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braunschweiger beiträge
für theorie und praxis von ru und ku
108
2/2004
issn 0172-1542
herausgegeben vom
KIRCHENCAMPUS Wolfenbüttel
schriftleitung: hans-georg babke und heiko lamprecht
gesamtkirchliche dienste der ev.-luth. landeskirche in braunschweig
arbeitsbereich religionspädagogik und medienpädagogik
postfach 16 64, 38286 wolfenbüttel
telefon: [05331] 802-507 oder -504 • fax: [05331] 802 713
http://www.arpm.de • e-mail: [email protected]
impressum
Schriftleitung:
Pfarrer Dr. phil. Hans-Georg BABKE, ARPM, Wolfenbüttel
Pfarrer Heiko LAMPRECHT, ARPM, Wolfenbüttel
in Kooperation mit Axel KLEIN, Dozent für Konfirmandenarbeit und schulnahe Jugendarbeit, Wolfenbüttel
Mitarbeiter dieses Heftes:
Julia JANS, Steinweg 62, 38518 Gifhorn
Dipl.-Psych. Wilhelm REINMUTH, Altlandespfarrer, Unterer Weinberg 47, 97234 Reichenberg
Tabea Sophie REINMUTH, RU-Studienstufe, Matth.-Grünewald-Gymnasium, Würzburg
Prof. Dr. Hartmut ROSENAU, Seekamp 28, 24235 Stein bei Laboe
Dipl. Rel.-Päd. Henry SCHWIER, Diakon, Allensteiner Str. 14, 21337 Lüneburg
PD Dr. Jutta SIEMANN, Postfach 12 01 18, 45437 Mülheim a. d. Ruhr
Gabriele TSCHERPEL, Fenewaldstr. 35, 49119 Oberhausen
Dr. Friedrich Weber, Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig,
Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel
Layout:
Veronika SCHNEIDER, ARPM, Wolfenbüttel
Druck:
Druckerei KOTULLA, Wolfenbüttel
‘braunschweiger beiträge’ erscheinen viermal im Jahr. Preis im Abonnement 9,00 EURO; Einzelheft 3,00 EURO
Auflagenhöhe ‘bb’ Heft 108-2/2004: 2.500 Exemplare
Bestellaufnahme:
Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medienpädagogik
Gesamtkirchliche Dienste der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig
Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel
Tel.: [05331] 802 507 • Fax: [05331] 802 713
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Landeskirchenkasse Wolfenbüttel, EKK Hannover, Konto 65 05, BLZ 250 607 01
Ab- und Raubdrucke sowie Fotokopien und sonstige Vervielfältigungen sind dringend erwünscht.
Bitte Quellenangaben nicht vergessen, zwei Exemplare immer als Beleg an uns.
Wir freuen uns, danke!
Quellen:
Titelfoto: Ägyptische Händler auf dem Nil an der Schleuse von Esna in Oberägypten
Liebe Leserin, lieber Leser!
In Niedersachsen haben wir gerade die ersten Schritte der Schulstrukturreform bewältigt
– mit großen Kraftanstrengungen und z.T. gravierenden Veränderungen und Einschnitten
für viele Lehrkräfte, aber auch für Schulleitungen und Schulträger. Man musste sich an
neue Kollegien oder an eine Vielzahl neuer Kolleginnen und Kollegen gewöhnen sowie an
Jahrgangsstufen, in denen man bisher nicht unterrichtet hatte. Der Unterricht mit zusätzlichen Schülermassen, Lehrereinsatz und Lernmittelverteilung mussten organisiert werden.
Ungewohnt und z.T. noch konturlos sind der vorgezogene Unterricht in der 2. Fremdsprache sowie das Zentralabitur.
Just in diese Umbruchphase platzte die jüngste internationale Vergleichsstudie der OECD „Bildung auf einen
Blick 2004“. Erneut, wie schon mehrfach in den vergangenen Jahren, wird dem deutschen Bildungssystem ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Wenngleich primär die strukturellen Rahmenbedingungen schulischer Bildung ins Visier genommen werden, kann die Studie doch auch wegen ihrer Person bezogenen Aussagen als Kritik an den Lehrkräften
wahrgenommen werden. So wird z.B. festgestellt, dass bundesdeutsche Lehrer im Durchschnitt zu alt sind, wenig
flexibel, zu teuer, zu lange und zu praxisfern ausgebildet, zu ineffektiv, verbeamtet und dazu fortbildungsunwillig. Als
ob Älterwerden ein Makel wäre und Jugend ein Kriterium für qualitativ guten Unterricht! Als ob es von Fortbildungsangeboten und -gelegenheiten nur so wimmelte und sie von den Lehrkräften bloß ignoriert würden! Dabei sind doch
die zahlreichen und qualitativ hochwertigen religionspädagogischen Fortbildungsangebote der Kirchen seit Jahren eine
rühmliche Ausnahme auf dem Fortbildungssektor. Unsere Erfahrungen jedenfalls zeigen, dass ein großes Interesse
und Bedürfnis nach Fortbildung besteht und auch wahrgenommen wird, selbst in der Freizeit und in Ferienzeiten. Ein
generelles Verdikt über die Fortbildungsunwilligkeit von Lehrkräften ist aus unserer Fortbildner-Perspektive jedenfalls
nicht gerechtfertigt.
Was nun macht den neuen idealen Lehrer aus?
Es ist der heuer- und feuerbare Lehrer, mit Zeitvertrag, sozial schlecht abgesichert, der trotz gekürzter Ausbildungszeiten nicht nur qualitativ guten Fachunterricht macht, sondern sein Dasein auch noch durch die Übernahme zusätzlicher
Aufgaben rechtfertigen kann, der sich auf eigene Kosten fortbildet und dem es gelingt, seinen Schülern transferierbare
formale Lernstrategien beizubringen, durch die beliebige Inhalte angeeignet werden können. Der Lehrer, der Outputstatt Input-orientiert arbeitet, wobei freilich noch nicht so klar ist, was diese Parole für die Inszenierung von Lernprozessen bedeutet. Schulleitungen dagegen sollten weniger pädagogisch ausgewiesen sein als durch Manager- und
Verwaltungsqualifikationen, in vorbereitenden Crashkursen erworben.
Nun habe ich nie einen Hehl aus meiner grundsätzlichen Sympathie für ein funktionales Bildungsverständnis
gemacht. Keinen Hehl daraus, dass die Effektivitätsgesichtspunkte aus der Perspektive der Lernenden im Vordergrund
der Bildungsüberlegungen stehen sollten. Bildung hat den Zweck der besseren theoretischen und praktischen Welt- und
Lebensorientierung der Schülerinnen und Schüler. Auf diesen Zweck muss sie funktional bezogen sein. Ein „funktionalistisches“ Bildungskonzept aber neigt – wie es die jüngste OECD-Studie deutlich macht – zu einem bloß instrumentellen Verständnis der Lehrkräfte als Personen. Wenn sie nicht funktionieren im Sinne des neuen Lehrerleitbildes, können
sie abserviert werden. Ob solche konsequente sozialdarwinistische Praxis wirklich zu einer Erziehungsinstitution passt?
Ob sie wirklich dazu angetan ist, Schülern den von Leistung unabhängigen Wert des Menschen zu vermitteln? Ob nach
diesem Prinzip organisierte Rahmenbedingungen der Schule nicht jeden Werte erziehenden Unterricht untergraben?
Außerdem: Was ist mit Output-Orientierung eigentlich gemeint? Wozu sollen die methodischen Strategien, die
die Schüler erwerben, eingesetzt werden? Genau so wenig, wie Bildungsinhalte Selbstzweck sein können, sind die erworbenen Strategien Selbstzweck. Wohl nicht zufällig kommt der Begriff der Output-Orientierung inhaltsleer und ohne
Endzweckbestimmungen daher, insbesondere ohne ethische Endzweckbestimmung. Die gegenwärtige bildungstheoretische Debatte muss unbedingt um eine weiter gehende Diskussion über solche Endzwecke erworbenen Strategiewissens
erweitert werden. Das kann nicht ausschließlich an einzelne Fächer delegiert werden.
So notwendig eine an nachhaltigen Wirkungen orientierte Schulbildung ist, darf doch das Ideal einer humanen, Menschen gerechten Schule nicht preisgegeben werden. Wenn das geschieht, dann ist der Traditionsabbruch vollständig
vollzogen. Dann sind die Verbindungen zu den christlichen und philosophischen Wurzeln unserer demokratischen Gesellschaft endgültig gekappt.
meditation
„Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwartet uns?“ die uralten Fragen des Menschen, aller
Philosophie , auch der Theologie, sie stehen in diesem kurzen Text (1. Mose 2, 4b ff.) vor uns. Sie sind so alt wie der
Mensch, der sich selber bewusst wird. Eine Kuh ist immer eine Kuh. Sie fragt nicht: „Was ist eine Kuh? Wer bin ich?“
Nur der Mensch fragt so und muss offenbar so nach sich selbst und seinem Wesen fragen. Es ist seine Frage.“ (Jüngel).
Nicht immer ist uns das bewusst, oft verschlingt uns der Tag so sehr, dass kein Raum bleibt, keine Luft, kein
Spielraum nur für uns selbst. Wir gehen unter in den Geschäften des Tages, werden getrieben und bewegt, bis wir dann
irgendwann einmal festsitzen, auflaufen, wie ein Schiff, dem das Wasser unter dem Kiel fehlt, auflaufen und spüren,
dass wir uns verloren haben.
„Ich muss mich erst wiederfinden“ oder „ich muss erst einmal wieder zu mir selbst kommen“ oder“ ich weiss gar
nicht mehr, wer ich eigentlich bin“. Zu sich selber kommen, sich wiederfinden, neu entdecken, wer man denn ist. Im
Urlaub stellt sich die Frage leichter.
Die Welt, die wir uns geschaffen haben, die Geschwindigkeit, mit der wir meinen leben zu müssen - manchmal
kommt es mir so vor, als sei diese Geschwindigkeit in Wahrheit Ausdruck der Angst nicht alles oder der Gier doch ja
alles mitzubekommen, was an Leben vorstellbar ist, nur eine Ablenkungsmanöver vor der schmerzlichen Erkenntnis,
dass unser Leben so hektisch es dahergeht, in Wahrheit leer und nichtig ist.
Manchmal merkt man das im Urlaub, wenn die Zeit langsamer vorwärts schreitet, vorausgesetzt man bucht nicht
Erlebniswelt, Abenteuer, Spannung oder Abwechslung auch mal vom ewiggleichen Partner. Wenn die Zeit so langsam
aus dem Rennen zum Schreiten kommt, dann ist es mitunter so, als ließe sich mit der Zeit, mit einem selbst in der Zeit
nichts mehr anfangen.
Das ist oft die Gelegenheit für eine Inventur, einen Kassensturz: Soll und Haben werden dann nebeneinander
gestellt. Wir werden uns dessen bewusst, schmerzlich mitunter, wie die Zeit vergangen ist, weggelaufen, abgelebt. Wie
sich der Mensch, der zu einem gehört, oft ist es ja nur noch der Mensch neben einem, verändert hat, wie er sich entfernt, oder man sich von ihm entfernt hat.
Manche Scheidung hat ihren Grund darin, dass dieser Kassensturz zu spät gemacht wird, dass zu spät oder gar
nicht mehr gefragt wird: „Woher komme ich, wer bin ich, wo gehe ich hin?“ Zu spät deswegen, weil man keinen Einfluss
mehr darauf hat, wohin die Wege gehen, eigene sind es dann schon längst nicht mehr.
Und dann kann es geschehen, vielleicht erinnern Sie sich an einen Tag in diesem Sommer, eine Stunde die anders
war als die übrigen, dass in einer solchen Stunde man sich selbst wie von außen sieht, sich selbst verplant und eingespannt, von anderen organisiert, neben dem Menschen, den man zu lieben meint und der die Liebesbeteuerungen längst
als gedankenlose Worte erlebt, man selbst funktionierend, das ja, aber lebendiger Mensch?
Ob wir sie aushalten können, solche Stunden, ihren Fragen standhalten?
Ob wir die garstige Frage nach dem Wohin unseres Lebens aushalten, wenn wir vom Friedhof kommen und sie wieder
gehört haben, die Worte, die davon sprechen, dass der Mensch aus Erde gemacht ist und wieder zu Erde werden wird?
Ob wir sie erneut verdrängen, diese Worte, eine menschliche Reaktion gewiss, uns allen wohlvertraut.
Von Carl Zuckmayer stammt das „Nachtgebet“.
„Junge Leute werden manchmal wach
und wissen, dass sie sterben müssen.
Dann erschaudern sie kurz
und sehen verschiedene Bilder
und denken: Jeder muss sterben,
und: Es ist noch Zeit.
Alte Leute werden manchmal wach
und wissen, dass sie sterben müssen.
Dann wird ihr Herz bang,
denn sie haben gelernt,
dass niemand weiss, wie Sterben ist,
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dass keiner wiederkam, davon zu künden,
dass sie allein sind, wenn das Letzte kommt.
Und wenn sie weise sind,
dann beten sie. Und schlummern weiter.“
Auf diesem Weg vom „Es ist noch Zeit“ bis zum „Weise“-Werden sind wir unterwegs durch die Zeit. Und mancher betet,
nicht erst, wenn er weise geworden ist, schon lange vorher, betet, nicht dienstlich verordnet, nicht um abzulenken,
nicht um auszuweichen, sondern um dem Grund, um Gott nahezukommen, um die Antwort auf seine Frage zu finden:
„Wo komme ich her, wer bin ich“ und „wohin gehe ich“? So wie damals vor 2500 Jahren schon im frühen Judentum eine
Antwort gefunden wurde. Sie kennen die Antwort, vertraut und doch jetzt unerwartet:
LIES: 1. Mose 2,4b – 10.18.21.22.23.24; 3,19
„Du bist Erde.“ Aus Erde bist du gemacht, aus den gleichen Stoffen also wie der Erdboden. Aus Kalk, Phosphor, Salzen,
ein paar Metallen und einer Menge Wasser, mehr nicht. So klar wird das „Woher“ des Menschen beschrieben. und „du
sollst wieder Erde werden.“ Nicht weniger klar, nicht weniger nüchtern das „Wohin“ des Menschen.
Von Erde zu Erde. Nur es kommt eins dazu, das Wesentliche: Dass du lebst, dass du Mensch bist, dass du nachts
wach wirst und dir graut oder du - weise geworden - dein Leben Gott befiehlst, das kommt von Gott. „Gott blies ihm den
Odem des Lebens ein. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Gott gibt das Leben. Gott nimmt es zurück. Gott
der Grund und der Ursprung.
Erinnern Sie sich an das Wort des Kirchenvaters Augustin aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., seine Antwort, nach langem
Suchen, Fragen und Scheitern gefunden? „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, Herr.“
Ob die Antwort aus dem Staunen kommen kann, aus dem staunenden Betrachten der Welt, dieser Erde mit ihrer Schönheit, trotz allem, mit ihren Menschen, nach Bild Gottes geschaffen?
Ungefähr zur gleichen Zeit als der Schöpfungsbericht entstand (um 500 v. Chr. also) gibt ein Mann aus Israel seine Antwort auf die Frage nach dem Woher und dem Wohin des Menschen. Er gewinnt sie aus der Betrachtung der Schöpfung
Gottes.
„Wenn ich sehe die Himmel,
deiner Finger Werk, den Mond und die
Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch,
dass du seiner gedenkst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als
Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt,
du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk.
Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name
in allen Landen!“ (Psalm 8)
Aus Erde geschaffen, von Gott mit Leben beschenkt, der Zeit unterworfen und doch in ihr dem Beispiel Jesu, dem
lebendigen Wort Gottes, folgend, das wäre Leben, wie es Gott gefällt. Und dann wieder zur Erde werden, aber mit der
Hoffnung, ja der festen Zuversicht erfüllt, in Ewigkeit jenseits von Erde, Asche und Staub in der Gemeinschaft mit Gott
zu leben, das ist ein Fundament, von dem aus die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem Jetzt gestellt werden
können. Die Antwort fällt uns nicht in den Schoss, aber sie lässt sich finden.
Landesbischof Dr. Friedrich Weber
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u-einheit:
„weck mich auf“ –
von alpträumen und visionen
heiko lamprecht
Die vorliegende Unterrichtseinheit befasst sich mit dem
Thema „Ethisch Handeln und zukunftsfähig werden“. In
der Auseinandersetzung mit einem Videoclip („Weck mich
auf“ von Samy Deluxe)1 sollen sich Schülerinnen und
Schüler ihres Standpunkts zu diesem Themenkomplex
bewusst werden, ihre Gründe benennen und über Konsequenzen nachdenken. Die Begegnung mit der Person und
Botschaft Martin Luther Kings bietet ihnen die Möglichkeit, motivierende Aspekte des christlichen Glaubens und
Handlungsvarianten kennen zu lernen und Möglichkeiten
zu prüfen, diese in ihr Leben zu übernehmen. Die UE ist
im Unterricht an einer Berufsschule (Teilzeitklasse; FOS)
erprobt worden.
Im Folgenden stelle ich zunächst die Ausgangssituation dar (I.), informiere über den Videoclip (II.) und über
für die Unterrichtseinheit relevante Aspekte der Person
Martin Luther Kings (III.) und fahre mit methodischen
Erwägungen (IV.) und der Beschreibung der UE (V.) fort.
I. Die Ausgangssituation
„Stellen Sie sich vor, Sie kaufen bei Mediamarkt eine DVD
zum Preis von € 19,90, geben der Kassiererin einen 20
Euroschein und erhalten € 30,10, einen Kassenbon und
die DVD zurück. Was tun Sie?“ so lautet die Aufgabe für
meine Schüler. Die beschriebene Situation zwingt zur Entscheidung. Zwar handelt es sich hierbei um keine echte
Dilemmasituation, aber um eine Situation, die zur Begründung des eigenen Handelns herausfordert. Obwohl es nur
zwei grundlegende Handlungsvarianten gibt, werden im
Klassengespräch eine große Bandbreite an Begründungen
formuliert. Schüler/innen, die die DVD und das Rückgeld
einfach einstecken („Ich bin doch nicht blöd!“), fühlen sich
besonders gefordert, argumentativ „goldene Brücken“ zu
bauen. Aber auch die Vertreter/innen der anderen Variante
fühlen sich zu Erklärungen herausgefordert. Die bewusste
oder unbewusste Wahrnehmung der Differenz zwischen
korrektem, also moralisch richtigem Handeln und ungerechtfertigter Vorteilsnahme ist in den Beiträgen spürbar.
Aber mit dem Hinweis auf die vorfindliche, innerweltliche Praxis und die häufig auftretende Erfahrung eigener
Benachteiligung scheinen für viele moralische Skrupel
behoben zu sein. Schnell wird die konkrete Ausgangssituation verlassen und die Schüler/innen berichten von erhärtenden Beispielen, allgemeinen „Wahrnehmungen“ und
der gesamtgesellschaftlichen Situation. Dieses Verhalten
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ist nicht nur als Rechtfertigung zu sehen, sondern als das
überzeugte Bemühen, die eigene Zukunftsfähigkeit situationsangemessen zu bewerkstelligen.
Insgesamt zeigt sich immer wieder, dass es Schüler/
innen leicht fällt, an vielen Beispielen die Verlogenheit
der Welt, die Wehrlosigkeit von Werten und die Aussichtslosigkeit positiver Einstellungen und solidarischer
Verhaltensweisen im alltäglichen Umgang zu beschreiben.
Ideale zerschellen an den Regeln der Realität, sie können
scheinbar nur noch in den Oasen des privaten Miteinanders bewahrt werden.
Offensichtlich hat sich auf der Basis von persönlichen
Erfahrungen, Beobachtungen und unreflektierter Übernahme von Allgemeinplätzen ein Lebensgefühl verfestigt, das
von den Schülern durchaus kritisch, manchmal bedauernd beschrieben wird, aber eben auch der Rechtfertigung
eigenen Fehlverhaltens und Egoismus dienen kann. Die
negativ- skeptische Weltsicht und die darauf beruhenden
Verhaltensweisen werden als überlegen bewertet, weil sie
den (heimlichen) Regeln des öffentlichen Mit- bzw. Gegeneinanders folgen. Ohnmachtgefühle und Resignation werden verdeckt vom Anspruch realitätsgemäß zu handeln
und damit Optionen offen zu halten. Natürlich kann der
Wunsch, nicht zum Opfer zu werden, auch unsoziales oder
feiges Verhalten begründen.
Diese Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen
der letzten Shellstudie2. „Generell lässt sich sagen“, so Kl.
Hurrelmann3, „dass der Wertecocktail der Jugendlichen
geprägt ist durch ein Konglomerat der Widersprüche.“
Zwar besitzen Werte wie Freundschaft, Partnerschaft
und Familienleben für die persönliche Lebensgestaltung
höchste Priorität, insgesamt sind aber Formen von Pragmatismus in den Lebensentwürfen Jugendlicher vorrangig.
Thomas Gensicke von Infratest beschreibt vier Grundtypen der Werteorientierung: „pragmatische Idealisten“, „robuste Materialisten“, „selbstbewusste Macher“ und „zögerliche Unauffällige“4. Gensicke spitzt hier die empirisch
erhobenen Verhaltens- und Wertemuster zu, mit denen
sich Jugendliche auf ihre Weise „zukunftsfähig“ machen.
Natürlich ist darin ein Reflex auf die jeweilige soziale Lage
und die Beurteilung der allgemeinen Situation wahrzunehmen. Angesichts einer „gesellschaftlichen Zukunft“, die
von 48% der Jugendlichen (West) bzw. 65% (Ost) „düster“
beurteilt wird, kann die Mehrheit die eigenen Zukunftsperspektiven trotzdem „eher zuversichtlich“ beurteilen. Etwa
6% (West) bzw. 8% (Ost) erwarten dagegen eher eine
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düstere persönliche Zukunft. Sich in dieser Situation angemessen zu verhalten, „Zukunftsperspektiven zu bilden,
ist für viele Jugendliche gleichbedeutend mit einer Art
Risikoabschätzung, die allzu große Fehleinschätzungen
vermeiden hilft.“5
Wie können also Zukunftsperspektiven entwickelt
werden, die nicht nur in der Vermeidung von Fehleinschätzungen bestehen, die über die Risikoabschätzung hinaus
mit einem positiven Impuls verbunden sind? Wie können
Jugendliche Urteilskraft hinsichtlich ihres eigenen Handelns entwickeln? Wie kommen sie zu Maßstäben um die
jeweilige Situation zu beurteilen und adäquat zu agieren?
Auf welches Inventar an Denk- und Handlungskonzeptionen können sie zurückgreifen, wo können sie anknüpfen
um ihr ganz eigenes Lebensmuster zu entwickeln?
Die vorliegende Unterrichtseinheit bietet mit Blick auf
diese Fragestellungen keine eindimensionale Lösung an,
sondern beispielhafte Verhaltensweisen, auf die sich Schülerinnen und Schüler beziehen können, die sie auf ihre
„Fundamente“ und „Zukunftsfähigkeit“ befragen können.
En passant werden unterschiedliche Haltungen und Lebenseinstellungen erschlossen, an die sie anknüpfen können. Dies geschieht, indem die Schülerinnen und Schüler
aufgefordert werden, die entsprechenden Perspektiven
einzunehmen, zu bedenken und ihre eigenen Vorstellungen in der Auseinandersetzung damit zu entwickeln.
II. „Weck mich auf“ – Situation Jugendliche/r
im Videoclip – ein Alptraum
In seinem Videoclip wandert ein aus seinem Körper aufgestandener Samy Deluxe durch das Deutschland des
Jahres 2000. Er begegnet Formen der Realitätsflucht,
Leere und Verlorenheit, begegnet saufenden und randalierenden Erwachsenen, schnüffelnden Jugendlichen, einem
Kinderschänder, einem sich prostituierenden Mädchen,
rassistischen Männern. Der Text kritisiert emotional
und pauschal zuspitzend die Situation „in diesem Land“,
vergleicht es mit „Babylon“6, übt Kritik an den Verantwortlichen und Mächtigen. Das Leben begegnet hier als
Alptraum und die in Unfreiheit lebenden Menschen haben
sich dieser bitteren Realität ergeben bzw. den Sinn für
eine bessere Realität verloren. Sie werfen ihr Leben weg.
In dieser Situation fordert Samy Deluxe im Refrain: „Weck
mich auf...“, ist also selbst handlungsunfähig und ruft
nach jemandem, der ihn aus der Alptraumwelt herausruft,
ihm eine andere Realität zeigt. Wenige Zeilen später will
er zur Selbsthilfe animieren: „Ich und du und sie und es
sind besser dran, wenn wir uns selber helfen.“ Angesichts
der überbordenden negativen Szenerie geht dieser Impuls
ein wenig unter. Es bleibt ein Gefühl der Ohnmacht zurück: „Man kann ja doch nichts tun.“
III. „I have a dream...“ Martin Luther Kings
Weltbild, Widerstand und Vision
Menschen brauchen Visionen, Ziele, die sie begeistern und
gleichzeitig zum Handeln ermutigen. Eine Vision führt
plastisch vor Augen, was für die Zukunft erwünscht ist,
was angestrebt werden soll. Nicht als Theorie, sondern als
plastische Realität wird hier Zukunft entworfen. Das macht
ihren emotionalen Gehalt und ihre Wirkmächtigkeit aus.
Die Person Martin Luther Kings ist untrennbar mit der
Rede vom Marsch auf Washington am 28. August 1963
verbunden, nachhaltige Ausstrahlung haben die Worte der
Zukunftsvision, mit der er seine Rede beendet hat: „I have
a dream…“. Wer heute im Internet den Namen „Martin
Luther King“ eingibt, findet viele tausend Seiten, in denen
Bezug darauf genommen wird. „I have a dream...“ – diese
Worte haben eine unendliche Wirkungsgeschichte.7
Die ganze Rede kann als Schlüssel zum Denken und
Handeln Kings gelesen werden. Bild- und wortgewaltig
gelingt es ihm, Motivation und Ziel, verbindende Grundlage und Handlungsimpuls, Empörung und sinnvolle Ausrichtung des Protestes zu formulieren. Im Spannungsbogen von der Kritik an den bestehenden Verhältnissen zur
Vision des friedlichen Zusammenlebens wird Zukunftsfähigkeit manifest, die in ihren konkreten Auswirkungen
im Rahmen dieser UE Schüler/inne/n bewusst soll. Dazu
werden drei Aspekte profiliert:
A) Das Weltbild
Als Sohn des Baptistenpfarrers Martin Luther King sen.
und seiner Frau Alberta wuchs King mit dem christlichen
Welt- und Menschenbild auf und wurde von den entsprechenden Frömmigkeitsformen geprägt. Im Alter von 17
Jahren erhielt er die Weihe zum Baptistenpfarrer. Der
christliche Glaube und die christliche Ethik waren sein
Kriterium, mit dem er die Lebensbedingungen in den USA
beurteilt, gerade auch, weil Amerika sich selbst als Land
mit christlichen Werten begriff. Dass allen Menschen
als Geschöpfe Gottes gleiche Würde und gleiche Rechte zustehe, dass es aufgrund der Gotteskindschaft aller
Menschen keine Formen von Sklaverei, Unterdrückung
oder Benachteiligung geben dürfe, stand für King außer
Zweifel. Auf dieser Basis formulierte er Forderungen an
die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, ebenso
auch Kriterien und Grenzen für das Leben und Handeln
der eigenen Anhängerschaft8. In seinen Predigten und
Reden behandelte er deshalb immer wieder die Frage der
Gotteskindschaft aller Menschen, forderte auf, Formen
der Nächstenliebe als nachhaltige, situationsverändernde
Kraft zu begreifen und eine Praxis des Glaubens durch
Gebet und Bibellese zu üben. Persönliche Frömmigkeit
und politisches Handeln waren bei ihm eng aufeinander
bezogen. So sprach er die weiße und schwarze amerikanische Gesellschaft auf ihre christlichen Grundlagen hin
an und entwickelte von der christlichen Verheißung her
ein Potential zur Veränderung der Verhältnisse. So war
es selbstverständlich, dass Motive oder Zitate biblischer
Texte in seinen Reden vorkamen, wie etwa das Zitat aus
Jes. 40, 4 in: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes
Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauhen Orte werden geglättet und die unebenen begradigt werden.
Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und
alles Fleisch wird es sehen.“
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B) Vision und Verheißung
Im Rückgriff auf die Bildersprache der Bibel entwickelte Martin Luther King seine Vision einer friedlichen,
geschwisterlichen Welt. Eigene Befindlichkeiten, Erfahrungen und Hoffnungen stellte er mit Hilfe von Situationen und Bildern der Bibel dar. So „lebte“ er regelrecht
in diesen Bildern, wie etwa die Ansprache in der Mason
Temple Church am Tag vor seiner Ermordung am 4. April
1968 zeigt: Er sei über die Bedrohung seines Lebens nicht
besorgt, sagte er von sich, denn er habe „das gelobte Land
geschaut“.9 Sein Glaube und sein Handeln waren bezogen
auf eben diese Verheißung des gelobten Landes, die er
seinen Zuhörern zusagte: „Aber ihr sollt heute abend wissen, dass wir, als ein Volk, in das gelobte Land gelangen
werden.“ Die Geschichte des Auszugs aus Ägypten wird in
diesem Kontext zum Grundmuster für die Aufbruch in eine
neue, lebenswerte Welt und die Zuhörer/innen zum wandernden Gottesvolk, dem eine friedliche, geschwisterliche,
gerechte Welt verheißen ist.
Mit Blick auf die Verheißung und auf einen Gott, der in
der Geschichte gegenwärtig und handelnd gedacht wird,
können sich die Unterdrückten nicht nur als Kinder Gottes, sondern in ihrem Kampf auch als Werkzeuge Gottes
begreifen. So sagte King hinsichtlich des Montgomery
Bus Strike: „Gott wirkt noch immer in der Geschichte, um
seine Wunder zu vollbringen. Es scheint, als hätte Gott
beschlossen, Montgomery als Versuchsgelände für den
Kampf und den Triumph der Freiheit und Gerechtigkeit in
Amerika zu gebrauchen...“10
In der Vision „I have a dream...“ bekommt das gelobte
Land eine Gestalt, die die Sehnsüchte und Hoffnungen
der Zuhörer/innen nach einem friedlichen Zusammenleben
und einer gesicherten Existenz ausgestaltet. King formulierte sie, indem er Motive aus Jes. 40, 1-8 übernahm.
Auch in diesem Zusammenhang wurde der ursprüngliche
Kontext, die Situation des Babylonischen Exils zu einem
Grundmuster für die Situation Schwarzer in Amerika.
King rekurrierte also auf bekannte Motive der biblischen Traditionen und übertrug sie in die aktuelle Situation. Auf diese Weise wurden sie Motivationsfaktor für den
Befreiungskampf.
C) Gewaltfreier Widerstand
„Zu Beginn unseres Protestes forderten mich die Leute auf,
ihr Sprecher zu sein. Da ich diese Verantwortung übernahm,
wurde mein Sinn, sei es bewußt oder unbewußt, auf die Bergpredigt und auf die Gandhische Methode des gewaltlosen Widerstandes zurückgeführt. Dieses Prinzip wurde für unsere Bewegung richtunggebend. Christus stattete uns mit dem Geist
und mit der Motivation aus, und Gandhi gab uns die Methode“11. Feindesliebe ist für King der überzeugende Weg
die Situation der Feindschaft aufzubrechen. Feindesliebe
befreit den Feind, indem sie ihm hilft, seine Haltung zu
ändern, und dem Hass die Ursache entzieht. Die Fähigkeit
zur Feindesliebe wird aus dem Bewußtsein der Gotteskindschaft gespeist. Das gilt zunächst für die eigene Person: „Wir sind potentielle Söhne Gottes. Durch die Liebe wird
6
aus jener Möglichkeit Wirklichkeit. Wir müssen unsere Feinde
lieben, weil nur, indem wir sie lieben, wir Gott kennen und die
Schönheit seiner Herrlichkeit erleben können.“12 Gleichzeitig
ist die Gotteskindschaft der Feinde anzuerkennen, denen
im Akt der Feindesliebe Befreiung widerfahren kann.
