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TU Berlin Institut für Erziehungswissenschaft Hauptseminar: Integrative Pädagogik in Theorie und Praxis in Deutschland Sommersemester 2006 Dozentin: Dr. Irene Demmer-Dieckmann Entwicklung und aktueller Stand der gemeinsamen Erziehung und Bildung von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen im Bundesland Brandenburg Kerstin Adolf Sarah Baumbach Jana Reinsch Marika Zellin Inhalt 1. Allgemeine Entwicklung der gemeinsamen Erziehung und Bildung 03 2. Überblick über den Stand der vorschulischen Erziehung und Bildung 03 3. Überblick über den Stand des Gemeinsamen Unterrichts in der Schule 04 3.1 Aktuelle bildungspolitische Situation 04 3.2 Gesetzliche Regelungen 07 3.2.1 Brandenburgisches Schulgesetz 08 3.2.2 Das Feststellungsverfahren 09 3.2.3 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel der flexiblen Schuleingangsphase 13 3.2.4 Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe I 13 3.2.5 Finanzierung 14 3.3 Quantitative Entwicklung und aktueller Stand 17 3.4 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel des Modellversuchs Birkenwerder 17 3.5 Ausstattung und Ressourcen 19 3.6 Positives, Probleme, Perspektiven 19 4. Überblick: Übergang Schule – Beruf 20 5. Besonderheiten des Bundeslandes 21 5.1 Wissenschaftliche Begleitforschung 21 5.2 Lehrerbildung für die integrative Praxis 25 Vergleich der Entwicklung mit anderen Bundesländern 27 6.1 Vergleich Brandenburgs mit Berlin 27 6.2 Vergleich Brandenburgs mit Saarland 28 7. Persönliche Einschätzungen 29 8. Literatur 30 6. 2 1. Allgemeine Entwicklung der Gemeinsamen Erziehung und Bildung Schon in der Zeit der Weimarer Republik gab es Hilfsschulen und solche mit reformbzw. heilpädagogischen Ansätzen. In der Zeit von 1933-1945 wurden diese unter dem nationalsozialistischen Regime jedoch stark eingegrenzt und zum Teil ganz abgeschafft. Erst 1946 wurde das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ (Liebers 1997, S. 55) erlassen. Hiermit erfolgte eine Wiederbelebung des Sonderschulwesens. Waren die Nachkriegsjahre auch durch reformpädagogische Ansätze geprägt, so setzte mit der Gründung der DDR 1949 ein Wandel ein. Die SED formulierte in ihren Bildungszielen die „Entwicklung der Konzeption des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (Liebers 1997, S. 59), das 1956 gesetzlich festgeschrieben wurde. Für die Sonderschulen bedeutete das, dass auch Schülerinnen und Schüler das sozialistische Bildungsziel erreichen sollten, um so mit ihren individuellen Fähigkeiten der sozialistischen Gesellschaft zu dienen. Um dieses Ziel zu erreichen, erfolgte eine ständige Spezialisierung nach Art der Behinderung und die Schaffung spezieller Schulen bzw. Kindertagesstätten. Ebenso gab es gesonderte Berufsschulen bzw. Klassen, um einen einheitlichen Bildungsweg zu ermöglichen. Um den hohen Bedarf von Sonderschullehrern zu decken, wurden neue Studiengänge und Hochschulen geschaffen. Schon 1954 wurde die Meldepflicht von behinderten Kindern eingeführt um eine staatliche Erfassung, Beratung und Erziehung zu sichern (vgl. Liebers 1997, S. 59). Erst 1989 zu Zeiten der politischen Wende gründete sich der „Arbeitskreis Integration“, der sich für eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung einsetzte. Diese Ansätze schlugen sich im 1991 erlassenen ersten Schulreformgesetz nieder, in welchem formuliert wurde, dass Kinder mit sonderpädagogischen Förderungsbedarf vorrangig im Gemeinsamen Unterricht beschult werden sollen. Somit ist Brandenburg das erste der neuen Bundesländer, das diesen Schritt gewagt hat. Es erfolgte eine schrittweise Umsetzung der neuen Regelungen, die bis heute nicht abgeschlossen ist. 2. Überblick über den Stand der vorschulischen Erziehung und Bildung Nach dem Kita-Gesetz haben Kinder einen Mindestanspruch auf sechs Stunden Betreuung, sofern sie das dritte Lebensjahr vollendet haben. Auch behinderte Kinder 3 haben grundsätzlich einen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte (vgl. Düring/Obenaus 2004, S. 1). Im § 12 des Kindertagesstättengesetzes heißt es: „2) Kinder mit einem besonderen Förderbedarf nach den §§ 27, 35a des Achten Buches des Sozialgesetzbuches oder den §§ 39, 40 des Bundessozialhilfegesetzes sind in Kindertagesstätten aufzunehmen, wenn eine diesem Bedarf entsprechende Förderung und Betreuung gewährleistet werden kann. Die Gruppengröße und die personelle Besetzung in diesen Gruppen sind den besonderen Anforderungen im Einzelfall anzupassen.“ Die gemeinsame Erziehung hängt hiernach davon ab, ob die entsprechende Betreuung und Förderung realisiert werden kann. Laut einer Pressemitteilung des Brandenburgischen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie vom 2.12.2003 gab es im Jahr 2000 66 Integrationskitas, die von 982 behinderten Kindern besucht wurden. Dagegen wurden 186 behinderte Kinder in Sonderkindergärten betreut (vgl. Brandenburgisches Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie 2003). Der Pressemitteilung ist weiterhin zu entnehmen, dass maximal 16 Kinder in einer Gruppe gemeinsam erzogen werden, die Anzahl der behinderten Kinder beläuft sich hierbei auf maximal fünf. Zu diesem Punkt konnte trotz intensiver Recherche keine weiteren Informationen gefunden werden. 3. Überblick über den Stand des Gemeinsamen Unterrichts in der Schule 3.1 Aktuelle bildungspolitische Situation Trotz der Festschreibung der Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts seit 15 Jahren im Schulgesetz, liegt die Integrationsquote erst bei 25% (2004/2005). Das Land arbeitet weiterhin am kontinuierlichen Fortschreiten dieser Entwicklung. Ebenen der Integration Im Land Brandenburg ist die integrative Pädagogik auf vier Ebenen verankert, welches als Sozialökologisches Mehr-Ebenen-Konzept bezeichnet wird. Es orientiert 4 sich an den neuesten Erkenntnissen aus Pädagogik, Sozialwissenschaft und Wirtschaft (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 16f.). Die erste Ebene bezieht sich auf den Unterricht und die Schulklasse. An oberster Stelle steht die Kooperation zwischen Lehrer und Lehrer, zwischen Schüler und Schüler, zwischen Lehrer und Schüler und integrativer Unterricht in der Klasse. Die zweite Ebene beschreibt die Einzelschule, die die gemeinsame Erziehung und Bildung ausdrücklich mittragen muss, selbst wenn diese nur in einzelnen Klassen realisiert wird. Ebenso sollen die integrativ arbeitenden Kollegen besonders durch die Schulleitung unterstützt werden und es soll mit allen Eltern der Schule zusammengearbeitet werden. Außerdem muss mit allen anderen Einrichtungen, die ebenfalls in die Arbeit mit Behinderten einbezogen sind, kooperiert werden. Dazu gehören z.B. die Behindertenfürsorge, das Schulamt, Jugendamt und Kindereinrichtungen von Kirchen und Vereinen (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 20) Der Landkreis, die kreisfreie Stadt bzw. der Schulträger beschreibt die dritte Ebene des Modells. Die wichtigsten Institutionen werden hier aufgezählt: Der Schulträger, für Grundschulen die Kommune und für die Schulen der Sekundarstufe und für die