TOURENBERICHT – ECUADOR EISGIPFEL AUF DER STRASSE

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TOURENBERICHT – ECUADOR EISGIPFEL AUF DER STRASSE
TOURENBERICHT – ECUADOR
EISGIPFEL AUF DER STRASSE DER VULKANE
Termin:
18.11. – 3.12.2006
Veranstalter: DAV Summit-Club / Expediciones Andinas – Marco Cruz / Riobamba
Teilnehmer:
- Nattke, Lutz
(Freiberg/Sachsen)
- Weinhold, Holm
(Freiberg/Sachsen)
- Froehlich, Hans
(Berlin)
- Ruge, Ute
(Berlin)
- Friess-Becker, Christian (München/Bayern)
- Rieger, Helmut
(Hausen/Bayern)
- Hartwig, Katharina
(München/Bayern)
- Hoffmann, Markward
(Pirna/Sachsen)
- Kohlschmidt, Frank
(Odenthal/Nordrhein-Westfalen)
- Reiter, Elisabeth
(Seefeld/Österreich)
- Stemmer, Kurt
(Fridolfing/Bayern)
Basislager am Cotopaxi
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Sonnabend 18.11.2006:
Endlich war es soweit. Die Maschine hob in Berlin-Tegel ab und wir waren auf Tour. Es
sollte ein langer Flug von mehr als 15 Stunden werden, ehe wir über Amsterdam, Bonair
(Karibik) und Guayaquil (Pazifikküste) in Quito der Hauptstadt Ecuadors ankamen.
Sonntag 19.11.2006:
Wir waren nun bereits mehr als 24 Stunden unterwegs und dazu kam noch die
Zeitverschiebung von 6 Stunden. Am frühen Nachmittag ging es nach dem Anmelden und
Zimmerbezug im Hotel Republica auch gleich auf Erkundung in die City. Unser Veranstalter,
die Expeditiones Andinas von Marco Cruz stellte einen geländegängigen Bus mit Fahrer und
einen Guide namens Hector, die uns für die nächsten Tage begleiten sollten.
Zuerst fuhren wir auf den El Panecillo (kleiner Brotlaib); ein Berg am Rande der Altstadt von
Quito, von dem man einen herrlichen Überblick gewinnt. Getrübt wird die Aussicht nur durch
die enormen Abgasmengen, die von den unzähligen, hoffnungslos überalterten Fahrzeugen
auf den Straßen Quitos in die Luft geblasen werden. Bedenkt man, dass Quito bereits 2800 m
über dem Meeresspiegel liegt und nimmt die Luftverschmutzung dazu, erkennt man schnell,
dass diese Stadt wahrlich kein Luftkurort ist.
Nach ausgiebigem Stadtrundgang mit Kirchen, Denkmälern und alten Gebäuden aus der
spanischen Kolonialzeit wurden wir noch in einem ziemlich feudalen Lokal mit den hiesigen
Eßgewohnheiten vertraut gemacht. Es gab so eine Art gefüllte Teigtaschen und verschiedene
Sorten gerösteten, gepufften oder sonst wie zubereiteten Mais als Vorspeise, gebratenes
Schweinefleisch, Reis, Gemüse und sehr schmackhafte kleine Kartoffeln als Beilage. Die
Speisen waren nicht übermäßig gewürzt. Es standen immer recht scharfe Chilisoßen mit
verschiedenen Kräutern wie z.B. Kardamom auf dem Tisch und man kann selber sehen, wie
viel man davon aushält. In Ecuador gibt es nur eine Sorte Bier. Es heißt Cerveza-Pilsener. Wir
probierten es natürlich gleich und es wurde für gut befunden.
Abends hieß es noch Ausrüstung ordnen und Rucksack packen für die Akklimatisationstour
auf den Rucu Pichincha am nächsten Tag.
Die Jungfrau von Quito auf dem El Panecillo. Sie sollte uns Glück bringen.
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Montag 20.11.2006:
Der noch aktive Vulkan Rucu Pichincha (4794 m) ist der Hausberg von Quito und thront hoch
über der Stadt. Mit dem Expeditionsbus fuhren wir auf recht abenteuerlichen,
ausgewaschenen Wegen bis auf ca. 3700 m Höhe. Leitplanken kennt man in Ecuador nicht
und viele der ärmlichen Häuser sind so in den Hang gebaut, dass man meint, ein heftiger
Gewitterguß kann sie den Berg hinunterspülen. Von den Hängen des Rucu Pichincha kann
man ganz Quito überblicken; Dunstschleier inklusive. Die Stadt zieht sich bald 50 Kilometer
in einem Längstal dahin.