Dabei geht es nicht um das Ignorieren der Übeltaten, sondern um das Wahrnehmen des guten Anteils in der Person
des Feindes und das Einwirken darauf.
Bei der praktischen Umsetzung hat Martin Luther King
auf die von Mahatma Gandhi entwickelten Methoden des
gewaltlosen Widerstands zurückgegriffen und sie für den
Einsatz in Rahmen seiner Bürgerrechtsbewegung neu
ausgestaltet. Das Prinzip des Festhaltens am Widerstand
gegen unzumutbare Verhältnisse bei gleichzeitigem Verzicht
auf gewalttätige Übergriffe wurde etwa in Form von zivilem
Ungehorsam, Kooperationsverweigerung oder Boykottaktionen (etwa dem Montgomery Busstrike 1955/6) umgesetzt.
Auch im Rahmen der Rede zum Marsch auf Washington 1963 werden Haltung und Handlungsweise deutlich,
etwa in der Formulierung: „Laßt uns nicht aus dem Kelch
der Bitterkeit und des Hasses trinken, um unseren Durst nach
Freiheit zu stillen. Wir müssen unseren Kampf stets auf der hohen Ebene der Würde und Disziplin führen. Wir dürfen unseren
schöpferischen Protest nicht zu physischer Gewalt herabsinken
lassen. Immer wieder müssen wir uns zu jener majestätischen
Höhe erheben, auf der wir physischer Gewalt mit der Kraft der
Seele entgegentreten.“
IV. Methodisch-didaktische Erwägungen
In der vorliegenden Unterrichtseinheit wird zunächst der
Videoclip „Weck mich auf“ von Samy Deluxe bearbeitet.
Er dient als Bezugspunkt und Projektionsfläche. Anhand
der dargestellten Situation und der Position des Künstlers
sollen eigene alltägliche Beobachtungen und Positionen
der Schüler/innen herausgearbeitet werden. Die Auseinandersetzung mit den Bild- und Textbotschaften geschieht
in verschiedenen Phasen (1. ausgewählte Szenen(Folien/
AB1 + 2), 2. Clip ohne Ton, 3. Clip mit Ton und 4. Textausschnitt). Das kleinschrittige Vorgehen dient dazu,
einzelne Aspekte zu fokussieren. Gerade die Bildfülle
und die Geschwindigkeit des Raptextes könnten sonst
zur Überlagerung bedenkenswerter Aspekte führen. Eine
klare Strukturierung dient sowohl der filmischen als auch
der inhaltlichen Analyse.
Zum Einsatz von Videoclips ist natürlich zu bedenken,
dass wir Werke, die ursprünglich Erlebnischarakter besitzen aus dem Freizeitbereich in den Unterricht bringen,
und so aus dem Genießen Nachdenken werden lassen.
Vier Aspekte sind zu beachten:
1. Populärkul, turelle Medien können auch die Klasse spalten. Die Frage, ob eine Kunstform gut oder
schlecht ist, sollte nicht im Vordergrund stehen, sondern ihre Botschaft und deren Umsetzung.
2. Durch die zielgruppenspezifische Ausrichtung von
Medien sind sie nicht unterrichtliche Selbstläufer,
sondern müssen in eine pädagogisch austarierte Inszenierung eingebaut sein.
'bb' 108-2/2004
3. Medien und Künstler dürfen nicht als Anwalt der
Position des/r Unterrichtenden missbraucht werden,
sondern nur als Bezugsobjekt.
4. Es ist zu bedenken, dass die Medien zunächst nur
dem Konsum dienen. Ihr Einsatz im Unterricht, bei
dem eine Entschlüsselung von Botschaften und die
Analyse von technischen Funktionsweisen stattfinden, ist verbunden mit einer Entzauberung. Dies
kann gerade auch im Wiederholungsfall zur Abwehr
der Schüler führen.
Den zweiten Schwerpunkt bildet die Begegnung mit
der Person Martin Luther Kings. Zunächst wird in die
Situation der Unterdrückung Farbiger und Schwarzer in
den USA der Fünfziger und Sechziger Jahre des letzten
Jahrhunderts eingeführt. Dies geschieht in Arbeit mit dem
eindrücklichen Bericht von Rosa Parks, deren Widerstand
gegen diskriminierende Verhältnisse während einer Busfahrt am 1. Dezember 1955 zum Auslöser des „Montgomery Busstrike“ führte (AB 4). Die Auseinandersetzung mit
dem Streik bietet Einblick in die damaligen Verhältnisse
und macht mit Formen des passiven Widerstands bekannt.
Hierzu liegt sowohl Textmaterial (AB5) als auch dokumentarisches Filmmaterial vor. Die Person Martin Luther
King wird in diesem Zusammenhang eingeführt (AB6).
Sein Engagement und seine Methodik des gewaltfreien
Widerstandes wird auf dem Hintergrund seiner religiösen
Denkweise, aber auch seines Bezugs zum Satyagraha –
Modell Mahatma Gandhis deutlich. Mit dem „Marsch auf
Washington“ und der berühmten Rede „I have a dream“
wird das bisher erarbeitete fokussiert. Dokumentarisches
Material ermöglicht ein Bild und hoffentlich ein Gefühl
für den Kontext der berühmten Rede Kings, der Abdruck
einiger Ausschnitte (M8) macht die Vision und ihre Anspielungen auf Jes. 49, 8-13 (M9) deutlich. Bei leistungsstarken Gruppen kann der Rekurs auf den Kontext des
Textes und das babylonische Exil eingebracht werden.
Auch Samy Deluxe spricht angesichts der Situation, in der
er lebt, von Babylon!
Das Weiterwirken der Vision, über die Ermordung
Martin Luther Kings hinaus, zeigt, in welcher Weise Menschen aufgeweckt wurden, sich von der Vision haben bewegen lassen um Wege zu entwickeln, belastende Verhältnisse zu ändern. (M13) Gedankensplitter Kings als kleine
Elemente (M9) der großen Vision können schließlich von
den Schülerinnen und Schülern als Impulse für den Alltag
mit genommen werden. Ebenso wäre eine Rückkehr zur
Anfangssequenz des Videoclips denkbar: Welche Ideen
entwickeln die Schülerinnen und Schüler, wenn sie SDL
aus dem Alptraum wecken würden? Was würden sie ihm
zeigen, sagen, vorschlagen zu unternehmen? Was könnte
man tun? Hierzu könnte ein eigener Text oder eine Collage, in der ein Spruch MLKs im Zentrum steht, entstehen.
V.Ziele
Die Auseinandersetzung mit dem Videoclip (Bild, Ton,
Text) soll die Schülerinnen und Schüler befähigen,
-
-
-
-
visuelle Botschaften in populärkulturellen Medien
wahrzunehmen und als solche zu entschlüsseln;
in dem bearbeiteten Material Position und Perspektive des Videoclips zu benennen
und Hintergründe und Ursachen für das dargestellte
Lebensgefühl zu reflektieren;
sich kritisch damit auseinander zu setzen und eine
eigene Position zu formulieren.
Die Auseinandersetzung mit Texten und Filmdokumenten
aus der Zeit Martin Luther Kings soll die Schülerinnen
und Schüler befähigen,
-
-
-
-
-
-
-
die Situation der schwarzen Bevölkerung jener Zeit
in Umrissen zu beschreiben;
den Montgomery Busstrike und den Marsch auf
Washington als wichtige Aktionen des gewaltfreien
Widerstands in jener Zeit darzustellen;
das Handeln Martin Luther Kings von seinem Glauben her zu erklären;
Ereignisse aus dem Lebenslauf Martin Luther Kings
zu benennen;
biblische Grundlagen der Rede beim Marsch auf Washington zu beschreiben;
religiöse Gründe für die Gleichberechtigung aller
Menschen und den Kampf gegen Ungerechtigkeiten
zu benennen;
im Gegenüber von Alptraum und „Traum“ die Wirkung von Visionen darzustellen.
Bemerkungen
1
Der Clip ist in der Medienzentrale als Video, DVD oder im
MPEG-Format ausleihbar. Wir danken Motormusic für die Videokassette und dem Management von Samy Deluxe für die Berechtigung zum unterrichtlichen Einsatz des Clips
2
Jugend 2002 / 14. Shellstudie /Kl. Hurrelmann, M. Albert , Infratest Sozialforschung
3
Pädagogik 10/03, S. 10
4
„Individualität und Sicherheit in neuer Synthese? Wertorientierungen und gesellschaftliche Aktivität“ in: 14. Shellstudie,
S. 139-212, hier: 160
5
Kl. Hurrelmann ua. in: 14. Shellstudie, S. 86
6
Die Verwendung des Begriffs „Babylon“ als Synonym für Hoffnungslosigkeit, Ausgeliefertsein in einer (be-) fremden(den) und
bedrohlichen Umgebung, hat eine lange Tradition auch in der
populärkulturellen Musik. Erinnert sei hier an Bruce Low in den
sechziger Jahren für den deutschsprachigen Bereich, sowie an
Bob Marley für den englischsprachigen.
7
Als ein Beispiel sei hier der kurze Beitrag zu „Visionen 2000“
der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler- Gmelin
genannt (www.visionen2000.de/gmelin/gmelin.htm).
8
So wurden etwa 1963 in Birmingham im Rahmen des Projekt
C, das die Aufhebung der Rassentrennung verfolgte, Freiwillige
in Gottesdienste vor dem Altar mit Handschlag aufgenommen.
Diese mussten eine Verpflichtungskarte mit zehn Geboten unterzeichnen, etwa der Verpflichtung, über die Lehren und das Leben
Jesu nachzudenken, nie zu vergessen, dass die gewaltlose Bewegung in Birmingham Gerechtigkeit und Versöhnung sucht, nicht
den Sieg, täglich zu Gott zu beten, ua. (vgl. Jäger, Hans Ulrich,
Politik aus der Stille, 1980, S. 95f./Martin Luther King, Why we
can’t wait, 1963/64)
9
s. Bahr, Hans-Eckehard, Seht, da kommt ein Träumer, 1990, S. 36f
10 King, Stride Toward Freedom: The Montgomery Story,1958, S. 71f.
11 King, Strength to love, 1964, S. 151
12 ebd., S. 53
7
'bb' 108-2/2004
8
'bb' 108-2/2004
„Weck mich auf“
„Erfahrungen mit
Rassismus“
„Montgomery
Busstrike“
„Ich habe einen
Traum“
1.
2.
3.
4.
Thema der
(Doppel-)Stunde
Didakt.- method. Schwerpunkte
Martin Luther Kings Vision anlässlich der Rede beim Marsch auf Washington
am 28.08.1963
1. Dokumentarisches Filmmaterial (Einstimmung in Situation und Thematik/
Stichworte der Rede MLKs festhalten und nach Form der „Schweigediskussion“ sammeln und ordnen )
2. AB Rede MLK (Vision: Was scheint realistisch, was unvorstellbar? Gründe
/Vergleich: King: Vision -> Hoffnung und zielorientiert Handeln [Aktion:
Formen gewaltfreien Widerstands + Öffentliche Bezugnahme auf verbindende politische und religiöse Grundlagen] / Unterschiede zur Vorgehensweise von Samy Deluxe [Alptraum – Aufwecken – Kanzler – und dann?] /
3. zusätzlicher Zwischenschritt: AB Biblische Bezüge in Kings Rede
(Vergleich DtJes / Situation der Exilierten in Babylon [s. Samy Deluxe:
„…solang ich in Babylon leb…“]/ Bildsprache / Funktion )
Erarbeitung des „Montgomery Busstrike“ (Religiöse und politische Argumentation M. L. King / Methode des gewaltfreien Widerstands / Ereignisse)
1. Dokumentarisches Filmmaterial ( in Schritten, bezogen auf die genannten
Gesichtspunkte)
2. AB Rede Kings / Daten Montgomery Busstrike
Einführung in die Situation der USA zur Zeit von Martin Luther King
(Zeitliche Einordnung / Denkweisen und ihre Ursachen / Begrifflichkeit /
Martin Luther King)
1. Textarbeit „Aus einem Interview mit Mrs. Rosa Parks“ ( Emotionaler Zugang / Wahrnehmung der Differenz und ihrer Gründe )
2. AB „Hintergrundinformationen“ ( Geschichte /Konfliktlinien wahrnehmen /
Stichworte zur Person Kings)
Erarbeitung des Videoclips von Samy Deluxe –
1. Bildbetrachtung (Assoziationen / Situationsbeschreibung / Lebensgefühl)
2. Betrachten des Videoclip (Story / Szenenfolge -> Tafel / Bildbotschaften /
Stimmung)
3. Text des Videoclips (Textzitate zuordnen / Refrain / Botschaft)
4. Textausschnitt bearbeiten (Situation von Jugendlichen / Ursachen /
Alternativen)
Übersicht über das Curriculum
M5 / M6
EA
EA
Plenum
Kleingruppenarbeit
Plenum
Plenum
Partnerarbeit
M9
Video „dann war mein Leben nicht
umsonst – Martin Luther King“ 3.
Der Marsch auf Washington, 15
Min., sw. (VC 1950) (Beide Teile
in: VC 1271, 140 Min., sw.)
Tafel
M8
Video „dann war mein Leben nicht
umsonst – Martin Luther King“ 1.
Der Mongomery Bus Strike , 23
Min., sw. (VC 1948)
M7
M4
Plenum
Medien
M1 Bilder (auf Folie ziehen)
Videoclip (auszuleihen in der
Medienzentrale)
Text für Unterrichtenden M2
M3
EA LSG
GA
EA
LSG
LSG
Sozialform
'bb' 108-2/2004
9
6.
5.
„Der Traum wirkt
weiter…“
„Aufwecken und
Anknüpfen“
4. Gedanken Däubler Gmelin ( Beispiel für das Weiterwirken)
Trotz Ermordung MLKs nehmen Menschen Kings Vision als Impuls zum Einsatz für eine bessere Welt.
1. Ausstellung der Entwürfe
2. Predigtausschnitt King (Grundlage der Hoffnung)
3. Dokumentarischer Filmausschnitt
(Geschichtliche Information / Vision lebt weiter)
Mit einem Gedanken Kings in die Welt gehen und handeln(Auswahl eines Gedanken MLKs und Übertragung in die heutige Situation)
1. Sprüchelanguage MLK (Verschiedene Zitate lesen und eines mit dem Ziel
als Visionsimpuls auswählen)
2. Das zeige ich Samy Deluxe als meine Vision (Spruch zur eigenen Vision
entwickeln [Erinnerung: Hoffnung und zielorientiertes Handeln!] / Eigenen
Spruch in die Sprechblase schreiben)
Plenum
EA
EA (PA?)
M12
Video „dann war mein Leben nicht
umsonst – Martin Luther King“ 7.
Tod und Beerdigung, 15 Min., sw.
(VC 1954)
M13
M11
M10
M1
10
'bb' 108-2/2004
M1
11
'bb' 108-2/2004
12
'bb' 108-2/2004
Ich bin der Typ, der kurz nach Beginn der Party schon geht,
weil ich nicht feiern kann, solange ich in Babylon leb.
Wir haben miese Karten, regiert von Psychopaten,
verwaltet von Bürokraten, die keine Gefühle haben.
Kontrolliert von korrupten Cops, die oft Sadisten sind,
Refrain:Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,
Menschen sehen vor lauter Bäumen den Wald kaum.
Jemand versucht uns ständig einzureden,
dass es noch möglich wär‘ hier frei zu leben.
Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,
Menschen sehen vor lauter Bäumen den Wald kaum.
Ich und du und er und sie und es sind besser dran,
wenn wir uns selber helfen.
Hat dieses Land wirklich nicht mehr zu bieten
als ein paar Millionen Arschgesichter mit `ner Fresse voller Hämorriden,
die meinen dieses Land sehr zu lieben, doch sind nicht sehr zufrieden.
Passt dieser Frust oder warum seid ihr hier geblieben?
Ich muss mich von euch ganzen Schlappschwänzen abgrenzen,
all den ganzen Hackfressen, die mich jeden Tag stressen.
Es sind die gleichen Leute an der Spitze, die sich satt essen
und Minderheiten werden zu Mehrheiten und trotzdem vergessen.
Wir leben in `nem Land,
in dem mehr Schranken stehen als es Wege gibt,
mehr Mauern als Brücken, die Stimmung ist negativ
und die Alten fragen, warum rauch ich täglich weed,
warum sind ich und meine ganze Generation so depressiv.
Wir sind jeden Tag umgeben von lebenden Toten,
umgeben von Schildern, die uns sagen; Betreten verboten.
Umgeben von Skinheads die Türken und Afrikanern das Leben nehmen,
während Bullen daneben stehen, um den Problemen aus dem Weg zu gehen.
Umgeben von Ja- Sagern, die alles nur nachlabern;
denen kaltes dunkles Blut pumpt durch die Schlagadern,
umgeben von Kinderschändern, die Strafe auf Bewährung kriegen,
genau wie die scheiß Nazis, deren Opfer unter der Erde liegen.
Sammy Deluxe: Weck mich auf
Was sagt wohl Schröder dazu, ich glaub ich ruf ihn mal an.
Sag ihm; Gerhard, schau dir doch unsere Jugend mal an.
Ein Drittel starrt mit offenem Mund auf ihre Playstations,
das zweite Drittel feiert mit MacSez ne Ravesession,
abhängig von teuflischen pharmazeutischen Erzeugnissen,
weil sie nicht wussten, was diese scheiß Drogen bedeuteten.
Das dritte Drittel hängt perspektivlos rum auf deutschen Straßen,
Kids mit 13 Jahren, ziehen sich schon dieses weiße Zeug in die Nasen.
Die keine Ziele und Träume haben, und sie sagen,
sie planen ihr Leben nicht weiter als heute abend.
Denken zur Not geht es wie bei Nintendo noch neu zu starten,
scheißen drauf, ob sie bald sterben, wer will schon alt werden.
In diesem Land, in dem mehr Schranken stehen als es Wege gibt,
mehr Mauern als Brücken, die Stimmung ist negativ.
Für die Alten; Darum rauchen wir täglich weed
und deshalb sind ich und meine ganze Generation so depressiv.
Refrain: Weck mich...
Verdammt noch mal. Gehirnwäsche pur, rund um die Uhr.
Und Vater Staat schlägt und vergewaltigt Mutter Natur.
Die Scheißpolitiker dienen der dunklen Seite wie Darth Vader
und haben ‘nen Horizont von circa einem Quadratmeter.
Keine eigene Meinung aber zehn eigene Ratgeber,
die schwachsinnigen Scheiß reden, als hätten sie ‘n Sprachfehler.
Hoffen, die braven Wähler zahlen weiterhin gerne Steuergelder,
doch ich bin hier um Alarm zu schlagen wie `n Feuermelder.
Refrain: Weck mich...
Verdächtige suchen nach rassistischen Statistiken,
gefüttert von Firmen die uns Jahrzehnte lang vergifteten,
informiert durch Medien die es erst zu spät berichteten.
Scheiß auf‘n Unfall im PKW, Schäden von THC, wir haben bald alle BSE
und du schaust noch auf dein EKG bevor dein Herz stockt
und denkst auf‘ n dickes Steak hätt‘ ich trotzdem jetzt Bock.
M2
'bb' 108-2/2004
13
Was sagt wohl Schröder dazu, ich glaub ich ruf ihn mal an.
Sag ihm; Gerhard, schau dir doch unsere Jugend mal an.
Ein Drittel starrt mit offenem
Mund auf ihre Playstations,
das zweite Drittel feiert mit
MacSez ne Ravesession,
abhängig von teuflischen
pharmazeutischen Erzeugnissen,
weil sie nicht wussten, was diese
scheiß Drogen bedeuteten.
Das dritte Drittel hängt perspektivlos rum auf deutschen Straßen,
Kids mit 13 Jahren, ziehen sich schon
dieses weiße Zeug in die Nasen.
Die keine Ziele und Träume haben, und sie sagen,
sie planen ihr Leben nicht weiter als heute abend.
Denken zur Not geht es wie bei Nintendo noch neu zu starten,
scheißen drauf, ob sie bald sterben,
wer will schon alt werden.
In diesem Land, in dem mehr Schranken stehen als es Wege gibt,
mehr Mauern als Brücken,
die Stimmung ist negativ.
Für die Alten:
Darum rauchen wir täglich weed
und deshalb sind ich und meine ganze Generation so depressiv.
Sammy Deluxe Weck mich auf
4.
3.
1.
2.
Beschreiben Sie die drei Gruppen von Jugendlichen, die Sammy Deluxe hier aufzählt!
„Deshalb sind ich und meine ganze Generation so depressiv“ - Halten Sie die Aussagen
für realistisch? Formulieren Sie mögliche Gründe.
Stellen Sie eigene abweichende Beobachtungen über den Alltag Jugendlicher dar! Welche
Alternativen sehen Sie?
Warum ruft Sammy Deluxe Kanzler Schröder an?
Aufgaben
Refrain:
Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,
Menschen sehen vor lauter Bäumen den Wald kaum.
Jemand versucht uns ständig einzureden,
dass es noch möglich wär hier frei zu leben.
Weck mich bitte auf aus diesem Alptraum,
Menschen sehen vor lauter Bäumen den Wald kaum.
Ich und du und er und sie und es sind besser dran,
wenn wir uns selber helfen.
M3
14
'bb' 108-2/2004
„Den ganzen Tag über hatte ich im Montgomery Fair Department Store
in Montgomery gearbeitet. Als ich an diesem Abend nach der Arbeit aus
dem Geschäft kam, stellte ich fest, dass der Clevelandbus überfüllt war. Und
wenn ich schon Bus fahre, soll es möglichst bequem sein, so dass ich diesen
Bus nicht nahm. Ich ging die Straße entlang zum Drug Store und kaufte
dort ein, zwei Kleinigkeiten, denn ich hatte von der Arbeit an der Bügelmaschine leichte Schmerzen in Rücken und Schulter. Als ich die Strasse in
Richtung Bushaltestelle überquerte, entdeckte ich den ankommenden Bus
wahr und sah hinten im Bus niemanden stehen. Aber als ich inzwischen an
der Einstiegstür des Busses angekommen war, waren einige Leute vor mir.
Als ich hinten in den Bereich für Neger kam, war er doch sehr voll und alle
Plätze waren besetzt. Aber es gab einen freien Platz im Mittelteil des Busses,
dem Teil, den wir so lange benutzen können, wie keine Weißen dort sitzen
wollen. Die Regelung war, dass falls der vordere (nur für Weiße bestimmte/
HL) Bereich besetzt ist, und eine weiße Person in den Mittelteil kommt um
sich dort zu setzen, müssen wir alle aufstehen und uns in den hinteren Teil
stellen. Ein Mann saß direkt am Fenster, ich setzte mich neben ihn. Uns
saßen, gegenüber vom Gang, zwei Frauen. Ich dachte daran, nach Haus zu
kommen und meine Arbeit zu tun. (...)
Am 1. Dezember 1955 wollte die schwarze
Amerikanerin Mrs. Rosa Parks, Näherin
in einem Kaufhaus in Montgomery, nach
einem langen Arbeitstag mit dem Bus nach
Hause fahren. Sie schildert die Ereignisse,
die an diesem Abend im Bus passierten
folgendermaßen:
Erfahrungen in Montgomery
aus: Flip Schulke, Martin Luther King, Jr. A Documentary, 1976,
S. 25 An Interview with Rosa Parks i.A.
Beim dritten Halt stiegen einige weiße Leute in den Bus ein und besetzten
alle für Weiße gekennzeichneten Sitze, und ein weißer Mann stand. Der
Fahrer drehte sich um und sagte er benötige die (Vorder-) Sitze, womit er
die Sitze meinte, auf denen wir saßen, damit dieser Mann einen Platz bekam. Das war Rassentrennung. (…)
Wir vier sollten aufstehen um diesem einen weißen Fahrgast einen Gefallen zu tun. Als er (der Fahrer) zuerst sprach, reagierte keiner von uns. Aber
dann sprach er ein zweites Mal, ich würde sagen, er drohte, denn er sagte:
„Es ist besser, Ihr alle macht es euch nicht unnötig schwer und überlasst mir
die Sitze.“ Darauf hin stand der Mann, der neben mir am Fenster saß, auf.
Die zwei Frauen standen auf und bewegten sich auf den Gang. Ich bewegte
meine Beine, damit er vorbei kam und setzte mich ans Fenster. Der Fahrer
sah mich an und fragte mich, ob ich jetzt endlich aufstehe. Ich sagte ihm:
Nein. Er sagte: ´Wenn du nicht aufstehst, lasse ich dich verhaften`. Ich sagte
ihm, er solle dies nur tun und mich verhaften lassen. Er wechselte keine
Worte mehr mit mir. Er stieg aus dem Bus aus, und als er wiederkam stellte
er sich auf die Stufe der Eingangstür und sagte nichts, blickte aber ständig
hinter sich. Zu dieser Zeit hatten einige Leute den Bus, ich denke, einige
hatten keine Zeit für Unannehmlichkeiten und stiegen aus um andere Busse
zu erreichen. Aber es blieben etliche Leute im Bus. Alles war still, und es
gab keine Debatte oder irgendeine Konfrontation.
Als die Polizisten in den Bus stiegen, zeigte der Fahrer auf mich und sagte,
er benötige Plätze. Er sagte: „Die anderen sind aufgestanden“. So kamen
die Polizisten auf mich zu und fragten mich, ob der Fahrer mich nicht aufgefordert habe zu stehe. Ich sagte: „Ja“. Er fragte: „Warum bist du nicht
aufgestanden?“ Ich sagte, ich meine nicht, dass ich dies tun sollte. Ich fragte
ihn, „Warum behandelt ihr uns so schlecht?“. Er antwortete: „Ich weiß es
nicht. Gesetz ist Gesetz, und du bist verhaftet.“ Als er sagte, dass ich verhaftet bin, stand ich auf. Ein Polizist nahm meine Handtasche, einer nahm
meine Einkaufstasche, und wir verließen den Bus. (…)
Sie brachten mich zum Rathaus, wo meine Personalien aufgenommen wurden und von dort ins Gefängnis.“
M4
M5
Das Geschehen am Abend des 1. Dezember
1955 im Bus in Montgomery hat eine
Entwicklung ausgelöst, die alle Beteiligten
nicht erwartet hatten. Um die Folgen
zu verstehen, ist ein kleiner Blick auf die
amerikanische Geschichte notwendig:
Das Zusammenleben der Menschen in den
USA in den Fünfziger Jahren des letzten
Jahrhunderts war bestimmt durch die leidvolle
Geschichte der schwarzen Bevölkerung.
Die waren im 18.und 19. Jahrhundert
ursprünglich gegen ihren Willen mit Schiffen
nach Amerika gebracht worden. Dort hat man
die Entführten als _______________________
verkauft. So wurden sie zunächst nicht als
Menschen sondern als ____________________
betrachtet. Später sah man sie als Menschen
minderer Qualität und erst sehr langsam, eher
widerwillig werden Schwarze als gleichwertige Menschen anerkannt. Bis heute ist dieser
Kampf für _______________________ nicht
abgeschlossen.
Von 1955 bis in die 70er Jahre gab es immer
wieder heftige Auseinandersetzungen, in
denen weiße Gruppen massiv für
____________________ eintraten. Sie
forderten _____________ ____________ zu
schließen und unterstellten, dass
______________ _____________ hinter dem
„Rassenmix“ stünden um die amerikanische
Gesellschaft zu unterwandern. Es wurde der
Verdacht geäußert, dass Kommunisten und
Juden mit Hilfe der Schwarzen an die Macht
kommen wollten. Es kam zu ______________
und gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Alltägliche Übergriffe gegen die schwarze
Bevölkerung waren in den Südstaaten keine
Ausnahme. Die Polizei griff mit aller Härte
gegen ____________________ ein. Auch
_________________ und _________________
wurden eingesetzt.
15
'bb' 108-2/2004
M5
In diesem Klima bekam der schwarze
Baptistenpfarrer _________ _________
____________ als Interessenvertreter der
Schwarzen und als Mahner zur Gewaltfreiheit eine besondere Bedeutung. Er
wurde am 15. Januar 1929 in Atlanta geboren. Sein Vater war auch ___________,
seine Mutter arbeitete als Lehrerin. Schon
als kleiner Junge hatte er selbst mehrfach
die Diskriminierung der Schwarzen erlebt.
Während seines Studiums beschäftigte er
sich mit der Methode des _____________
______ Widerstands. Diese Methode hatte
Mahatma Gandhi entwickelt um Indien
ohne Gewalttätigkeiten von der englischen Kolonialherrschaft zu befreien.
Auf dieses Wissen und natürlich auf seinem christlichen _______________ griff
Martin Luther King zurück, nachdem er in Montgomery zum Führer einer Freiheitsbewegung der Schwarzen gewählt wurde.
1. Lesen Sie den Text und
2. fügen Sie die fehlenden Begriffe ein.
Sie finden diese in der folgenden Sammlung:
Gemischte Schulen – Glauben – Handelsware – Bürgerrechte –
Provokationen – Martin Luther King – Sklaven – kommunistische Juden  –
Schwarze – gewaltfreien – Pfarrer – Rassentrennung
Manchmal hilft auch das genaue Betrachten des entsprechenden Bildes.
16
'bb' 108-2/2004
M6
Martin Luther King jun.
• Martin Luther King (nach dem dt. Reformator Martin Luther) wurde am 15 Januar 1929 in Atlanta
(Georgia) geboren.
• Sein Vater, Martin Luther King sen., war Pfarrer in einer Baptistengemeinde und seine Mutter
Alberta Williams King Lehrerin.
• Mit 15 Jahren ging er auf das Morehouse College und wurde schon mit 17 Jahren zum
Baptistenpfarrer geweiht. Anschließend besuchte er das Crizer Theological Seminary und studierte
Philosophie und Theologie an der Universität von Boston.
• Während des Studiums beschäftigte er sich intensiv mit den Lehren Mahatma Gandhis und machte
diese zu den Grundlagen seiner eigenen Philosophie des gewaltlosen Widerstandes.
• Dort lernte er auch seine Frau Coretta Scott kennen, sie heirateten im Juni 1953. Mit ihr hat er
später vier Kinder.
• 1954 nahm er eine Pastorenstelle in Montgomery (Alabama) an.
• 1955 Busboykott in Montgomery.
Ausgelöst durch Rosa Parks, die ihren Sitzplatz nicht einem weißen Gast überlassen wollte. Martin
Luther King wurde zum Anführer dieser 381 Tage dauernden gewaltfreien Protestbewegung.
Der Boykott endete 1956 mit einem Erlass des Obersten Gerichtshofes, der jegliche Art der
Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt für gesetzwidrig erklärte.
• Wird Präsident der Southern Christian Leadership Conference (SCLC) • 1963 führte er eine große Bürgerrechtskampagne in Birmingham (Alabama) an und organisierte im
ganzen Süden Aktionen für die Registrierung Schwarzer in die Wählerlisten, gegen Rassentrennung
und für bessere Schulbildung und Wohnungen. Während dieser gewaltlosen Kampagnen wurde er
mehrmals festgenommen und musste ins Gefängnis.
• Führt historischen Marsch auf Washington am 28. August 1963 an, auf dem er seine berühmte Rede
„I Have a Dream“ (Ich habe einen Traum) hielt.
• 1964 bekam King als Wortführer der gewaltlosen Rassenintegration den Friedensnobelpreis.
• Am 02.06.1964 unterzeichnete Präsident Johnson das Bürgerrecht, das die Rassentrennung
endgültig untersagte.
• Wachsende Unruhen: Kings Gewaltlosigkeit wurde auf eine harte Probe gestellt.
• King setzte sich jedoch Anfang 1967 mit der Antikriegsbewegung und deren weißer Führung
zusammen um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren.
• Ermordung: Martin Luther King wurde am 4 April 1968 von James Earl Ray, einem weißen,
rechtsradikalen, entflohen Häftling, in Memphis (Tennessee) erschossen.
• Grabinschrift: FREE AT LAST; FREE AT LAST THANK GOD ALMIGHTY I‘M FREE AT LAST
• 1983 wurde der dritte Montag im Januar zu Ehren Martin Luther Kings zum Nationalfeiertag
erklärt; sein Geburtshaus und sein Grab in Atlanta gehören zu den nationalen Denkmälern.
