Brandenburg

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Brandenburg
TU Berlin
Institut für Erziehungswissenschaft
Hauptseminar: Integrative Pädagogik in Theorie und Praxis in Deutschland
Sommersemester 2006
Dozentin: Dr. Irene Demmer-Dieckmann
Entwicklung und aktueller Stand der gemeinsamen
Erziehung und Bildung von behinderten und
nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen im
Bundesland Brandenburg
Kerstin Adolf
Sarah Baumbach
Jana Reinsch
Marika Zellin
Inhalt
1.
Allgemeine Entwicklung der gemeinsamen Erziehung und Bildung
03
2.
Überblick über den Stand der vorschulischen Erziehung und Bildung
03
3.
Überblick über den Stand des Gemeinsamen Unterrichts in der Schule
04
3.1 Aktuelle bildungspolitische Situation
04
3.2 Gesetzliche Regelungen
07
3.2.1 Brandenburgisches Schulgesetz
08
3.2.2 Das Feststellungsverfahren
09
3.2.3 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am
Beispiel der flexiblen Schuleingangsphase
13
3.2.4 Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe I
13
3.2.5 Finanzierung
14
3.3 Quantitative Entwicklung und aktueller Stand
17
3.4 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am
Beispiel des Modellversuchs Birkenwerder
17
3.5 Ausstattung und Ressourcen
19
3.6 Positives, Probleme, Perspektiven
19
4.
Überblick: Übergang Schule – Beruf
20
5.
Besonderheiten des Bundeslandes
21
5.1 Wissenschaftliche Begleitforschung
21
5.2 Lehrerbildung für die integrative Praxis
25
Vergleich der Entwicklung mit anderen Bundesländern
27
6.1 Vergleich Brandenburgs mit Berlin
27
6.2 Vergleich Brandenburgs mit Saarland
28
7.
Persönliche Einschätzungen
29
8.
Literatur
30
6.
2
1.
Allgemeine Entwicklung der Gemeinsamen Erziehung und Bildung
Schon in der Zeit der Weimarer Republik gab es Hilfsschulen und solche mit reformbzw. heilpädagogischen Ansätzen. In der Zeit von 1933-1945 wurden diese unter
dem nationalsozialistischen Regime jedoch stark eingegrenzt und zum Teil ganz
abgeschafft. Erst 1946 wurde das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen
Schule“ (Liebers 1997, S. 55) erlassen. Hiermit erfolgte eine Wiederbelebung des
Sonderschulwesens. Waren die Nachkriegsjahre auch durch reformpädagogische
Ansätze geprägt, so setzte mit der Gründung der DDR 1949 ein Wandel ein. Die
SED formulierte in ihren Bildungszielen die „Entwicklung der Konzeption des
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (Liebers 1997, S. 59), das 1956
gesetzlich festgeschrieben wurde. Für die Sonderschulen bedeutete das, dass auch
Schülerinnen und Schüler das sozialistische Bildungsziel erreichen sollten, um so mit
ihren individuellen Fähigkeiten der sozialistischen Gesellschaft zu dienen. Um dieses
Ziel zu erreichen, erfolgte eine ständige Spezialisierung nach Art der Behinderung
und die Schaffung spezieller Schulen bzw. Kindertagesstätten. Ebenso gab es
gesonderte Berufsschulen bzw. Klassen, um einen einheitlichen Bildungsweg zu
ermöglichen. Um den hohen Bedarf von Sonderschullehrern zu decken, wurden
neue Studiengänge und Hochschulen geschaffen.
Schon 1954 wurde die Meldepflicht von behinderten Kindern eingeführt um eine
staatliche Erfassung, Beratung und Erziehung zu sichern (vgl. Liebers 1997, S. 59).
Erst 1989 zu Zeiten der politischen Wende gründete sich der „Arbeitskreis
Integration“, der sich für eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne
Behinderung einsetzte. Diese Ansätze schlugen sich im 1991 erlassenen ersten
Schulreformgesetz nieder, in welchem formuliert wurde, dass Kinder mit
sonderpädagogischen Förderungsbedarf vorrangig im Gemeinsamen Unterricht
beschult werden sollen. Somit ist Brandenburg das erste der neuen Bundesländer,
das diesen Schritt gewagt hat. Es erfolgte eine schrittweise Umsetzung der neuen
Regelungen, die bis heute nicht abgeschlossen ist.
2.
Überblick über den Stand der vorschulischen Erziehung und Bildung
Nach dem Kita-Gesetz haben Kinder einen Mindestanspruch auf sechs Stunden
Betreuung, sofern sie das dritte Lebensjahr vollendet haben. Auch behinderte Kinder
3
haben grundsätzlich einen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte (vgl.
Düring/Obenaus 2004, S. 1). Im § 12 des Kindertagesstättengesetzes heißt es:
„2) Kinder mit einem besonderen Förderbedarf nach den §§ 27, 35a des
Achten Buches des Sozialgesetzbuches oder den §§ 39, 40 des
Bundessozialhilfegesetzes sind in Kindertagesstätten aufzunehmen, wenn
eine diesem Bedarf entsprechende Förderung und Betreuung gewährleistet
werden kann. Die Gruppengröße und die personelle Besetzung in diesen
Gruppen sind den besonderen Anforderungen im Einzelfall anzupassen.“
Die gemeinsame Erziehung hängt hiernach davon ab, ob die entsprechende
Betreuung und Förderung realisiert werden kann.
Laut einer Pressemitteilung des Brandenburgischen Ministeriums für Arbeit, Soziales,
Gesundheit und Familie vom 2.12.2003 gab es im Jahr 2000 66 Integrationskitas,
die von 982 behinderten Kindern besucht wurden. Dagegen wurden 186 behinderte
Kinder in Sonderkindergärten betreut (vgl. Brandenburgisches Ministerium für Arbeit,
Soziales, Gesundheit und Familie 2003).
Der Pressemitteilung ist weiterhin zu entnehmen, dass maximal 16 Kinder in einer
Gruppe gemeinsam erzogen werden, die Anzahl der behinderten Kinder beläuft sich
hierbei auf maximal fünf.
Zu diesem Punkt konnte trotz intensiver Recherche keine weiteren Informationen
gefunden werden.
3.
Überblick über den Stand des Gemeinsamen Unterrichts in der Schule
3.1
Aktuelle bildungspolitische Situation
Trotz der Festschreibung der Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts seit 15
Jahren im Schulgesetz, liegt die Integrationsquote erst bei 25% (2004/2005). Das
Land arbeitet weiterhin am kontinuierlichen Fortschreiten dieser Entwicklung.
Ebenen der Integration
Im Land Brandenburg ist die integrative Pädagogik auf vier Ebenen verankert,
welches als Sozialökologisches Mehr-Ebenen-Konzept bezeichnet wird. Es orientiert
4
sich an den neuesten Erkenntnissen aus Pädagogik, Sozialwissenschaft und
Wirtschaft (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 16f.).
Die erste Ebene bezieht sich auf den Unterricht und die Schulklasse. An oberster
Stelle steht die Kooperation zwischen Lehrer und Lehrer, zwischen Schüler und
Schüler, zwischen Lehrer und Schüler und integrativer Unterricht in der Klasse.
Die zweite Ebene beschreibt die Einzelschule, die die gemeinsame Erziehung und
Bildung ausdrücklich mittragen muss, selbst wenn diese nur in einzelnen Klassen
realisiert wird. Ebenso sollen die integrativ arbeitenden Kollegen besonders durch die
Schulleitung unterstützt werden und es soll mit allen Eltern der Schule
zusammengearbeitet werden. Außerdem muss mit allen anderen Einrichtungen, die
ebenfalls in die Arbeit mit Behinderten einbezogen sind, kooperiert werden. Dazu
gehören z.B. die Behindertenfürsorge, das Schulamt, Jugendamt und
Kindereinrichtungen von Kirchen und Vereinen (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 20)
Der Landkreis, die kreisfreie Stadt bzw. der Schulträger beschreibt die dritte Ebene
des Modells. Die wichtigsten Institutionen werden hier aufgezählt:
Der Schulträger, für Grundschulen die Kommune und für die Schulen der
Sekundarstufe und für die Förderschulen der Kreis, ist für die Schulplanung,
Gründung und Schließung von Schulen und ebenso für einen eventuellen
rollstuhlgerechten (Um)Bau zuständig. Sie erhalten zusätzliche Landesmittel über
das Gemeindefinanzierungsgesetz, welche jedoch nicht zweckgebunden sind. Dazu
entscheiden politische Gremien des Landkreises, der Kommune bzw. der kreisfreien
Stadt über Schulstandorte, Mittelvergabe und Schulbauplanung (vgl. Preuss-Lausitz
1997, S. 19ff.).