Wir hatten noch etwa 1000 Höhenmeter bis zum Gipfel zu bewältigen. Zunächst ging es über
steile Hänge mit Bärlapp und Paramogras. Dann wurde es felsiger und zum Schluß folgte
noch ein Stück Kletterei (I-II) auf dem NNW-Grat, das wir seilfrei bewältigten. Leider zog
der Himmel zu und es fing an zu regnen, sodaß wir kaum Sicht hatten und beim Abstieg auch
noch richtig naß wurden. Aber körperlich haben alle die Höhe gut weggesteckt und das war
als Auftakt für die kommenden Berge schon motivierend.
Dienstag 21.11.2006:
Die Panamericana – Traumstraße durch Nord- und Südamerika. Es war ein tolles Gefühl hier
entlang zu fahren. Der Abschnitt zischen Ost- und Westkordillere in den ecuadorianischen
Anden ist Humboldts „Straße der Vulkane“. Zu beiden Seiten der Trasse sahen wir die
teilweise wolkengesäumten Kegel in den Himmel ragen.
Unser Ziel waren die Illinizas (Nord und Süd), ein erloschener Doppelvulkan. Um uns an die
nächste Höhe anzupassen, wollten wir den technisch einfachen Illiniza Norte (5116 m)
besteigen. Das Lager wurde am Campamento La Virgen auf 3970 m Meereshöhe errichtet.
Campamento La Virgen mit Illiniza Sur (5263 m) und Illiniza Norte (5116 m - rechts)
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Abends stiegen wir noch bis in einen Sattel auf 4400 m, um zusätzlich etwas für unsere
Höhenanpassung zu tun. In der Nordflanke suchten wir die möglichen Auf- und
Abstiegsrouten zu entdecken, fotografierten die herrliche Abendstimmung und genossen es, in
dieser unberührten Natur zu sein.
Mittwoch 22.11.2006:
Üblicherweise ist der Anstieg auf den Illiniza Norte schnee- und eisfrei. Aber nicht für uns.
Wir hatten das „Glück“, dass es doch so etwa 30 cm Neuschnee gegeben hatte und die Tour
somit kombiniert wurde. Durch Paramogras und andere letzte Vegetation stiegen wir
morgens um 4 Uhr bis in einen Sattel auf ca.4400 m. Geschlafen hatte in dieser ersten
Zeltnacht auf fast 4000 m keiner so richtig. Aber endlich am Berg zu sein und die Erwartung
und Spannung einer großen Bergfahrt machte uns richtig munter. Über eine Moräne
erreichten wir die Hütte „Nuevos Horizontes“ (4680 m) und von da den Sattel „Ensilada“
(4700 m) zwischen den beiden Illiniza-Gipfeln. Über die Südflanke des Berges stiegen wir bis
zum Hauptgrad auf. Mittlerweile gewann die Sonne die Oberhand über die Quellwolken und
am Horizont tauchte erstmals der phantastisch geformte Vulkankegel des Cotopaxi auf. Nun
wurden einige schroffe Gendarme (Agujas genannt) südseitig umgangen und bis zum
Vorgipfel Pico Villavicencio (5010 m) aufgestiegen. Vor uns lag jetzt die zum Teil exponierte
Traverse, welche den wunderschönen Namen „Desfiladero de la muerte“ trägt. Auf deutsch
bedeutet das so etwa Todesquerung, was uns am Abend zuvor Stoff für manche Spekulation
gab. Im Nachgang betrachtet war es eher eine normale Querung. Es wurden Fixseile verlegt
und so gelangten wir trotz der Neuschneeverhältnisse ohne größere Probleme durch die
Nordflanke auf den NW-Grat. Über diesen geht es ein wenig östlich in leichter Kletterei
(Stellen bis II) auf den Gipfel des Illiniza norte (5166 m), den sogar ein Gipfelkreuz fast nach
Alpenart krönt.
Der Abstieg in einen Sattel, über die lange Nordflanke und letztendlich durchs hügelige
Paramo zog sich dann doch noch beachtlich lange hin. Wir hatten ca.1150 Höhenmeter im
Auf- und Abstieg zu bewältigen und waren froh, das Basislager noch rechtzeitig 13.00 Uhr
vor den nachmittäglichen Regenschauern zu erreichen.