17
'bb' 108-2/2004
M7a
Der „Montgomery Busstrike“ zeigt, wie gewaltloser Widerstand funktioniert.
Man wollte nicht nur gegen die Rassentrennung protestieren, sondern mit ersten Schritten für deren
Abschaffung sorgen. Deshalb wurden konkrete Ziele genannt:
1. Höfliche Behandlung der schwarzen Buspassagiere
2. Einnahme der Plätze gemäß der Reihenfolge der Einsteigenden, wobei Weiße den Bus von vorn,
Neger* den Bus vom hinteren Ende her füllen würden. * – „negroes“
3. Einstellung schwarzer Fahrer für vorwiegend durch Negerviertel fahrende Busse.
Wie können 50.000 Menschen, die sonst mit dem Bus fahren mussten, zur Arbeit, zur
Schule, zu anderen Orten gelangen?
Beschreiben Sie stichwortartig die Möglichkeiten:
Neben der organisatorischen Arbeit mussten die
Menschen über längere Zeit motiviert werden, sich
standhaft für ihre Sache einzusetzen, Nachteile
in Kauf zu nehmen und trotz Provokationen und
Übergriffen friedlich zu bleiben. Es bedurfte eines
guten Informationsaustauschs, damit Aktionen
(wie etwa die Mitfahrbörse) funktionierten. Auch
mussten die Organisatoren auf besondere Ereignisse
( zB. Provokationen der Gegenseite) reagieren
und gleichzeitig die Öffentlichkeit informieren.
Immer wieder wurden Gerichte bemüht, damit die
Forderungen rechtlich geklärt wurden.
Einige Daten zum Verlauf:
1. Dezember 1955: Rosa Parks wird im Bus verhaftet
wegen Verstoß gegen die Busregeln. Später wird sie zu $14 Strafe verurteilt.
5. Dezember 1955: Großversammlung in der Dexter Avenue Church
Martin Luther King war vorher zum Präsidenten der MIA (Montgomery Improvement Association
– Vereinigung zur Verbesserung der Rassenbeziehungen) gewählt worden. Dieses Komitee hat den Streik
organisiert.
Beginn des Busboykotts
30. Januar 1956: Bombenanschlag auf das Haus der
Familie King
Oktober 1956: Oberster Gerichtshof erklärt die
Rassentrennung in Bussen im Staat Alabama für
verfassungswidrig.
20. Dezember 1956: Anweisung zur Aufhebung der
Rassentrennung in den Bussen Montgomerys / Ende
des Streiks nach 382 Tagen
18
'bb' 108-2/2004
M7b
Martin Luther King: Gedanken – Motivation und Grundlage
Wer nur die Aktionen des gewaltfreien Widerstands betrachtet, erkennt nur die Hälfte. Wichtig ist die
Einstellung, mit der Menschen sich auf den Weg machen, um etwas zu verändern. Einige Redeausschnitte
von Martin Luther King sollen die Denkweise zeigen:
Zu Beginn des Streiks sagte Martin Luther King am Abend des 5. Dezember 1955 in der Dexter Avenue
Church: „Aber es kommt der Augenblick, da hat man dass satt. (…) Wir sind es müde, segregiert und gedemütigt zu werden. Wir sind es müde, ständig unterdrückt und brutal mit Füßen getreten zu werden. (…)
Wenn ihr mutig und doch mit Würde und christlicher Liebe kämpft, werden künftige Geschichtsschreiber
sagen: ‚Es lebte einmal ein großes Volk, ein schwarzes Volk, das der zivilisierten Welt ein neues Bewusstsein
und ein Gefühl der Würde einflößte.’ Das ist unser Auftrag und unsere große Verantwortung.“
Natürlich war King selbst Zielscheibe der Befürworter der Rassentrennung. Es kam zu einem Bombenanschlag auf das Haus der Kings. Als dies bekannt wurde, versammelten sich eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Haus. In dieser Situation sprach King zu den Menschen: „Meiner Frau und meinem
Kind ist nichts passiert. Bitte geht nach Hause und legt eure Waffen weg. Wir können das Problem nicht
mit Vergeltung lösen. Wir müssen der Gewalt mit Gewaltlosigkeit begegnen. Denkt an die Worte Jesu:
‚Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.’ Wir müssen unsere weißen Brüder lieben,
gleichgültig, was sie uns auch antun. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir sie lieben. Jesus ruft uns auch
heute noch über die Jahrhunderte zu: ‚Liebet eure Feinde.’ Dies müssen wir leben. Wir müssen Hass mit
Liebe vergelten.“
Der Anschlag war nicht der einzige Versuch Martin Luther King einzuschüchtern und die Aktion zum
Scheitern zu bringen.
Woher nahm King seinen Mut und seine Stärke?
Er schrieb:„Unser Glaube an Gott bestimmt, wie wir mit unseren zerbrochenen Träumen fertig werden.
Echter Glaube gibt uns die Überzeugung, dass jenseits der Zeit der Geist Gottes, dass jenseits des Lebens
das ewige Leben herrscht. So bedrückend die gegenwärtigen Umstände auch sein mögen, wir sind nicht
allein. Gott ist auch in den engsten und trübsten Zellen bei uns. Seine Schöpfermacht verausgabt sich
nicht im irdischen Leben, seine Liebe lässt sich nicht in die Mauern der Zeit und des Raumes fesseln. Der
Tod ist eine Straße die in das ewige Leben führt“.
19
'bb' 108-2/2004
M8
Rede zum Marsch auf Washington 1963
Geht zurück nach Mississippi, geht zurück nach Georgia, geht zurück nach Lousiana, geht zurück in
die Slums und Gettos der Großstädte im Norden in dem Wissen, dass die jetzige Situation geändert
werden kann und wird. Lasst uns nicht Gefallen finden am Tal der Verzweiflung.
Heute sage ich euch, meine Freunde, trotz der Schwierigkeiten von heute und morgen habe ich
einen Traum. Es ist ein Traum, der tief verwurzelt ist in amerikanischen Traum. Ich habe einen
Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben wird und der wahren Bedeutung ihres Credos
gemäß leben wird: „Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen sind.“
Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.
Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze
der Ungerechtigkeit und Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase und Gerechtigkeit verwandelt.
Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in
der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird. Ich habe
einen Traum heute...
Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama mit seinen bösartigen Rassisten, mit seinem
Gouverneur, von dessen Lippen Worte wie „Intervention“ und „Annullierung der Rassenintegration“ triefen..., dass eines Tages genau dort in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen die
Hände schütteln mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Brüdern und Schwestern. Ich habe
einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die
rauhen Orte werden geglättet und die unebenen Orte begradigt werden. Und die Herrlichkeit des
Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es sehen.
Das ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben kehre ich in den Süden zurück.
Mit diesen Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung
zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in
eine wunderbare Symphonie der Brüderlichkeit zu verwandeln.
Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, zusammen zu arbeiten, zusammen zu beten, zusammen
zu kämpfen, zusammen ins Gefängnis zu gehen, zusammen für die Freiheit aufzustehen, in dem
Wissen, dass wir eines Tages frei sein werden. Das wird der Tag sein, an dem alle Kinder Gottes diesem Lied eine neue Bedeutung geben können: „Mein Land von dir, du Land der Freiheit singe ich.
Land, wo meine Väter starben, Stolz der Pilger, von allen Bergen lasst die Freiheit erschallen.“ Soll
Amerika eine große Nation werden, dann muss dies war werden.
So lasst die Freiheit erschallen von den gewaltigen Gipfeln New Hampshires. Lasst die Freiheit
erschallen von den mächtigen Bergen New Yorks, lasst die Freiheit erschallen von den hohen Alleghenies in Pennsylvania. Lasst die Freiheit erschallen von den schneebedeckten Rocky Mountains in
Colorado. Lasst die Freiheit erschallen von den geschwungenen Hängen Kaliforniens. Aber nicht
nur das, lasst die Freiheit erschallen von Georgias Stone Montain. Lasst die Freiheit erschallen von
Tennesees Lookout Mountain. Lasst die Freiheit erschallen von jedem Hügel und Maulwurfshügel
in Mississippi, von jeder Erhebung lasst die Freiheit erschallen.
Wenn wir die Freiheit erschallen lassen – wenn wir sie erschallen lassen von jeder Stadt und jedem
Weiler, von jedem Staat und jeder Großstadt, dann werden wir den Tag beschleunigen können, an
dem alle Kinder Gottes – schwarze und weiße Menschen, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken – sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro Spiritual singen können: »Endlich
frei! Endlich frei! Großer allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!
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Jesaja 40,1 – 8 Die Verheißung der Heimkehr:
40,1 Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.
2 Redet Jerusalem zu Herzen und verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht,
dass ihre Schuld beglichen ist; denn sie hat die volle Strafe erlitten von der Hand des Herrn
für all ihre Sünden.
3 Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe
eine ebene Straße für unseren Gott!
4 Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade
werden, und was hüglig ist, werde eben.
5 Dann offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, alle Sterblichen werden sie sehen. Ja, der
Mund des Herrn hat gesprochen.
6 Eine Stimme sagte: Verkünde! Ich fragte: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie
das Gras, und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld.
7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht.
Wahrhaftig, Gras ist das Volk.
8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.
1. Lesen Sie den Textausschnitt aus der Rede von Martin Luther King und den Text aus dem
Jesajabuch.
2. Vergleichen Sie die beiden Texte und unterstreichen Sie ähnliche bzw. gleiche Formulierungen
und Gedanken.
3. Beschreiben Sie welcher konkrete Sachverhalt mit dem Bild der Täler, die erhöht werden und
der Berge die erniedrigt werden gemeint sein könnte.
4. Sind die Adressaten des Jesajatextes und die Demonstranten in Washington in einer vergleichbaren Situation? Begründen Sie!
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Sollte jemand von euch zugegen sein, wenn mein Tag kommt,
dann möchte ich keine lange Beerdigung. Und sollte jemand
die Gedenkrede halten, dann sagt ihm, er möge nicht zu lange
reden. Hin und wieder überlege ich, was ich wollte, dass gesagt
würde. Sagt ihnen, sie sollen nicht erwähnen, dass ich den Friedensnobelpreis erhielt, das ist nicht wichtig. Sagt ihnen, sie sollen
„Ich glaube, hin und wieder denken wir alle realistisch an jenen
Tag, an dem wir auf den letzten gemeinsamen Nenner des Lebens gebracht werden - den wir Tod nennen. Wir alle denken daran. Und hin und wieder denke ich an meinen eigenen Tod und
mein eigenes Begräbnis. Und ich denke nicht verzagt daran. Hin
und wieder frage ich mich: »Was wollte ich, das gesagt würde?«
Und ich hinterlasse es euch heute morgen.
Auszug aus der Predigt, die Martin Luther King am 4. Februar 1968
in der Ebenezer Baptist Church hielt und die bei seiner Beerdigung zum Teil von Tonband gespielt wurde.
nicht erwähnen, dass ich drei- oder vierhundert Auszeichnungen
habe, das ist nicht wichtig. Sagt ihnen, sie sollen nicht erwähnen,
wo ich und an welchen Schulen ich lernte.
Ich wollte, dass an diesem Tag jemand sagt ..: »Martin Luther
King jr. versuchte, sein Leben für andere zu geben.« Ich wollte,
dass an jenem Tag jemand sagt..: »Martin Luther King jr. versuchte, seinen Nächsten zu lieben.« Ich möchte, dass ihr an jenem
Tag sagt, dass ... »er versuchte, in der Kriegsfrage das Richtige
zu tun«. Ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagen könnt, dass ...
»er versuchte, die Nackten zu kleiden«. Ich möchte, dass ihr an
jenem Tag sagt, dass ... »er versuchte, zu jenen zu gehen, die im
Gefängnis saßen«. Ich möchte, dass ihr sagt, dass... »er versuchte, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen«.
Ja, wenn ihr sagen wollt, ich sei ein Vorkämpfer gewesen, dann
sagt, ich sei ein Vorkämpfer der Gerechtigkeit gewesen, ein Vorkämpfer des Friedens und der Rechtschaffenheit. Und all die anderen schalen Dinge werden unwichtig sein. Ich werde kein Geld
hinterlassen. Ich werde nicht die schönen und kostbaren Dinge
des Lebens hinterlassen. Aber ein engagiertes Leben möchte ich
hinterlassen.
Und das ist alles, was ich heute sagen möchte ... Wenn ich jemandem auf meinem Weg helfen kann, wenn ich jemandem mit
einem Wort oder einem Lied aufmuntern kann, wenn ich jemandem zeigen kann, dass er auf dem falschen Weg ist, dann wird
mein Leben nicht vergebens sein. Wenn ich meine Pflicht als
Christ tun kann, wenn ich der gottgeschaffenen Welt Heil bringen
kann, wenn ich die Botschaft des Herrn verkünden kann, dann
wird mein Leben nicht vergebens gewesen sein.“
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„I have a dream“ – so hat Martin Luther King vor mehr als
35 Jahren seine – sehr poetische – Vision von der Zukunft
beschrieben. Der Traum von einer gerechteren, menschlichen Welt, die aufgebaut ist auf dem „Fels der Brüderlichkeit“, wie King sagt, und in der alle Menschen frei sind,
dieser Traum ist noch nicht ausgeträumt, weil er bislang erst
teilweise in Erfüllung gegangen ist.
Zwar sind einige Ziele Martin Luther Kings und der afroamerikanischen Menschenrechtsbewegung erreicht worden,
aber immer noch ist das üble Gespenst des Rassismus und
des Fremdenhasses nicht endgültig besiegt. Auch bei uns
nicht. Das haben die brennenden Heime für Asylsuchende
in deutschen Städten gezeigt, das erfahren wir bedrückend
angesichts der rassistisch und - modern ausgedrückt - ethnisch motivierten Kriege dieser Tage.
Wir werden also auch im neuen Jahrhundert nicht nachlassen dürfen, uns für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit mit
Ehemalige Bundesministerin
der Justiz, Berlin
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
Herta Däubler-Gmelin
Phantasie und Mut zu engagieren. Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, ob es uns gelingt, die Europäische
Union weiter auszubauen und zu stärken, die Türen für die
demokratischen Länder Mittel- und Osteuropas offen zu
halten und die gemeinschaftsbildenden und gemeinschaftserhaltenden Grundwerte unserer Verfassung nach Europa
zu transportieren und dann – als Teil der Globalisierung
– weltweit zu verankern. Das wird die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte sein.
Die nächste Stufe ist, davon bin ich überzeugt, dass wir uns
auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung machen, in
der die Menschenrechte, für alle Bürgerinnen und Bürger
nachlesbar und einforderbar, verankert sind. Ein Zwischenschritt kann die EU-Grundrechtscharta sein, für die wir uns
einsetzen.
Menschenrechte sind nicht teilbar. Deshalb müssen wir
auch nach dem Jahr 2000 über den europäischen Tellerrand schauen und den Traum, der uns mit Martin Luther
King verbindet, in die Welt hineintragen. Wenn einer allein
träumt, bleibt alles ein Traum. Wenn viel träumen, dann ist
das der Beginn einer wichtigen Veränderung.
M13
„wenn dein kind dich morgen fragt...“
axel klein
1.
Erste Einfälle
„Wer, wie was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt
bleibt dumm.“ Dieses Zitat aus dem Anfangslied der Sesamstraße ist inzwischen wohl Allgemeingut. Wie macht
man eine Schleife? Wie kommt die Milch in die Tüte? Was
isst ein Kakadu? ... Um eben solche Fragen von beschreibbaren praktischen Handlungsabläufen geht es im Kontext
des Kirchentagsthemas nicht. Es geht um die dahinter liegenden Fragen: warum ist die Welt und insbesondere das
Zusammenleben der Menschen so geordnet und wie finde
ich in dieser Ordnung meinen Platz?
Und auch die Antwort auf diese Frage steht fest: „Wir
waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand ...“ (5. Mose 6,21)
Im Sedermahl wird diese Art eines ritualisierten Gesprächs geführt und dient der Erinnerung an die Befreiung von der Sklaverei durch das aktive Eingreifen Gottes.
Ein Kind, das in jüdischer Tradition aufwächst, lernt diese
Fragen zu stellen – spätestens, wenn es das Mahl nach
alter Tradition in der Familie feiert. Es lernt dabei gleichzeitig das Rollenverständnis von Vater und Mutter im Hinblick auf deren Auftrag zur religiösen Unterweisung.
Appell
Kommunikationstheorie
Thema für ein Gespräch???
5. Mose 6,20
2. Mose 13,14
biblische Quellen
Liebesgebot (Mk 12,20)
Eltern befragen
Frage nach Glück
Freiheit
Eph 6,1 (Beziehung Eltern Kinder)
Sehnsucht nach
gelingendem Leben
Gerechtigkeit
10 Gebote (2. Mose 20,2 u. 5.
Mose 5,6)
Zwischen Eltern und Kindern
Beziehungspflege
auf der Basis von Erinnerung
gegenüber Gott
2.
Auf dasses dir gut geht.
Kommunikationstheoretisch ist eine Frage auf vier Ebenen hörbar, zu interpretieren und zu verstehen:
a. als Appell
b. als Selbstoffenbarung
c. als Definition der Beziehung
d. als Interesse an der Sache
(siehe: F. Schulz von Thun; Miteinander reden)
Die Frage eines Kindes, um die es im biblischen Kontext
geht, aus dem das Kirchentagsthema stammt, lautet:
„Was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die
euch der Herr, unser Gott, geboten hat?“ (5. Mose 6,20b)
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In diesem Kontext lernt ein Heranwachsender in jüdischer
Tradition die Gebote kennen. Wer sich der Rollenverteilung Kind / Eltern / Gott unterwirft, dem wird es als Kind
damit gut gehen (sagt das Gebot).
In der christlichen Tradition gibt es diese ritualisierte
Form des Gesprächs zwischen Eltern und Kindern nicht.
Es gibt auch keine Belehrung, wie Kinder ihre Eltern
befragen sollten. Darum geht es im christlichen Kontext
zunächst um das Finden kommunizierbarer Fragen. Um
diese zu finden, bedarf es eines assoziativen Zugangs über
die biblischen Texte, die einen Beitrag zu der Beziehungsgestaltung von Eltern und Kindern leisten.
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Die biblischen Bezüge zum Thema:
„Wenn dein Kind dich morgen fragt...“:
2. Mose 13,14
14 Und wenn dich heute oder morgen dein Sohn fragen
wird: Was bedeutet das?, sollst du ihm sagen: Der HERR
hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus der Knechtschaft, geführt.
5. Mose 6,20
20 Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: Was
sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch
der HERR, unser Gott, geboten hat?,
21 so sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte
des Pharao in Ägypten, und der HERR führte uns aus
Ägypten mit mächtiger Hand;
22 und der HERR tat große und furchtbare Zeichen und
Wunder an Ägypten und am Pharao und an seinem ganzen
Hause vor unsern Augen
23 und führte uns von dort weg, um uns hineinzubringen
und uns das Land zu geben, wie er unsern Vätern geschworen hatte.
24 Und der HERR hat uns geboten, nach all diesen Rechten zu tun, dass wir den HERRN, unsern Gott, fürchten,
auf dass es uns wohl gehe unser Leben lang, so wie es
heute ist.
Die zehn Gebote
(2. Mose 20,17 und 5. Mose 5,2)
Mk 12,29
29 Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das:
»Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt* und
von allen deinen Kräften« (5. Mose 6,4-5).
31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
Eph. 6,1
1 Ihr Kinder, seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn;
denn das ist recht.
2 »Ehre Vater und Mutter«, das ist das erste Gebot, das
eine Verheißung hat:
3 »auf dass dir‘s wohl gehe und du lange lebest auf Erden«.
4 Und ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern
erzieht sie in der Zucht und Ermahnung des Herrn.
3.
Glückliches Leben finden und leben
Im Kontext der zehn Gebote stellt Gott sich vor. Ein
heranwachsender Mensch, der die Gebote kennen lernt,
gewinnt einen ersten Eindruck, wer dieser Gott ist und zu
was er bereit und in der Lage war und ist.
Soziologisch betrachtet sind die zehn Gebote ein Regelwerk, das das Zusammenleben einer Gruppe von Men-
schen ordnet und dabei mit einer unverfügbaren Größe
rechnet: Gott. Gott, der nicht im Verdacht steht, bestimmte Menschen (des Volkes, das sich zu ihm bekennt) mit
Vorteilen zu versehen und dadurch andere zu benachteiligen, der seine Beziehung gleichwertig gegenüber jedem
Menschen anbietet und gestaltet. Und der offenkundig
daran interessiert ist, dass die Menschen frei und mit gleichen Rechten ausgestattet sind. Gott, der offenkundig auf
der Seite der Unterdrückten steht, ihr Leiden wahrnimmt,
und ohne Gnade gegen Unterdrücker vorgeht.
Ein Fragekomplex im Zusammenhang mit den zehn
Geboten im Anschluss an die Befreiungsgeschichte Israels liegt in dem Spannungsfeld von Unterdrückung – Befreiung.:
Für eine didaktische Bearbeitung ist zunächst zu fragen:
Können Heranwachsende ihre Eltern (oder andere am
Sozialisierungsprozess Beteiligte) nach Erfahrungen von
Unterdrückung und Fremdbestimmung befragen und in
Folge davon auch nach deren Sehnsucht nach Freiheit
und Selbstbestimmung und Glück? Haben Erwachsene
„Exodus“-Erfahrungen, die sie gegenüber Jugendlichen
thematisieren können?
4.Arbeitsblatt
„Wenn Du die Macht hättest, Regeln aufzustellen, nach
denen alle Menschen glücklich leben können, wie lauteten
Deine Regeln?“ (siehe Material).
5.
Gesprächsanlass Glück
Glück und zufriedenes Leben in einer sozialen Gruppe
kann niemals auf Kosten anderer Mitglieder einer Gruppe
gewonnen werden. Dies berücksichtigen die zehn Gebote
und bei der Bearbeitung der Frage, wie die eigenen Regeln
lauten, muss es darum eine Kontrolle geben, die berücksichtigt, dass alle mit den gefundenen Regeln glücklich leben können (z. B. „Freibier für alle“ wäre also keine Regel,
die bei dieser Kontrolle von Bestand sein könnte, denn der
oder die das Freibier bezahlt, wird auf Dauer nicht damit
glücklich sein können). Es entstehen Regeln, die mit den
Geboten vergleichbar sind (Ausgelassen werden die Gebote, die das Verhältnis Gott – Mensch regeln).
Wenn es um die Einübung von Fragehaltungen gegenüber Erwachsenen geht, die einerseits eine religiös
– christliche Dimension der Lebensgestaltung von Menschen thematisiert und andererseits zugleich das Gebot
der Achtung der Eltern berücksichtigt, scheint es mir
richtig zu sein,
a. den Umgang mit der Frage zunächst unter
Gleichaltrigen zu erproben
b. bei den verfügbaren Lebenserfahrungen und
-einstellungen der am Gespräch Beteiligten
anzusetzen und Gott als nicht verfügbare Größe
zunächst jedenfalls nicht zu thematisieren.
27
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Wenn – wie oben beschrieben – Regeln formuliert werden, die Teilen der zehn Gebote entsprechen, darf gefragt
werden: Woher wissen Menschen wie du und ich, welche
Regeln Grundlage für ein gelingendes Miteinander sind?
Jeremia
33 Der neue Bund, den ich dann mit dem Volk Israel
schließen will, wird völlig anders sein: Ich werde ihnen
mein Gesetz* nicht auf Steintafeln, sondern in Herz und
Gewissen schreiben. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein«, sagt der HERR.
Die Regeln für gelingendes Leben stehen im Herzen der
Menschen und sind darum kommunizierbar.
6. Arbeitsansätze
Um in einer Jugend- oder Konfirmandengruppe Fragehaltungen einzuüben bieten sich folgende Impulse an:
a.Exodus
– Was löst heute Angst aus? / Wodurch werden
heute Menschen unterdrückt? / Was hält Menschen heute gefangen? (Kleingruppenarbeit) /
alternativ:
– Wenn Du die Tür öffnen könntest, zu einem
Bereich, in dem Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind, was bekämest Du zu sehen?
In Kleingruppen werden Kollagen oder Bilder zu
den Fragestellungen hergestellt.
Exegetische Arbeit am Text: 2. Mose 14 (Israels
Durchzug durchs Schilfmeer)
Herstellung eines Hungertuches aus den Kollagen und Ergebnissen der Textarbeit.
Die exegetische Textarbeit kann mit Hilfe folgender Fragen geschehen:
1. Welches Bild von Gott zeichnet der Text?
2. Welches Bild vom Menschen zeichnet der Text?
3. Welche Form des Zusammenlebens der Menschen untereinander und mit Gott wird in dem
Text beschrieben?
4. Welche Vision vom Zusammenleben der Menschen und mit Gott gibt der Text wieder?
Diese Fragen (als Arbeitsblatt vorbereitet) können in
Partner- oder Kleingruppenarbeit (Kleingruppe, die auch
an den Exodusfragen gearbeitet hat) erschlossen werden.
b. Glückliches Leben
– Arbeitsblatt – ...wie lauteten Deine Regeln? (Partnerarbeit)
– Kontrolle der aufgestellten Regeln mit der Frage: Verhelfen die aufgestellten Regeln wirklich
allen Menschen zum glücklichen Leben? (Kleingruppenarbeit)
– Vergleich mit den zehn Geboten (Feststellung,
welche Entsprechungen gefunden wurden) Einzelarbeit / gelenktes Unterrichtsgespräch
28
– Diskussion der These: Die Zehn Gebote sind
Grundlage von gelingendem Leben in der Gemeinschaft und damit von nachhaltigem Glück
– Weiterarbeit an dem Thema des neuen Bundes
– exegetische Arbeit am Text Jeremia 31, 31...
– oder an der Frage nach den ersten Geboten
Das Arbeitsblatt kann als „Lernstraße“ abgearbeitet
werden:
1. Einzelarbeit an der Frage: Wenn Du die Macht
hättest,...
2. Partner- oder Kleingruppenarbeit: Kontrolle:
Sind alle aufgestellten Regeln in der Lage alle
Menschen glücklich zu machen? (Wird niemand
unterdrückt, übervorteilt, vernachlässigt?)
3. Kleingruppenarbeit oder gelenktes Unterrichtsgespräch: Vergleich mit der 10 Geboten (Blattdrittel umfalten, dann liegen Gebote und selbst
gefundene Regeln nebeneinander).
4. Gelenktes Unterrichtsgespräch zu der These:
Die 10 Gebote sind Grundlage von glücklichem
Leben in der Gemeinschaft.
„Wenn es um das Verstehen von Texten geht, kann Evidenz nur dann aufkommen, wenn Text und Erfahrung des
Lesers korrespondieren...“ (Horst Klaus Berg; Ein Wort
wie Feuer; S. 17). Mit den oben beschriebenen Arbeitsschritten werden Schlüsse von den individuellen Lebenserfahrung der Teilnehmenden auf gelingendes Leben in
der Gemeinschaft getroffen und damit ein verstehendes
Lesen des Textes erst entwickelt.
Zur Weiterarbeit kann an folgenden Fragestellungen gearbeitet werden:
– Umgang mit dem Namen Gottes, mit Namen allgemein
– Was in meinem Herzen steht (Jeremia 31,31 /
neuer Bund, Gebote stehen nicht mehr auf Steintafeln, sondern Gott schreibt sie in die Herzen)
7. Literatur
H. K. Berg, Ein Wort wie Feuer; Kösel, München 1991
R. Hübner, E. Langbein, Biblische Geschichten in der Konfirmandenarbeit, EB-Verlag, Hamburg 1997
A. Klein, Musicalisch Befreiung erleben – Biblische Geschichten in der Arbeit mit Jugendlichen, EB-Verlag, Hamburg
2002
Dr. H.-G. Schöttler, H. Rohrer, Symbole Spielen, Materialheft
75 der Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten
und anderen Gemeindeveranstaltungen, Frankfurt 1995
F. Schulz von Thun, Miteinander reden (1 – 3), rororo-Sachbuch, Hamburg (Reihe, verschiedene Erscheinungstermine)
8. Material-Arbeitsblatt
'bb' 108-2/2004
29
'bb' 108-2/2004
30
'bb' 108-2/2004
u-einheit:reformation
u-stunde:
leben und wirken martin luthers
julia jans
Curriculare Einbindung der Stunde:
Stunde
Thema der Stunde
Did./meth. Schwerpunkt
1. Stunde
Bedrohungen und Ängste im
Mittelalter
Erarbeitung und Vergleich von Ängsten im Mittelalter und heute – Bildbetrachtung, Textarbeit,
GA, Präsentation OHP
2. Stunde
Fegefeuer und Ablasshandel
Überleitung zur zentralen Frage des MA: „Wie
bekomme ich einen gnädigen Gott?“ – Schreiben
eines Dialogs zwischen Käufern eines Ablassbriefes, PA, Computereinsatz (Word), Präsentation
mit Beamer
3. Stunde
Die 95 Thesen
4. Stunde
Freiheit eines Christenmenschen
Erarbeitung wesentlicher Inhalte der Reformschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ – Bildbetrachtung, Textarbeit, Diskussion,
Internetrecherche, GA
5. Stunde
Leben und Wirken
Martin Luthers
Erarbeitung und Vertiefung zentraler Ereignisse im Leben und Wirken Luthers – angeleitete
Internetrecherche, Erstellen eines Steckbriefes in „Word“, Präsentation mit dem Beamer,
PA und arbeitsteilige GA
6. Stunde
Die Erhebung der Bauern
Erarbeitung von Umständen und Folgen des
Bauernkrieges – Bildbetrachtung, Textarbeit und
Rollenspiel, arbeitsgleiche GA
7. Stunde
Die Trennung der Kirchen
Vertiefung der Umstände, die zur Kirchenspaltung führten – Diskussion zum Reichstag zu
Speyer, GA
8. Stunde
Test
Erarbeitung zentraler Thesen – S. schreiben Interview mit Luther, PA, Präsentation (Vortrag)
Ziel der Unterrichtseinheit: Die Schüler sollen die Rechtfertigungslehre Luthers beschreiben und
als Anlass zur Spaltung der Kirche benennen.
Ziel der Unterrichtsstunde: Die Schüler sollen wichtige Ereignisse im Leben und Wirken Luthers
benennen.
31
'bb' 108-2/2004
Teilziele: Die Schüler sollen…
kognitive Lernziele:
-
Vorkenntnisse und Assoziationen zu Luthers Person formulieren können, indem sie das Buchstabenrätsel vervollständigen. (1)
einen Steckbrief zu wichtigen Lebensabschnitten Luthers vervollständigen können, indem sie den Text auf der
Internetseite sinnerfassend lesen. (2)
-
sozial-affektive Lernziele:
-
ihr Sozialverhalten und Kooperationsbereitschaft verbessern können, indem sie als Partner oder in Dreiergruppen zusammenarbeiten. (3)
instrumentelle Lernziele:
-
dem virtuellen Text relevante Informationen entnehmen können, indem sie ihn sinnerfassend lesen und sich
an den Vorgaben des Steckbriefes orientieren. (4)
eine Internetrecherche durchführen können, indem sie einem vorgegebenen Pfad folgen. (5)
den Umgang mit Software trainieren können, indem sie den Steckbrief in „Word“ bearbeiten. (6)
den Umgang mit Hardware trainieren können, indem sie eine Internetrecherche mit Hilfe des Computers
durchführen und die Ergebnisse auf Diskette speichern bzw. von der Diskette abrufen. (7)
ihre Präsentationskompetenzen erweitern können, indem sie ihre Ergebnisse mit Hilfe des Beamers
vorstellen. (8)
-
-
-
-
Quelle: http://de.geocities.com/derelinks
Aufgabe:
-
Erstellt in Partnerarbeit einen Steckbrief zu den wichtigsten Ereignissen im
Leben und Wirken Luthers bis 1525.
