Bei der Vermarktung ihrer Marken vernachläs- sigen
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Bei der Vermarktung ihrer Marken vernachläs- sigen
MARKENFÜHRUNG ACOUSTISCHE MARKENFÜHRUNG MARKENARTIKEL 4/2008 MARKENARTIKEL 4/2008 ACOUSTISCHE MARKENFÜHRUNG MARKENFÜHRUNG HANDEL HANDEL RECHT RECHT SERVICE 118 Klingelt‘s? Bei der Vermarktung ihrer Marken vernachlässigen viele Unternehmen noch immer die Kraft der Musik. Akustische Markenführung will die Identität einer Marke in allen Kommunikationskanälen hörbar machen und ihren Wiedererkennungswert erhöhen STIMME UND SPRACHE sind die wohl ältesten Instrumente der Menschheit. Gesang und Musik sind freigesetzte Emotion, wecken und verstärken beim Zuhörer Gefühle. Mit einem passenden Musikstück zur richtigen Zeit hat schon so manche Liebe ihren Anfang genommen. Wenig verwunderlich deshalb, dass das wunderbare Lockmittel Musik in der Werbung eine lange Tradition hat und dort spätestens seit Einführung der ersten Radio-Werbespots in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielt. Eine systematische Einbindung von akustischen Identitäten in die Markenkommunikation findet allerdings erst seit wenigen Jahren statt, zuvor lag der Fokus auf visuellen und haptischen Elementen. Obwohl als Thema also noch relativ neu, ist inzwischen unumstritten, dass durch einen Corporate Sound die Differenzierung, Wiedererkennung, Emotionalisierung und Identifikation von Marken unterstützt werden kann. Dass dieser Bereich des Marketings aber noch in den Kinderschuhen steckt und noch auf eine Systematik wartet, zeigt schon die Vielfalt an benutzten Begriffen: Akustische Identität, Audio Branding, Corporate Music, Brand Song, Sound Branding, Acoustic Branding, Sonic Branding, Sound Logos, Corporate Sound und so weiter – anders als in der klassischen Werbung gibt es derzeit kaum allgemeingültige, von allen Marktteilnehmern gleichermaßen akzeptierte Benennungen. Doch auch wenn bei der Begrifflichkeit noch Verwirrung herrscht – alle Beteiligten verfolgen das gleiche Ziel: Sie wollen bei der Markenkommunikation eine Stimme oder Melodie einbringen, die zum angestrebten oder bereits gelernten Markenbild passt. Akustische Markenführung ist ein Prozess, in dessen Verlauf Musik und Klang Teil der Markenidentität werden. Die entstehende Sound-Identität soll zum elementaren Bestandteil der Marke werden und zum Markenmehrwert beitragen. Denn eine einzigartige Marke braucht auch einen einzigartigen Klang. Der freilich muss zum Markenkern und zu den Markenwerten passen. Ein Stück in Moll für einen Spaßartikel zu komponieren, das dürfte nur etwas für besonders wagemutige Unternehmen sei. Denn Musik erweckt bei nahezu jedem Menschen ähnliche Emotionen. Und diesen Mechanismus, dem sich kaum jemand entziehen kann, versucht das Sound Branding für eine Marke zu nutzen. Di-di-di-da-di Als gelungene Beispiele für die Erfolgswirkung einer akustischen Identität werden am häufigsten das akustische Logo der Deutschen Telekom, der Audi-Herzschlag, die markante Intel-Tonfolge und der Ambossschlag bei BMW angeführt. Es geht inzwischen aber nicht mehr nur um ein gelungenes Sound- oder Audio-Logo wie das von Chris McHale komponierte, nur 880 Millisekunden lange »Di-di-di-da-di« der Deutschen Telekom. Sondern um eine komplette Markenklangwelt, die sich im TV- und Radiospot genauso wiederfindet wie bei Events, am Point of Sale oder beim Internet-Auftritt. Bis solch eine stimmige, über alle Kommunikationskanäle einsetzbare akustische Identität geschaffen ist, brauchen die Sound-Spezialisten schon mal bis zu zwölf Monate und verlangen dafür Beträge im sechsstelligen Euro-Bereich. Die Spezialisten, das sind in Deutschland Firmen wie Groves Sound Communications (Hamburg), Sonar Brandandmusic (München), Audio Consulting Group (Hamburg) und MetaDesign (Berlin). »Auf Messen, im Schauraum, in TV- und Radiospots, SERVICE 119 in Imagefilmen, im Internet oder in einer Telefonwarteschleife: Der Klang