Hinzu kommt das staatliche Schulamt, welches nach Vorlage der FörderausschussEmpfehlung über die Verteilung der vom Land zugewiesenen „Integrationsmittel“ und
gegebenenfalls über die Zuweisung weiterer Personalmittel entscheidet. Zusätzlich
wurden neue Institutionen, die eine gelungene Integration gewährleisten sollen,
gegründet. Als besonders wichtig sind hierbei aufzuführen: Integrationsberater, der
„Arbeitskreis Integration“, regionale Fortbildung und Frühförder- und Beratungsstellen
bzw. Sonderpädagogische Beratungsstellen (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 21f.).
5
Die Integrationsberater, von denen es in jedem Landkreis zwei gibt, sind Lehrer und
Lehrerinnen, die vom pädagogischen Landesinstitut ausgebildet wurden. Sie
vermitteln zwischen Land und Kreis, Schulleitung, Lehrer und Eltern und stehen
aufgrund ihrer Erfahrung für die Beratung zur Verfügung. Außerdem haben sie den
Überblick über die einzelnen Kinder, über die integrationspädagogisch
unterrichtenden Lehrer und die jährlichen Förderausschüsse und -mittel. Es gibt sie
in dieser Form in keinem anderen Flächenstaat. Sie organisieren auch den
„Arbeitskreis Integration“, welcher Treffen der integrativ arbeitenden Lehrer auf
Kreisebene. Bei diesen Treffen findet ein Austausch über „alltägliche Fragen der
gemeinsamen Erziehung“ und über die schulpolitische Entwicklung statt (vgl. ebd.).
Für die erstmals integrativ arbeitenden Lehrer werden vom Arbeitskreis regionale
Fortbildungen für die Klassenstufen 1-3, 4-6 und 7-10 angeboten.
Weitere Institutionen sind regionale Frühförder- und Beratungsstellen und die
Sonderpädagogischen Beratungsstellen, welche fast durchweg an den allgemeinen
Förderschulen zu finden sind. Ihre Organisation ist vom Land durch
Verwaltungsvorschriften geregelt, sie bereiten die Durchführung der
Förderausschüsse vor und sind Ansprechpartner für Eltern.
Die als letzte zu erwähnenden Einrichtungen sind Elterninitiativen und BehindertenInteressenvereinigungen, die erst allmählich entstehen und deren größte Träger die
evangelische Kirche ist.
Die vierte Ebene ist die Landesebene.
Da Brandenburg durch zahlreiche Dörfer geprägt ist, kann die gemeinsame
Erziehung und Bildung nicht nur den Lehrern, der Einzelschule oder dem Kreis
überlassen werden, sondern auch das Land sollte die gemeinsame Erziehung in
unterschiedlichster Weise unterstützen. Die Vorrangigkeit des Gemeinsamen
Unterrichts wurde als Top-Down-Entscheidung in der brandenburgischen
Bildungspolitik gefällt, deswegen sollte sie auch auf dieser Ebene unterstützt und
realisiert werden (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 25f.).
Dazu gehört das Pädagogische Landesinstitut (PLIB) in Ludwigsfelde, der Ort in dem
die Integrationsberater ausgebildet werden und deren Außenstellen, an denen die
Fortbildungen für die Integrationsberater stattfinden. Außerdem koordinieren sie die
Lehrerbildung und die wissenschaftliche Begleitforschung.
6
3.2
Gesetzliche Regelungen
Folgende gesetzliche Aussagen stärken die gemeinsame Erziehung und Bildung:
§3 Abs. 3 Satz 2 GG 1 :
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden.“
§§ 39, 40 BSHG 2 :
u.a. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung und
Hilfen im Vorschulalter.
§§ 27ff, 35 KJHG 3 :
„regelt die Finanzierung von geeignetem Personal zur
Eingliederung seelisch Behinderter oder für Hilfen zur
Erziehung wenn das von den Schulen zur Verfügung
gestellte Personal nicht ausreicht“ (Ministerium für
Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg
2000, S. 40f.).
§ 12 Abs. 4 Verfassung des Landes Brandenburg:
Land, Gemeinden und Gemeindeverbände werden dazu
verpflichtet, für die Gleichwertigkeit der
Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne
Behinderung zu sorgen.
Der brandenburgische Gesetzgeber entschied 1991 behinderte und nicht behinderte
Kinder gemeinsam zu unterrichten. Diese Bestimmung gilt in allen Schulen
Brandenburgs. Wo immer es möglich sei, „hat der Wunsch der Eltern nach
Gemeinsamen Unterricht Vorrang“ (Brandenburgisches Schulgesetz § 3 Absatz 4).
Behinderte Kinder sind „jene, mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ (Ministerium
für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 5). Ein
sonderpädagogischer Förderbedarf entsteht dann, wenn „in einer Kita oder Schule
zusätzliche besondere Rahmenbedingungen benötigt werden, z. B.
sonderpädagogische Förderung, besondere räumliche Ausstattungen und andere
Hilfen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S.
5). Für jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf, ist „zu prüfen, unter
welchen Voraussetzungen gemeinsamer Unterricht realisiert werden kann“
(Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 13).
1
Grundgesetz
Bundessozialhilfegesetz
3
Kinder- und Jugendhilfegesetz
2
7
So sind selbst Kinder mit Mehrfachbehinderungen nicht von vorn herein vom
integrativen Unterricht ausgeschlossen.
3.2.1 Brandenburgisches Schulgesetz
Ohne vorgeschaltete Modellversuche oder gewachsene Strukturen legte das Land
Brandenburg im Jahr 1991 den integrativen Unterricht behinderter und nicht
behinderter Kinder in Brandenburgischen Schulgesetz fest:
„Menschen mit Behinderung sollen vorrangig im gemeinsamen Unterricht mit
Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf oder in
Schulen und Klassen mit einem entsprechendem Förderschwerpunkt (…) besonders
gefördert werden“ (§ 3 Abs. 4 Brandenburgisches Schulgesetz).
Daher waren „Abstriche bei den qualitativen Anforderungen an einen integrativen
Unterricht (…) vor allem in der Anfangsphase zu akzeptieren“ (Obenaus 1997, S.
33). Ab 1992 bis 1996 wurde diese Reformierung des Schulgesetzes
wissenschaftlich begleitet. Wissenschaftliche und empirische Erfahrungen aus den
alten Bundesländern wurden in die pädagogischen Konzepte Brandenburgs
aufgenommen. Der Unterschied zu den anderen Bundesländern bestand darin, dass
„die Initiative zum gemeinsamen Schulbesuch aller Kinder seltener von den
betroffenen Eltern, sondern zunächst von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern“
(Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 13)
ausging. Im Jahr 2000 unterrichteten bereits über 50% aller Schulen in Brandenburg
im Gemeinsamen Unterricht. Zwischen den einzelnen Regionen und Landkreisen
sind noch Unterschiede zu verzeichnen.
Die Sonderpädagogische Verordnung enthält im § 14ff neben allgemeinen
Regelungen zum gemeinsamen Unterricht und zum Feststellungsverfahren
besondere Regelungen zu den Rahmenbedingungen des gemeinsamen Unterrichts
(§§ 18 bis 29).
8
3.2.2 Das Feststellungsverfahren
Im Folgenden werden die 10 Schritte des Feststellungsverfahrens vorgestellt (vgl.
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19-23).