-
Beschränkt euch innerhalb eurer Arbeitsgruppen auf einen bestimmten
Lebensabschnitt:
Gruppe 1: „Der junge Luther“ (S.1)
Gruppe 2: „Der Konflikt mit Rom“ (S. 2)
Gruppe 3: „Der Bruch mit Rom“ (S. 3)
Gruppe 4: „Der Reichstag in Worms“ (S. 4)
Gruppe 5: „Die 1520er Jahre“ (S. 5)
-
Unter folgender Internetadresse findet ihr ein „Lutherquiz“, das euch die
wichtigsten Informationen liefert: http://de.geocities.com/derelinks
-
Folgt dann diesem Pfad:
Weltreligionen  ev. Kirche in Deutschland  Spiele  Luther  Lutherquiz (Lösungs- und
Fremdwörter angegeben)
-
Sammelt eure Ergebnisse zu den wichtigsten Ereignissen und Jahreszahlen
auf dem vorgefertigten Steckbrief.
-
Den selben Steckbrief findet ihr auf eurer Diskette unter dem Dateinamen
„Luther“ wieder; tragt hier eure Ergebnisse ein und speichert sie ab, sodass
ihr sie später mit Hilfe des Beamers vorstellen könnt.
32
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'bb' 108-2/2004
33
15-20
Festigung
Z 6, 7, 8
20-25
Erarbeitung
Z 2, 3, 4, 5,
6, 7
5
Einstieg
Z1
Zeit (min.),
Phase, Ziel
-
-
Ergebnissammlung: S. stellen
ihre Ergebnisse mit Hilfe des
Beamers vor
S. recherchieren im Internet und
vervollständigen zunächst handschriftlich einen Steckbrief zu
wichtigen Ereignissen im Leben
und Wirken Luthers
S. öffnen Datei zum jeweiligen Steckbrief auf der Diskette,
schreiben ihre Ergebnisse in
„Word“ auf und speichern diese
schließlich auf der Diskette ab
-
-
-
L. stellt Buchstabenrätsel,
S. äußern sich
S. vervollständigen das Buchstabenrätsel
L. stellt die Aufgabe (siehe Anhang)
-
Unterrichtsgeschehen
Geplanter Stundenverlauf
-
-
-
Der Umgang mit dem Beamer erweitert die Medienkompetenz der Schüler und soll weiterhin die Präsentationskompetenzen fördern.
Beide Kompetenzen bilden unerlässliche Schlüsselqualifikationen für das zukünftige Berufsleben.
Aufgrund der zeitlichen Organisation und des Schwierigkeitsgrades bietet sich eine angeleitete Internetrecherche
an. Die Auswahl des virtuellen Textes beruht auf dem
Verständlichkeitsgrad für Schüler. Weiterhin bietet der
Aufbau der Texte als Quiz gleichzeitig eine Möglichkeit
der Selbstkontrolle.
Die Ergebnisse werden aus Sicherheitsgründen zunächst
handschriftlich festgehalten, denn einige Schüler sind
mit dem Minimieren von Fenstern noch nicht vertraut.
Diese Fähigkeit konnte im Rahmen dieser Unterrichtseinheit noch nicht trainiert werden. Weiterhin erscheint
es nicht sinnvoll, das sinnerfassende Lesen durch das
Minimieren und Maximieren der Fenster zu unterbrechen.
Der Einsatz einer Diskette (anstatt eines Ordners) ist
momentan aufgrund von Umrüstungsarbeiten an den
PC´s notwendig. Außerdem soll der Umgang mit Disketten trainiert werden. Weiterhin sollen die Schüler die
Anwendung von „Word“ trainieren. Der Umgang mit diesem Programm wird in höheren Klassen weiterführend
fortgesetzt und bildet auch für das zukünftige Berufsleben eine unerlässliche Grundlage.
-
-
Das Buchstebenrätsel* bietet die Möglichkeit, Vorkenntnisse und Assoziationen zu Luthers Person festzuhalten
und später darauf einzugehen.
* Die Buchstaben des Namens „Martin Luther“ sind
durcheinandergewürfelt über die Tafel verteilt.
-
didaktisch-methodischer Kommentar
Schülerpräsentation
angeleitete Internetrecherche,
PA,
arbeitsteilige GA
UG
Sozialform
Beamer
Computer
Computer
Internet
Tafel
Medien
34
'bb' 108-2/2004
 Studium:
 1501-1505 Artistenfakultät
(Grundstudium: Grammatik, Aristotelische Logik, Metaphysik…)
 Studium:
 theologisches Interesse ab 1512: Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Rechtfertigung des Menschen vor Gott
 theologisches Interesse ab 1512:
Fremdwörter: Patrizierhäuser=Häuser der Adeligen, Artistenfakultät=Fachbereich einer Universität, Promotion=Doktorarbeit, Magister artium=bestimmter Abschluss an einer Universität, Noviziat=Klosterprobe, Theologie=Lehre von Gott
 weiterer Werdegang:
 17. Juli 1505 Eintritt ins Kloster (Augustinereremiten)
 1507 Priesterweihe
 1507–1512 Theologiestudium in Wittenberg/Erfurt
 1512 Theologieprofessor
 weiterer Werdegang:
 Gewittererlebnis: 2. Juli 1505 gerät L. bei Erfurt in ein Gewitter, er gelobt der heiligen Anna: „Ich will Mönch werden“.
 schulischer Werdegang:
 1497–1498 Domschule Magdeburg
 1498–1501 Lateinschule Eisbach
 schulischer Werdegang:
 Gewittererlebnis:
 geboren am: 10. Nov. 1483
 geboren in: Eisleben
 Vater: Arbeiter im Kupferbergbau
Der junge Luther
 geboren am:
 geboren in:
 Vater:
Der junge Luther
'bb' 108-2/2004
35
 Verständnis Luthers zur „Gerechtigkeit Gottes“:
 nicht zorniger, strafender Gott, sondern gnädiger Gott
 Gott begnadigt Menschen wegen ihres Glaubens
 Konflikt: 1517 Konflikt mit Tetzel aufgrund des Ablasshandels
 Thesen: 31. Okt. 1517 95 Thesen, Aufforderung zur Diskussion
 Folgen des Thesenanschlags: Juni 1518 Ketzerprozess gegen
Luther durch Papst Leo X.
 Verständnis Luthers zur „Gerechtigkeit Gottes“:
 Konflikt:
 Thesen:
 Folgen des Thesenanschlags: .
Fremdwörter: Theologie=Lehre von Gott, Apostel=Jünger Jesu, akademische Disputation=Str
eitgespräch unter Gelehrten
Lösungswort: S. 1 „Erfurt“
 Persönlichkeiten, die Luthers Studium prägten:
 Apostel Paulus
Augustinus
Der Konflikt mit Rom
 Persönlichkeiten, die Luthers Studium prägten:
Der Konflikt mit Rom
36
'bb' 108-2/2004
 3 wichtige Schriften Luthers: 1520 Reform des Papsttums,
Reform des kirchlichen Lebens, Reform der Sakramente,
(Freiheit eines Christenmenschen)
 Bannandrohungsbulle: 15. Juni 1520 Luther verbrennt die Bulle
 Exkommunikation (Ausschluss aus der Kirche): 3. Jan. 1521
Ausschluss Luthers
 3 wichtige Schriften Luthers:
 Bannandrohungsbulle:
 Exkommunikation (Ausschluss aus der Kirche):
Fremdwörter: Disputation=Streitgespräch, exkommunizieren=jemanden aus einer religiösen
Gemeinschaft ausschließen
Lösungswörter: S. 1 „Erfurt“, S. 2 „Paulus und Augustin“
 Reichstag zu Augsburg: Herbst 1518 Kardinal Cajetan verhört
Luther auf dem Reichstag in Augsburg und fordert ihn zum
Widerruf der Thesen auf; Luther lehnt ab
Der Bruch mit Rom
 Reichstag zu Augsburg:
Der Bruch mit Rom
'bb' 108-2/2004
37
Fremdwörter: Reichsacht=Verbannung aus dem Reich, Theologie=Lehre von Gott,
Edikt=obrigkeitliche Bekanntmachung
Lösungswörter: S. 1 „Erfurt“, S. 2 „Paulus und Augustin“, S. 3 „Leo X.“
 Kidnapping (Entführung) Luthers:
 Wormser Edikt: 26. Mai 1521 Reichsacht über Luther und seine
Anhänger; Verbrennung seiner Schriften
 Wormser Edikt:
 Kidnapping (Entführung) Luthers: Luther wird auf seiner Reise
nach Wittenberg in Thüringen in Schutzhaft genommen
 Reichstag zu Worms: 1521 Friedrich der Weise (Kurfürst von
Sachsen) setzt beim Reichstag zu Worms vor Kaiser Karl V.
freies Geleit für Luther durch
Der Reichstag in Worms
 Reichstag zu Worms:
Der Reichstag in Worms
38
'bb' 108-2/2004
 konfessionelle Spaltung: alter Glaube – Reformation
 Bauernkrieg: 1525 Luther wird in den Bauernkrieg verwickelt
 Heirat: 1525 Heirat mit Katharina von Bora
 konfessionelle Spaltung:
 Bauernkrieg:
 Heirat:
Fremdwörter: konfessionell=einer Glaubensgruppe zugehörig, Territorien=Gebiete,
Edikt=obrigkeitliche Bekanntmachung
Lösungswörter: S. 1 „Erfurt“, S. 2 „Paulus und Augustin“, S. 3 „Leo X.“, S. 4 „Gewissen“
 auf der Wartburg: 1521–1522 Luther wird als „Junker Jörg“
1 Jahr versteckt; Übersetzung des NT
Die 1520er Jahre
 auf der Wartburg:
Die 1520er Jahre
'bb' 108-2/2004
39
Schon am 17. Juli 1505 tritt Luther in das Kloster der Augustinereremiten
(ein besonders strenger Orden) ein. Nach dem Noviziat wird Luther am
27. Febraur 1507 zum Priester geweiht und erhält vom Prior den Auftrag,
Theologie zu studieren. Er studiert in Wittenberg und Erfurt, bis er 1511
endgültig nach Wittenberg übersiedelt und dort 1512 seine Lehrtätigkeit
als Theologieprofessor aufnimmt. Luthers theologiesches Interesse gilt
in den folgenden Jahren der Frage nach Gottes Gerechtigkeit und der
Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Eine Frage, die ihn zunehmend in
Gegensatz zur etablierten Theologie und Rom bringt...
In Erfurt absolviert Luther von 1501 – 1505 sein Grundstudium an der
„Artistenfakultät“: Grammatik, Rhetorik, Aristotelische Logik und
Metaphysik. Eigentlich soll Luther nach dem Abschluß des Studiums
und seiner Promotion zum „Magister artium“, so der Wunsch des Vaters,
eine juristische Laufbahn einschlagen, doch am 2. Juli 1505 kommt Luther
bei Stotternheim in der Nähe von Erfurt in ein schlimmes Gewitter. In
seiner Angst, vom Blitz erschlagen zu werden, gelobt Luther bei der
Heiligen Anna (der Schutzpatronin der Bergleute): „Ich will ein Mönch
werden“.
Martin Luther wird am 10.
November 1483 in Eisleben
geboren und wächs in der
Grafschaft Mansfeld auf, wo
sein Vater im Kupferbergbau
beschäftigt ist. Zu seinen Eltern
hat Luther, trotz der strengen
Erziehung, immer ein gutes
Verhältnis. Von 1497 bis 1498
besucht der junge Martin Luther
die Domschule in Magdeburg,
an der die „Brüder vom
gemeinsamen Leben“ (einer
Frömmigkeitsbewegung im
Das Lutherhaus in Eisenach
Mittelalter) unterrichten. In
Eisenach besuchte er die Lateinschule von 1498 – 1501, wo er auch das
kulturelle Leben der damaligen Zeit in den vornehmen Patrizierhäusern
kennenlernt.
Der junge Luther
Es kommt zwar zu keiner Disputation, doch die Thesen Luthers
verbreiteten sich derart rasch, daß Papst Leo X. im Juni 1518 gegen
Luther einen Ketzerprozeß eröffnet, nachdem in Rom mehrere Anzeigen
wegen Ketzerei eingegangen sind...
Luther geht es vor allem darum, daß Gottes Wort, wie es in der Schrift
bezeugt ist, allein Richtschnur aller kirchlichen Verkündigung und
Bräuche sein soll. Kirchliche Traditionen – wie das verkaufen von
„Vergebung“ gegen Geld – dürfen dagegen keine verbindliche Autorität
haben.
Darum kommt es zum Konflikt als
der Ablaßprediger Tetzel im Auftrag
Schlosskirche in Wittenberg
des Erzbischofs von Mainz 1517 durch
Türe des Thesenanschlags
die ostdeutschen Lande zieht und
„Vergebungsscheine“ (Ablässe) gegen Geld
verkauft. Nachdem Luther vergeblich gegen diese Geschäftemacherei
gepredigt hat, fordert er am 31. Oktober 1517 durch den Anschlag
von 95 Thesen an der Türe der Schloßkirche in Wittenberg zu einer
akademischen Disputation auf.
Durch sein intensives Studium der Theologie
des Apostels Paulus und der Theologie
Augustins gewinnt Luther nun mehr und
mehr die Gewißheit, daß der biblische Begriff
„Gerechtigkeit Gottes“ nicht den zornigen
und strafenden Gott meint, sondern den
gnädigen und barmherzigen Gott, der den
Menschen wegen seines Glaubens begnadigt
und damit rechtfertigt.
Der Konflikt mit Rom
40
'bb' 108-2/2004
Diese Schriften, die sich rasch verbreiten und durch die die
Reformation zahlreiche neue Anhänger gewinnt, ziehen zunächst
die Bannandrohungsbulle (15. Juni 1520) nach sich, die Luther
gleich verbrennt. Daraufhin wird er am 3. Januar 1521 aus der Kirche
exkommuniziert...
Weitere Disputationen 1519 bringen auch keine Annäherung. 1520
verfaßt Luther drei wichtige Schriften, in denen er nun ein ausführliches
Reformprogramm der Kirche entwickelt: Reform des Papsttums, Reform
des krichlichen Lebens insgesamt (z. B. des Klosterlebens, des Zölibates,
der Messe, des Ablaßwesens), Reform der Sakramente, die Betonung der
„Freiheit eines Christenmenschen“.
In den Jahren 1518 bis 1521 spitzt sich der Konflikt um Luther und
seine mittlerweile recht zahlreich gewordenen Anhänger zu. Im Herbst
1518 wird Luther von Kardinal Cajetan auf dem Reichstag in Augsburg
verhört und zum Widerruf seiner Thesen aufgefordert. Luther lehnt
jeden Widerruf ab und appelliert dagegen ein ein allgemeines Konzil zur
Klärung der Fragen.
Schlosskirche in Wittenberg
Der Bruch mit Rom
Weil Luther nicht widerrufen will, wird am 26. Mai 1521 das Wormser
Edikt erlassen, die „Reichsacht“ über Luther und seine Anhänger
verhängt und die Verbrennung aller seiner Schriften angeordnet. Vor
der nun drohenden persönlichen Gefahr wird Luther abermals von
Friedrich dem Weisen gerettet: Auf der Rückreise nach Wittenberg wird
Luther in Thüringen „gekidnapt“ und auf der Wartburg in „Schutzhaft“
genommen...
„Wenn ich nicht durch Zeugnisse
der Schrift oder einen einleuchtenden
Vernunftgrund überzeugt werde – denn
weder dem Papst noch den Konzilien allein
Lutherdenkmal in Worms
glaube ich, da es feststeht, daß sie häufig
geirrt und sich selbst widersprochen haben
-, so bleibe ich an die von mir angeführten Schriftworte gebunden. Und solange
mein Gewissen gefangen ist von den Worten Gottes, kann und will ich nicht
widerrufen, da gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch lauter ist. Gott
helfe mir. Amen.“
In seiner berühmten Rede vor dem
Reichstag in Worms am 18. April 1521
verteidigte Luther seine Theologie:
Doch die damaligen politischen
Verhältnisse verhindern durchgreifende
Maßnahmen: Friedrich der Weise,
Kurfürst von Sachsen, setzt durch, daß
Luther zum Reichstag in Worms 1521,
wo er vor dem jungen Kaiser Karl V.
erscheinen soll, freies Geleit erhält.
Der Reichstag in Worms
'bb' 108-2/2004
41
Bedeutsam für Luther wird das Jahr 1525. Im Frühjahr wird er in den
Bauernkrieg verstrickt, wo er für die Seite der Fürsten Partei ergreift.
Nach der Schlacht von Frankenhausen, die für die Bauern in einem
Fiasko endet, wird der Reformator Thomas Münzer, der für die Bauern
Partei ergriffen hat, hingerichtet. Im Juni heiratet Luther dann die frühere
Nonne Katharina von Bora.
Auf der Wartburg wird Luther als „Junker Jörg“ fast ein Jahr lang
versteckt. Luther nutzt diese Zeit, um das neue Testament ins Deutsche
zu übersetzen, was er in nur zweieinhalb Monaten schafft. Während
Luthers Aufenthalt auf der Wartburg gehen die praktischen Reformen in
Wittenberg und zahlreichen deutschen Gebieten zügig voran, so daß sich
bald eine konfessionelle Spaltung im deutschen Reich anbahnt: einige
Territorien gehen zur Reformation über während andere streng am
„alten Glauben“ festhalten. Doch auch die ersten Spannungen innerhalb
der Reformationsbewegung fallen in diese Zeit
Die Wartburg bei Eisenach
Die 1520er Jahre
Katharina von Bora
Weil der Kaiser in den 1520er
Jahren an den Außengrenzen des
Reiches mit der Verteidung seines
Reiches beschäftigt ist und viele
Landesfürsten sich der Reformation
anschließen, kann das Wormser
Edikt gegen die „Protestanten“ nicht
umgesetzt werden. Dies droht sich
zu ändern als Kaiser Karl V. für den
Sommer 1530 einen Reichstag nach
Augsburg einberuft, um die religiösen
Kontroversen im Reich nun endlich
selbst zu regeln...
fachbeitrag: religiöse symbole in der schule
aktuelles in einem colloquium der
european association for world religion
in education (EAWRE)
gabriele tscherpel
Multikulturell oder nicht multikulturell? – Das ist
wieder einmal die Frage.
Im Februar 2004 beschließt das französische Parlament
mit großer Mehrheit, dass religiöse Symbole in den öffentlichen Schulen des Landes nichts zu suchen haben.
Kopftücher aus dem Islam, große Kruzifixe der Christen
und die Kippa der Juden werden genannt. Nachträglich
wird festgestellt, dass auch die Turbane der Sikhs aus der
Schule verbannt sind.
Die meisten Abgeordneten der konservativen Regierung, aber auch der sozialistischen Opposition sind sich
über das neue Gesetz einig. Eine alte französische Tradition wird hochgehalten. Staat und Kirche sind streng
getrennt. Für Religion ist in der Schule kein Platz. Doch
junge Musliminnen zeigen auf der Straße, dass sie ihre
Kopftücher in der Schule tragen möchten. Der deutsche
Bundespräsident Johannes Rau wünscht sich für unser
Land mehr Offenheit. Die Bundestagsvizepräsidentin Antje
Vollmer ist für strenge Regeln, die den Missbrauch der Religion und die Unterdrückung junger Frauen verhindern.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2003 entschieden, dass der Staat Lehrerinnen das Tragen des
Kopftuches dann verbieten kann, wenn ein Gesetz dies
bestimmt. Also arbeiten die Juristen in einigen Bundesländern an solchen Gesetzen. Zu den ersten gehört BadenWürttemberg. Die Kultusministerin Annette Schavan
verkündet am 11. November 2003 den Beschluss über das
Landesgesetz, das Lehrerinnen in der Schule das Kopftuch
verbietet. Anders als in Frankreich werden christliche
Symbole nicht verboten. Die Kleidung von Ordensfrauen
und Kruzifixe in den Klassenzimmern unterliegen keinen
Beschränkungen. Diese Symbole, so Frau Schavan, sind
den Menschen ihres Landes seit langem vertraut. Vertrautes versteht sich von selbst, Neues bedarf der Regelung.
Schließlich handele es sich um rein religiöse Symbole.
Beim Kopftuch trete zur religiösen noch eine politische Bedeutung. Sie gefährde den gesellschaftlichen Frieden
Bereits vor den genannten Ereignissen hat der Europarat (CE) in Strasbourg, in dem 25 Staaten zusammenarbeiten, ein neues Projekt begonnen, das Kulturen und
Religionen und dem Dialog zwischen den verschiedenen
geistigen Orientierungen einen pädagogisch gerechtfertigten Platz in der Schule bereiten soll. Dieses Projekt trägt
den Namen:
42
„Aktion zur Förderung eines besseren Verständnisses zwischen kulturellen und religiösen Gemeinschaften durch schulische Bildung.“
Colloquium in Wülperode nimmt Initiative des
Europarates auf.
Mit den ersten Ergebnissen des CE-Projektes hat sich
Anfang November 2003 eine Gruppe von Expertinnen und
Experten in Wülperode bei Vienenburg beschäftigt. Die
Europäische Arbeitsgemeinschaft für Weltreligionen in
der Erziehung (EAWRE) und das Amt für Religionspädagogik und Medienarbeit (ARPM) haben dazu eingeladen.
Die „Alte Tischlerei“ stellte eine optimale Atmosphäre für
die Beratungen zur Verfügung. Der berufliche Hintergrund
der Teilnehmenden sorgte für die nötige Bodenhaftung.
Die aus sechs europäischen Ländern Eingeladenen arbeiten an Grundschulen, weiterführenden Schulen, Hochschulen und Universitäten und hochschulfreien Instituten.
Sie gehören folgenden Religionsgemeinschaften an: Hindus, Juden, Christen und Muslime. Folgende Länder sind
vertreten: Das Vereinigte Königreich Großbritannien, Griechenland, Deutschland, Niederlande, Schweden, Ungarn.
Man kann darüber streiten, ob das zunächst in Frankreich und dann in mehreren anderen europäischen Ländern neuerlich angestrebte Kopftuchverbot zum besseren Miteinander der Religionsgemeinschaften beiträgt.
Politikerinnen und Politiker vertreten dazu verschiedene
Ansichten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der
EAWRE sind sich darin einig, dass etwas zur besseren
Verständigung der Gruppen in einer Gesellschaft getan
werden kann. Dr. Hans-Georg Babke, Leiter des ARPM,
verlangt einen fairen Vergleich zwischen verschiedenen
weltanschaulichen Positionen. Dr. Dirk Röller aus Wilhelmshaven nennt Beispiele für den Erwerb kommunikativer Kompetenz durch Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler.
Beispiele aus der Praxis – Beispiele für die Praxis
Professor Marc Katz aus Schweden erzählt von dem multikulturellen Zusammenleben in Schweden und in Indien.
Erstaunliche Beobachtungen kommen zur Sprache. Viele
Menschen in beiden, weit von einander entfernten
'bb' 108-2/2004
Ländern sprechen eher ihre Muttersprache, als dass sie
sich in eine neue, fremde Sprache einarbeiten. Doch es
gibt im gesellschaftlichen Alltag Vermischungen. Professor Katz zeigt das Photo einer schwedischen Schulklasse.
Mehr als 20% der Schülerinnen und Schüler stammen aus
Einwandererfamilien. Multikulturalität ist im hohen Norden schon lange nichts Besonderes mehr.
In Benares, der heiligen Stadt am Ganges treffen
Menschen verschiedener Kulturen seit Generationen aufeinander. Das ganze Jahr über kommen Pilger aus allen
Teilen des indischen Subkontinents in die Stadt. Verschiedene Motive führen sie dorthin. Ein religiöses Fest wird
begangen, eine politische Demonstratrion findet statt oder
die Mitglieder einer Familie versammeln sich. Sie kommen z.B., um den Leichnam eines lieben Verstorbenen am
Ufer einzuäschern und die Asche dann nach altem Brauch
im Ganges zu verstreuen. Die Menschen aus den vielen
Kulturen der indischen Union mischen sich bei solchen
Gelegenheiten.
Marc Katz z.B. hat erstaunliche Filmaufnahmen von
dem Muharram, dem Fest zu Beginn des islamischen
Jahres, mitgebracht. Muharram ist ein Friedensfest.
Tragischer Ereignisse aus der Geschichte der Religion
wird gedacht. Nun soll Gewalt und Feindschaft zwischen
den Menschen ein Ende gesetzt werden. Dies Fest wird
in verschiedenen Vierteln von Benares auf jeweils andere Weise begangen. Manche Menschen ziehen von der
Feier in einem Stadtteil weiter zum Fest in einem anderen
Stadtteil. Für sie ist die neue Prozession eine Fortsetzung
derjenigen, die sie gerade erlebt haben. Eines ist bei allen
Unterschieden in den verschiedenen Vierteln gleich. Die
Angehörigen verschiedener Religionen, vor allem Hindus
und Muslime, feiern gemeinsam. Dabei geht es nicht gerade leise zu. Die Begeisterung und die Entschlossenheit
zum Frieden untereinander sind groß.
Nun vergleicht der Professor aus Schweden die indischen Festgemeinden mit der schwedischen Schulklasse.
Der selbstverständliche Umgang mit anderen Kulturen
und Religionen bringt Gewinn. Wenn Hindugläubige ein
muslimisches Fest besuchen, geben sie ihre Religion nicht
auf. Sie nehmen Anteil an der Kultur ihrer Nachbarn. Was
sie neu erfahren, bringen sie in ihre eigene Gemeinschaft
mit zurück. Den schwedischen Schülerinnen und Schülern
geht es ähnlich. Was sie bei ihren Altersgenossinnen und
-genossen beobachten, nehmen sie in die eigene Gemeinschaft mit.
Roger B. Howarth arbeitet als Inspektor der Königin
in der Schulaufsicht und Bildungspolitik in England.
Eine seiner Fragen lautet: Wo bleibt das Verständnis für
Menschen anderer Kultur oder Religion? Welche Möglichkeiten eröffnen sich für junge Menschen, die lernen?
Howarth fragt z.B. nach den Wirkungen politischer Macht
auf kulturelles und religiöses Lernen. Als ein Beispiel
hat er gemeinsame Programme für Araber/Palästinenser
und Israelis in Israel entdeckt, u.a. jährlich international
organisierte multiethnische Sportwettkämpfe in Misgave.
In dem Friedensdorf Neve Shalom werden aktuelle gesellschaftliche und politische Herausforderungen diskutiert.
Roger Howarth empfiehlt das Studium dieser Beispiele,
um mit dem erwähnten Projekt des Europarates weiterzukommen.
Die religiösen Standards für Schulabgängerinnen
und Schulabgänger in Europa
Theorie und Praxis der Schulen in den europäischen
Ländern sind recht verschieden. Was ein Kind des dritten
Schuljahres in Süditalien erlebt, unterscheidet sich beträchtlich von den Erfahrungen einer Alterskameradin in
Finnland. Zugleich bemühen sich Vertreterinnen und Vertreter leitende Gesichtspunkte zu entwickeln, die in allen
Ländern erreicht werden sollen. Professor Brian Gates
aus Lancaster nimmt die Zielvorstellung des Europarates
beim Wort. Er fragt, über welche Kompetenz soll ein junger Mensch hinsichtlich der Religion verfügen, wenn er
die weiterführende Schule verlässt? Zu den erwünschten
Fähigkeiten gehört nach Gates: religiöse Inhalte eigenständig ausdrücken zu können; Menschen anderer oder
keiner Religion neugierig zuzuhören; mit Interesse ein
Gespräch über verschiedene Sichtweisen der Religion zu
führen.
Dr. Wim Westerman von der Freien Universität in Amsterdam setzt sich für die Förderung der Fähigkeit, über Religion zu sprechen, ein. Viele Politikerinnen und Politiker
sehen in dieser Fähigkeit einen Beitrag zum gegenseitigen
Verständnis zwischen den Kulturen. Andere Vertreter der
politischen Klasse halten daran fest, dass Religion Privatsache ist. Religion stellt für diese Menschen oft eine
Bedrohung von Kultur und Gesellschaft dar. Westerman
findet es wichtig, dass die Bildungssysteme Strategien
entwickeln sollen, die beiden genannten Gruppen in der
Politik zu ihrem Recht verhelfen sollen. Wie früher, so
wird auch in Zukunft jede der beiden Sichtweisen Anhängerinnen und Anhänger in der Lehrerschaft haben.
Für Schülerinnen und Schüler folgt aus diesen Überlegungen, dass sie hinsichtlich von Kultur und Religion
solides Wissen und ein sicheres Urteil erwerben sollen.
Beides sollte bereits in Kindergarten und Grundschule
aufgebaut werden. Das verstärkt die Sicherheit im Umgang mit Menschen, die hier völlig anders denken. Unter
dieser Voraussetzung werden nach Rabeya Müller, Leiterin des muslimischen Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik in Köln, Begründungen für Lebensdeutungen möglich.
Weitere an dem Wülperoder Colloquium Teilnehmende verstärken die Absicht, dass schulische Bildung zu
sinnvollen Antworten auf die pluralistische Gesellschaft
beitragen. Die Verbindung von europäischer Perspektive
auf der einen Seite, regionaler, niedersächsischer Erfahrung fördert in diesem Sinn sinnvolle Ergebnisse.
43
'bb' 108-2/2004
gottesdienst:stopp!
gottesdienst am buß- und bettag
henry schwier
Jesus Christus spricht:
Alles was ihr wollt, was euch die Menschen tun sollen, das
tut ihnen auch!
Ablauf
1.Eingangsmusik
2. Begrüßung und Eingangsgebet
3. Lied: Lasst uns miteinander,...
4. Lesung / Geschichte
5. Lied: er hält die ganze Welt, in seiner Hand
6. Ansprache und Aktion
7. Lied: Wo ein Mensch Vertrauen gibt
8.Abkündigungen
9.Fürbittengebet
10. Vater Unser
11. Lied: Komm, Herr, segne uns
12.Segen
13. Abschlusslied - Nachspiel
Im Altarraum steht ein großer Spiegel, bedeckt mit einem
großen Tuch. Im Altarraum befindet sich, ebenfalls verhüllt,
auch ein großes Flip-Chart. Wanderschuhe stehen auf dem
Lesepult.
gefragt: „Ist alles in Ordnung? Kann ich so zu meinen
Klassenkameraden und -kameradinnen gehen?“
Am heutigen Tag, dem Buß- und Bettag, machen wir
Christen so etwas Ähnliches. Ich denke, Gott möchte,
dass wir uns selbst ab und zu wie in einem Spiegel betrachten, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich: Ist
alles in Ordnung in meinem Leben?
Auf diese Weise möchte uns Gott etwas klar machen.
Last uns gemeinsam zu Gott beten.
Dazu werden wir still und ruhig, wir können dabei die
Hände falten.
3.Eingangsgebet
Guter Gott,
wir feiern heute gemeinsam Schulgottesdienst. Das ist
für viele etwas Neues. Und auch die Kirche ist ein ganz
ungewohnter Raum. Einige sind ganz gespannt und aufgeregt. Guter Gott, sei bei uns und schenke uns das schöne
Erlebnis deiner Nähe.
Amen.
4. Lied : Lasst uns miteinander...
1.Eingangsmusik
Lasst uns gemeinsam und ganz fröhlich das Lied Nr. 1 auf
dem Liederzettel singen: Lasst uns miteinander,...
2.Begrüßung
Liebe Kinder, liebe Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Gemeinde!
Ich begrüße Sie und Euch ganz herzlich!
Heute ist ein besonderer Tag. Und deshalb fängt für Euch
der Schultag einmal ganz anders an. Statt auf Euren Stühlen in der Schule zu sitzen, sitzt Ihr nun auf Kirchenbänken, hier in einer Kirche. Wir sind also im Hause Gottes.
Hier können wir besonders gut für Gott singen und zu ihm
beten. Und wir wollen über den heutigen Tag nachdenken,
den Buß- und Bettag.
Der Spiegel wird enthüllt.
Ein Spiegel. Vermutlich habt ihr alle heute Morgen schon
in einen Spiegel geschaut, euer Outfit überprüft und euch
44
5. Lesung / Geschichte
Liebe Kinder, liebe Lehrerinnen und Lehrer.
Der Buß- und Bettag ist nicht nur ein Tag, an dem Christen sich fragen: „Ist alles in meinem Leben in Ordnung?“
Da passiert noch mehr.