Alpaca
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Donnerstag 23.11.2006
Nun hatten wir wesentlich besser auf dieser Höhe von knapp 4000 m geschlafen und uns
erwartete ein traumhafter Morgen. Als die Sonne aufging sahen wir über einem Wolkenmeer
unser nächstes Gipfelziel, den Cotopaxi. Er schien in der Landschaft zu schweben.
Cotopaxi vom Basislager La Virgen aus gesehen
Bevor es an den nächsten Berg ging, besuchten wir einen Indio-Markt in Saquisili. Es war
bunt und interessant und ein Erlebnis für Augen, Ohren und Nase !
Anschließend fuhren wir zu der absolut traumhaften Hazienda La Cienega aus der
Kolonialzeit. Bereits Humboldt hat hier residiert. Die Gegensätze könnten kaum größer sein.
Erstklassige nationale Küche, Livemusik von einer Folkloreband und ein großer Garten voll
tropischer Pflanzen und Kolibris. Wir wurden von Marco Cruz, dem besten Bergsteiger
Südamerikas begrüßt. Er übernahm von Hector die Leitung der Tour und sollte uns nun an die
vor uns liegenden, zwei hohen Berge begleiten. Wir staunten nicht schlecht, als er sich selbst
hinter das Lenkrad unseres Busses setzte und somit Bergführer, Reiseleiter und Busfahrer in
einem war.
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Hazienda La Cienega
Zurück auf die Panamericana ging es nun in Richtung Cotopaxi-Nationalpark. Sobald wir von
der gut ausgebauten Fernstraße abbogen, wurde es wieder sehr holprig in unserem
geländegängigen Expeditionsbus. Wenn die Luftfeuchte innen zu hoch wurde und die Fenster
beschlugen, mußte der Beifahrer dem Marco Cruz die Scheiben frei wischen. Eine Heizung
gab es nicht.
Das Zeltcamp wurde nahe der idyllischen Laguna Limpiopungo auf ca.3800 m errichtet.
Mittlerweile konnten wir in dieser Höhe recht ordentlich schlafen.
Freitag 24.11.2006
Wieder schien die Sonne am Morgen. Kurzentschlossen wurden das Früstück aus dem
dunklen, feuchten Messzelt (ein Relikt der Nationalen Volksarmee der DDR !) ins freie
verlegt. Ein Picknick unterm Cotopaxi – ein Traum für jeden Bergsteiger.
Marco Cruz erklärt die Aufstiegsroute
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Vormittags war Materialcheck angesagt. Marco kontrollierte Schuhe, Steigeisen, Gurtzeug
etc. Das Gehen am Fixseil mit Steigklemme wurde an einem angenehmen Grashang in voller
Ausrüstung noch mal getestet. Nachmittags machten wir noch eine kleine Wanderung bis auf
ca. 4500 m, es regnete natürlich ab 14.00 Uhr wieder. Wir mussten dann noch durch ein kaltes
Flüsschen waten, was den Füßen aber ganz gut tat. Und dann war Ruhe vor dem Gipfelgang
angesagt.
Abends um 22.00 Uhr ging es endlich los. Die Nacht war noch relativ windstill und zunächst
stiegen wir auf einem asche- und geröllhaltigen Pfad bis zur Hütte Refugio Rose Ribas auf
4800 m. Nach einem kurzen Aufenthalt zum Tee trinken und dem Anlegen zusätzlicher
warmer Kleidung und der notwendigen Kletterausrüstung wurde es nun um einiges ernster.
Helmut, Lutz und ich bildeten zusammen mit Manuel eine Seilschaft.