Step 1:
Im letzen Jahr des Kita-Besuchs sollten Eltern eines Kindes mit
sonderpädagogischen Förderbedarf prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, ihr Kind
gemeinsam, d.h. integrativ zu beschulen. Ideal ist es, wenn bereits in der Kita
gewachsene Bindungen und Freundschaften in der Schule weitergeführt werden
können. Diese Überlegungen sollten auch eine Rolle spielen, wenn für ein Kind eine
„Zurückstellung“ empfohlen wird. Generell können Eltern selbst entscheiden, ob Sie
einen „Antrag auf einmalige Zurückstellung von der Schulpflicht“ stellen oder nicht.
Ein Kind „wird in dem Jahr schulpflichtig, in dem es vor dem 1. Juli das sechste
Lebensjahr vollendet“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg 2000, S. 19) hat.
Step 2:
Eltern sollten sich zunächst an die für ihr Wohngebiet zuständige Grundschule
wenden. Wird im Verlauf des Feststellungsverfahrens, die Nicht-Eignung dieser
Schule festgestellt, wird eine geeignete Schule für das Kind, auch unter Beachtung
der Wünsche der Eltern, gesucht. Zeigt sich im Verlauf des Feststellungsverfahrens,
dass „es keine erreichbare und geeignete Grundschule gibt“ (Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 17), besucht dass zu
beschulende Kind eine Förderschule. Eltern haben aber auch jederzeit das
Wahlrecht, ihr Kind von Beginn an auf eine Förderschule zu schicken.
Step 3:
Wird ein Kind eingeschult, sind die Eltern, die Schulleitung und das Gesundheitsamt
an der schulärztlichen Untersuchung beteiligt. Benötigt ein Kind sonderpädagogische
Förderung und möchten die Eltern den Besuch einer allgemeinen Schule für ihr
Kind, so wird der Besuch von zuständigen Beratungsstellen unbedingt empfohlen,
um den Mehraufwand für die Eltern, im Vergleich zu Beschulung auf einer
9
Förderschule, zu unterstützen (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des
Landes Brandenburg 2000, S. 19)
Step 4:
Ist das Kind bei einer Grundschule angemeldet, wird das Feststellungsverfahren
beantragt. Der Antrag wird dann an das zuständige staatliche Schulamt
weitergeleitet. Das Feststellungsverfahren kann auch von dem oder der SchulleiterIn
in Abstimmung mit den Eltern beantragt werden, auch wenn bislang noch kein
sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde.
Step 5:
Ob tatsächlich ein Feststellungsverfahren eingeleitet wird, wird seit dem 09.11.1998
mit einer Vorklärung ermittelt. Darin wird festgestellt, ob die Schule eigene
Maßnahmen zur Förderung des Kindes ergreifen kann. Nur wenn bereits im Vorfeld
durch fachliche Gutachten „offensichtliche (…) Sinnesbehinderungen, körperliche
(…) Behinderungen, geistige (…) Behinderungen oder schwere
Mehrfachbehinderungen“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg 2000, S. 19) festgestellt wurden, kann auf diese Vorklärung verzichtet
werden.
Step 6:
Im Feststellungsverfahren beruft die vom Schulamt beauftragte Schule einen
Förderausschuss ein, der i.d.R. vier bis sechs Wochen tätig ist. Der Förderausschuss
ist keine feste Institution, sondern wird für jedes Kind einzeln und mit Personen die
den Förderbedarf des jeweiligen Kindes einschätzen können, gebildet.
Mitglieder des Förderausschusses sind:
•
Eltern;
•
die beauftragte Schulleitung oder eine vertretende Lehrkraft;
•
eine Fachlehrkraft zur Berichterstattung über den sonderpädagogischen
Förderbedarf (erstellt ein Gutachten über die notwendigen
Rahmenbedingungen);
•
eine Fachkraft der bislang besuchten Einrichtung (z.B. Kita);
•
eine Lehrkraft der zukünftigen Schule;
10
•
eventuell und in der Praxis bewährt: der jeweilige Schulträger, „da dieser die
sächlichen, räumlichen und ggf. Mittel für zusätzliches sonstiges Personal
stellen soll“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg 2000, S. 20).
•
Sollten nicht alle benötigten Hilfen (insbesondere Personal für die zusätzliche
Einzelbetreuung) durch den Schulträger abgesichert werden, sollte der
Sozialhilfe- und Jugendträger ebenfalls hinzugezogen werden.
•
„Auf Wunsch der Eltern oder nach deren Einwilligung können (…) weitere
Fachleute wie die Schulärztin/der Schularzt oder eine Fachkraft aus der
schulpsychologischen Beratung“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
des Landes Brandenburg 2000, S. 20) mit einberufen werden.
•
Weiterhin empfehlenswert ist das Heranziehen einer Vertretung für einen
zukünftigen Hortbesuch des Kindes.
•
Für ausländische Eltern wird eine dolmetschende Person zu Verfügung
gestellt.
•
Empfehlung des Gesetzgebers: Eltern sollten eine nicht direkt betroffene
Person mit einbeziehen, um den Überblick zu bewahren und ärztliche und
therapeutische Gutachten mit einbringen.
Step 7:
Der Förderausschuss berät auf Grundlage der vorgelegten Gutachten und unter
Berücksichtigung des Elternwunsches, wie das Kind mit seiner jeweiligen
Beeinträchtigung am gemeinsamen Unterricht teilnehmen kann und formuliert eine
Bildungsempfehlung.
Inhalte dieser Bildungsempfehlung sind:
•
Lernort/ konkrete Schule;
•
Jahrgangsstufe;
•
Rahmenplan der Beschulung;
•
Förderumfang;
•
ggf. außerschulische Betreuung;
•
Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs (zeitliche, räumliche und inhaltliche
Bedingungen im Unterricht).
11
Alle festgelegten Einzelheiten zu „personellen, organisatorischen und sächlichen
Notwendigkeiten werden schriftlich festgehalten“ (Ministerium für Bildung, Jugend
und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 21).
Step 8
Die empfohlenen Hilfen von z.B. Krankenkassen, Sozial- und Jugendamt müssen
durch die Eltern beantragt werden.
Step 9
Auf Grund der Bildungsempfehlung und unter Berücksichtigung des Elternwunsches
entscheidet das Schulamt i.d.R. innerhalb von sechs Wochen in welcher Schule und
zu welchen Bedingungen das Kind eingeschult werden soll. Einschränkungen oder
Abweichungen von der Bildungsempfehlung werden fachlich begründet.
(vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 19
- 23).
Step 10
Sind die Eltern mit der Entscheidung des Schulamtes nicht einverstanden, müssen
sie zunächst noch einmal angehört werden und haben dann die Möglichkeit
innerhalb von vier Wochen Widerspruch einzulegen. Dies geschieht zunächst formlos
und später dann detailliert. Sollte der Widerspruch ebenfalls abgelehnt werden,
haben die Eltern die Möglichkeit eine Klage einzureichen um eine endgültige
Entscheidung herbei zu führen.
Seit dem 1. August 2005 gibt es die bis jetzt geltende Neufassung des
Feststellungsverfahrens. Darin ist das Wesentliche die förderdiagnostische
Lernbeobachtung. Durch „eine die Diagnostik begleitende sonderpädagogische
Förderung“ ist es das Ziel „insbesondere in den unteren Jahrgangsstufen der
Grundschule sonderpädagogischen Förderbedarf präventiv zu verringern bzw. zu
vermeiden“ (Rupprecht 2007, S. 20).
12
3.2.3 Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel der flexiblen
Schuleingangsphase
Das Ziel der flexiblen Schuleingangsphase ist die Schaffung einer Organisationsform
des Unterrichts, der allen Kindern einen optimalen Schulanfang erlaubt, um so die
eigenen, individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln zu können (vgl.
Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg 2002, S. 47).