einer Marke begegnet uns überall«, sagt etwa Carl-Frank Westermann, Head of Sound Branding bei MetaDesign. Das Heimtückische: Die Ohren zu verschließen geht kaum, einer musikalischen Werbebotschaft können wir fast nicht entgehen. Das fängt damit an, wenn wir morgens im Büro unsere Rechner hochfahren: Das Erkennungszeichen eines Apple-Rechners unterscheidet sich deutlich von dem eines Windows-Computers. Wichtig ist, dass ein Sound, der für eine Marke gefunden wurde – sei es nun eine kurze Melodie, ein Jingle oder ein ganzer Song – dauerhaft eingesetzt wird. Viele Unternehmen verwenden bei ihren Kampagnen zwar konsequent und kontinuierlich das gleiche Logo, die gleiche Typo, die gleiche Bilderwelt – aber beim Sound wird viel variiert, kommt beim Messeauftritt oder in der Telefon-Warteschleife ein anderer Klang zum Einsatz als zum Beispiel in der TV-Werbung. Beim Sound ist oft Schluss mit einer konsequenten Markenführung. Entdecke die Möglichkeiten! »Das Thema ‚Soundlogo‘ war wohl eher ein Marketing-Diskurs, dem kaum Taten folgten«, schreiben die Markenexperten Klaus Brandmeyer, Peter Pick, Andreas Pogoda und Christian Prill in ihrem jüngst erschienenen Buch »Marken stark machen« – und sehen gerade darin eine Chance für Markenmacher, sich von der musikkritischen Konkurrenz abzuheben: »Achten Sie darauf, dass Ihr Soundlogo mit der Marke verbunden wird. Es muss ja nicht gleich ein gesungener Slogan sein wie ‚Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso‘ (obwohl Menschen Reime besser lernen). Selbst wortlos kann man eine Verbindung schaffen: Di-di-di-da-di korrespondiert unverkennbar mit Deutsche-Te-le-kom. Erstaunlicherweise achten nur wenige Marken auf exklusive Sprecher – im Gegenteil werden die gebucht, die ohnehin häufig gebucht werden. Für Differenzierungswillige gibt es trotz voller Kommunikationskanäle noch viele Möglichkeiten.« Langsam scheinen diese Möglichkeiten, die die akustische Markenführung bietet, erkannt zu werden. »Für drei Viertel der führenden deutschen Aktienunternehmen spielt die akustische Markenführung eine immer wichtigere Rolle im Brand-Management«, bilanziert ei- ne Umfrage unter den 30 DAX-Unternehmen, die die 2001 gegründete Audio Consulting Group (ACG) im vorigen Jahr durchgeführt hat. Der Umfrage zufolge nutzen bereits 37 Prozent der befragten Unternehmen die Macht der Töne für den Aufbau und die Festigung ihres Markenimages. »Die höchste Relevanz für den akustischen Markenauftritt sehen die Befragten in den Bereichen der Fernseh- und Radiowerbung, gefolgt von Anwendungen auf dem Gebiet der Telekommunikation, dem World Wide Web sowie am Point of Sale«, erläutert Heike Delventhal von ACG die Ergebnisse. Die Hälfte der Befragten fordert, dass sich die Marktforschung der akustischen Markenführung annimmt, zumal seriöse Studien zu diesem Thema noch Mangelware sind. ACG-Geschäftsführer Wilbert Hirsch: »Unsere Umfrage zeigt, dass Acoustic Branding bei den Entscheidern im Brand-Management zwar eine wichtige Rolle spielt, Messmethoden jedoch weitgehend unbekannt sind. Es besteht daher dringender Bedarf, Bewertungsmethoden für den akustischen Teil am Gesamtwert der Marke zu entwickeln.« Langsam scheinen sich Marken aber Gehör zu verschaffen, wenngleich noch auf niedrigem Niveau: »Noch können den rund 30.000 Bildmarken nur 188 eingetragene Hörmarken entgegengesetzt werden«, sagt Delventhal. Dass für Unternehmen noch viel Arbeit auf diesem noch jungen Marketingfeld wartet, schätzt auch der Bremer Unternehmensberater Dennis Krugmann. Er schreibt in einem Arbeitspapier über die Integration akustischer Reize in die identitätsbasierte Markenführung: »Deutlich festzuhalten ist, dass in der Werbepraxis der Einsatz von Musik (zum Beispiel in der TV-Werbung oder allgemein in der Markenkommunikation) in den seltensten Fällen auf strategischen Bemühungen basiert, sondern oft das Resultat von geschmäcklerischen Bauchentscheidungen ist. Anders lässt sich der permanent wechselnde und zum Teil widersprüchliche akustische Außenauftritt vieler Markenartikler nicht erklären. Genau hier wird ein eklatanter Unterschied zur gezielten, akustischen Markenführung evident, denn Audio Branding überlässt den akustischen Markenauftritt nicht dem Zufall, sondern instrumentalisiert diesen als einen Teil der Markenerlebniswelt.