Sonnabend 25.11.2006
Oberhalb der Hütte wurde weit nach rechts, Richtung Westen traversiert, um die großen
Randspalten zu umgehen. Auf ca. 5200 m Höhe legten wir die Steigeisen an und stiegen über
eine kurze Steilstufe auf den Gletscher ein. Es begann ein endlos scheinender Anstieg durch
das Spaltengewirr des Gletschers. Die Neigung des Hanges bewegte sich ständig zwischen 30
und 50 Grad, wodurch man eigentlich keine Möglichkeit hatte, sich zwischendurch mal etwas
zu erholen. Bei notwendigen Trinkpausen wurde es schnell empfindlich kalt und mit
zunehmender Höhe und Ausgesetztheit bekamen wir natürlich auch mehr Wind ab. Eine
Zweierseilschaft, ein Pärchen, die vor uns gestartet waren, ließen uns nun bei ca. 5600 m
Höhe in einer Mulde unter dem Gipfelhang bereitwillig vorbei, da sie wohl etwas
Orientierungsprobleme hatten. Es hatte fast einen halben Meter neu geschneit und Manuel,
unser einheimischer Führer, hatte nun das „Vergnügen“, den größten Teil der Spurarbeit zu
leisten. Die Aufstiegsroute führte westlich an der schwarzen Felswand „Yanasacha“ vorbei,
die aufgrund der Wärmeabstrahlung fast eisfrei bleibt. Die letzten 100 Höhenmeter sind bei
dieser Route am Cotopaxi die steilsten. Die Sonne ging so gegen 6.00 Uhr auf; wir bemerkten
es kaum. Wir wühlten uns durch den Schneehang hinauf Richtung Kraterrand und endlich war
das Steigen zu Ende. Der Hang legte sich, wir gelangten in einen kleinen Sattel und gegen
6.30 Uhr standen wir als Tageserste auf dem 5897 m hohen Gipfel.
Erst jetzt registrierten wir den strahlend blauen Himmel, die komplette, faszinierende
Rundumsicht mit den hohen Vulkanen Antisana, Cayambe, den Illinizas, dem Tungurahua
mit Rauchwolke und den beeindruckenden Blick in den Krater des aktiven Vulkans Cotopaxi.
Aus diesem qualmte es leicht an mehreren Stellen und man hatte auch hin und wieder etwas
Schwefelgeruch in der Nase. Im Südwesten sahen wir unser nächstes Gipfelziel, den
majestätischen Chimborazo.
Das härteste Stück Arbeit beim Aufstieg hatte unser Manuel geleistet und dementsprechend
herzlich bedankten wir uns auch bei ihm dafür. Er fragte jeden von uns dreien: „Du gehen
Chimborazo?“ Ich wollte die Frage in diesem Moment nicht beantworten....
Nach und nach trafen die anderen Seilschaften ein. Wir waren bereits eine Dreiviertelstunde
oben und langsam wurde es uns doch kalt. Vor uns lagen noch 1300 Höhenmeter Abstieg die
noch mal alle Reserven vom Körper forderten.
Aus unserer Gruppe haben insgesamt sechs den Gipfel erreicht. Die Bedingungen waren
sicher optimal, aber entscheidend ist an diesem Berg, wie meist beim Bergsteigen, ein hohes
Maß an Motivation.
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Blick vom Gipfel in den Krater des Cotopaxi
Sonntag 26.11.2006
Wir wechselten von der Ost- in die Westkordillere zum Fuße des Chimborazo. Die Fahrt
führte über einen 4200 m hohen Paß auf der Panamericana zunächst nach Ambato, der
Hauptstadt der Provinz Tungurahua. Der Vulkan Tungurahua ist derzeit aktiv und spuckt
mehrmals täglich Aschewolken aus. Im August hatte es sogar einen heftigen Ausbruch mit
Verwüstung der umliegenden Dörfer und Ascheregen gegeben. Davon war aber
glücklicherweise nichts mehr zu sehen.
In einem herrlich gelegen Tal an der Südseite des Chimborazo, in ca. 4000 m Höhe hat
Marco Cruz ein komfortables Basislager errichtet. Es besteht aus zwei urigen Schlafhütten mit
Wasser- und Stromanschluß; zweckmäßig eingerichtet und liebevoll mit bergsteigertypischen
Utensilien und jeder Menge alten und neuen Bildern ausgestattet. Dort bezogen wir am Abend
die Unterkünfte.
Schlafhütte Chimborazo Basecamp
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Montag 27.11.2006
Heute legten wir einen Ruhetag ein. Ausschlafen, Körperpflege, Sachen trocknen und
umpacken. Vormittags gab es noch eine Trainingseinheit am Fixseil und dann war warten
angesagt. Marco Cruz holte Informationen über die aktuellen Schnee- und Eisverhältnisse am
Berg ein. In der Woche zuvor hatte es große Neuschneemengen am Chimborazo gegeben, der
sich noch nicht genug gesetzt hatte. Es war keine Seilschaft am Gipfel gewesen.