Diese Form des Unterrichts ermöglicht eine individuelle Verweildauer von 1-3 Jahren,
um so die zielgruppenspezifische Förderung von schnell und langsam lernenden
Kindern zu gewährleisten. Es werden die Prinzipien und Methoden eines geöffneten
Unterrichts angewandt. Besondere Vorteile sind die Aufnahme aller Kinder ohne
Zurückstellung, Wiederholung und Ausschulung sowie die Nichtanrechnung des
dritten Verweiljahres (vgl. Obenaus/Düring 2005, S. 60ff.). Gewährleistet wird auch
die Unterstützung der vorzeitigen Schulaufnahme ab fünf Jahren. Es gibt außerdem
flexible Schulaufnahmetermine im Laufe des Schuljahres, die auf Wunsch der Eltern
wahrgenommen werden können. Kinder mit Förderbedarf im Bereich Lernen,
Verhalten oder Sprache erhalten kein Feststellungsverfahren (vgl. Pädagogisches
Landesinstitut Brandenburg 2002, S. 47). Stattdessen gibt es eine
förderdiagnostische Lernbeobachtung, die, wie der Name schon sagt, gleichzeitig
den pädagogischen Förderbedarf feststellt und für die Entwicklung des Kindes
unterstützend mitwirkt (vgl. Rupprecht 2007, S. 20f.).
3.2.4 Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe I
Der gemeinsame Unterricht (GU) in der Primarstufe wird an dieser Stelle nicht näher
erläutert. Es ist festzuhalten, dass die folgenden Regelungen für die Sekundarstufe I
in der Primarstufe ebenso gelten. Die Gestaltung eines GU in der Sekundarstufe I
erweist sich allerdings als schwieriger, da der Lernstoff umfangreicher und
anspruchsvoller ist. Eine Integration von Kindern mit sonderpädagogischem
Förderbedarf erweist sich somit als schwerfällig und ist deshalb von besonderer
Bedeutung.
Im § 29 BbgSchulG ist festgelegt, „dass gemeinsamer Unterricht nicht nur in
Grundschulen, sondern auch in weiterführenden allgemein bildenden Schulen und
13
Oberstufenzentren erfolgen kann“ (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des
Landes Brandenburg 2000, S. 37); dies gilt für alle Formen von Beeinträchtigungen
und für alle Schulformen.
In der Übergangsphase in die Sekundarstufe I, der sechsten Klasse, sollen Eltern
einen Antrag an das staatliche Schulamt ihres Landkreises stellen (bis Januar des
Schuljahres). Sie können dabei Erst- und Zweitwunsch für die weiterführende Schule
angeben. Empfohlen wird auch die Beratung durch Förder- und Beratungsstellen des
Landkreises, um eventuelle Schulen mit besonderer Ausstattung zu ermitteln.
Im Februar beginnt dann das allgemeine Aufnahmeverfahren in eine weiterführende
Schule mit einem erneuten Feststellungsverfahren und einer Bildungsempfehlung.
Eine Aufnahme in die jeweilige Schule nach Entscheidung des Schulamtes ist nur
dann möglich, wenn die im Folgenden genannten notwendigen Bedingungen
vorhanden sind oder geschaffen werden können. Bei Abweichungen vom
Elternwunsch und/oder der Bildungsempfehlung kann auch hier innerhalb von vier
Wochen Widerspruch eingelegt werden.
Folgende Bedingungen müssen erfüllt werden:
•
eine Klassengröße von maximal 23 Schülern,
•
nicht mehr als vier Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf,
•
Leistungsanforderungen entsprechen der Bildungsausrichtung der Schule
(z.B. Gesamtschule), bei Vorliegen einer Lernbehinderung oder geistigen
Behinderung gelten entsprechende Rahmenbedingungen,
•
Nachteilsausgleich bei der Bewertung (z.B. zeitliche Anpassung) in der Form,
dass das Leistungsvermögen voll ausgeschöpft wird und das geforderte
Leistungsniveau des erstrebten Schulabschlusses Beachtung findet (vgl.
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S.
39).
3.2.5 Finanzierung
Viele Hilfen, wie der Fahrdienst zur Schule, Therapien und Hortbetreuung, müssen
von den Eltern selbst beantragt werden (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 14).
14
Für alles was „unmittelbar mit dem Unterricht – der Vermittlung von Kenntnissen,
Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der speziellen sonderpädagogischen Förderung“
(Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 14)
des Kindes zu tun hat, zahlt das Land Brandenburg. Ansprechpartner ist das
staatliche Schulamt des jeweiligen Landkreises.
Der Schulträger „übernimmt die Kosten, die im Zusammenhang mit dem
Schulbesuch (des) Kindes entstehen und nicht den eigentlichen Unterricht betreffen“
(Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 31).
Im Detail sind das z. B. laufende Kosten, Kosten für bauliche Veränderungen oder
zusätzliche Ausstattungen, Unterrichtsmaterialien und Hilfsmittel. Der Schulträger ist
ebenfalls verantwortlich für die Breitstellung von zusätzlichem Personal. Für die
unterschiedlichen Jahrgangsstufen gibt es verschiedene Träger.
Das Schulverwaltungsamt ist für die Einrichtung und Finanzierung eines
Fahrdienstes zuständig.
Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für spezifische Therapien, Hilfsmittel (z.
Gehhilfen, Hörgeräte etc.), unabhängig davon, welchen Lernort das Kind besucht.
Sollte sich durch die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht der Anspruch an die
Hilfsmittel verändert haben (z.B. spezielle PC-Tastatur für Körperbehinderte,
Vorlesegeräte, Schreibhilfen), so muss dies angepasst werden: „nach der
Rechtssprechung ist die Hilfsmittelversorgung auch dann sicherzustellen, wenn
elementare Grundbedürfnisse betroffen sind“ (Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 32). Als elementare Grundbedürfnisse eines
Schulkindes werden z.B. das Erlernen der Schriftsprache und die Sicherstellung von
Information und Verständigung genannt.
Das Sozialamt stellt Mittel für den individuellen behinderungsbedingten Hilfebedarf
zur Verfügung. Der aus § 39 BSHG resultierende Anspruch auf Hilfen zur
Eingliederung in die Gesellschaft besteht jedoch nicht automatisch, sondern nur
dann, wenn andere Leistungsträger nicht verpflichtet sind oder ihrer Verpflichtung
nicht nachkommen.
Das Sozialamt zahlt:
15
•
behinderungsbedingte Mehrkosten für Kitas bei geistiger und körperlicher
Behinderung;
•
zusätzliche Hilfsmittel die nicht die Krankenkasse bezahlt, abhängig vom
Einkommen der Eltern;
•
Mehrkosten für Klassenfahrten durch z.B. eine zusätzliche Begleitperson;
•
individuelle Hilfen im Unterricht oder in den Pausen, wenn weiter Bedarf
besteht, den der Schulträger nicht deckt.
Das Jugendamt stellt ebenfalls Leistungen zur Verfügung, die den Mehraufwand für
individuelle Hilfen im Unterricht oder in den Pausen abdecken, z. B. durch eine
Einzelbetreuung (vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes
Brandenburg 2000, S. 14).
Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass es für die Eltern nicht wichtig ist, wer
die o.g. Leistungen erbringen soll, sondern dass sie erbracht werden. In jedem Fall
sollen betroffene Eltern, als Grundlage für jede Leistung, einen Antrag stellen. Im
Sozialgesetzbuch § 43 „wird für den Fall vorgesorgt, dass (…) (den Eltern)
Sozialleistungen entweder durch Krankenkassen, Jugendamt, Sozialamt oder andere
zwar zustehen, die betroffenen Sozialleistungsträger miteinander noch nicht geklärt
haben, wer tatsächlich wofür zuständig ist“ (Ministerium für Bildung, Jugend und
Sport des Landes Brandenburg 2000, S. 34). Im Zweifelfall regelt das jene Stelle, an
die zuerst der Antrag gestellt wurde.
Dem allgemeinen Vorurteil „gemeinsamer Unterricht sei teuer“ entgegen wirkend,
wurde im Jahr 1999 durch Prof. Preuss-Lausitz eine Kostenanalyse in Brandenburg,
Berlin und Schleswig Holstein durchgeführt.