Was? – Dazu habe ich Ihnen und Euch diese Schuhe
mitgebracht. Die spielen in einer kleinen Geschichte ein
wichtige Rolle:
„Peter wanderte gerne, vor allem mit seinem Vater, der
ihm viele Dinge in der Natur so verständlich erklären
kann. Nun sind sie wieder einmal unterwegs, doch der
Weg ist voller Schlamm und Matsch wohin sie auch treten, denn es hat kurz zuvor stark geregnet. Nur gut, dass
die beiden dicke Wanderstiefel angezogen haben!
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Doch je weiter sie durch den Dreck stapfen, desto mehr
Lehm bleibt an den Stiefeln kleben, und nach kurzer Zeit
sehen diese aus wie zwei riesige Lehmklumpen.
Plötzlich bleibt Peter stehen.
„Ich kann nicht mehr“, klagt er, „meine Füße sind so
schwer, ich komme kaum noch vorwärts!“
„Kein Wunder“, bemerkte der Vater, „an deinen Stiefeln
hat sich zuviel Dreck angesammelt, der dich beim Gehen
behindert. Wir müssen unsere Stiefel immer wieder vom
Schlamm befreien, damit wir besser vorwärts kommen. So
kommen wir nie ans Ziel!“
Das leuchtet Peter ein, und nachdem sie die Lehmklumpen an einem Bach abgespült haben, geht es wirklich viel
leichter voran.“
(Nach: Kurzgeschichten 5, Willi Hoffsümmer)
Der Buß- und Bettag ist für mich auch so etwas wie ein
Waschtag. Natürlich geht es nicht darum Schuhe zu reinigen, sondern es geht um unser Herz, unsere Seele. Wie
das funktioniert zeige ich nach dem nächsten Lied.
6. Lied Nr. 2: Er hält die ganz Welt
in seiner Hand
Lasst uns in unserem nächsten Lied Gottes Zuwendung
an uns besingen:
7. Ansprache / Aktion
Nun wird auch Plakat auf dem Flip-Chart enthüllt. Darauf
steht groß: STOPP. An dem Plakat hängt ein kleiner Zettel mit
der Aufschrift: Jesus Christus spricht: Alles was ihr wollt, was
euch die Menschen tun sollen, das tut ihnen auch!
„So, dann will ich mich mal auf den Weg machen ...“
Umziehen auf „offener Bühne“, Rucksack aufsetzen und loswandern... in der Kirche umher... erst fröhlich: Das Wandern
ist des Müllers Lust... dann immer angestrengter und langsamer... völlig außer Atem vor dem STOPP-Schild halten.
„Was ist denn das hier für ein Schild: STOPP!
Naja,... So‘ ne Pause kann ich ja ganz gut gebrauchen.
So lange bin ich ja noch gar nicht unterwegs, aber mein
Rucksack ist jetzt schon ganz schön schwer.
Ich will ihn mal absetzen.
Oh Mann, warum ist der denn nur so schwer? Ich muss
mal schauen, was ich denn so alles dabei habe... (Nachsehen im Rucksack)
Mein alter Fußball!!! Toll. Fußball spiele ich gern. Aber
irgendwie erinnert er mich an diese dumme Geschichte.
Deshalb habe ich ihn ja auch im Rucksack versteckt. Damals, als ich die Scheibe in der Haustür von Müllers eingeschossen. Klar, dass ich da abgehauen bin, so schnell
ich nur konnte. Weiß keiner, dass ich es war. Blöder Ball.
Ach, das alte Buch!!! Das hab ich ja schon vergessen,
dass ich das hier versteckt habe. Wegen diesem Buch lag
ich voll mit Rainer in Streit, der wollte mir das immer
wegnehmen. Da hab ich’s einfach versteckt. O.K. eigentlich war‘s seins - aber er hat doch sowieso nicht darin
gelesen, und ich fand es spannend. Blödes Buch.
Oh, ein Baseball-Schläger!!! Sieht ja richtig gut aus.
Und liegt gut in der Hand. (Schwingende Bewegungen mit
dem Baseballschläger. Zunächst fröhlich, dann verfinstert
sich der Gesichtsausdruck.) Wisst ihr was? Dieser blöde
Schläger erinnert mich auch an eine dumme Geschichte.
Als ich da neulich von der Schule nach Haus gegangen
bin, hab ich gesehen, wie sich zwei gestritten haben. Erst
haben sie sich angebrüllt, aber dann holt der eine doch so‘
n Knüppel raus und will auf den anderen draufschlagen.
Ich konnte gar nicht hinsehen. Ich bin einfach schnell
weitergegangen und hab so getan als wäre nichts. Aber
ich hab‘s natürlich gesehen und hätte Hilfe holen können.
Ich jetzt muss ich doch immer wieder an die Geschichte
denken. Blöder Baseballschläger.
Zettel auf dem zu lesen ist „Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen“ darunter zwei unleserliche Unterschriften: Was soll denn das? (Denkt nach.
Kratzt sich am Kopf. Ließt die Worte noch einmal leise vor.
Zerknüllt dann den Zettel und wirft ihn weg.) Ach, Nina.
Ehrenwort. Was soll ‘s? Kannst du vergessen. Natürlich
hab ich ihr versprochen niemandem zu erzählen, dass
Nina ihre Aufgaben nicht erledigt hatte. Ich hab‘s dann
aber doch gesagt. Naja, Nina ist sowieso nicht meine
Freundin … und blöd war sie auch... Warum denk ich nur
daran?
Tja, nun ist mein Rucksack leer... (erstaunt): Der ist ja
ganz leicht geworden! Eigentlich sind die Sachen ja auch
garnicht so schwer. Wenn sie mich bloß nicht an diese
ganzen anderen Geschichten erinnern würden. Naja, mir
doch egal. Was soll‘s? (Pause) Aber meine gute Laune ist
dahin. ( Blickt genervt vor sich hin.) Zu dumm, dass mich
dieses Schild gestoppt hat. (Blick auf das große Schild)
Komisch??? Was ist denn das?
Da klebt ja noch ein kleines Schild auf dem großen Schild:
Jesus Christus spricht:
Alles, was ihr wollt, was euch die Menschen tun sollen,
das tut ihnen auch!
(2 x wiederholen)
Was soll denn das heißen? (Nachdenklich, dann langsam
Wort für Wort) So, wie ich von anderen behandelt werden
will, so soll ich sie auch behandeln. (Dann Bewegung:
Hand gegen Stirn: Die Erleuchtung) Jetzt verstehe ich! (Wiederholt) So, wie ich von anderen behandelt werden will, so
soll ich sie auch behandeln.
(Umschauen)
45
'bb' 108-2/2004
All diese Sachen hier haben meinen Rucksack merkwürdig schwer gemacht.
11.Vater unser im Himmel
(Überlegend. Nimmt dann einzelne Gegenstände in die
Hand.)
12.Lied: Komm, Herr, segne uns
(Ball) – Ich möchte nicht, dass meine Sachen kaputt gemacht werden.
(Zettel) – Ich möchte, das andere ihr Versprechen halten.
(Schläger) – Ich möchte, dass andere nicht wegschauen
und helfen, wenn ich bedroht werde.
(Buch) – Ich möchte nicht belogen und bestohlen werden.
Oje, da hab ich aber manchmal ganz schön viel falsch
gemacht!
Kein Wunder, dass mir die Erinnerungen den Weg schwer
machen.
Das mache ich nicht noch einmal.
Ich will mich in Zukunft bemühen, dass anders zu machen.
Tja. Eigentlich ist das gar keine schlechte Idee von Jesus:
„Alles, was ihr wollt, was euch die Menschen tun sollen,
das tut ihnen auch!“
So sollten es alle machen.
Mit dem nächsten Lied bitte wir um Gottes Segen, um
Gottes gute Kraft für uns:
13.Segen
Gott tröste dich, wenn du traurig bist.
Gott lache mit dir, wenn du dich freust.
Gott sei bei dir, wenn du dich einsam und verlassen fühlst.
Gott segne und behüte dich,
heut und in der kommenden Woche.
Amen.
(Abgang)
8. Lied: Wo ein Mensch Vertrauen gibt.
Wir wollen nun das Lied Nr. 3 singen.
9.Abkündigungen
10.Lasst uns gemeinsam beten:
Guter Gott,
wir danken dir, dass du uns die Möglichkeit gibst,
immer wieder über uns und unser Verhalten nachzudenken.
Dann zeigst du uns, wo wir Böses denken, sagen oder tun.
Wir danken dir, dass du dich trotz unserer Fehler immer
wieder zu uns wendest.
Du meinst es gut mit uns.
Wir bitten dich um Frieden in unseren Familien, in den
Schulklassen, in Vereinen und unter Freunden.
Wir bitten dich um Frieden in der ganzen Welt, besonders
dort, wo er sehr bedroht ist wie in Israel...
Wir bitten dich um Gerechtigkeit, damit Hunger und Armut aus dieser Welt verschwinden.
Wir bitten dich um deinen guten Geist, damit wir unsere
Zeit sinnvoll und gut ausfüllen.
Gemeinsam beten wir das Gebet, dass Jesus selbst uns
lehrt; es steht auch auf dem Liederzettel:
46
'bb' 108-2/2004
fachbeitrag:bildungstheoretische reflexionen
zur frage nach bildungsstandards
im unterrichtsfach evangelische
religionslehre – herausforderungen
und konsequenzen für die biblische
didaktik
jutta siemann
1.
Die Bildungsverantwortung von Theologie und Kirche ist
kein neuer Gedanke, vielmehr ist Bildung von Anfang an
genuiner Bestandteil jüdisch-christlicher Glaubenstradition. Um den vorgegebenen Zeitrahmen nicht zu sprengen,
verzichte ich hier auf einen Überblick über das Thema
Bildung in Bibel und Geschichte. Auch muss ich voraussetzen, dass in etwa die Ergebnisse der Bildungsstudien
Pisa, TIMMS und Iglu bekannt sind. Gegen zwei Tendenzen der Theologie möchte ich mich abgrenzen:
 Gegen die Abwehr der Formulierung von Bildungsstandards und anzuzielenden Kompetenzen für das Unterrichtsfach Evangelische Religionslehre.
 Gegen den Trend, theologisch unreflektierte
Theorieimporte aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zu übernehmen und zudem ahistorisch zu
argumentieren.
Bei ihrer wichtigen Teilnahme an der Bildungsdebatte hat
die Theologie und in ihr besonders die Religionspädagogik und Fachdidaktik zu klären, welchen Bildungsbegriff
sie hat und ihn offensiv zur Geltung zu bringen, zumal die
Erziehungswissenschaft die anthropologischen Elemente
des Bildungsbegriffs kaum noch bedenkt, von den spirituellen Elementen ganz zu schweigen. Für die religionspädagogische Forschung relevant sind vor allem die PISAIndikatoren für Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im
Bereich Leseverständnis. (Es sei an die klassische biblische Formulierung der hermeneutischen Frage erinnert:
„Verstehst du auch, was du liesest?“ (Apg 8, 30))
Darüber hinaus sind die Ergebnisse zu den „cross-curricular competencies“ von großer Bedeutung. PISA erfasst
außerdem die bereichsübergreifenden Basiskompetenzen
im Problemlösen und bei Kooperation und Kommunikation, welche beim selbstregulierten, methodischen und
kooperativen Arbeiten zur Geltung kommen.
Im Folgenden setze ich mich mit Friedrich Daniel Ernst
Schleiermachers Bildungstheorie auseinander, die theologisch, philosophisch, geschichtlich und gesellschaftlich
reflektiert ist und für die heutigen Herausforderungen
weiterentwickelt werden kann.
2.1
Schleiermacher griff in die Bildungsdebatte seiner Zeit ein
und machte sich theologisch und interdisziplinär verständlich weit über den Raum von Theologie und Kirche hinaus.
Schleiermacher hat einen ontologisch-kosmologischen
Begriff von Bildung, führt uns jedoch von den Abstraktheiten seiner ontologischen Reflexionen bis zu einer klaren
historischen Situationsbestimmung mit ihren mittel- und
langfristigen Tendenzen zur Erkenntnis der Herausforderungen und Bildungsaufgaben und einem verantwortlichen
Entwurf verbindlicher Lösungswege. Schleiermachers
kategorialer Bildungsbegriff beruht auf einem Menschen-,
Welt- und Geschichtsbild, das den Prozess des Werdens
und des Sich-Entfaltens zentral sieht.
Bildung ist für Schleiermacher der „Prozess des eigentlichen Menschwerdens“ und immer mit religiös-fundierter
Selbstbildung sowie Selbsttätigkeit verknüpft. Insofern ist
Bildung dialektisch zu sehen als Bildung um ihrer selbst
willen und Ausbildung für das innovative Leben in der
Gesellschaft:
„Die Erziehung soll so eingerichtet werden, dass beides
in möglichster Zusammenstimmung sei, dass die Jugend
tüchtig werde, einzutreten in das, was sie vorfindet, aber
auch tüchtig in die sich darbietenden Verbesserungen mit
Kraft einzugehen.“1
Damit bewegt sich Schleiermacher auf dem Boden
des modernen Problembewusstseins, nicht aber der Gewissheiten der Theoretiker der sog. Postmoderne. Denn
Schleiermacher kämpft „wider das Extrem des Nützlichen“ und gegen die „Wut des Verstehens“ als zweckrationales Kalkulieren. Seine Schlüsselbegriffe sind
Selbständigkeit, Erfahrung, unmittelbares Selbst-
47
'bb' 108-2/2004
Bewusstsein, also personale Kompetenzen. Diese sind
nicht kompatibel mit heute kursierenden „Schlüsselqualifikationen“, in denen der Umgang mit Wissen das
Verwalten, Filtern und Selektieren von Informationsmengen meint. Zu Schleiermachers Bildungsorten gehören
Kirche, Staat, Wissenschaft, geselliger Verkehr, Haus und
Familie. Weder unser Kulturbetrieb noch unsere Familien sind Orte der Muße, die der (von Schleiermacher so
formulierten) „Innerlichkeit“ dienen. Gerade deshalb ist
seine Kritik an Außenleitung und Entfremdung des Menschen von sich selbst weiterhin gültig und leitend in der
gegenwärtigen Kriterienbildung. Schleiermacher ist nicht
in Anspruch zu nehmen für ein Konzept der civil religion.
Ein Religionsunterricht (RU), der sich als Lieferant von
„Werten“ für alle funktionalisieren lässt, kann sich auf
Schleiermacher nicht berufen. Vielmehr geißelt Schleiermacher den Dienst der Religion und des Christentums an
der Fundierung und Stabilisierung von Recht und allgemeiner Sittlichkeit des Gemeinwesens. Das ethische Ideal
wird vielmehr durch die Bildung des Inneren verfolgt. Auf
der Basis von Gottes-, Selbst- und Weltgewissheit zielt die
Entwicklung der Innerlichkeit auf den Gewinn von Selbstbewusstsein, Freiheit, Zielstrebigkeit, Verantwortungsund Liebesfähigkeit des mündigen Menschen.
Halten wir Schleiermachers Anspruch fest: Bildung
als Bildung um des Menschen willen, Bildung auch als
innere Bildung, Bildung zur Entwicklung von eigener
Urteilskraft, Kreativität und Eigenverantwortlichkeit der
Persönlichkeit eingebettet in die Bezüge zu den großen
Gemeinschaften, Bildung als lebenslanger Prozess des
„eigentlichen Menschwerdens“, Bildung als Reflexion der
ganzen Wirklichkeit. Jedes Bildungskonzept sollte nach
der ihr zugrunde liegenden Anthropologie und Ontologie
befragt werden und ihre Tiefendimension ausgelotet werden. Erfreulicherweise legen heutige Bildungsstudien (so
auch die Delphi-Befragung von Prognos/Infratest) großen
Wert auf personale Kompetenzen (wie Selbstbewusstsein,
Reife im Urteil, ethische und sogar religiöse Urteilfähigkeit) sowie soziale Kompetenzen (wie sprachliches Ausdrucksvermögen, Beziehungsfähigkeit, Rücksicht).
In den weiteren Ausführungen ist zu prüfen, inwieweit
die noch nicht abgegoltene Theorie Schleiermachers mit
ihrem kategorialen, nicht-partikularen, entwicklungsoffenen Bildungs­begriff in der gegenwärtigen Theorie
und Praxis der Religionsdidaktik produktiv rezipiert
wird. Aus thematischen Gründen beschränke ich mich
auf Theorie und Praxis der Bibeldidaktik, aus zeitlichen
Gründen auf die Epoche der letzten 10 Jahre. Im letzten
Teil gehe ich aus dem dargelegten Bildungsverständnis
unter Berücksichtigung der empirisch-analytisch gewürdigten Bibelunterrichtspraxis auf die Konsequenzen aus
der Bildungsstandard-Debatte ein und formuliere, welche
Kompetenzen die Bibeldidaktik anzustreben hat.
48
2.2
Die klassische Aufgabe der Bibeldidaktik besteht darin,
eine Brücke zu schlagen vom Text zum gegenwärtigen
Rezipienten.
In den letzten zehn Jahren verschafft sich die Relevanzfrage größere Bedeutung gegenüber der Erkenntnisfrage.
Textstruktur und ursprünglicher Textsinn treten verbreitet in den Hintergrund gegenüber der jeweils kontextuellen, situations- und leserbezogenen (subjektiven) Bedeutung von Bibeltexten. Klaus Wegenast etwa, der sich als
Exeget und Religionspädagoge versteht, fordert, dass eine
„Hermeneutik“ biblischer Texte zuerst von den Schülern
selbst geleistet werden sollte. Sie sollen es sein, die nach
der Aussage eines Textes fragen und nach Antworten auf
diese Fragen suchen.“2
Bei dieser schülerzentrierten Bibelhermeneutik bestimmten in den letzten Jahren die Schlüsselbegriffe
„Erfahrung“ und „Wahrnehmung“ die Debatte. Im Text
bezeugte Erfahrungen zu erkennen, Erfahrungen mit dem
Text zu machen, bedeutet nach meinem Verständnis, Gefühl und Erleben zu reflektieren und zu verarbeiten. Vielerorts trat aber unter dem Anspruch der „Ganzheitlichkeit“ an die Stelle der jahrelang kritisierten Verkopfung
des RU eine Art „Verbauchung“, so dass Bizer bereits vor
einer „Ideologie der Betroffenheit“ warnte. Vernachlässigt wurde das begriffliche Lernen, das auch schon für die
Grundschule unerlässlich ist, um das in der Pisa-Studie
untersuchte Leseverständnis zu erreichen und die sprachlichen Aus­drucksmöglichkeiten der Schüler und Schülerinnen zu erweitern.
Um ein Beispiel zu nennen: Bei der Durchführung
einer Unterrichtsreihe im Rahmen der Schulpraktischen
Studien über Gen 1,1 – 2,4 rieten zwei Mentorinnen (eine
Grundschulleiterin und eine Religionslehrerin, die Fachleiterin an einem Studienseminar gewesen war), das Wort
Schöpfung zu vermeiden und stattdessen das den Grundschülern vertrautere Wort „Natur“ zu verwenden und auf
Um­weltschutz abzuzielen. Damit wären die Kinder aber
um die grundlegende Thematisierung des Verhältnisses
des Menschen zu Mitwelt und Gott gebracht worden. Sie
hätten keine theologischen Reflexionen über das Leben
als Geschenk angestellt. Sie hätten nicht erfahren, dass
in der Bibel auch Texte zum Staunen, Sich-Freuen und
Dankbarsein stehen, dass es nicht immer nur um politisch-ethisch korrekte Antworten geht, sondern dass zuallererst der Mensch von Gott empfängt.
So wie der Erfahrungsbegriff differenziert zu sehen ist
und nicht seiner kognitiven Komponente zu berauben ist,
umfasst Wahrnehmung mehr als die Sinneskomponente. („Wie hast du den Bibeltext erlebt?“) Ich erinnere an
Henning Schröers Einwurf, der englische Begriff „realize“
treffe das Bedeutungsfeld von Wahrnehmung besser, das
auch ein Für-wahr-Nehmen, Erkennen, in Handlung Umsetzen beinhalte.
Die Einbeziehung der kognitiven, kreativen, handlungsorientierten Inhalte entspricht jedenfalls eher dem
Schleiermacherschen Bildungsverständnis, das ja nicht
'bb' 108-2/2004
nur den „Sinn für“, sondern auch den „Begriff von“ entwickeln möchte und dessen wichtige Kategorien Sinn
(Gefühl) und Verstehen sind. Die Erfahrungen, die in der
Bibel bezeugt werden, bestätigen durchaus nicht immer
unsere Alltagserfahrungen, sondern bieten auch Fremdes,
Gegen-Erfahrungen, die uns sperrig und widerständig
gegenüberstehen, unsere Alltagsratio hinterfragen, uns
mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren. Das biblische
Menschenbild ist realistisch, das menschliche Selbstbild
aber nicht.
Die Erfahrung im Schleiermacherschen Sinn umfasst
auch eine tiefe Selbstwahrnehmung, die im RU meist
nicht angestrebt wird. Angesichts der heute viel bedrängender bewusst gewordenen Fragmentarität und Abgründigkeit des Menschen ist auch Schleiermachers Theorie
zu modifizieren und die Rechtfertigungsbedürftigkeit des
Menschen stärker zu akzentuieren. Wenn nach langer Arbeit an der Kain- und-Abel-Geschichte Grundschüler/innen
eine Täter/ Opfer-Situation aus ihrem Leben malen sollen,
so zeigen die Bilder fast ausnahmslos die Malenden in der
Opfer-Rolle. Ist hier eine mögliche theologische Erkenntnis, die des „Kain in uns“, die Potenzialität des Menschen,
schuldig zu werden, zu unangenehm, um wahrgenommen
zu werden?
Andererseits erkannten die Kinder theologisch zutreffend, dass die Kain- und-Abel-Geschichte mit dem
Kains- Mal auch ein Versöhnungsgeschehen beinhaltet
und lehnten es im Brückenschlag zu ihrer Lebenswelt ab,
dass ein Vater einer Tochter aus der betreffenden Klasse
den Umgang mit einer Freundin verbietet. Diese hatte
einen Stein nach ihr geworfen, aber das Mädchen hatte ihr
schon längst verziehen.
In einer anderen Schulklasse formulierten die Schülerinnen und Schüler:
„Gott will nicht, dass das Töten immer weiter geht“, nachdem ihnen die Bedeutung des Kainsmals als Schutzzeichen klar geworden war. Auf welch hohem Niveau bereits
Kinder in der Grundschule theologisieren können, verdeut­
licht folgender Interviewausschnitt mit Katrin, einem
Mädchen aus dem vierten Schuljahr:
I.: „So. dann wollen wir uns das Bild von Gott anschauen, das du gemalt hast. Erzähl‘ bitte was dazu“.
Katrin: „Na ja, Gott kann ... ist eigentlich mehr oder weniger alles. ... Aber in der Taube, da ist mehr oder weniger alles im Verhalten da drin. Weil, die Taube ist
leise, kann fliegen. Eigentlich ist die Friedensüberbringerin, also das ist ja auch bei der Arche Noah so.
Da wird sie los geschickt und nicht irgendein anderes
Tier. Nicht irgendein schneller Fisch oder so was,
sondern sie, und hat dann auch das Land gefunden“.
I.: „Hattest du früher, als du kleiner warst, eine andere
Vorstellung von Gott“?
K: „Da habe ich gedacht, Gott ist irgendwie einfach da.
Er ist da. Da dachte ich immer, das ist wie so ein unsichtbarer Himmel, wo er ist. Also, unter uns, immer
überall, habe ich immer gedacht, und ich wusste eigentlich nicht, womit man das vergleichen kann. Das
ist einer, der immer da ist, habe ich immer gesagt“.
I.: „Denkst du jetzt anders über Gott“?
K: „Nö, eigentlich nicht viel, aber ich kann ihn jetzt mit
etwas vergleichen. Früher konnte ich das nicht. Da
wusste ich immer nicht, wie ich das machen soll“.
Von sich aus gelangt Katrin zu der theologisch bedeutsamen Erkenntnis, dass man von Gott nur in Analogien oder
Vergleichen, wie sie sich ausdrückt, reden kann. Sie findet
im Verlauf des Interviews mehrere solche Analogien,
durch die sie sich darüber Klarheit verschafft, wo­mit Gott
verglichen werden und wie sie über Gott reden kann.“3
Dass Kinder altersstufengemäß theologisieren können,
wenn sie aufmerksam gemacht und fragend herausgefordert werden und vor allem selbst in ihren Fragen gefördert werden, ist in den letzten Jahren vielfach beschrieben
worden. Das Theologisieren von Kindern in den Blick
gerückt zu haben, ist vor allem das Verdienst von Ingo
Baldermann, John Hull, Rainer Oberthür, Gerhard Büttner,
Helmut Hanisch, Anton A. Bucher.
2.3
Ich komme nun zu einer gerafften Darstellung des empirisch erhobenen Bibelwissens von Kindern und dessen
Bedeutsamkeit für sie. Zunächst ist festzuhalten, dass
9-11jährige deutsche Grundschüler/innen Bibelunterricht
sehr mögen, 61% verbinden Glücksgefühle mit bib­lischen
Geschichten und vergeben einen strahlenden Smiley☺.4
Auch in anderen Untersuchungen führen mehr als zwei
Drittel die Bibel auf Gott zurück, und noch mehr sagen,
sie sei wichtig, spannend, wahr und gut.5 In der Hitliste
der biblischen Lieblingsgeschichten liegt Moses auf Platz
1 vor Noah und Adam und Eva. Sehr bekannt und beliebt
sind auch die Geschichten um Abraham, Sarah, Isaak,
sowie um Jakob und Esau, David und Goliath, Jona. Hanisch und Bucher sind der Ansicht, dass die Beliebtheit
der Gestalt Moses mit dem Kinofilm „Prinz von Ägypten“
zusammenhängt. Die Beliebtheit der Sintflutgeschichte
wird mit dem Vorkommen der für Kinder so wichtigen und
beglückenden Tiere erklärt.6
Die Vätergeschichten prägen sich wahrscheinlich wegen des Motivs der Geschwisterrivalität und der möglichen Ungleichbehandlung ein. Aus dem Neuen Testament
wurden am häufigsten Geburt und Kindheit Jesu genannt
(zu 54%), die Passionsgeschichte (41%) und mit Abstand
die Auferstehungsgeschichte (30,9%). Die Befragten listeten signifikant mehr alt- als neutestamentliche Motive
auf. Mädchen führten mehr Geschichten an als Jungen,
auch die durch multiple-choice-Aufgaben nachgeprüften
Inhalte wurden von Mädchen häufiger richtig wiedergegeben. Insgesamt nannten die Kinder bei den alttestamentlichen Geschichten weit mehr richtige Antworten als bei
den neutestamentlichen.7
49
'bb' 108-2/2004
Mit der Frage: „Was hat deine Lieblingsgeschichte mit
deinem Leben zu tun?“ taten sich die Kinder schwer und
gaben – was mich nicht wundert – Antworten wie, „dass
die Geschichte zu Heiligabend gehört“. Eine Frage wie:
„Was will die Geschichte dem Hörer sagen?“ hätte demgegenüber die Kinder nicht unterfordert, und die Autoren
hätten möglicherweise dann nicht beklagen müssen, dass
nur 6% der Betroffenen explizit theologische Aussagen
machen.8 Denn persönliche Relevanz und theologische
Aussagen eines Textes sind nicht identisch. Subjektive
Bedeutung haben biblische Texte nicht zu jeder Zeit für
jeden in gleicher Weise. Es können in verschiedenen Entwicklungsstadien oder Lebenssituationen manche Aspekte subjektiv bedeutsamer werden. Darauf weisen sowohl
die Strukturalistischen Stufentheorien des Glaubens nach
Oser/Gmünder und Fowler hin als auch die neuere Lebenslaufforschung mit ihren Tiefeninterviews. Jedenfalls
wollten die Befragten mehr biblische Geschichten kennen
lernen. Als Desiderat bleibt offensichtlich, dass mehr
Wert darauf zu legen ist, was an jeder Ge­schichte jeweils
theologisch zu lernen ist, so wie es in der Schule Ingo Baldermanns prakti­ziert wird.
In vergleichbarer Weise kommen Büttner und Thierfelder im Blick auf das von ihnen empi­risch untersuchte
Jesus-Bild von Kindern und Jugendlichen zu dem Schluss,
dass diese Be­fragten abgespeist werden mit dem „Umwelt-Jesu-Thema“ und doch selbst Anstoß geben für
die Aufnahme der christologischen Diskussion in allen
Altersstufen. Auch Büttner/Thierfel­der argumentieren
mit vorliegenden empirischen Studien, die gezeigt haben,
„dass Kinder und Jugendliche durchaus fähig sind, die
bleibenden großen Fragen der Theologie zu bedenken“,
und – so wörtlich – : „Es ist eine andere Frage, ob wir
Lehrer/innen überhaupt fällig sind, solche Beiträge adäquat aufzunehmen.“9
3.
Mein Resümee lautet: Kinder werden als theologische
Subjekte nicht ernst genug genommen, sie werden unterfordert. Dem Schleiermacherschen Augenmerk auf
die „Selbsttätigkeit“ wird nicht Genüge getan. Schleiermachers Prinzip der Ausrichtung auf das Ganze hin und
sein religionspädagogisches Ziel der Mündigkeit werden vielfach verfehlt. So führt er in seiner „Praktischen
Theologie“ aus: „...die christliche Jugend soll selbständig
sein im religiösen Leben, dass sie für sich selbst verantwortlich sein und im Stand sein muss, sich das Maß ihrer
Handlungen zu setzen, sich die Norm zu geben; sie muss
reif sein um überall ein christliches Urteil zu fällen über
Recht und Unrecht in ihrem eigenen Gebiet. Es muss eine
Klarheit sein in der Seele über die Prinzipien des christlichen Lebens und eine Übung in der richtigen Subsumption
des einzelnen unter die Principien.“10
Nicht dass die Kinder bei einer Unterrichtsreihe über
die Josephsgeschichte ausprobieren dürfen, wie sich Korn
anfühlt, macht die Ganzheitlichkeit und Kreativität im
50
RU aus. Ich verwei­se nochmals auf meine Ausführungen
über den Erfahrungsbezug. Ohne die Ausbildung einer
begrifflichen Denk- und Sprachfähigkeit können Erfahrungen nicht verarbeitet werden. Gerade die Länder wie z.B.
Schweden, die ihren Schüler/innen viel kreativen Freiraum geben – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn -,
Selbsttätigkeit und Kooperation fördern, schneiden in der
Pisa-Studie bei allen Indikatoren besser ab. Dies gilt übrigens auch für die Bielefelder Laborschule, in der didaktisch optimale Bedingungen herrschen. Die Selbsttätigkeit
ist vor allem auch bildungsrelevant in der Beteiligung an
einer Metaebene des Lernens: Bedingungen des Lernerfolgs mitzugestalten, mitzureflektieren und mitzubeurteilen. Dazu bedarf es zwischen Lehrpersonen und Schüler/
innen des Bewusstseins einer Lerngemeinschaft sowie
eines gesellschaftlichen Konsenses über das Lernen, der
in Deutschland nicht gegeben ist.11
Eine selbstevaluierende Mitsteuerung von Lernprozessen enthält die Anlässe zur Ausbildung von Theoriefähigkeit, die wie bereits betont schon im Grundschulalter
angebahnt werden muss.
Es könnten z.B. regelmäßig von jüngeren Schüler/innen die Fragen gestellt werden „Warum haben wir diesen
Stoff behandelt? Was haben wir daran gelernt?“, wie das
ja im häuslichen Rahmen durchaus der Fall ist. Wenn
deutsche Lehrer/innen solche Prozesse nicht fördern,
dürfen sie sich nicht auf dem positiven Ergebnis der IgluStudie für die Grundschulen ausruhen, sondern sie sind
mitverantwortlich für den starken Einbruch zu den Sekundarstufen hin. Wo Sinnerschließung nicht eingeübt wurde,
fehlt nachher z.B. das Leseverständnis, bei dem deutsche
Schüler/innen im internationalen Vergleich erschreckend
schlecht abschneiden, in früheren OECD-Untersuchungen übrigens auch schon ihre Lehrer/innen. Im Blick auf
die Biblische Didaktik heißt das: die spannend erzählten
biblischen Geschichten tragen nicht in die Sekundarstufen
hinein, in denen das Interesse an der Bibel beispielsweise
wegen intellektueller Schwierigkeiten bei den Wundergeschichten radikal absinkt.