Nachmittags fiel dann die Entscheidung. Wir gehen heute nicht hoch.
Dienstag 28.11.2006
Gut ausgeruht machten wir uns an diesem Morgen auf eine Wanderung durch das Paramo. Es
ging auf ca. 4000 m Höhe einen alten Inkapfad entlang. Den Chimbo hatten wir stets im Blick
und im Laufe des Vormittags zog er fast vollständig frei. Wir sahen unsere geplante
Aufstiegsroute, den Westgrad.
Chimborazo von Süden (links der Westgrad)
Unsere Tour führte uns so nebenbei auf einen kleinen Felsgipfel von 4500 m Höhe mit einem
herrlichen und hier einmaligen und alten Bergwald. Üblicherweise gibt es sonst nur
Lavaasche, Paramogras und Herden von Vicunas (Wildlamas).
An diesem Abend war die Anspannung, die einen vor einer großen Bergtour befällt, bei allen
spürbar. Drei aus unserer Gruppe entschieden sich nach ihren Erfahrungen vom Cotopaxi
gegen einen Aufstieg. Sie wollten am nächsten Tag eine Bahnfahrt mit der Ferrocarril del Sur
von Riobamba über die berühmte „Teufelsnase“ nach Alausi machen.
Wir wollten nicht die „Teufelsnase“, wir wollten den vom Erdmittelpunkt aus gemessen
höchsten Berg des Globus besteigen. Um 22.00 Uhr ging es dann endlich los. Wir waren drei
Seilschaften, wobei wir wieder wie am Cotopaxi unterwegs waren (Manuel, Helmut, Lutz und
Holm). Die Nacht war klar; der Sternenhimmel am Äquator überwältigend. In einer
Geröllflanke mit mäßiger Steigung ging es aufwärts, bis der Kamm des Westgratausläufers
erreicht wurde. Ab hier folgten wir fast ausschließlich dem verschneiten Gratverlauf.
Kurz vor der ersten deutlichen Einschartung, noch in einiger Entfernung vom mächtigen
Felsgendarm „El Castillo“ (die Burg) verließen wir den Grat südseitig um eine lange Querung
in ca. 40 Grad steilem Gelände zu beginnen. Mittlerweile war es Mitternacht.
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Mittwoch 29.11.2006
Nach einer kurzen Trinkpause am Fuße des Castillos traversierten wir unterhalb der Felsen
noch ungefähr 300 m, bis der höchste und letzte Felsturm umgangen war. Auf der Ostseite der
Formation stiegen wir in gutem Firn ca. 100 Höhenmeter bis in einen Sattel auf. Von hier
führte die Route stets auf dem mal mehr mal weniger ausgeprägten Westgrat in Firn und Eis
(um 30 Grad) aufwärts. Wir waren über 5500 m und man spürte die Höhe nun deutlich. Wir
wurden langsamer. Wieder hatten wir das Glück, als erste Seilschaft zu gehen. Unsere DAVSummit-Gruppe mit den Guides von Expeditiones Andinas war die einzige am Berg.
Im weiteren Verlauf kamen immer wieder Steilstufen, die bis zu 50 Grad Neigung aufwiesen.
Zweimal wurden Fixseile verlegt. Wir waren mit dem Steigen, der Anstrengung und der Kälte
beschäftigt. Viel mehr registrierten wir nicht. Es war wie immer an hohen Bergen am
kältesten, bevor die Sonne aufging. Das Gelände war trügerisch. Immer wenn man meinte,
den Gipfel vor sich zu haben, kam noch eine weitere Erhebeung. Hier war eindeutig Moral
gefragt. Und dann ging die Neigung zurück, Büßereis erschien und wir waren oben auf dem
Ventimilla-Gipfel (NW-Gipfel) auf 6267 m. Es war 7.00 Uhr und die Sonne schien und der
Himmel war blau und wir waren fertig und glücklich zugleich.
Chimborazo - Ventimilla-Gipfel 6267 m
Ein Weitergehen zum Whymper-Gipfel (6310 m) erschien uns nach unserem neunstündigen
Aufstieg, aufgrund des Büßereises auf die 600 m Horizontaldistanz und auch nach
selbstkritischer Einschätzung unserer Verfassung nicht ratsam.
Der Abstieg wurde noch lang und kräftezehrend und erforderte volle Konzentration.