Folgende Kostenebenen wurden dabei in Betracht gezogen (vgl. Pädagogisches
Landesinstitut Brandenburg 1999):
•
pädagogische Personalkosten
•
Beförderungskosten
•
Gebäude- und Betriebskosten, Verwaltungskosten
•
Kosten für die Schulzeit
•
Kosten für die Schulform
•
Kooperationskosten (Abstimmungen der Ämter untereinander etc.)
16
•
Gesamtgesellschaftliche Folgekosten bzw. Einsparungen durch
Integration/Nicht-Integration.
Als Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass das in der allgemeinen
Öffentlichkeit diskutierte und nach wie vor aktuelle Vorurteil nicht bestätigt werden
konnte. Genauere Ergebnisse sind der Studie zu entnehmen.
3.3
Quantitative Entwicklung und aktueller Stand
Im Schuljahr 2004/2005 betrug die Integrationsquote im Land Brandenburg 25,2%
(vgl. Rupprecht 2007, S. 16).
Es lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen der Primarstufe und der
Sekundarstufe I feststellen. Die Integrationsquote liegt an den Grundschulen mit ca.
35% deutlicher höher als an den Gesamt- und Realschulen sowie den Gymnasien
(ca. 20%). So führen von den 500 Grundschulen 340 Gemeinsamen Unterricht durch
(ca. 70%). In der Sekundarstufe I wird in 210 von 355 Schulen (ca. 60%) integrativ
beschult. Die Förderquote im Land Brandenburg betrug 2003 7,7% (vgl. KMK 2005).
Obwohl es im Brandenburger Schulgesetz keine Einschränkung zur Beschulung der
Kinder für Grad der Behinderung gibt, besuchen schwerer behinderte Kinder meist
weiterhin die Förderschule.
3.4
Organisationsformen des Gemeinsamen Unterrichts am Beispiel des
Modellversuches Birkenwerder
In Birkenwerder gab es 1990 eine Grundschule, eine Gesamtschule, eine
Förderschule für körperbehinderte Kinder in der Primarstufe und eine Förderschule
für körperbehinderte Kinder in den Sekundarstufen I und II. Durch geburtenschwache
Jahrgänge war ein Rückgang der Schülerzahlen zu verzeichnen und somit drohte die
Schließung der Förderschulen. Da auch im brandenburgischen Schulgesetz
Gemeinsamer Unterricht festgeschrieben ist, entschlossen sich Politiker, Eltern,
Lehrer und Schüler einen Versuch zu wagen. So wurden, als erster Schritt, nichtbehinderte Kinder mit an den Förderschulen unterrichtet. Da dies so erfolgreich
durchgeführt werden konnte, wurde das Konzept geändert und aus den vier
entstanden zwei Schulen: eine integrative kooperative Grundschule von Klasse 1-6
17
und eine integrative kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe von
Klasse 7-13 (vgl. Staatliches Schulamt Perleberg 2005, S. 11).
Bevor der Schulversuch 1999 starten konnte, waren aber noch einige Schritte
notwendig. So gründete sich 1995 die Projektgruppe zur Steuerung der
Schulentwicklungsprozesse. Ihr gehörten Vertreter vom Landkreis, der Gemeinde,
der Schulen und der Schulaufsicht an. Weiterhin mussten die Schulkonferenzen der
vier Schulen inhaltlich und organisatorisch den Konzepten und der Bildung der neuen
Schulen zustimmen. Dies wurde 1996 erfüllt bevor im August 1998 die Vorlaufphase
begann.
Im August 1999 konnten das erste Mal Kinder nach dem neuen System eingeschult
werden. Es wurden drei Klassenzüge (a-b-c) eingerichtet, von denen nur in einem
Kinder mit und ohne Behinderung unterrichtet werden sollte. Die anderen beiden
bestanden jeweils nur aus nicht behinderten Schülerinnen und Schülern bzw. aus
ausschließlich körperbehinderten und mehrfach behinderten Kindern, die weiterhin
nach dem Rahmenplan der Allgemeinen Förderschule unterrichtet wurden (vgl.
Staatliches Schulamt Perleberg 2005, S. 32).
Allgemein gilt für den Schulversuch, dass mit jedem neuen Jahrgang eine
Kooperationsklasse bzw. -gruppe in Grund- oder Gesamtschule gebildet werden
kann. Alle anderen Schulklassen sind grundsätzlich für den gemeinsamen Unterricht
offen. In der Gesamtschule werden mittlerweile in allen Klassen Schüler mit
sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet werden. Klassenleiter/innen und
Sonderpädagoge/innen bilden zusammen das Jahrgangsstufenteam.
Wenn die Zustimmung der Eltern erfolgt, kann bis zur Klassenstufe 5 die
Leistungsbewertung verbal erfolgen (vgl. Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg
1999, S. 33).
Eine tragende Rolle kommt bei diesem Schulversuch der Kooperation zu. In der
Grundschule erfolgt diese innerhalb der gesamten Jahrgangsstufe, im Gegensatz zur
Gesamtschule. Hier gibt es eine einzelne Kooperationsklasse (a-Klasse), welche
hauptsächlich mit der b-Klasse (ohne Schüler mit Sonderpädagogischem
Förderbedarf) kooperiert. Für einzelne Kurse gibt es auch andere
Zusammensetzungen (vgl. ebd.).
18
Allgemein kann man den Unterricht als schülerorientiert, methodenreich und
leistungsbezogen bezeichnen, damit man den individuellen und unterschiedlichen
Leistungsanforderungen gerecht werden kann. Es erfolgt eine Binnendifferenzierung
in heterogenen Lerngruppen, z.B. Partnerlernen und Gruppenarbeit.
3.5
Ausstattung und Ressourcen
Um einen effektiven Unterricht abzuhalten, ist vom Ministerium (vgl. SopV, § 19, Abs.
4) eine Klassengröße von maximal 23 Schülern festgelegt. Von diesen dürfen nicht
mehr als vier Kinder einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben. Die
Leistungsanforderungen entsprechen der Bildungsausrichtung der Schule (z.B.
Gesamtschule), gegebenenfalls nach entsprechenden gesonderten Rahmenplänen.
Für die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist ein
Nachteilsausgleich bei der Bewertung (z.B. zeitliche Anpassung oder gesonderte
Arbeitsmaterialien) anzuwenden. Dieser hat in der Form zu erfolgen, dass das
Leistungsvermögen voll ausgeschöpft werden kann und das geforderte
Leistungsniveau des erstrebten Schulabschlusses Beachtung findet.
3.6
Positives, Probleme und Perspektiven
Folgende Besonderheiten zeichnen das Bundesland aus:
•
Die Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts ist bereits seit 1991 im
Schulgesetz verankert.
•
Die Existenz eines Elternwahlrechts ist selbstverständlich.
•
Es gibt die Möglichkeit zieldifferenten, gemeinsamen Unterricht zu gestalten.
Es existieren jedoch Haushaltsvorbehalte in der Gesetzesgrundlage (vgl.
Brandenburgisches Schulgesetz § 3 Absatz 4). Somit kann eine integrative
Beschulung nicht immer gewährleistet werden. Als Problem kann auch die im
Bundesdurchschnitt hohe Förderquote genannt werden.
Trotz der Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts für alle Schüler, ohne
Einschränkung nach Art der Behinderung, lässt sich feststellen, dass viele der
Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und
soziale und emotionale Entwicklung die Förderschule besuchen. Im Schuljahr
19
2004/2005 wurden landesweit nur 78 Kinder und Jugendliche mit geistiger
Behinderung integrativ beschult (vgl. Rupprecht 2007, S. 17).
Weiterhin muss u.E. darauf hingewiesen werden, dass die Unterschiede der
Integration in den verschiedenen Kreisen sehr groß sind. So gab es Kreise, in denen
die Integrationsquote bei 6,3% lag, in anderen lag sie dagegen bei 24,6% (vgl.
Schöler 1998, S. 180). Diese Unterschiede lassen sich mit den kreislichen Strukturen
und der jeweiligen Praxis bei der Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs vor Ort erklären (vgl. Obenaus zitiert nach Schöler 1998, S. 180).
