Feminicidio an der US- amerikanisch

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Feminicidio an der US- amerikanisch
SE BASE Bachelorseminar
Dr.in Patricia Zuckerhut
Wintersemester 2012/2013
Feminicidio an der USamerikanischmexikanischen Grenze
Machismo als Todesurteil?
Sarah Theierling
Matrikelnummer: 1003783
Studium:
A 033 579
E-mail:
[email protected]
Geburtsdatum:
21.01.1990
Abgabetermin:
20.06.2013
Sarah Theierling
1. Abkürzungsverzeichnis
EOI
Export Oriented Industrialisation
(dt. Exportgetriebene Industrialisierung)
EPZ
Export Processing Zone
(dt. Exportproduktionszone)
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
(dt. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen)
IMF
International Monetary Fund
(dt. Internationaler Währungsfonds)
NAFTA
North American Free Trade Agreement
(dt. Nordamerikanisches Freihandelsabkommen)
SAP
Structural Adjustment Papers
(dt. Strukturanpassungsprogramme)
WB
World Bank
(dt. Weltbank)
2
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
2. Abstract
Die Bachelor-Arbeit setzt sich mit den seit 1993 vermehrt auftretenden Frauenmorden an der
US-amerikanisch-mexikanischen Grenze auseinander und zeigt bisherige Erklärungsansätze
und Motive für die sexualisierte Gewalt auf. Im Zentrum der Analyse steht die Frage nach der
Rolle des Machismos in der (feministischen) Literatur. Die Besonderheit des Feminicidios –
des Genozids von Frauen – und die Komplexität der Situation werden mit Hilfe der Faktoren
wirtschaftliche
Nord-Süd-Integration,
gender-basierte
Arbeitsteilung,
Migration
und
Straflosigkeit vor dem Hintergrund eines denationalisierten Grenzraums veranschaulicht. Am
Ende der Arbeit werden die beiden zentralen Positionen zur Rolle des Machismo und ihre
Hauptargumente gegenübergestellt. Während der erste Ansatz den „mexikanischen
Männlichkeitskult“ als Ursache für den Feminicidio sieht, lehnt der zweite Ansatz diese
kulturalisierende Sichtweise entschieden ab und sieht stattdessen sozioökonomische
Entwicklungen und ungleichheitsgenerierende Effekte im Rahmen von neoliberalen Politiken
als Basis für den Gender Terror in der Grenzregion.
3
Sarah Theierling
3. Inhaltsverzeichnis
1.
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... 2
2.
Abstract ............................................................................................................................... 3
3.
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ 4
4.
Einleitung und Problemstellung .......................................................................................... 5
5.
Feminicidio an der Grenze – Erklärungsansätze und Hintergründe ................................. 12
5.1.
sozioökonomische Entwicklungen ............................................................................ 24
5.2.
Maquiladoras ............................................................................................................. 28
5.2.1.
Feminisierung von Arbeit ................................................................................... 30
5.2.2.
Worker & Whore ................................................................................................ 32
5.2.3.
Fetischisierung der Frau ..................................................................................... 34
5.2.4.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung: Maquiladoras .................................. 35
5.3.
„Macho Backlash“ & „Machista Society“ ............................................................... 35
5.4.
Migration ................................................................................................................... 39
5.5.
Straflosigkeit – unwilling or unable?......................................................................... 42
5.5.1.
Polizei ................................................................................................................. 42
5.5.2.
Regierung ........................................................................................................... 44
5.5.3.
Justiz ................................................................................................................... 46
5.5.4.
„korporatives Verbrechen“ ................................................................................. 47
5.5.5.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung: Straflosigkeit .................................. 49
5.6.
Whose Border? – Denationalisierung ........................................................................ 50
6.
Zusammenfassung ............................................................................................................. 52
7.
Fazit ................................................................................................................................... 57
8.
4
7.1.
Machismo als zentraler Faktor ................................................................................... 58
7.2.
Machismo als nebensächlicher Faktor ....................................................................... 59
7.3.
Resümee..................................................................................................................... 61
Bibliographie ..................................................................................................................... 64
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
4. Einleitung und Problemstellung
Meinen regionalen Schwerpunkt – Lateinamerika – hatte ich eigentlich schon vor dem Beginn
meines Studiums gewählt. Die Faszination der Region und ihre/r Geschichte/n rührt von
meinem siebenmonatigen Südamerika-Aufenthalt 2009 her, der wesentlich zu meiner
Entscheidung für das Studium der Internationalen Entwicklung beigetragen hat. Auf meinen
Reisen ist mir des Öfteren auch der sogenannte „Machismo“ begegnet, jedoch meist eher in
einer umschmeichelnden Form, selten wirklich aufdringlich.
Als „Phänomen Machismo“ haben diese und viele andere Erlebnisse meine Erinnerungen an
Südamerika geprägt. Neben den vielen glücklichen Momenten habe ich auch bedrückende
Situationen erlebt. Besonders einprägsam waren für mich die großen Unterschiede in der
Gesellschaft und die Kluft zwischen Arm und Reich, mit der man tagtäglich konfrontiert
wurde. Zurück in Wien wollte ich meine eigenen Erlebnisse in einen größeren Kontext setzten
und nach dem Hintergrund für die enorme sozioökonomische Ungleichheit, die große Teile
von Südamerika prägt, suchen.
Im Laufe meines Studiums wurde mir immer mehr bewusst, dass die Konstruktion von
„Andersartigkeit“ als wirkmächtiges Konstrukt der Kolonialmächte dazu dient/e, Hierarchien
und Unterdrückung zu legitimieren, und dazu führte, dass sowohl in Europa als auch in den
Kolonien
mithilfe
der
Kategorien
Race,
Class
und
Gender1
hierarchische
Gesellschaftsverhältnisse etabliert und gefestigt wurden, die bis heute die Gesellschaften
prägen. Die koloniale Vergangenheit nicht als einseitigen, linearen, sondern als
wechselseitigen Prozess zu verstehen, ist daher wichtig, um fortbestehende soziale
Spannungsverhältnisse und globale Zusammenhänge zu begreifen. Koloniale Geschichte zeigt
überall auf der Welt auf, wie sehr die verschiedenen Ebenen der Unterdrückung
zusammenspielen und sich gegenseitig stützen. Die Dynamik von Sexismus, Rassismus und
Klassismus spielt beim Erhalt von Machthierarchien auch nach Ende der Kolonialzeit eine
zentrale Rolle für globale Interaktionen, wie viele Autor*innen der Postcolonial Studies
aufgezeigt haben2.
1
Unter Gender wird hier „soziales“ Geschlecht verstanden, also Zuschreibungen und Erwartungen, die an ein
„biologisches“ Geschlecht geknüpft sind. Als soziale Institution ist Gender eines der wichtigsten
Ordnungsprinzipien für die Lebensgestaltung der Menschen (vgl. Lorber 1999). In der feministischen Literatur
wird oftmals die Unterscheidung von Sex & Gender („biologisches“ & „soziales“ Geschlecht) verwendet, was
allerdings auch von einigen Autor*innen (unter anderem: Butler 1991; Fausto Sterling 2000) kritisiert wurde und
wird.
2
Bekannte Werke und Vertreter*innen der Postcolonial Studies sind unter anderen Said 1978, Spivak 1988, do
Mar Castro Varela/Dhawan 2003.
5
Sarah Theierling
Für ein Verständnis von komplexen gesellschaftlichen Phänomenen – wie das des
Feminicidios – ist meines Erachtens eine intersektionale Herangehensweise unablässig. Eine
Analyse des Zusammenwirkens, der Wechselwirkungen und der Überschneidungen der
verschiedenen Unterdrückungskategorien ist notwendig, um sexualisierte Gewalt begreifbar
zu machen.
In meiner Arbeit widme ich mich der äußerst schockierenden und menschenverachtenden
Situation im US-amerikanisch-mexikanischen Grenzraum. Seit 1993 werden in der
Grenzregion vermehrt Frauenleichen, die in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt werden,
gefunden. Besonders die im Norden des mexikanischen Bundesstaates Chihuahua gelegene
Stadt Ciudad Juárez, die seit Mitte der 1960er einerseits wesentlich an der mexikanischen
Wirtschaftsentwicklung beteiligt war, andererseits auch zum Schauplatz für kriminelle
Verbrechen aller Art geworden ist, wurde daraufhin als „Hauptstadt des Feminizids“ (vgl.
Fernandez/Rampal 2007) bekannt. Bei Feminicidio – Genozid von Frauen (vgl. Lagarde y de
los Rios 2010) – handelt es sich jedoch nicht um „normale“ Morde; die Leichen weisen
grausame
Verstümmelungen
auf,
die
auf
vermehrte
Gewaltanwendung,
brutale
Vergewaltigungen und Folter schließen lassen. Diese frauenverachtenden, bislang nicht
aufgeklärten Verbrechen haben zwar seit einiger Zeit internationale Aufmerksamkeit erregt,
dem Gender Terror konnte jedoch bis dato noch kein Ende gesetzt werden.
Ich werde in meiner Arbeit diverse Erklärungsansätze für diese Gräuel vorstellen und dabei
besonders die Rolle des sogenannten „Machismo“ beleuchten. Es geht hier darum einen
möglichen Zusammenhang zwischen Hypermaskulinität und Misogynie herzustellen
beziehungsweise herauszufinden, welchen Stellenwert der „mexikanische Männlichkeitskult“
im Zusammenhang mit der sexualisierten Gewalt in der Grenzregion hat. Die zentrale
Fragestellung meiner Arbeit lautet „Welche Rolle spielt der Machismo in den (feministischen)
Analysen der sexualisierten Gewalt an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze?“. Wie
sich aus der Fragestellung bereits erkennen lässt, handelt es sich bei der Methode um eine
Literaturrecherche und -aufarbeitung. Es geht hier hauptsächlich darum, bisherige
Erklärungen und Motive für die Frauenmorde aufzuzeigen und herauszufinden, welche
spezifische Rolle der Machismo in diesen Analysen spielt. In den letzten 20 Jahren wurde
bereits sehr viel über den Feminicidio geschrieben und auch das Thema Machismo wurde in
diesem Zusammenhang bereits mehrfach aufgegriffen. Es wird jedoch auf völlig
6
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
unterschiedliche Art und Weise behandelt, daher finden sich auch widersprüchliche
Perspektiven in der wissenschaftlichen Literatur.
Teilweise wurde aus einer sehr kulturalisierenden Sichtweise argumentiert, was aber an
anderer Stelle durchaus auch problematisiert wurde, da viele Autor*innen eine kritische
Position gegenüber Arbeiten, welche auf „kulturellen“ Stereotypen basieren, eingenommen
haben. (Zeilinger 2004; Schmidt Camacho 2005; Wright 2004; 2007; 2011; Huffschmid 2006;
Iturralde 2010; Weissman 2010; Segato 2010)
Ich schreibe zu Beginn des Hauptteils ausführlicher über den derzeitigen Forschungsstand und
die verschiedenen Herangehensweisen zum Thema Machismo (siehe Einleitung Machismo),
weshalb ich das Augenmerk hier auf die vorherrschenden Erklärungsansätze zum Feminicidio
legen möchte. Die Strukturierung meiner Arbeit ist sehr stark an der Akzentsetzung der von
mir rezipierten Autor*innen ausgerichtet.
Ein erster zentraler Themenkreis beschäftigt sich mit den ökonomischen Entwicklungen der
Grenzregion seit circa 1950. Hier kommen zwei grundlegend differente Perspektiven zum
Vorschein. Aus marxistisch-feministischer Perspektive werden die wirtschaftspolitischen
Entwicklungen im Zuge der Nord-Süd-Integration untersucht und analysiert. Der Fokus liegt
hier vor allem auf der doppelten Entwertung der Frau, welche sowohl auf gesellschaftlicher
als auch auf ökonomischer Ebene innerhalb der neoliberalen Wirtschaftspolitik stattfindet.
(Ballara 2004; Livingston 2004; Zeilinger 2004; Wright 2004; 2007; 2011; Monárrez
Fragoso/Estela 2010; Iturralde 2010; Weissman 2010)
Die zweite Perspektive erachtet den „mexikanischen Machismo“ und die Gefährdung
traditioneller Geschlechterrollen als Basis für die sexualisierte Gewalt an der Grenze. Die
Wirtschaftsdynamik im Zuge der Grenzindustrialisierung, die zu vermehrter Erwerbsarbeit für
Frauen führte, wird hier als Auslöser und zusätzlich verstärkender Faktor gesehen.
(Olivera/Furio 2006; Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007; Arteaga Botello/Valdés
Figueroa 2010)
Ein weiterer Themenschwerpunkt wird von der Diskussion rund um Rechtsstaatlichkeit und
Straflosigkeit gebildet. Dieser Argumentation folgend, reproduziert die enorme Straflosigkeit
sexualisierte Gewalt insofern, als dass Hassverbrechen gegen Frauen rechtlich nicht
sanktioniert werden und daher ungeahndet wiederholt werden können. (Schmidt Camacho
2005; Olivera/Furio 2006; Ensalaco 2006; Huffschmid 2006; Fernandez/Rampal 2007;
Alfarache Lorenzo 2009; Lagarde y de los Ríos 2010; Segato 2010; Melgar 2011)
Der dritte zentrale Themenkreis beschäftigt sich mit den Herausforderungen der
Grenzsituation, die mit der zunehmenden Migration und der verschärften Militarisierung
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Sarah Theierling
gewachsen sind. Auch die Rolle der verschiedenen Grenzakteure wird genauer thematisiert
und dabei die Frage nach Verantwortung und Zuständigkeit in einem denationalisierten
Grenzraum aufgeworfen. (Ballara 2004; Zeilinger 2004; Schmidt Camacho 2005; Staudt/Vera
2006; Falcón 2007; Gonzáles-López 2007; Tuider/Wienold 2009; Alfarache Lorenzo 2009)
Generell möchte ich anmerken, dass die Inhalte dieser Arbeit nicht immer meine eigene
Meinung repräsentieren, sondern auf den verschiedenen Arbeiten der Wissenschaftler*innen
basieren. Aussagen, die sich „kultureller“ Zuschreibungen bedienen, entsprechen also nicht
meiner persönlichen Meinung, sondern stammen von den Autor*innen, auf deren Arbeiten ich
mich beziehe. Es ist mir wichtig, die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsordnung,
Geschlechterpolitik und Machtverhältnissen aufzuzeigen, wobei ich klarstellen möchte, dass
Machismo und patriarchale Gesellschaftsstrukturen nicht nur Probleme der „Anderen“, der
„Entwicklungsländer“ sind, sondern ebenso „unsere“ „westliche“ Gesellschaft betreffen.
Die dynamische Interaktion zwischen historischen Machtverhältnissen und aktuellen globalen
Wirtschaftsstrategien äußert sich durch diverse sozioökonomische Auswirkungen, die es zu
analysieren und thematisieren gilt. Dieses Ziel verfolge ich mit meiner wissenschaftlichen
Arbeit, wofür sich die ausgewählte Region besonders gut eignet, galt und gilt die USamerikanisch-mexikanische Grenze doch als Paradebeispiel für eine Grenzziehung zwischen
„Erster“ und „Dritter Welt“. Diese Thematiken werden in meiner Arbeit in den Kontext des
Feminicidios in der Grenzregion gestellt und im Hinblick auf „mexikanischen Machismo“
behandelt.
Was genau unter Machismo und Feminicidio verstanden wird und welche unterschiedlichen
Definitionen und Herangehensweisen es zu diesen Begriffen gibt, wird zu Beginn des
Hauptteils genauer erläutert. An dieser Stelle möchte ich nur kurz darauf hinweisen, dass,
obwohl sich nicht alle rezipierten Autor*innen auf den von Lagarde y de los Rìos
vorgeschlagenen Begriff des Feminicidios beziehen, ich trotzdem mit diesem Begriff
operieren werde, um die Besonderheit der Mordserie an Frauen zum Ausdruck zu bringen.
Durch die Begriffe sexualisierte Gewalt und Gender Based Violence (GBV) soll vor allem der
geschlechtsspezifische Aspekt zum Vorschein gebracht werden. Frauen werden zu Opfern,
weil sie Frauen sind. (Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:25f.).
Auf die verschiedenen Ansätze innerhalb der Gewaltforschung kann hier leider nicht näher
eingegangen werden, ich möchte jedoch anmerken, dass Gender Based Violence (GBV) von
vielen Autor*innen als universelles, „kulturübergreifendes“ Phänomen wahrgenommen wird.
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Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
„In all societies the cultural models for being a woman assign positions to women that
subordinate them to the personal and institutionalized power of men, creating real and
symbolic inequalities.“ (Olivera/Furio 2006:105)
Es wird davon ausgegangen, dass Gewalt gegen Frauen von ihrer unterdrückten Position in
der Gesellschaft herrührt und dazu dient, Macht und Kontrolle über sie zu erlangen. Die
männliche Dominanz hat eine historische Vergangenheit und ist in nahezu allen Kulturen zu
finden, wo sie sich in institutionalisierter Form auf alle Lebensbereiche von Frauen auswirkt.
(Olivera/Furio 2006:105f.; Taylor/Jasinski 2011:432ff.)
Um jedoch Dominanz ausüben zu können, muss eine bestimmte Norm, ein Ideal von
„Männlichkeit“ (zum Beispiel der Macho), erfüllt werden. In der Literatur wird auch darauf
hingewiesen, dass nicht nur Frauen von GBV betroffen sind, sondern auch Männer, die nicht
die „ideale Männlichkeit“ darstellen, zum Beispiel homosexuelle Männer. (PrietoCarrón/Thomson/Mcdonald 2007:26)
An dieser Stelle und vor allem in Zusammenhang mit der Machismo-Forschung wäre ein
Exkurs zu den Men‘s Studies interessant, da dies aber den Rahmen sprengen würde, werde ich
nur sehr kurz auf das Konzept der hegemonialen Männlichkeit eingehen. Michel Meuser
stützt seine Theorie zur hegemonialen Männlichkeit auf die Arbeiten von Raewyn Connell
und Pierre Bourdieu3 und begreift „[...] hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip der
Konstruktion von Männlichkeit [...]“ (Meuser 2006:161). Er richtet den Fokus bei der
Männlichkeitsforschung sowohl auf die Machtdimensionen zwischen Männern untereinander,
als auch auf Machtdimensionen zwischen Männern und Frauen (homosozial/heterosozial) und
untersucht die Zusammenhänge dieser Verhältnisse (Meuser 2006:160f.). Er geht weiters
davon aus, dass hegemoniale Männlichkeit an gesellschaftliche Macht gebunden ist, und
meint damit, dass die Institutionalisierung und die soziale Praxis von hegemonialer
Männlichkeit wichtig sind, um eine gesellschaftliche Hierarchisierung herauszubilden und
Eliten zu stabilisieren; sowohl zwischen Männern untereinander als auch zwischen Männern
und Frauen (Meuser 2006:167ff.).
Hier zeigt sich, dass Ideale rund um „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ einer bestimmten
normativen Orientierung unterliegen und dazu dienen, die soziale Ordnung über hierarchisch
strukturierte Geschlechterdifferenzen zu stabilisieren. Inwiefern sich das in Mexiko äußert,
wird zu Beginn des Hauptteils im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem MachismoDiskurs erläutert.
3
Im Zentrum von Meusers Analyse stehen neben anderen Werken der beiden Autor*innen vor allem Connell
1999 und Bourdieu 1998.
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Sarah Theierling
In Bezug auf die gendersensible Sprache möchte ich vorweg auf ein paar Besonderheiten
hinweisen. Es wäre im Hinblick auf einige Situationen, die hier ausgeführt werden,
problematisch, alle personenbezogenen Substantive zu gendern. Da der Feminicidio ein durch
Frauenhass motiviertes Verbrechen ist, ist davon auszugehen, dass es sich um ein männliches
Täterprofil handelt, obwohl natürlich nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass Frauen
auf die eine oder andere Weise (zum Beispiel durch Mitwisser*innenschaft) in die
Verbrechen involviert sind. Die Autor*innen, auf deren Arbeiten ich mich beziehe, gehen
einheitlich davon aus, dass es sich um männliche Angreifer handelt, weshalb ich mich dieser
Annahme anschließe. Zudem würde es den geschlechterspezifischen Aspekt verschleiern,
wenn ich beispielsweise von Sex-Tourist*innen sprechen würde, da es sich hier ebenfalls
hauptsächlich um männliche Personen handelt, die in Mexiko die Dienstleistungen von SexArbeiterinnen in Anspruch nehmen.
Aufbau
Die Arbeit richtet sich in ihrem Aufbau nach den zentralen Erklärungsansätzen für den
Feminicidio in der wissenschaftlichen Literatur. Vorab werden jedoch zu Beginn des
Hauptteils die beiden Begriffe Machismo und Feminicidio besprochen. Während es beim
Machismo unterschiedliche Definitionen und Diskussionen über die Herkunft dieses
„Phänomens“ gibt, ist bei der Thematik rund um den Begriff Feminicidio ein recht
einheitliches Verständnis vorherrschend.
Nachdem verdeutlich wurde, wie diese beiden Begriffe in meiner Arbeit zu verstehen sind,
widme ich mich den sozioökonomischen Entwicklungen im Mexiko des späten 20.
Jahrhunderts
(5.1.).
Die
Ideologie des
Neoliberalismus
und
die wirtschaftlichen
Integrationsprogramme der USA nehmen in diesem Kapitel eine wesentliche Rolle ein, da sie
maßgeblich an sozioökonomischen Entwicklungen in Mexiko beteiligt waren.
Die Maquiladora-Industrie (5.2.), die hauptsächlich im Grenzgebiet zwischen den USA und
Mexiko angesiedelt ist, stellt zwar einerseits die Hauptexportprodukte her und trägt somit
einen großen Anteil zum Exporthandel bei. Gleichzeitig kommt es jedoch aufgrund von
fehlenden Umverteilungsmaßnahmen zu sozialer Polarisierung, wachsender Armut und
Ungleichheit. Ausländische Konzerne fokussieren die ökonomische Profitmaximierung und
ignorieren dabei sozioökonomische Auswirkungen, die diese Wirtschaftsstrategie für die
lokale Bevölkerung hat. Drei zentrale Themen – die Feminisierung von Arbeit, die
Kommodifizierung und die Fetischisierung der Frau –, die Ciudad Juárez, die Stadt der
Geschäfte, wo alles käuflich ist, kennzeichnen, werden hier aufgegriffen.
10
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Der durch die geringen Voraussetzungen einfach gestaltete Einstieg in die Erwerbsarbeit im
Zuge der Grenzindustrialisierung ist für viele Frauen eine Möglichkeit, ihre Familien
finanziell zu unterstützen. In diesem Kapitel wird konkret auf die These des „Macho
Backlash“ (5.3.) eingegangen, die davon ausgeht, dass durch die Aufhebung der traditionellen
Geschlechterrollen (Erwerbsarbeit/Reproduktionsarbeit) eine Aggression gegenüber Frauen
verursacht wird, die in Gewalt und Terror ausartet.
