Leben in der Zwergendimension

Transcription

Leben in der Zwergendimension
EINSICHTEN 2008
NEWSLETTER 03
lebenswissenschaften
Susanne Wedlich
Leben in der Zwergendimension
Die Rätsel der Zelle besser auflösen – das gelingt nun dank einer bahnbrechenden Mikroskoptechnik. Das Team um Professor Heinrich Leonhardt konnte mit dieser neuen
Technologie erstmals Strukturen einer Säugerzelle in 3D, mehreren Farben und in bislang unerreichter Auflösung darstellen. Dabei sind Details zu sehen wie das genetische
Material, die umgebende Kernhülle und sogar einzelne Kernporen. Die Forscher wollen zelluläre Vorgänge nun auch als 3D Film aufnehmen.
Viel hat sich getan seit der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek im 17. Jahrhundert die
ersten Mikroskope baute. Seine Geräte waren eher extrem starke Lupen, mit deren Hilfe er
aber immerhin als erster Bakterien nachweisen konnte. Lichtmikroskope der heutigen Generation dagegen erlauben sogar die Abbildung zellulärer Strukturen. Dabei wird Licht von
mehreren Linsen gebündelt, nachdem es von dem Untersuchungsobjekt reflektiert wurde
oder dieses durchflossen hat. Eine breit eingesetzte Weiterentwicklung dieser Technik ist
die Fluoreszenzmikroskopie. Dabei markieren fluoreszierende Farbstoffe Strukturen, die
damit sichtbar sind und in der Zelle lokalisiert und verfolgt werden können. Eine Grenze
ist der Lichtmikroskopie in all ihren Varianten aber gesetzt: Die Auflösung, also die Unterscheidbarkeit kleinster Strukturen, hängt von der Wellenlänge des Lichts ab und liegt im
Idealfall bei rund 200 Nanometern. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter. Der
Begriff „Nano“ leitet sich von dem griechischen Wort für „Zwerg“ her.
„Es war übrigens ein deutscher Physiker, der Eisenacher Ernst Abbe, der dieses nach ihm
benannte Abbe-Limit der Lichtmikroskopie im 19. Jahrhundert entdeckt hat“, berichtet
Professor Heinrich Leonhardt. „Doch die Grenze ist nicht absolut: Es gibt verschiedene
Ansätze, dieses Limit zu umgehen, aber keine der bislang entwickelten Techniken konnte
bis jetzt breit eingesetzt werden.“ Deshalb versuchen Wissenschaftler seit Langem, die Methoden zur Abbildung molekularer Strukturen mit den Vorteilen der Lichtmikroskopie, etwa
der einfachen Handhabung, zu kombinieren – und zwar unterhalb des Abbe-Limits. „Eben
dies ist uns nun in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Professor John Sedat von der
University of California in San Francisco gelungen“, sagt Heinrich Leonhardt. „Wir erreiSeptember
0
chen eine zweifach erhöhte Auflösung von etwa 100 Nanometern. Die Grundlage unseres
3D-SIM-Verfahrens ist immer noch die herkömmliche Lichtmikroskopie, allerdings mit einer besonderen Beleuchtungstechnik (daher der Name: structured illumination microsco-
py, SIM). Damit machen wir etwas, was man bei Lichtmikroskopen eigentlich tunlichst vermeiden sollten: Wir beleuchten strukturiert. Wir bestrahlen also unsere Proben, etwa eine
Zelle, mit einem bekannten und sehr feinen Muster aus Licht. Das führt zu Interferenzen
mit den Strukturen der Probe, die sich als Schattenmuster zeigen – und die man an sich
vermeiden will.“ Eine ähnliche wellenförmige Interferenz ist in der Grafik als sogenannter
Moiré-Effekt bekannt und entsteht etwa beim Einscannen von gedruckten Bildern. „Diese