« Torsten Schöwing MARKENFÜHRUNG ACOUSTISCHE MARKENFÜHRUNG MARKENARTIKEL 4/2008 MARKENARTIKEL 4/2008 ACOUSTISCHE MARKENFÜHRUNG MARKENFÜHRUNG HANDEL HANDEL RECHT RECHT SERVICE SERVICE 120 121 John Groves, Chef der Hamburger Agentur Groves Sound Communications, gilt als Vorreiter auf dem Gebiet der akustischen Markenführung und beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit der strategischen Entwicklung akustischer Markenidentitäten. MARKENARTIKEL: Herr Groves, eine Zeit lang tauchte das Thema Sound Branding mit schöner Regelmäßigkeit in der Marketing- und Wirtschaftspresse auf. Als gelungene Soundlogos wurden dabei immer die gleichen Beispiele aufgeführt: Deutsche Telekom, Intel, Audi und BMW. Inzwischen scheint die erste Euphorie verflogen zu sein, über frische Impulse und neue gelungene Beispiele wird kaum noch berichtet. JOHN GROVES: Ihr Eindruck ist durchaus richtig. Die genannten Beispiele hatten allerdings auch alle ein sehr hohes Schaltvolumen. Inzwischen gibt es zwar sehr viele Soundlogos, die sind aber nicht merkfähig und plakativ genug und differenzieren nicht wirklich. Das Soundlogo der Deutschen Telekom hingegen ist sehr plakativ: der Sound, das Stakkato, die Tonfolge, die Knappheit – da kann man gar nicht vorbeihören. MARKENARTIKEL: So etwas wünschen sich sicherlich viele Marken… GROVES: Viele Marketingleute haben damals gesagt: So etwas wie die Telekom brauchen wir auch für unser Produkt! Die riefen dann ihre Werbeagentur oder direkt uns an, machten eine Ausschreibung mit Briefing und entschieden dann entweder nach Preis oder persönlichem Gefallen. Entscheidend ist aber eine systematische Herangehensweise, damit eine echte Sound Identity entwickelt werden kann. Die meisten Marken oder Unternehmen haben, wenn überhaupt, allenfalls ein Soundlogo – und das funktioniert meistens nicht einmal. Deshalb haben wir auch nur wenige wirklich gelungene Beispiele im Kopf wie Telekom, Intel und BMW. MARKENARTIKEL: Was müssen Marketing-Entscheider stärker beachten? GROVES: Marketingleute, die auf die Möglichkeiten von Sound in der Werbung aufmerksam geworden sind, müssen vor allem auf die Bedeutung der Differenzierung aufmerksam gemacht werden. Dafür muss man zunächst genau analysieren, was die Mitbewerber machen – um dem etwas anderes entgegen zu stellen, wenn man nicht als Me-Too-Produkt enden will. Als allererstes aber muss man überlegen und erarbeiten: Wer bin ich, was will ich sagen, wofür steht mein Produkt? Wichtig sind also eine eingehende Markenanalyse und die Relevanz: Audi etwa verbindet mit seinem Soundlogo Mensch und Technik, Intel die Attribute Qualität, Vertrauen und Zukunft. Jeder Klang transportiert bestimmte Inhalte und hat eine spezielle Bedeutung, das muss man stets berücksichtigen! Dieses Bewusstsein für den Wert von Sound scheint bei vielen aber noch nicht vorhanden zu sein. MARKENARTIKEL: Deshalb gibt es vielleicht derzeit auch einen gewissen Stillstand, fallen uns keine neuen Beispiele ein? GROVES: Es gab zuletzt keine Marke, die mit hohen Werbespendings ein neues, gutes Soundlogo auf den Markt gebracht hat. MARKENARTIKEL: Ein gutes Soundlogo mit hohem Wiedererkennungswert muss aber wahrscheinlich gar nicht so oft geschaltete werden, oder? GROVES: Ja, es arbeitet auf jeden Fall effizienter. MARKENARTIKEL: Vielleicht werden die Soundlogos aber auch das gleiche Schicksal erleiden wie TV-Spots: Irgendwann gibt es derart viele, dass sie austauschbar sind und vom Konsumenten kaum noch unterschieden werden können… GROVES: Die Gefahr besteht tatsächlich. Deshalb sind Differenzierung und Ästhetik in der Soundkommunikation auch