„Der Berg gehört dir erst, wenn du wieder unten bist. Sonst gehörst du dem Berg!“
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Chimborazo von Osten
Donnerstag 30.11.2006
Die Freude ist in dir, wenn du es geschafft hast. Man realisiert es erst im Nachgang richtig,
was man geleistet hat. Nun war die Anspannung weg und wir konnten es uns einfach nur gut
gehen lassen.
Wir fuhren auf einen Indiomarkt nach Cajabamba, genossen die Landschaft mit dem alles
dominierenden Chimbo, fotografierten und kauften eine ganze Menge bunte Alpaca-Mützen.
Das Handeln sind wir nicht gewöhnt als Mitteleuropäer. Und wenn man so eine Mütze für 2-3
Dollar erwirbt, hat man fast ein schlechtes Gewissen dabei. Andererseits ist es dennoch eine
wirtschaftliche Hilfe für die Einheimischen.
Indigena
Der Hut ist bei der einheimischen indigenen Bevölkerung obligatorisch. Bei der intensiven
Sonneneinstrahlung im Hochland der Anden ist er auch als Kopfschutz unerlässlich. Ich
musste das am eigenen Leib erfahren, da ich an diesem Ausflugstag auf das Basecap
verzichtete und den Sonnenschutz vergessen hatte. Ein ordenlicher Sonnenbrand im Gesicht
war die Belohnung.
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Markt in Cajabamba
Nachmittags waren wir dann bei Marco Cruz in seiner Hazienda in Riobamba eingeladen.
Marco Cruz – Die Bergsteigerlegende Südamerikas
Herzlich wurden wir von seiner Frau Ximena empfangen. Der Begrüßungscoctail „Pisco
sour“ schmeckte vorzüglich und entfaltete beim zweiten Glas auch eine beachtliche Wirkung
auf nüchternen Magen. Nach einem Rundgang durch das stilvoll ausgestattete Haus ,
Besichtigung der verschiedenen Sammlungen von Antiquitäten und Kunstgegenständen aus
aller Welt und ausgiebigem Essen im herrlichen Garten des Anwesens ging es noch in die
Altstadt von Riobamba zum Bummeln.
älteste Kirche Ecuadors
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Freitag 01.12.2007
Heute hieß es Abschied nehmen von Marco Cruz und seiner Mannschaft. Gestern Abend war
es an seinem Kamin im Basecamp am Chimborazo doch etwas später geworden. Ohne vor
uns liegende, bergsportliche Herausforderungen konnten wir ein paar Cerveza (Bierchen)
mehr ungestraft genießen. Bergsteigergeschichten wurden erzählt und man merkte auch
Marco an, dass er froh über unsere Gipfelerfolge und den guten Ausgang der ganzen Tour
war.
Nach der langen Fahrt vom Basecamp des Chimborazo über Ambato, Latacunga zurück nach
Quito nutzten wir die Nachmittagsstunden noch für einen kleinen Einkaufsbummel.
Abends gab es ein Abschlussessen vom Feinsten in einem der besten Lokale von Quito.
Marco hatte eine Tafel für uns reservieren lassen. Die landestypischen Speisen, Andenmusik
live, Gäste in Abendgarderobe – alles fügte sich zu einem stimmungsvollen Bild. Nur wir, in
unseren Jack-Wolfskin-Mammut-Salewa-Outdoor-Klamotten erschienen wohl etwas
deplaziert? Nichts dergleichen. Wir waren die Gäste von Marco Cruz und damit standen uns
alle Türen offen.
Sonnabend 2.12.2007
Der Rückflug war natürlich wieder lang und anstrengend. Bei der Zwischenlandung auf der
Karibikinsel Bonair konnten wir uns mal die Füße vertreten und ein paar kühle Biere bei
tropischen 32 °C trinken.
Zwischenstop auf Bonair
Weiteres gibt es nun nicht zu berichten, außer daß wir es geschafft haben, die Rotweinvorräte
an Bord der KLM-Maschine aufzubrauchen...
Am Sonntag den 3.12.2007 sind wir am späten Nachmittag gesund und randvoll mit
Erlebnissen und Eindrücken wieder in Freiberg angekommen. Wir werden lange davon
zehren, bis ein neues Projekt, ein Berg, eine Tour uns in seinen Bann zieht und der Kreislauf
beginnt von Neuem:
Aufbruch - Erfüllung - Heimkehr
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