auf den ersten Blick störenden Interferenzmuster enthalten aber wertvolle Informationen“,
meint Heinrich Leonhardt. „Mit viel Mathematik und einem guten Computer können wir
aus diesen Rohdaten kleinste Strukturen der Probe errechnen, die mit einem einfachen
Lichtmikroskop nicht aufgelöst werden können.“ Das Verfahren wird stufenweise in den
verschiedenen Ebenen der Zelle mit unterschiedlichen Farben wiederholt. Aus den Daten
wird schließlich im Computer ein mehrfarbiges, dreidimensionales Bild der Zelle mit besonders hoher Auflösung rekonstruiert. „Mit dieser Technik können zelluläre Strukturen
abgebildet werden, die von konventionellen Lichtmikroskopen nicht erfasst werden“, sagt
Heinrich Leonhardt. „Dies ermöglicht eine ganz neue Art der Analyse in den Lebenswissenschaften: von der Grundlagenforschung bis zu den angewandten Fragestellungen.“
einblicke in kritische phase der zellteilung
Für die Forscher ergaben sich schon während der Entwicklung des Geräts faszinierende
neue Einblicke. Sie konnten den Kern einer Säugerzelle kurz vor der Teilung und damit
vor einem kritischen Moment in deren Lebenszyklus beobachten. In dieser Phase müssen
die zwei Kopien des genetischen Materials peinlich genau auf die beiden Tochterzellen
verteilt werden. Fehler bei diesem sensiblen Vorgang können fatal sein: Der Tod der Zelle
ist die vergleichsweise harmlose, die Entstehung von Krebs dagegen die sehr viel gefährlichere Konsequenz. Dank der neuen Technik konnten die Wissenschaftler die Kernhülle
im Detail sehen. Dazu gehörten die Membran, die das ebenfalls zum Teil sichtbare genetische Material umschließt, sowie Kernporen, also Öffnungen und wichtige Transportwege
in der Kernhülle. „Besonders interessant waren für uns auch zwei große Einstülpungen in
der Kernhülle“, erklärt Heinrich Leonhardt. „Dort setzen nämlich die sogenannten Zentrosomen an. Von dort aus bilden sich dann lange Fäden, an denen das genetische Material
in Form von Chromosomen entlang wandert, um in die Tochterzellen zu gelangen.“ Diesen
grundlegenden biologischen Prozess hat man in einem vergleichbaren Detailreichtum bislang noch nicht sehen können. Aber auch auf der Oberfläche der Chromosomen, also des
genetischen Materials, sind neue Einzelheiten zu erkennen. Das ist nur möglich, weil die
unterschiedlichen Strukturen verschieden eingefärbt sind – und zwar mit herkömmlichen
Farbstoffen.
Ein herkömmliches Gerät, das sogenannte STED-Mikroskop, kann ebenfalls das Abbe-Limit
unterschreiten, ist aber technisch komplex und noch auf spezielle Farbstoffe beschränkt.
September
0
Im Vergleich zu allen Lichtmikroskopen erreicht
wiederum die Elektronenmikroskopie eine noch
sehr viel höhere Auflösung, ist aber extrem aufwändig und kann nicht mehrfarbig abbilden. „Bilder in 3D in drei oder sogar vier Farben mit sehr
hoher Auflösung abzubilden, ist derzeit also nur
mit der 3D-SIM-Technik möglich“, sagt der LMUForscher. „Dazu kommt, dass wir etablierte und
einfache Verfahren anwenden können, um die
Das Bild zeigt eine Zelle in der Prophase, d.h. zu Beginn
der Zellteilung. Man sieht sehr deutlich die Kondensation der Chromosomen (rot/magenta) und die umge-
Proben aufzubereiten und anzufärben.“ Schon
bald soll der Weg vom 3D-SIM-Prototypen zum
bende Kernhülle (grün), die Einstülpungen und erste
kommerziell erhältlichen Gerät führen. „Derart
Risse zeigt.