Förderschulen der Kreis, ist für die Schulplanung, Gründung und Schließung von Schulen und ebenso für einen eventuellen rollstuhlgerechten (Um)Bau zuständig. Sie erhalten zusätzliche Landesmittel über das Gemeindefinanzierungsgesetz, welche jedoch nicht zweckgebunden sind. Dazu entscheiden politische Gremien des Landkreises, der Kommune bzw. der kreisfreien Stadt über Schulstandorte, Mittelvergabe und Schulbauplanung (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 19ff.). Hinzu kommt das staatliche Schulamt, welches nach Vorlage der FörderausschussEmpfehlung über die Verteilung der vom Land zugewiesenen „Integrationsmittel“ und gegebenenfalls über die Zuweisung weiterer Personalmittel entscheidet. Zusätzlich wurden neue Institutionen, die eine gelungene Integration gewährleisten sollen, gegründet. Als besonders wichtig sind hierbei aufzuführen: Integrationsberater, der „Arbeitskreis Integration“, regionale Fortbildung und Frühförder- und Beratungsstellen bzw. Sonderpädagogische Beratungsstellen (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 21f.). 5 Die Integrationsberater, von denen es in jedem Landkreis zwei gibt, sind Lehrer und Lehrerinnen, die vom pädagogischen Landesinstitut ausgebildet wurden. Sie vermitteln zwischen Land und Kreis, Schulleitung, Lehrer und Eltern und stehen aufgrund ihrer Erfahrung für die Beratung zur Verfügung. Außerdem haben sie den Überblick über die einzelnen Kinder, über die integrationspädagogisch unterrichtenden Lehrer und die jährlichen Förderausschüsse und -mittel. Es gibt sie in dieser Form in keinem anderen Flächenstaat. Sie organisieren auch den „Arbeitskreis Integration“, welcher Treffen der integrativ arbeitenden Lehrer auf Kreisebene. Bei diesen Treffen findet ein Austausch über „alltägliche Fragen der gemeinsamen Erziehung“ und über die schulpolitische Entwicklung statt (vgl. ebd.). Für die erstmals integrativ arbeitenden Lehrer werden vom Arbeitskreis regionale Fortbildungen für die Klassenstufen 1-3, 4-6 und 7-10 angeboten. Weitere Institutionen sind regionale Frühförder- und Beratungsstellen und die Sonderpädagogischen Beratungsstellen, welche fast durchweg an den allgemeinen Förderschulen zu finden sind. Ihre Organisation ist vom Land durch Verwaltungsvorschriften geregelt, sie bereiten die Durchführung der Förderausschüsse vor und sind Ansprechpartner für Eltern. Die als letzte zu erwähnenden Einrichtungen sind Elterninitiativen und BehindertenInteressenvereinigungen, die erst allmählich entstehen und deren größte Träger die evangelische Kirche ist. Die vierte Ebene ist die Landesebene. Da Brandenburg durch zahlreiche Dörfer geprägt ist, kann die gemeinsame Erziehung und Bildung nicht nur den Lehrern, der Einzelschule oder dem Kreis überlassen werden, sondern auch das Land sollte die gemeinsame Erziehung in unterschiedlichster Weise unterstützen. Die Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts wurde als Top-Down-Entscheidung in der brandenburgischen Bildungspolitik gefällt, deswegen sollte sie auch auf dieser Ebene unterstützt und realisiert werden (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 25f.). Dazu gehört das Pädagogische Landesinstitut (PLIB) in Ludwigsfelde, der Ort in dem die Integrationsberater ausgebildet werden und deren Außenstellen, an denen die Fortbildungen für die Integrationsberater stattfinden. Außerdem koordinieren sie die Lehrerbildung und die wissenschaftliche Begleitforschung. 6 3.2 Gesetzliche Regelungen Folgende gesetzliche Aussagen stärken die gemeinsame Erziehung und Bildung: §3 Abs. 3 Satz 2 GG 1 : „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ §§ 39, 40 BSHG 2 : u.a. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung und Hilfen im Vorschulalter. §§ 27ff, 35 KJHG 3 : „regelt die Finanzierung von geeignetem Personal zur Eingliederung seelisch Behinderter oder für Hilfen zur Erziehung wenn das von den Schulen zur Verfügung gestellte Personal nicht ausreicht“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 40f.). § 12 Abs. 4 Verfassung des Landes Brandenburg: Land, Gemeinden und Gemeindeverbände werden dazu verpflichtet, für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. Der brandenburgische Gesetzgeber entschied 1991 behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam zu unterrichten. Diese Bestimmung gilt in allen Schulen Brandenburgs. Wo immer es möglich sei, „hat der Wunsch der Eltern nach Gemeinsamen Unterricht Vorrang“ (Brandenburgisches Schulgesetz § 3 Absatz 4). Behinderte Kinder sind „jene, mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 5). Ein sonderpädagogischer Förderbedarf entsteht dann, wenn „in einer Kita oder Schule zusätzliche besondere Rahmenbedingungen benötigt werden, z. B. sonderpädagogische Förderung, besondere räumliche Ausstattungen und andere Hilfen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 5). Für jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf, ist „zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen gemeinsamer Unterricht realisiert werden kann“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 13). 1 Grundgesetz Bundessozialhilfegesetz 3 Kinder- und Jugendhilfegesetz 2 7 So sind selbst Kinder mit Mehrfachbehinderungen nicht von vorn herein vom integrativen Unterricht ausgeschlossen. 3.2.1 Brandenburgisches Schulgesetz Ohne vorgeschaltete Modellversuche oder gewachsene Strukturen legte das Land Brandenburg im Jahr 1991 den integrativen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder in Brandenburgischen Schulgesetz fest: „Menschen mit Behinderung sollen vorrangig im gemeinsamen Unterricht mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf oder in Schulen und Klassen mit einem entsprechendem Förderschwerpunkt (…) besonders gefördert werden“ (§ 3 Abs. 4 Brandenburgisches Schulgesetz). Daher waren „Abstriche bei den qualitativen Anforderungen an einen integrativen Unterricht (…) vor allem in der Anfangsphase zu akzeptieren“ (Obenaus 1997, S. 33). Ab 1992 bis 1996 wurde diese Reformierung des Schulgesetzes wissenschaftlich begleitet. Wissenschaftliche und empirische Erfahrungen aus den alten Bundesländern wurden in die pädagogischen Konzepte Brandenburgs aufgenommen. Der Unterschied zu den anderen Bundesländern bestand darin, dass „die Initiative zum gemeinsamen Schulbesuch aller Kinder seltener von den betroffenen Eltern, sondern zunächst von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 13) ausging. Im Jahr 2000 unterrichteten bereits über 50% aller Schulen in Brandenburg im Gemeinsamen Unterricht. Zwischen den einzelnen Regionen und Landkreisen sind noch Unterschiede zu verzeichnen. Die Sonderpädagogische Verordnung enthält im § 14ff neben allgemeinen Regelungen zum gemeinsamen Unterricht und zum Feststellungsverfahren besondere Regelungen zu den Rahmenbedingungen des gemeinsamen Unterrichts (§§ 18 bis 29). 