so wichtig. Aber wer sagt, dass eine Firma immer unbedingt ein Soundlogo braucht? Es gibt auch andere Soundmöglichkeiten, wie es beim Corporate Design ja auch nicht nur das Logo, sondern auch andere Kanäle gibt, zum Beispiel die Typo, Farben, Bilder. Ein Soundlogo wird zwar immer ein akustisches Leitthema vorgeben, aber niemand hat zum Beispiel gesagt, dass es immer am Ende eines Spots kommen muss. Ich propagiere auch gar nicht, dass jedes Unternehmen einen Spot mit Soundlogo machen muss. MARKENARTIKEL: Was raten Sie Unternehmen? GROVES: Ich denke, Marken werden zunehmend erkennen: Wir brauchen nicht nur ein Soundlogo, sondern einen ganzheitlichen Ansatz, eine Sound Identity, die sich verbindend durch die verschiedenen Kommunikationskanäle zieht: Vom TV-Spot über die Telefonwarteschleife bis zum Messeauftritt. MARKENARTIKEL: Eine Sound Identity, die über alle Kommunikationskanäle geht: Das klingt toll, aber was kann man sich darunter vorstellen? GROVES: Eine Sound Identity ist nichts Mysteriöses und auch nicht nur ein Song oder eine Melodie, sondern ein Klangkonzept. Das kann eine Brand Melody sein, ein Leitthema, aber auch ein Soundspektrum, wie es O2 früher – unbewusst! – eingesetzt hat. Vorher muss aber geklärt werden: Wer sind wir, was sind wir nicht, was ist unsere Corporate Language? Das ist die Basis: Einen Sound zu entwickeln, der zur Identität und zum Image einer Marke passt. Denn Markenattribute kann man nachweislich mit Sound darstellen – etwas schwieriger als mit visuellen Mitteln, aber es geht! MARKENARTIKEL: Eine Zeitlang waren in der Werbung Jingles angesagt, dann, wie bei Levi‘s, bekannte Songs, schließlich Soundlogos. Wohin geht derzeit der Trend? GROVES: Levi‘s hat damals mit Marvin Gayes »I heard it through the grapevine« gezeigt, dass ein guter Song, der viele Assoziationen zur Marke mitbringt, funktioniert. Das hat einen Trend ausgelöst, in der Kommunikation bekannte Musik zu benutzen. Aktuell gibt es Anzeichen und Anfragen, das Jingles wieder im Kommen sind. Über diese Entwicklung freue ich mich persönlich sehr, denn ich liebe Jingles! Die haben unheimlich viel Kraft, sind aber um die Jahrtausendwende herum irgendwie spießig geworden. Zugegeben: Richtig cool sind die nicht, aber als Marketinginstrument nachweislich sehr erfolgreich. Die Möglichkeit, Text mit Musik zu transportieren, funktioniert sehr gut. Gesungene Claims sind einfach besser zu merken und haben Ohrwurm-Potenzial. Ein anderer Trend sind Lieder, die scheinbar einen neutralen Text haben, aber dennoch unauffällig die Benefits des Produkts ansprechen. Sie schleichen sich ein wie die Kämpfer im Trojanischen Pferd. Interview: Torsten Schöwing Der gebürtige Brite John Groves, 54, ist seit den frühen 80erJahren, als er sich in Hamburg mit Groves Sound Communications selbstständig machte, in der Musikproduktion für die Werbung tätig. Er hat Werbemelodien und Jingles unter anderem für DEA, Visa, Bacardi, Mentos, Melitta und Bitburger kreiert, aber auch Musik für Firmen-Events und -Shows, etwa ein Kurz-Musical zum 100-jährigen Jubiläum der Sparda Bank. Er ist unter anderem Dozent an der Hamburger Texterschmiede und der Miami Ad School, Präsident des Composers-Club e.V. und Mitglied des Art Directors Club. Groves Sound Communications hat akustische Markenauftritte unter anderem für Audi, Bacardi, Danone, EnBW, Gerolsteiner, LBS, Nivea und Wrigley entwickelt. Der 1997 aufgebaute Unternehmensbereich Groves Sound Branding versucht einprägsame und unterscheidungsfähige akustische Profile zu entwickeln, die das Markenbewusstsein erhöhen und die Kommunikation insgesamt effizienter machen sollen. Groves Sound Branding hat dafür ein auf neun Schritten aufbauendes System entwickelt. Es reicht von der Vorbereitung (Brand Audit, Market Review, Apllication Analysis) über die Durchführung (Sound Workshop, Creative Briefing, Sound Production) bis hin zur Implementierung (Market Research, Brand Sound Guidelines, Sound Tracking).