Hickel, Juli 08

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Hickel, Juli 08
Rudolf Hickel
Wiedereinführung einer Pauschale für die Kosten der berufsbedingten Mobilität zwischen Wohnort und Arbeitsstätte
1.
Warum wurde die Entfernungspauschale mit dem Steueränderungsgesetz 2007 auf eine Ausnahme für die Fernpendler reduziert?
In der aktuellen Diskussion um die Entfernungspauschale wird der Eindruck erweckt, diese sei schon vor Jahren massiv eingeschränkt worden. Tatsache ist
jedoch, dass die von der Einkommensteuer absetzbare Pauschale für Kosten, die
durch die Mobilität zwischen Wohnort und Arbeitsstätte entstehen, erst durch
Steueränderungsgesetz 2007 zum 1.1.2007 mit einer Ausnahme abgeschafft
worden sind. Die Abschaffung dieser steuersystematisch zu Unrecht als Subvention bezeichneten Regelung wurde vor allem mit dem fiskalischen Ziel begründet,
diese Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu nutzen. In ihrem Entwurf zum Steueränderungsgesetz 2007
ist die Bundesregierung von Mehreinnahmen im Umfang von 2,5 Mrd. € ausgegangen.
Die Bundesregierung hat zur massiven Einschränkung der Entfernungspauschale
eine steuerrechtlich höchst problematische Spaltung zwischen dem Prinzip
Werkstor und der Schaffung einer Ausnahme im Sinne einer Subvention für
die Fernpendler wegen deren starker monetärer Belastung vorgenommen.
- Nach dem neuen Gesetz werden die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsplatz der Privatsphäre zugerechnet. Die Pauschale wird also nicht
mehr im Rahmen der Einkommensteuer als Aufwendung zur Erzielung des Erwerbseinkommens (Werbungskosten) nutzbar. Damit beginnt die Berufsphäre –
zur Erzielung des Erwerbseinkommens - erst ab dem Werkstor. Damit zählen
auch Unfälle auf dem Weg zur Arbeit als außerhalb der Berufssphäre erzeugt und
daher auch individuell zu tragende Belastung.
- Gleichzeitig wird jedoch eine Ausnahme im Sinne einer „Härtefallregelung“ zugelassen und damit ein neuer Subventionstatbestand geschaffen. Mit dem Hinweis der Bundesregierung auf die ökonomische Belastung durch einen „überdurchschnittlich weiten Weg“ zur Arbeitsstätte wird für Fernpendler die folgende
Ausnahme zugelassen: Ab dem 21ten Kilometer für den Anfahrtsweg vom Wohnort zur Betriebsstätte, sind die Aufwendungen für Pkw- oder ÖPNV-Fahrten mit
einer Kilometerpauschale (30 Cent pro Kilometer) absetztbar. Die Einbuße gegenüber der bisherigen Regelung ergibt sich bei Fernpendlern dadurch, dass für
die ersten 20 km die Pendlerpauschale nicht gilt.
2. Kritik an der ab dem 1.1.2007 geltenden Regelung
Diese doppelte Neuregelung - Einführung des Werktorprinzips + Ausnahme ab
dem 21ten Kilometer – ist von Anfang an durch Experten des Steuerrechts sowie
der Finanzwissenschaft grundsätzlich kritisiert worden. So haben nahezu alle Experten bei der öffentlichen Anhörung durch den Finanzausschuss des Deutschen
Bundestags am 1. Juni 2006 die Abschaffung der bis dahin geltenden Regelung
der Entfernungspauschale übereinstimmend kritisiert.
Zusammenfassend gilt es festzuhalten:
Die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler durch den
Ausschluss der ersten 20 km Wegstrecke (begrenzte Pendlerpauschale) ist zwar
mit erwarteten Mehreinnahmen über 2,5 Mrd. € relativ ergiebig. Diese Regelung
widerspricht jedoch der Besteuerung nach dem Prinzip der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Im deutschen Steuerrecht gilt bei der Ermittlung des zu besteuernden Einkommens das objektive Nettoprinzip. Alle Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Arbeitseinkommen verringern im Umfang der
Pauschale die Bemessungsgrundlage. Daher handelt es sich bei der Pendlerpauschale, wie die Bundesregierung in ihren bisherigen „Subventionsberichten“
selbst anerkannt hat, nicht um eine Subvention. Diese Auffassung ist bisher
durch das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom Dezember 2002 zur Absetzbarkeit der Kosten der doppelten Hausführung) grundsätzlich bestätigt worden.