Als Perspektive setzt sich das Land laut Bildungsminister Rupprecht: „Das
Zukunftsbild einer Schule, die alle Kinder willkommen heißt…“ (vgl. Rupprecht 2007,
S. 23). Als Bestandteile führt er die integrative Ausrichtung der sonderpädagogischen
Förderung und deren Ausweitung sowie die Verbesserung der Umsetzung in den
allgemeinen Schulen an.
Das Netzwerk integrativer- kooperativer Schulen im Internet bietet
brandenburgischen Schulen, die den Gemeinsamen Unterricht praktizieren o. ä., die
Möglichkeit sich auszutauschen und sich bei regelmäßigen Treffen über
Erfahrungen, Probleme, Neuigkeiten, Ressourcen usw. mit anderen Schulen zu
beraten.
Im Schuljahr 2005/2006 beteiligten sich sieben Schulen hieran: die PestalozziGrundschule und Regine-Hildebrandt-Schule in Birkenwerder, die
Kooperationsschule in Friesack, die Integrationsschule Glöwen, die Dreiklang
Oberschule in Schwedt, die Bauhausschule in Cottbus und die Grundschule an der
Lindenstraße in Neustadt (vgl. http://www.netzwerk.rolandstelzer.de/netzwerkschulen/index.html).
4.
Überblick: Übergang Schule-Beruf
Das Integrationsamt des Landes Brandenburg bietet an, Arbeitgebern Zuschüsse zu
den Kosten der Berufsausbildung zu gewähren, wenn sie Jugendlichen mit einer
Behinderung einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen. Das bedeutet, dass
„Arbeitgeber, die ohne Beschäftigungspflicht (weniger als 20 Arbeitsplätze)
20
besonders betroffene schwer behinderte Jugendliche und junge Erwachsene zur
Berufsausbildung einstellen“
(http://www.handwerksblatt.de/index2.php?option=com_content&task=view&id=221)
Zuschüsse und Gebührenerstattungen zur Berufsausbildung erhalten können.
Die Höhe des jeweiligen Zuschusses wird je nach Art der Ausbildung berechnet und
lehnt sich an die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Deutschen
Hauptfürsorgestellen und Integrationsämter an. Die Größenordnung der Zuschüsse
kann für die Zeit der Berufsausbildung 10.000 € und mehr betragen.
Bekannt ist, dass der Förderverein der Kooperativ-Integrativen Gesamtschule
Birkenwerder eine „Implementierung eines integrativen Ansatzes für den beruflichen
Einstieg behinderter Schülerinnen und Schüler als Modellvorhaben im Land
Brandenburg“( www.isl-ev.de) anbietet. Dieses Vorhaben beinhaltet den Aufbau
eines Beratungsangebotes für Lehrerinnen und Lehrer in Brandenburg zur
individuellen Berufswegeplanung für behinderte Jugendliche. Außerdem beinhaltet
das Projekt eine persönliche Assistenz zur erfolgreichen Eingliederung auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt.
Über integrative Projekte haben wir trotz intensiver Recherche keine Informationen
erhalten bzw. bis zum Abschluss der Arbeit keine Rückmeldungen der jeweiligen
Stellen erhalten. Nach Döring und Obenaus gibt es zum Übergang Schule - Beruf
schlicht „keine hervorzuhebenden landesweiten Konzepte“ (Döring/Obenaus 2004,
S. 6). Bei der Recherche ließ sich lediglich feststellen, dass eine Vielzahl behinderter
Jugendlicher in Berufsbildungswerken und damit in Sondereinrichtungen
untergebracht waren.
5.
Besonderheiten des Bundeslandes: Wissenschaftliche Begleitforschung,
Lehrerbildung für die integrative Praxis
5.1
Wissenschaftliche Begleitforschung
Die Landesregierung Brandenburgs bemüht sich um einen kontinuierlichen Prozess
der Integrationsverbreitung. Eltern, Lehrer und Kinder mit Integrationserfahrung
21
fördern in bemerkenswerter Weise die gemeinsame Erziehung. Gerade in
Grundschulen wird diese Integration berücksichtigt und in der Sekundarstufe in
zunehmender Weise. In der Grundschule wird die wohnortnahe Integration
umgesetzt (vgl. Heyer u.a. 1997, S. 387f.). Die wissenschaftliche Begleitung wurde
1996 vom Ministerium vorgeschlagen und als Handlungs- und Prozessbegleitung
konzipiert (vgl. Preuss-Lausitz/Zöllner 1997, S. 365).
Die zentralen Fragestellungen waren:
-
Identitätsentwicklung: bei behinderten Jugendlichen im gemeinsamen
Unterricht,
-
Prozessanalyse: Welche Behinderungen treten auf? Kostenkalkulation
-
Beratungs- und Informationsevaluation: Welche Beratungsstellen gibt es? Und
wo befinden sie sich?
-
Fortbildungsevaluation: Inhalte, Akzeptanz der Fortbildung, Welche
didaktischen Formen werden angewandt?
-
Fachdidaktische Themen: Wie sollten bestehende didaktische Konzepte für
den gemeinsamen Unterricht geändert werden?
-
Schulformspezifische Fragestellungen: Wo liegen Probleme und
Veränderungsmöglichkeiten in der Gesamt- Real- und Oberschule?
-
Übergang in die Berufswelt: Inwiefern wird beraten? (vgl. Heyer u.a. 1997, S.
366ff.).
Die wissenschaftliche Begleitung ist fachlich komplex anzulegen und sollte nicht
isoliert von der integrationspädagogischen Entwicklung ablaufen (vgl. Preuss-Lausitz
1997, S. 28).
Um möglichst überschaubare und genaue Ergebnisse zu bekommen wurde
Brandenburg in vier Bereiche eingeteilt. Jedem Bereich wurde ein Ansprechpartner
zugeteilt.
Die Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitung haben sich so geändert, dass die
frühere beratende Funktion bei Verordnungen oder Rundschreiben eine Erörterung
der möglichen Fortführungswege der Integration ist (vgl. Preuss-Lausitz 1997, S. 29).
Hans Wocken beantwortet in seiner Untersuchung die Frage „Fördert Förderschule?“
Hierbei hat er mehrere Forschungsprojekte durchgeführt, u.a. die Lauf-BB Studie
(Lernausgangslage an Förderschulen Brandenburg), die er zuvor auch in Hamburg
22
und Niedersachsen durchführte. In Brandenburg fand die Studie 2004 an allen 7.
Schuljahren an Förderschulen in Brandenburg statt, mit den Zielen, Schulleistungen
darzustellen sowie Lernvoraussetzungen und Lebensbedingungen der Förderschüler
mit anderen Schülern der Regionen zu vergleichen (vgl. Wocken 2005, S. 10). In
Hinblick auf die o.g. Fragestellung hat Wocken u.a. folgende Aspekte an Hand der
Lauf-Studien in den Bundesländern Hamburg und Brandenburg untersucht:
1. Chancengleichheit der Bundesländer,
2. Chancengleichheit der Geschlechter,
3. Chancengleichheit des sozialkulturellen Status sowie
4. Chancengleichheit des sozioökonomischen Status.
Soweit es sich nicht um einen Ländervergleich handelt, werden im Folgenden nur die
Ergebnisse für Brandenburg wiedergegeben.
Chancengleichheit der Bundesländer
Wocken stellt in seiner Arbeit die folgende Hypothese auf: „Förderschüler in Ländern
mit höheren Förderschülerquoten übertreffen in den Schulleistungen und in den
kognitiven Potenzialen Förderschüler aus Ländern mit niedrigen Quoten“ (Wocken
2007, S. 38). Für Brandenburg beläuft sich die Förderschülerquote für Lernen auf
3,89% im Jahr 2003, in Hamburg lag sie bei 2,7% Eine stichprobenartige
Untersuchung der Rechtschreibleistung und Intelligenz ergab, dass - entgegen der
aufgestellten Hypothese - Brandenburger Förderschüler keine besseren
Rechtschreibresultate als Schüler in Hamburg erzielten. Auf lokaler und regionaler
Ebene zeigten sich für Brandenburg jedoch durchaus erhebliche Unterschiede.