Das nächste Kapitel (5.5.) beschäftigt sich mit der enormen Straflosigkeit und der Frage, ob
das Justizsystem aufgrund einer strukturellen Krise nicht in der Lage ist, die Verbrechen
aufzuklären, oder ob eine misogyne Grundhaltung und ein mangelnder Wille Ursachen für die
unvollständige Aufklärung des Feminicidios sind.
Zudem werden die Schwierigkeiten, die die Migration (5.4.) ohne gültige Papiere und die
Entstehung eines denationalisierten Raums (5.6.) bei der Frage nach Zuständigkeit und
Verantwortung für die Aufklärung und Beendigung der Frauenmorde mit sich bringen,
besprochen.
In der Zusammenfassung (6.) wird die Situation noch einmal in den Kontext
sozioökonomischer Entwicklungen im Zuge der neoliberalen Wirtschaftswachstumsstrategien
gestellt. Das Fazit (7.) stellt abschließend die beiden zentralen Grundpositionen zur Rolle des
Machismos in den (feministischen) Analysen der sexualisierten Gewalt an der USamerikanisch-mexikanischen Grenze gegenüber und versucht eine vorläufige Antwort auf die
Fragestellung zu geben.
11
Sarah Theierling
5. Feminicidio an der Grenze
– Erklärungsansätze und Hintergründe
Das Jahr 1993 markierte den Beginn der Frauenmorde im Grenzgebiet USA-Mexiko. Junge
Mädchen und Frauen wurden entführt, gefoltert, vergewaltigt und umgebracht. Ihre Körper
fand man – zumeist nackt – verstümmelt und entstellt am Straßenrand, auf Müllkippen, im
Kanal, zerstückelt in Müllsäcken oder halb verscharrt irgendwo in der Wüste. Diese
Verbrechen wurden daraufhin als Femizid oder Feminizid (spanisch Feminicidio) bekannt.
Bei Feminicidio handelt es sich jedoch nicht einfach um einen „normalen“ Mord; die Frauen
sind nicht „nur“ erschossen, erstochen oder erwürgt worden. Viele der geschundenen
Frauenkörper weisen Anzeichen von brutaler sexueller Gewalt und Vergewaltigung auf, unter
anderem durch anale und vaginale Penetration mit diversen Gegenständen, die teilweise bei
der
Obduktion
in
den
Körpern
gefunden
wurden.
Primäre
und
sekundäre
Geschlechtsmerkmale wurden verstümmelt und zerschnitten, in einigen Fällen wurden Frauen
Brustwarzen oder die ganze Brust abgeschnitten. Die Opfer wurden verbrannt, skalpiert,
gehäutet und entstellt. Die Leichen waren zum Teil noch gefesselt und wurden mit gezogenen
Fingernägeln aufgefunden. Manchmal wurden die malträtierten Körper der entführten Frauen
nur Tage nach ihrem Verschwinden entdeckt. Manchmal dauerte es Monate, manchmal Jahre.
Viele Frauen wurden für einen längeren Zeitraum in Gefangenschaft gehalten und gefoltert
und missbraucht, bevor sie grausam ermordet und „entsorgt“ wurden. (Amnesty International
2003:6ff.; Livingston 2004:59; Olivera/Furio 2006: 105; Huffschmid 2006:69; Ensalaco
2006:420; Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:26)
Diese Gräuel mit Zahlen zu beschreiben, ist schwierig, da die Anzahl dieser Verbrechen je
nach Quelle unterschiedlich ausfällt: (Comisión Especial 2006:69)
-
laut Generalanwaltschaft von Chihuahua (1993-2005): 364 Frauenmorde
-
laut derselben Quelle (Juni, Juli, August 2005): 95 Morde, also circa 1 Mord pro Tag
-
laut der Organisation Casa Amiga (1993-2003): 265 Frauenmorde
-
laut der Organisation Nuestras Hijas de Regreso a Casa (1993-2005): 430 Morde und 600
verschwundene Mädchen und Frauen
-
laut der Organisation Justicia para Nuestras Hijas (1993-2005): 433 in Ciudad Juárez und
(1999-2005) 20 in Chihuahua City
12
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Am meisten betroffen sind die nördlichen Bundestaaten Chihuahua und Baja California, die
eine besonders hohe Mordrate pro Jahr aufweisen (siehe Abbildung 1). Die Bezirke Juárez
CHH (389), Tijuana BC (89) und Chihuahua CHH (84) zählten 2010 zu den – für Frauen –
tödlichsten Orten Mexikos. (ONU Mujeres/INMujeres/Comisión Especial 2012:49)
Abbildung 1
Porcentaje de crecimiento de las tasas de defunciones femeninas con presunción de
homicidios
(por
100,000
mujeres)
por
entidad
de
ocurrencia,
2007-2009.
[Wachstum der weiblichen Sterberate mit Verdacht auf Mord (pro 100.000 Frauen) in
Prozent, 2007-2009.] Quelle: (ONU Mujeres/INMujeres/Comisión Especial 2011:39)
Überblick über die Tendenzen und Entwicklungen der letzten Jahre sowie über
Bundesstaaten-spezifische Berichte geben unter anderem die Seite des Instituto Nacional de
las Mujeres4 und die im Literaturverzeichnis angegebenen Schriftstücke von ONU
Mujeres/INMujeres/Comisión Especial 2011 und 2012.
Die zentrale Fragestellung im Zusammenhang mit dem Feminicidio an der US-amerikanischmexikanischen Grenze ist die nach dem Grund für diese Gräueltaten. Im Internet und in den
regionalen Zeitungen finden sich schockierende Bilder und jede*r, die*der diese Bilder und
die verzweifelten Gesichter der Angehörigen der Opfer sieht, fragt sich zwangsläufig:
Warum?
4
Siehe URL 1 in der Bibliografie.
13
Sarah Theierling
In den folgenden Unterkapiteln werden, wie bereits in der Einleitung erwähnt, die
verschiedenen Erklärungsansätze, die sich in der wissenschaftlichen Literatur finden, sowie
einiges an Hintergrundinformation dargestellt und anschließend wird auf die Rolle des
Machismo in diesem Kontext eingegangen. Hier wird anhand der Literatur thematisiert,
inwiefern der Feminicidio auf den Machismo zurückzuführen ist, oder auch nicht. Bevor dies
jedoch geschehen kann, gilt es, die beiden zentralen Begriffe dieser Arbeit genauer
auszuführen.
Einleitung Machismo
Was ist Machismo? Was ist unter „Machista Society“ zu verstehen? Und wie definiert sich ein
Macho, beziehungsweise wie wird er definiert? Diese Fragen erscheinen im ersten Moment
als überflüssig, da sich jede*r etwas unter einem Macho vorstellen kann und daher
anzunehmen ist, dass ein allgemeines Verständnis für diesen Begriff vorherrscht. Die
Tatsache, dass diese Vorstellungen aber teilweise sehr stark auseinander gehen, sich sogar
widersprechen, macht jedoch eine genauere und differenziertere Betrachtungsweise
notwendig. In der wissenschaftlichen Literatur wird Machismo hauptsächlich in Anlehnung an
Sigmund Freud als psychohistorische Folge und im Zusammenhang mit dem Konzept des
Marianismo erklärt (1) oder von einem historisch-materialistischen Standpunkt aus betrachtet,
in dessen Zentrum die Analyse von Klassenhierarchien steht (2). Daneben gibt es auch
Strömungen,
die
eine
monolithische
und
kulturalisierende
Darstellung
des
lateinamerikanischen Machos grundsätzlich kritisieren und stattdessen den Fokus auf die
vielfältigen Rollen und Männlichkeiten, die in Lateinamerika vorzufinden sind, legen (3). Im
Folgenden wird ein kurzer Überblick über das Konzept/Phänomen/Narrativ Machismo
gegeben sowie die unterschiedlichen Zugangsweisen zu diesem Begriff vorgestellt.
(1) Machismo wird in der Literatur oft als „Männlichkeitskult“ oder „Männlichkeitswahn“
beschrieben. In dieser Definition wird der Begriff als Bestandteil des Caudillismo
(Führerkult) gesehen und der Macho in seinem Ideal als führungsstarker und
durchsetzungsfähiger Mann begriffen. Gekennzeichnet durch ein autoritäres Verhalten, wirkt
sich der Machismo stark auf die Familie und die Position der Frau innerhalb der
Familienstruktur aus. Die Identitätsbildung des Machos ist eng mit Frauenfeindlichkeit und
-verachtung verbunden und stellt daher oft die Ursache von physischer und psychischer
Gewalt gegenüber Frauen dar. In dieser Definition wird der Macho gekennzeichnet durch
14
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
übertriebenes Selbstbewusstsein und Überlegenheitsgefühl, wodurch er sich als furchtlosen
Anführer und Frauenheld sieht. (Basham 1976:126f.; Schüler 1987)
Die übertriebene Zurschaustellung der eigenen „Männlichkeit“ wird von manchen
Autor*innen als Antwort auf die eigentlich überlegene „Weiblichkeit“ gelesen. Der
überzogene Autoritätsanspruch wird hier als Folge der empfundenen Machtlosigkeit im
Moment der Geburt, in dem die Frau über Leben und Tod bestimmt, gedeutet. Dieses
Ohnmachtsgefühl resultiert in einem Kontrollbestreben gegenüber der weiblichen Sexualität
bis hin zu einer absoluten Negierung dieser. (Castillo L./Perez/Castillo R./Ghosheh
2010:164f.)
Die zentrale Aufgabe der Frau ist das Gebären von gesunden Kindern, weshalb die Frau
zuerst eine Mutter, dann eine Ehefrau, eine Schwester et cetera ist. Ihre Sexualität ist daher
ein Tabu und Jungfräulichkeit bei Eheeintritt ein gesellschaftlicher Imperativ, der die Ehre der
gesamten Familie bestimmt. (Basham 1976:126ff.)
Die Kontrolle der weiblichen Sexualität durch die Familie hat aus psychohistorischer
Sichtweise ihren Ursprung in der mexikanischen Kolonialisierung. Vertreter*innen der
Conquista-Trauma-Theorie, die in Anlehnung an Freuds Theorie über den Ödipus-Komplex5
entwickelt wurde, erklären die vorherrschende Frauenfeindlichkeit mit der Verachtung, die
der „Mestizo“ gegenüber seiner „indigenen Mutter“ empfindet. Durch die Vereinigung mit
dem „spanischen Vater“ hat sie, La Malinche6, ihm nicht nur Zugang zu ihrer Sexualität
gewährt, sondern auch den Grundstein für die Ausbeutung des Landes und seiner
Bodenschätze gelegt. Der Machismo basiert in dieser Betrachtungsweise auf einem
Minderwertigkeitskomplex, den alle Mexikaner durch die Conquista erlebt haben. Das
Trauma, das die Mexikaner aufgrund der „Eroberung“ der indigenen Frau durch spanische
Konquistadoren erlitten haben, ist die Ursache für die Aggressivität und rohen
Umgangsformen, die sich in „die mexikanische Kultur“ eingebrannt haben. (Paredes 1971:17;
Peña 1991:36f.)
5
Der Begriff kommt ursprünglich aus der griechischen Mythologie und bezieht sich auf das Drama des König
Ödipus, der seinen Vater tötete und später unwissentlich seine eigene Mutter heiratete. In der Freudschen
Psychoanalyse stellt der „positive Ödipuskomplex“ die sexuelle Zuneigung, die der Sohn in der frühgenitalen
Phase gegenüber seiner Mutter empfindet, dar; der Vater wird infolgedessen als Rivale betrachtet. Im Gegensatz
dazu identifiziert sich der Sohn im Rahmen des „negativen Ödipuskomplexes“ mit dem Aggressor und
internalisiert die väterliche Autorität, was zu Verachtung gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil führt.
(Brech/Bell/Marahrens-Schürg 1999:49-52)
6
La Malinche wird auch als „Mutter der Mestizen“ bezeichnet. Sie wurde 1519 als Sklavin an Hernán Cortés
übergeben und wurde später zu seiner Dolmetscherin und „Geliebten“. (Mieling 2012:7f.)
15
Sarah Theierling
Die weibliche Asexualtität (verkörpert durch die Virgen de Guadalupe7) stellt im Gegensatz
zur weiblichen Sexualität (La Malinche) keine Gefahr für den Mann/Macho dar und wird
daher wesentlich mehr geschätzt und geachtet (Melhuus 1996:253; Mieling 2012:7).
Anhand dieser Conquista-Trauma-Theorie wird ein starker Zusammenhang zwischen
Jungfräulichkeit, Ehre und sozioökonomischem Status der Familie gesehen. Das Ansehen der
Familie zu schützen ist Männersache, weshalb die Kontrolle der weiblichen Sexualität auch in
den
Aufgabenbereich
der
männlichen
Familienmitglieder
fällt.
Eine
verlorene
Jungfräulichkeit aufgrund von Vergewaltigung kann zu sozialer Stigmatisierung und zu
ökonomischen Schwierigkeiten führen, weil viele Männer nur eine jungfräuliche Frau
ehelichen wollen. Diese Umstände führen oft dazu, dass Vergewaltigungen verschwiegen
werden – in Extremfällen sind die Mädchen sogar gezwungen, ihren Vergewaltiger zu
heiraten, um ökonomische Absicherung für sich und ihre Familie zu gewährleisten.
Hier wird der historische Kontext herangezogen, um zu verdeutlichen, welche Kontrolle die
patriarchale Familie gegenwärtig über den weiblichen Körper und die Sexualität hat.
(Gonzáles-López 2007:227ff.)
Die Familie hat in Lateinamerika laut Richard Basham einen hohen Stellenwert, in so
mancher
Literatur
wird
sogar
von
einem
Familismo
gesprochen
(vgl.
Castillo
L./Perez/Castillo R./Ghosheh 2010:164f.). Die Familienhierarchie ist klar strukturiert und die
Positionen und Aufgaben der Familienmitglieder sind eindeutig. Während der Vater als
Familienoberhaupt die Familie finanziell versorgt, aber auch als Respektsperson ein eher
distanziertes Verhältnis sowohl zu seiner Frau als auch zu seinen Kindern hat, nimmt die
Mutter eine liebe- und verständnisvolle Position ein. Die Mutterfigur ist in diesem
Verständnis zentral, da sie für den Zusammenhalt der Familie, die als Ort des Rückhalts und
der Sicherheit wahrgenommen wird, sorgt. In ihrer Mutterrolle wird der Frau vom Macho
jegliche Sexualität abgesprochen. Hier kann auch eine starke Parallele zur christlichen
Mythologie, in der die Jungfrau Maria nach einer unbefleckten Empfängnis dem Jesuskind
das Leben schenkt, gezogen werden. (Basham 1976)
Dieses Konzept des Marianismo ist laut dieser Leseart ausschlaggebend für die Gewalt gegen
Frauen
und
Grund
für
die
hohe
Akzeptanz
der
Gesellschaft
gegenüber
den
Geschlechterdisparitäten. Die kulturellen Wurzeln hierfür liegen in der Fusion vom
präkolumbianischen Glauben und der katholischen Glaubensvorstellung. Nach der Ankunft
7
Laut der Legende ist die Jungfrau Maria dem getauften Azteken Juan Diego Cuauhtlatoatzin insgesamt viermal
erschienen und hat ihm auf Náhuatl aufgetragen, eine Kapelle auf dem Tepeyac Hügel (heutiges Mexiko-City)
zu bauen (Mieling 2012:7f.).
16
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
der spanischen Konquistadoren wurde der Glaube an den einen männlichen Gott und die
besondere Rolle der Jungfrau Maria adaptiert. (Rondon 2003:157f.)
„The Virgin of Guadalupe is everything that the reinterpreted La Malinche is not – forgiving,
pious, virginal, nurturing and good. The Virgin represents saintly submissiveness, a dominant
subservience – everything the macho man needs in a mother/woman.“ (Rostas 1996:218,
Hervorhebung im Original)
In der Marienfigur, die in Form der dunkelhäutigen Virgen de Guadalupe starken Zuspruch
fand, sah die mexikanische Bevölkerung fortan das Ideal der Frau: aufopfernd, liebevoll,
fürsorglich, verständnisvoll, passiv, sich der männlichen Machtposition fügend. Diese
Eigenschaften stilisieren die Frau zu einer idealen Mutter, zu der die Kinder eine starke
emotionale Bindung aufbauen. Während die Tochter diese Beziehung zur Mutter im Laufe
des Erwachsenwerdens beibehalten kann, ist das für den Sohn nicht möglich. Er muss sich
von seiner Schwester und seiner Mutter abgrenzen und wird zum Macho. Machismo wird in
dieser Erzählweise als Resultat der ambivalenten Gefühle, die der Sohn gegenüber seiner
Mutter entwickelt, gedeutet. Basham erklärt den Machismo als lateinamerikanisches
Phänomen durch die fehlende Entwicklung zur industriellen Gesellschaft. Seiner Meinung
nach nimmt die Reproduktionsfähigkeit der Frau in Gesellschaften, die hauptsächlich von
Agrarwirtschaft leben, einen wesentlichen Stellenwert ein. Damit die Frau dadurch aber nicht
die dominante Position im Familien- und Gesellschaftssystem erreicht, schaltet sich der
Machismo als Mechanismus ein. (Basham 1976:132ff.,136f.)
Das Konzept des Marianismo, in welchem die Jungfrau Maria (Virgen de Guadalupe) als
Ideal der mexikanischen Frau und Mutter präsentiert wird, basiert auf der eben dargestellten
psychohistorischen
Sichtweise,
die
versucht,
gegenwärtige
gesellschaftliche
Organisationsformen aus einem historischen Kontext heraus zu erklären. Die tatsächliche
Wirkungsmacht dieses Konzepts im heutigen Mexiko wurde jedoch bereits von mehreren
Autor*innen kritisch hinterfragt. Zum einen weichen Ideal und Praxis in der Realität stark
voneinander ab und zum anderen umfasst dieses mögliche Ideal auch nicht alle
mexikanischen Gesellschaftsschichten (beispielsweise die indigene Bevölkerung) in gleichem
Ausmaß (Puchegger-Ebner 2008:26). Die Konstruktion einer „idealen Weiblichkeit“ ist daher
ebenso zu hinterfragen wie das vermeintlich homogene und normierte Bild des
„mexikanischen Machos“.
17
Sarah Theierling
(2) Aufgrund dieser Stereoptypisierung des lateinamerikanischen Machos von mehrheitlich
„westlichen“ Wissenschaftler*innen machten kritische Stimmen auf den universellen
Charakter des Machismos aufmerksam. Die Kreation dieses negativen Stereotyps durch
Outsider (meint: Situierung außerhalb der lateinamerikanischen Lebenswelt) diene, so lautete
der Vorwurf, der Legitimierung von politischer und ökonomischer Überlegenheit (Mirandé
1997:5). Im Gegensatz dazu wird Machismo als universelles Phänomen und nicht als Resultat
des von der Conquista zurückgebliebenen Traumas begriffen. (Paredes 1971, Peña 1991:31)
Für Paredes nimmt die Folkloremusik (im 20. Jahrhundert vor allem in der Mittelschicht und
Arbeiterklasse verbreitet), über welche machistische Ideologie verbreitet und erhalten bleibt,
eine besondere Rolle ein. Machismo wird hier als post-revolutionäres Phänomen, das von den
1930ern bis heute anhält, verstanden. (Paredes 1971)
„But any evaluation of Mexican machismo will not be complete if the following point is
ignored: the fundamental attitudes on which machismo is based (and which have caused so
much distress to those wishing to psychoanalyze the Mexican) are almost universal.“ (Paredes
1971:35)
Im Zentrum liegt hier also keine spezifisch lateinamerikanische Trauma-Erfahrung durch die
Conquista, sondern ein Minderwertigkeitskomplex, der zum Beispiel auch in ähnlicher Weise
beim nordamerikanischen Cowboy anzufinden ist. Der Cowboy, als Spiegelbild des
lateinamerikanischen
Machos,
litt
im
19.
Jahrhundert
ebenfalls
unter
einem
Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Europäer*innen, was in einem verstärkten Streben
nach Unabhängigkeit und Überlegenheit mündete. (Paredes 1971:34f.)
Aus einer historisch-materialistischen Perspektive, die die Wurzeln des Machismo in der
Unterdrückung der Arbeiterklasse lokalisiert, steht die starke Verbindung zwischen Class,
Gender and Culture im Mittelpunkt der Analyse. Dass die mexikanische Kultur stark von
ökonomischer Ausbeutung und Entfremdung beeinflusst war, bedingte auch, dass das
Wirtschaftssystem noch heute auf einer starken Hierarchisierung aufgebaut ist. Die
Ausbeutung und Unterdrückung des männlichen mexikanischen Arbeiters (siehe auch Prieur
1996:99f.) und die damit einhergehende Verarmung führten zu Ohnmachtsgefühl, Frustration
und Wut. Diese wurden zunehmend auf die Frau projiziert, da die Unterordnung der Frau in
einem patriarchalen Gesellschaftssystem die einzige Befriedigung ist, die dem männlichen
Subalternen bleibt. (Peña 1991:40ff.)
“It is thus in the realm of gender relations that class conflict is reformulated and given new cultural
purpose - the total subjugation of women. In consequence, oppressive yet tolerated cultural practices
thrive: physical and psychological violence against women - in the form of beatings and the denial of
18
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
personal autonomy - as well as symbolic violence, in the form of degrading but richly elaborated cultural
expressions like the folklore of machismo and its treacherous-woman stereotype.” (Peña 1991:42)
Der Machismo stellt dieser Deutungsweise nach nicht den Auswuchs eines kulturellen
Ödipuskomplexes
dar,
Geschlechterungleichheit,
sondern
was
entsteht
aus
infolgedessen
der
vor
Fusion
allem
von
der
Klassen-
herrschenden
und
Klasse
zugutekommt, da eine Solidarität zwischen Männern und Frauen der Arbeiterklasse somit
erschwert und einen Umbruch im Gesellschaftssystem verhindert. (Peña 1991:44)
(3) Die Ansätze, die bisher vorgestellt wurden, präsentieren Machismo einheitlich als
negatives Phänomen, das je nach Zugang auf eine andere Ursache zurückzuführen ist. In den
folgenden Theorien wird diese einheitlich negative Betrachtungsweise abgelehnt und
stattdessen durch ein breitgefächertes und vielseitiges Verständnis von Machismo ersetzt.