Wenn Wundergeschichten bereits in der Grundschule als Hinweis und Veranschaulichung des verheißenen
Reich Gottes behandelt würden, hätten die Jugendlichen
keine Veranlassung, diese als Märchen abzutun und intellektuelle Vorbehalte gegen die Bibel als Ganzes geltend zu
machen.
Wie sich in den von mir verantworteten Schulpraktischen Studien bestätigt hat, können Grundschüler/innen
durchaus die theologische Wahrheit einer Geschichte im
übertragenen Sinn erkennen. Sie können Himmel im Sinne von sky und heaven unterscheiden, das Reich Gottes
auf Grund biblischer Texte qualifizieren und ihre Hoffnungen in den Verheißungen der Propheten wie des Neuen
Testaments wieder finden. Dass sie auch symbolisieren
können, wurde bereits an dem zitierten Beispiel der Viertklässlerin deutlich. Sinnerschließendes Lernen ist ohne
die Ausbildung und Beanspruchung einer Begabung zum
Denken nicht möglich.12
'bb' 108-2/2004
Das vordergründig oft berufene Subjekt wird in der
Schule vielerorts nicht ernst genommen. Unterrichtsplanung für denkende Schüler/innen ist anstrengender als
für solche, die sich etwas vordenken lassen – oder auch
nur eine Beschäftigungstherapie geboten bekommen. Und
doch muss umgesetzt werden, was die allgemeine Bildungstheorie und die neuere Reli­gionspädagogik fordern:
Abrücken vom Vermittlungsbegriff hin zur Ermöglichung
der An­eignung durch die Schüler/innen. Dass Aneignung
nicht nach dem Kriterium der geringstmöglichen geistigen Anstrengung er­folgen kann, dürfte deutlich geworden sein.
Wesentliche Schritte in diese Richtung können die
Lehrkräfte tun, indem sie den Schülern und Schülerinnen mehr zutrauen und ihren Unterricht anspruchsvoller
gestalten. Es sollten übertragbare Lern- und Problemlösungsstrategien eingeübt werden („Lernen des Lernens“).
Lehrkräfte sollten den Unterricht gemeinsam mit den
Schülerinnen und Schülern reflektieren und auswerten.
Die Flow-Erfahrung in der Schule hat nichts mit dem
vordergründigen Konzept des „Spaßes am Lernen“ zu tun.
Auch biblische Geschichten sollten nicht bloßer Gegenstand von Erlebnispädagogik sein. Erst die engagierte
denkerische, emotionale und handlungsorientierte Vertiefung in den Bildungsgegenstand erwirkt die Freude an der
Kompetenzbestätigung und -erweiterung.
Als Kompetenzen, die Religionsunterricht zu vermitteln
hat und die in der allgemeinen Bildungsdebatte kommunizierbar sind, erachte ich für angemessen: Bildung als
Kompetenz
 zum Umgang mit der Wahrheitsfrage,
 zur Bedeutungsgebung (transzendentale
Dimension),
 zur Selbstbildung,
 zur Ausgestaltung von Beziehungen.
Solche Kompetenzen lassen sich nicht gleichsam technologisch für eine Optimierung von Lernprozessen funktionalisieren. Dies ist im übrigen auch in der wissenschaftlichen Diskussi­on um die Konsequenzen aus den großen
Bildungsstudien nicht intendiert, aber ist von der Ökonomie in ihrem Sinne von Optimierung nach dem Muster
industrieller Fertigung und kurzfristiger Verwertbarkeit
durchaus gemeint. Eine religiöse Schlüsselqualifikation,
gerade auch für die Biblische Didaktik, ist die Erinnerungs- und Utopiefähigkeit.
Eine solche Schlüsselqualifikation ist entwicklungsoffen im Schleiermacherschen Sinn, da das Subjekt hier als
geschichtliches Wesen mit einer sozialen Verantwortung,
auch auf Zukunftsgestaltung hin verstanden wird, religiös beheimatet und gefeit gegen die Tendenz zur Außensteuerung.
Der bisher einzige veröffentlichte evangelische Versuch, im Rahmen eines Bildungsplans Kompetenzen
für Schüler und Schülerinnen im Religionsunterricht zu
formulieren, stammt vom Pädagogisch-Theologischen Institut Stuttgart, Haus Birkach. Leider bleiben die Klassen
1-4 bisher ausgespart, in denen doch, wie wir gesehen
haben, die kognitiven und sprachlichen Grundlagen für die
Sekundarstufen gelegt werden. ; Zur ..Dimension“ Bibel
heißt es dort für die 5./10. Klasse: „Der evangelische Religionsunterricht will dazu beitragen, die Bibel als „Heilige
Schrift“ und „Lebensbuch“ zu verstehen und Interesse
und Freude am Lesen und Hören biblischer Ge­schichten
zu wecken.“
Außer Faktenwissen und technischen Fertigkeiten im
Umgang mit der Bibel werden genannt: „Die Schülerinnen
und Schüler sind in der Lage, sich mit ihren Fragen und
Erfahrungen an der Auslegung eines biblischen Textes zu
beteiligen und ... biblische Geschichten kreativ zu bearbeiten.“ Das Themenfeld „Die Bibel kennen lernen“ enthält
neben wiederum historisch-technischem Wissen die „individuelle Auseinandersetzung mit ausgewählten biblischen
Texten (z.B. 2. Mose 3; 5. Mose 6; Psalm 23; Lk 2,1- 40;
Lk 15)“.13
Die hier zitierten in der Biblischen Didaktik anzuzielenden Kompetenzen sind noch zu wenig substantiiert.
Es wird nicht deutlich, was an den ausgewählten Texten
gelernt werden soll, das auch transferierbar ist auf das
Herangehen an andere biblische Texte. Die Orientierung
am Ganzen fehlt.
Der Anredecharakter der Bibel tritt hier hinter den Erfahrungen der Adressaten zurück. Das Entdecken dessen,
was ich schon weiß, bildet jedoch noch keine Kompetenzerweiterung. Deshalb ist die Erfahrungserweiterung, die
geistige Auseinandersetzung mit den Gegen-Erfahrungen,
Herausforderungen, dem Fremden und Widerständigen
der Bibel stärker zu gewichten.
Wenn die Schülerinnen und Schüler die Bibel wie zitiert
als „Heilige Schrift“ und „Lebensbuch“ verstehen sollen,
müssen die Kompetenzen dies inhaltlich einlösen. Als
Vorschläge für die Biblische Didaktik – nicht das Gesamtspektrum des RU – nenne ich:
 Die Schüler verstehen das biblische Menschenbild, das den Menschen als von Gott in
seinem Personsein und seiner Würde konstituiert und zugleich als versöhnungs-, rechtfertigungs- und erlösungsbedürftig sieht.
 Die Schüler/innen können in den Texten das
lebensförderliche Handeln Gottes erkennen.
 Sie entdecken die heilsgeschichtlichen Aussagen von Bibeltexten. (Der ganze oikos als Gottes
Schöpfung, die Zukunft als Gottes Eschaton.)
 Sie benennen in den biblischen Texten die Verheißungen beispielsweise von Freiheit, Frieden,
Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
 Sie können in gesamtbiblischen Zusammenhängen denken und die Verheißung „Ich bin bei
euch!“ in einem Bogen, der sich vom Alten zum
Neuen Testament spannt, als Aussage wieder
finden.
 Sie leiten, vor allem aus den biblischen Berichten und Erzählungen über Jesus, Kriterien für
die christlich-ethische Urteilsbildung in heutigen
Fragen ab.
51
'bb' 108-2/2004
Die Konsequenzen für die Befähigung der Religionslehrkräfte liegen in den bekannten Desi­deraten nach disziplinübergreifender Kooperation in theologischen Fachbereichen und gemeinsamer Formulierung von Kompetenzen
für die zukünftigen Religionslehrerinnen und -lehrer.
Die Grundvoraussetzung die Schleiermacher nennt, ist
die Liebe zum Edukanden und das Bewusstsein um die
Unverfügbarkeit seiner Person. Ob Bildung sich auch als
spirituelles Geschehen im Schleiermacherschen Sinn vollzieht, bei dem die Schüler/innen die Bildungsinhalte aus
eigener Urteilskraft in ihr Selbst-, Welt- und Geschichtsbewusstsein integrieren und entsprechend handeln, liegt
nicht in der Hand der Lehrperson. Aber sie hat die Bildungsvoraussetzungen zu schaffen.
Bemerkungen
1
Friedrich D.E. Schleiermacher, Über den Beruf des Staates zur
Erziehung (1814). Werke in vier Bänden, Bd. I, 44
2
Klaus Wegenast, Wie ernst sollen wir die Naivität von Kindern
nehmen?, in: KatBl 115, 188
3
Helmut Hanisch/ Anton A. Bucher, Da waren die Netze randvoll.
Was Kinder von der Bibel wissen, Göttingen 2002,108 f.
4
Anton A. Bucher, Verstehen postmoderne Kinder die Bibel
anders, in: Bibeldidaktik in der Postmoderne, hg.von Godwin
Lämmermann u.a., Stuttgart 1999, 139
5
Helmut Hanisch/ Anton A. Bucher, Da waren die Netze randvoll.
Was Kinder von der Bibel wissen, Göttingen 2002, 71
6
Ebd., 20 f.
7
Ebd., 33
8
Ebd., 67
9
Gerhard Büttner/ Jörg Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen?
Kinder und Jugendliche sehen Jesus Christus, Göttingen 2001
10 Zit. Nach Karl Ernst Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und
Erneuerung, 1990, 162
11 Vgl. Hans-Willi Winden, Wie schief ist Pisa? Schriftenreihe zur
Lehrerfortbildung, Katechetisches Institut des Bistums Aachen,
2003, 12 f.
12 Ludwig Duncker, Vom Sinn des Lernens. Bildungstheoretische
Perspektiven für die Ausgestaltung schulischer Lernprozesse, in:
Ders./Helmut Hanisch, Sinnverlust und Sinnorientierung in der
Erziehung. Rekonstruktionen aus pädagogischer Sicht, Bad Heilbronn 2000, 186
13http://ptz.elk-wue.de/Bildungsplan/kompetenzinhalte/Realschule/
klasse56/index.html
52
'bb' 108-2/2004
fachbeitrag: „ich schäme mich
des evangeliums nicht...“
erwägungen zu dem ekklesiologischen
grundmotiv der krise
hartmut rosenau
I
Die Feststellung, dass sich die Kirche in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit in einer Krise befindet, ist
ebenso zutreffend wie banal. Solche wohlfeilen kritischen
Urteile haben inzwischen inflationären Charakter, und
man mag sie darum auch schon gar nicht mehr hören.
Ihr Effekt ist zudem eher lähmend als motivierend, und
insofern sind sie auch nicht weiter hilfreich. Mein verehrter und geschätzter Kollege Reiner Preul rät daher aus
gutem Grund dringend davon ab, mit solchem „Gerede“
(im Sinne Heideggers) die Bedeutung, Funktion und Rolle
der Kirche für die (post-) moderne Gesellschaft z. B. als
Volkskirche herunter zu spielen oder schlecht zu machen1,
wie es etwa zuletzt auf polemische Art und mit einer gewissen Breitenwirkung vom ehemaligen Bundesminister
Hans Apel unternommen worden ist.2 Denn das Gerede
von einer Krise der Kirche hat nach Preul keinerlei diagnostischen Wert.
Ich kann hier meinem Kollegen – wie so oft – nur
zustimmen, jedenfalls dann, wenn man das alltagssprachliche Verständnis von „Krise“ und „Kritik“ zugrunde
legt, wonach etwas kritisieren dasselbe meint wie etwas
schlecht machen und Krise immer ein Elendszustand ist.
Aber wenn man auf die ursprüngliche Wortbedeutung zurückgreift, der zufolge „Krise“ und „Kritik“ vom griechischen Verb krinein (= urteilen, unterscheiden, prüfen) bzw.
vom griechischen Substantiv krisis (= Unterscheidung,
Gericht) abgeleitet werden kann, dann ist die Feststellung
einer Krise der Kirche doch ernster zu nehmen. Denn so
gesehen gehört ja – und das ist meine These – die Krise
essentiell zur Kirche hinzu, und zwar in zweierlei Hinsicht. Die eine Hinsicht ergibt sich dann, wenn man die
Wortverbindung „Krise der Kirche“ grammatisch gesehen
als genetivus subjectivus auffasst, die andere dann, wenn
man hier einen genetivus objectivus annimmt. Beides
ist grammatisch möglich, und beides ist sachlich sinnvoll, wie ich im folgenden wenigstens in Umrissen zeigen
möchte:
Im ersten Fall (gen. subj.) ist dann unter der Krise der
Kirche zu verstehen, dass die Kirche als Subjekt urteilt,
prüft, diagnostiziert und kritisiert – nämlich die Welt,
die Gesellschaft, die Kultur etc. als Objekt der Kritik.
Kirche in der Krise – das bedeutet dann, dass die Kirche
eine Größe inmitten einer Welt, einer Gesellschaft, einer
Kultur etc. gleichsam wie ein Fels in der Brandung ist, die
sich in einer Krise befindet, und sie diagnostiziert, prüft
und beurteilt diese. In der ekklesiologischen Tradition
hat man an dieser Stelle zumeist vom „Wächteramt“ oder
auch vom „prophetischen Protest“ (Tillich) der Kirche
gesprochen. Diese Aufgabe ist auch z. B. mit den zahlreichen Denkschriften der EKD und anderen kirchlichen Verlautbarungen in den letzten Jahrzehnten wahrgenommen
worden, aber auch mit vielen Aktionen unterschiedlichster
Art in Gemeinden und auf Kirchentagen. Sie gehört nach
ihrem Selbstverständnis zum (sozial-) ethischen oder auch
im weiteren Sinne des Wortes zum politischen Mandat der
Kirche hinzu, sofern sie wesentlich auf Öffentlichkeit bezogen ist. Und das ist sie, um den universalen Heilswillen
Gottes, der ausnahmslos „alles bestimmenden Wirklichkeit“ (Bultmann) zu verkünden und dabei ein ganzheitliches, nicht in „privat“ und „öffentlich“, „Seele“ und „Leib“,
„Jenseits“ und „Diesseits“ aufteilbares Menschenbild und
Wirklichkeitsverständnis zur Geltung zu bringen, das zum
christlichen Glauben als „daseinsbestimmendes Vertrauen“ (Härle) gehört.3
Ein solches (sozial-) ethisches oder politisches Wächteramt der Kirche gehört aber nicht nur zu ihrem inneren
Selbstverständnis hinzu, sondern kann auch gleichsam
von außen in gesellschaftstheoretischer Hinsicht gut
begründet werden. Eilert Herms hat z. B. im Ausgang von
der „Praxissituation endlicher Freiheit“ gezeigt, dass jede
Gesellschaft auf das ausgewogene interaktive Funktionieren von vier Leistungsbereichen angewiesen ist, wenn
sie bestehen und prosperieren soll: Neben dem politischen
System, das die Interaktionsregeln einer Gesellschaft
bestimmt und überwacht, und neben dem ökonomischen
System, das für die Lebensgrundlagen im Sinne einer physischen Versorgung der Gesellschaft zuständig ist, und neben dem System von Wissenschaft und Technik, das empirisches Wissen und know-how zum Erreichen bestimmter
zivilisatorischer Ziele der Gesellschaft gleichsam als
„Lebensmittel“ bereitstellt, braucht eine funktionierende
Gesellschaft aber auch ein System, das sich für das kulturelle Orientierungswissen öffentlich verantwortlich weiß
und ethisch-religiöse, weltanschauliche Auskunft über die
letzten Ziele und das letzte Worumwillen gesellschaftlicher Interaktionen („Sinn“) geben kann. Zu diesem vierten
System zählen nicht nur z. B. Kunst und Philosophie,
sondern eben auch und vor allem Religion und Kirche(n).4
53
'bb' 108-2/2004
In der Geschichte des Protestantismus haben sich zur
Wahrnehmung dieser Aufgabe entsprechende (sozial- )
ethische Rahmenmodelle herausgebildet, von denen wohl
die sog. Zwei-Reiche / Regimente – Lehre (lutherisch) und
das Modell von der „Königsherrschaft Christi“ (reformiert)
auch und gerade in ihrer Umstrittenheit die bis heute
wirkmächtigsten und bedeutendsten sind.5 Aber diese
(sozial-) ethischen und gesellschaftstheoretischen Perspektiven der ersten Verständnismöglichkeit von „Krise der
Kirche“ sollen hier – unbeschadet ihrer Bedeutsamkeit
– nicht weiter verfolgt werden.
Weiter ausführen möchte ich hier vielmehr die zweite
Verstehensmöglichkeit der Formulierung „Krise der Kirche“, die sich am grammatischen Verständnis des genitirus objectivus orientiert. Dabei sind mehrere Variationen
denkbar, in denen jeweils die Kirche als Objekt auftritt.
Zum einen kann hier die Kirche in der Außenperspektive
zum Objekt einer Beurteilung, einer Prüfung, einer Kritik
seitens der Welt, der Gesellschaft etc. werden, die dann
ihrerseits als Subjekt auftritt. Diese eher religionssoziologische oder allgemein kulturkritische Verstehensmöglichkeit muss allerdings in einem ekklesiologischen Beitrag
aus der theologischen Innenperspektive in den Hintergrund treten. Auch eine zweite Variante, der zufolge die
Kirche (wie auch dann die Welt) zum Objekt des Gerichtsurteils Gottes wird, muss hier – obwohl sie eine theologische ist – unerörtert bleiben. Denn eine solche Perspektive gehört ausschließlich zur theologia archetypa, die nur
Gott von sich selber haben kann. Vielmehr interessiert
mich hier – im Rahmen einer menschenmöglichen theologia ektypa – eine dritte Variante: Hier urteilt, prüft, diagnostiziert und kritisiert sich die Kirche selbst als Objekt
(und zugleich als Subjekt) im Sinne einer Selbstkritik.
Auch in dieser Hinsicht gehört die Krise wesentlich
(und auch für andere Institutionen unserer Gesellschaft
wie z.B. politische Parteien und Verbände vorbildlich) zum
Selbstverständnis der Kirche hinzu. Die Feststellung, dass
sich die Kirche in der Krise befindet, kann dann als ein Synonym für den traditionellen ekklesiologischen Grundsatz
„ecclesia semper reformanda“ verstanden werden, aber
auch als Erläuterung der bekannten Metapher von der
„ecclesia militans“ oder vom „wandernden Gottesvolk“,
von der „communio viatorum“ etc.6 Insofern braucht man
sich vor dem Etikett „Krise“ kirchlicherseits gar nicht
zu fürchten. Die Krise gehört dazu, und ohne eine solche
kann Kirche gar nicht sein. Selbstverständlich ist die
Kirche in der Krise – wie sollte sie nicht? Krise ist eine
omni- und semperpräsente Situation der Kirche in ihrem
geschichtlichen „inter-esse“ zwischen der Himmelfahrt
und der Parusie Christi. Sie ist mit ihrem Wesen verbunden, tritt aber geschichtlich kontingent und entsprechend
dem Verhältnis, in welchem sich Kirche und Welt, Gesellschaft, Kultur etc. zueinander befinden, unterschiedlich in
Erscheinung. In diesem Äon und auf Erden werden daher
die erscheinenden Krisen der Kirche auch niemals definitiv überwunden werden (können), und wenn doch, dann
haben wir es nicht mehr mit der Kirche zu tun, sondern
mit dem eschaton, mit dem Reich Gottes, in dem es ja
54
(nach Off 21,22) keinen Tempel, also auch keine Kirche
mehr geben wird.
II
Dass insofern „Krise“ ein ekklesiologisches Grundmotiv ist – und zwar in doppelter Bedeutung von „Motiv“:
signum und movens – hat also mit ihrem Wesen, mit ihrer
Konstitution und daher auch mit den darauf bezogenen
internen wie externen Kennzeichen der Kirche (notae
ecclesiae) zu tun. Sie ist nämlich wesentlich ein Geschöpf
des Wortes Gottes (creatura verbi divini) und insofern eine
Gemeinschaft der Heiligen oder eine Versammlung der
wahrhaft Glaubenden (communio / congregatio sanctorum
/ vere credentium). Sie ist als solche in ihrem Innersten
eine, heilig, katholisch und apostolisch (una, sancta,
catholica et apostolica), und äußerlich daran zu erkennen, dass in ihr das Evangelium rein gelehrt (evangelium pure docetur) und die Sakramente recht verwaltet
werden (recte administrantur sacramenta), wie es in den
lutherischen Bekenntnisschriften heißt.7 So ist die Kirche
der „Leib Christi“ (1. Kor 12,12ff.; Eph 4,15f.) oder auch
der Christus praesens.8 Alle diese Bezeichnungen sind
– darauf hat man in der gegenwärtigen protestantischen
Ekklesiologie besonders hingewiesen9 – grundsätzlich
relational und nicht (wie etwa Bestimmungen natürlicher
zwischenmenschlicher Gemeinschaften, von Vereinen und
Verbänden, Nationen oder Kulturen etc.) substantial oder
qualitativ im Sinne einer aristotelischen Substanzmetaphysik und ihrer Frage nach inhärenten Ursachen und
Prinzipien für ihr So-und-nicht-anders-Sein zu verstehen.
Diese Bezeichnungen und Kennzeichen gelten in Bezug
auf die Konstitution von Kirche durch Gott, Christus,
den Heiligen Geist. Sie gelten also in der coram-DeoRelation und nicht als eine Beschreibung des Wesens
der Kirche und ihrer Erscheinung an sich oder in Bezug
auf ihr Dasein und ihre Sozialgestalt in der Welt, in der
coram-mundo-Relation. Daher gelten sie als geglaubte,
aber nicht unbedingt als gegenständlich oder qualitativ wahrnehmbare. Insofern kann man sagen, dass die
Wesensbestimmungen und die Kennzeichen der Kirche
Ausdruck und Bekenntnis des Handelns Gottes selbst
sind und sich nicht selbstzweckhaftem menschlichen Tun
und Lassen verdanken oder darin ihre Bestandsgarantie haben.10 Diese Leitdifferenz, die auch im Verständnis
von „Gottesdienst“ zum Ausdruck kommt, der ja nicht
kirchlicher Dienst an und für Gott oder die Menschen
ist, sondern die Vergegenwärtigung und Bezeugung des
Dienstes Gottes an und für seine Kirche und die Welt11,
könnte man besonders gut anhand einer Interpretation
der klassischen notae ecclesiae internae des Nicänischen
Glaubensbekenntnisses zeigen, die ich hier nur andeuten kann: Die Kirche ist nicht an sich selbst oder coram
mundo „eine“, aber sie ist es unbeschadet ihrer vielgestaltigen Erscheinung in Bezug auf den einen Gott und
den einen Jesus Christus und den einen Heiligen Geist,
der sie konstituiert. Sie ist nicht an ihr selbst oder coram
'bb' 108-2/2004
mundo „heilig“, sondern in bezug auf den Heiligen Geist,
der sie durch Gericht und Vergebung heilig macht, indem
er rechtfertigenden Glauben wirkt. Sie ist nicht an sich
selbst oder coram mundo „katholisch“ (allumfassend; über
die ganze bewohnte Erde verbreitet), sondern in Bezug auf
die Verkündigung des universalen, grenzenlosen Heilswillens Gottes, der niemanden ausschließt. Und sie ist nicht
an sich selbst oder coram mundo „apostolisch“, sondern
in Bezug auf das eine heilsame Wort Gottes, wie es in der
kirchlichen Tradition unterschiedlich und oft leider auch
mehr verstellend als erhellend zwischen Orthodoxie und
Häresie bezeugt wird.
Daher gibt es für uns, in der coram-mundo-Perspektive,
entsprechend dem Verständnis von Kirche als corpus permixtum, immer auch und immer wieder eine Diskrepanz
zwischen dem geglaubten Wesen und der wahrgenommenen Erscheinung der Kirche, analog zu und vergleichbar
mit dem christologischen Paradox der Zwei-Naturen-Lehre (Chalcedonense), der Grundbestimmung des glaubenden Menschen als „simul iustus et peccator“ (Luther),
dem manchmal anstößigen Ineinander von Gotteswort
und Menschenwort in der Heiligen Schrift oder auch dem
Missverhältnis zwischen einer theologisch präzisen Ekklesiologie und dem oft diffusen Gemeindeleben vor Ort.
Nun sind aber Diskrepanzen, Paradoxien und Missverhältnisse nichts, worüber man sich freuen kann. Es
soll an dieser Stelle auch gar nicht erst versucht werden,
aus der Not eine (theologische) Tugend zu machen, um
nun allen Krisen der Kirche bzw. ihren Erscheinungsformen gleich-gültig gegenüber zu stehen oder sie sogar mit
möglichen christologischen, pneumatologischen, anthropologischen etc. Gründen bequem und beschwichtigend zu
legitimieren. Denn an dieser skizzierten ekklesiologischen
Diskrepanz und Paradoxie von Wesen und Erscheinung
hat die Kirche von Anfang an bis heute sowohl nolens
volens beigetragen als auch und vor allem gelitten, wie es
viele Beispiele von neutestamentlichen Zeiten an illustrieren können.12 Sie stellen auf vielfältige und unterschiedliche Art und Weise Etappen auf dem Weg zu einem angemessenen Umgang mit solchen Diskrepanzen, Paradoxien
und Missverhältnissen dar. Auch theoretisch-konzeptionelle Bemühungen wie z. B. Zwinglis terminologische Unterscheidung zwischen einer sichtbaren und unsichtbaren
Kirche (ecclesia visibilis / invisibilis) oder Tillichs Differenzierung der „Geistgemeinschaft“ in eine „manifeste“
und eine „latente“ Kirche wie auch Rahners Überlegungen
zu einem „anonymen Christentum“ können hier als solche
Versuche genannt werden.13
Allerdings ist es bei solchen und anderen Versuchen
problematisch, wenn die Diskrepanz zwischen Wesen und
Erscheinung der Kirche zwanghaft aufgehoben und beides
miteinander zur Deckung gebracht werden soll, wenn die
relationalen Kennzeichen der Kirche zu substantialen oder
qualitativen Wesensbestimmungen an ihr selbst werden
sollen. Denn dann wird die kategoriale Differenz zwischen
dem Handeln Gottes und menschlichem Tun und Lassen
verwischt oder beides miteinander identifiziert, anstatt
nur nach den angemessenen und passenden Darstellungs-
formen oder Sozialgestalten coram mundo zu suchen, und
zwar im Wissen darum, dass es auch eine nota ecclesiae
ist, wenn sich die „sichtbare“ Kirche gerade und ausdrücklich nicht selbst mit der geglaubten „unsichtbaren“
Kirche gleichsam eins zu eins identifiziert bzw. sich nicht
so von außen und von anderen identifizieren lässt.14 Insofern ist es fast schade, dass sich Luther und die ihm Folgenden letztlich doch nicht dazu durchringen konnten, das
„Bußsakrament“ (neben Taufe und Abendmahl) als nota
ecclesiae zu erheben bzw. beizubehalten.15 Im gegenwärtigen ökumenischen Kontext ist es vor diesem Hintergrund
aber ein richtiges Signal, wenn z. B. von der „Einheit“ der
Kirche im Sinne einer versöhnten Verschiedenheit gesprochen wird.16
Wenn die Kirche sich dieser wesentlichen und im Grunde unaufhebbaren Diskrepanz bewusst ist und sie auch
als nota, als eines ihrer Kennzeichen akzeptiert und z. B.
auch im ökumenischen Diskurs oder im interreligiösen
Dialog, aber natürlich auch in ihrem diakonischen wie
(sozial-) ethischen Engagement zur Geltung bringt, dann
schafft bzw. erhält sie sich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit intra wie extra muros ecclesiae. Diese Glaubwürdigkeit wird umgekehrt aufs Spiel gesetzt, wenn die
genannte wesentliche Diskrepanz zwischen Wesen und
Erscheinung der Kirche nicht als solche wahrgenommen,
sondern vielmehr ale eine im Prinzip zu lösende, aber
faktisch eben ärgerlicher Weise noch vorhandene Diskrepanz etwa zwischen einem hohen idealen Selbstanspruch
einerseits und einer leidigen Wirklichkeit der Kirche
andererseits betrachtet wird. Solche Erwartungen und Ansprüche können letztlich nur zu Enttäuschungen führen,
so dass dann nicht nur in den Augen der Welt auch sehr
bald das Wort – und nicht nur die Existenz – der Kirche an
Relevanz und Autorität verlieren würde. Vielleicht ist die
oben erwähnte Kritik von Hans Apel (und vieler anderer
auch) an der Volkskirche ein prominentes Beispiel für
solche enttäuschten, weil überzogenen, am Wesen der
Kirche und ihrem Selbstverständnis vorbei zielenden Erwartungen. Allerdings macht eine derartige Kritik an der
Kirche und ihrem Relevanz- wie Autoritätsverlust auf ihre
Weise und gleichsam unter negativem Vorzeichen nochmals mit Recht deutlich, dass es um der Glaubwürdigkeit
willen nicht nur darauf ankommt, was inhaltlich gesagt
wird, sondern auch darauf, wer es sagt und in welchem
Verhältnis diese Person dazu steht. Dies ist die existenztheologische Vertiefung der scholastischen Bestimmung
von Wahrheit als adaequatio rei et intellectus, als Übereinstimmung von Sachverhalt und Vorstellung.17 Aber
gerade deswegen brauchen Christinnen und Christen sich
der als nota ecclesiae akzeptierten Diskrepanz zwischen
Wesen und Erscheinung der Kirche als Grund ihrer Krise
genauso wenig zu schämen wie (nach Röm 1,14) des
Evangeliums.
Denn die so als Wesensmerkmal der Kirche verstandene Krise ist weder etwas Verbotenes, noch etwas
Unanständiges oder gar Peinliches, dessen man sich vor
anderen schämen müsste – auch wenn man daran leidet.
Das Evangelium als frohe Botschaft von der rechtferti-
55
'bb' 108-2/2004
genden Gnade Gottes befreit ja gerade von den Urteilen,
Erwartungen, Ansprüchen und Vorwürfen anderer, macht
von ihnen unabhängig, auch wenn wir mit diesen „anderen“ leben und leiden oder gar diese „anderen“ von Fall
zu Fall selbst sind. Schämen müssen wir uns allerdings
vor Gott und angesichts seines liebenden, richtenden und
vergebenden Blickes. Aber indem wir uns vor Gott (coram
Deo) schämen, werden wir gleichsam schamlos vor den
Menschen (coram mundo / coram hominibus), freilich
ohne in Menschenverachtung oder lieblosen Zynismus
abzugleiten. Denn diese Schamlosigkeit von Christinnen
und Christen, von Kirche angesichts ihrer Krise, schließt
sich ja mit allen Menschen zusammen, macht sich mit allen gemein, „Juden“ wie „Griechen“, und setzt sich für alle
ein, gerade auch für die Menschen extra muros ecclesiae.
Dieser Aspekt gehört zum Kennzeichen der Katholizität
der Kirche bzw. zu ihrem Selbstverständnis als Volkskirche hinzu, das nicht – wie z. B. Hans Apel meint – dadurch in Frage gestellt wird, wenn vermeintlich oder tatsächlich Menschen seit Jahren scharenweise den Kirchen
in Deutschland den Rücken kehren. Denn „Volkskirche“
und „Katholizität“ sind keine Kategorien der Quantität,
sondern der Relation: sie gelten in Bezug auf die Verkündigung des universalen Heilswillens Gottes in Wort und
Tat allen Menschen gegenüber, unabhängig von ihrem
Geschlecht, ihrer sozialen Stellung, ihrer kulturellen Prägung, ihrer nationalen Herkunft etc.