Demnach kann für diesen Punkt abschließend festgehalten werden, dass auf
Länderebene durchaus Chancengleichheit besteht, nicht jedoch unterhalb der
Länderebene (vgl. Wocken 2007, S. 39).
Chancengleichheit der Geschlechter
Ein Blick auf die Verteilung der Geschlechter auf die Schulformen in Brandenburg
zeigt, dass die Geschlechter „deutlich disproportional auf die verschiedenen
Schularten verteilt“ sind (Wocken 2007, S. 41). Der Anteil der Jungen, die eine
Förderschule besuchen, ist hierbei wesentlich höher als der der Mädchen: 63,2% der
23
Förderschüler in Brandenburg 2004 waren Jungen. Dagegen stellen die Jungen an
Gymnasien mit 43,7% den niedrigeren Anteil.
Darüber hinaus ist ein weiteres Ergebnis der Studie, dass es eine Leistungsdifferenz
(untersucht wurden die Rechtschreibleistungen) zwischen Jungen und Mädchen gibt,
die in den Sonderschulen besonders hoch ausfällt - trotz ähnlicher Intelligenz.
Hieraus schließt Wocken, dass nicht nur - wie bekannt - die allgemeinen Schulen
gegen die Chancengleichheit der Geschlechter verstoßen, sondern auch die
Förderschulen.
Chancengleichheit des sozialkulturellen Status
Der sozialkulturelle Status wurde an Hand der Variablen Bücherbestand,
Fernsehkonsum und Anzahl der Kinder in einer Familie erfasst.
Hierbei ergab sich, dass alle drei Variablen linear mit dem Status der Schulart
korrelierten. Je weiter sich eine Schulart in der Schulhierarchie am unteren Ende
befindet, um so weniger Bücher gibt es im Elternhaus (in ca. 34% der Familien mit
Förderschülern gibt es weniger als 10 Bücher im Haushalt); umso mehr Stunden am
Tag schauen die Förderschüler fern (etwa 30% der Förderschulen sehen jeden
Wochentag drei oder mehr als drei Stunden fern) und umso mehr Kinder gibt es in
den Familien (der Mittelwert liegt für Familien mit Förderschülern bei 2,4). Wobei
Kinderreichtum hier „nicht als förderliche Entwicklungsumgebung“ betrachtet wird
(Wocken 2007, S. 44), da dieser meist mit geringem Familieneinkommen und
schlechten Wohnraumverhältnissen zusammenfällt. Demnach spiegelt nach Wocken
„der soziokulturelle Status der Förderschüler (…) ungleiche Chancen wider“ (Wocken
2007, S. 44).
Chancengleichheit des sozioökonomischen Status
Unter diesem Aspekt wurden die Einkommensverhältnisse der Eltern untersucht. Und
auch diese zeigen, dass die Bildungswege von Kindern nicht unabhängig von den
wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern sind. Die Arbeitslosigkeit der Väter steigt mit
sinkendem Schulstatus: Rund 7% der Väter im Gymnasium waren zum
Untersuchungszeitraum arbeitslos, dagegen waren es bei den Vätern in
Förderschulen rund 38%. Bei den Müttern liegt der Anteil der arbeitlosen Müttern von
24
Förderschülern mit 50% doppelt so hoch wie der von arbeitslosen Müttern von
Gymnasiasten (25%) (vgl. Wocken 2007, S. 47). Demnach kann auch unter diesem
Aspekt die Förderschule keine Chancengleichheit gewähren.
Zusammenfassend ist demnach an Brandenburger Förderschulen eine
Überrepräsentanz von Jungen, von Kindern kinderreicher Eltern, von Kindern
arbeitsloser Eltern sowie von Kinder mit schlechtem sozialkulturellem Status zu
finden. Die Förderschule wird nach Wocken „dem Verfassungsauftrag,
Bildungsgerechtigkeit herzustellen, nicht gerecht“ (Wocken 2007, S. 49). Wocken
konstatiert jedoch, dass diese Kritik dem gesamten Schulsystem zukommen muss.
Jungen, kinderreiche Familien und Kinder von Arbeitslosen werden vom Schulwesen
insgesamt benachteiligt: Die durch die Lauf-Studie aufgezeigte Problematik findet
sich bundesweit wieder (vgl. Wocken 2007, S. 49).
Abschließend soll nun noch an Hand der Untersuchungsergebnisse Wockens auf
dessen Frage „Fördert Förderschule?“ eingegangen werden. Hierzu geht Wocken
davon aus, dass eine effiziente Förderung in Förderschulen dazu führen müsste,
dass mit steigendem Verbleib an einer Förderschule die kognitiven Leistungen eines
Schülers ebenso steigen müssten. Wocken stellt demnach die Hypothese auf: „Je
länger ein Schüler eine Förderschule besucht, desto besser sind seine kognitiven
Leistungen“ (Wocken 2007, S. 50). Die Anzahl der Jahre, die ein Schüler eine
Förderschule besucht (= Förderschuljahre) ist nach Wocken breit gestreut (Es sei
daran erinnert, dass die Anzahl der Förderschuljahre der Stichprobe im Rahmen der
Lauf-BB Studie jeweils im 7. Schuljahr gemessen wurde). So befanden sich
beispielsweise 10,2% der Schüler seit sieben Jahren an der Förderschule, 19,6% seit
einem Jahr, für alle dazwischen liegenden Möglichkeiten (2-, 3-, 4-, 5- und 6 Jahre)
liegen die prozentualen Werte ähnlich (vgl. Wocken 2007, S. 51).
Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten untersucht Wocken an Hand der
Variablen Rechtschreibkompetenz und Intelligenz. Beide müssten - sollte Wockens
Hypothese korrekt sein - mit steigenden Förderschuljahren selbst steigen. Die Studie
zeigte jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Bei der
Rechtschreibkompetenz ist sogar eine gegenteilige Entwicklung zu verzeichnen.
Wocken bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Je länger die Schüler eine Förderschule
besuchen, desto schlechter sind ihre orthographischen Leistungen“ (Wocken 2007,
25
S. 52). Auch in Hinblick auf die Entwicklung der Intelligenz ist eine der Hypothese
gegenläufige Entwicklung festzustellen: „Je länger Schüler eine Förderschule
besucht haben, desto niedriger sind ihre Intelligenztestwerte“ (Wocken 2007, S. 53).
Ersteres erklärt Wocken mit eben jenen sinkenden Intelligenzwerten, letzteres dürfte
nach Wocken daran liegen, dass wohl als erstes die schwächsten Schüler an eine
Förderschule überwiesen werden. Jene Schüler, die die meisten Förderschuljahre
aufweisen, sind demnach diejenigen, die die größten Lernbehinderungen haben.
Diese Brandenburger Ergebnisse sind nach Wocken jedoch nicht einmalig. Auch in
anderen Studien in anderen Bundesländern ist man zu diesem Ergebnis gekommen,
beispielsweise in der KESS.iF Studie in Hamburg. Diese Studie wurde ebenso im 7.
Schuljahrgang in Hamburger Förderschulen durchgeführt. Hierbei konnte zudem
erfasst werden, ob es bei den teilnehmenden Schülern zu einer Entwicklung des
Intelligenzwertes gekommen war - durch Vergleich der Intelligenzwerte bei Aufnahme
in die Förderschule mit dem zum Zeitpunkt der Studie. Es stellte sich heraus, das die
Förderschüler in ihrer intellektuelle Entwicklung stagnierten (vgl. Wocken 2007, S.
54). Hierin sieht Wocken die oft angenommene „kompensatorische [und]
rehabilitative Wirksamkeit der Förderschule“ (Wocken 2007, S. 55) als widerlegt an.
Gründe hierfür findet Wocken in den gesenkten Leistungsanforderungen und den
umfangreichen Hilfen in Förderschulen.