Schließlich geht es um eine Gleichbehandlung derjenigen, die im Prinzip einen
Firmenwagen für ihre berufsbedingte Mobilität nutzen können.
Das durch die Bundesregierung angestrebte Prinzip, die Kosten zur Erreichung
des „Werktors“ der Privatsphäre zuzurechnen, hat darüber hinaus fatale Konsequenzen, beispielsweise für die berufliche Unfallversicherung.
Von der Änderung der Pendlerpauschale sind über 11 Mio. Steuerpflichtige betroffen. Rund 15,3 % können für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine entsprechende Kostenpauschale nicht mehr absetzen. Die durchschnittliche Mehrbelastung durch diese Neuregelung liegt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums bei einer Entfernung bis 10 km bei 101 € pro Jahr bzw. bei 20
km Entfernung bei 155 € im Jahr. Pendler, die der Härtefallregelung unterliegen,
werden durch die Nichtberücksichtigung der Entfernungspauschale bis 20 km
ebenfalls getroffen. Die höchste durchschnittliche Mehrbelastung liegt mit 381 €
für Pendler, die 60 km vom Arbeitsplatz entfernt wohnen.
In dieselbe Richtung wirkt die geplante Streichung der Absetzbarkeit der realen
Kosten für den ÖPNV (direkte Entfernungskilometer statt reale Kosten für Bus
und Bahn). Die Perspektivlosigkeit dieser Steuerpolitik offenbart sich durch völlig
unzureichende Maßnahmen zum Umstieg in die öffentlichen Verkehrssysteme.
Für das Ziel, die staatlichen Mehreinnahmen zu steigern, darf nicht das Prinzip
steuerlicher Leistungsgerechtigkeit geopfert werden.
Oftmals wird eingewandt, die Entfernungspauschale wirke wie eine umweltbelastende Zersiedlungspauschale. Schließlich gleiche das preiswertere Wohnen im
Umland die erhöhten Aufwendungen für die Mobilitätskosten aus. Dagegen lässt
sich einwenden: Zum einen werden in vielen Ballungsgebieten wegen der hohen
Mietkosten Beschäftigte zum Wohnen weit vom Arbeitsort entfernt gezwungen.
Ein bezahlbares Wohnungsangebot steht in den Metropolen den Beschäftigten
völlig unzureichend zur Verfügung. Für die Folgen der Suburbanisierung (Auszug
aus den Innenstädten ins Umland) dürfen die Pendler zwischen Wohnort und Arbeitsstätte nicht bestraft werden. Zum anderen hat es die Verkehrspolitik versäumt, frühzeitig den Öffentlichen Personenverkehr so auszubauen, dass ein
Umstieg aus dem PKW ermöglicht wird. Schließlich sollten ökologisch verträgliche
Zukunftskonzepte zum Abbau der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte entwickelt werden. Den Pendlern ist es nicht zumutbar, heute den Preis für
eine politisch zu verantwortende Fehlentwicklung der Verkehrspolitik zu über-
nehmen. Gebraucht wird Beides: kurzfristig die Wiedereinführung der Pendlerpauschale und mittelfristig Strategien zum Abbau der PKW-Nutzung.
3. Initiativen Widerherstellung der Entfernungspauschale
Bereits bei der Anhörung zur Abschaffung der Entfernungspauschale zusammen
mit der Ausnahme für Fernpendler am 1. Juni 2006 ist auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen worden.
Zwischenzeitlich hat der Bundesfinanzhof nach mehreren Urteilen von Finanzgerichten seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung mit seinem
Beschluss vom 23. August 2007 (VI B 42/07) angemeldet. Beachtliche steuersystematische und verfassungsrechtliche Bedenken im Schrifttum sowie widersprüchliche Entscheidungen der Finanzgerichte verlangen eine höchst richterliche
Entscheidung über diese Regelung. Das Bundesverfassungsgericht hat angekündigt, in Sachen Pendlerpauschale am 10. September 2008 in Karlsruhe zu verhandeln. Nach seiner bisherigen Rechtssprechung wird das Bundesverfassungsgericht die Absetzbarkeit der berufsbedingten Fahrtkosten (Nettoprinzip bei der
Besteuerung der Einkommen) grundsätzlich befürworten. Die Einführung des
Werkstor-Prinzips zusammen mit der Ausnahme für Fernpendler wird durch das
Bundesverfassungsgericht zumindest in Frage gestellt werden.