Alfredo Mirandé differenziert zum Beispiel stark zwischen einer Insider- und einer Outsider
Perspektive und stellt die Annahme, dass Machismo ein spezifisch lateinamerikanisches
Phänomen sei, in Frage. Er behauptet, dass es grundsätzlich zwei Machos gibt: den „guten“
und den „bösen“. Im positiven Sinne wird der Macho mit einer Art Held assoziiert. Das
Machoverhalten
im
Zusammenhang
mit
Kolonisation,
Fremdherrschaft
und
Klassenausbeutung steht für einen widerborstigen, starken und mutigen Helden (wie zum
Beispiel
die
beiden
Nationalhelden
Villa
und
Zapata),
der
sich
durch
Verantwortungsbewusstsein, Selbstlosigkeit, Aufopferungsbereitschaft und feste Prinzipien
auszeichnet. Das Gegenbild dazu bildet der „negative Macho“, der gekennzeichnet wird von
einer „übertriebenen Männlichkeit“, Autoritätsbestreben, Gewaltbereitschaft, Aggression und
Egoismus. Anhand einer Studie mit lateinamerikanischen Männern hat Mirandé einige
interessante Beobachtungen gemacht, deren Ergebnisse sich überaus spannend für die
Männlichkeitsforschung gestalten. Laut dieser Studie handelt es sich beim „positiven Macho“
um Verhaltensweisen und innere Werte, die nicht nach außen getragen werden müssen,
während der „negative Macho“ seine „Männlichkeit“ nach außen hin präsentieren und zur
Schau stellen muss. (Mirandé 1997:66-69)
Das Ergebnis, zu dem Mirandé anhand seiner Arbeit kommt, ist, dass es mehrere – sich
teilweise widersprechende oder gegenläufige – Männlichkeiten gibt und daher kein
homogenes und monolithisches Bild des „Machos“ gezeichnet werden kann (Mirandé
1997:17).
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen auch andere Wissenschaftler*innen. In einer weiteren
Studie mit gebürtigen Mexikanern und US-amerikanischen „Latinos“ wurde Machismo als
psychologisches Konstrukt entlarvt. Was bei Mirandé als „positiver“ versus „negativer“
19
Sarah Theierling
Machismo (siehe auch Melhuus 1996:242f.) betitelt wird, wird hier als „Caballerismo“8
versus „traditional Machismo“ bezeichnet. Wiederum zeigt sich, so das Resultat, dass
Machismo nicht als allgemeines „männliches Verhalten“ oder „männliche Identität“ gedeutet
und damit generalisiert werden kann, da es vielmehr mehrere Männlichkeiten gibt, die von
multidimensionalen
Facetten
geprägt
sind.
(Arciniega/Anderson/Tovar-Blank/Tracey
2008:19f.; Estrada/Rigali-Oiler/Arciniega/Tracey 2011:358f.)
Wie also „Männlichkeit“ bestimmt wird und welche Bedeutungen diesem Begriff
beigemessen werden, variiert mit dem Kontext. Ebenso muss die Definitionsmacht – wer oder
was definiert eine Norm? – lokalisiert und analysiert werden, um universell gültige Normen
von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ zu hinterfragen. Dies gilt sowohl für das Konzept des
Marianismo als auch für das Konzept des Machismo und führt uns weiters zu der Frage,
inwiefern diese „universell gültigen“ Konzepte überhaupt im Alltag relevant sind,
beziehungsweise wie sich deren Wirkungsmacht im Laufe der Zeit verändert hat. Die
Infragestellung von homogenen und monolithischen Vorstellungen und Idealen sowie die
Auseinandersetzung mit multidimensionalen und facettenreichen Ausprägungen von
Geschlechtlichkeit verdeutlichen die Komplexität von Gender-Rollen – nicht nur – in
Lateinamerika.
Wenn hier also die Frage nach der Rolle des Machismo in den (feministischen) Analysen der
sexualisierten Gewalt an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze gestellt wird, gilt es
vorab zu klären, welches Verständnis von Machismo in der verwendeten Literatur
vorherrschend ist. Wenn hier nämlich von Machismo die Rede ist, ist der oben genannte
„negative Machismo“ oder „traditional Machismo“ gemeint. In den verschiedenen Werken,
die zur Erstellung dieser Arbeit verwendet wurden, wird Machismo kaum definiert
beziehungsweise wird auf eine kritische Herangehensweise an den Begriff nur bedingt
verwiesen und auf eine Vorstellung der verschiedenen Machismo-Konzepte gänzlich
verzichtet. Wie ich im vorherigen Abschnitt dargestellt habe, gibt es durchaus mehrere
kritische Zugänge zum Konzept/Phänomen/Narrativ Machismo, in der verwendeten Literatur
wird jedoch einheitlich von Machismo in einem negativen Sinne, vor allem in Bezug auf die
Mann-Frau-Beziehung, gesprochen. In den Unterkapiteln des Hauptteils sowie im Fazit
werden einige kritische Stimmen zu Wort kommen, die eine solche generalisierende
Sichtweise auf den „mexikanischen Macho“ grundsätzlich ablehnen. In anderen Arbeiten wird
8
Caballero (spanische Bezeichnung für Edelmann, Ritter, Gentleman)
20
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
jedoch dem „mexikanischen Männlichkeitskult“ eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit
der sexualisierten Gewalt in der Grenzregion zugesprochen.
Was unter dem Begriff Feminicidio zu verstehen ist, in welchem Kontext er entstanden ist
und welche Grundannahmen ihm zugrunde liegen, soll im Folgenden genauer erläutert
werden.
Einleitung Feminicidio
Zu Beginn des Hauptteils, „Feminicidio an der Grenze – Erklärungsansätze und
Hintergründe“, wurde bereits auf einige Zahlen und Fakten im Zusammenhang mit dem
Feminicidio im Grenzgebiet USA-Mexiko eingegangen. Hier soll nun auf die Hintergründe,
die theoretischen Annahmen und auf die Entstehungsgeschichte des Begriffs eingegangen
werden.
Zu Beginn der 1990er kam es vermehrt zum Verschwinden von jungen Frauen und Mädchen,
deren verstümmelten und malträtierten Körper später meist an öffentlichen Plätzen gefunden
wurden. Je nach Quelle (Regierung, nationale und internationale NGOs, Frauenorganisationen
oder internationale Organisationen wie Amnesty International) variiert die Zahl der
Ermordeten zwischen 200 und 400 pro Jahr. Hinzu kommen noch die vermissten Frauen und
bisher unbekannte Fälle. (Huffschmid 2004; 2006:72; Ensalaco 2006; Comisión Especial
2006:69; Alfarache-Lorenzo 2009:106)
Die Auswertung der zur Verfügung stehenden Fakten gestaltet sich jedoch schwierig, da
manche Statistiken nicht zwischen fahrlässiger Tötung und vorsätzlichem Mord
unterscheiden, was das genaue Erfassen des Ausmaßes zusätzlich erschwert (AlfaracheLorenzo 2009:112). Fest steht jedoch, dass es sich hier um grausame, durch eine misogyne
Grundhaltung motivierte Gewaltverbrechen handelt, deren mangelnde rechtliche Ahndung
einen brutalen Frauenmord zum Kavaliersdelikt deklariert (Huffschmid 2006:87).
Diese menschenverachtende Situation, die auf makabre Art zur Berühmtheit der
mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez als „Hauptstadt des Femizids“ führte, ist jedoch
kein Einzelfall (Fernandez/Rampal 2007:117). Auch in anderen amerikanischen Ländern, in
arabischen Staaten und in asiatischen Regionen wird von zahlreichen Frauenmorden berichtet.
Einige Autor*innen nennen daher Faktoren, die derartige Verbrechen begünstigen und auch in
anderen Ländern anzufinden sind: Neben der Transition der Bevölkerung (Wachstum,
Migration) und schwacher Staatlichkeit führen vor allem ökonomische Krisen und damit
verbundene Umbrüche und Veränderungen der Geschlechterrollen in einer „Machista
Society“, in der das Männliche die Norm darstellt, das Weiblich hingegen die Abweichung
21
Sarah Theierling
und „das Andere“9, zu vermehrter Gewalt gegen Frauen. Die strukturelle institutionalisierte
Diskriminierung von Frauen, die zu Gender Based Violence (GBV) führt, tritt oft gemeinsam
mit der Unfähigkeit oder dem Unwillen der Justiz, die Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen,
auf. (Ensalaco 2006:417-421)
Die aktuelle Debatte rund um eine Rape Society, ausgehend von mehreren Fällen
sexualisierter Gewalt in Indien und den USA10 und die vehemente Einforderung des Rechts
auf körperliche Unversehrtheit von zivilgesellschaftlichen Organisationen, erweckt immer
mehr internationale Aufmerksamkeit und legt den Fokus auf lokale Ursachen und das globale
Ausmaß von Gender Based Violence.
Unter Femicidio wird im Allgemeinen durch Frauenhass motivierter Massenmord verstanden,
was somit die extremste Form von Misogynie darstellt (Huffschmid 2004). Dieser Begriff
wurde von Marcela Lagarde y de los Ríos11 noch erweitert, um die besondere Grausamkeit zu
betonen. Sie spricht daher aufbauend auf den Arbeiten von Diana Russell und Jill Radford
(vgl. Russell/Radford 1992) von „feminicidio“.
„Die Übersetzung von femicide ist femicidio. Ich übersetzte ihn ohne zu zweifeln von femicide in
feminicidio und auf diese Weise habe ich den Ausdruck verbreitet. Auf Spanisch ist femicidio analog zu
homicidio (deutsch Mord) und bedeutet schlicht: Mord an Frauen. Um zu differenzieren, bevorzugte ich
den Ausdruck feminicidio, um so die Gesamtheit der Verletzung der Menschlichkeit, die die Verbrechen
an den Frauen und ihr Verschwinden kennzeichnen, zu benennen.“ (Lagarde y de los Ríos 2005,
Hervorhebung ST)
Die Adaption des Begriffs, soll auf die besonderen Merkmale dieser Gewaltverbrechen
aufmerksam machen: „By invoking and gendering the legal term genocide, the protest
movement seeks to reconstruct conventional understandings about where personal violence
intersects with official terror.“ (Schmidt Camacho 2005:275)
9
Das Wesen der Frau erklärt sich durch seine Beziehung zum Mann. Siehe hierzu Simone de Beauvoirs
Begriffsgegensatzpaar das Eine / das Andere. „Sie ist das Unwesentliche gegenüber dem Wesentlichen. Er ist
das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere“ (Beauvoir 2011 [1949]:12)
10
Am 11. August 2012 wurde ein 16-jähriges Mädchen von mehreren Mitgliedern eines Football-Teams in
Steubenville im Bundesstaat Ohio (USA) vergewaltigt. Zahlreiche Zeugen filmten die Tat und posteten Videos
und Kommentare auf Twitter. Nach einer Vertuschungsaktion und zahlreichen Drohgebärden gegen das
Mädchen, wurden zwei Jugendliche erst Mitte März 2013 strafrechtlich verurteilt. Zeitgleich berichteten die
Medien über die Vergewaltigung einer 23-jährigen Studentin aus Neu-Dehli, die am 27. Dezember 2012 von
mehreren Männern brutal vergewaltigt und anschließend nackt aus einem fahrenden Bus geworfen wurde. Die
junge Frau erlag wenige Tage später ihren Verletzungen, was heftige Demonstrationen in Indien auslöste.
11
Marcela Lagarde y de los Ríos ist Professorin für Anthropologie und Soziologie an der Universidad Nacional
Autónoma de México. Von 2003 bis 2006 war sie Kongressabgeordnete der PRD (Partido de la Revolución
Democrática) und Vorsitzende der Sonderkommission zur Untersuchung von Frauenmorden (Comisión Especial
para Conocer y Dar Seguimiento a los Feminicidios en la República Mexicana y la Procuración de Justicia
Vinculada), die 2003 gegründet wurde.
22
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Zusammenfassend wird Feminicidio als extreme Form von Gender Based Violence (GBV)
verstanden und verbreitet durch seine Gegenwart Angst und Terror, was zur Isolation von
Frauen und infolgedessen zu einer defekten Demokratie führt (Zeilinger 2004:46; Huffschmid
2006:69; Alfarache Lorenzo 2009:114).
Spannend bei der Analyse der Situation an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze ist
auch die Tatsache, dass nicht alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen von Feminicidio
betroffen sind. Dies ist besonders durch die ähnlichen Merkmale der Mädchen und jungen
Frauen (mehr als die Hälfte der Opfer war zwischen 13 und 22 Jahren alt) ersichtlich. Das
Opferprofil umreißt junge, attraktive und mehrheitlich arme Mädchen und Frauen mit dunkler
Hautfarbe. Aufgrund ihrer Lebenssituation sind sie vermehrt von Ungleichheit, Armut und
Gewalt betroffen. Manche von ihnen wiesen einen Migrationshintergrund auf. Ein Teil der
Opfer arbeitete in Maquiladora-Fabriken. Unabhängig vom Beruf kann festgehalten werden,
dass sich ein Großteil der Frauen in einer prekären Arbeitssituation befand. Meist wurden sie
nachts auf dem Nachhauseweg von der Arbeit oder vom Tanzlokal überfallen und
verschleppt. (Zeilinger 2004:45; Huffschmid 2004; 2006:72; Livingston 2004; Schmidt
Camacho 2005:259; Fernandez/Rampal 2007:117ff.)
Über das Motiv dieser Verbrechen gibt es von verschiedenen Seiten viele Vermutungen und
teilweise waghalsige Thesen12: Während von staatlicher Seite Selbstverschuldung durchaus
eine Rolle spielt und unter anderem Thesen in Zusammenhang mit den Drug Wars13,
Organhandel oder Spekulationen über Serienkiller und Psychopathen („Bloodsports“;
Snuffvideos) aufgestellt wurden, kam auch Kritik an der strukturellen Krise Mexikos auf, die
ein recht- und tabufreies „Niemandsland“ konstituiere (vgl. Olivera 2006). Auch die
Involvierung von Polizei und Politik in die Verbrechen wird nicht ganz ausgeschlossen (vgl.
Ensalaco
2006).
Manche
Autor*innen
erklären
die
Situation
mithilfe
eines
psychoanalytischen Zuganges, in dem es vor allem um Machtanspruch, welcher über
uneingeschränktes Morden und Terror demonstriert wird, geht (vgl. Segato 2006). Aus einer
marxistisch-feministischen Perspektive nimmt die Kommodifizierung der Frau und die
Sexualisierung von weiblicher Arbeitskraft im Rahmen neoliberaler Politiken einen zentralen
Stellenwert ein (vgl. Livingston 2004; Schmidt Camacho 2005; Wright 2007; Monárrez
Fragoso/Estela 2010; Weissman 2010). Aus einer kulturalisierenden Perspektive spielen der
12
Einen Überblick geben: Huffschmid 2006; Fernandez/Rampal 2007:125f.; Lagarde y de los Ríos 2010.
Unter sogenannten Drug Wars sind Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Drogenbanden (spanisch
Narcos), beziehungsweise zwischen Drogenbanden und Exekutive zu verstehen.
13
23
Sarah Theierling
Machismo und die „misogyne Kultur Mexikos“ wichtige Rollen (siehe Einleitung Machismo).
Für meine Fragestellung besonders interessant ist die These des „Macho Backlash“, auf die
ich im Kapitel 5.3. ausführlich eingehen werde (vgl. Livingston 2004; PrietoCarrón/Thomson/Mcdonald 2007). Während einige Theorien, die vor allem in den Medien
große Aufmerksamkeit fanden, vermutlich eher unwahrscheinlich sind, versuchen
wissenschaftliche Ansätze die komplexe Situation und die diversen zum Tragen kommenden
Faktoren zu untersuchen und unter anderem auch in den Kontext des patriarchalen
Gesellschaftssystems zu stellen (Lagarde y de los Ríos 2010:13f.).
In den folgenden Kapiteln werden die verschiedenen Punkte, die im Mittelpunkt der
feministischen Analysen stehen, genau dargestellt und ein möglicher Zusammenhang mit dem
Machismo untersucht. In der Zusammenfassung wird noch einmal ein Überblick über die
Situation in Mexiko und diverse Entwicklungen im globalen Kontext geliefert. Das Fazit fasst
die zentralen Erklärungsansätze unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, politischen und
sozialen Faktoren noch einmal zusammen und analysiert diese im Hinblick auf die
Fragestellung.
5.1. sozioökonomische Entwicklungen
Um die Krise des mexikanischen Rechtsstaats in Bezug auf die steigende Tendenz der
Gewaltverbrechen und damit einhergehende Verletzungen der Menschen- und Frauenrechte
besser verstehen zu können, muss die Situation im Kontext von sozioökonomischen
Entwicklungen
betrachtet
werden.
Hierbei
spielen
vor
allem
das
globale
„Entwicklungsmodell“ des Neoliberalismus und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen
Beziehungen zwischen Mexiko und den USA zentrale Rollen. Zur genaueren Erläuterung
wird
hier
kurz
auf
die
historische
Entwicklung
der
neoliberalen
Nord-Süd-
Integrationsstrategie und die damit verbundenen Folgen für die mexikanische Bevölkerung
eingegangen.
Zwischen
1940
und
1970
erzielte
Mexiko
mithilfe
der
Importsubstituierenden
Industrialisierung (ISI)14 ein stetiges Wirtschaftswachstum, welches zum Anstieg der
Einkommen und zur Ausdehnung der Mittelschicht führte. Das Ende des wirtschaftlichen
14
Bei der ISI handelt es sich um eine Wirtschaftsform, die sich nach der Weltwirtschaftskrise der 1930er
entwickelt hat. Das „nach innen gerichtete Entwicklungsmodell“ fokussiert die Binnenmarktentwicklung
(Importe werden durch Eigenproduktion ersetzt), die Subvention inländischer Produktion und den Schutz des
einheimischen Marktes durch Zölle und Einfuhrbeschränkungen. (Boris 2012:62-65)
24
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Aufschwungs wurde jedoch 1982 durch die Schuldenkrise eingeleitet. Fortan galten
neoliberale Wirtschaftsregeln, die vom Internationalen Währungsfonds (englisch IMF) und
der Weltbank (WB) mittels Strukturanpassungsprogrammen (englisch SAP) umgesetzt
wurden. Die Ideologie des Neoliberalismus basiert auf der Öffnung der Märkte, freiem
Kapitalverkehr, Budgetauflagen, Privatisierung von Staatsunternehmen, einer Verdichtung
von internationalen Wirtschaftsbeziehungen und der Senkung von Sozialausgaben. Diese
Maßnahmen führten aber nicht immer zum erhofften Wirtschaftsaufschwung, was an den
ökonomischen Auswirkungen des NAFTAs für Mexiko veranschaulicht werden kann. Das
North American Free Trade Agreement (NAFTA), welches am 1. Jänner 1994 von Kanada,
den USA und Mexiko unterzeichnet wurde, sollte eigentlich als Vorstufe zur
gesamtamerikanischen Freihandelszone dienen. Diese wurde aber aufgrund des massiven
Widerstands der Länder Brasilien, Venezuela und Argentinien nicht ausgebaut. Die
Freihandelszone versprach laut (neo)liberalen Denkmustern wirtschaftlichen Erfolg und damit
einhergehende „Entwicklung“ mittels Außenöffnung im Bereich Handel, Dienstleistungen
und Investitionen. Das Entwicklungsversprechen erfüllte sich aber nur mäßig, unter anderem
wegen des starken Leistungsbilanzdefizits, das von der Bindung des Pesos an den US-Dollar
ausgelöst wurde. Zudem führten die stark subventionierten US-Exporte zur Verarmung des
Landwirtschaftssektors, da mexikanische Bäuer*innen ihre Produkte auf dem mexikanischen
Markt nicht mehr gewinnbringend verkaufen konnten. (Jäger 2012:29f.; Gandarilla
Salgado/Ortega/Pimmer 2012:131-138)
Einhergehend mit der Außenöffnung kam es zudem zur rechtlichen Gleichstellung
ausländischer Investor*innen (und damit zu vermehrten Investitionen im Bereich des
Gemeinde-
und
Gemeinschaftseigentums),
was
zur
Zerschlagung
kollektiver
Produktionsformen auf dem Land führte und nachhaltige Auswirkungen auf mexikanische
Produktionsstrukturen hatte. Der neue wirtschaftspolitische Fokus lag fortan auf der
Exportgetriebenen Industrialisierung (englisch EOI), die mittels der Maquiladoras
vorangetrieben wurde. Bei den Maquiladoras handelt es sich um Montagefabriken (meist im
Besitz transnationaler Unternehmen), die vor allem in der Konsumgüterherstellung
(Elektronik, Textil, Automobilindustrie) tätig sind. Hier werden importierte Vorprodukte
fertiggestellt und anschließend wieder exportiert. In Mexiko sind die meisten MaquiladoraIndustrien im Grenzgebiet angesiedelt; vor allem in den Städten Tijuana und Ciudad Juárez
werden viele Produkte hergestellt, die dann in die USA oder nach Kanada exportiert werden.
(Tuider/Wienold 2009:11ff.; Gandarilla Salgado/Ortega/Pimmer 2012:139ff.)
25
Sarah Theierling
Die Maquiladora-Industrie ist beispielhaft für die internationale Arbeitsteilung, die von
scheinbar unveränderlichen Hierarchien geprägt ist. Obwohl Mexiko nicht mehr in die
klassische Dichotomie zwischen Rohstofflieferant und Industrieland einzuordnen ist, sondern
hauptsächlich im Weiterverarbeitungssektor, der irgendwo dazwischen liegt, angesiedelt ist,
dominiert die ökonomische und technische Abhängigkeit Mexikos von den USA nach wie vor
die binationale Beziehung. In dieser Vorstellung von internationaler Arbeitsteilung
übernimmt Mexiko die industrielle Weiterverarbeitung beziehungsweise Exportaufbereitung,
zu einer selbstständigen Industrialisierung auf eigenständiger technologischer Grundlage
kommt es jedoch nicht. (Tuider/Wienold 2009:11f.)
Durch den Fokus auf den Exportsektor kommt es kaum zu einer Vernetzung der
verschiedenen Sektoren, weshalb das mexikanische Wirtschaftswachstum trotz des Anstiegs
der Exporte nur mäßig forciert wird und die mexikanische Wirtschaft wenig Reserven für
Krisenzeiten hat und daher bei Rezessionen stark gefährdet ist. Mexiko kämpft beispielsweise
heute immer noch mit den wirtschaftlichen Folgen der von den USA ausgelösten Krise 2008
(Platzen der Immobilienblase), welche vor allem hohe Arbeitslosigkeit und gestiegene Armut
umfassen. Die wirtschaftliche Rezession führte zu einem Anstieg des informellen Sektors und
der damit einhergehenden Kriminalität, was unter anderem vermehrte Gewaltverbrechen zur
Folge hatte. (Gandarilla Salgado/Ortega/Pimmer 2012:131;140)
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass vor allem Frauen von dieser
wirtschaftlich prekären Situation betroffen waren und sind. Einerseits weil sie dadurch
zunehmend Opfer von Gewaltverbrechen werden, andererseits weil sie gerade im Grenzgebiet
einen hohen Anteil am Arbeitsmarkt haben. Die Beteiligung der Frauen am mexikanischen
Arbeitsmarkt liegt heute je nach Quelle um die 40 Prozent. Zu Beginn der
Grenzindustrialisierung in den 1960ern betrug sie sogar mehr als 50 Prozent, da meist Frauen,
deren Arbeitskraft billig erworben werden konnte, in den von ausländischem Kapital
gestützten Exportmanufakturen tätig waren. Noch heute stellen Frauen billige, leicht
ersetzbare Arbeitskräfte dar und die an binären Geschlechtercodes orientierte Unterscheidung
zwischen skilled und unskilled worker rechtfertigt Lohnunterschiede und verminderte
Fortbildungschancen für Frauen. (Livingston 2004; Staudt/Vera 2006:138f.; Wright 2007;
Monárrez Fragoso/Estela 2010). (Auf diesen Aspekt wird im folgenden Abschnitt (Kapitel
5.2.) ausführlicher eingegangen.)
