsche und Schweden sind mit Beginn der 2. Weltkrieges komplett emigriert. 1990 waren nur ~60% der estnischen Bevölkerung ethnische Esten. Hintergrund war die aggressive Siedlungspolitik der SU. Bei der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten stellte sich dann das Problem was als Spannungsverhältnis zwischen Nation-State und Liberal Democracy beschrieben wird (Wer wissenschaftlich interessiert ist kann das bei Linz und Stepan nachlesen;-). Vereinfacht: Auf der einen Seite der Versuch, eine eigenständige Nation zu bilden, auf der anderen Seite das Ideal einer echten Demokratie, die alle einbinden sollte. Das Problem ist offensichtlich: Die Länder wollen sich aus sowjetisch/russischer Fremdherrschaft lösen – welche Gefahr stellt dann eine 30% russische Minderheit für diesen Prozess dar, wenn sie komplett wählen darf? Während Litauen bei der Unabhängigkeit allen Einwohnern Staatsbürgerrechte gegeben hat (sehr kleine russische Minderheit, Polen waren stärker vertreten aber auch nur einstellige Prozentzahlen), haben Lettland und Estland in ihrer Gesetzgebung die Mehrheit der ethnischen Russen ausgegrenzt und so eine große Gruppe staatenloser oder russischer Staatsbürger im eigenen Land entstehen lassen, die von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen war. Der Integrations- und Naturalisierungsprozess dieser Minderheiten lief in den 1990ern sehr schlecht und erst seit 2000 gibt es überhaupt ein Integrationsprogramm seitens des estnischen Staates.– Kurz gesagt, die estnische Politik hat stark auf Assimilation statt Integration gesetzt. Die Gründe sind mit Blick auf das Ziel von Nationenbildung und Unabhängigkeit teilweise gut nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz trägt diese Politik nun massiv zu den aktuellen Problemen bei. Dabei ist der Bronzesoldat nur ein Aufhänger. Die eigentlichen Probleme liegen in den sozialen Verhältnissen und fehlender Integration. Um ein paar Stichworte zu nennen: Die Verteilung der Russen konzentriert sich auf Ida-Virumaa, den Ostteil Estlands und Tallinn. In Ida-Virumaa, mit der größten Stadt Narva, direkt an der Grenze zu Russland, ist der Anteil der Russen ~90%, in Tallinn 50%. Die Menschen leiden unter hoher Arbeitslosigkeit, fehlender Modernisierung und sozialen Problemen. Die HIV-Rate ist in diesen Gebieten, genauso wie die weiter beschleunigende Verbreitung von HIV, die höchste in ganz Europa. Neben den Versäumnissen seitens der Politik müssen sich auch viele Russen den Vorwurf machen lassen, sich selbst nicht zu bewegen und vor allem auf die umfangreichen, kostenlosen Sprachlernangebote nicht zu reagieren. Ich selbst war in Narva mit dem Erlebnis konfrontiert, auf estnisch noch nicht mal ein Eis bestellen zu können, bzw. Antworten in russisch zu erhalten. (Und es lag nicht an meinen Estnisch-Kenntnissen, dazu hat es gereicht...;-) Letztendlich ist hier also ein Symbol Auslöser für das Aufbrechen sozialer Probleme. Außer Frage steht allerdings, dass die Gewalt von russischen Jugendlichen ausging, der eine Tote, der zu beklagen war, war ein 19 jähriger Russe der von einem anderen Russen erstochen wurde. Wenn man die Youtube-Videos sieht, wird auch deutlich, dass es sich bei den Ausschreitungen um nichts weiter als Kriminalität handelt, Läden werden ausgeraubt, Autos angezündet. Zum Glück wurden diese Delikte auch so behandelt – als Staftaten und nicht politisch, was in der Aufarbeitung der Ereignisse die Spannung etwas herausnahm. Auch wenn die Ausschreitungen Geschichte sind und es seit Anfang Mai in Estland wieder ruhig ist wird es wohl lange dauern bis diese Geschehnisse komplett aufgearbeitet sind. Es 7 Jan Kersten, Erfurt-Ilmenau Auslandsbericht Universität Tartu, Estland SS 2007 bleibt zu hoffen, dass der Anstoß gegeben wurde um neue Anstrengungen zur Integration der russischen Minderheit vorzunehmen. Situation nach der Rückkehr und Fazit: Mein Fazit des Auslandsaufenthalts ist sehr positiv. Ich bin sehr zufrieden damit, ein „exotisches“ Land für mein Erasmus-Semester gewählt zu haben. Ich habe sehr viel über Osteuropa und das Baltikum speziell gelernt – Gebiete Europas die zukünftig aufgrund der starken wirtschaftlichen Entwicklung auch für Deutschland an Bedeutung gewinnen. Ich habe gerade auch im Austausch mit Studenten aus aller Welt neue Perspektiven und Meinungen kennen gelernt. Die Entscheidung im Sommersemester nach Estland zu gehen stellte sich ebenfalls als sehr sinnvoll heraus. Zwar ist das Angebot an Kursen und die Zahl ausländischer Studenten oftmals kleiner. Dies verbessert aber auf der anderen Seite den Kontakt untereinander, und nicht zuletzt sind die klimatischen Bedingungen im Sommersemester einfach günstiger um das Land kennen zu lernen. Auch das Lernen der sehr exotischen estnischen Sprache hat viel Spaß gemacht. Wenn es auch sehr schwierig ist und der Nutzwert außerhalb Estlands eher gering ist, kann ich es nur empfehlen vor Ort estnisch zu lernen weil es den Zugang zu Land und Leuten doch sehr vereinfacht. Fachlich hat mich das Studium in Tartu zumindest im Nebenfach (Sozialwissenschaften) weitergebracht. Probleme mit der Anerkennung der Studienleistungen erwarte ich nicht, jedoch arbeiten die administrativen Stellen an der Universität zurück in Deutschland gewohnt langsam, so dass ich zweieinhalb Monate nach Rückkehr noch keinen Kurs anerkannt bekommen habe. Ich hoffe ich konnte mit meinem Bericht Interesse an einem Aufenthalt in Estland wecken, bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung: [email protected] Mit freundlichem Gruß, Jan Kersten 26.09.2007 8