Die eingangs gestellte Frage Wockens (Fördert Förderschule?) muss demnach
verneint werden - in Hinblick auf die Rechtschreibkompetenz und vermutlich auch in
Hinblick auf die intellektuelle Entwicklung. Und dies insbesondere dann, wenn man
wie Wocken davon ausgeht, dass Lernfähigkeit und Intelligenz Voraussetzung und
Ergebnis von Unterricht zugleich sind (vgl. Wocken 2007, S. 55).
Brandenburg zieht aus dieser Studie Konsequenzen und baut u.a. die flexible
Schuleingangsphase aus, verändert das Feststellungsverfahren grundlegend und will
qualitativ verbesserte Förderangebote in den Regelschulen etablieren, um den
hohen Anteil der Schüler aus unteren Soziallagen zu senken. Darüberhinaus fühlt
sich Brandenburg durch die Studie aber auch in seinem Weg der Vorrangigkeit des
GU bestätigt (vgl. Ruppert 2007, S. 17ff.).
26
5.2
Lehrerbildung für die integrative Praxis
Die Lehrerausbildung für das Land Brandenburg findet ausschließlich in Potsdam
statt. Diese erfolgt nach dem Potsdamer Modell: „Professionsorientiertes Studium“,
mit dem folgenden Grundsatz: „dass Lehrern aller Stufen eine gleichwertige
erziehungs- und unterrichtswissenschaftliche Ausbildung geboten wird, die
gleichermaßen an der Wissenschaft wie an der Praxis des Lehrerhandelns,
insbesondere am Unterricht, orientiert ist“ (Heyer 1997, S. 377).
1996 war der Themenschwerpunkt der Uni Potsdam: „Grundlagen der gemeinsamen
Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung“
(Heyer 1997, S. 377).
Die Uni Potsdam bemüht sich nach Heyer u.a. um Wissenschaftlichkeit in allen
Teilbereichen:
-
Psychologisch,
-
Sozial- und erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz,
-
Integration in Theorie und Praxis.
Trotzdem sind zu viele Lehrer integrationsunerfahren und es entstehen Probleme
durch Konkurrenzdenken (Arbeitsplatzsicherung), welche sich aus den drastisch
sinkenden Schülerzahlen in der Grundschule begründen (vgl. Obenaus 1997, S. 51).
Allerdings sind diese Einschätzungen bereits zehn Jahre alt.
6.
Vergleich der Entwicklung mit anderen Bundesländern
6.1
Vergleich Brandenburgs mit Berlin
Der Vergleich der beiden Bundesländer zeigt eine überwiegende Zahl von
Gemeinsamkeiten auf.
Als Gemeinsamkeit der integrativen Beschulung der Bundesländern Berlin und
Brandenburg lässt sich die Verankerung des vorrangig gemeinsamen Unterrichts an
allgemeinen Schulen im Schulgesetz nennen. Für Berlin wurde dies mit dem
Schulgesetz von 2004 festgeschrieben. Allerdings war Brandenburg das erste
Bundesland das Gemeinsamen Unterricht mit einer Top-Down-Entscheidung im Jahr
27
1991 festlegte. Außerdem besteht bei beiden Bundesländern ein Elternwahlrecht
zwischen Gemeinsamen Unterricht und Sonder- bzw. Förderschulen. In Berlin regelt
dies § 33 Abs. 1 SopädVO. Die Schüler können zielgleich- und zieldifferent
unterrichtet werden. Beim Vergleich der Förder- und Integrationsquoten (vgl. KMK
2005) zeigen sich Unterschiede:
Förderquoten:
Integrationsquoten:
Berlin:
6,4%
30%
Brandenburg:
7,7%
23%
Abschließend sei noch auf eine weitere Gemeinsamkeit hingewiesen: Diese ist in
den regionalen Unterschieden zu finden. In Brandenburg wie in Berlin schwankt die
Integrationsquote zwischen den verschiedenen Kreisen bzw. Bezirken stark. Nach
Maikowski ist „der Prozess der Integration im Ostteil der Stadt nur sehr schleppend
vorangekommen“ (Maikowski 2006, S. 2). Die niedrigste Integrationsquote im Ostteil
Berlins liegt nach Maikowski um mehr als das zehnfache unter der höchsten
Integrationsquote in einem westlichen Berliner Bezirk.
6.2
Vergleich Brandenburgs mit Saarland
Das Saarland als einer der Vorreiter des Gemeinsam Unterrichts (ab 1986
Verankerung des Gemeinsamen Unterrichts im Schulgesetz) in der Vorwende-BRD
erscheint als ein sinnvolles Vergleichsbundesland, da Brandenburg als
gesamtdeutscher Vorreiter der Nachwende-BRD heraussticht. Allerdings kam es im
Saarland durch politische Wechsel und finanzielle Einsparungen zu einer Stagnation
der Entwicklung.
Als Gemeinsamkeiten lassen sich zwei Aspekte aufführen:
Zielgleiche und zieldifferente Beschulung ist möglich und das Zwei-PädagogenSystem.
Als Unterschiede der beiden Länder lassen sich folgende nennen:
Statt maximal 23 Schüler in Brandenburg werden im Saarland maximal 20 Schüler im
Gemeinsamen Unterricht unterrichtet, davon fünf statt zwei mit
sonderpädagogischem Förderbedarf. Im Saarland wird eine so genannte Kind-
28
Umfeld-Diagnose durchgeführt, die sich nicht vergleichen lässt mit dem bisherigen
Feststellungsverfahren im Land Brandenburg.
Trotz einer geringeren Förderquote (4,9%) hat das Saarland eine ähnliche hohe
Integrationsquote wie Brandenburg.
7.
Persönliche Einschätzungen
Wie im Verlauf der Arbeit erwähnt, ist die Einführung des Gemeinsamen Unterrichts
im Land Brandenburg als beispielhaft für Deutschland (im Vergleich) zu bezeichnen.
So hat man sich schon relativ früh um eine Umsetzung der Gemeinsamen Erziehung
und Bildung bemüht. Obwohl schon seit 15 Jahren an der Umsetzung gearbeitet
wird, lässt sich weiterhin ein hoher Entwicklungsbedarf feststellen. Dieser wird
anhand der Förderquote sichtbar. Sie betrug 2003 7,7%, was deutlich über dem
Durchschnitt von Gesamtdeutschland (5,6%) liegt.
Hinzu kommen zahlreiche Einschränkungen, z.B. im Gesetz verankerte
Haushaltsvorbehalte, die die Entwicklung verlangsamen. Zu bemängeln sind auch
die starken regionalen Unterschiede.
Wünschenswert wäre eine dauerhafte Unterstützung durch Politik und
Finanzmittelgeber. Das Land hat sich 1991 zur Vorrangigkeit der Gemeinsamen
Erziehung und Bildung entschieden und muss sie jetzt auch breit umsetzen.
Abschließend soll noch auf den Modellversuch Birkenwerder Bezug genommen
werden. Dieser Schulversuch gilt als ein Beispiel für gelungene Integration. Jedoch
sehen wir auch hier Einschränkungen. So gibt es zwar pro Jahrgang drei
Klassenzüge, davon ist aber immer nur jeweils eine Klasse Kooperationsklasse. In
den anderen werden weiterhin jeweils Schülerinnen und Schüler mit und ohne
sonderpädagogischem Förderbedarf getrennt unterrichtet. Kooperation gibt es nur in
speziellen Kursen. Ansonsten muss die Integration in den Pausen stattfinden.
Ebenso tritt hier das unter Punkt 3.6. benannte Problem zutage, dass schwer und
mehrfach behinderte Kinder weiterhin separiert unterrichtet werden. So lässt sich für
Birkenwerder feststellen, dass dieser Versuch einen guten Anfang darstellt, aber
unseres Erachtens noch weitergeführt werden kann. Denn gerade hier bietet sich die
vom Gesetz geforderte Vorrangigkeit des Gemeinsamen Unterrichts für alle Schüler
geradezu an.
29
8.
Literatur
Brandenburgisches Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (2003):
Pressemitteilung Nr. 139 vom 02.12.2003. Online unter: URL:
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30
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