Hier zeigt sich auch, wie Ungleichheit und dadurch gestiegene Gender Based Violence in
sozioökonomische Entwicklungen eingebunden ist und daher nicht unabhängig von
regionalen politischen und ökonomischen Prozessen betrachtet werden kann (Staudt 2004;
26
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Weissman 2010:225). Gleichzeitig stellt die Kategorie Gender auch ein wichtiges Werkzeug
zur Aufrechterhaltung dieser von Hierarchien und Ungleichheiten geprägten internationalen
Arbeitsteilung
dar.
Die
Dualismenbildungen
„Erste
Welt“/„Dritte
Welt“,
„Entwickelt“/„Unterentwickelt“, Rohstofflieferant/Industrielle Verarbeitung gehen einher mit
den ungleichen Machtverhältnissen entlang der Geschlechterlinie, die unter anderem
Machtpositionen auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigen (skilled/unskilled beziehungsweise
trainable/untrainable worker). Gender spielt daher eine große Rolle bei der Konstruktion von
Hierarchien (Sexismus, Rassismus und Klassismus) auf lokaler, nationaler und internationaler
Ebene. (Livingston 2004: 59,70; Zeilinger 2004:44; Tuider/Wienold 2009; Monárrez
Fragoso/Estela 2010:62f.)
Die Verbindung beziehungsweise Wechselseitigkeit der Unterdrückungsmechanismen kann
vor allem anhand von Lohnunterschieden veranschaulicht werden. Auf der Seite der USA,
beispielsweise
in
der
Grenzstadt
El
Paso,
kommt
zu
geschlechtsspezifischen
Einkommensunterschieden auch noch eine Diskriminierung aufgrund der Ethnie hinzu.
Untersuchungen haben ergeben, dass spanischsprachige Women of Colour15 in den USA circa
ein Drittel des Gehaltes der US-amerikanischen „weißen“ Männer verdienen. (Staudt/Vera
2006:141-146.)
In diesem Kapitel sollte ein grober Überblick über die unterschiedlichen wirtschaftlichen
Entwicklungsphasen Mexikos in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geliefert werden.
Der Aufstieg des Neoliberalismus zur führenden Ideologie, sowohl auf politischer als auch
auf ökonomischer Ebene, liefert den historischen Hintergrund für das „Entwicklungsmodell“
der Exportgetriebenen Industrialisierung, das in Mexiko bis heute vorherrschend ist. Mithilfe
dieses geschichtlichen Aufrisses sollte auf den starken Zusammenhang zwischen neoliberalen
Staatspolitiken
beziehungsweise
wirtschaftlicher
Globalisierung
und
lokalen
sozioökonomischen Entwicklungen hingewiesen werden. Die Schaffung einer ExportÖkonomie in Mexiko zugunsten von globalökonomischer Politik und kapitalistischem
Interesse ging einher mit sozialer Kontrolle, die aufgrund von genderspezifischen
Ungleichheiten auf lokaler und globaler Ebene ausgeübt werden kann (Livingston 2004;
Schmidt Camacho 2005:259; Weissman 2010:225).
Im folgenden Kapitel werden die Auswirkungen der globalen neoliberalen Strategie auf
lokaler Ebene analysiert und anhand einer Auseinandersetzung mit der Maquiladora-Industrie
im Grenzgebiet USA-Mexiko dargestellt.
15
Women of Colour dient hier als politische Selbstbezeichnung, welche die Klassifikation aufgrund der
Hautfarbe als gesellschaftliche und historische Konstruktion kritisiert.
27
Sarah Theierling
5.2. Maquiladoras
Das Border Industrialization Program von 1965 kennzeichnete den Beginn der MaquiladoraIndustrie im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko. Maquilas16 gab es daher schon vor
1994, durch das NAFTA stieg die Produktion jedoch weiter an und damit auch der Bedarf an
Arbeitskräften. Vor allem Frauen schienen „geeignete“ Arbeitskräfte für die Fließbandarbeit,
für die wenige Vorkenntnisse benötigt wurden und die daher auch schlecht entlohnt wurde, zu
sein. Als die Hauptexportprodukte in den 1990ern ausschließlich aus den MaquiladoraIndustrien stammten, stieg die Frauenerwerbsquote doppelt so schnell wie die der Männer.
(Livingston 2004:59-62; Zeilinger 2004:42; Schmidt Camacho 2005:256)
In den 1970ern waren drei Viertel der in den mexikanischen Maquilas beschäftigten
Arbeitskräfte Frauen. Seit den 1980er nahm dieser Wert jedoch aufgrund von
Automatisierung und Technologisierung ab, da mit den gestiegenen Qualifikationsansprüchen
an die Arbeiter*innen, wieder mehr Männer dauerhaft eingestellt wurden. (Truider/Wienold
2009:17)
Mit der Ausweitung der Maquiladora-Industrie kam es sowohl auf ökonomischer Ebene als
auch in frauenpolitischer Hinsicht zu zwei gegenläufigen Tendenzen. Einerseits wurden
scheinbare Gewinne und Fortschritte erzielt, andererseits kam es trotz der Modernisierung zu
einem Rückfall in alte hierarchisierende Denkmuster: 1. Die mexikanische Wirtschaft erzielte
teilweise eine Angleichung an US-amerikanische Verhältnisse, kam aber trotzdem bis heute
nicht aus der untergeordneten Position gegenüber den USA heraus. 2. Die Arbeit in den
Maquiladoras stellt für viele Frauen eine emanzipatorische Möglichkeit dar, führt aber
gleichzeitig zu einer starken Repression konservativer Gegenkräfte.
Aus ökonomischer Hinsicht zeigte die neue Grenzpolitik zunächst eine positive Entwicklung
für Mexiko und eine zunehmend konvergierende Tendenz in Richtung „reicher Nachbar“: Das
Grenzgebiet auf mexikanischer Seite ist im Durchschnitt reicher als das restliche Mexiko.
Gleichzeitig ist das Einkommen im Grenzgebiet auf US-amerikanischer Seite im Durschnitt
geringer als im Rest der USA, was bedeutet, dass die Grenzregion ein regionales Mittelmaß
zwischen Reich und Arm bildet. (Anderson 2003: 553)
Trotz dieser konvergierenden Tendenz herrschen nach wie vor enorme Unterschiede, zum
Beispiel in Bezug auf den Mindestlohn, der in den USA zehnmal höher ist als in Mexiko (vier
US-Dollar) (Staudt/Vera 2006:130f.). Seit der Angleichung des mexikanischen Pesos an den
16
Maquila ist die Kurzform von Maquiladora. Das Wort kommt vom spanischen Verb maquilar (deutsch
montieren, zusammensetzen).
28
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
US-Dollar ist der Lohn der mexikanischen Arbeitskräfte stark gesunken. Im Grenzgebiet ist
die Inflation aufgrund der geografischen Nähe zu den USA sogar noch höher als im restlichen
Mexiko, weshalb die Lebenshaltungskosten im Vergleich zum Lohn ungleichmäßig steigen.
Durch die Inflation wirkt es zwar so, als ob die Löhne steigen würden, tatsächlich passiert
aber das Gegenteil. (Livingston 2004: 65)
Zudem wirkt sich die Maquiladora-Industrie nur mäßig auf die lokale wirtschaftliche
Entwicklung aus, da die geringen Steuern (zum Beispiel Importsteuer) nur wenig Einnahmen
für lokale Behörden schaffen (Zeilinger 2004:42f.). Trotz dieser teilweise repressiven
Entwicklungen versprach die Exportgetriebene Industrialisierung unter dem Banner des
Neoliberalismus in den 1990ern Wohlstand und Entwicklung. Aus diesem Grund zog es auch
viele Arbeitskräfte in die Grenzregion und eine verstärkte Land-Stadt-Migration setzte ein.
Während sich jedoch der Norden Mexikos an der Grenze zum Reichtum sah, profitierten die
USA von der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte (80 Prozent der Maquiladoras befinden sich
in US-amerikanischem Besitz). Diese Entwicklung scheint auch unter dem Aspekt des
historischen Gedächtnisses der Mexikaner*innen bedenklich, worunter vor allem weibliche
Arbeitskräfte in den Maquiladoras leiden. Aufgrund der konfliktreichen Geschichte zwischen
den USA und Mexiko17 ist die Beziehung zwischen den beiden Ländern stark vorbelastet.
Zusammenarbeit und Kooperation mit den USA wird von manchen Mexikaner*innen als
Verrat betrachtet, was im Zusammenhang mit den Maquiladora-Industrien besonders für die
weiblichen Arbeitskräfte zu einer sozialen Stigmatisierung führen kann. Oft werden
Analogien zwischen weiblichen Arbeitskräften, die von US-amerikanischen Firmen bezahlt
werden, und „Prostituierten“, die mit „dem Feind“ ins Bett gehen, gezogen. (Livingston
2004:64ff.)
Diese negative Stereotypisierung der Maquila-Arbeiterinnen trägt auch zur Stabilisierung von
hierarchischen Arbeitsverhältnissen und zum Festfahren von gender-basierter Arbeitsteilung
bei.
Zusätzlich
zu
der
prekären
ökonomischen
Situation,
in
der
sich
die
Niedriglohnarbeiterinnen befinden, kommen also soziale Hürden hinzu. Doch nicht nur die
negative Stereotypisierung erschwert den Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Das
traditionelle Frauenbild, das die Frau auf Reproduktionsarbeit und Hausarbeit einschränkt,
sieht keine Erwerbsarbeit für Frauen vor. Wer also die Beschränkung auf die traditionelle
Mutterrolle ablehnt und stattdessen einen Beruf ergreift, verstößt gegen gesellschaftliche
17
Im Zuge des US-amerikanisch-mexikanischen Krieges (1846-48) verlor Mexiko die Hälfte seines
Staatsgebietes (heutiges Kalifornien, Arizona, Neu-Mexiko, Utah, Nevada und Texas) an die USA, was mit dem
Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo am 2. Februar 1848 besiegelt wurde (Kontinentalband: South America,
Central America and the Caribbean 2012:637).
29
Sarah Theierling
Erwartungen. In den Maquilas sind allerdings Schwangerschaften strengstens verboten (da die
Kosten für Arbeitsgeber steigen und die Produktion sinkt), was Frauen daran hindert, sowohl
einem Kinderwunsch als auch einer Erwerbsarbeit nachzugehen. In manchen Fällen werden
die Frauen sogar dazu genötigt, in regelmäßigen Abständen Menstruationsblut und negative
Schwangerschaftstests
vorzuweisen,
um
die
Möglichkeit
einer
Schwangerschaft
auszuschließen. Gleichzeitig vermindert die Reproduktionsfähigkeit die Aussicht auf eine
Lohnsteigerung und Weiterbildung, da eine mögliche Schwangerschaft eine Fortbildung
wenig rentabel für den Konzern erscheinen lässt und somit eine Kurzanstellung legitimiert
wird. (Zeilinger 2004:44; Livingston 2004:67f.; Wright 2007:196f.; Iturralde 2010:249-252)
In dieser Einleitung zum Kapitel Maquiladoras sollte gezeigt werden, wie stark die in den
Maquiladoras arbeitenden Frauen auf der einen Seite in das Industrialisierungsprogramm,
dessen Ziele Modernisierung und Wirtschaftswachstum sind, eingebunden werden – auf der
anderen Seite haben aber besonders Frauen, da sie großteils in den Maquiladoras beschäftigt
sind, Schwierigkeiten damit, den gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden und ihren
Beruf auszuüben. Dass viele Frauen sich trotzdem dafür entschieden haben beziehungsweise
aufgrund der Rezession dazu gezwungen waren, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, führte
jedoch zu einem Entwertungsprozess auf doppelter Ebene. Sowohl auf gesellschaftlicher als
auch auf wirtschaftlicher Ebene kommt es zur Kommodifizierung und Entwertung der Frau.
Einerseits wird sie aufgrund ihres „Frau-Seins“ auf dem Arbeitsmarkt entwertet, andererseits
wird ihr sozialer Status als Frau aufgrund ihrer Position im Arbeitsmarkt (billige, leicht
ersetzbare Arbeitskraft) entwertet. (Livingston 2004, Wright 2004; 2007; 2011; Monárrez
Fragoso/Estela 2010)
5.2.1. Feminisierung von Arbeit
Die Maquiladora-Industrie erleichtert Frauen den Einstieg in die Erwerbsarbeit und bietet
somit eine Chance auf Selbstversorgung und Unabhängigkeit. Fällt der Einstieg in das
Gewerbe zwar aufgrund der geringen Voraussetzungen sehr leicht, bedeutet dies gleichzeitig
aber auch eine geringe Entlohnung, da eine entsprechende Qualifizierung für den
Aufgabenbereich kaum notwendig ist und der Lohn dadurch niedrig gehalten werden kann.
Die schlechte Entlohnung wird mit der schwachen Ausbildung der Frauen von den KonzernBetreiber*innen legitimiert und es kommt zu einer Feminisierung von Arbeit. Die
Unterteilung in skilled labour (meist Männer) und unskilled labour (meist Frauen)
klassifiziert die Frau als billige, leicht ersetzbare Arbeitskraft, die im Normalfall keine
30
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Möglichkeit auf längerfristige Anstellung oder fixe Arbeitsverträge hat. (Livingston 2004:5962; Ballara 2004:36)
Forderungen nach mehr Lohn stoßen mehrheitlich auf Granit, einerseits bedingt durch die
Schwächung der Gewerkschaften im Zuge der neoliberalen Politik und andererseits ist eine
Arbeitskraft, die mehr Lohn fordert, leicht zu ersetzen, da das Angebot an Arbeitskräften
durch die generelle Arbeitslosigkeit die Nachfrage übersteigt. Zudem stellt die chinesische
Maquiladora-Industrie, die ihren Arbeiter*innen noch weniger Lohn bezahlt und daher ihre
Produkte günstiger weiterverkaufen kann, eine große Konkurrenz für mexikanische Betriebe
dar. (Schmidt Camacho 2005:262; Gandarilla Salgado/Ortega/Pimmer 2012: 139ff.)
Die Arbeitsteilung ist anhand der geschlechtsspezifischen Aufgabenbereiche klar erkenntlich.
Während männliche Arbeitskräfte meistens anspruchsvollere Tätigkeiten übernehmen und
regelmäßig fortgebildet werden, stellt die Frau eine nicht trainierbare Arbeitskraft, deren
Fähigkeiten nicht ausgebaut werden können, dar. Der Mann hat also mit der High-TechTransformation die Möglichkeit, seine Fähigkeiten auszubauen, und kann dadurch seinen
Wert behalten oder sogar steigern; die Frau jedoch verliert, sobald ihre Ressourcen als
Arbeitskraft aufgebraucht sind, an Wert und wird ersetzt. (Wright 2007:184ff.)
Diese Trennung in trainable/untrainable worker passiert mithilfe der Essenzialisierung der
Frau, die hier als das „natürlich Passive“ dargestellt wird und somit der Immanenz verhaftet
bleibt. Dieses Gendering der Arbeitsteilung aufgrund von „natürlichen“ Umständen wird über
diverse Erklärungsweisen legitimiert. Laut dem „Turnover“-Narrativ (deutsch Fluktuation,
Umlauf) sind Frauen der Firma gegenüber nicht loyal und wechseln oft den Arbeitsplatz.
Ausgaben für Weiterbildung und Lohnsteigerungen scheinen aus diesem Blickwinkel daher
für den Betrieb nicht rentabel. Gleichermaßen eigenen sich Frauen aber auch besonders für
die Fließbandarbeit, da sie es gewohnt sind, sich patriarchalen Führungspersonen
unterzuordnen. Hier lässt sich erkennen, wie nützlich dieses „Turnover“-Narrativ für die
Gewinngenerierung der Maquiladora-Industrie ist: solange die weibliche Arbeitskraft einen
Mehrwert generiert, wird sie eingestellt, sobald ihr Wert jedoch aufgebraucht ist (aufgrund
von Schwangerschaft oder Alterungsprozess), kann sie leicht ersetzt werden. (Wright
2007:192-196)
„She is a subject always in need of sorting because eventually the value of her presence on the
production floor will be spent while the value of her absence will have appreciated.“ (Wright
2007:197)
31
Sarah Theierling
Das bedeutet, dass sich weibliche Arbeitskräfte immer in einem instabilen Umfeld bewegen,
da durch eine situationsbedingte Veränderung der Wert ihrer Anwesenheit leicht von dem
Wert ihrer Abwesenheit übertrumpft werden kann.
Dieser Status der Frau als leicht ersetzbare, billige Arbeitskraft, im Rahmen von neoliberaler
Politik
führt/e
zur
sozialen
Disorganisation.
Die
mangelnde
Absicherung
des
Wohlfahrtsstaates mithilfe sozialer Ausgaben aufgrund von Privatisierung forciert erhöhte
Armut und Ungleichheit; kurz: lebensunwürdige Bedingungen. (Weissman 2010:227)
Als Ausweg aus dieser Situation wählen manche Frauen den Weg in die Prostitution. Diese
Entwicklung wird von einigen Teilen der Gesellschaft jedoch nicht aufgrund von
sozioökonomischen Umständen erklärt, sondern beispielsweise aufgrund von „moralischem
Verfall“ der mexikanischen Mädchen durch die Nähe zu den USA. (Wright 2007:186f.)
Als Folge dieser Entwicklung wird vielen jungen Frauen vorgeworfen ein Doppelleben
(Doble Vida) zu führen – tagsüber als Maquiladora-Arbeiterinnen, nachtsüber als
Prostituierte. Sie tragen somit zu einem „kulturellen Verfall“ bei und es wird, wie bereits in
den Maquila-Betrieben, ein Mechanismus ausgelöst, der bewirkt, dass die Absenz der Frau
den Wert ihrer Präsenz übersteigt. Die Verdrängung der Frau aus dem öffentlichen Raum und
das Verschwinden zahlreicher Mädchen können als direkte Folge dieser Sichtweise gedeutet
werden. (Wright 2004; 2007)
5.2.2. Worker & Whore
Obwohl der Vorwurf des Doble Vida auf weitaus weniger Mädchen und Frauen zutrifft als
angenommen, spielt Prostitution in der Grenzregion eine zentrale Rolle, galt sie doch lange
als wichtiger ökonomischer Faktor. Viele kaufstarke Touristen oder Industriearbeiter aus dem
Norden haben die angebotene Sexarbeit in Anspruch genommen, wovon auch die Clubs und
Bars der Umgebung profitierten. In Ciudad Juárez gab es keine limitierten Rotlichtbezirke,
stattdessen dehnte sich die Sexarbeit auf die ganze Stadt aus. Mit dem Aufkommen der
Maquiladora-Industrie wurde ein Modernisierungsprozess gestartet, in dem Frauenarbeit
einen wesentlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistete. (Wright 2004:369; Schmidt
Camacho 2005:265)
Als Ciudad Juárez jedoch in den 1990ern aufgrund der Drug Wars immer mehr zu einem
heruntergekommenen Zentrum für Drogen und Prostitution wurde, entschieden politische
Eliten, die Stadt als Tourist*innen- und Geschäftsattraktion neu zu inszenieren. Zu diesem
Zweck wurde Prostitution gänzlich verboten, was dazu führte, dass weibliche Präsenz auf den
32
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Straßen plötzlich illegal war. Etwa in diesem Zeitraum startete die brutale Mordserie an
jungen Frauen. (Wright 2004:369f.)
Melissa Wright sieht hier einen Zusammenhang zwischen dem Verdrängen der
Sexarbeiterinnen aus dem öffentlichen Raum und dem vermehrten Verschwinden und
Ermorden von Frauen. Im Vordergrund ihrer These steht die Marxistische Theorie des Wertes
beziehungsweise der Entwertung. Die Frau war vor 1990 in der Gesellschaft als Maquila- und
Sexarbeiterin ein Symbol für wirtschaftliches Wachstum. Mit der Vision einer modernen, für
Tourist*innen und Geschäftsleute attraktiven Stadt, ging in Ciudad Juárez jedoch eine
Entwertung der Frau einher. Die Maquiladora-Industrien sollten auf Wunsch der Eliten in
Zukunft über einen High-Tech-Standard verfügen, womit die Fließbandarbeit der Frauen
obsolet wurde und die Prostitution gänzlich aus dem Blickfeld verschwinden sollte. Dass der
Wert der Frau durch ihre Abwesenheit zunehmend stieg, hatte jedoch schwerwiegende
Konsequenzen. (Wright 2004:370f.)
Als ab 1993 vermehrt Mädchen und junge Frauen verschwanden, entschied sich die
Regierung für die sogenannte „Blame the Victim“-Strategie, um sich aus der Verantwortung
zu ziehen. Diese stützte sich auf die „Doble Vida“-These, wodurch das Verschwinden, die
vermehrten Vergewaltigungen und Morde als selbstverschuldet dargestellt wurden, insofern
als dass einer „normalen, sich korrekt verhaltenden“ Frau ja nichts passieren kann, während
sich eine Prostituierte in vollem Bewusstsein dem Risiko, angegriffen werden zu können,
aussetzt. Wer also durch unziemliches Verhalten sein Glück herausfordert, ist selbst schuld.
(Livingston 2004:62; Wright 2004:377; Zeilinger 2004:46)
„The discourse of prostitution as the degraded outcome of the public woman is therefore a
technology for normalizing female disappearance in a context where creating a sense of a
normal city is valuable.“ (Wright 2004:377)
Diese „Blame the Victim“-Strategie zielt also auf eine Degradierung des Opfers ab, was eine
Normalisierung von Gewalt zur Folge hat. (Livingston 2004:62; Wright 2004:377; Melgar
2011:92f.)
Durch
den
Aufbruch
des
traditionellen
Bildes
einer
harmonischen
Dichotomie
(Mann: Erwerbsarbeit, Öffentlichkeit / Frau: Privatsphäre, Haus und Familie) entwickelte sich
zunehmend eine negative Zeichnung von arbeitenden Frauen. Der „Public Woman“-Diskurs
führte dazu, dass die Public Woman als Schande für die Familie und die Nation dargestellt
wurde. Das Public Cleansing ist also als Reaktion auf diesen Bruch mit der patriarchalen
Normalität und traditionellen Werten zu lesen. Untermauert wird dies durch die Annahme,
dass der Frau, solange sie sich in dem ihr zugewiesenem Bereich (Haushalt, Familie) aufhält,
33
Sarah Theierling
nichts passieren kann. Hier offenbart sich die „Doble Vida“-These („Worker and Whore“Narrativ) als weitere Erzählung, welche sicherstellt, dass die Frau ihre Position in der
Gesellschaft nicht verlässt. (Wright 2011:713ff.)