8 3.2.2 Das Feststellungsverfahren Im Folgenden werden die 10 Schritte des Feststellungsverfahrens vorgestellt (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19-23). Step 1: Im letzen Jahr des Kita-Besuchs sollten Eltern eines Kindes mit sonderpädagogischen Förderbedarf prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, ihr Kind gemeinsam, d.h. integrativ zu beschulen. Ideal ist es, wenn bereits in der Kita gewachsene Bindungen und Freundschaften in der Schule weitergeführt werden können. Diese Überlegungen sollten auch eine Rolle spielen, wenn für ein Kind eine „Zurückstellung“ empfohlen wird. Generell können Eltern selbst entscheiden, ob Sie einen „Antrag auf einmalige Zurückstellung von der Schulpflicht“ stellen oder nicht. Ein Kind „wird in dem Jahr schulpflichtig, in dem es vor dem 1. Juli das sechste Lebensjahr vollendet“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19) hat. Step 2: Eltern sollten sich zunächst an die für ihr Wohngebiet zuständige Grundschule wenden. Wird im Verlauf des Feststellungsverfahrens, die Nicht-Eignung dieser Schule festgestellt, wird eine geeignete Schule für das Kind, auch unter Beachtung der Wünsche der Eltern, gesucht. Zeigt sich im Verlauf des Feststellungsverfahrens, dass „es keine erreichbare und geeignete Grundschule gibt“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 17), besucht dass zu beschulende Kind eine Förderschule. Eltern haben aber auch jederzeit das Wahlrecht, ihr Kind von Beginn an auf eine Förderschule zu schicken. Step 3: Wird ein Kind eingeschult, sind die Eltern, die Schulleitung und das Gesundheitsamt an der schulärztlichen Untersuchung beteiligt. Benötigt ein Kind sonderpädagogische Förderung und möchten die Eltern den Besuch einer allgemeinen Schule für ihr Kind, so wird der Besuch von zuständigen Beratungsstellen unbedingt empfohlen, um den Mehraufwand für die Eltern, im Vergleich zu Beschulung auf einer 9 Förderschule, zu unterstützen (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19) Step 4: Ist das Kind bei einer Grundschule angemeldet, wird das Feststellungsverfahren beantragt. Der Antrag wird dann an das zuständige staatliche Schulamt weitergeleitet. Das Feststellungsverfahren kann auch von dem oder der SchulleiterIn in Abstimmung mit den Eltern beantragt werden, auch wenn bislang noch kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde. Step 5: Ob tatsächlich ein Feststellungsverfahren eingeleitet wird, wird seit dem 09.11.1998 mit einer Vorklärung ermittelt. Darin wird festgestellt, ob die Schule eigene Maßnahmen zur Förderung des Kindes ergreifen kann. Nur wenn bereits im Vorfeld durch fachliche Gutachten „offensichtliche (…) Sinnesbehinderungen, körperliche (…) Behinderungen, geistige (…) Behinderungen oder schwere Mehrfachbehinderungen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19) festgestellt wurden, kann auf diese Vorklärung verzichtet werden. Step 6: Im Feststellungsverfahren beruft die vom Schulamt beauftragte Schule einen Förderausschuss ein, der i.d.R. vier bis sechs Wochen tätig ist. Der Förderausschuss ist keine feste Institution, sondern wird für jedes Kind einzeln und mit Personen die den Förderbedarf des jeweiligen Kindes einschätzen können, gebildet. Mitglieder des Förderausschusses sind: • Eltern; • die beauftragte Schulleitung oder eine vertretende Lehrkraft; • eine Fachlehrkraft zur Berichterstattung über den sonderpädagogischen Förderbedarf (erstellt ein Gutachten über die notwendigen Rahmenbedingungen); • eine Fachkraft der bislang besuchten Einrichtung (z.B. Kita); • eine Lehrkraft der zukünftigen Schule; 10 • eventuell und in der Praxis bewährt: der jeweilige Schulträger, „da dieser die sächlichen, räumlichen und ggf. Mittel für zusätzliches sonstiges Personal stellen soll“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 20). • Sollten nicht alle benötigten Hilfen (insbesondere Personal für die zusätzliche Einzelbetreuung) durch den Schulträger abgesichert werden, sollte der Sozialhilfe- und Jugendträger ebenfalls hinzugezogen werden. • „Auf Wunsch der Eltern oder nach deren Einwilligung können (…) weitere Fachleute wie die Schulärztin/der Schularzt oder eine Fachkraft aus der schulpsychologischen Beratung“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 20) mit einberufen werden. • Weiterhin empfehlenswert ist das Heranziehen einer Vertretung für einen zukünftigen Hortbesuch des Kindes. • Für ausländische Eltern wird eine dolmetschende Person zu Verfügung gestellt. • Empfehlung des Gesetzgebers: Eltern sollten eine nicht direkt betroffene Person mit einbeziehen, um den Überblick zu bewahren und ärztliche und therapeutische Gutachten mit einbringen. Step 7: Der Förderausschuss berät auf Grundlage der vorgelegten Gutachten und unter Berücksichtigung des Elternwunsches, wie das Kind mit seiner jeweiligen Beeinträchtigung am gemeinsamen Unterricht teilnehmen kann und formuliert eine Bildungsempfehlung. Inhalte dieser Bildungsempfehlung sind: • Lernort/ konkrete Schule; • Jahrgangsstufe; • Rahmenplan der Beschulung; • Förderumfang; • ggf. außerschulische Betreuung; • Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs (zeitliche, räumliche und inhaltliche Bedingungen im Unterricht). 11 Alle festgelegten Einzelheiten zu „personellen, organisatorischen und sächlichen Notwendigkeiten werden schriftlich festgehalten“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 21). Step 8 Die empfohlenen Hilfen von z.B. Krankenkassen, Sozial- und Jugendamt müssen durch die Eltern beantragt werden. Step 9 Auf Grund der Bildungsempfehlung und unter Berücksichtigung des Elternwunsches entscheidet das Schulamt i.d.R. innerhalb von sechs Wochen in welcher Schule und zu welchen Bedingungen das Kind eingeschult werden soll. Einschränkungen oder Abweichungen von der Bildungsempfehlung werden fachlich begründet. (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19 - 23). Step 10 Sind die Eltern mit der Entscheidung des Schulamtes nicht einverstanden, müssen sie zunächst noch einmal angehört werden und haben dann die Möglichkeit innerhalb von vier Wochen Widerspruch einzulegen. Dies geschieht zunächst formlos und später dann detailliert. Sollte der Widerspruch ebenfalls abgelehnt werden, haben die Eltern die Möglichkeit eine Klage einzureichen um eine endgültige Entscheidung herbei zu führen. Seit dem 1. August 2005 gibt es die bis jetzt geltende Neufassung des Feststellungsverfahrens. Darin ist das Wesentliche die förderdiagnostische Lernbeobachtung. Durch „eine die Diagnostik begleitende sonderpädagogische Förderung“ ist es das Ziel „insbesondere in den unteren Jahrgangsstufen der Grundschule sonderpädagogischen Förderbedarf präventiv zu verringern bzw. zu vermeiden“ (Rupprecht 2007, S. 20). 12 3.2.3 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel der flexiblen Schuleingangsphase Das Ziel der flexiblen Schuleingangsphase ist die Schaffung einer Organisationsform des Unterrichts, der allen Kindern einen optimalen Schulanfang erlaubt, um so die eigenen, individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln zu können (vgl. Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg 2002, S. 47). Diese Form des Unterrichts ermöglicht eine individuelle Verweildauer von 1-3 Jahren, um so die zielgruppenspezifische Förderung von schnell und langsam lernenden Kindern zu gewährleisten. Es werden die Prinzipien und Methoden eines geöffneten Unterrichts angewandt. Besondere Vorteile sind die Aufnahme aller Kinder ohne Zurückstellung, Wiederholung und Ausschulung sowie die Nichtanrechnung des dritten Verweiljahres (vgl. Obenaus/Düring 2005, S. 60ff.). Gewährleistet wird auch die Unterstützung der vorzeitigen Schulaufnahme ab fünf Jahren. Es gibt außerdem flexible Schulaufnahmetermine im Laufe des Schuljahres, die auf Wunsch der Eltern wahrgenommen werden können. Kinder mit Förderbedarf im Bereich Lernen, Verhalten oder Sprache erhalten kein Feststellungsverfahren (vgl. Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg 2002, S. 47). Stattdessen gibt es eine förderdiagnostische Lernbeobachtung, die, wie der Name schon sagt, gleichzeitig den pädagogischen Förderbedarf feststellt und für die Entwicklung des Kindes unterstützend mitwirkt (vgl. Rupprecht 2007, S. 20f.). 3.2.4 Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe I Der gemeinsame Unterricht (GU) in der Primarstufe wird an dieser Stelle nicht näher erläutert. Es ist festzuhalten, dass die folgenden Regelungen für die Sekundarstufe I in der Primarstufe ebenso gelten. Die Gestaltung eines GU in der Sekundarstufe I erweist sich allerdings als schwieriger, da der Lernstoff umfangreicher und anspruchsvoller ist. Eine Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erweist sich somit als schwerfällig und ist deshalb von besonderer Bedeutung. Im § 29 BbgSchulG ist festgelegt, „dass gemeinsamer Unterricht nicht nur in Grundschulen, sondern auch in weiterführenden allgemein bildenden Schulen und 13 Oberstufenzentren erfolgen kann“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 37); dies gilt für alle Formen von Beeinträchtigungen und für alle Schulformen. In der Übergangsphase in die Sekundarstufe I, der sechsten Klasse, sollen Eltern einen Antrag an das staatliche Schulamt ihres Landkreises stellen (bis Januar des Schuljahres). Sie können dabei Erst- und Zweitwunsch für die weiterführende Schule angeben. Empfohlen wird auch die Beratung durch Förder- und Beratungsstellen des Landkreises, um eventuelle Schulen mit besonderer Ausstattung zu ermitteln. Im Februar beginnt dann das allgemeine Aufnahmeverfahren in eine weiterführende Schule mit einem erneuten Feststellungsverfahren und einer Bildungsempfehlung. Eine Aufnahme in die jeweilige Schule nach Entscheidung des Schulamtes ist nur dann möglich, wenn die im Folgenden genannten notwendigen Bedingungen vorhanden sind oder geschaffen werden können. Bei Abweichungen vom Elternwunsch und/oder der Bildungsempfehlung kann auch hier innerhalb von vier Wochen Widerspruch eingelegt werden. Folgende Bedingungen müssen erfüllt werden: • eine Klassengröße von maximal 23 Schülern, • nicht mehr als vier Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, • Leistungsanforderungen entsprechen der Bildungsausrichtung der Schule (z.B. Gesamtschule), bei Vorliegen einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung gelten entsprechende Rahmenbedingungen, • Nachteilsausgleich bei der Bewertung (z.B. zeitliche Anpassung) in der Form, dass das Leistungsvermögen voll ausgeschöpft wird und das geforderte Leistungsniveau des erstrebten Schulabschlusses Beachtung findet (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 39). 3.2.5 Finanzierung Viele Hilfen, wie der Fahrdienst zur Schule, Therapien und Hortbetreuung, müssen von den Eltern selbst beantragt werden (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 14). 14 Für alles was „unmittelbar mit dem Unterricht – der Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der speziellen sonderpädagogischen Förderung“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 14) des Kindes zu tun hat, zahlt das Land Brandenburg. Ansprechpartner ist das staatliche Schulamt des jeweiligen Landkreises. Der Schulträger „übernimmt die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Schulbesuch (des) Kindes entstehen und nicht den eigentlichen Unterricht betreffen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 31). Im Detail sind das z. B. laufende Kosten, Kosten für bauliche Veränderungen oder zusätzliche Ausstattungen, Unterrichtsmaterialien und Hilfsmittel. Der Schulträger ist ebenfalls verantwortlich für die Breitstellung von zusätzlichem Personal. Für die unterschiedlichen Jahrgangsstufen gibt es verschiedene Träger. Das Schulverwaltungsamt ist für die Einrichtung und Finanzierung eines Fahrdienstes zuständig. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für spezifische Therapien, Hilfsmittel (z. Gehhilfen, Hörgeräte etc.), unabhängig davon, welchen Lernort das Kind besucht. Sollte sich durch die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht der Anspruch an die Hilfsmittel verändert haben (z.B. spezielle PC-Tastatur für Körperbehinderte, Vorlesegeräte, Schreibhilfen), so muss dies angepasst werden: „nach der Rechtssprechung ist die Hilfsmittelversorgung auch dann sicherzustellen, wenn elementare Grundbedürfnisse betroffen sind“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 32). Als elementare Grundbedürfnisse eines Schulkindes werden z.B. das Erlernen der Schriftsprache und die Sicherstellung von Information und Verständigung genannt. Das Sozialamt stellt Mittel für den individuellen behinderungsbedingten Hilfebedarf zur Verfügung. Der aus § 39 BSHG resultierende Anspruch auf Hilfen zur Eingliederung in die Gesellschaft besteht jedoch nicht automatisch, sondern nur dann, wenn andere Leistungsträger nicht verpflichtet sind oder ihrer Verpflichtung nicht nachkommen. Das Sozialamt zahlt: 15 • behinderungsbedingte Mehrkosten für Kitas bei geistiger und körperlicher Behinderung; • zusätzliche Hilfsmittel die nicht die Krankenkasse bezahlt, abhängig vom Einkommen der Eltern; • Mehrkosten für Klassenfahrten durch z.B. eine zusätzliche Begleitperson; • individuelle Hilfen im Unterricht oder in den Pausen, wenn weiter Bedarf besteht, den der Schulträger nicht deckt. Das Jugendamt stellt ebenfalls Leistungen zur Verfügung, die den Mehraufwand für individuelle Hilfen im Unterricht oder in den Pausen abdecken, z. B. durch eine Einzelbetreuung (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 14). Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass es für die Eltern nicht wichtig ist, wer die o.g. Leistungen erbringen soll, sondern dass sie erbracht werden. In jedem Fall sollen betroffene Eltern, als Grundlage für jede Leistung, einen Antrag stellen. Im Sozialgesetzbuch § 43 „wird für den Fall vorgesorgt, dass (…) (den Eltern) Sozialleistungen entweder durch Krankenkassen, Jugendamt, Sozialamt oder andere zwar zustehen, die betroffenen Sozialleistungsträger miteinander noch nicht geklärt haben, wer tatsächlich wofür zuständig ist“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 34). Im Zweifelfall regelt das jene Stelle, an die zuerst der Antrag gestellt wurde. Dem allgemeinen Vorurteil „gemeinsamer Unterricht sei teuer“ entgegen wirkend, wurde im Jahr 1999 durch Prof. Preuss-Lausitz eine Kostenanalyse in Brandenburg, Berlin und Schleswig Holstein durchgeführt. Folgende Kostenebenen wurden dabei in Betracht gezogen (vgl. Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg 1999): • pädagogische Personalkosten • Beförderungskosten • Gebäude- und Betriebskosten, Verwaltungskosten • Kosten für die Schulzeit • Kosten für die Schulform • Kooperationskosten (Abstimmungen der Ämter untereinander etc.) 16 • Gesamtgesellschaftliche Folgekosten bzw. Einsparungen durch Integration/Nicht-Integration. Als Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass das in der allgemeinen Öffentlichkeit diskutierte und nach wie vor aktuelle Vorurteil nicht bestätigt werden konnte. Genauere Ergebnisse sind der Studie zu entnehmen. 3.3 Quantitative Entwicklung und aktueller Stand Im Schuljahr 2004/2005 betrug die Integrationsquote im Land Brandenburg 25,2% (vgl. Rupprecht 2007, S. 16). Es lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen der Primarstufe und der Sekundarstufe I feststellen. Die Integrationsquote liegt an den Grundschulen mit ca. 35% deutlicher höher als an den Gesamt- und Realschulen sowie den Gymnasien (ca. 20%). So führen von den 500 Grundschulen 340 Gemeinsamen Unterricht durch (ca. 70%). In der Sekundarstufe I wird in 210 von 355 Schulen (ca. 60%) integrativ beschult. Die Förderquote im Land Brandenburg betrug 2003 7,7% (vgl. KMK 2005). Obwohl es im Brandenburger Schulgesetz keine Einschränkung zur Beschulung der Kinder für Grad der Behinderung gibt, besuchen schwerer behinderte Kinder meist weiterhin die Förderschule. 3.4 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel des Modellversuches Birkenwerder In Birkenwerder gab es 1990 eine Grundschule, eine Gesamtschule, eine Förderschule für körperbehinderte Kinder in der Primarstufe und eine Förderschule für körperbehinderte Kinder in den Sekundarstufen I und II. Durch geburtenschwache Jahrgänge war ein Rückgang der Schülerzahlen zu verzeichnen und somit drohte die Schließung der Förderschulen. Da auch im brandenburgischen Schulgesetz Gemeinsamer Unterricht festgeschrieben ist, entschlossen sich Politiker, Eltern, Lehrer und Schüler einen Versuch zu wagen. So wurden, als erster Schritt, nichtbehinderte Kinder mit an den Förderschulen unterrichtet. Da dies so erfolgreich durchgeführt werden konnte, wurde das Konzept geändert und aus den vier entstanden zwei Schulen: eine integrative kooperative Grundschule von Klasse 1-6 17 und eine integrative kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe von Klasse 7-13 (vgl. Staatliches Schulamt Perleberg 2005, S. 11). Bevor der Schulversuch 1999 starten konnte, waren aber noch einige Schritte notwendig. So gründete sich 1995 die Projektgruppe zur Steuerung der Schulentwicklungsprozesse. Ihr gehörten Vertreter vom Landkreis, der Gemeinde, der Schulen und der Schulaufsicht an. Weiterhin mussten die Schulkonferenzen der vier Schulen inhaltlich und organisatorisch den Konzepten und der Bildung der neuen Schulen zustimmen. Dies wurde 1996 erfüllt bevor im August 1998 die Vorlaufphase begann. Im August 1999 konnten das erste Mal Kinder nach dem neuen System eingeschult werden. Es wurden drei Klassenzüge (a-b-c) eingerichtet, von denen nur in einem Kinder mit und ohne Behinderung unterrichtet werden sollte. Die anderen beiden bestanden jeweils nur aus nicht behinderten Schülerinnen und Schülern bzw. aus ausschließlich körperbehinderten und mehrfach behinderten Kindern, die weiterhin nach dem Rahmenplan der Allgemeinen Förderschule unterrichtet wurden (vgl. Staatliches Schulamt Perleberg 2005, S. 32). Allgemein gilt für den Schulversuch, dass mit jedem neuen Jahrgang eine Kooperationsklasse bzw. -gruppe in Grund- oder Gesamtschule gebildet werden kann. Alle anderen Schulklassen sind grundsätzlich für den gemeinsamen Unterricht offen. In der Gesamtschule werden mittlerweile in allen Klassen Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet werden. Klassenleiter/innen und Sonderpädagoge/innen bilden zusammen das Jahrgangsstufenteam. Wenn die Zustimmung der Eltern erfolgt, kann bis zur Klassenstufe 5 die Leistungsbewertung verbal erfolgen (vgl. Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg 1999, S. 33). Eine tragende Rolle kommt bei diesem Schulversuch der Kooperation zu. In der Grundschule erfolgt diese innerhalb der gesamten Jahrgangsstufe, im Gegensatz zur Gesamtschule. Hier gibt es eine einzelne Kooperationsklasse (a-Klasse), welche hauptsächlich mit der b-Klasse (ohne Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf) kooperiert. Für einzelne Kurse gibt es auch andere Zusammensetzungen (vgl. ebd.). 18 Allgemein kann man den Unterricht als schülerorientiert, methodenreich und leistungsbezogen bezeichnen, damit man den individuellen und unterschiedlichen Leistungsanforderungen gerecht werden kann. Es erfolgt eine Binnendifferenzierung in heterogenen Lerngruppen, z.B. Partnerlernen und Gruppenarbeit. 3.5 Ausstattung und Ressourcen Um einen effektiven Unterricht abzuhalten, ist vom Ministerium (vgl. SopV, § 19, Abs. 4) eine Klassengröße von maximal 23 Schülern festgelegt. Von diesen dürfen nicht mehr als vier Kinder einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben. Die Leistungsanforderungen entsprechen der Bildungsausrichtung der Schule (z.B. Gesamtschule), gegebenenfalls nach entsprechenden gesonderten Rahmenplänen. Für die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist ein Nachteilsausgleich bei der Bewertung (z.B. zeitliche Anpassung oder gesonderte Arbeitsmaterialien) anzuwenden. Dieser hat in der Form zu erfolgen, dass das Leistungsvermögen voll ausgeschöpft werden kann und das geforderte Leistungsniveau des erstrebten Schulabschlusses Beachtung findet. 3.6 Positives, Probleme und Perspektiven Folgende Besonderheiten zeichnen das Bundesland aus: • Die Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts ist bereits seit 1991 im Schulgesetz verankert. • Die Existenz eines Elternwahlrechts ist selbstverständlich. • Es gibt die Möglichkeit zieldifferenten, gemeinsamen Unterricht zu gestalten. Es existieren jedoch Haushaltsvorbehalte in der Gesetzesgrundlage (vgl. Brandenburgisches Schulgesetz § 3 Absatz 4). Somit kann eine integrative Beschulung nicht immer gewährleistet werden. Als Problem kann auch die im Bundesdurchschnitt hohe Förderquote genannt werden. Trotz der Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts für alle Schüler, ohne Einschränkung nach Art der Behinderung, lässt sich feststellen, dass viele der Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und soziale und emotionale Entwicklung die Förderschule besuchen. Im Schuljahr 19 2004/2005 wurden landesweit nur 78 Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung integrativ beschult (vgl. Rupprecht 2007, S. 17). Weiterhin muss u.E. darauf hingewiesen werden, dass die Unterschiede der Integration in den verschiedenen Kreisen sehr groß sind. So gab es Kreise, in denen die Integrationsquote bei 6,3% lag, in anderen lag sie dagegen bei 24,6% (vgl. Schöler 1998, S. 180). Diese Unterschiede lassen sich mit den kreislichen Strukturen und der jeweiligen Praxis bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vor Ort erklären (vgl. Obenaus zitiert nach Schöler 1998, S. 180). Als Perspektive setzt sich das Land laut Bildungsminister Rupprecht: „Das Zukunftsbild einer Schule, die alle Kinder willkommen heißt…“ (vgl. Rupprecht 2007, S. 23). Als Bestandteile führt er die integrative Ausrichtung der sonderpädagogischen Förderung und deren Ausweitung sowie die Verbesserung der Umsetzung in den allgemeinen Schulen an. Das Netzwerk integrativer- kooperativer Schulen im Internet bietet brandenburgischen Schulen, die den Gemeinsamen Unterricht praktizieren o. ä., die Möglichkeit sich auszutauschen und sich bei regelmäßigen Treffen über Erfahrungen, Probleme, Neuigkeiten, Ressourcen usw. mit anderen Schulen zu beraten. Im Schuljahr 2005/2006 beteiligten sich sieben Schulen hieran: die PestalozziGrundschule und Regine-Hildebrandt-Schule in Birkenwerder, die Kooperationsschule in Friesack, die Integrationsschule Glöwen, die Dreiklang Oberschule in Schwedt, die Bauhausschule in Cottbus und die Grundschule an der Lindenstraße in Neustadt (vgl. http://www.netzwerk.rolandstelzer.de/netzwerkschulen/index.html). 4. Überblick: Übergang Schule-Beruf Das Integrationsamt des Landes Brandenburg bietet an, Arbeitgebern Zuschüsse zu den Kosten der Berufsausbildung zu gewähren, wenn sie Jugendlichen mit einer Behinderung einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass „Arbeitgeber, die ohne Beschäftigungspflicht (weniger als 20 Arbeitsplätze) 20 besonders betroffene schwer behinderte Jugendliche und junge Erwachsene zur Berufsausbildung einstellen“ (http://www.handwerksblatt.de/index2.php?option=com_content&task=view&id=221) Zuschüsse und Gebührenerstattungen zur Berufsausbildung erhalten können. Die Höhe des jeweiligen Zuschusses wird je nach Art der Ausbildung berechnet und lehnt sich an die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürsorgestellen und Integrationsämter an. Die Größenordnung der Zuschüsse kann für die Zeit der Berufsausbildung 10.000 € und mehr betragen. Bekannt ist, dass der Förderverein der Kooperativ-Integrativen Gesamtschule Birkenwerder eine „Implementierung eines integrativen Ansatzes für den beruflichen Einstieg behinderter Schülerinnen und Schüler als Modellvorhaben im Land Brandenburg“( www.isl-ev.de) anbietet. Dieses Vorhaben beinhaltet den Aufbau eines Beratungsangebotes für Lehrerinnen und Lehrer in Brandenburg zur individuellen Berufswegeplanung für behinderte Jugendliche. Außerdem beinhaltet das Projekt eine persönliche Assistenz zur erfolgreichen Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Über integrative Projekte haben wir trotz intensiver Recherche keine Informationen erhalten bzw. bis zum Abschluss der Arbeit keine Rückmeldungen der jeweiligen Stellen erhalten. Nach Döring und Obenaus gibt es zum Übergang Schule - Beruf schlicht „keine hervorzuhebenden landesweiten Konzepte“ (Döring/Obenaus 2004, S. 6). Bei der Recherche ließ sich lediglich feststellen, dass eine Vielzahl behinderter Jugendlicher in Berufsbildungswerken und damit in Sondereinrichtungen untergebracht waren. 5. Besonderheiten des Bundeslandes: Wissenschaftliche Begleitforschung, Lehrerbildung für die integrative Praxis 5.1 Wissenschaftliche Begleitforschung Die Landesregierung Brandenburgs bemüht sich um einen kontinuierlichen Prozess der Integrationsverbreitung. Eltern, Lehrer und Kinder mit Integrationserfahrung 21 fördern in bemerkenswerter Weise die gemeinsame Erziehung. Gerade in Grundschulen wird diese Integration berücksichtigt und in der Sekundarstufe in zunehmender Weise. In der Grundschule wird die wohnortnahe Integration umgesetzt (vgl. Heyer u.a. 1997, S. 387f.). Die wissenschaftliche Begleitung wurde 1996 vom Ministerium vorgeschlagen und als Handlungs- und Prozessbegleitung konzipiert (vgl. Preuss-Lausitz/Zöllner 1997, S. 365). Die zentralen Fragestellungen waren: - Identitätsentwicklung: bei behinderten Jugendlichen im gemeinsamen Unterricht, - Prozessanalyse: Welche Behinderungen treten auf? Kostenkalkulation - Beratungs- und Informationsevaluation: Welche Beratungsstellen gibt es? Und wo befinden sie sich? - Fortbildungsevaluation: Inhalte, Akzeptanz der Fortbildung, Welche didaktischen Formen werden angewandt? - Fachdidaktische Themen: Wie sollten bestehende didaktische Konzepte für den gemeinsamen Unterricht geändert werden? - Schulformspezifische Fragestellungen: Wo liegen Probleme und Veränderungsmöglichkeiten in der Gesamt- Real- und Oberschule? - Übergang in die Berufswelt: Inwiefern wird beraten? (vgl. Heyer u.a. 1997, S. 366ff.). Die wissenschaftliche Begleitung ist fachlich komplex anzulegen und sollte nicht isoliert von der integrationspädagogischen Entwicklung ablaufen (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 28). Um möglichst überschaubare und genaue Ergebnisse zu bekommen wurde Brandenburg in vier Bereiche eingeteilt. Jedem Bereich wurde ein Ansprechpartner zugeteilt. Die Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung haben sich so geändert, dass die frühere beratende Funktion bei Verordnungen oder Rundschreiben eine Erörterung der möglichen Fortführungswege der Integration ist (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 29). Hans Wocken beantwortet in seiner Untersuchung die Frage „Fördert Förderschule?“ Hierbei hat er mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, u.a. die Lauf-BB Studie (Lernausgangslage an Förderschulen Brandenburg), die er zuvor auch in Hamburg 22 und Niedersachsen durchführte. In Brandenburg fand die Studie 2004 an allen 7. Schuljahren an Förderschulen in Brandenburg statt, mit den Zielen, Schulleistungen darzustellen sowie Lernvoraussetzungen und Lebensbedingungen der Förderschüler mit anderen Schülern der Regionen zu vergleichen (vgl. Wocken 2005, S. 10). In Hinblick auf die o.g. Fragestellung hat Wocken u.a. folgende Aspekte an Hand der Lauf-Studien in den Bundesländern Hamburg und Brandenburg untersucht: 1. Chancengleichheit der Bundesländer, 2. Chancengleichheit der Geschlechter, 3. Chancengleichheit des sozialkulturellen Status sowie 4. Chancengleichheit des sozioökonomischen Status. Soweit es sich nicht um einen Ländervergleich handelt, werden im Folgenden nur die Ergebnisse für Brandenburg wiedergegeben. Chancengleichheit der Bundesländer Wocken stellt in seiner Arbeit die folgende Hypothese auf: „Förderschüler in Ländern mit höheren Förderschülerquoten übertreffen in den Schulleistungen und in den kognitiven Potenzialen Förderschüler aus Ländern mit niedrigen Quoten“ (Wocken 2007, S. 38). Für Brandenburg beläuft sich die Förderschülerquote für Lernen auf 3,89% im Jahr 2003, in Hamburg lag sie bei 2,7% Eine stichprobenartige Untersuchung der Rechtschreibleistung und Intelligenz ergab, dass - entgegen der aufgestellten Hypothese - Brandenburger Förderschüler keine besseren Rechtschreibresultate als Schüler in Hamburg erzielten. Auf lokaler und regionaler Ebene zeigten sich für Brandenburg jedoch durchaus erhebliche Unterschiede. Demnach kann für diesen Punkt abschließend festgehalten werden, dass auf Länderebene durchaus Chancengleichheit