III
„Ich schäme mich des Evangeliums nicht...“ Christinnen
und Christen können daher selbstbewusst durch die Welt
gehen, die Kirche erhobenen Hauptes in der Gesellschaft
stehen und Theologische Fakultäten freimütig ihren Platz
in der Universität einnehmen – trotz aller und in allen
Krisen. Und doch fällt es schwer, diesen Satz des Paulus
heute so vollmundig nachzusprechen. „...denn es ist eine
Kraft Gottes (dynamis theou), die da lebendig macht...“
So begründet Paulus seine Schamlosigkeit, und er hat
wohl bei all den Problemen und Schwierigkeiten seiner
Mission überall und immer wieder die Leben schaffende
Kraft Gottes am Werk gesehen. Wie aber sieht es heute
und bei uns aus? Warum sieht die Welt so anders aus, als
sie eigentlich nach der Weihnachtsbotschaft (Lk 2,10-14)
aussehen müsste? Warum wenden sich so viele Menschen
ab? Besteht nicht eine tiefe Kluft zwischen der kirchlichen
Evangeliumsverkündigung und der Weltwirklichkeit, die
auch zur Marginalisierung der Kirche in unserer Gesellschaft, zum Relevanz- und Autoritätsverlust führt und uns
beschämt? Dabei liegt das Problem nicht, wie der Kirchenkritiker Apel meint, in der mangelnden Eindeutigkeit der
kirchlichen Verkündigung, der kirchlichen Verlautbarungen und Denkschriften zu aktuellen ethischen Problemen
der Gegenwart, sondern in der geschichtlich kontingent
auftretenden Diskrepanz zwischen der durchaus eindeutigen Botschaft einerseits und der vieldeutigen, ambiva-
56
lenten, oft auch gegenläufigen Wirklichkeitserfahrung
andererseits.
Insofern geht es bei der Feststellung einer Krise der
Kirche gar nicht nur nach der anfänglich genannten grammatischen Unterscheidung um die Kirche an und für sich
und ihr Dasein oder um die Welt, die Gesellschaft, die Kultur an und für sich und ihr Dasein. Sondern es geht nun
vordringlich um eine geschichtlich kontingent erscheinende Krise ihrer Relation zueinander, die sich gegenwärtig
um die Frage dreht: Inwiefern hat das Wort der Kirche
noch orientierende Kraft (dynamis) und Autorität für die
Welt, die Gesellschaft, die Kultur, in der wir leben? Paulus
mag das so erlebt haben, denn er lebte in einer Zeit der
Gottesnähe, der Erfahrung und Gewissheit eindeutiger
Gegenwart Gottes in der Welt. Aber diese Erfahrung und
Gewissheit ist vielen von uns nicht zuletzt wegen des
noch ungelösten Historismusproblems (Troeltsch) und der
damit verbundenen Einsicht in die Relativität des Wortes
Gottes und seiner kirchlichen Verkündigung in bezug auf
eine komplex ausdifferenzierte, multi-kulturelle Gesellschaft mit der Gleichzeitigkeit vieler Ungleichzeitigkeiten
zunehmend schwieriger nachvollziehbar geworden. Daher
möchte ich unsere Gegenwart eher eine Zeit der Gottesferne nennen, der Erfahrung uneindeutiger, frag-würdiger
und damit auch weniger verbindlicher Zeichen oder Spuren der Gegenwart Gottes in der Welt.
Eine vergleichbare Erfahrung von Gottesferne ist schon
innerhalb der biblischen Traditionen, nämlich in den sog.
Weisheitsschriften (vor allem Spr; Hi; Koh, einige Psalmen wie z. B. Ps 1, evt. noch die Josephsnovelle Gen 3750, aber auch in den „zwischentestamentlichen“ Schriften
Jesus Sirach und SapSal) reflektiert worden. Auch bzw.
schon hier wird eine theologische Verarbeitung der kritischen Erfahrung zunehmender Gottesferne versucht, die
sich in Relevanzverlust und Traditionsabbruch, mangelnder Orientierungskraft überkommener religiöser Werte
und Vorstellungen aufgrund uneindeutiger Zeichen und
Spuren der Gegenwart Gottes äußert. Daher mag es zur
theologischen Reflexion der gegenwärtig diagnostizierten,
kontingent erscheinenden Krise der Kirche im o. g. Sinne
hilfreich sein, im Rückgang auf die biblische Theologie
der „Weisheit“ (chokma; sophia) den Versuch einer sapientialen Ekklesiologie zu unternehmen, die hier nur ansatzweise und in Umrissen skizziert werden kann. Dabei liegt
ein besonderer Reiz, zugleich aber auch eine besondere
Schwierigkeit einer solchen Ekklesiologie nicht nur darin,
dass nun überwiegend alt- und zwischentestamentliche
Bezüge (und nicht z. B. die Theologie des Paulus) zum Paradigma eines Nachdenkens über die Kirche heute genommen werden, sondern auch darin, dass sich die Weisheitstheologie gegenüber einer institutionellen „kirchlichen“
Religiosität und ihrer Pflege von Heilsgeschichte (Kult,
Tempel, Priesterschaft, Gottesdienst, heilige Traditionen
etc.) weitgehend reserviert oder gleichgültig gibt und
insofern kaum oder gar keine direkten Anknüpfungsmöglichkeiten für eine Ekklesiologie bietet. Daher sind die
folgenden Überlegungen zu einer sapientialen Ekklesiologie zur theologischen Reflexion des Motivs der Krise
'bb' 108-2/2004
zugegebenermaßen reichlich ungeschützt und als bloßes
Konstrukt mehr als anfechtbar.
IV
Angesichts zunehmender Erfahrungen von Gottesferne
nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer unglaubwürdig
gewordenen Heilsprophetie in exilisch-nachexilischer Zeit
versteht sich die „Weisheit“18 als ein gegenwartsbezogenes, undogmatisches, praktisches Erfahrungswissen im
Dienst der Ermöglichung eines gelingenden Lebens, ohne
dabei – wie die Apokalyptik – auf eine erst zukünftige
oder jenseitige Erfüllung nach dem Tod oder dem Ende
der Welt zu setzen. Wenn nun aber die Gegenwart Gottes,
dessen Existenz und Präsenz z. B. als Vorsehung nicht
geleugnet, sondern vielmehr in der Haltung der Gottesfurcht (jirat elohim) als überlegene, aber an ihr selbst
nicht erfassbare Macht respektiert wird, nicht (mehr) auf
direktem und eindeutigem Wege (z. B. durch persönliche Begegnung und Anrede, durch Wunder und Träume,
durch Prophetenworte und Zeichenhandlungen, durch
kultische Praktiken und Feiern einer exklusiven Heilsgeschichte) vermittelt werden kann, dann gilt es, indirekte
Spuren und Zeichen der Gegenwart Gottes in der Lebenswelt der Menschen aufzusuchen. Solche finden sich der
„Weisheit“ zufolge vor allem in den ästhetisch-ethischen,
sinngebenden Ordnungsstrukturen der Schöpfung und
des zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen Lebens.
Allerdings setzt ein Finden solcher Strukturen, die dem
Leben Halt und Sinn geben können, ein geschultes Auge,
eine umfassende Bildung („Listenweisheit“) voraus, die
durchaus auch unbefangen Bildungsgüter anderer Völker
und Kulturen aufnehmen kann, sofern sie zur Klärung der
conditio humana in dieser Welt der Gottesferne beitragen
können. So kommt Gott nicht unbedingt und immer als
Person mit Eigennamen, sondern im Sinne einer revelatio
generalis als universaler Schöpfer und als Garant einer
moralischen Weltordnung (Tun-Ergehen-Zusammenhang)
zur Vorstellung. Und das gelingende Leben besteht darin,
sich in diese Ordnungsstrukturen der Gottheit einzufügen. Das vermögen die Menschen, die sich nicht aufgrund
radikaler soteriologischer Ohnmacht oder Sündhaftigkeit
auf kultisch-religiöse Heilsvermittlung angewiesen sehen,
durch eine in traditionsgelenkter Eigenerfahrung begründete Situationsethik, die auf prinzipielle Vorschriften
verzichtet, aber unterschiedliche Lebensformen und ihre
Konsequenzen (Segen; Verderben) zur Ermunterung oder
zur Warnung kritisch beschreibend vor Augen führt.
Vor diesem Hintergrund kann sich eine sapiential orientierende Kirche heute in erster Linie ale eine flexible,
aber geordnete öffentliche Traditions- und Interpretationsgemeinschaft prinzipiell gleichberechtigter Teilnehmer, aber nicht (mehr) als hierarchisch starr und uniform
gegliederte oder charismatisch ungeordnete Kultgemeinde
in „parochialer Gefangenschaft“19 oder als nur eschatologisch orientierte Heilsanstalt in sakraler Abständigkeit
zur profanen Welt verstehen. Wie die alt- und zwischen-
testamentliche „Weisheit“ ihren „Sitz im Leben“ in Familie
und Schule hat, so müsste auch die Kirche in ihrem Kern
eine ausdifferenzierte Bildungsinstitution mit guten Beziehungen zu Kunst und Wissenschaften zur Pflege eines
ethisch-religiösen Orientierungswissens sein.
Daraus folgt aber gerade im Sinne einer Weisheitstheologie keine Verwissenschaftlichung oder „Verkopfung“
von Kirche unter der Leitung einer elitären Geistesaristokratie, sondern gerade eine Zuwendung zu elementaren
Lebenserfahrungen und „einfältiger“ Sprache angesichts
allgemeiner conditiones humanae, freilich im Kontext
gegenwärtiger Standards einer Wissens- Medien- und
Informationsgesellschaft. Es geht bei dieser Bildung um
eine Ermöglichung oder Steigerung von aufgeklärten
Handlungskompetenzen für einen „offenen Umgang mit
Ambivalenzen“20 und damit für ein individuell wie sozial
gelingendes Leben im zunehmend unübersichtlichen Alltag. So kann die Kirche für alle Menschen aller sozialen
Schichten, Nationen und Kulturen unter Verzicht auf
gruppenspezifische Eigeninteressen in Predigt, Diakonie,
Kasualien, Seelesorge und Beratung offen sein und von
ihren jeweiligen Lebenserfahrungen profitieren, ohne auf
einem exklusiven Letztbegründungsmonopol zu bestehen
und realitätsfremde oder irrelevante Absolutheitsansprüche zu vertreten.21
Daher besteht auch nicht immer gleich ein Bedarf an
himmelstürmenden Reformen im Blick auf Unbedingtes
und „spezifisch“ Christliches in Kirche und Gesellschaft.
Eine auch selbstkritische, moderate Politik der kleinen
Schritte könnte oftmals „weiser“ sein, damit dasjenige
nicht aus dem Blick gerät, was sich auch jenseits der
eigenen wertvollen Traditionsbestände bewährt hat und
gelingt, worauf – in aller Vorläufigkeit – Segen liegt. Denn
es muss nicht ständig um Schuld und Sühne gehen, um
evangeliumsgemäß in Ehrfurcht vor Gott zu leben. Wenn
sich die Kirche als „creatura (verbi divini)“ versteht, also
als ein Geschöpf Gottes, dann kann es auch gar nicht ihre
Aufgabe sein, die Welt zu erlösen (auch wenn sie von der
Erlösung der Welt durch Gottes Heilshandeln Zeugnis
gibt). Vielmehr ist es dann ihre Aufgabe, ihren Beitrag zur
Erhaltung dieser Welt zu leisten. Daher ist es auch ein
weises Zeichen der Dankbarkeit Gott und seiner welterhaltenden Vorsehung gegenüber, „die Rose im Kreuze der
Gegenwart“22 wahrzunehmen, anstatt ausschließlich das
Gericht Gottes über die Welt vor Augen zu haben.
In Erinnerung an Kohelet gehört zu einer sapiential
orientierten Kirche insofern auch die Kunst des Wartens,
und zwar im dreifachen Sinne des Wortes: sie wartet, d.h.
sie pflegt und vergegenwärtigt die eigene biblisch-christliche Tradition auch und gerade in krisenhaften Zeiten
von Skepsis und Gleichgültigkeit und stellt damit auch im
ökumenischen wie interreligiösen Kontext Interpretationsmuster zur Wahrnehmung von Wirklichkeit in unserer
Gesellschaft bereit. Sie erwartet dabei gelassen und in Offenheit neue Zeichen der Gegenwart Gottes in der Lebenswelt der Menschen, und sie rät moderierend insbesondere
in den brisanten ethischen Diskursen der Gegenwart (Bio; Wirtschafts-, Umweltethik etc.) zum abwartenden Inne-
57
'bb' 108-2/2004
halten, um immer auch ein mäßigendes Grenzbewusstsein
für die menschlichen Fähigkeiten zu wecken und alternative Möglichkeiten entwickeln und fördern zu können. In
solchen öffentlichen Diskursen, die auch immer wieder
Anlass zur selbstkritischen Vergewisserung der eigenen
Position geben, kann es dann aber nicht um die Leitfrage
gehen, was die Kirche tun oder erreichen sollte bzw. was
von der Kirche (vermeintlich oder tatsächlich) erwartet
wird, um z. B. einem Mitgliederschwund entgegen zu
steuern oder die eigene gesellschaftliche Akzeptanz und
Relevanz zu steigern, und wie die Kirche daraufhin effektiv strukturiert und geführt sein müsste. Vielmehr ist in
sapientialer Einstellung umgekehrt zunächst zu klären
und festzuhalten, wer oder was die Kirche ist, und was
sie deshalb sinnvoll für die Einzelnen und die Gesellschaft
tun bzw. was daraufhin von ihr billigerweise erwartet
werden kann.
Bemerkungen
1
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7
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9
Vgl. R. Preul, So wahr mir Gott helfe! Religion in der modernen
Gesellschaft, Darmstadt 2003, 138.
Vgl. H. Apel, Volkskirche ohne Volk. Der Niedergang der Landeskirchen (2003), 3. Aufl. Gießen 2004.
Aufgrund dieses kirchlichen Selbstverständnisses darf nicht nur,
sondern muss die Kirche politisch sein, auch wenn manche Kritiker (wie H. Apel) dies nicht gerne sehen und das Engagement
der Kirche lieber auf private Angelegenheiten der Seelsorge, der
eschatologischen Heilsverkündigung und der Individualethik
einschränken würden. Wie weit und in welchem Maße aber die
Kirche politisch ist, kann nur von Fall zu Fall bestimmt werden.
Abgrenzend kann aber doch so viel gesagt werden, dass die Kirche ihr politisches Engagement nicht im Sinne einer politischen
Partei oder einer anderen politischen Institution ausübt, die
ausschließlich oder wesentlich mit der Beeinflussung oder Ausübung öffentlicher Macht befasst sind und ein Interesse an ihrem
Erhalt oder an ihrer Steigerung haben. Darüber hinaus sollte es
eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich die Gestaltung des
politischen Engagements der Kirche „non vi, sed verbo“ (Luther)
vollzieht.
Vgl. dazu E. Herms, Kirche in der Zeit, in: Ders., Kirche für die
Welt. Lage und Aufgabe der evangelischen Kirchen im vereinigten Deutschland, Tübingen 1995, 231-317, interpretierend
zusammengefasst bei R. Preul, So wahr mir Gott helfe!, aaO.,
126-131.
Vgl. dazu im einzelnen H. Rosenau, Wertewandel in der theologischen Ethik seit 1945, in: H. Petri (Hg.), Sozialhygiene
– Rückblick und Ausblick (Schriftenreihe Praktische Psychologie
Bd. XXI), Hagen 1998, 28-52.
Zur auflistenden Erläuterung dieser und anderer überwiegend
reformatorischer und altprotestantischer Termini der Ekklesiologie vgl. H. G. Pöhlmann, Abriss der Dogmatik, 4. Aufl. Gütersloh
1985, 297-303; zur vertiefenden Darstellung insbesondere der
Ekklesiologie Luthers und der lutherischen Bekenntnisschriften
vgl. R. Preul, Kirchentheorie. Wesen, Gestalt und Funktionen der
Evangelischen Kirche, Berlin / New York 1997, §§ 4-6.
So im Nicänischen Glaubensbekenntnis bzw. in der Confessio
Augustana Art. VII; weitere Belege und Erläuterungen bei W.
Härle, Dogmatik, Berlin / New York 1995, 569ff.
Dies in Anlehnung an die Kennzeichnung der Kirche bei D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung
zur Soziologie der Kirche (1930), 4. Aufl. München 1969, Kap.
4: „Christus als Gemeinde existierend“.
So z. B. bei Chr. Schwöbel, Kirche als Communio, in: W. Härle
/ R. Preul (Hg.), MJTh VIII (Kirche), Marburg 1996, 11-46;
vgl. aber auch den von einer „Grundrelation, aus der Kirche
erwächst“ sprechenden Leitsatz I zum Kirchenbild der Nordelbi-
58
schen Evangelisch-Lutherischen Kirche im Text der Reformkommission vom 4. 11. 2003 (www.nordelbien.de).
10 Unter diesem Aspekt ist es bedenklich, wenn im Text der Reformkommission der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, aaO., 3 die
klassischen notae internae der Kirche (una, sancta, catholica et
apostolica) durch die altkirchlichen Merkmale „leiturgia: Gottes
Gegenwart feiern, martyria: Gott bezeugen, koinonia: Gemeinschaft stiften, diakonia: Den Nächsten dienen“ ersetzt oder in
den Vordergrund gerückt werden sollen, denn diese beschreiben
eher ein Handeln von Menschen als ein Handeln Gottes, das
allein für das Sein von Kirche konstitutiv sein kann.
11 Auch dieses Verständnis von „Gottesdienst“ kommt in dem o.g.
Reformpapier der NEK (S. 3) leider nicht klar genug zum Ausdruck
12 Das bekannteste Beispiel aus dem NT ist wohl der „Apostelkonvent“ nach Gal 2,1-10 im Vergleich mit Apg 15,1-35;
man kann aber auch, um nur einige Beispiele zu nennen, an
den späteren Donatistenstreit denken, an die mittelalterlichen
Reformbewegungen, an die Reformation und an pietistische Erweckungsbewegungen, an Kierkegaards Angriff auf die dänische
Staatskirche, natürlich auch an die ökumenische Bewegung und
die Barmer theologische Erklärung, an das Stuttgarter Schuldbekenntnis, an Arnoldshain und Leuenberg, an die jüngste Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre sowie an die gegenwärtig anstehenden kirchlichen Reformdebatten.
13 Zur ausführlichen Darstellung und Kritik dieser und anderer Versuche vgl. U. Kühn, Kirche (HST 10), Gütersloh 1980.
14 Vgl. dazu Chr. Schwöbel, Kirche als Communio, aaO., 39.
15 In M. Luthers später Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“
(1539) kommt freilich die Buße als eines von insgesamt sieben
(abgestuften) Kennzeichen der Kirche vor, wenn auch nicht als
Sakrament.
16 Vgl. Chr. Schwöbel, Kirche als Communio, aaO., 14; so auch im
Reformpapier der NEK, aaO., 2, wonach „Einheit als Zeichen
der Versöhnung und des Friedens zu verstehen und konkret zu
gestalten“ ist.
17 Vgl. dazu die witzig-ironischen Beispiele von S. Kierkegaard in
seiner zweiten kurzen ethisch-religiösen Abhandlung „Über den
Unterschied zwischen einem Genie und einem Apostel“ (1849),
in: Ders., Einübung im Christentum u.a., hg. v. W. Rest, München 1977, 301-315.
18 Vgl. zum Folgenden H. D. Preuß, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Stuttgart u.a. 1987; O. Kaiser, Der Gott
des Alten Testaments. Theologie des AT 1: Grundlegung, Göttingen 1993, §§ 10 u. 15; ders., Der Gott des Alten Testaments.
Wesen und Wirken. Theologie des AT 2, Göttingen 1998, § 6.
19 So das o.g. Reformpapier der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche,
aaO., Punkt I, 3.5
20 Ebd., Punkt III, 1.2.
21 Daher ist es richtig, wenn es im Reformpapier, ebd. Punkt I,
3.3 heisst: „Gefordert sind Einsicht und Einkehr in die Wahrheit
eigener Begrenztheit und Bedürftigkeit, die der Anderen bedarf,
um den Einheitsgrund christlicher Kirche in der Kraft seines Wirkens und der Vielgestaltigkeit seiner Schöpfungen in und an sich
selber zu erfahren.“
22 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821),
ThWA VII, Frankfurt/M. 1970, 26.
'bb' 108-2/2004
buchtipps
Esther Bühler-Weidmann /
Susanne Berger (Bilder)
Advent, Advent, ein Mäuslein rennt. Ein
Adventskalender mit 24 heiteren Geschichten
und einem Poster für 24 auszuschneidende
Bildchen. Text und Basteln (gerade Formen)
für Kinder ab 4. Lebensjahr. Kaufmann-V.,
Lahr 2003, 52 Seiten, durchgehend farbig
illustr., 1195
Marie-Theres VENNEKÖTTER (Illustr.)
Die Weihnachtsstadt. Ein Adventskalender
mit Gedichten und Liedern, dazu mit 19
Häusern, 3 Tannenbäumen und einem
Wasserbrunnen, alles auf Bastelbögen zum
Selberbasteln. Für Kinder ab 6 (Texte) und 8
(Basteln) Jahren. Kaufmann-V., Lahr 2004,
52 Seiten, durchgehend farbig illustriert,
1245
Susanne PRAMBERGER / Johanna IGNJATOVIC (Illustr.)
Rica auf dem Weg zur Krippe. Ein
Adventskalender zum Vorlesen und
mit farbigen Folien zum Basteln eines
Fensterbildes. Für Kinder ab 3 Jahren.
Kaufmann-V., Lahr 2004, 28 Seiten
durchgehend farbig llustr., 1245
Renate SCHUPP / Waltraud M. JACOB (Illustr.)
Die Weihnachtslaterne. Ein Adventskalender
zum Vorlesen und zum Basteln einer Laterne.
Für Kinder ab 4 (Text) und 6 (Basteln)
Jahren. Kaufmann-V., Lahr 2004, 52 S.,
durchgehend farbig illustriert, 1245
Ein Mäuslein rennt. Wer würde nicht mit ihnen fühlen, mit
den armen Kirchenmäusen? Auf dem Dachboden, wo sie
wohnen, treibt ein grimmiger Kater sein Unwesen. Das ist
schließlich kein Leben. Kurz entschlossen ziehen sie in die
Kirche um. Dort erleben sie allerdings vieles, was ihnen fremd
ist, manches, was sie erschreckt. Gut, dass Mäuseopa Simeon
in seinem langen Leben viel gesehen hat und der gespannt
lauschenden Mäuseschar deshalb alles gut erklären kann. Von
ihrem Versteck aus lernt sie Gottesdienste, Taufen und das
Abendmahl kennen. In der Zeit vor Weihnachten beobachtet
sie viele Adventsbräuche und erfährt auf diese spannende
Weise, was damals in Bethlehem geschah.
Aber das ist längst noch nicht alles aus dem Leben der
Kirchenmäuslein. Eine schöne Bescherung gibt’s für sie zum
Beispiel schon weit vor Heilig Abend, als sie im Mittelgang mit
einer Haselnuss kicken. Da schnappt sich doch tatsächlich der
dicke Friederich plötzlich den ‚Fußball‘, knackt ihn blitzschnell
und schwupp! frisst er die Nuss auf. Junge, Junge, da hat Opa
Simeon aber alle Mäusepfoten voll zu tun, um den „Spielerauflauf“ ohne gelbe oder rote Karte auseinander zu bringen.
Natürlich gibt‘s im Weihnachtskalender auch die Geschichte vom Wunschstein. Aber die wird heute nicht verraten!
Und auch, wie das mit der Zaubernuss ausgegangen ist, wird
erst im Advent vorgelesen, abends, bei Bratäpfeln und Zimtplätzchen.
Nur eines sei noch verraten: beinahe wäre ein großes
Unheil geschehen. Die tüchtige Küsterin, Frau Feucht, will
nämlich den kleinen Kirchenbewohnern an den Pelz. Gefährliche Fallen stellt sie auf. Und wäre nicht Pfarrers kleiner
Jakob gewesen, der den Mäusen zusammen mit seinem Vater
heimlich beisteht: alles hätte wahrlich höchst übel ausgehen
können! So aber findet auch in der Mäusekirche die uralte
Weihnachtsverheißung ihre Erfüllung: Friede auf Erden zwischen allem, was lebt.
Man ahnt schon: wieder einmal eine von den schier unübertrefflich guten und spannenden, eine von diesen wunderbaren Weihnachts-Poster-Geschichten!
*
Die Weihnachtsstadt ist wunderschön anzusehen. Jedenfalls,
sobald sie vollends fertiggebastelt ist. Also spätestens nach 24
Tagen, an Hl. Abend nachmittags. Vielleicht stammt aus Opas
Vorräten die dicke, stabile Pappe oder die helle Sperrholzplatte, auf der jetzt all die bunten Häuser mitsamt ihrem Wasserbrunnen und den drei Tannen malerisch aufgestellt worden
sind. Eine richtige Weihnachtsstadt ist es geworden, was
fleißige Kinderhände in der Adventszeit Abend für Abend zugeschnitten, zusammengeklebt und aufgestellt haben. Vielleicht
sind noch aus der Spielkiste vom Kinderzimmer Playmobelund Legofiguren dazugekommen. Fällt endlich draußen der
erste Schnee, dann werden die Häuser der Weihnachtsstadt
mit Watte verziert. Perfekt!
Das ist natürlich noch nicht alles, was der Adventskalender zu bieten hat. Für jeden Tag gibt es noch zwei besondere
Überraschungen: je ein kurzes Advents- oder Weihnachtsgedicht, das Oma, Papa oder der große Bruder vorlesen dürfen.
Und es gibt, zweitens, die vielen, schönen, alten Lieder der
Weihnachtszeit mit Text und Melodie, von „Macht hoch die
Tür...“ bis „Stille Nacht...“
Sind alle Bastelvorlage ausgeschnitten, dann steht aber
nicht nur eine Weihnachtsstadt auf dem Tisch. Dann findet
obendrein mit seinen knapp zwei Dutzend Gedichten und Liedern ein hübsches Weihnachtsbuch seinen Platz im Schrank.
Und, wer weiß, vielleicht wird es noch viele Jahre lang im
Advent und an Weihnachten die Familie zum Vorlesen und
Singen verführen.
*
Rica auf dem Weg zur Krippe – wollen Lena aus Leipzig oder
Maxi aus Mannheim Rica auf diesem Weg begleiten, dann
brauchen sie sich in der Adventszeit keineswegs zum Flughafen kutschieren lassen, um die beschwerliche, lange Reise
59
'bb' 108-2/2004
nach Bethlehem anzutreten. Ja, sie müssen dazu noch nicht
einmal ihre gemütliche, warme Wohnung verlassen, keinen
Schritt vor die Tür brauchen sie zu tun. Es genügt, dass ihnen
Mutti am 1. Dezember erlaubt, jeden Abend eine kleine bunte
Folie auf’s Fenster zu drücken, dann ist an Hl. Abend das ganze Bild fertig und sie sind im Stall zu Bethlehem angekommen.
Rica ist übrigens ein kleines, ganz süßes Schaf. Es war dabei, als vor langer Zeit das Jesuskind gerade geboren war. Und
weil es ein ganz aufmerksames und kluges Schäflein ist, kann
Rica, oder, wie es der Hirte Manuel mit seinem vollen Namen
ruft, Ricarda, ganz viel erzählen von dem, was es damals alles
zu hören, zu sehen, zu erleben und zu bestaunen gab.
Auf dem Weg nach Bethlehem, den der Hirte jedes Jahr
mit seinen 30 Tieren einschlug, passierten in dem Jahr, von
dem Rica berichtet, ganz ungewöhnliche Dinge. Erst war da
die Sache mit Bischof Nikolaus, und dann begegnen sie einem
seltsamen Mann mit seiner Frau und einem Esel. Sie seien auf
dem Weg nach Bethlehem, erzählen sie. Und kaum sind die
drei weitergezogen, da wird es abends plötzlich zum Erschrecken hell und ein Engel spricht vom Himmel zu Manuel – und
sogar die Schafe verstehen es: der Engel lädt sie nach Bethlehem ein…
Man kann unmöglich jetzt alles erzählen, was die kleine
Rica auf ihrem Weg zur Krippe erlebt hat. 24 Geschichten
sind es. Und 24 kleine Folien fügen sich am Ende zum großen
Weihnachts-Fensterbild. Wenn das Fest vorbei ist, können die
Folien auf den entsprechenden Seiten im Buch bis zum nächsten Jahr aufbewahrt werden – dann erstrahlt das Weihnachtsfenster in neuem Glanz!
*
Die Weihnachtslaterne findet Manuel, als er am 1. Advent
zusammen mit seinem Vater die alte Weihnachtskiste aus dem
Keller raufholt. Beim Auspacken kramt er sie hervor. Er darf sie
in sein Zimmer stellen. Wenn er sie abends anknipst, leuchten
ihre farbigen Bilder auf.
Manuel ist traurig, weil seine Mutter erst zu Weihnachten
wieder aus dem Krankenhaus nach Hause kommt. Aber er
hat ja Papa noch. Und nicht zu vergessen: die Oma und die
Nachbarin! Mit ihnen zusammen unternimmt er ganz viel.
Plätzchenbacken ist dran, Mama kriegt einen Brief, und auf
dem Weihnachtsmarkt schenkt ihm Papa einen geheimnisvollen Holzengel. Natürlich werden Weihnachtspäckchen gepackt,
und jeden Abend gibt`s für Manuel eine Geschichte – zum
Beispiel die, wie Papa und Mama sich kennen lernten...
Natürlich kann auch bei diesem Kalender unmöglich alles
verraten werden, was an Manuels 24 Adventstagen passiert.
Spannend ist es auf jeden Fall. Und – nicht zu vergessen! – an
jedem Abend gibt es ein kleines Bild zum Ausschneiden, das
auf eine der vier Laternen-Seitenteile geklebt wird. Wenn die
Einzelteile am Ende alle zusammengebaut und am Laternenboden befestigt sind, ein Teelicht oder eine kleine elektrische
Birne drin leuchtet und der Deckel drauf ist, dann ist das Wunderwerk fertig! Es wird dieses Jahr, man muss kein Prophet
sein, in zahllosen Kinderzimmern, Wohnräumen oder Schulstuben leuchten. Wetten?
Trudi GERSTER / A. JENNY (Illustr.)
Weihnachtsgeschichten. Sechs Erzählungen
mit farbigen Illustrationen. Fr. Reinhardt-V.,
Basel 2002, 48 S., 1690
Viele Kinder im Kindergarten- und ersten Grundschulalter werden die berühmteste schweizer Märchenerzählerin längst ken-
60
nen. Von ihr stammen die aufregenden Erlebnisse der Ronja
Räubertochter. Sie war es außerdem, die endlich herausfand,
„Wie der Elefant zum Rüssel kam“!
Jetzt also sechs Weihnachtsgeschichten aus ihrem Erzählstrumpf:
• Zum Beispiel die von dem krummen Tannenbaum,
den natürlich niemand im Wohnzimmer stehen haben
will – und der doch noch viel Freude bereitet.
• Oder die vom Weihnachtsmann, der unversehens in Not
gerät: uiuiui, wie dicke muss es da aber gekommen sein!
• Und, aufgemerkt: kann man eigentlich ahnen, wieso ein
Lebkuchenmann hochmütig wird oder wissen, woher
plötzlich wunderhübsches silbernes Engelshaar – [Benennung vulgo: Lametta!] – auf den Weihnachtsbaum
kommt?
Solche Geschichten sind es, die man zum Advent Kindern
zwischen 4 und 8 vorliest – na ja, wenn wir Großen und Alten
uns unseren wachen Sinn bewahrt haben, dann wird es auch
bei uns ohne häufiges Schmunzeln nicht abgehen. Sehen Sie,
schon allein deshalb empfiehlt sich dieses stabil gebundene
und prächtig aufgemachte Büchlein von Räubertochters ‚Mutter‘ fast wie von selbst.
R. KRENZER / Elke JUNKER / S. HORST (Illustr.)
Meine schönsten Krippenspiele. Anregungen
und Vorschläge. Für Grund-, Haupt- und
Sonderschulen. Illustriert u. kartoniert.
Kaufmann-V., Lahr 2004; 136 S. und 35
Lieder. 1695
Alle 21 Krippenspiele sortieren ihre Einleitungen nach den vier
Gesichtspunkten: ‚Idee‘, ‚Stichwörter‘, ‚Personen‘ und ‚Requisiten‘. Das hilft ganz gut, schon mal abschätzen, was einen
in etwa erwartet. Bei jedem Stück folgt auf die genannten
Vorbemerkungen der Text, das „Drehbuch“.