Die Gleichsetzung von Worker und Whore bestimmte die zunehmende Sexualisierung von
weiblicher
Arbeitskraft
und
stellt
im
Prinzip
den
Grundstein
der
verwobenen
Repressionsstrategien gegen Frauen dar. Die Entwertung der Frau auf dem Arbeitsmarkt geht
einher mit dem Prozess des Public Cleansing, in dem der Wert der Frau durch ihre
Abwesenheit gekennzeichnet wird. Die Präsenz der Frau im öffentlichen Raum wird durch
lebensgefährliche Umstände sanktioniert und bestätigt die Grundannahme, dass die eigenen
vier Wände der einzig sichere Platz für eine Frau sind. Neben der Feminisierung von Arbeit
und der Sexualisierung von weiblicher Arbeitskraft kommt es gleichzeitig auch zu einer
Kommodifizierung der Frau. In diesem Prozess wird der weibliche Körper zu einem Objekt
(der Begierde), das konsumiert werden kann/darf/muss. (Wright 2004; 2007)
5.2.3. Fetischisierung der Frau
Die bereits beschriebene Sexualisierung von weiblicher Arbeitskraft beschreibt den
Werdegang der Frau vom (politischen) Subjekt in einer Gesellschaft hin zu einem Objekt der
sexuellen Begierde und der damit einhergehenden Entwertung der Frau. Die Art und Weise,
wie die ermordeten Frauenkörper gefunden wurden – nackt, verstümmelt, im Müll deponiert –
gibt einiges über die geringe Wertschätzung gegenüber Frauen preis. Sie sind wortwörtlich
wertlos. Der Subjektstatus wird ihnen entzogen, stattdessen werden sie zum Objekt gemacht:
sie werden zu einem „Sexually Fetishized Commodity”. Die Misshandlung des Körpers ist ein
Ausdruck der Macht der Täter über die Opfer und deren Familien (siehe Kapitel 5.5.4.). Es
handelt sich um eine schutzlose Ware, die konsumiert und weggeworfen wird. (Wright
2007:186f.; Monárrez Fragoso/Estela 2010:59f.)
Das Zusammenspiel von patriarchalem und kapitalistischem System impliziert die
Transformation des (weiblichen) Körpers zu einer erwerblichen Ware. Die MaquiladoraIndustrie dient als Schauplatz, auf dem (durch den Austausch von Geld, in diesem Fall Lohn)
die Arbeitskraft des Körpers „verkauft“ wird. Auch wenn nicht alle Opfer des Feminicidios
unmittelbar in den Arbeitsmarkt integriert waren, stellten sie doch eine potentielle
Arbeitskraft dar. Die Konstruktionen von Race, Class und Gender spielen in diesem
Vermarktungsprozess eine wesentliche Rolle, denn sie bestimmen den Preis/Wert der
Arbeitskraft. Mit anderen Worten könnte man sagen, die Wertgenerierung der Maquilas findet
34
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
mittels diesem variablen Kapital statt; Arbeitskraft wird gegen Lohn ausgetauscht und ist
demnach mehr oder weniger wert. (Wright 2007:184f.; Monárrez Fragoso/Estela 2010:61ff.)
Der Terror gegen die Frau dient ihrer Kennzeichnung als ersetzbarer Körper und ist ein Mittel
der sozialen Kontrolle. Mit dem Ermorden der Frau wird der Konsum der Frau signalisiert,
was verhindert, dass jemand anderes die Frau konsumieren kann; dieser Besitzanspruch ist bei
der Objektivierung des Subjekts entscheidend. Die Frau wird von einem menschlichen
Subjekt in ein Objekt der (ökonomischen/sexuellen) Begierde transformiert. Durch das
Othering, das Andersmachen, ist die Frau nicht länger ein Mensch, Staatsbürgerin,
Mexikanerin; sondern sie wird zu einem Objekt, das konsumiert werden kann/darf/muss.
Diese Ein-/Unterordnung in das kapitalistische System dient gleichzeitig auch dem Erhalt des
patriarchalischen Systems, da der Frau eine eindeutige Position zugeordnet wird. Diese Art
von Kontrolle stellt einen neuen „modernen“ Mechanismus dar, in dem ökonomische und
patriarchale Unterdrückung ineinander fließen. (Schmidt Camacho 2005:265f.; Monárrez
Fragoso/Estela 2010:64-67)
5.2.4. Zusammenfassung und Schlussfolgerung: Maquiladoras
Wie bereits ausführlich dargestellt wurde, gestalten sich die Emanzipation der Frauen und der
Ausbruch aus traditionellen Geschlechterrollen aufgrund von Narrativen und „kulturellen“
Werte- und Moralvorstellungen äußerst schwierig. Mehrere soziale, politische und
ökonomische Mechanismen greifen ineinander und führen zur Entwertung der Frau auf
beruflicher und auf privater Ebene. Zudem wird ihr der Status als politisches Subjekt
aberkannt und sie wird als Folgewirkung zum Objekt konstituiert, das Konsumwunsch und
Machtansprüchen nicht standhalten kann. Neben diesem Prozess der Kommodifizierung der
Frau wird die weibliche Arbeitskraft aber gleichzeitig auch zur Konsumentin. Somit wird sie
zur „Brötchenverdienerin“ und mit ihrer steigenden Kaufkraft klinkt sie sich aus dem
patriarchalen System aus. Sie tritt also in einen Wettstreit um den Arbeitsplatz mit
männlichen Kollegen und verstößt somit gegen die traditionelle patriarchale Ordnung.
5.3. „Macho Backlash“ & „Machista Society“
Neben den wirtschaftlichen Misserfolgen der neoliberalen Nord-Süd-Integrationsstrategie
kam es auch zu Umbrüchen und Veränderungen in der sozialen Organisation der
mexikanischen Gesellschaft. Wie im vorherigen Kapitel (5.2.) dargestellt wurde, zeigt sich,
dass die gewünschte Modernisierung und der wirtschaftliche Fortschritt, die durch die
Exportgetriebene Industrialisierung erreicht werden sollten, mit den traditionellen
35
Sarah Theierling
Geschlechterbildern kollidiert/en, worunter sowohl Männer als auch Frauen, wenn auch auf
unterschiedliche Weise, leiden (Weissman 2010:232f.).
Die vermehrte Präsenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt (Öffentlichkeit) widerspricht der
traditionellen Rolle der Frau (Privatsphäre) und stellt somit laut einigen Autor*innen einen
Angriff auf die „mexikanische Männlichkeit“ dar. Die Genderrollen geraten außer Kontrolle,
wenn die Frau plötzlich durch Erwerbsarbeit in der Öffentlichkeit steht und der Mann
arbeitslos
an
den
Haushalt
gebunden
ist.
(Livingston
2004
69f.;
Prieto-
Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:29f.)
„Femicide represents a backlash against women who are empowered, for instance by wage employment,
and have moved away from traditional female roles. These are deaths that cause no political stir and no
stutter in the rhythm of the region’s neo-liberal economy because, overwhelmingly, state authorities fail
to investigate them, and the perpetrators go unpunished.“ (Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:26,
Hervorhebung ST)
In dieser Auffassung entsteht Feminicidio, eingebettet in das ideologische und soziale Umfeld
des Machismo, durch eine Gegenreaktion (englisch backlash) auf das weibliche
Emanzipationsbestreben. Durch das Forcieren der industriellen Produktion steigt auch der
Anteil der Frauen in den Maquilas. Dass die Frauen aber durch ihren höheren Verdienst die
Familie unterstützen und somit einen bedeutenden Beitrag zur Gesellschaft leisten, beinhaltet
ein enormes Konfliktpotential. Die Männer haben nicht mehr die Möglichkeit, die
Alleinverdiener zu sein, und fürchten daher um ihre Rolle als Familienoberhäupter. Somit
gefährdet das Aufbrechen der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau auch die
Harmonie im Privatleben. (Olivera/Furio 2006:107ff.)
„For many men the stereotypical self-image of the macho makes it difficult to accept roles
that are inferior either objectively or symbolically to those of their mates. It is not uncommon
in this situation for men to direct their aggression against their wives and children.“
(Olivera/Furio 2006:109, Hervorhebung im Original)
Der Macho hat also laut diesem Verständnis einerseits mit einer Identität, die durch
Selbstdefinition entsteht, zu tun, ist andererseits aber auch ein Bild, das nach außen getragen
werden muss. Wer es also nicht mehr schafft „seinen Mann zu stehen“, verliert nicht nur sein
Gesicht gegenüber der Gesellschaft, sondern kämpft auch mit einem Identitätsverlust, was zur
vermehrter
Aggression
gegenüber
anderen
führt.
(Olivera/Furio
2006;
Prieto-
Carrón/Thomson/Mcdonald 2007)
Durch den erlittenen Identitätsverlust, der gekoppelt ist mit der neuen Subjektivität und
Unabhängigkeit der Frau, formt sich ein “machismo ultrajado”, der als Gegenreaktion auf
36
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
diese schmerzhafte Veränderung in der sozialen Organisation zu verstehen ist (Arteaga
Botello/Valdés Figueroa 2010:16ff.).
Die genauen Ursachen des Feminicidios in Mexiko und der besonders hohen Mordrate in der
Grenzregion sind sehr schwer zu ermitteln. Während wie oben bereits ausgeführt einige
Autor*innen die von Machismo geprägte Gesellschaft („Machista Society“) als Hauptursache
für die Gewalttaten sehen, verneinen andere diese kulturalisierende Sichtweise und verweisen
stattdessen auf einen globalen Kontext und sozioökonomische Veränderungen.
Internationale Marktmechanismen nehmen dem Staat die Kontrolle über ökonomische und
politische Entscheidungen aus der Hand, was zu einer Dezentralisierung von Macht führt. Die
von WB und IMF diktierten Strukturanpassungsprogramme haben den mexikanischen Staat in
seiner Handlungsfähigkeit enorm geschwächt. Unter dem Banner des Neoliberalismus wird
auch eine höhere Besteuerung von internationalen Konzernen, die in Mexiko tätig sind,
verhindert. Es kommt zu einer paradoxen Entwicklung: trotz der Etablierung einer
vermeintlich vielversprechender Export Processing Zone (EPZ) steigt die Armut weiter an.
Der Staat verliert an Macht und somit seinen Status als Gewaltmonopol; als Folge formatiert
das organisierte Verbrechen einen „alternativen Staat“ (siehe Kapitel 5.5.4.). Um nicht noch
tiefer in die Armutsspirale zu rutschen, klammert sich der Staat an internationale Vorgaben,
wodurch die Abhängigkeit von transnationalen Konzernen weiterhin bestehen bleibt. Durch
den verstärkten Privatisierungsdiskurs der neoliberalen Globalpolitik (ab circa 1980) und
Reformen im Arbeitsrecht, die unter Einfluss von transnationalen Firmen durchgesetzt
wurden, wurden sowohl die Rechte der Arbeiter*innen als auch die Handlungsmöglichkeiten
des Staates enorm geschwächt. Viele Arbeiter*innen haben aufgrund der wirtschaftlichen
Rezession gar kein Interesse daran bei Überschreitung der rechtlich vorgeschriebenen
Maximalarbeitszeit zu klagen, da sie die Überstunden brauchen, um finanziell
durchzukommen. Zusätzlich zu diesem deregulierten Arbeitsfeld, trägt die Privatisierung von
staatlichen Behörden, wie beispielsweise der Polizei, dazu bei, dass der Nationalstaat das
Sicherheitsmonopol verliert und nicht länger in der Lage ist, seine Bürger*innen zu schützen.
(Weissman 2010:234-237)
Von Seiten der Maquila-Inhaber*innen fehlt jede Wahrnehmung für den idealen Nährboden
für Ungleichheit und Diskriminierung, den dieses deregulierte Arbeitsfeld bietet. Die
ausländischen Konzerne erklären der Feminicidio stattdessen mit dem „Death by Culture“Narrativ. Die Maquiladora-Industrie hat nur insofern mit den Frauenmorden zu tun, als dass
37
Sarah Theierling
die Anstellung von Frauen die „traditionellen kulturellen Werte“ durcheinander bringt und sie
somit aufgrund ihrer Emanzipation zu kulturellen Opfern des Machismo werden. (Wright
2007:188f.)
Durch Narrative über den mexikanischen Machismo und der Essenzialisierung der
mexikanischen Frau („Doble Vida“-These, „Turnover“-Narrativ) wird die „mexikanische
Kultur“ als Auslöser für den Feminicidio dargestellt („Death by Culture“-Narrativ),
woraufhin die Maquila-Industriebetreiber*innen nicht zur Verantwortung gezogen werden
können. Diese Entwicklungen dienen dem Erhalt patriarchaler und kapitalistischer
Hegemonie und helfen dabei, die mexikanischen Frauen über mehrere Ebenen (lokale,
nationale, internationale) zu kontrollieren und subordinieren. (Wright 2004; 2007; 2011)
Wie bereits im Kapitel „Fetischisierung der Frau“ (5.2.3.) ausgeführt wurde, stützen sich das
patriarchale System und das kapitalistische System (Zirkulation und Akkumulation von
Kapital) somit gegenseitig (Monárrez-Fragoso/Estela 2010:61-67).
Die Theorie des „Macho Backlash“ kann weder verifiziert noch falsifiziert werden. Die
„kulturell“ bedingten Geschlechterrollen als Hauptgrund für den Feminicidio zu betrachten,
birgt jedoch eine gewisse Gefahr, die Situation zu simplifizieren und das komplexe
Zusammenspiel mehrerer Faktoren außer Acht zu lassen (Iturralde 2010:258f.).
„If it is therefore necessary to look at root causes in a much more expansive sense rather than
reducing it to a debate about Machismo and cultural inferiority.“ (Iturralde 2010:259.)
Um es in den Worten von Deborah Weissman zu sagen: Es ist schwieriger, die Beziehung
zwischen sozioökonomischen Entwicklungen und GBV zu verstehen, als die Schuld einfach
den mordlüsternen unmoralischen Mexikanern zuzuschieben (Weissman 2010:225). Was
daher in der Debatte um den „Macho Backlash“ nicht außer Acht gelassen werden darf, ist,
dass die Entwicklung der Export-Ökonomie in Mexiko die „traditionellen Rollenbilder“ der
Geschlechter und die Beziehungen zwischen Männern und Frauen zwar verändert hat und es
möglicherweise zu einer Art Identitätsverlust der Männer aufgrund von erhöhter
Arbeitslosigkeit kam. Die starke Charakterisierung des „mexikanischen Machos“ jedoch
suggeriert die Annahme von statischen, unveränderlichen Gender-Rollen. Kultur wird hier als
etwas
Festgefahrenes,
nicht
Veränderbares
beschrieben
und
polit-ökonomische
Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft werden komplett ausgeblendet.
Die Möglichkeit einer Reduzierung von Machismo in der Gesellschaft eben durch das
vermehrte Auftreten der Frau als Arbeitskraft wird ebenfalls nicht in Betracht gezogen.
(Weissman 2010:230ff.)
38
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
„If, in fact, gender backlash contributes to the murders of women, there has been little effort to consider
how the dynamic is produced or to examine the way in which both men’s and women’s identities are
constructed in current economic conditions. Without such consideration, the possibilities for community
agency and solidarity against constructive economic forces are limited.“ (Weissman 2010:231,
Hervorhebung ST)
Die aktuelle Situation kann daher nicht allein auf die weibliche Erwerbsarbeit und den
„beleidigten Macho“ zurückgeführt werden. Diese Totalisierung der Geschlechterrollen
verdrängt die sozioökonomischen Ursachen von GBV und ignoriert den Gesamtkontext.
(Weissman 2010:230ff.)
Diese Entwicklungen zeigen, dass es zweifelsohne wichtig ist, dass internationale Konzerne
Verantwortung für lokale sozioökonomische Entwicklungen übernehmen. Denn wenn die
massiven Auswirkungen dieser Entwicklungen nicht beachtet werden, kommt es zu einer
ungleichen Verteilung von Gerechtigkeit, was zur stärkeren Unterdrückung der ohnehin schon
verletzlichsten Gruppe einer Gesellschaft führt. Im Falle der Grenzsituation handelt es sich
vor allem um von Armut betroffene Migrantinnen und Women of Colour. (Iturralde
2010:257f.)
5.4. Migration
Wie in Kapitel 5.2. bereits kurz angesprochen wurde, kam es aufgrund der neuentstandenen
Exportökonomie in Mexiko zur Generierung von Arbeitsplätzen, und damit zu einer starken
Land-Stadt-Migration. Beinahe die Hälfte aller Einwohner*innen von Ciudad Juárez sind
Migrant*innen, die in den Maquila-Fabriken tätig sind. (Schmidt Camacho 2005:261)
Ein weiterer Teil der Migrant*innen wird durch den American Dream in die Grenzregion
gelockt. Für viele Frauen stellt die Aussicht auf ein besseres Leben eine große Chance dar, für
die sie auch ein gewisses Risiko eingehen und sich unter schwierigsten Umständen – unter
anderem illegal von Schlepperbanden (Coyotes) – über die Grenze bringen lassen.
Migration ist generell immer mit Chancen und Risiken verbunden, je nach Wissensstand und
Informationsfluss fällt die Vorbereitung auf einen Ortswechsel leichter oder schwerer.
Besonders für Frauen birgt die selbstbestimmte Migration ein emanzipatorisches Potenzial
und
einen
möglichen
Ausstieg
aus
traditionellen
Geschlechterkonzepten
und
Rollenverteilungen. Andererseits begeben sie sich dadurch auch in eine risikobehaftete und
prekäre Situation. Migrierende Frauen verlassen ihr vertrautes Umfeld und kommen an einen
fremden Ort, wo sie zunächst selten eine Verankerung in ein soziales Netz erwarten können.
Durch den fehlenden Rückhalt und wenig Wissen über Rechtsanspruch stellt Migration einen
39
Sarah Theierling
Zustand erhöhter Verwundbarkeit dar. (Ballara 2004:33; Tuider/Wienold 2009:13-19;
Alfarache Lorenzo 2009:109f.)
Gender ist daher ein wichtiger Faktor bei Migration (vor, währenddessen und danach). Durch
soziale und kulturelle Zuschreibungen besteht die Gefahr, Opfer von (sexualisierter) Gewalt
zu werden. Vergewaltigungen werden aufgrund von Angst vor einem Statusverlust, bedingt
durch soziale Stigmatisierung, oft nicht angezeigt. (Zudem spielt Jungfräulichkeit bei
Eheeintritt bei manchen Gesellschaftsschichten eine wichtige Rolle und ist eine
Grundvoraussetzung für ökonomische Sicherheit. Siehe Einleitung Machismo). (GonzálesLópez 2007:225-229)
Sexualisierte Gewalt in Zusammenhang mit Migration bildet also ein zentrales Thema, das
allerdings von gegenseitiger Schuldzuweisung der beiden Grenznationen gekennzeichnet ist.
Als Preis für die Ausreise in die USA müssen viele Frauen Vergewaltigungen von Coyotes
und Border Patrol Agents über sich ergehen lassen, viele nehmen daher schon vorher
Antikonzeptiva ein (Schmidt Camacho 2005:279f.; Falcón 2007:206; Gonzáles-López
2007:224). Illegale Einwanderinnen ohne Visa können zudem die Vergewaltigungen aus
Angst vor Abschiebung weder in den USA noch in Mexiko aufgrund der „Blame the Victim“Strategie der mexikanischen Behörden anzeigen (Schmidt Camacho 2005:279).
Die Grenzregion wird vor allem für Frauen zu einem gefährlichen Ort, an dem
Militarisierung, Hypermaskulinität, Kolonialismus18 und Patriarchat aufeinandertreffen. Die
systematischen Vergewaltigungen an der Grenze müssen auch als Folge der von den USA
forcierten Militarisierung betrachtet werden. Diese Militarisierung wurde im Zuge der
„Operation Gatekeeper“19 seit dem Beginn des US-amerikanischen War on Drugs weiter
vorwärts getrieben, was dem Militär zusätzlichen Einfluss auf innerstaatliche Aktivitäten
verschaffte (bis 1982 war die Zusammenarbeit zwischen Militär und Polizei verboten). Diese
Entwicklung trug zur Etablierung einer männlich dominierten (Un-)Sicherheitszone bei, in der
im Namen der nationalen Sicherheit vermehrte Kontrolle und Repression gegenüber
Migrant*innen und Einwanderer*innen ausgeübt werden konnte/kann. Migrant*innen und
Flüchtlinge wurden somit als Bedrohung der nationalen Sicherheit eingestuft, was fortan mit
militärischer Aktivität gehandhabt wurde; seit jeher eine „klassisch-männliche“ Aufgabe.
(Falcón 2007:203ff.)
18
Der Begriff Kolonialismus wird hier von Sylvanna M. Falcón im Sinne von historischer Tradition der
Machtausübung der USA gegenüber Mexiko, in der Frauenkörper oft ein Symbol für umkämpftes Territorium
darstell(t)en, verwendet (Falcón 2007:203f.).
19
Unter „Operation Gatekeeper“ wird die seit 1994 verstärkte Militarisierung an der Grenze, welche den War on
Drugs forcieren und illegale Grenzübertritte verhindern soll, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten,
verstanden (Falcón 2007:204f.).
40
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Staatssicherheit (in Verbindung mit bestimmten politischen und ökonomischen Interessen)
orientiert sich nicht unbedingt an der Sicherheit der Migrant*innen und Flüchtlinge. Die
Vergewaltigungen an der Grenze sind daher nicht als Ausnahmeerscheinung zu betrachten,
sondern als systematisches Verbrechen. Vor allem illegale Einwanderinnen werden vor den
Tausch Sex gegen Papiere gestellt oder mit einer Deportationsdrohung gefügig gemacht. Eine
rechtmäßige Verfolgung dieser Verbrechen erfolgte von Seiten der USA bisher nur zögernd.