besteht, nicht jedoch unterhalb der Länderebene (vgl. Wocken 2007, S. 39). Chancengleichheit der Geschlechter Ein Blick auf die Verteilung der Geschlechter auf die Schulformen in Brandenburg zeigt, dass die Geschlechter „deutlich disproportional auf die verschiedenen Schularten verteilt“ sind (Wocken 2007, S. 41). Der Anteil der Jungen, die eine Förderschule besuchen, ist hierbei wesentlich höher als der der Mädchen: 63,2% der 23 Förderschüler in Brandenburg 2004 waren Jungen. Dagegen stellen die Jungen an Gymnasien mit 43,7% den niedrigeren Anteil. Darüber hinaus ist ein weiteres Ergebnis der Studie, dass es eine Leistungsdifferenz (untersucht wurden die Rechtschreibleistungen) zwischen Jungen und Mädchen gibt, die in den Sonderschulen besonders hoch ausfällt - trotz ähnlicher Intelligenz. Hieraus schließt Wocken, dass nicht nur - wie bekannt - die allgemeinen Schulen gegen die Chancengleichheit der Geschlechter verstoßen, sondern auch die Förderschulen. Chancengleichheit des sozialkulturellen Status Der sozialkulturelle Status wurde an Hand der Variablen Bücherbestand, Fernsehkonsum und Anzahl der Kinder in einer Familie erfasst. Hierbei ergab sich, dass alle drei Variablen linear mit dem Status der Schulart korrelierten. Je weiter sich eine Schulart in der Schulhierarchie am unteren Ende befindet, um so weniger Bücher gibt es im Elternhaus (in ca. 34% der Familien mit Förderschülern gibt es weniger als 10 Bücher im Haushalt); umso mehr Stunden am Tag schauen die Förderschüler fern (etwa 30% der Förderschulen sehen jeden Wochentag drei oder mehr als drei Stunden fern) und umso mehr Kinder gibt es in den Familien (der Mittelwert liegt für Familien mit Förderschülern bei 2,4). Wobei Kinderreichtum hier „nicht als förderliche Entwicklungsumgebung“ betrachtet wird (Wocken 2007, S. 44), da dieser meist mit geringem Familieneinkommen und schlechten Wohnraumverhältnissen zusammenfällt. Demnach spiegelt nach Wocken „der soziokulturelle Status der Förderschüler (…) ungleiche Chancen wider“ (Wocken 2007, S. 44). Chancengleichheit des sozioökonomischen Status Unter diesem Aspekt wurden die Einkommensverhältnisse der Eltern untersucht. Und auch diese zeigen, dass die Bildungswege von Kindern nicht unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern sind. Die Arbeitslosigkeit der Väter steigt mit sinkendem Schulstatus: Rund 7% der Väter im Gymnasium waren zum Untersuchungszeitraum arbeitslos, dagegen waren es bei den Vätern in Förderschulen rund 38%. Bei den Müttern liegt der Anteil der arbeitlosen Müttern von 24 Förderschülern mit 50% doppelt so hoch wie der von arbeitslosen Müttern von Gymnasiasten (25%) (vgl. Wocken 2007, S. 47). Demnach kann auch unter diesem Aspekt die Förderschule keine Chancengleichheit gewähren. Zusammenfassend ist demnach an Brandenburger Förderschulen eine Überrepräsentanz von Jungen, von Kindern kinderreicher Eltern, von Kindern arbeitsloser Eltern sowie von Kinder mit schlechtem sozialkulturellem Status zu finden. Die Förderschule wird nach Wocken „dem Verfassungsauftrag, Bildungsgerechtigkeit herzustellen, nicht gerecht“ (Wocken 2007, S. 49). Wocken konstatiert jedoch, dass diese Kritik dem gesamten Schulsystem zukommen muss. Jungen, kinderreiche Familien und Kinder von Arbeitslosen werden vom Schulwesen insgesamt benachteiligt: Die durch die Lauf-Studie aufgezeigte Problematik findet sich bundesweit wieder (vgl. Wocken 2007, S. 49). Abschließend soll nun noch an Hand der Untersuchungsergebnisse Wockens auf dessen Frage „Fördert Förderschule?“ eingegangen werden. Hierzu geht Wocken davon aus, dass eine effiziente Förderung in Förderschulen dazu führen müsste, dass mit steigendem Verbleib an einer Förderschule die kognitiven Leistungen eines Schülers ebenso steigen müssten. Wocken stellt demnach die Hypothese auf: „Je länger ein Schüler eine Förderschule besucht, desto besser sind seine kognitiven Leistungen“ (Wocken 2007, S. 50). Die Anzahl der Jahre, die ein Schüler eine Förderschule besucht (= Förderschuljahre) ist nach Wocken breit gestreut (Es sei daran erinnert, dass die Anzahl der Förderschuljahre der Stichprobe im Rahmen der Lauf-BB Studie jeweils im 7. Schuljahr gemessen wurde). So befanden sich beispielsweise 10,2% der Schüler seit sieben Jahren an der Förderschule, 19,6% seit einem Jahr, für alle dazwischen liegenden Möglichkeiten (2-, 3-, 4-, 5- und 6 Jahre) liegen die prozentualen Werte ähnlich (vgl. Wocken 2007, S. 51). Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten untersucht Wocken an Hand der Variablen Rechtschreibkompetenz und Intelligenz. Beide müssten - sollte Wockens Hypothese korrekt sein - mit steigenden Förderschuljahren selbst steigen. Die Studie zeigte jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Bei der Rechtschreibkompetenz ist sogar eine gegenteilige Entwicklung zu verzeichnen. Wocken bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Je länger die Schüler eine Förderschule besuchen, desto schlechter sind ihre orthographischen Leistungen“ (Wocken 2007, 25 S. 52). Auch in Hinblick auf die Entwicklung der Intelligenz ist eine der Hypothese gegenläufige Entwicklung festzustellen: „Je länger Schüler eine Förderschule besucht haben, desto niedriger sind ihre Intelligenztestwerte“ (Wocken 2007, S. 53). Ersteres erklärt Wocken mit eben jenen sinkenden Intelligenzwerten, letzteres dürfte nach Wocken daran liegen, dass wohl als erstes die schwächsten Schüler an eine Förderschule überwiesen werden. Jene Schüler, die die meisten Förderschuljahre aufweisen, sind demnach diejenigen, die die größten Lernbehinderungen haben. Diese Brandenburger Ergebnisse sind nach Wocken jedoch nicht einmalig. Auch in anderen Studien in anderen Bundesländern ist man zu diesem Ergebnis gekommen, beispielsweise in der KESS.iF Studie in Hamburg. Diese Studie wurde ebenso im 7. Schuljahrgang in Hamburger Förderschulen durchgeführt. Hierbei konnte zudem erfasst werden, ob es bei den teilnehmenden Schülern zu einer Entwicklung des Intelligenzwertes gekommen war - durch Vergleich der Intelligenzwerte bei Aufnahme in die Förderschule mit dem zum Zeitpunkt der Studie. Es stellte sich heraus, das die Förderschüler in ihrer intellektuelle Entwicklung stagnierten (vgl. Wocken 2007, S. 54). Hierin sieht Wocken die oft angenommene „kompensatorische [und] rehabilitative Wirksamkeit der Förderschule“ (Wocken 2007, S. 55) als widerlegt an. Gründe hierfür findet Wocken in den gesenkten Leistungsanforderungen und den umfangreichen Hilfen in Förderschulen. Die eingangs gestellte Frage Wockens (Fördert Förderschule?) muss demnach verneint werden - in Hinblick auf die Rechtschreibkompetenz und vermutlich auch in Hinblick auf die intellektuelle Entwicklung. Und dies insbesondere dann, wenn man wie Wocken davon ausgeht, dass Lernfähigkeit und Intelligenz Voraussetzung und Ergebnis von Unterricht zugleich sind (vgl. Wocken 2007, S. 55). Brandenburg zieht aus dieser Studie Konsequenzen und baut u.a. die flexible Schuleingangsphase aus, verändert das Feststellungsverfahren grundlegend und will qualitativ verbesserte Förderangebote in den Regelschulen etablieren, um den hohen Anteil der Schüler aus unteren Soziallagen zu senken. Darüberhinaus fühlt sich Brandenburg durch die Studie aber auch in seinem Weg der Vorrangigkeit des GU bestätigt (vgl. Ruppert 2007, S. 17ff.). 