groß angelegte Projekte wie die Entwicklung und
erste Anwendung dieser Technik sind natürlich
immer nur als gemeinschaftliche Anstrengung eines Teams möglich“, betont Heinrich Leonhardt. „Hier haben zum Beispiel Hard- und Software-Ingenieure sehr eng mit Physikern
und Zellbiologen zusammengearbeitet. Langfristig wollen wir jetzt das Verfahren noch verbessern, um Prozesse in lebenden Zellen in 3D filmen zu können.“
unerreichte dimensionen der mikroskopie
Auch mit einem anderen Projekt konnte der Biologe in bislang unerreichte Dimensionen
der Mikroskopie lebender Zellen vorstoßen. „Im Grunde geht es darum, zelluläre Prozesse
und vor allem auch krankmachende Vorgänge auf molekularer Ebene besser zu verstehen“, meint er. „Das geht aber nur, wenn man zuverlässige Informationen über die Menge,
die Lokalisierung und die Veränderungen der betreffenden zellulären Bestandteile hat. Als
wertvollstes Hilfsmittel haben sich dafür in den letzten Jahren Antikörper etabliert, weil sie
zum Nachweis biologischer Moleküle und Strukturen in Forschung, Diagnostik und Therapie eingesetzt werden können.“ Antikörper oder Immunglobuline gehören zum Abwehrarsenal des Immunsystems höherer Wirbeltiere und sind wahre Verwandlungskünstler. Jedes dieser Immunmoleküle erkennt hoch spezifisch eine andere Struktur, ein sogenanntes
Antigen. Sie patrouillieren im Blut und anderen Körperflüssigkeiten auf der Suche nach
Krankheitserregern und anderen fremden Objekten. Die Grobstruktur aller Antikörper ist
gleich und ähnelt dem Buchstaben „Y“. Nur die äußerste Spitze an den beiden kurzen Armen ist außerordentlich variabel. Mit Hilfe dieser Domänen erkennt jeder Antikörper sein
Antigen und bindet daran. Nur anhand dieser „hypervariablen Regionen“ unterscheiden
sich die vielen Millionen Antikörper eines Organismus – und können ebenso viele Antigene
erkennen.
Die hochspezifische Bindefähigkeit der Immunglobuline, die nahezu jedes Antigen und
jede zelluläre Struktur erkennen können, hat man sich auch in der Biomedizin zunutze gemacht. Dort werden gezielt Antikörper für gesuchte biomolekulare Strukturen produziert
und anschließend mit einem Marker gekoppelt. Ist die entsprechende Struktur in einer
September
0
Zelle oder einem Gewebe vorhanden, wird der Antikörper daran binden, was wiederum
über den Marker nachgewiesen werden kann. Denn dabei handelt es sich in der Regel
um einen fluoreszierenden Farbstoff, der im Mikroskop sichtbar gemacht werden kann.
Kurz gesagt: Wo der Marker aufleuchtet, ist der Antikörper und damit auch das gesuchte
Molekül zu finden. „Antikörper sind zweifellos das wichtigste Hilfsmittel der biomedizinischen Forschung und Diagnostik“, sagt Heinrich Leonhardt. „Sie haben aber auch einen
entscheidenden Nachteil: Für viele Untersuchungen sind Antikörper schlichtweg zu groß,
auch wenn mittlerweile kleinere Moleküle entwickelt wurden. Außerdem können mit ihrer
Hilfe nur einzelne Schnappschüsse gewonnen werden, bislang aber war es nicht möglich,
dynamische Prozesse in lebenden Zellen zu untersuchen.“ Doch eben diese Vorgänge werden für die Wissenschaft immer interessanter: So geht es zunehmend seltener nur um die
Frage, wo und in welcher Menge sich ein Protein zu einem gegebenen Zeitpunkt in der Zelle befindet. Vielmehr soll jetzt geklärt werden, wie sich Proteine in der Zelle bewegen, wie
sie interagieren und sich dabei verändern. Das aber kann nur in lebenden Zellen untersucht
werden. Antikörper aber kommen normalerweise im Körper nur außerhalb von Zellen vor.
Wenn sie also in den Zellen produziert werden, sind sie meist nicht funktionstüchtig. Als
Proteine müssen sie nämlich eine spezifische dreidimensionale Struktur einnehmen, um
ihre Aufgaben erfüllen zu können. In den Zellen werden sie meist aber falsch gefaltet und
sind damit unbrauchbar.