Kommt es zur Anzeige von sexuellen Übergriffen von Border Patrol Agents, müssen
tatkräftige Beweise vorliegen, um eine tatsächliche Verurteilung zu erreichen. Da eine
Vergewaltigung ohne morphologische Verletzungen und ohne DNA-Spuren schwer
nachzuweisen ist, kommt es in den seltensten Fällen zu Verurteilungen. Die Anzahl der
beschuldigten Beamten, die sich trotz Anzeigen und Beschwerden im Dienst befinden,
markiert das Desinteresse des US-amerikanischen Staates an einer Gewaltprävention. Einige
Border Patrol Agents wurden nach einer erfolgreichen Verurteilung sogar mit einer von
staatlichen Geldern finanzierten Kaution freigekauft. (Falcón 2007:206-215)
In den 1990er Jahren kam es im Grenzgebiet Mexiko-USA zu einer interessanten
Entwicklung. Während einerseits wirtschaftliche Integration forciert wurde, kam es
andererseits zur Errichtung eines vier Meter hohen Stacheldrahtzaunes (Anderson
2003:535f.). Gleichzeitig fanden also Zusammenschluss und Abgrenzung statt, was das Leben
für viele Menschen erschwerte und – besonders für Frauen – dramatische Entwicklungen nach
sich zog. Die Grenze bildet einen Raum, in dem mehrere Lebenswelten aufeinander treffen
und viele verschiedene Faktoren ihre Wirkungsmacht entfalten. Die zunehmende
Militarisierung und der von den USA forcierte War on Drugs tragen dazu bei, dass die
Grenzregion zu einer Unsicherheitszone wird, die viele Gefahren birgt. Vor allem migrierende
Frauen sind leicht verwundbar, da sie meist auf sich allein gestellt sind und kaum über ihre
Rechte Bescheid wissen. Systematische Vergewaltigung an der Grenze tritt hier als ein
weiterer Mechanismus, die soziale Kontrolle über Frauenkörper (sei es als Arbeitskraft (siehe
Kapitel 5.2.) oder als Migrantin) beizubehalten, auf. Es können also auch Parallelen zwischen
der Feminisierung von Arbeit in den Maquilas und der Hypermaskulinität der Grenzakteure
gezogen werden. (Falcón 2007:221)
Egal, ob das Migrationsziel die USA oder Mexiko ist, politischen Rückhalt und Schutz vor
GBV finden die Frauen kaum. Die enorme Straflosigkeit trägt dazu bei, dass viele
Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen nicht anzeigen und der Feminicidio ungestraft
weiter geht.
41
Sarah Theierling
5.5. Straflosigkeit – unwilling or unable?
Trotz Unterzeichnung und Ratifizierung von mehreren internationalen und regionalen
Übereinstimmungen (unter anderem der Convention on the Elimination of All Forms of
Discrimination Against Women – CEDAW) kam es kaum zu einem Fortschritt bei der
Prävention und Aufklärung des Feminizids (Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:31).
Zudem wurden mehr als 50 Empfehlungen von den Vereinten Nationen und internationalen
Menschenrechtsorganisationen bezüglich Prävention und Aktion gegen Justizineffizienz
ausgesprochen (Lagarde y de los Ríos 2010:12; siehe auch Comisión Especial 2006:60). Laut
Marcela Lagarde y de los Ríos ergab eine Untersuchung der Comisión Especial20, dass es
zwischen 1999 und 2005 mehr als 6.000 getötete Frauen in Mexiko gab. Das entspricht etwas
mehr als 1000 Toten pro Jahr. Des Weiteren werden bis zu 400 Fälle von häuslicher Gewalt
pro Woche in Mexiko angezeigt. Die genaue Größe der Dunkelziffer von Straftaten, gegen die
nicht Anzeige erstattet wurde, kann nur vermutet werden. Die enorme Straflosigkeit wird hier
als Zeichen für institutionelle und strukturelle Gender Based Violence gesehen, die mit
Ungleichheiten und Diskriminierung miteinhergeht. (Fernandez/Rampal 2007:120; Lagarde y
de los Ríos 2010:21f.)
Im Zentrum der Debatte steht die Frage, ob eine misogyne Grundhaltung zur Straflosigkeit
führt oder ob die Straflosigkeit erst den Auslöser für die ungestrafte Gewalt gegen Frauen
bildet. Um dieser Frage nachzugehen, werden in diesem Kapitel die verschiedenen Instanzen,
die die Schuld an der Straflosigkeit mittragen, dargestellt und abschließend die Theorie über
das „korporative Verbrechen“ von Rita Laura Segato vorgestellt.
5.5.1. Polizei
Die bürokratischen Mühlen in Mexiko mahlen langsam. Oftmals wurden und werden
Verbrechen aufgrund dieser Hürden gar nicht erst angezeigt und die Erwartungshaltung
gegenüber der erfolgreichen Aufklärung von Verbrechen ist daher eher niedrig (PrietoCarrón/Thomson/Mcdonald 2007:33). Die ineffizienten Ermittlungen der Polizei sind
entweder ein Hinweis auf sanierungsbedürftige Staatsapparate oder als Zeugnis des enormen
Ausmaßes an Korruption in diesem Land zu lesen. Die verringerten Staatsausgaben im Zuge
des neoliberalen Sparkurses führten zu einem Sinken der Löhne für Polizist*innen und dem
gleichzeitigen Anstieg von Korruption. Das Vertrauen in die Polizei von Seiten der
Bevölkerung ist schwer erschüttert, da aufgrund der hohen Korruption oft keine klare
20
Comisión Especial para Conocer y Dar Seguimiento a las Investigaciones Relacionadas con los Feminicidios
en la República Mexicana y la Procuración de Justicia Vinculada.
42
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Trennlinie zwischen Kriminellen und Polizei zu ziehen ist. (Huffschmid 2004; Ensalaco
2006:421-424; Weissman 2010:234)
Im Zusammenhang mit der Mordserie an Frauen in Ciudad Juárez und Umgebung gibt es
einen berechtigten Zweifel an der Kompetenz der Polizei und an deren erfolglosen
Ermittlungen: Zeug*innenaussagen und Notrufe wurden ignoriert und die Suche nach
Vermissten oft erst eingeleitet, als es schon zu spät war. Auch die Spurensicherung weist
erhebliche Mängel auf; DNA-Funde21 wurden nicht ausgewertet, was in Folge zur
Falschidentifizierung von Opfern führte und einen DNA-Abgleich mit potenziellen Tätern
unmöglich machte. Diese Liste der Fahrlässigkeit und die hohe Anzahl von ungelösten
Mordfällen löste in Zusammenhang mit mangelnder Transparenz über den Fortschritt der
Untersuchungen großen Ärger bei den Angehörigen aus, die erschüttert waren über die
Ineffizienz und Inkompetenz der Polizei und erzürnt über den Mangel an politischem Willen,
die Frauenmorde aufzuklären. Die steigende Unzufriedenheit der Bevölkerung führte in der
Vergangenheit vermehrt zu Verhaftungen von „Sündenböcken“ und zur Fälschung von
Beweisen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. (Huffschmid 2004; 2006:73; Ensalaco
2006:421-424)
Das berühmteste Beispiel hierfür ist die Verhaftung des gebürtigen Ägypters Abdel Latif
Sharif 2003. Der in den USA bereits vorbestrafte Sexualstraftäter wurde von den Behörden
als Täter für mehrere Morde „identifiziert“ und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Nachdem
vergeblich Berufung eingelegt wurde, wurde 2005 schlussendlich ein Urteil gefällt: 30 Jahre
Haft. Das Kuriose an diesem Schauprozess ist, dass die Frauenmorde bereits während Sharif
noch in Untersuchungshaft saß, weitergingen, was die These eines einzelnen Serienkillers
mehr als unglaubwürdig erscheinen ließ, die Justiz aber trotzdem nicht dazu bewogen hat, ihre
Theorie aufzugeben. Aufgrund des Nicht-enden-Wollens des Feminicidios trotz mehrerer
Verhaftungen sind daher auch Nachahmungstäter nicht auszuschließen. (Ensalaco 2006:424;
Fernandez/Rampal 2007:122ff.)
Mehrere Gerüchte über die Zusammenarbeit der Polizei mit Drogenkartellen stellen zudem
die Frage in den Raum, in wie viele Verbrechen die Polizei tatsächlich involviert ist. Das
Ausmaß der Korruption ist jedoch offen. (Ensalaco 2006:424)
Anhand der veranschaulichten Mängel ist jedoch von einem gewissen Unwillen von Seiten
der Polizei, die Frauenmorde restlos aufzuklären, auszugehen. Eine frauenfeindliche
Grundhaltung und die bereits angesprochene traditionelle Dichotomie zwischen Privatsphäre
21
Der erste Vaginalabstrich wurde erst 1999, sechs Jahre nach Beginn der Mordserie, zur DNA-Analyse
entnommen (Iturralde 2010:247).
43
Sarah Theierling
und Öffentlichkeit (siehe Kapitel 5.3.) spielt daher auch für polizeiliche Ermittlungen eine
Rolle. Häusliche Gewalt wird zum Beispiel bis zu einem bestimmten Grad von den Behörden
trotz Anzeige toleriert, da sie in den Bereich des Privaten fällt und somit zu einer
Angelegenheit von Eheleuten und nicht zu einer Staatsangelegenheit wird, daher auch nicht
den Aufgabenbereich der Exekutive betrifft. (Ensalaco 2006:427; Huffschmid 2006:83)
5.5.2. Regierung
Sowohl der Polizei als auch der Regierung wird vorgeworfen, der Aufklärung der
Frauenmorde nur geringen Wert beizumessen, was sich unter anderen auch durch den Mangel
an einheitlich transparenten Daten zeigt. Offizielle Zahlen entsprechen oft nicht der Wahrheit
und das tatsächliche Ausmaß der Gewaltverbrechen wird von der Regierung heruntergespielt,
um keinen nationalen Aufstand, der eventuell internationale Aufmerksamkeit erregen könnte,
zu entfachen. (Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:32f.; Alfarache Lorenzo 2009:107;
Lagarde y de los Ríos 2010:14f.)
Durch diese Verschleierung von Tatsachen kann eine genaue Analyse der Situation nur
schwer erfolgen. Der Zusammenhang zwischen Migration und den Frauenmorden ist zum
Beispiel aufgrund der mangelnden offiziellen Angaben nicht genau festzumachen. Viele
Migrant*innen reisen ohne Papiere, was das Identifizieren der Personen beim Auffinden der
Leichen oft unmöglich macht. Es gibt infolgedessen auch keine genauen Angaben wie viele
von den unbekannten nicht identifizierbaren Frauenleichen Migrantinnen oder Ortsansässige
sind. In der mehrheitlichen Migrationsbevölkerung lässt sich das Morden daher leicht
„unbemerkt“ fortführen. Denn dort, wo ein reges Kommen und Gehen herrscht, fällt das
Verschwinden von Personen erst auf, wenn sie tot wiedergefunden werden. (Schmidt
Camacho 2005:277; Alfarache Lorenzo 2009:113)
Das ungehinderte Fortschreiten des Feminicidios brachte die Regierung zunehmend in
Erklärungsnot, woraufhin sie mehrere Theorien entwickelte, um die Bevölkerung zu
beruhigen. Zu Beginn wurden die Frauenmorde mit einer „normalen Kriminalitätsrate“ einer
Stadt dieser Größe beschrieben. Die Frauenopfer aber in den Schatten einer generell hohen
Gewalttätigkeit zu stellen, verschleiert nicht nur die gender-spezifische Ungleichheit, sondern
blendet auch den sozioökonomischen Zusammenhang aus. (Huffschmid 2006:73; Monárrez
Fragoso/Estela 2010:60)
44
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Später ging man daher von staatlicher Seite zur „Blame the Victim“-Strategie über, nach
welcher die Frauen durch Selbstverschuldung Opfer dieser Verbrechen wurden (Huffschmid
2004; Wright 2004:377; Iturralde 2010:245ff.) (siehe Kapitel 5.2.3.).
Als sich Demonstrierende mit diesen Erklärungen nicht zufrieden gaben, wurden sie
angehalten, kein allzu großes Aufsehen wegen der Verbrechen zu machen, da dies das
Verschwinden der Frauen noch forcieren würde und zudem das Image von Ciudad Juárez
beschädigen und eventuelle Tourist*innen oder ausländische Investor*innen verscheuchen
könnte (Wright 2004:378f.; 2011:718; Schmidt Camacho 2005:273f.). Die regelrechte
Bedrohung von demonstrierenden Müttern, die die mangelhafte Aufklärung des Feminicidios
anklagen, wird bereits als zweite Welle von Gender Crimes bezeichnet (Schmidt Camacho
2005:273).
Ein weiterer Erklärungsversuch der Regierung brachte die Gender Based Violence in
Zusammenhang mit der gestiegenen Drug Violence. Seit 2003 kam es aufgrund von USamerikanischem Druck in Mexiko zu einer stärkeren Bekämpfung der Drogenkartelle. Diese
Situation
hat
zum
Anstieg
der
Gewalt
und
zu
massiven
Menschen-
und
Zivilrechtsverletzungen geführt. Von staatlicher Seite wird die erhöhte Gewalt allerdings mit
der erfolgreichen Bekämpfung der kriminellen Banden erklärt und legitimiert. (Wright
2011:707ff.)
Mit Hilfe des Konzepts der „Narcopolitics“22 diskutiert Melissa Wright den Diskurs rund um
Gewalt als War of Interpretation. Von Regierungsseite wird der Anstieg von Gewalt durch
den Kampf gegen das organisierte Verbrechen erklärt, während NGOs vor allem die
Machtlosigkeit des Staates als Ursache nennen. Die Regierung verfolgt hier wieder eine
„Blame the Victim“-Strategie und behauptet, dass Drug Violence, ähnlich zu Gender Based
Violence, keine Unschuldigen trifft, sondern nur jemanden, die*der in gewisser Weise in
illegale Geschäfte involviert ist. (Wright 2011:719ff.)
Untermauert wird dieser Erklärungsversuch zusätzlich durch das Narrativ der „männlichen
Rationalität“. Die Bosse der Drogenkartelle seien rationale Geschäftsmänner, daher sind die
Opfer des Drogenkrieges keine unschuldigen Zivilpersonen, sondern Menschen, die in
kriminelle Machenschaften verwickelt sind. (Wright 2011:724ff.)
22
In Anlehnung an Michel Foucaults Theorie der „Biopolitics and Biopower“ (Foucault 1979) und in
Weiterführung des Konzepts Necropolitics (Mbembe 2003) entwickelte Melissa Wright ihrerseits eine Theorie
über Narcopolitics (Narcos: mexikanische Drogengangs). Laut Foucault besteht die Neuerung in den
Machttechniken des 18. Jahrhunderts in der Konstruktion der Bevölkerung als ökonomisches und politisches
Problem, was das Eingreifen in die Körper der Menschen (via Sexualität) legitimiert und entscheidet, wer sich
fortpflanzen darf und wer nicht. Wright schlussfolgert, dass der moderne mexikanische Staat über sogenannte
Narcopolitics auch bestimmt, wer lebt und wer nicht, da er das Leben bestimmter Menschen beschützt und den
Tod anderer legitimiert (via „Blame the Victim“-Strategie).
45
Sarah Theierling
In der Art und Weise, wie die Regierung den Feminizid als Problem negiert und diverse
Erklärungsversuche für das Morden heranzieht, um die Bevölkerung und die Angehörigen der
Mordopfer zu beruhigen, wird ein politischer Unwille erkennbar, der sich auch in der
Gesetzgebung zum Schutz der Frauenrechte wiederfindet. Obwohl sich die rechtliche
Situation der Frauen in den letzten Jahren einigermaßen verbessert hat, klaffen die
Rechtsgrundlage und ihre Umsetzung (Strafverfolgung) weit auseinander. Diese Beobachtung
kann als Widerspruch zwischen dem Erhalt der sozialen Ordnung und der Verpflichtung, die
Rechte der Staatsbürgerinnen zu schützen, gedeutet werden. (Schmidt Camacho 2005:269f.)
5.5.3. Justiz
Wie bereits angesprochen wurde, hat sich die rechtliche Situation der mexikanischen Frauen
in den letzten Jahren zunehmend gebessert, unter anderem durch das Gleichheitsgesetz (2005)
und das „allgemeine Gesetzt für einen Zugang der Frauen zu einem gewaltfreien Leben“,
welches 2007 in Kraft getreten ist und das erste Gesetz in Mexiko ist, das Frauen als
Rechtssubjekte anerkennt. Dieses Gesetzt benennt fünf Formen von Gewalt (psychische,
physische, sexuelle, ökonomische und eheliche Gewalt) sowie fünf Modalitäten, in welchen
Gewalt auftreten kann (in der Familie, in der Arbeit, im Unterricht oder in der Gemeinde, in
institutioneller Form und in Form von feminizider Gewalt). Durch dieses Gesetz ist der Staat
zum Schutz ihrer Rechte, unter Berücksichtigung dieser fünf Formen und fünf Modalitäten
verpflichtet, um den Frauen ein gewaltfreies Leben und daher auch einen uneingeschränkten
Zugang zur Demokratie zu ermöglichen. (Alfarache Lorenzo 2009:113f.; Melgar 2011:90f.)
Trotz dieser rechtlichen Grundsteine gestaltet sich ein selbstbestimmtes Leben für eine
mexikanische Frau durch den sozialen Imperativ und gesellschaftliche Anforderungen oft
schwer. Als Beispiel kann hier die Abtreibungsdebatte genannt werden. Abtreibungen sind in
Mexiko, außer im Fall einer Vergewaltigung, illegal. Die an der Grenze lebenden Frauen
fahren zu diesem Zweck oft ins benachbarte El Paso in die USA, um dort eine Abtreibung
durchführen zu lassen. Circa ein Drittel der in El Paso behandelten Frauen sind
Mexikanerinnen. (Staudt/Vera 2006:150f.)
GBV kann im Hinblick auf die eben genannten Punkte daher als Ausdruck von systematischer
Repression auf mehreren Ebenen (sozialer, rechtlicher) gelesen werden. Die strukturelle GBV
produziert und reproduziert Machthierarchien und Unterdrückungsformen entlang der
Geschlechterdifferenz, die durch das nichtfunktionale Justizsystem noch gefestigt werden.
(Schmidt Camacho 2005:271; Olivera/Furio 2006:106;112)
46
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Gleichzeitig setzt Straflosigkeit eine gewisse „Staatsmisogynie“ voraus, was eine
Normalisierung von Gewalt, insbesondere geschlechtsspezifischer Gewalt, noch begünstigt.
Die strukturelle geschlechtsspezifische Gewalt und der institutionalisierte Frauenhass führen
daher einerseits zur Kriminalisierung der Opfer (Stichwort: „Doble Vida“-These, „Blame the
Victim“-Strategie) und andererseits zu einer Homogenisierung von Gewaltverbrechen, durch
welche die verschiedenen Arten von Aggression gegen Frauen nicht differenziert werden.
Eingebettet in eine machistische Gesellschaft, kommt es zu einem generellen „Prozess der
Institutionalisierung der Straflosigkeit“, in dem Schuldige inszeniert werden und Feminizid
als Mythos abgestempelt wird. (Huffschmid 2006:72-75; Melgar 2011:92ff.)
Das Vorgehen der Justiz, Frauenmorde als Individualverbrechen zu klassifizieren, muss also
kritisch hinterfragt werden. Dadurch wird nämlich einerseits der spezifisch frauenfeindliche
Charakter ausgespart und zudem auch die Rolle von ökonomischer Ungleichheit (siehe
Kapitel 5.1. und 5.2.) ausgeblendet. Mit den SAP kam es zur Anpassung an die Wünsche des
internationalen Marktes, was die Gesetzesgrundlage in Mexiko – zu Gunsten der
transnationalen Konzerne und zu Ungunsten der dort beschäftigten mexikanischen
Arbeiter*innen – grundlegend verändert hat. (Weissman 2010:237f.)
5.5.4. „korporatives Verbrechen“
In den vorhergehenden drei Unterkapiteln wurde auf die Rolle der drei Staatsgewalten,
Legislative, Judikatur und Exekutive, im Zusammenhang mit der Straflosigkeit in Bezug auf
sexualisierte
Gewalt
eingegangen.
Diese
Analyse
ging
von
einer
strukturellen
beziehungsweise institutionalisierten GBV innerhalb des mexikanischen Staates aus. Der
folgende Ansatz der brasilianischen Anthropologin Rita Laura Segato fokussiert jedoch auf
einen „Zweit- oder Parallelstaat“, in dem Machtkämpfe, Besitzansprüche und „MännlichkeitsRituale“ auf Frauenkörpern ausgetragen werden.
Segato wehrt sich vehement gegen den „Mythos Feminicidio“ und die Erklärung der Gender
Crimes als „Individualverbrechen“. Sie vertritt stattdessen die These, dass die Frauenmorde
keine Taten von verwirrten Einzelpersonen oder psychisch Kranken sind, sondern verortet
vielmehr eine Einbettung in eine Gesellschaft, die strukturiert ist von bestimmten
Vorstellungen über Geschlechterverhältnis und Geschlechterhierarchie. (Segato 2005; 2010)
Die Vergewaltigungen und der körperliche Missbrauch werden als Ausdruck von
Kontrollverlangen und dem Wunsch nach vollkommener Vereinnahmung des anderen
Körpers erklärt. „Das Andere“ verliert durch diese Einverleibung nicht nur die Kontrolle über
47
Sarah Theierling
ihren*seinen eigenen Körper, sondern auch über ihre*seine Subjektivität. Segato zieht hier
eine Parallele zu dem Kontrollwunsch des herrschenden Souveräns über ein bestimmtes
Territorium und den Vergewaltigungen, die in dieser Leseart als eine physische und
moralische Beherrschung und Unterwerfung „des Anderen“ – also absolute Kontrolle –
gedeutet werden können. (Segato 2005; 2010:74)
In den Gewaltakten zeigt sich eine gewisse „Handschrift der Täter“, die als Botschaft dienen
soll. Die Vergewaltigung stellt eine Mitteilung dar, die einerseits an das Opfer gerichtet ist,
andererseits auch an Gleichgesinnte. Diese Botschaft an die „Bruderschaft“ ist ein Mittel, sich
einen bestimmten Platz und Status in diesem „Geheimbund“ zu verschafften. Es geht um
Anerkennung, Zugehörigkeit und Loyalität; das „Teilen“ einer Frau (Gang Rape) stellt eine
gewisse Intimität unter den Mitgliedern dieser „Mafia Brotherhood“ dar (Segato 2010:82f.).