Welche wahltaktischen Überlebungen auch immer eine Rolle spielen, die CSU
fordert in ihrem Steuerkonzept „Mehr Netto für alle“ neben dem Abbau der
„heimlichen Progression“, die zu einem schnellen Anstieg der Steuerbelastung bei
den unteren Lohnsteuerzahlern führt, zu Recht, die Entfernungspauschale ab
2009 wieder einzuführen. Allerdings verzichtet die CSU in ihrem Konzept auf eine
seriöse, nachvollziehbare Finanzierung des gesamten Entlastungsvolumens ihres
Drei-Stufen-Konzepts mit 28 Mrd. € mit den folgenden Maßnahmen: Erhöhung
des Kindergelds, Wiedereinführung der vor 2007 geltenden Pendlerpauschale,
Änderung des Einkommensteuerfreibetrags (Grundfreibetrag, Abflachung des
gesamten Tarifverlaufs bei einem unverändertem Spitzensteuersatz von 42% ,
Beginn der Spitzenbesteuerung erst ab 60 000 € zu versteuerndem Jahreseinkommen). Vielmehr setzt die CSU auf eine ausreichende Selbstfinanzierung der
Entlastungen über steigenden privaten Konsum, der über eine Zunahme des
Wirtschaftswachstums zu ausreichenden Mehreinnahmen an Steuern führen soll.
Die unterstellte Selbstfinanzierung-Mechanik ist höchst zweifelhaft. Am Ende
drohen Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder auch ein Anstieg der
Staatsverschuldung.
Deutlich vor der Initiative der CSU vom Mai 2008 haben die Bundestagsfraktionen DIE GRÜNEN sowie DIE LINKE im Rahmen der Verabschiedung des Jahresteuergesetzes 2008 gefordert, mit rückwirkender Gültigkeit ab 2007 die Regelung der Entfernungspauschale zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vom ersten
Kilometer an (mit 30 Cent pro Kilometer) umgehend einzuführen. Auch in den
Regierungsparteien mehren sich die Stimmen, die für die Entfernungspauschale
eintreten.
4.
Fazit: Entfernungspauschale + ökologischer Umbau des Verkehrssystems
Erstens darf die Absetzbarkeit berufsbedingter Fahrtkosten bei der Ermittlung
des versteuernden Einkommens (Nettoeinkommen als Basis) nicht opportunistischen Zielen geopfert werden: Unzulässig ist das Ziel, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte Mehreinnahmen über die Einschränkung der Pendlerpauschale zu
entlasten. Aber auch die derzeit hohen Ölpreise rechtfertigen nicht die Wiederherstellung der bis Ende 2006 geltenden Regelung. Die Pendlerpauschale basiert
auf dem leistungsgerechten Nettoprinzip. Es geht auch um Steuergerechtigkeit
gegenüber denjenigen, die den unternehmenseigenen PKW mit einer Pauschale
für den privaten Einsatz nutzen.
Zweitens handelt es sich um eine allgemeine Entfernungspauschale, die sich
eben nicht auf die Nutzung eines PKW reduziert. Egal wie der Arbeitsplatz vom
Wohnort aus erreicht wird, sie gilt für die Mobilität mit dem PKW, dem Öffentlichen Personenverkehr, dem Fahrrad oder zu Fuß. Um die Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrsangebots nicht fiskalisch zu benachteiligen, ist die Absetzbarkeit der realen Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
wieder zuzulassen.
Drittens sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den Umstieg in ökologisch
verträgliche Verkehrsmittel zur Entlastung der derzeit umweltbelastenden Mobilität durch große Entfernungen zwischen dem Wohnort und Arbeitsplatz zu ermöglichen. Dazu gehört der Ausbau eines attraktiven öffentlichen Fern- und Nahverkehrssystems.