26 5.2 Lehrerbildung für die integrative Praxis Die Lehrerausbildung für das Land Brandenburg findet ausschließlich in Potsdam statt. Diese erfolgt nach dem Potsdamer Modell: „Professionsorientiertes Studium“, mit dem folgenden Grundsatz: „dass Lehrern aller Stufen eine gleichwertige erziehungs- und unterrichtswissenschaftliche Ausbildung geboten wird, die gleichermaßen an der Wissenschaft wie an der Praxis des Lehrerhandelns, insbesondere am Unterricht, orientiert ist“ (Heyer 1997, S. 377). 1996 war der Themenschwerpunkt der Uni Potsdam: „Grundlagen der gemeinsamen Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung“ (Heyer 1997, S. 377). Die Uni Potsdam bemüht sich nach Heyer u.a. um Wissenschaftlichkeit in allen Teilbereichen: - Psychologisch, - Sozial- und erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz, - Integration in Theorie und Praxis. Trotzdem sind zu viele Lehrer integrationsunerfahren und es entstehen Probleme durch Konkurrenzdenken (Arbeitsplatzsicherung), welche sich aus den drastisch sinkenden Schülerzahlen in der Grundschule begründen (vgl. Obenaus 1997, S. 51). Allerdings sind diese Einschätzungen bereits zehn Jahre alt. 6. Vergleich der Entwicklung mit anderen Bundesländern 6.1 Vergleich Brandenburgs mit Berlin Der Vergleich der beiden Bundesländer zeigt eine überwiegende Zahl von Gemeinsamkeiten auf. Als Gemeinsamkeit der integrativen Beschulung der Bundesländern Berlin und Brandenburg lässt sich die Verankerung des vorrangig gemeinsamen Unterrichts an allgemeinen Schulen im Schulgesetz nennen. Für Berlin wurde dies mit dem Schulgesetz von 2004 festgeschrieben. Allerdings war Brandenburg das erste Bundesland das Gemeinsamen Unterricht mit einer Top-Down-Entscheidung im Jahr 27 1991 festlegte. Außerdem besteht bei beiden Bundesländern ein Elternwahlrecht zwischen Gemeinsamen Unterricht und Sonder- bzw. Förderschulen. In Berlin regelt dies § 33 Abs. 1 SopädVO. Die Schüler können zielgleich- und zieldifferent unterrichtet werden. Beim Vergleich der Förder- und Integrationsquoten (vgl. KMK 2005) zeigen sich Unterschiede: Förderquoten: Integrationsquoten: Berlin: 6,4% 30% Brandenburg: 7,7% 23% Abschließend sei noch auf eine weitere Gemeinsamkeit hingewiesen: Diese ist in den regionalen Unterschieden zu finden. In Brandenburg wie in Berlin schwankt die Integrationsquote zwischen den verschiedenen Kreisen bzw. Bezirken stark. Nach Maikowski ist „der Prozess der Integration im Ostteil der Stadt nur sehr schleppend vorangekommen“ (Maikowski 2006, S. 2). Die niedrigste Integrationsquote im Ostteil Berlins liegt nach Maikowski um mehr als das zehnfache unter der höchsten Integrationsquote in einem westlichen Berliner Bezirk. 6.2 Vergleich Brandenburgs mit Saarland Das Saarland als einer der Vorreiter des Gemeinsam Unterrichts (ab 1986 Verankerung des Gemeinsamen Unterrichts im Schulgesetz) in der Vorwende-BRD erscheint als ein sinnvolles Vergleichsbundesland, da Brandenburg als gesamtdeutscher Vorreiter der Nachwende-BRD heraussticht. Allerdings kam es im Saarland durch politische Wechsel und finanzielle Einsparungen zu einer Stagnation der Entwicklung. Als Gemeinsamkeiten lassen sich zwei Aspekte aufführen: Zielgleiche und zieldifferente Beschulung ist möglich und das Zwei-PädagogenSystem. Als Unterschiede der beiden Länder lassen sich folgende nennen: Statt maximal 23 Schüler in Brandenburg werden im Saarland maximal 20 Schüler im Gemeinsamen Unterricht unterrichtet, davon fünf statt zwei mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Im Saarland wird eine so genannte Kind- 28 Umfeld-Diagnose durchgeführt, die sich nicht vergleichen lässt mit dem bisherigen Feststellungsverfahren im Land Brandenburg. Trotz einer geringeren Förderquote (4,9%) hat das Saarland eine ähnliche hohe Integrationsquote wie Brandenburg. 7. Persönliche Einschätzungen Wie im Verlauf der Arbeit erwähnt, ist die Einführung des Gemeinsamen Unterrichts im Land Brandenburg als beispielhaft für Deutschland (im Vergleich) zu bezeichnen. So hat man sich schon relativ früh um eine Umsetzung der Gemeinsamen Erziehung und Bildung bemüht. Obwohl schon seit 15 Jahren an der Umsetzung gearbeitet wird, lässt sich weiterhin ein hoher Entwicklungsbedarf feststellen. Dieser wird anhand der Förderquote sichtbar. Sie betrug 2003 7,7%, was deutlich über dem Durchschnitt von Gesamtdeutschland (5,6%) liegt. Hinzu kommen zahlreiche Einschränkungen, z.B. im Gesetz verankerte Haushaltsvorbehalte, die die Entwicklung verlangsamen. Zu bemängeln sind auch die starken regionalen Unterschiede. Wünschenswert wäre eine dauerhafte Unterstützung durch Politik und Finanzmittelgeber. Das Land hat sich 1991 zur Vorrangigkeit der Gemeinsamen Erziehung und Bildung entschieden und muss sie jetzt auch breit umsetzen. Abschließend soll noch auf den Modellversuch Birkenwerder Bezug genommen werden. Dieser Schulversuch gilt als ein Beispiel für gelungene Integration. Jedoch sehen wir auch hier Einschränkungen. So gibt es zwar pro Jahrgang drei Klassenzüge, davon ist aber immer nur jeweils eine Klasse Kooperationsklasse. In den anderen werden weiterhin jeweils Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf getrennt unterrichtet. Kooperation gibt es nur in speziellen Kursen. Ansonsten muss die Integration in den Pausen stattfinden. Ebenso tritt hier das unter Punkt 3.6. benannte Problem zutage, dass schwer und mehrfach behinderte Kinder weiterhin separiert unterrichtet werden. So lässt sich für Birkenwerder feststellen, dass dieser Versuch einen guten Anfang darstellt, aber unseres Erachtens noch weitergeführt werden kann. Denn gerade hier bietet sich die vom Gesetz geforderte Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts für alle Schüler geradezu an. 29 8. Literatur Brandenburgisches Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (2003): Pressemitteilung Nr. 139 vom 02.12.2003. Online unter: URL: http://www.masgf.brandenburg.de/cms/detail.php?id=114104&_siteid=11 [23.06.2007] Düring, Katrin/Obenaus Harald (2004): Länderbericht Brandenburg. Online unter: URL: http://bidok.uibk.ac.at/itagung/download/laenderbericht-brandenburg-2004.doc [23.06.2007] Heyer, Peter (1997): Anforderungen an die integrationspädagogische Lehrerausbildung, S. 375 - 392. In: Heyer, Peter/Preuss-Lausitz, Ulf; Schöler, Jutta (1997): Behinderte sind doch Kinder wie wir! Gemeinsame Erziehung in einem neuen Bundesland. Berlin: Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Heyer, Peter/Preuss-Lausitz, Ulf/Schöler, Jutta (1997): Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der gemeinsamen Erziehung im Land Brandenburg. Empfehlungen der Wissenschaftlichen Begleitung, S. 387 - 392. In: Heyer, Peter/Preuss-Lausitz, Ulf; Schöler, Jutta (1997): Behinderte sind doch Kinder wie wir! Gemeinsame Erziehung in einem neuen Bundesland. 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