Die Konstruktion von „Männlichkeit“ spielt hier eine überaus wichtige Rolle. Segato
postuliert, dass „Männlichkeit“ im Gegensatz zu „Weiblichkeit“ durch bestimmte Riten und
Taten ständig unter Beweis gestellt werden muss. Bei den Verbrechen geht es also nicht in
erster Linie um Misogynie, sondern um die Aufnahme beziehungsweise Bestätigung in und
von einem Bund von Gleichgesinnten. Diese verlangt eine gewisse Zurschaustellung von
„Männlichkeit“ und Macht. Das Opfer ist in diesem Bild nur das Mittel zum Zweck, eine
Zugehörigkeit zu erlangen. Segato sieht also den Feminicidio nicht als Konsequenz von
Straflosigkeit, sondern als (Re-)Produktion von Straflosigkeit. In der meistkontrollierten
Grenzregion der Welt mit derartigen Verbrechen ungestraft davonzukommen, zielt auf die
Demonstration von absoluter Macht ab. (Segato 2005; 2010:74-79)
„Sovereign power does not affirm itself unless it is able to spread terror in a way that nobody
is safe.“ (Segato 2010:81)
In Bezug auf den Souverän, der über ein bestimmtes Territorium herrscht, regiert dieses
Netzwerk von mächtigen Akteuren einen „Zweit- oder Parallelstaat“, in dem es über absolute
Kontrolle verfügt. Der weibliche Körper repräsentiert hier ein Territorium, das erobert werden
muss, und dient als Schauplatz für die vollkommene physische und moralische
Vereinnahmung. (Segato 2005; 2010:80-83)
Die Entstehung dieses „Zweit- oder Parallelstaates“ wird mit der Schwächung des
Nationalstaates als Produkt neoliberaler Politiken, was zur Dezentralisierung von Macht
führte und in diesen Provincial Totalitarianism oder Regional Micro-Fascism resultierte,
erklärt. Mit korporativen Verbrechern meint sie die Elite des „Parallelstaates“, die mittels
einer „Wir“-Identität einerseits ein klares „Anderes“ kreiert und andererseits eine Loyalität
gegenüber dem Geheimbund erreicht. (Segato 2010:84-87)
48
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
„Der mysteriöse Tod der Frauen von Ciudad Juárez kann der definitive Hinweis darauf sein, dass die
Dezentralisierung vor dem Hintergrund von Entstaatlichung und Neoliberalismus nichts anderes
hervorruft als einen Provinztotalitarismus, ein rückschrittliches Zusammenspiel von Postmoderne und
Feudalismus, in dem der weibliche Körper wieder zu einem Anhängsel des Territoriums wird.“ (Segato
2005)
Segato tritt für eine klare Trennung zwischen häuslicher Gewalt und öffentlichen
Gewaltverbrechen ein. Bei der Mordserie an Frauen geht es nämlich auch darum, die
Machtergreifung über den weiblichen Körper öffentlich zur Schau zu stellen. Diese Macht
dehnt sich also nicht „nur“ über einen bestimmten Haushalt aus, sondern über ein ganzes
Territorium. Für Segato ist die Mitgliedschaft von Politik und Exekutive in diesem
„Geheimbund“ unabdingbar, da es viel Einfluss braucht, um dieses System über einen so
langen Zeitraum hinweg ungestraft aufrecht erhalten zu können. Die gender-spezifischen
Gewaltverbrechen können also nicht als „normale“ Verbrechen definiert werden, sondern
müssen als „korporative Verbrechen“ betitelt werden, da es sich um ein komplexes Netzwerk
handelt,
in
welches
mehrere
Täter
aus
unterschiedlichsten
Gesellschaftsschichten
eingebunden sind. (Segato 2005; 2010:73; Huffschmid 2006:79)
5.5.5. Zusammenfassung und Schlussfolgerung: Straflosigkeit
Unabhängig davon, ob solch eine mafiöse Bruderschaft nun tatsächlich existiert oder nicht,
die verstörende Serie an Frauenmorden scheint unaufhaltsam. Während einige Autor*innen
dies auf einen geschwächten Nationalstaat, der mit dem Verlust des Machtmonopols zu
kämpfen hat, zurückführen, sehen andere in der Mordserie einen Ausdruck des politischen
Unwillens, diesem Morden ein Ende zu setzen. Dies wird in dieser Lesart bedingt durch eine
machistische Grundhaltung und die patriarchale Hegemonie, die ein sexistisches,
machistisches und misogynes Verhalten legitimiert und reproduziert.
Die soziale Organisation einer Gesellschaft bildet den Grundpfeiler für feminizide Gewalt.
Wenn keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht und Frauen keinen anerkannten
Status als Rechtssubjekt und Staatsbürgerinnen haben, liegt feminizide Gewalt in der
Verantwortung des Staates. Da die Wahrung der Menschenrechte Aufgabe des Staates ist,
spielt die Straflosigkeit (impunidad) somit eine zentrale Rolle bei der Ausübung von
Staatsmacht (Alfarache Lorenzo 2009:103-107). Reicht die Staatsmacht nicht aus, scheitert
der Staat daran, die Rechte seiner Bürger*innen zu schützen und wird somit Komplize an
feminiziden Verbrechen (Lagarde y de los Ríos 2010:21f.).
49
Sarah Theierling
5.6. Whose Border? – Denationalisierung
Wie im vorigen Kapitel diskutiert wurde, ist die Wahrung der Menschen- und
Bürger*innenrechte eine zentrale Aufgabe des Nationalstaates. Da das Grenzgebiet aber ein
Raum ist, der sich einer eindeutigen Zuordnung zu einer Nation entzieht und eher einen
Zusatz zum Nationalen bildet, stellen die Entwicklungen in dieser Region für einige
Autor*innen ein ideales Beispiel für das Postnational Citizenship dar. Ciudad Juárez wird von
vielen Durchreisenden und Arbeitspendler*innen als denationalisierte Metropole gesehen.
Diese Situation spielt besonders für die rechtlichen Grundlagen eine wichtige Rolle und wirft
einige zentrale Fragen in Hinblick auf die Grenzsituation auf: Wie ist in einem
denationalisierten Raum mit internationalen Menschen- und Frauenrechten sowie mit den
Zivilrechten von Staatsbürger*innen umzugehen? Und inwiefern wirkt sich die zunehmende
(ökonomische) Globalisierung auf den Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen
Grenze aus? (Zeilinger 2004:41; Schmidt Camacho 2005:273-278)
Nach der Wirtschaftskrise von 1982 startete eine neoliberale Offensive, die die Abhängigkeit
Mexikos von den USA (via Kapital und Investor*innen) durch die Umsetzung von GATT23
und NAFTA noch forcierte. Das binationale Projekt der EPZ und die damit einhergehende
Privatisierung und Denationalisierung führten dazu, dass nationale Rechtsansprüche
zunehmend weniger greifbar und wohlfahrtsstaatliche Projekte auf ein Minimum reduziert
wurden, wovon vor allem Frauen, die aufgrund dieser Entwicklungen entweder in den
illegalen Arbeitsbereich (in dem Arbeitsrechte keine Gültigkeit haben) oder vermehrt zurück
in den Haushalt und damit in die private Sphäre gedrängt wurden, betroffen waren. Begleitet
wurde dieser Prozess von mehreren Narrativen rund um die weibliche Arbeitskraft (siehe
Kapitel 5.2.), was die politischen und sozialen Handlungsfähigkeiten und -möglichkeiten der
Frauen enorm einschränkte. (Schmidt Camacho 2005:261-266)
Hier offenbart sich ein repressiver Prozess, der auf zwei verschiedenen Ebenen festgemacht
werden kann. Einerseits wird Staatsbürgerschaft entwertet, da die Zugehörigkeit zu einem
Staat nicht mehr zwingend mit Rechten, Schutz und Zugang zu Ressourcen verbunden werden
kann. Andererseits kann der Staat mithilfe dieses instabilen Status eine neue Form der
Unterdrückung und damit den Erhalt einer bestimmten sozialen Ordnung und die
Zementierung patriarchaler Strukturen herbeiführen. (Schmidt Camacho 2005:260, 263)
23
50
Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen war bis 1995 Vorläufer der Welthandelsorganisation (WTO).
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Die Feminisierung des denationalisierten Subjekts führt zu einem regelrechten Gender Terror
im post-staatlichen Raum, der zwangsläufig von einer dezentrierten Macht (siehe auch
Kapitel 5.5.4.) gekennzeichnet ist. Im Zusammenhang mit der Grenzsituation bedeutet dies,
dass Polizei, paramilitärische Gruppen, Schlepperbanden und Drogengangs die Kontrolle über
die soziale Ordnung, welche durch die Unterdrückung der Frau mithilfe von GBV gestützt
wird, übernehmen. (Schmidt Camacho 2005: 259, 276)
Während also einerseits die Rechte von Staatsbürger*innen in einem denationalisierten Raum,
in dem der Nationalstaat nicht mehr das Machtzentrum darstellt, nicht gewährleistet und
Zugehörigkeiten zu einer bestimmten Nation aufgrund mangelndem Mitspracherecht nicht
eindeutig bestimmt werden können – der Grenzraum sich also in einen nicht klar definier- und
fassbaren Raum verwandelt –, bekommt er andererseits aufgrund der Globalisierung und in
Zusammenhang mit wirtschaftlicher Integration jedoch gleichzeitig auch eine besondere
Bedeutung im globalen Wirtschaftssystem (Zeilinger 2004:41f.).
„The broad gender violence evident at the border reminds us that feminicidio is not simply a
Mexican problem, and that the weakness of the Mexican response to the crimes relates in part
to its dependence on the United States.“ (Schmidt Camacho 2005:278)
Wiederum zeigt sich also, dass die Strukturen, die den Gender-Terror erst ermöglichen, nicht
nur im mexikanischen Nationalstaat, also auf lokaler Ebene, verankert sind, sondern dass auch
Abhängigkeitsverhältnisse, die durch die internationale Arbeitsteilung entstehen, in die
Analyse des Feminicidios zu integrieren sind. Die Frage nach „Whose Border? Whose
Responsibility?“ stellt sich also insofern nicht, da die Verantwortung für die erhöhte GBV auf
beiden Seiten der Grenze liegt. Geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen müssen demnach
binational thematisiert und das Zusammenspiel von Governance and Growth, also die
Kombination von politischer Repression und ökonomischer Ausbeutung, mehr ins Zentrum
gerückt werden. Vor allem auf dem wirtschaftlichen Sektor muss eine Hebung der Löhne von
beiden Seiten forciert werden, um eine emanzipatorische Möglichkeit für mexikanische
Maquiladora-Arbeiterinnen zu schaffen. Zudem sind Frauenrechte Menschenrechte und die
kennen bekanntlich keine Grenzen. (Schmidt Camacho 2005:279, 282; Staudt/Vera
2006:150f.)
51
Sarah Theierling
6. Zusammenfassung
Zusammenfassend gilt es nun die verschiedenen Faktoren noch einmal zu beleuchten und ihr
Zusammenspiel zu analysieren, um abschließend ein Verständnis für die komplexe Situation,
um die es sich bei dem Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze handelt,
entwickeln zu können. Wichtig hierfür ist zunächst zu erkennen, dass lokale Ereignisse nicht
unabhängig und getrennt von globalen Veränderungen gedacht werden können, sondern zu
erkennen, dass es sich hier um eine Einbettung in trans- und internationale Prozesse handelt,
die lokale Vorgänge auf sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ebene maßgeblich
beeinflussen.
Das Jahr 1965 kennzeichnete die Geburtsstunde der Maquiladora-Industrie im Grenzgebiet
USA-Mexiko und den Beginn einiger folgenschwerer Entwicklungen im Norden Mexikos.
Das vielversprechende neoliberale Wirtschaftsmodell, das Außenhandel und Öffnung für
ausländische Investor-Firmen propagierte, brachte nicht den erwünschten Erfolg. Das
Ausbleiben des Wirtschaftsaufschwunges stürzte Mexiko 1982 eine tiefe Krise, von der sich
das Land bis heute nicht erholt hat, was auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist: Um das
Land nach der Krise wieder aufbauen zu können, wurden Kredite benötigt, die der IMF und
die WB nur unter Einhaltung bestimmter Auflagen gewährten. Dazu zählten die bereits
erwähnte Öffnung für ausländisches Kapital, exportorientierte Wirtschaftsmechanismen und
die Privatisierung von Staatsunternehmen. Diese Auflagen hatten jedoch Entwicklungen
zufolge, die die strukturelle Krise Mexikos noch verschärften und die subordinierte Stellung
des Landes innerhalb der internationalen Arbeitsteilung zusätzlich festigten. Zum Einen
waren mexikanische Produkte gegenüber staatlich-subventionierten Produkten der USA nicht
wettbewerbsfähig, zum Anderen verhinderte die geringe Besteuerung von internationalen
Konzernen, die sich in Mexiko angesiedelt hatten, ein positive Leistungsbilanz. Die
mexikanischen Staatskassen blieben somit leer. Durch den Fokus auf Montage- und
Weiterverarbeitungsfabriken konnte weder eine eigenständige Industrialisierung noch eine
Diversifizierung
von
unterschiedlichen
Wirtschaftssektoren
erreicht
werden.
Das
Entwicklungsversprechen des Neoliberalismus konnte also nicht eingehalten werden. Ganz im
Gegenteil: die im Rahmen des Border Industrialization Program geschaffene MaquiladoraIndustrie und das 1994 unterzeichnete NAFTA haben dazu beigetragen, die bestehende
internationale Arbeitsteilung, sehr zum Nachteil Mexikos, zu stabilisieren. (Livingston 2004;
Tuider/Wienold 2009; Jäger 2012; Gandarilla Salgado/Ortega/Pimmer 2012)
52
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Dies äußert sich auch in der prekären rechtlichen Situation, in der sich viel Mexikaner*innen
heute befinden. Da es sich bei der EPZ in der Grenzsituation um ein binationales Projekt
handelt, fällt es schwer, bestimmte Rechte durchzusetzen, da nicht immer klar ist, in wessen
Zuständigkeitsbereich die Wahrung dieser Rechte fällt. Nach der Wirtschaftskrise von 1982
wurde der Norden Mexikos mit Hilfe neoliberaler Projekte (NAFTA, GATT) immer mehr zu
einem denationalisierten Raum, in dem nationale Rechtsansprüche kaum geltend gemacht
werden können. Die fortschreitende Privatisierung der Unternehmen und die damit
einhergehende Deregulierung brachten tiefe Einschnitte im Arbeitsrecht mit sich, wogegen
sich die mexikanischen Arbeiter*innen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der
generellen prekären wirtschaftlichen Situation kaum wehren können. Der mexikanische Staat
hat mit einer gewissen Machtlosigkeit zu kämpfen, da die Abhängigkeit von USamerikanischem Kapital und Investor*innen, die infolge der Wirtschaftsintegration eintrat,
einen realpolitischen Widerstand gegen diese problematische arbeitsrechtliche Situation
unmöglich macht. (Zeilinger 2004; Schmidt Camacho 2005; Iturralde 2010, Weissman 2010)
Diese Ausgangssituation bildet den idealen Nährboden für Diskriminierung und Ungleichheit,
und bringt infolgedessen einen enormen Anstieg von Gewalt mit sich. Würde das
kapitalistische Interesse an der Generierung des Mehrwerts dem nicht entgegenstehen, hätten
jedoch gerade die transnationalen Konzerne aufgrund ihrer überlegenen Position die
Möglichkeit, bessere Arbeitsrechte durchzusetzen und damit den Schutz der mexikanischen
Arbeiter*innen zu sichern. (Iturralde 2010:249-252; Weissman 2010:234ff.)
Wie sich also zeigt, sind wirtschaftliche Nord-Süd-Beziehungen auch lange nach dem Ende
des Kolonialismus von einer Hierarchie geprägt, die eine wirtschaftliche Entwicklung
Mexikos in Richtung Niveau der Industrieländer beinahe unmöglich macht.
Die Auswüchse neoliberaler Projekte treffen jedoch nicht alle Gesellschaftsschichten gleich
und wirken alles andere als geschlechtsneutral. An den Ereignissen im Norden Mexikos
lassen sich sehr wohl geschlechtsspezifische Auswirkungen erkennen: Die Feminisierung von
Arbeit und die geringe Entlohnung weiblicher Arbeitskraft zeigen die untergeordnete Position
von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die sich auch auf das Privatleben und auf die politische
Repräsentation von Frauen auswirkt. Die Entscheidungsträger sowohl in der Wirtschaft als
auch in der Politik sind männlich, was den starken Zusammenhang von Geschlecht und
Privilegien auf mehreren Ebenen verdeutlicht. (Staudt/Vera 2006: 163-166)
Die Essenzialisierung vermeintlich „natürlicher“ Unterschiede legitimiert eine Hierarchie
zwischen den Geschlechtern. Beliebte bipolare „geschlechtsspezifische Eigenschaften“ wie
aktiv/passiv, rational/emotional et cetera spielen nicht nur im Privatleben eine Rolle, sondern
53
Sarah Theierling
haben auch massive Auswirkungen auf die politische Sphäre und den Arbeitsmarkt. Auf
biologische Merkmale zugeschriebene „typisch weibliche“ Eigenschaften variieren je nach
Kontext und konstituieren so unterschiedliche „Frauenbilder“ – von der „Mutter“ zur „Hure“.
Die Art und Weise, wie „die Frau“ definiert wird, welche Eigenschaften und welcher Wert ihr
zugesprochen werden, verändern sich, das Resultat dieser Mechanismen bleibt jedoch gleich:
sie bestimmen die soziale Position der Frau in der patriarchalen Gesellschaft und sie festigen
– in einem komplexen Zusammenspiel und in gegenseitiger Wechselwirkung – Klassismus
und Rassismus auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene.
Auf einer lokalen Analyse-Ebene wird von einem doppelten Entwertungsprozess der Frau
ausgegangen:
1. Auf ökonomischer Ebene kommt es mit der Etablierung der Maquiladora-Industrie zur
Feminisierung von Arbeit. Hier handelt es sich um einen tautologischen Prozess. Die zu
verrichtende Arbeit ist ohne bestimmte Qualifizierungen und besondere Ausbildung möglich,
daher ideal für Frauen, die erstmals einen Einstieg in die Berufswelt wagen. Gleichzeitig wird
die geringe Entlohnung dieser Arbeit durch die fehlende Qualifikation legitimiert. Die Frau
wird hier als unskilled und untrainable labour dargestellt, sie ist daher ihrer Position als
billige, leicht ersetzbare Arbeitskraft verhaftet und hat weder Aussicht auf ein sichergestelltes
Arbeitsverhältnis noch auf Lohnsteigerung und Beförderung.
2. Auf sozialer Ebene ist sie einer doppelten Belastung ausgesetzt: Einerseits ist sie trotz der
prekären Arbeitssituation oft gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, um die Familie
finanziell zu unterstützen. Die Familie hat als wichtiges soziales System einen zentralen
Stellenwert und die Mutterrolle ist für viele mexikanische subalterne Frauen ein starker
identitätsbildender Faktor. Hier befinden sich viele Frauen jedoch in einem Dilemma, da es
für sie aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der steigenden
Armut zunehmend
schwieriger wird, sich ausschließlich auf ihre Mutterrolle zu konzentrieren und damit in ihrem
traditionell zugeordneten Bereich der Privatsphäre zu bleiben. Gleichzeitig finden sie sich
auch im Bereich der Erwerbsarbeit in einem instabilen Umfeld wieder, da mögliche
Schwangerschaften den Wert der weiblichen Arbeitskraft reduzieren und so die
Legitimationsbasis für ihren „Austausch“ bilden.
(Ballara 2004; Livingston 2004; Zeilinger 2004; Wright 2004; 2007; 2011; Schmidt Camacho
2005; Staudt/Vera 2006; Tuider/Wienold 2009; Monárrez Fragoso/Estela 2010; Weissman
2010; Iturralde 2010)
54
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Die verschiedenen Erwartungshaltungen gegenüber der mexikanischen Frau bewirken, dass
sie sich in einem Feld bewegt, in dem der Grat zwischen dem Wert ihrer Abwesenheit und
dem Wert ihrer Anwesenheit verschwindend gering ist, was die Frauen im Grenzgebiet in
eine außerordentlich gefährliche Situation bringt. Seit dem das Verschwinden der Frauen und
ihre brutalen Ermordungen 1993 öffentlich bekannt geworden sind, gab es mehrere Versuche
von Seiten der Regierung, diese Ereignisse zu erklären, um sowohl die Bevölkerung als auch
ausländische Medien und Investor*innen zu beruhigen. Eine besonders beliebte Strategie, dies
zu erreichen, war und ist das „Worker and Whore“-Narrativ, das auf der „Doble Vida“-These
basiert. Die nördlichen Bundesstaaten Mexikos waren seit jeher von binationalen
Handelsbeziehungen an der Grenze geprägt, auch der Drogenhandel und die Prostitution
waren davon nicht ausgeschlossen. Besonders Ciudad Juárez profitierte davon und die legale
Sexarbeit lockte viele kaufstarke Touristen aus den USA. Mit dem Aufkommen der
Maquiladora-Industrie wurden die Sexarbeiterinnen jedoch zunehmend aus dem öffentlichen
Raum verdrängt, da wirtschaftliches Wachstum fortan mit Hilfe von modernen Technologien
anstatt mit Prostitution und Drogenkonsum angekurbelt werden sollte. Im Zuge der
Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und dem Verdrängen der Frau aus dem öffentlichen
Raum (Public Cleansing) startete ein Prozess, in dem die weibliche Absenz den Wert ihrer
Präsenz überstieg – für viele Frauen eine lebensgefährliche Entwicklung. Als die ersten
Frauen verstümmelt, entstellt und in der Öffentlichkeit deponiert gefunden wurden, wies die
Regierung jegliche Verantwortung von sich und stellte die Verbrechen als selbstverschuldet
dar. Jene Frauen, die ein Doppelleben (spanisch Doble Vida) – tagsüber als MaquiladoraArbeiterinnen, nachtsüber als Prostituierte – führten, waren selber schuld, wenn sie sich einem
erhöhten Risiko aussetzten. Die schützende Privatsphäre zu verlassen und stattdessen eine
Position im öffentlichen Raum einzunehmen, wurde mit lebensgefährlichen Sanktionen
begegnet. Diese „Blame the Victim“-Strategie, basierend auf der Annahme eines
Doppellebens, verweigerte den Frauen den Schutz vor Gewalt und Terror und führte
infolgedessen zu einer Normalisierung von Gewalt, die bis heute aufgrund der enormen
Straflosigkeit nicht überwunden werden konnte. Das Bild der mexikanischen Frau, das hier
infolge der ökonomischen und sozialen Prozesse gezeichnet wurde, ist verstörend. Durch die
Gleichsetzung von Worker and Whore kommt es zur Sexualisierung von weiblicher
Arbeitskraft, was folgenschwere Konsequenzen beinhaltet. Es kommt zur Fetischisierung und
Kommodifizierung der Frau, sie wird zum „Sexually Fetishized Commodity”. Durch das
Inwertsetzen ihrer Leistung wird ihr der Subjektstatus entzogen, und sie wird stattdessen zu
einem Objekt konstituiert, dessen Wert anhand der Kategorien Race, Class, Gender et cetera
55
Sarah Theierling
definiert wird. Hier äußert sich das Zusammenspiel zwischen ökonomischer und patriarchaler
Kontrolle, die sich gegenseitig stützen und verstärken, sowohl auf lokaler als auch auf
globaler Ebene. Gesellschaftliche Hierarchien und die soziale Ordnung werden dadurch, dass
der mexikanischen Frau ein bestimmter Platz zugewiesen wird, den sie aufgrund von
öffentlichem Terror und gesellschaftlichen Sanktionen nicht verlassen kann, stabilisiert. Diese
Mechanismen verfolgen das Ziel, die Frau in eine bestimmte Position zu rücken und ihre
Handlungsfähigkeiten einzuschränken, um die soziale, politische und ökonomische Ordnung
nicht zu gefährden. (Livingston 2004; Staudt 2004; Wright 2004; 2007; 2011; Zeilinger 2004;
Schmidt Camacho 2005; Monárrez Fragoso/Estela 2010; Arteaga Botello/Valdés Figueroa
2010; Weissman 2010; Iturralde 2010)
Gleichzeitig findet auch auf internationaler Ebene eine Hierarchisierung aufgrund von
Vorurteilen und Narrativen statt. Der Feminicidio wird hier mithilfe des „Death by Culture“Narrativ erklärt. Hier wird das neoliberale Wirtschaftsmodell und die damit konform gehende
Politik mit einem emanzipativen Charakter beschrieben, da durch die für Frauen geschaffene
Erwerbsarbeit
in
den
Maquilas
eine Emanzipationsmöglichkeit
von traditionellen
Rollenbildern eröffnet wurde. Dieses Aufbrechen der Geschlechterrollen wird jedoch von der
„primitiven“, „traditionellen“ mexikanischen Gesellschaft, die mit einem „Macho Backlash“
auf diese Veränderungen reagiert, verhindert. Die mexikanische Gesellschaft wird hier als
rückständig und unwillig, eine tatsächliche Modernisierung einzuleiten, dargestellt. Somit
werden ökonomische Ausbeutung und soziale Ungleichheit legitimiert, was wiederum
internationale Hierarchien festschreibt und stabilisiert. (Wright 2007; Weissman 2010;
Iturralde 2010)
Der American Dream und die neoliberale Ideologie versprechen, dass jede*r den
ökonomischen und sozialen Aufstieg schaffen kann, wenn er*sie nur hart genug daran
arbeitet. Dass die Möglichkeiten jedoch realiter aufgrund von zahlreichen Vorurteilen und
festgefahrenen Hierarchien entlang der Kategorien Race, Class, Gender et cetera
eingeschränkt sind, wird am Ende dieser Geschichte nicht erzählt.