wie chromobodies erzeugt werden
Diese konventionellen Antikörper bestehen aus insgesamt vier Ketten. Das Grundgerüst bilden die beiden schweren Ketten, die teilweise aneinander binden: So entsteht der „Stamm“
der Y-förmigen Struktur. An die freien Enden der beiden Moleküle bindet je eine der beiden leichten Ketten: So entstehen die beiden kurzen Arme, deren Spitzen alleine für die
Erkennung des zugehörigen Antigens verantwortlich sind. „Kamele und die verwandten
Alpakas besitzen jedoch zusätzlich wesentlich kleinere, einzelkettige Antikörper“, berichtet
Heinrich Leonhardt. „Ihnen fehlen die leichten Ketten. Ihre Antikörper binden über eine
einzelne variable Region. Das ist das kleinste aus der Natur bekannte Antigen-bindende
Fragment.“ Für ihren Ansatz haben die Forscher deshalb nur die Antigen-bindende Domäne dieser einzelkettigen Antikörper verwendet. Sie ist insgesamt zehnmal kleiner als
ein konventioneller Antikörper und erhielt daher den Namen Nanobody. Durch Fusion mit
fluoreszierenden Proteinen erzeugten Leonhardt und sein Mitarbeiter Dr. Ulrich Rothbauer
dann leuchtende Nanosonden, sogenannte Chromobodies. Dank ihrer geringen Größe und
ihrer Stabilität können Chromobodies sogar in lebenden Zellen eingesetzt werden. „Unsere
leuchtenden Designermoleküle können von den Zellen selbst produziert werden. Sie heften
sich dann an die entsprechenden Antigene und verfolgen deren Weg und Schicksal in den
Zellen.“ Dabei beschränkt sich das Verfahren nicht nur auf Proteine. Es können jetzt ebenso deren chemische Modifikationen und andere Zellkomponenten untersucht werden, was
bislang unmöglich war. Wegen ihrer geringen Größe können die Chromobodies aber auch
sehr leicht hergestellt werden. Zudem sind sie außerordentlich stabil. „Sie können also
September
0
Für ihren Ansatz nutzen die Forscher um Heinrich Leonhardt die Antigen-bindende Domäne der einzelkettigen Antikörper, die sie aus
Kamelen oder Alpakas gewinnen. Sie ist insgesamt zehnmal kleiner als ein konventioneller Antikörper und erhielt daher den Namen
Nanobody. Durch Fusion mit fluoreszierenden Proteinen erzeugen die Forscher leuchtende Nanosonden, sogenannte Chromobodies.
Dank ihrer geringen Größe und ihrer Stabilität können Chromobodies sogar in lebenden Zellen eingesetzt werden.
auch für diagnostische Zwecke in lebenden Zellen genutzt werden.“ Aber auch in anderer
Hinsicht sind die Kamel-Antikörper eine willkommene Alternative: Bislang wurden konventionelle Antikörper in Tieren, vor allem in Kaninchen, Mäusen, Ratten, Hühnern, Ziegen
und Schafen, hergestellt. Für die Nanobody-Technologie ist dies nun nicht mehr nötig. Die
Antikörpervielfalt kann dank der einfachen Struktur von Nanobodies in künstlichen, molekularen Bibliotheken angelegt werden, von denen es bereits mehrere gibt: Sie enthalten
Milliarden von Chromobodies, die zunächst zwar aus immunisierten Kamelen und Alpakas
gewonnen werden mussten. Zukünftig soll diese Technologie aber den Einsatz der Tiere
ersetzen. Ausgewählte Nanobodies können dann in fast beliebigen Mengen in Bakterien
produziert werden. Und die Bibliotheken haben sich bereits bewährt: „Wir konnten einige spezifische Sonden für verschiedene biologische Zielstrukturen gewinnen“, berichtet
Heinrich Leonhardt. „Mit Hilfe dieser Chromobodies können wir Prozesse in Zellen verfolgen, beeinflussen und auch blockieren – das erlaubt ganz neuartige funktionelle Studien.
So konnten wir zum Beispiel eine ‚Nano-Falle’ entwickeln, mit deren Hilfe interagierende
Proteine in der Zelle nachgewiesen, eingefangen und isoliert werden können. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.“
Prof. Dr. Heinrich Leonhardt ist seit 2002 Professor für Molekulare Humanbiologie am Biozentrum der LMU.
Er forscht in den Exzellenzclustern „Nanosystems Initiative Munich“ (NIM) und Center for Integrated Protein
Science Munich (CIPSM).
http://sci.bio.lmu.de/epigenetics/index.htm
[email protected]
September
0