Jedes Spiel fällt in eine der folgenden drei Kategorien:
• Die mit einem * versehen Spiele sind für Kindergarten und
Sonderschule geschrieben.
• Die schon etwas anspruchvolleren ** Spiele lassen sich
gut in Kindergarten und Grundschule aufführen.
• Spiele mit *** gehören in die GS und auch noch in der
Eingangsstufe von HS und RS.
Es versteht sich bei einem Profi wie KRENZER von selbst, dass
im Zentrum seiner Spiele die Elemente der biblischen Weihnachtsbotschaft stehen. Der jahreszeitlich übliche allgemeine
Kommerz- und Kitsch- Flitterkram bleibt außen vor, auch die
Lametta-Trallala-Fraktion mit dem holden Knaben im lockigen
Haar hat keine Chance. Stattdessen kommt die Weihnachtsbotschaft unverstellt herüber: „Ist ein Kind geboren in der
Weihnachtsnacht, hat den Himmel weit geöffnet und die Freude (die Hoffnung/die Liebe) in die Welt gebracht“ (Lied S. 22f.)
Übrigens: kein Spiel, bei dem nicht gesungen würde; es gibt
sogar, ganz stark, ein Kinder-Orchester-Stück!
Der Verf. bietet folgende Spielstücke an:
• Die ersten drei Spiele gehören in die Adventszeit. Es sind
Spiele mit Kerzen. Sie stimmen ein auf das, was an Weihnachten geschieht.
• Es folgen fünf weitere Arrangements als „Krippenspiele in
einem Lied“. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie
sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand auf die Bühne
bringen lassen. Überdies nicht schlecht, dass Akteure und
'bb' 108-2/2004
Zuschauer bei allen Liedern ohne Schwierigkeiten kräftig
mitsingen können.
• Ganz ohne verbindende Texte kommt ein weiteres, das
„Krippenliederspiel“ aus. Sechs pantomimisch interpretierte Lieder thematisieren Stationen der Weihnachtsgeschichte. Auch bei diesem Spiel werden die übrigen Akteure
samt den Zuschauern zum Mitsingen animiert.
• Den Abschluss der Sammlung bilden 11 klassische Krippenspiele, die in sich variiert werden können, erweitert
auch oder umgebaut, den jeweiligen Vorstellungen der
Schul- oder Gemeindekreis-Regisseure gehorchend, bzw.
den äußeren Bedingungen angepasst.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: KRENZERs Krippenspiele grenzen sich von vielen anderen dadurch ab, dass in
allen Arrangements und bei allen Spielideen nur die das Fest
begründende biblische Weihnachtsbotschaft das Thema vorgeben darf. Das überzeugt.
Man muss wahrhaftig nicht prophetischer Gabe mächtig
sein, um diesem Buch mit seinen wohl durchdachten, liebevoll
gestalteten und intensiv erprobten Krippenspielen eine vorzügliche Prognose zu stellen; es bringt alle Voraussetzungen dafür
mit, in Kindergarten, Grund- und Hauptschule ein Klassiker zu
werden.
Wilhelm R. Reinmuth
Dietlind STEINHÖFEL / Steffi KAISER (Illustr.)
Karlchen und der Weihnachtsberg.
Ein Adventskalender zum Vorlesen und
Ausschneiden. Für Kinder ab 7 (Text) und 8
(Basteln) Jahren. Kaufmann-V. Lahr 2004,
52 S., 1245
Weihnachtstag, Weihnachtsbaum, Weihnachtsmann, Weihnachtsstern – das ist uns ja alles bekannt. Was aber ist ein
Weihnachtsberg? Etwa ein Berg voller Weihnachtsgeschenke?
Oder vielleicht der Berg, wo man an Weihnachten mit dem
Schlitten hinunterflitzt? Ganz falsch! Der Weihnachtsberg, der
hier gemeint ist, ist eine Erfindung aus dem Erzgebirge, dem
„Weihnachtsland“.
Solch einen geheimnisvollen Weihnachtsberg, den ihr
eigener Großvater einst vor vielen Jahren gebaut hat, bringt
die Großmutter ihren Enkeln Karlchen und Caroline mit, die
ihn den ganzen Advent hindurch Tag für Tag je um eine Figur
ergänzen und sich so dem Christkind immer mehr annähern,
bis der Berg schließlich am Heiligen Abend vollendet ist.
Nebenher erfährt Karlchen Einiges über Kamele, den Bischof
Nikolaus, Weihnachtsengel, Sprichwörter und Zimmermänner,
Abrahams Esel und Vieles mehr; außerdem weiß er nun auch,
was gemeint ist, wenn man von einem Streitpunkt spricht oder
worum es sich bei dem schwierigen Fachbegriff „einen Transformator installieren“ handelt.
Der spannende Adventskalender begleitet Kinder durch die
vorweihnachtliche Zeit; jeden Abend kann man sich gemütlich bei Kerzenschein hinsetzen, der neuesten Geschichte
von Karlchen und Caroline lauschen, vielleicht dabei leckeres
Gebäck knabbern und fleißig die Bildchen ausschneiden, die
anschließend auf das große Weihnachtsberg-Poster geklebt
werden. Viele Wortspielereien und Zweideutigkeiten, mit denen
Karlchen zurechtzukommen versucht, erheitern diese Arbeit
noch. Die Texte sind zwar offiziell erst ab 7 Jahren empfohlen, können aber durchaus auch jüngeren Kindern vorgelesen
werden, denn der Schreibstil ist recht einfach und für 5- oder
6-jährige ebenso verständlich wie für die Älteren. Insgesamt
ein sehr lehrreiches Büchlein, aus dem die Kinder genau wie
Karlchen die verschiedensten Dinge über Weihnachten, Traditionen, biblische Hintergründe, aber auch Technik und Sprache
lernen.
Tabea Sophie Reinmuth
Susanne PRAMBERGER / Susanne GERKE (Illustr.)
Ich warte auf meinen Geburtstag. Ein
Überraschungskalender mit einem Poster für
Kinder von 4 – 8 zum Lesen, Basteln, Spielen
und Feiern. Kaufmann-V., Lahr 2004, 32 S.
durchgehend farbig illustr., geheftet. 11,95
Also, wer sich von uns auch nur noch einen klitzekleinen Rest
von Erinnerungen an seine Kindheit bewahrt hat, der weiß,
wie stark man in jenen frühen Jahren seinem Geburtstag
entgegenfieberte. „Mama, wie lang noch“? – wie oft, fragt sich
der Rez., mag seine Mutter ihren Fünfen, mögen alle Mütter
ihren Sprösslingen diese Kinderfrage beantwortet haben,
indem sie mit nie erlahmender Geduld antworteten: „Noch
einmal Sonntag muss es werden...“, oder „Zweimal werden
wir noch wach...“
Am allerschlimmsten war die letzte Woche vor dem Fest.
Sie nahm und nahm kein Ende. Nie – außer vor Hl. Abend
– zogen sich die Tage so in die Länge. Und genau das hat nun
ein Ende. Zumindest sehr stark verkürzt ist von jetzt ab die
Zeit bis zum „Hoch soll er leben... dreimal hoch!“
Der Verlag hat nämlich endlich ein Einsehen mit den
armen, schier verzweifelnden Geburtstagskindern: ein Poster-Geburtstagskalender wird in der Woche vor dem Fest
in den Kinderzimmern für Kurzweil sorgen, so wie bei den
Kalenderzwillingen Ben und Lisa. Die beiden mosern nämlich
nicht länger nervig im Haus herum, sondern fangen an, ihrer
Langeweile den Garaus zu machen. Und das verdanken sie
ganz tollen Ideen, die sie allen anderen Kindern im Geburtstagskalender vorführen.
Los geht’s mit Einladungskarten, die natürlich bemalt und
dann verschickt werden müssen. Richtig super wird es freilich
erst, als Ben einen Schatz auf dem Dachboden findet. Außerdem: wenn sie morgens aufwachen, rennen die Zwillinge – sogar noch vor dem Zähneputzen! – in den Keller und vergewissern sich, dass das Paket ihrer Tante aus Australien noch da
und nicht etwa über Nacht verschwunden ist.
Als Lisa und Ben schließlich nur noch fünfmal schlafen
müssen, basteln sie sorgfältig ein Geschenk und fahren mit
Mama zu Omas Geburtstag. Wieder ein Tag geschafft. Übrigens wollten sie immer mal zum Ponyhof. Das passt jetzt gut,
denn am viertletzten Tag bringen die Schulbusse die älteren
Kindergartenkinder zusammen mit dem 1. und 2. Schuljahr
zum Hof von Herrn Langhofer, dem die Ponys gehören.
Als dann endlich, endlich auf dem Geburtstagskuchen die
zwölf Kerzen brennen, für jedes Zwillingskind sechs, ist er da,
der lang ersehnte Tag. Und, man ahnt es schon: an der Wand
im Kinderzimmer hängt ein prächtiges neues Poster: auch das
siebte und letzte Bild ist fest aufgeklebt.
Es sei zum Schluss noch auf folgendes hingewiesen: Der Kalender hat im Anhang
• eine ganze Reihe von Bastelvorschlägen für’s Kinder-Geburtstagsfest. So für eine Geburtstagskrone, ein Haar-
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kränzchen, für Tisch- und Deckenschmuck, für bunte
Ringe, Girlanden und Luftballongesichter; dazu
• Spielregeln für Ballon- und Kreisspiele; außerdem gibt’s
• bunte Tischkärtchen zum Ausschneiden und zum Schluss
noch
• ein herrliches Rezept für den Geburtstags-Gugelhupf.
Solcherart ausgestattet, hat der Kalender zweifellos das Zeug
zu einem Selbstläufer!
Renate SCHUPP / Ushie DORNER (Illustr.)
Der neue Paradiesgarten. Ein Osterkalender
mit einem Poster zum Vorlesen (für Kinder
ab 7) und Ausschneiden (ab 6). KaufmannV., Lahr 2004, 32 S. durchgehend farbig
illustriert; geheftet; 11,95
Es ist die dunkle Jahreszeit. Für manche unter uns: Fastenzeit.
Zeit nach Fasching. Passionszeit. Die sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern laden ein zur Besinnung.
Die Abende sind lang, der Winter hängt noch in Gebälk und
Gebüsch. Zeit, beieinander zu sitzen, vorzulesen, zuzuhören.
Wem ‚die Glotze‘ noch nicht vollends den Geist gelähmt hat,
dass er gänzlich zugedämmert ist, dem wachen Alte Geschichten auf, schlagen ihn erneut in ihren Bann. Ereignisse von
früher kommen herauf, Bilder treten vor unser Auge, Bruchstücke, Glücksmomente, Inseln unseres Lebens.
Das Ziel der dunklen Jahreszeit ist das Osterlicht von
Auferstehung und neu geschenktem Leben. Und Ostern: ist
es nicht die Wiederkehr der Paradiesesgeschichte von den
Anfängen der Welt, einst aufgeschrieben im Alten Testament?
Die schier unglaubliche Nachricht: die Jesus-Geschichte aus
dem Garten des Josef von Arimathia als die Fortsetzung dieses
uralten Anfangs Gottes mit seinen Menschen in dem Paradies,
welches sie „Garten Eden“ nannten: „Heut schleußt er wieder
auf die Tür zum schönen Paradeis..!“
Das „Neue Paradies“ ist untrennbar verknüpft mit den
Erzählungen von der Auferstehung Jesu. Im vorl. Osterkalender
erfahren unsere Kleinen die Geschichte von Jesus, wie Markus, Matthäus, Lukas und zuletzt Johannes sie bei den Alten
gesammelt und aufgeschrieben haben. Aber diese Biblischen
Schriften sind ja bei weitem noch nicht alles. Weil nämlich
kaum einer lesen konnte in jenen alten Zeiten, malten Künstler
kurzerhand das, was sie von der neuen, von der Ostergeschichte gehört und gelesen hatten, an die Wände und auf die
Glasfenster der Kirchen. So wurde es für alle zugänglich.
Freilich stellten die Maler nicht nur einfach die Handlung
der biblischen Geschichten dar. Sie umgaben sie vielmehr mit
handelnden Figuren, dazu mit Tieren und Pflanzen, welchen
im Christlichen eine geheime Bedeutung zu eigen war, die
wir Heutigen erst wieder erspüren müssen. Ähnliches gilt für
die Farben, welche die Maler auftrugen. Auch diese haben
„symbolische“ Bedeutung. Farben unterlegen dem Chor der
biblischen Personen gleichsam eine Melodie und verleihen den
Widerfahrnissen Strahlkraft und Tiefe.
Der vorl. Osterkalender erzählt also die Kunde vom
„Neuen Paradies“ entlang den Symbolen und Farben aus den
alten Bildern. Geordnet ist alles so, dass es für jede der sieben
Passionswochen je eine Farbe und zwei Geschichten gibt.
Dazu gehören zwei, jeweils am Rand der Seiten abgebildete
Symbole aus dem Pflanzen- und Tierreich. Sie können ausgeschnitten und in das beigefügte Poster eingeklebt werden. Am
Ende ist ein großer Paradiesgarten entstanden – ein Bild voller
geheimer Zeichen.
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N.N. / Stefan HESS (Illustr.)
Bibel-Quiz. 192 Fragen und Antworten zum
Alten und Neuen Testament.
Reli-Quiz. 149 Fragen und Antworten zur
christlichen Religion. Zielgruppe: jung und alt.
Beide: Spiralblock im Taschenformat 7 x 14.
Kaufmann-V., Lahr 2003 und 2004; 128 S.
farbig illustriert. 695
Woran erinnert der Hahn auf dem Kirchturm? Ist ‚Pope‘ eine
andere Bezeichnung für einen evangelischen Pfarrer? Was
bedeutet die Kreuzesinschrift INRI? Freilich, die richtige von je
drei möglichen Antworten auf diese und überhaupt alle 192
bzw. 128 Fragen kämen Ihnen wie aus der Pistole geschossen.
Klar!? Aber Ihren Schulkindern und Konfis? Und wer hätte in
Ihrer Jugendgruppe oder am Gemeindeabend die Nase vorn
beim Quizabend a la Jauch?
Seh’n Sie, das ist noch lange nicht raus! Auf jeden Fall
würden alle diejenigen brillieren, die beim RU früher nicht
abgeschaltet, im KU mitgearbeitet und eigentlich immer schon
interessiert gewesen wären am Wissen aus der Welt der Bibel,
am Geheimnis der Botschaft Gottes und an den Besonderheiten des christlichen Leben.
Die insgesamt 320 Fragen sind zusammengestellt aus den
sieben Themenbereichen Kirchenjahr, Gottesdienst und kirchliches Leben, Personen und Ereignisse, Gebäude und Gegenstände, Rund um die Bibel, Symbole und Schwierige Begriffe.
Zu jeder der zwei bis drei Fragen pro Kartonblatt (wie gesagt,
mit je 3 Antwort – Möglichkeiten) gibt es auf den Rückseiten
nicht nur die richtigen Antworten, sondern gleich auch noch
Hinweise zum Hintergrund.
Die beiden Quiz-Blöcke aktivieren pfiffig und spielerisch
das eigene Wissen zum christlichen Glauben. Wenn es sich
erst einmal rumgesprochen hat, wie vergnüglich man mit
ihnen ‚Günter Jauch‘ spielen kann, dann dürften sie bald zum
Handwerkszeug von Religionspädagogen gehören und aus dem
Handgepäck von Gruppenleitern lugen.
R. KRENZER (Texte) / M.GÖTH (Musik) /
Karin SCHLIEHE mit B. MARK (Illustr.)
Blumenwiese und Vogelzwitschern. Lieder,
Geschichten und Spiele für den Frühling.
Mit CD (6 Liedmelodien; 8 Liedtexte und 6
Playback-Versionen). Burckhardthaus-LaetareV., Offenbach 1999. 46 S.
Der Verfasser der Lieder zählt zu den wenigen großen deutschsprachigen Liedermachern, deren Zielgruppe Kindergartenund Schulkinder bzw. Jugendliche sind. Sein Einfluss hat noch
zugenommen, seit es Liederbücher mit CDs gibt. So haben
vor allem Lehrer/innen und Jugendleiter/innen die Möglichkeit,
neue Musik im Originalton zu hören und tun sich jetzt leichter
damit, sie ihren Gruppen zu vermitteln.
Die vorliegende CD-Sammlung von Liedern und Texten
bekommt man zusammen mit weiteren Erläuterungen und
Spielvorschlägen in einem Buch in die Hand, das stabil eingebunden und außen wie innen farblich anspruchsvoll gestaltet
ist. Die Lied- und Textthematik ist nicht streng religiös bestimmt. Kirchliche Inhalte (zu Ostern und Pfingsten) wechseln
mit Anlässen aus dem Tageslauf (Aufwachen; Sonnenschein),
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Feieranlässen (Geburtstag), Naturliedern (Das Meisenlied; Eine
dicke Raupe) und -texten (Glücksklee).
Sowohl die sechs CD-Lieder, als auch die davon unabhängigen acht Texte sind im Buch abgedruckt. Lediglich die
restlichen sechs Playback-Lieder haben ihren Platz nicht
zwischen den beiden Buchdeckeln sondern lediglich auf der
CD gefunden.
Lehrer/innen und Erzieher/innen dürften mit dem vorgestellten CD-Buch sehr gut zurechtkommen.
Markus HARTENSTEIN / Constanze LUFT
Ich freue mich. Ein Bilderbuch, ein Denkund Dankbuch zur Schöpfung. 24 S. mit
farbigen Illustrationen. Querformat 30 x 21,5
Kaufmann-V., Lahr 2002, 1200
Dem Autor, schwäbischer Religionspädagoge für den Fachbereich Grundschule, verdanken wir eine Fülle von aufwendigen
und beliebten Fachpublikationen (z.B. den Longseller ‚Liederbuch für die Jugend‘ mit über 20 Auflagen). Hartensteins
„Meine erste Bibel“ steht bereits bei vielen Kindern im Bücherregal – und das keineswegs nur in Süddeutschland.
Jetzt bringt der Verlag einen neuen „Hartenstein“, ein in
warmen Blautönen illustriertes Bilderbuch, welches schon
Fünfjährige zum Freuen verleiten möchte. Eltern, Erzieher/
innen und Lehrer/innen finden sich zwar standardmäßig in einem Nachwort auch angesprochen; diesmal aber ist das ganze
Bilderbuch – was sonst eher selten vorkommt – auch zu ihrer
Freude geschrieben und gestaltet.
Bilder und Texte gehen am biblischen 7-Tage-Schöpfungsbericht entlang. Sie tun es so, dass die uralte Botschaft des
biblischen Schöpfungshymnus in unser heutiges Betrachten,
Empfinden und Denken herüberreicht. Freude und Dankbarkeit
sollen aus der Nachricht erwachsen, dass Gott zur Welt in
Beziehung tritt. Damit wieder neu gelernt wird, dass die Welt
einen Grund hat, dem man sich anvertrauen kann.
Der Autor lässt die nach den sieben Schöpfungstagen
gegliederten, zum Besinnen, zur Meditation einladenden Texte
jeweils mit den Worten beginnen: „Ich freue mich...“ Zuerst:
„über das Licht...“; dann „über die Sonne...“; bis: „dass ich
da bin...“. Die tiefste Ursache für diese Freude erschließt sich
dem, der – vielleicht über die Betrachtung der guten Schöpfung – Gott endlich oder von jetzt an nur noch als den „Liebhaber des Lebens“ (Weisheit 11,24) begreift.
„Am Ende“, so schreibt es der Autor in der Verlagsanzeige für sein Buch, „stehen Dank und Hoffnung und das
Versprechen, so viel wie möglich beizutragen, dass das Leben
gut wird.“ Ein solches Buch, das zunächst für Kinder von 5
– 10 gestaltet wurde, kann man getrost in jedes Lebensalter
verschenken.
M. GÖTH (Musik) / R. KRENZER (Texte)
Das macht der Sommersonnenschein. CD
mit Begleitheft zu Sing- und Spielliedern für
Grundschule, Kindergarten und Elternhaus.
Kaufmann-V., Lahr 2002; 17 Lieder auf 41
Seiten, durchgehend illustriert, geheftet. 800
Auf einmal ist der Frühling da. CD mit
Begleitheft wie oben, jedoch 15 Lieder auf 40
Seiten
In vielen (vor allem: Grund-) Schulstuben landauf, landab wird,
ebenso wie in den meisten Kindergärten, nach Herzenslust
gesungen. Deshalb werden alle diese „Liederstuben der Nation“ begierig herhören, wenn – zumal unter dem Namen Rolf
Krenzer – zwei neue Liederhefte, d.h., eigentlich muss man es
umgekehrt sagen: zwei neue Lied-CDs mit Begleitheft herausgekommen sind. Dies umso mehr, als jetzt die vor einiger Zeit
vom Verlag begonnene Reihe vollständig vorliegt. Nach „Winterzeit – Kinderzeit“, „Jetzt malt der Herbst die Äpfel an“ und
„Macht euch bereit zur Weihnachtszeit“ schließen Frühlingsund Sommerbüchlein die Serie ab.
Auch bei diesen letzten beiden CDs ist es wie bei den
schon vorliegenden, dass die Lieder – 17 bzw. 15 sind es
diesmal – mit Originalinstrumenten aufgenommen wurden.
Die Elektronik musste außen vor bleiben. Wieder enthält jedes
Begleitheft Notensätze und Strophen aller Lieder und ist mit
fröhlichen Illustrationen innen und außen geschmückt.
Schauen wir uns beispielhaft das Sommerheft an. Was
singt man in dieser Jahreszeit? Natürlich zuallererst, wie zu
anderen Zeiten auch, ein Morgenlied. Und gleich da muss,
wie überhaupt immer bei Kindern, das Singen Spaß machen:
„Der Opa fliegt und flattert vorm Vogelhaus herum. Er zeigt es
seinem Kakadu, der ist dafür zu dumm.“ So etwa. Überhaupt
macht der Sommer froh, denn „...so schön kann es nur im
Sommer sein“. Sommerzeit, jeder sehnt sich danach, ist auch
Reisezeit: „Hallo, wir reisen um die Welt...“ – nach Afrika,
nach China, zum Südpol und „Mit der Rakete so wie die Astronauten... kann’s jeder mal probiern“.
Wer diesmal zu Hause bleibt, singt Indianer- und Cowboylieder und reitet „auf den Mustangs durch das Gras“; und
natürlich gibt’s ein Riesen-Sommerfest zu besingen; auch eins
für die Tiere: „da kommt sogar die Ziege und auch die Stubenfliege“ und „die Maus mit ihrem langen Schwanz, die zeigt uns
ihren Mäusetanz“; so sind sie alle dabei, groß und klein, wie in
Noahs Arche, besungen in diesem 23 (!) – Strophen-Lied.
Dass im Sommer auch Kinder geboren werden und dazu
ein Begrüßungslied verdienen; dass Besuch ins Haus kommt
und mit Hallo begrüßt wird; dass die Frösche quaken und die
Kirschen reifen: alles dies sind Anlässe zu fröhlichem Singen – bis die Sonne schließlich schlafen geht, der Mond am
Himmel steht und der Sommertag mit seinem Abendlied so
ausklingt: „Danke für den guten Tag ...und schenk uns allen
eine gute Nacht!“
Zum Frühlingsheft sei wenigstens so viel erwähnt: fünf
Lieder kreisen um das Oster-Evangelium; ebenso viele besingen den Frühling und die Osterbräuche. Bleiben noch als
weitere Liedthemen der Muttertag, die Frühjahrsmüdigkeit, der
Gartenzwerg, eine Hochzeit und zum Schluss das liebe Pfingstfest. Na, Frühlingslied- und Sommerlied-Lust bekommen?
ARBEITSGRUPPE KINDERKATECHISMUS mit
Sabine GERKE (Illustr.)
Vorlesebuch – Erzähl mir vom Glauben.
Geschichten für Kinder von 4 – 8. Hrsg.:
VELKD, Kaufmann-V., Lahr und Gütersloher
Verlagshaus 2002. 151 S., gebunden 1495
Der Kinderkatechismus ist das hierzulande offensichtlich
beliebteste und am weitesten verbreitete, bunte ‚Glaubens‘
- Buch für Kinder in den letzten Kindergarten- und ersten
Grundschuljahren. Und das trotz der einen oder anderen von
uns aufgezeigten und vielleicht bei nächster Auflage zu berücksichtigenden Verbesserungsmöglichkeit ( vgl. ‚bb‘ 93, S. 58).
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Die Stärke des Katechismus` liegt in seinem Grundtenor: Glaubenserfahrungen sind nicht Randerscheinungen und Erwachsenensache, sie gehören vielmehr mitten ins Leben und in den
Alltag schon unserer Kinder. Originalton Jesus v. N.: „Wenn ihr
nicht werdet wie die Kinder...!“ (Ev. Matthäus 18, 3)
In der 6., völlig neu bearbeitete Auflage sind die Stoffgebiete gestrafft und neu zusammengestellt worden. Es gibt jetzt
nur noch zehn Themen und zwar aus den Bereichen Kirche,
Ostern, Abendmahl, Schöpfung, Tod, Sonntag, Geburtstag,
Weihnachten, Pfingsten und Gott. Zu jedem Thema bietet das
Buch zwischen vier (‚Sonntag‘) und neun (‚Geburtstag‘)Erzäh
lgeschichten an. Deren Vorlesedauer liegt zwischen einer und
maximal sechs Minuten.
Die Verlage sehen als Zielgruppe Lehrer/innen in der
Grundschule, Leiter/innen von Kindergruppen, Erzieher/innen,
(Groß-) Eltern und Pat(inn)en. Die Geschichten versuchen,
Grundbefindlichkeiten und Lebenserfahrungen von Kindern
zu thematisieren und Anstöße zu deren christlicher Durchdringung zu vermitteln. Das wird weithin, muss aber nicht
immer gelingen. Deshalb kann es durchaus – und keineswegs
nur im Religionsunterricht – geboten sein, in vertiefenden
Nachgesprächen offen gebliebene Fragen zu erörtern. Zum
Beispiel dann, wenn Ostergeschichten auf das Thema ‚Verlieren – Wiederfinden‘ fokussiert bleiben. (Um es etwas überspitzt zu formulieren: Es ist eben nicht Ostern geworden, damit
die verschreckten Jünger ihre Vermisstenanzeige wieder vom
Schwarzen Brett nehmen können).
Abschließend und als besonders hilfreich für die Arbeit
von Unterrichtenden sei erwähnt, dass es im Anhang zu den
insgesamt 128 Erzählungen knappe Inhaltsangaben, Gesprächsanstöße, Anregungen zum Weitererzählen und die bereits erwähnte Auflistung der benötigten Vorlesezeiten gibt. Ein
Stichwortverzeichnis und ein Autorenregister erleichtern den
thematischen Zugang zu dieser reich bestückten literarischen
Fundgrube. Man schöpft mit Gewinn Materialien, deren Reflexion unseren Kindern den Zugang zum christlichen Verständnis
von Leben und Welt ebnen soll.
Die Herausgeberin der vorl. Kindergebetssammlung mag
derlei Überlegungen nur am Rande ihrer konzeptionellen Arbeit
gestreift haben. Für ihr Büchlein jedenfalls konnte sie mit
absoluter Gewissheit davon ausgehen, dass – schon gar im
piestistisch geprägten Süden und Westen der Republik – nach
wie vor gebetet wird. Dies geschieht sowieso in den konfessionellen Kindergärten, aber auch in vielen Kinderzimmern.
Deshalb legt sie erneut ein Gebetbüchlein vor. Diesmal ist es
eingereiht in eine Serie von fünf, inzwischen mehr als eine
halbe Million mal verkauften Büchlein für den Elementar- und
ersten Primarbereich. Gedacht auch als Geschenk aus der
Hand von Eltern, Paten, Großeltern…
Die Autorin, man registriert es dankbar, hat der Gebetssammlung eine Struktur gegeben. Von „Ersten Gebeten“
(„Lieber Gott, mach Papa wieder gesund“) schaut man zwar
gern zurück zu dem, „Was Großmutter und Großvater gebetet
haben“ („Wie fröhlich bin ich aufgewacht…“). Aber ein Gebetbuch ohne „Gebete aus unserer Zeit“ („Gib uns Frieden jeden
Tag…“ hier in Liedform) ist nicht gut vorstellbar. Und dass
unsere Kleinen alsbald beginnen, den vorgeprägten Gebeten
eigene Gedanken hinzuzufügen, weiß jeder, der mit Kindern
oder Enkeln betet. Die Herausgeberin hat deshalb eine ganze
Reihe von kurzen Gebetsformulierungen gesammelt, die aus
Kindermund ergänzt werden möchten („Lieber Gott, pass auf
alle auf, die ich lieb habe...). Jedem der genannten Abschnitte
ist übrigens eine sorgfältig formulierte Einführung vorangestellt.
Mit dem „Gebet des Herrn“ endet dann ein überaus liebevoll gestaltetes, mit kinderhandtauglichem Einband umschlossenes Brevier, welches nicht nur auf dem Reli-Lehrer -Schultisch in der GS oder im Fach der Kindergarten-Erzieherinnen
liegen dürfte, sondern womöglich auch zum streng gehüteten
‚Schatz‘ in Kinderzimmern avanciert.
Wilhelm R. Reinmuth
Renate SCHUPP / Waltraud M. JACOB (Illustr.)
Mit Kindern beten. Kaufmann-V., Lahr 2004,
32 S. durchgehend farbig illustriert. 1095
Es scheint zu den schlicht unausrottbaren Fundamentalklischees und frei flottierenden Gemeinplätzen der öffentlichen
Diskussion zu gehören, von Sachkenntnissen meist verschont,
dafür aber umso forscher zu behaupten, es werde hierzulande
nicht mehr gebetet. Das zeigt, wie wenig sich erst herumgesprochen hat, dass – zugegeben: seltsamer Weise – gerade viele der sog. aufgeklärten Eltern inzwischen zu ahnen beginnen,
dass sie bei der Verbannung der vermeintlich ‚überlebten‘
christlichen Gebetskultur aus ihren Kinderzimmern womöglich einem Irrtum aufgesessen sind, dessen fatale Folgen sich
in der Erziehung ihrer Kinder alsbald und gar nicht so selten
gravierend bemerkbar zu machen beginnen. Möglichweise ist
das dann der Fall, wenn die herangewachsenen Sprösslinge,
ohne vom Blick auf das rettende ‚Licht der Welt‘ zu wissen,
jämmerlich Schiffbruch zu erleiden drohen: da lauert der
Erfrierungstod an Egomanie, da gähnt Sinn-Losigkeit, da quält
man sich jahrelang auf der Couch der Psychos sein Innerstes
zum Halse heraus. (Aufmerksamen Zeitungslesern dürfte z.B.
nicht entgangen sein, wie sich zwischen den Zeilen mancher
Leserbriefe zum aktuellen ‚Kruzifixus-Streit‘ traumatische Erlebnisse erahnen ließen, die einen Zusammenhang mit unserer
Thematik nahe legten).
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'bb' 108-2/2004
inhalt 'bb' 108-2/2004
liebe leser
1
meditation
2
u-einheit:
4
hans-georg babke
friedrich weber
„weck mich auf“ – von alpträumen und visionen
heiko lamprecht
„wenn dein kind dich morgen fragt...“
axel klein
26
u-einheit:reformation
u-stunde: leben und wirken martin luthers
31
fachbeitrag:
42
julia jans
religiöse symbole in der schule
aktuelles in einem colloquium der european association
for world religion in education (EAWRE)
gabriele tscherpel
gottesdienst:stopp!
gottesdienst am buß- und bettag
44
fachbeitrag:
bildungstheoretische reflexionen zur frage nach bildungsstandards im unterrichtsfach evangelische
religionslehre – herausforderungen und konsequenzen
für die biblische didaktik
47
„ich schäme mich des evangeliums nicht...“
erwägungen zu dem ekklesiologischen grundmotiv der krise
53
henry schwier
jutta siemann
fachbeitrag:
hartmut rosenau
buchtipps
59