56
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
7. Fazit
In der Zusammenfassung wurden die bisherigen Ereignisse noch einmal kontextualisiert und
in Zusammenhang mit globalen Wirtschaftspolitiken kritisch beleuchtet. Abschließend
werden jetzt anhand der Fragestellung die zentralen Grundpositionen pro/contra Machismo als
ausschlaggebenden Faktor für die sexualisierte Gewalt an der US-amerikanischmexikanischen Grenze dargestellt und zum Schluss wird auf Basis der bisherigen
Forschungsergebnisse ein vorläufiges Resümee gewagt.
Wie sich aus dem Hauptteil erkennen lässt, gibt es in der derzeitigen Diskussion im Prinzip
zwei vorherrschende Erklärungsansätze für den Feminicidio der Grenzregion:
1) Der erste Ansatz vertritt die Meinung, dass der „mexikanische Machismo“ und die
„frauenverachtende Kultur“ die Basis für diese unmenschlichen Verbrechen bilden. Die
traditionell untergeordnete Position der Frau in der Gesellschaft ist demnach der Grund für die
Normalisierung der Gewalt an Frauen und die hohe Straflosigkeit bei sexualisierten
Verbrechen. Die wirtschaftlichen Prozesse, die von einer neoliberalen Politik gesteuert
werden und Umbrüche in der sozialen Ordnung der mexikanischen Gesellschaft zur Folge
haben, werden hier als zusätzlich verstärkende Faktoren gesehen, die in den grausamen
Hassverbrechen an Frauen gipfeln. Vor allem die Identität des Mannes wird in dieser Lesart
durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen destabilisiert, was eine erhöhte
Aggression gegenüber Frauen auslöst.
2) Andere Autor*innen distanzieren sich von einer solchen kulturalisierenden Sichtweise und
positionieren sich – in marxistischer Tradition – in einem kapitalismuskritischen
Erklärungsansatz, bei dem vor allem die Inwertsetzung und die Kommodifizierung der Frau
im Zentrum steht. Durch den Verlust ihres Subjektstatus wird ein Konsum der Frau – sowohl
als Arbeitskraft als auch als sexuelles Objekt – ermöglicht. Der Fokus auf wirtschaftliche
Prozesse, die die Entwertung der Frau auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zur Folge
haben, ermöglicht eine Analyse des Zusammenspiels von ökonomischen und patriarchalen
Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen.
Diese beiden Grundpositionen werden im Folgenden anhand der Argumente, die bereits im
Hauptteil ausführlich dargestellt wurden, verdeutlich und zusammengefasst. Zum Schluss
werden im Resümee die Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage präsentiert und ein
kurzer Ausblick gegeben.
57
Sarah Theierling
7.1. Machismo als zentraler Faktor
“Feminicidal violence is produced by the patriarchal, hierarchical, and social organization of gender,
based on supremacy and inferiority that creates gender inequality between women and men. It is also due
to the women’s exclusion from power structures or their exposure to oppressive powers, be they personal,
social, or institutional. And it results from the acceptance and tolerance that are demonstrated by the
multiple complicities among supremacist, macho, and misogynist men – indeed, from the social silences
that prevail about those who commit crimes and are not punished.” (Lagarde y de los Ríos 2010:21,
Hervorhebung ST)
Viele Autor*innen sehen in der Kategorie Gender die zentrale Ordnungsinstanz einer
Gesellschaft. Geschlecht regelt nicht nur soziale Organisation und Arbeitsteilung, sondern
bestimmt auch über Recht und Unrecht. Machoide Strukturen, die institutionell verankert
sind, versuchen, eindeutige Geschlechterrollen und damit eine bestimmte Hierarchie
aufrechtzuerhalten, und reagieren äußerst repressiv auf gesellschaftliche Umbrüche und
Veränderungen. Es wird zwar betont, dass Machismo nicht den einzig ausschlaggebenden
Faktor für feminizide Gewalt darstellt, dennoch wird geschlussfolgert, dass er die Grundlage
für derartige Verbrechen bildet. Der Feminicidio, eingebettet in eine machistische
Gesellschaft, wird als Reaktion auf die bereits ausführlich erwähnten sozioökonomischen
Veränderungen verstanden. Durch diesen Umbruch, der neben Prekarisierung auch ein
gewisses emanzipatorisches Potenzial birgt, hat die Frau auch die Möglichkeit, losgelöst von
ihrer bisherigen untergeordneten Rolle, eine eigene Subjektivität zu formen und selbst über
ihre
Position
in
der
Öffentlichkeit
(Erwerbsarbeit)
und
über
ihre
Sexualität
(Reproduktionsfähigkeit) zu bestimmen. Der durch die Frauenmorde verbreitete Terror
versucht, dies zu verhindern, und dient hier als Werkzeug, die alte traditionelle Ordnung
aufrecht zu erhalten. (Olivera/Furio 2006:109; Arteaga Botello/Valdés Figueroa 2010:12-18)
Dass den Frauenmorden bis heute kein Ende gesetzt werden konnte, wird von einigen
Autor*innen durch eine institutionalisierte misogyne Grundhaltung erklärt. Die enorme
Straflosigkeit gilt in diesen Analysen als Resultat des Unwillens der drei Staatsgewalten, dem
Feminicidio ein Ende zu bereiten. In einer machistischen Gesellschaft – so der Tenor –, in der
die untergeordnete Position der Frau dazu führt, dass nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr
Leben weniger wert ist, ist eine sogenannte „Staatsmisogynie“ zu beobachten. Ein Staat, der
es weder schafft, präventive Maßnahmen – nicht nur in Form von formaler
Gleichberechtigung, sondern auch in Form von einer tatsächlichen Gleichstellung der
Geschlechter – einzuleiten, noch eine lückenlose Aufklärung der Morde zu forcieren, wird
zum Komplizen der Frauenmörder. Das Vorgehen, den Feminicidio zum Mythos zu erklären,
jegliche Verantwortung von sich zu weisen und die Opfer zu kriminalisieren, hat nicht dabei
58
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
geholfen, diesen Vorwurf an den mexikanischen Staat zurückzuweisen. (Huffschmid 2006:7275; Alfarache Lorenzo 2009:107-114; Lagarde y de los Ríos 2010:14-21.; Melgar 2011:9094)
7.2. Machismo als nebensächlicher Faktor
Die Annahme, dass durch veränderte Produktionsweisen, die die Frau dazu bringen, ihre
„traditionelle Position“ in der Gesellschaft zu verlassen, und sie infolgedessen als aktive
Akteurin in der Öffentlichkeit die „Männlichkeit“ der traditionellen „Brötchenverdiener“
untergräbt, was laut dieser Argumentationslinie in tödlichem Terror endet, wird von vielen
feministischen Autor*innen zurückgewiesen.
Um sich aus der Verantwortung zu stehlen, greifen im Grenzgebiet angesiedelte
transnationale Firmen die Idee des „Macho Backlash“ auf (Wright 2004; 2007; 2011). Den
„mexikanischen Machismo“ jedoch als einzige Ursache für die Frauenmorde („Death by
Culture“) darzustellen, wird durch mehrere schlagkräftige Argumente von feministischen
Theoretiker*innen in Frage gestellt.
Zunächst einmal hatten viele von Armut betroffene Frauen nie die Möglichkeit, das
bürgerliche Ideal der Hausfrau und Mutter zu leben, da sie gezwungen waren, einer
Erwerbstätigkeit nachzugehen, um die Familie finanziell zu unterstützen. Diese scheinbar klar
abgrenzbaren Räume von Öffentlichkeit versus Privatsphäre spielen in einigen Familien also
keine zentrale Rolle und dieses vermeintliche Ideal kann ebenso wenig für alle
Gesellschaftsschichten gültig erklärt werden. (Puchegger-Ebner 2008:26)
Sogar in Haushalten, wo innerfamiliäre Arbeitsteilung laut Breadwinner-Model (Mann:
Erwerbsarbeit / Frau: Reproduktionsarbeit) real gelebt wird, bedeutet die Arbeitslosigkeit des
Mannes zwar, dass möglicherweise ein stabiles Familiensystem untergraben wird, jedoch
betrifft diese Unsicherheit Frauen und Männer gleichermaßen. Durch diese prekäre Situation
ist es zwar möglich, dass Familienmitglieder gezwungen sind, umzuziehen und woanders
Arbeit zu suchen, oder dass es zu Streit, Scheidung und Gewalt kommen kann, dass es jedoch
zwingend zum feminiziden Massenmorden kommt, ist nicht wahrscheinlich. (Weissman
2010:232f.)
Zudem geht die These des „Macho Backlash“ davon aus, dass es sich bei den Frauenmorden
um Rachefeldzüge der Ehemänner, die sich „in ihrer Männlichkeit beleidigt fühlen“, handelt.
Falls dem so wäre, würde dies bedeuten, dass die Verbrechen in den Bereich der häuslichen
Gewalt fallen. Dies erklärt aber nicht, warum die Frauen oft in der Öffentlichkeit
verschwinden und wiederum beabsichtigt in der Öffentlichkeit deponiert wieder gefunden
59
Sarah Theierling
werden. Die Zurschaustellung ihrer geschundenen und verstümmelten Körper wird von
einigen Autor*innen als Markierung oder als Mitteilung an die Öffentlichkeit verstanden
(Huffschmid 2006:71, 83; Segato 2010:73).
„Die Minderachtung alles Weiblichen, also ein kulturell verwurzelter Machismo, ist zwar
Voraussetzung eines solchen Kalküls, reicht als Motiv aber nicht aus.“ (Huffschmid 2006:82)
Wenn die Morde also durch die These des „Macho Backlash“ in die Privatsphäre verlagert
werden und nicht als öffentliche Angelegenheit gehandhabt werden, kommt es zur
Entpolitisierung
des
Feminicidios
und
infolgedessen
zur
Einschränkung
der
Handlungsfähigkeit des Staates (Huffschmid 2006:71).
Der gewalttätige Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben ist jedoch ein massiver
Angriff auf die Demokratie und muss vom Staat auch so wahrgenommen werden. Die Frauen
leben in einem Umfeld, in dem sie Gefahr laufen, Opfer von tödlichem Frauenhass zu werden.
Daraus resultiert eine lähmende Angst, die die Frauen dazu zwingt, sich in dem Bereich des
Privaten in Sicherheit zu bringen, und sie davon abhält, am öffentlichen/politischen Leben zu
partizipieren. (Prieto-Carrón/Thomson/Mcdonald 2007:30; Alfarache Lorenzo 2009:114)
Mehrere Autor*innen weisen zudem darauf hin, dass das sexuelle Motiv nicht ausreichend ist,
Misogynie daher nicht als Hauptgrund betrachtet werden kann. Vielmehr gilt es, das
Zusammenspiel mehrerer Unterdrückungskategorien und die Ausbeutung über rassistische,
sexistische und kulturelle Stereotype zu untersuchen. (Zeilinger 2004:44; Segato 2005)
Rita Laura Segato vertritt beispielsweise die These, dass das Ziel des modernen Staates nicht
mehr die Akkumulation von Kapital ist, sondern die (Re-)Produktion von Unterschieden und
Hierarchien ist. Die „arme, mestizische Frau“ bildet hierfür das ideale „Andere“24. Hier sieht
sie auch eine Verbindung zwischen Tod und Kapital, beziehungsweise bringt sie die
Gewaltverbrechen in einen ökonomischen Kontext, da sie eine Verbindung zwischen dem
Missbrauch von Arbeitskraft und dem Missbrauch von Frauen herstellt: den Konsum des/der
„Anderen“. (Segato 2005; 2010)
Zahlreiche wissenschaftliche Artikel beschäftigen sich mit der Frage, ob die ökonomische
Globalisierung und internationalisierte Arbeitsteilung zu einer besonderen Form von Gewalt
führt oder führen kann. Dass scheinbare „wirtschaftliche Integration“, wie hier im Fall von
Wirtschaftskooperation zwischen den USA und Mexiko, oft von Machtunterschieden und
Ausbeutung gekennzeichnet ist, trifft besonders Frauen, da sich Sexismus, Rassismus und
24
Cornelia Klinger beschreibt den Ausschluss des „Anderen“ in kapitalistischen Gesellschaften über die
Kategorien Race, Class und Gender als gezielt eingesetzten ungleichheitsbegründenden und -legitimierenden
Fremdheitseffekt, der zur Externalisierung und Ausbeutung der „Anderen“ innerhalb der Herrschaftssysteme
Rassismus, Imperialismus und Patriarchat führt (Klinger 2003).
60
Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
Klassismus in diesem Kontext überlagern und sich gegenseitig stützen. (Zeilinger 2004;
Schmidt Camacho 2005; Wright 2007; Monárrez Fragoso/Estela 2010)
7.3. Resümee
Vor allem die enorme Straflosigkeit ist ein zentraler Streitpunkt der beiden Grundpositionen.
Es stellt sich die Frage, ob Straflosigkeit als Auslöser für feminizide Gewalt zu betrachten ist
oder eine misogyne Grundhaltung die Ursache der mangelhaften strafrechtlichen Verfolgung
dieser Verbrechen bildet.
Es gibt mehrere Indizien, die auf eine sogenannte „Staatsmisogynie“ hinweisen: jahrelanges
Abstreiten des Feminicidio als „Mythos“, fehlende Gleichstellung der Frau trotz gesetzlicher
Besserstellung der letzten Jahre und mangelnde Chancen auf Fort- und Weiterbildung sowohl
im Bildungs- als auch im Arbeitssektor. Dass in Mexiko teilweise machoide Strukturen, die
eine Hierarchie zwischen Frauen und Männern aufrechterhalten wollen, vorzufinden sind, ist
kaum abzustreiten. Trotzdem ist es wichtig zu erwähnen, dass dieses Problem der
institutionalisierten Ungleichheit kein spezifisch mexikanisches Problem ist und dass auch
viele „westliche“ Gesellschaften bis heute mit der tatsächlichen Umsetzung formaler
Gleichstellungsrechte zu kämpfen haben (siehe Kapitel 5.2., 5.2.2., 5.5.3.).
Wie zu Beginn des Hauptteiles und gegen Ende des Kapitels 5.3. dargestellt wurde, braucht es
daher einen differenzierten Umgang mit lateinamerikaspezifischen Generalismen wie dem
Machismo (oder dem Marianismo), zumal es sich hier nicht um ein spezifisch
lateinamerikanisches Phänomen handelt und wie kritische Autor*innen gezeigt haben, von
allem anderen als von homogenen und statischen Geschlechterrollen auszugehen ist.
Den Macho als „hegemoniale Männlichkeit“ zu bezeichnen, birgt daher Konfliktpotenzial, da
nicht von einer homogenen „Männlichkeit“, sondern vielmehr von pluralen Identitäten
auszugehen ist. Zudem muss die kontextbezogene Wirkungsmacht von „Männlichkeits“Konzepten untersucht werden, statt ein einheitliches und unveränderbares „Männer-Ideal“
vorauszusetzen. Eine Differenzierung sowie die Anerkennung von Pluralität und
widersprüchlichen Identitäten helfen daher, Stereotype aufzubrechen und in diesem Fall auch
eurozentristische Annahmen zu überwinden. (Mathes 2009:175)
Eine monokausale Erklärung für den Feminicidio greift also zu kurz. Stattdessen müssen
mehrere Faktoren, die in die Situation miteinfließen, analysiert werden (Schmidt Camacho
2005:267).
Dass die mexikanische Regierung die verheerende Situation lange verneint und den
Feminicidio als „Mythos“ abgestempelt hat, ist ein enormes Problem. Jedoch wurde diese
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Sarah Theierling
„Blame the Victim“-Strategie sowohl bei den Opfern des Feminicidios als auch bei den
Opfern der Drug Wars angewandt. Das hängt aber vor allem damit zusammen, dass Mexiko
unter starkem internationalem Druck steht und weder ausländische Investor*innen noch
Tourist*innen verschreckt werden dürfen. (Wright 2004; 2011; Schmidt Camacho 2005)
Daher muss die Straflosigkeit, die in Mexiko vorherrschend ist, in einem größeren Kontext
betrachtet werden. Mexiko befindet sich in einer strukturellen Krise, die ausgelöst wurde
durch internationale Marktmechanismen und dem Hegemoniebestreben der USA. Das nichtfunktionierende Justizsystem ist eine Folge der wirtschaftlichen Rezession, durch die parallel
zur gestiegenen Armut auch Kriminalität und Korruption zunahmen. Violencia Feminicida ist
ein Ausdruck der strukturellen Gewalt, ausgehend vom neoliberalen System, das vermehrt zu
durch die Privatisierung forcierter sozialer Polarisierung, führte und zur Entstehung eines
„alternativen Staates“, der von Drogen-Kartellen, Straßengangs und anderen nicht-staatlichen
Akteuren regiert wird, beitrug. (Olivera/Furio 2006:106-110)
In einem zunehmend denationalisierten Raum ist das Machtmonopol des Nationalstaates
geschwächt, was ermöglicht, dass ein „Parallel- oder Alternativstaat“ die Staatsmacht
übersteigt. Dezentralisierung und Entstaatlichung vor dem Hintergrund neoliberaler Politiken
untergraben das Justizsystem, was dazu führt, dass die Polizeiarbeit von kriminellen
Vereinigungen kontrolliert und gesteuert wird, weshalb auch das Morden ungehindert
weitergehen kann und der Terror gegen Frauen zum Kavaliersdelikt deklariert wird. (Segato
2005; 2010; Huffschmid 2006:87; Arteaga Botello/Valdés Figueroa 2010:12-15)
Die gesamte Grenzregion gilt aufgrund der Militarisierung einerseits und der Schaffung eines
recht- und tabufreien „Niemandslandes“ andererseits als generelle Gefahrenzone. Besonders
Frauen sind häufig von sexueller Gewalt durch Coyotes oder Border Patrol Agents betroffen.
Rückhalt und Zuspruch auf rechtlichen Schutz bekommen sie kaum, weder nördlich noch
südlich der Grenze. In den USA haben illegale Einwander*innen keine Chance auf staatliche
Unterstützung, da sie neben den erlittenen Gewaltverbrechen bei Anzeigeerstattung zusätzlich
mit einer Abschiebung rechnen müssen und in Mexiko besteht aufgrund des nichtfunktionalen
Justizsystems wenig Aussicht auf Rechtszuspruch. (Schmidt Camacho 2005:279f.; Falcón
2007:206; Gonzáles-López 2007:224)
Wie in den vorigen Kapiteln schon ausführlicher erläutert wurde, kommt es, wenn es um die
Verantwortung für den Feminizid geht, zu einer gegenseitigen Schuldzuweisung. Von USamerikanischer Seite liegt die Ursache nicht in der Grenzindustrialisierung, daher trägt der
mexikanische Staat die Verantwortung dafür, die hohe Kriminalität in den Griff zu
bekommen. Die mexikanischen Behörden wiederum wollen ausländische Investor*innen
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Feminicidio an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Machismo als Todesurteil?
nicht verärgern und schieben die Schuld auf die Opfer. Da unklar ist, in wessen
Verantwortungsbereich diese Verbrechen fallen, ist auch die rechtliche Lage alles andere als
eindeutig. Klar ist, dass die Morde trotz nationalem Aufschrei und mittlerweile internationaler
Aufmerksamkeit weiterhin unvollständig aufgeklärt werden, was dazu führt, dass die
Mordserie ungestraft und uneingeschränkt weitergeht. (Iturralde 2010:247)
Trotz der Tatsache, dass viele Frauen auf dem Hin- oder Heimweg zur beziehungsweise von
der Arbeit überfallen werden, weisen die inhabenden Konzerne der Maquiladorafabriken jede
Schuld von sich, da diese Verbrechen außerhalb der Fabriken passieren. Dabei haben aber
gerade Konzerninhaber*innen aufgrund ihrer mächtigen und wichtigen Position eine
Möglichkeit, Druck auf die mexikanische Gesetzgebung auszuüben, um strengere Richtlinien
zum Beispiel für ihre Partnerkonzerne zu entwickeln. Darüber, ob oder inwiefern
Maquiladora-Manager*innen tatsächlich in die Morde involviert sind, kann nur spekuliert
werden. Das Faktum, dass viele Opfer auf dem Hin- oder Rückweg zum beziehungsweise
vom Arbeitsplatz angegriffen wurden, kann allerdings nicht bestritten werden, genauso wenig
wie der Nährboden, den die deregulierte Arbeitssituation in den Maquiladoras für
Ungleichheit und Diskriminierung bietet. (Wright 2007:188f.; Iturralde 2010: 247-254)
Wichtig wäre es daher, GBV als internationales Problem zu begreifen, das in
sozioökonomische Entwicklungen eingebettet ist und durch vielschichtige Prozesse
hervorgebracht wird. Gerade an der Grenze wird die Einbindung des Lokalen in das Globale
sichtbar. Hier greifen mehrere Mechanismen und Unterdrückungsformen ineinander, was
dazu führt, dass besonders Frauen von Armut betroffen und als marginalisierte Gruppe
leichter Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt sind. Die Verantwortung, die
Rechte der Arbeiter*innen zu sichern und die Löhne zu heben, um ein menschenwürdiges
Leben zu ermöglichen, liegt auf beiden Seiten der Grenze. Frauenrechte sind Menschenrechte
und stellen somit ein globales Thema dar, weshalb die Wahrung ihrer Rechte auch als globale
Aufgabe betrachtet werden muss. (Zeilinger 2004:41; Staudt 2004; Schmidt Camacho
2005:255-261; Staudt/Vera 2006:166)
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